Dänemark nimmt international eine Vorreiterstellung ein, was Chemikalien-Sensitivität (MCS) betrifft. Man hat dort im Jahr 2006 ein staatliches Forschungscenter für Chemikalien-Sensitivität und Duftstoffempfindlichkeiten geschaffen. Damit gehört das kleine skandinavische Land neben Kanada zu den Ländern, in denen von staatlicher Seite Center für Umweltkrankheiten geschaffen wurden. Weil das Forschungscenter offensichtlich versucht, nachhaltigen Einfluß auf die internationale Wissenschaft zu nehmen, berichten wir in einer Fortsetzungsserie darüber.
Der erste Artikel der Serie „Dänisches MCS-Forschungscenter im internationalen Blickfeld“ wurde von Bodil Nielsen, einer Krankenschwester geschrieben, die selbst an MCS erkrankt ist. Für alle die Teil I nicht gelesen haben:
Verändert ein dänisches MCS –Wissenscenter die internationalen Erkenntnisse über Chemikalien-Sensitivität?
„Dänisches MCS-Forschungscenter im internationalen Blickfeld “ Teil II
Im nachfolgenden Artikel berichtet Mette Toft, die, bevor sie chemikaliensensibel wurde, an Universitäten unterrichtete, über die Situation der MCS-Kranken in Dänemark und über das MCS-Forschungscenter in Gentofte, dass Elektroschocktherapie als erfolgsversprechende Behandlungsmethode für MCS-Kranke ansieht.
Mette Toft berichtet:
Hallo, ich heiße Mette Toft. Ich bin 53 Jahre alt, verheiratet und mit zwei erwachsenen Kindern gesegnet. Ich habe einen Universitäts-abschluss (Magister Artium) für Japanisch und Dänisch und habe diese Sprachen viele Jahre an Universitäten und Sprachschulen unterrichtet. Durch fleißige Schüler angeregt entwickelte ich sogar eine neue, einfache Methode, die dänische Aussprache zu lehren, und ich habe Unterrichtsmaterialien für Lehrer und Studenten veröffentlicht. Ich dachte immer, ich hasse Lautlehre, aber dieses Projekt bereitete mir viel Vergnügen.
Allerdings hatte ich immer mehr Gesundheitsprobleme, die kein Arzt erklären konnte: Kopfschmerzen, Ausschläge, Müdigkeit und Unwohlsein.
Duftstoffallergie, MCS und Lupus
1999 ergab ein Patchtest, dass ich hochgradig allergisch auf Parfüm reagierte. Meine Hautärztin riet mir, dies äußerst ernst zu nehmen. Wenn nicht, erklärte sie, könnte es mit mir so weit kommen, dass ich mich nicht mit jemand, der ein Parfüm aufgetragen hat, im gleichen Raum aufhalten könne. Von diesem Tag an wurde unsere Wohnung vollständig duftstofffrei. Auf der Arbeit jedoch, und überall wo ich mich hin begab, war ich weiterhin von Parfüm und parfümierten Produkten aller Art umgeben. So hat sich die Prophezeiung der Hautärztin leider voll erfüllt.
2005 erkrankte ich sehr schwer an etwas, dass sich gleichzeitig als MCS und Lupus (eine wirklich unangenehme und unheilvolle Autoimmunerkrankung) herausstellte. Schnell wurde klar, dass ich meine Arbeit aufgeben werden muss. Trotzdem habe ich vier Jahre lang keinerlei Sozialhilfe erhalten. Dies ist, wie ich leider sagen muss, in Dänemark eine sehr weit verbreitete Praxis.
Eine fröhliche Veranstaltung unter unglücklichen Umständen
Nun möchte ich von unserer MCS-Veranstaltung am 12. Mai im Zentrum von Kopenhagen erzählen, dem Internationalen MCS Tag und nicht zuletzt auch von den unglücklichen Umständen dieses lebensfrohen Ereignisses.
In Dänemark ist MCS wie in vielen anderen Ländern noch nicht als echte körperliche durch Chemikalien verursachte Erkrankung anerkannt. Das Dänische Gesundheits-ministerium rückt von der Auffassung nicht ab, dass MCS keine Erkrankung sondern ein „Zustand“ sei, in dem die Menschen „glauben“ oder „fühlen“, dass verschiedene Chemikalien aus der Luft sie krank machen. Dementsprechend werden MCS-„Patienten“ manchmal an Psychiater überwiesen, wo sie mit einem psychiatrischen Befund falsch diagnostiziert werden, typischerweise „somatoforme Störung“, was bedeutet „alles sei mental“.
Das Dänische Forschungszentrum für Chemikalien-Sensitivität hält Ausschau nach „psychologischen Faktoren“ bei MCS-Betroffenen
2006 wurde auf Initiative des Dänischen Umweltministeriums das Dänische Forschungszentrum für Chemikalien-Sensitivität eingerichtet. Es wurde schnell klar, dass der Zweck dieses Forschungszentrums darin bestand, die Umwelt vom Vorwurf MCS zu verursachen, wie man so sagt, frei zu sprechen. Immer wieder hörten die Betroffenen den Leiter der Forschung MD, PhD Jesper Elberling verkünden, dass die Umwelt für die Probleme nicht verantwortlich gemacht werden sollte.
Unter den Mitarbeitern des Forschungszentrums gibt es keine Fachleute für Toxikologie oder Umweltmedizin. Stattdessen konzentrieren sich die neue Forschungsleiterin PhD Sine Skovbjerg, eine ehemalige Krankenschwester und ihre Mannschaft darauf, unzählige „psychologische Faktoren“ bei den Betroffenen zu zählen und zu dokumentieren. Ihre Ansicht ist, dass MCS als somatoforme Störung erforscht werden sollte und dass MCS durch eine sogenannte aufmerksamkeitsbasierte kognitive Therapie geheilt werden kann.
Welche psychologischen Faktoren haben Sie? – Keine. Ich habe MCS.
Bestürzende Nachrichten über Elektroschocktherapie, ECT (electroconvulsive therapy) als MCS-Behandlung
Ich denke, es ist gerechtfertigt zu sagen, dass die internationale MCS-Community schockiert war, als der zuvor erwähnte Jesper Elberling einen Artikel veröffentlichte, in dem er erklärte, das „Elektroschocktherapie“ bei schwerer und sozial behindernder MCS als Möglichkeit in Betracht gezogen werden sollte…“. An anderer Stelle meinte Elberling, „Wenn die Beobachtungen zu ECT korrekt sind, dann bedeutet dies, dass wir, was eine zukünftige Behandlung von MCS angeht, SEHR (na super!) optimistisch sein können.“ Offenbar stimmen nicht viele dänische MCS-Betroffene dieser Ansicht zu.
Eine Kurzfassung des Artikels sowie internationale Reaktionen darauf gibt es auf Canary Report:
Psychiater versprechen induzierte Convulsionen als Behandlung für Multiple Chemical Sensitivity
Gegenaktionen
Als Versuch, uns inmitten dieser deprimierenden Idiotie ein wenig aufzu-muntern, beschlossen wir, den Internationalen MCS-Tag am 12 Mai mit einem bunten und festlichen Ereignis im Zentrum von Kopenhagen zu feiern.
Unglücklicherweise regnete es den ganzen Tag in Strömen und ein paar unserer Attraktionen – darunter einige spektakuläre Kanarien-Kostüme – mussten aus dem Programm genommen und für einen hoffentlich sonnigeren MCS-Tag im nächsten Jahr aufgehoben werden. Unsere MCS- Lotterie und kostenlose Proben duftstofffreier Hautcremes sprachen trotzdem sehr viele Leute an, und ein jeder von ihnen nahm sich ein Exemplar unseres MCS-Informations- und Faltblattes zum Lesen mit nach Hause.
Ein Schüler, der beschlossen hatte, eine Arbeit über MCS zu schreiben, erschien früh, um Fragen zu stellen. Und ein (!) besorgter Politiker (einer von ca. 60 die eingeladen wurden) kam auf ein ernsthaftes Gespräch vorbei.
Autor: Mette Toft, Dänemark
© Fotos: Torben Bøjstrup
Fortsetzungsserie: „Dänisches MCS-Forschungscenter im internationalen Blickfeld“
Teil I: Verändert ein dänisches MCS –Wissenscenter die internationalen Erkenntnisse über Chemikalien-Sensitivität?
Weitere Berichte über die Situation und Aktivitäten von MCS-Betroffenen in verschiedenen Ländern: