Kranke helfen Kranken
Ohne Hilfe von Gesunden können Umweltkranke bei Hilfsaktionen selbst zum Notfall werden
Es ist hoch anzurechnen, wenn ein Kranker dem anderen Kranken hilft und ihn bei einem Notfall womöglich sogar rettet. Im Bereich Umweltmedizin gestaltet sich die Hilfe nicht ganz einfach. Es fehlt an Krankenhäusern, die Umweltkranke mit einer ausgeprägten Chemikaliensensitivität (MCS) aufnehmen können. Um Wohnraum, der für MCS Kranke geeignet wäre, ist es genauso schlecht bestellt. Weil sich die Versorgungssituation für Umweltkranke nicht verbessert hat in den vergangenen fünfzehn Jahren, kommt es in gewissen Abständen zu Notfällen. Plötzlich sind die eigenen vier Wände nicht mehr tolerierbar und der Umweltkranke bräuchte ein Notfallquartier, wenn die Familie oder Freunde nicht einspringen kann. Noch dramatischer wird es, wenn medizinische Versorgung notwendig, aber nicht verfügbar ist.
Helfen ja, aber nicht über die eigenen Möglichkeiten hinaus
In Vergangenheit halfen Mitglieder des CSN Forum, dem größten Forum für Umweltkranke mit MCS in Europa, immer einmal wieder anderen MCS Kranken. Sie boten Wohnraum an, halfen bei organisatorischen Belangen und sie gaben emotionalen Beistand. Manche unterstützten Notfälle sogar finanziell, obwohl sie selbst nichts übrig hatten. Es gab Fälle, bei denen der Helfer kränker war als der Notfall und dieser bei der Hilfsaktion Schaden nahm. Körperlich, Wohnraum-mäßig und finanziell. Das ist traurig und erinnert an das Sprichwort:
„Ein Blinder kann den anderen Blinden nicht über die Straße führen.“
Bei MCS ist es ähnlich, vielleicht sogar noch komplexer. Nicht jeder an MCS Erkrankte reagiert auf das Gleiche wie ein anderer. Schon aus dieser Tatsache heraus kann es sehr problematisch werden, wenn man jemanden im eigenen schadstoffkontrollierten Wohnraum aufnimmt. Sind die Habseligkeiten des Notfalls nämlich mit Schadstoffen, Duftstoffen, Schimmel kontaminiert oder einem für den anderen unverträglichen Waschmittel, kann ein Alptraum seinen Lauf nehmen. Jeder, der seit Jahren unter Hypersensitivitäten auf Chemikalien reagiert, weiß was gemeint ist. Eine kontaminierte Waschmaschine wieder clean zu bekommen kann Wochen dauern. Selbst über die eigenen Kräfte hinausgehen und keine Ruhe mehr finden, neben chemischen Belastungssituationen, führt zwangsläufig zu Verschlechterung des Gesundheitszustandes.
Ein Fallbeispiel:
Eine an MCS erkrankte Person musste innerhalb von Stunden aus der eigenen Wohnung. Ein Umweltkranker nahm sie auf und holte den Notfall sogar im eigenen Auto ab. Die Habseligkeiten des Notfalls waren kontaminiert. Die Person selbst benutzte herkömmliche Körperpflegemittel und selbst mit Duschen und Kleidung mehrmals waschen blieb die Situation problematisch. Zusätzlich übte die Familie des Notfalls Druck aus und die Person hatte finanziell nichts, um einen Beitrag zu den entstehenden Mehrkosten und Nahrung beizutragen. Weil die kranke Person kein Ausweichquartier fand, zog sich die Situation über Wochen hin. Andere Umweltkranke gaben emotionalen Beistand und schickten finanzielle Notpflaster. Zu guter Letzt ging es dem Helfer selbst so schlecht, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und mühsam erarbeitete gesundheitliche Besserung war vernichtet. Am Ende stand der Mann mit deutlich reduziertem Gesundheitszustand, einer kontaminierten Wohnung und einem Verlust von mehreren Hundert Euro da. Der Fall mag sich krass anhören, es ist leider kein Einzelfall.
Thommy’s Blogfrage der Woche:
- Kann ein Umweltkranker einen MCS-Kranken in Not aufnehmen?
- Welche persönlichen Erfahrungen, Situationen, habt Ihr als Helfer erlebt?
- Gab es heftige Probleme, auch mit Nachwirkungen für Euch?
- Würdet Ihr nochmals Hilfe über ein gewisses Maß hinaus geben?
- Kennt Ihr heute eine Ausweichstrategie?
- Gibt es Institutionen, Räumlichkeiten, wohin man einen Notfall vermitteln könnte?
- Wie beurteilt Ihr die Situation, kann ein selbst schwer an MCS Erkrankter eigentlich einem anderen schwer an MCS Erkrankten helfen?
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