Wie wird man in weniger als 365 Tagen ein MCS-Aktivist? Schaut nach Spanien!

Chemikaliensensible Menschen weltweit haben verstanden, dass ihre Krankheit ein Politikum darstellt, das gewisse Lobbygruppen und Industrien unterdrücken, da sie sonst Einfluss und Umsätze verlieren. Diese waren über Jahrzehnte erfolgreich darin, chemikalienbedingte Krankheiten als nicht existent darzustellen und durch gezielte Propaganda Erkrankte als einzelne Psychospinner zu denunzieren. Dank des Internet beginnt diese Struktur zusehends zu bröckeln. MCS-Kranke haben sich international vernetzt, tauschen fachliches Wissen aus und stärken sich gegenseitig. Die Möglichkeiten, die Soziale Netwerke anbieten, verstärken dies. Vor Jahren kannte kaum einer der Erkrankten jemanden aus einem anderen Land, mittlerweile ist die Welt dank dieser Vernetzung zu einem „Dorf“ geworden.

Niemals hätte ich Eva kennen gelernt, eine junge spanische Frau, die unter sehr schwerer Chemikalien-Sensitivität, extremen Nahrungsmittelallergien und CFS leidet. Selbst wenn ich nach Barcelona gereist wäre, wo sie wohnt, hätte ich sie nie treffen können. Eva kann sich seit rund zwei Jahren nur in ihrer Wohnung aufhalten und seit ein paar Monaten liegt sie ausschließlich im Bett. Trotz der Schwere ihrer Erkrankung hat die bemerkenswerte Aktivistin es geschafft, dass den Menschen in ihrem Land nicht mehr länger verborgen bleibt, dass unser täglicher Überkonsum von Chemikalien in Alltagsprodukten seinen Tribut fordert. Zusammen mit Susie Collins von Canary Report aus den USA bat ich Eva für uns über die letzten Monate zu berichten. Dieses Anliegen war uns beiden besonders wichtig, denn Eva’s Bericht soll andere MCS-Kranke mit Mut erfüllen, auch aktiv zu werden.

Niemand erwartet, dass jeder Chemikaliensensible soviel in Bewegung setzt wie im nachfolgenden Bericht zu lesen. Das ist auch nicht erforderlich, denn es sind viele Menschen weltweit, die auf das gleiche Ziel zustreben – die Akzeptanz einer Krankheit, die nicht sein darf, die sich aber nicht mehr länger verschweigen lässt.

Andererseits, „sag niemals nie“, denn vielleicht ist man ja auch jemand, der selbst wenn er nur noch im Bett liegen kann und kaum Kraft hat, trotzdem noch gute Ideen hat und Mut aufbringt. In uns allen schlummert mehr Potential, als wir selbst vermuten. Der nachfolgende Bericht soll inspirieren:


Eva Caballé berichtet:

Meine Freundinnen Silvia Müller und Susie Collins baten mich alles aufzuschreiben, was ich seit Juni 2009 unternommen habe, um ein öffentliches Bewusstsein für Multiple Chemikalien-Sensitivität zu schaffen. Dies ist eine Auflistung all meiner Artikel, der Zusammenarbeit die stattfand, und mein Auftauchen in den Medien. Dies hat so hoffe ich geholfen, die Wahrnehmung von MCS zu erhöhen. Wie viele von Euch wissen, schrieb ich letzten Juni für das online Kultur-Magazin Delirio einen Artikel, der „Die nackte Wahrheit über MCS“ hieß, in dem es zwei Fotos von mir gab, auf denen ich nackt war, nur eine Atemmaske trug. Der Artikel wurde Dank Susie Collins von The Canary Report und Silvia Müller von CSN – Chemical Sensitivity Network in neun verschiedene Sprachen übersetzt. Seitdem habe ich zu jeder Ausgabe von Delirio Artikel beigesteuert, die MCS zum Thema hatten: „Schreie aus der Stille“ und „Metamorphose im Leben mit MCS“ und im Augenblick arbeite ich am nächsten.

Dann entschied ich mich, ein Buch zu schreiben, um anderen Menschen anhand meines persönlichen Lebens und meiner Erfahrungen zu vermitteln, was es heißt, mit MCS zu leben: dieses völlige im Stich gelassen sein, unter dem wir leiden, und warum sich Menschen wegen den giftigen Produkten, die sie täglich benutzen, Gedanken machen sollten. Ende August beendete ich die Arbeit an „Vermisst: Ein durch Multiple Chemikalien-Sensitivität zerstörtes Leben“ und im November kam das Buch bei El Viejo Topo (Der alte Maulwurf) heraus. Die Veröffentlichung wurde angekündigt, als Salvador López Arnal ein Interview über MCS mit mir machte, ein Interview, das anschließend Dank meiner Online-Freunde ins Englische, Japanische und Deutsche übersetzt wurde.

Dank „Die nackte Wahrheit über MCS“ lernte ich viele interessante Menschen auf der ganzen Welt kennen, und einer von ihnen in Japan, Takeshi Yasuma, von Citizens Against Chemicals Pollution (CACP), den Bürgern gegen chemische Umweltverschmutzung, bat mich eine Botschaft an MCS-Patienten und deren Unterstützer zu verfassen, die im Oktober 2009 auf dem Symposium zur Feier der Anerkennung von MCS in Japan präsentiert wurde. Meine Botschaft wurde während des Symposiums verlesen und an die Wand geworfen.

Im November, zwei Wochen bevor mein Buch herauskam, hatte ich zur Hauptsendezeit ein telefonisches Radiointerview (im Spanischen staatlichen Rundfunk), in einer live Kultur-Sendung die Carne Cruda (Rohes Fleisch) heißt. 25 Minuten lang sprachen wir über Multiple Chemikalien-Sensitivität und mein Buch, und sie waren derart geschockt, dass sie versprachen, sie würden das Spanische Gesundheitsministerium kontaktieren, um denen die schlimme Situation von MCS-Kranken zu erläutern. Wie viele von Euch wissen, wurde der Generalsekretär des Gesundheitsministeriums während einer Sendung interviewed (mein Mann David sprach an meiner Stelle mit ihm) und er legte sich öffentlich darauf fest, sich mit MCS-Vereinigungen aus Spanien zu treffen und unsere Klagen anzuhören. Das Treffen fand am 4. Februar 2010 statt, das Ergebnis war eine verbindliche Erklärung der Regierung, einen wissenschaftlichen Rat einzurichten, der ein Konsenspapier über MCS erstellen soll.

Ende November wurde in der Jugendbeilage der im Print erscheinenden Zeitung Deia ein Artikel über meinen Blog No Fun publiziert. Der mit „Toxic Life“ (Giftiges Leben) übertitelte Artikel war eine gründliche und genaue Analyse meines Blogs (die Informationen die ich bereitstelle, meine Übersetzungen, meine eigenen Artikel, meine Zusammenarbeit mit anderen, usw.), die MCS und meine vernetzte Arbeit im internationalen Kampf für die Wahrnehmung von MCS beleuchtete.

Ich beteiligte mich außerdem mit 14 anderen Frauen aus der ganzen Welt am fabelhaften Canary Report Wand-Kalender für 2010. Die Idee ging auf meine Nacktfotos für Delirio zurück und ich war sehr stolz, Teil eines solchen erstaunlichen von Susie Collins geleiteten Projektes zu sein. Die Kalender sind käuflich zu erwerben und der ganze Gewinn wird an die Environmental Working Group gespendet.

Ende 2009 interviewte mich Salvador López Arnal erneut, diesmal unterhielten wir uns mehr über mein Buch und über meine Erfahrungen, und er interviewte auch meinen Mann David, der das Vorwort zu meinem Buch schrieb. Das Interview erschien im Januar im gedruckten El Viejo Topo Magazin und im Februar wurde es online veröffentlicht.

In der Zeit vom Dezember 2009 bis Januar 2010 erschienen drei wunderbare Rezensionen meines Buches. Das erste kam bei Punts de Vista (Standpunkte) heraus, einem Blog von Àngels Martínez i Castells, eine Ökonomin und Präsidentin von Dempeus, einer Katalanischen Gesellschaft zur Verteidigung des Gesundheitssystems. Die zweite erschien auf Kabila ein Blog von Rafael G. Almazán, Journalist mit Schwerpunkt Politik und Menschenrechte. Die letzte wurde auf der Homepage des Umweltjournalisten und Schriftstellers Miguel Jara veröffentlicht.

Ende Januar erschien ein weiteres Interview mit mir, in der Gesundheitsbeilage von ABC, einer der bedeutendsten gedruckten Zeitungen in Spanien. Das Interview, das über zwei Seiten ging und eine Abbildung des Einbands meines Buches enthielt, drehte sich um MCS und meine im Buch beschriebenen Erfahrungen, behandelte aber auch das völlig im Stich gelassen werden, das Menschen mit MCS erleiden. Sie fügten einen MCS-Artikel von Dr. Arnold, einem auf MCS spezialisierten Immunologen hinzu, der ebenfalls auf den Online-Seiten der Zeitung veröffentlicht wurde.

„El color der la tarde“ (Farbe des Abends), eine Magazin-Sendung auf Radio Intercontinental, wollte mich einen Tag, nachdem das Interview mit ABC veröffentlicht wurde, interviewen. Wegen meiner Erkrankung war ich dazu nicht in der Lage, aber sie stimmten zu, stattdessen meinen Mann zu interviewen. Thema des Interviews waren MCS und mein Buch.

Ebenfalls Ende Januar erschien ein Artikel mit dem Titel „The canary of the mine.“ (Der Kanarienvogel des Kohlenschacht) im El Observador Magazin. Dieser von meinem Buch inspirierte Artikel handelte von MCS, Giftstoffen, meinem Buch und von [dem Buch] „Silent Spring“ (Stummer Frühling) von Rachel Carson. Diesen Artikel hatte Paco Puche, ein Ökologe, geschrieben und er war sehr kämpferisch, ermutige die Leserschaft, sich der Warnung bewusst zu werden, die von Menschen mit MCS ausgeht. Dieser Artikel endete mit einem Absatz aus meinem Buch und der letzte Satz lautete: „Vielleicht haben es so viele giftige Erzeugnisse geschafft, um aus uns Schafe zu machen?“

Im Februar wurde mein Buch in einer Literatursendung von Radio Euskadi erwähnt und aufgrund dessen bat mich eine andere Sendung des selben Senders, „La noche despierta“ (Die wache Nacht), um ein Telefoninterview zu meinem Buch und zu MCS. Meine Gesundheit erlaubte es mir nicht, dieses Interview durchzuführen, aber sie stimmten zu, David, meinen Mann, zu interviewen, da sie mein Buch sehr schockiert hatte. Das Interview mit David auf Radio Euskadi dauerte 30 Minuten und war sehr gründlich und einfühlsam. Sie sprachen über MCS, wie unsere Regierung überhaupt nichts unternimmt, um uns zu helfen und wie wir dazu verdammt sind, ohne [finanzielle] Unterstützung der Sozialfürsorge zu leben. Der Journalist hatte ein außerordentliches Fingerspitzengefühl und das Interview war sehr bewegend. Ich beantwortete eine Frage, die ich zuvor vom Bett aus aufgenommen hatte.

Im März wurde mein Buch in die Kataloge zweier öffentlicher Bibliotheken aufgenommen: die Öffentliche Bibliothek von Navarra und die Öffentliche Bibliothek der Universität von Alicante. Darüber freue ich mich besonders, weil es in beiden öffentlichen Bibliotheken das erste Buch über MCS ist, das sie haben.

Auch im März wurde ein Interview mit David in „La Contra“ (Der Rundschlag) veröffentlicht, einem sehr prestigeträchtigen Thementeil in einer sehr bedeutenden Spanischen Zeitung: La Vanguardia (Avantgarde). Sie wollten mich interviewen, aber ich konnte es wegen meiner Krankheit nicht tun. In dem Interview ging es um MCS und unsere Erfahrungen und es war ein großer Erfolg. Wegen diesem fragte eine weitere Radiosendung bei David um ein Interview an.

Am Tag des Interview auf Radio 3 [Nov. 2009/Carne Cruda] nahm ein Spanischer Filmemacher zu mir Kontakt auf, weil er von dem Interview schockiert war und er beschloss, einen Kurzfilm zu drehen um zu helfen, die öffentliche Aufmerksamkeit für MCS zu erhöhen. Er bat mich, ihm zu helfen, obwohl die Geschichte eine erfundene sein wird, lag ihm sehr daran, sie so echt und authentisch wie möglich zu machen. Die Dreharbeiten des Kurzfilms über MCS, mit dem Titel „Los Pájaros de la Mina“, (Die Vögel der Bergwerke), wurden im März begonnen und sie wecken große Erwartungen, regen Diskussionen und die Presse an, da dies der erste spanischsprachige MCS-Kurzfilm sein wird.

Terra Verda (Grüne Erdkugel), ein staatliches Fernsehprogramm, wollte, dass ich in ihrer Sendung über Gifte in Wohnungen mitwirke. Wegen meiner Erkrankung konnten sie nicht zu mir nach Hause kommen, aber sie stimmten zu, dass David mein Interview mit unserer Video-Kamera aufnimmt. Sie baten uns außerdem, die Veränderung zu zeigen, die wir wegen meiner Erkrankung an unserer Wohnung vornahmen, und so zeichneten wir ein zweites Video auf, das all diese Informationen bot. Die Sendung wird Ende März gesendet werden und ich werde sie dann in meinem Blog No Fun veröffentlichen, zusammen mit der ungekürzten Version beider Videos, die wir zu Hause aufgenommen haben.

All dies ist in weniger als einem Jahr geschehen! Darüber freue ich mich sehr, weil ich mir nie vorstellen konnte, dass ich in der Lage wäre, all dies zu tun, besonders als sich meine Gesundheit verschlechterte. Natürlich hätte ich nichts davon jemals ohne die Hilfe und Unterstützung von David, meiner gesamten Familie und meiner Freunde überall auf der Welt tun können.

Autor: Eva Caballé, No Fun, März 2010

Übersetzung: Vielen Dank geht an BrunO.

Antext: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Titelbild: Vielen Dank geht an Susie Collins für das Bild von Eva aus dem Canary Report Kalender.

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5 Kommentare zu “Wie wird man in weniger als 365 Tagen ein MCS-Aktivist? Schaut nach Spanien!”

  1. Maria 27. März 2010 um 18:14

    Liebe Eva,

    herzlichen Dank für Deinen überaus Mut-machenden Blog-Bericht. Es tut gut zu erfahren, dass man auch trotz schwerer Erkrankung, Vieles erreichen kann, was einem eigentlich unmöglich erscheint. Mein persönliches Motto lautet ja, Kämpfen lohnt immer. Dies bestägigt Deine Erfolgsgeschichte.

    Ich gratuliere Dir zu Deinem bahnbrechenden Erfolg! Ich finde, Du kannst mächtig stolz auf Dich sein. Ebenfalls für Dein unermüdliches Engagement für alle MCS-Kranke, an dieser Stelle lieben Dank.

    Du hast quasi in den letzten Monaten ein Mammut-Programm hingelegt und das, obwohl sich Deine Gesundheit in letzter Zeit verschlechtert hat. Dafür gebührt Dir unser aller Respekt!

    Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg, auch für Dein Buch und bedanke mich ebenfalls hiermit bei allen an dem Blog-Artikel Beteiligten.

    Liebe Grüsse und alles Liebe,
    Maria :)

  2. Energiefox 28. März 2010 um 10:25

    Liebe Eva,
    alle Achtung ich versuche ein besseres Bewusstsein für Umweltschutz und Energieeffizienz zu schaffen.

    So viel Elan wie Du habe ich nicht.

    Komme aus der Technik und schreiben ist nicht meine Stärke. Ich wünsche Dir viel Kraft und Erfolg auf Deinem anstrengenden Weg. Mach weiter so.
    Gruß Energiefox

  3. Maxi Cooper 28. März 2010 um 22:00

    Hallo Eva,

    ich finde Deine Erfolge einfach super. Es ist kaum zu glauben, dass Du all das in so kurzer Zeit geschafft hast.

    Lieben Gruss nach Spanien und mach weiter so!

  4. Arnfried 29. März 2010 um 23:05

    ¡Seguiu endavant!

    (Das heißt „Weiter so!“ auf katalanisch – hoffe ich.)

  5. Eva Caballé 7. April 2010 um 12:57

    Thanks a lot Maria, Energiefox, Maxi and Arnfried! I really appreciate your support and your kind words. It’s a pleasure to me sharing my articles and news with all of you. And Arnfried, your Catalan is perfect!
    Danke!!

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