Archiv der Kategorie ‘Gedichte, Geschichten‘

Weihnachtsgeschichte: Der Weihnachtsengel hat ein großes Herz

Sternenstaub überall

Die Katze des Nachbarn saß seit Stunden auf der Mauer des Hauses gegenüber. Fast regungslos schaute sie in ein und dieselbe Richtung, ganz als ob sie auf etwas warten würde. Aber auf was bloß? Na ja, vielleicht freute sie sich auch einfach über die warmen Sonnenstrahlen, die uns den ganzen Nachmittag schon verwöhnten. Ich machte mir einen Tee und schaute dem hübschen Tier als Entspannung zu.

Über Nacht war es frostig geworden und als ich an jenem Morgen aufwachte, lag draußen Schnee. Fast jeden Tag war es um 20°C gewesen und jetzt war es über Nacht Winter geworden. Plötzlich drehte die Katze den Kopf nach hinten und schaute wie gebannt auf etwas, was wohl herannahte. Das nächste, was ich erblickte, war silbrig glitzerndes Licht und ein Funkeln. „Ooh, wie schön, wie wunderschön“, murmelte ich vor mich hin und kaum zu Ende gesagt, stand eine helle Gestalt vor meinem Fenster. Ich kann nicht sagen, wer von uns beiden mehr lächelte. Es war mein Freund der Weihnachtsengel, der da draußen stand. Hastig öffnete ich das Fenster und schon umschlossen mich zwei zarte Flügel und Sternenstaub füllte das ganze Büro.

„Endlich wieder hier“, sagte der Weihnachtsengel mit leuchtenden Augen. „Was für eine Freude“, erwiderte ich und umarmte ihn nochmals. Wir ließen uns zusammen auf das Sofa plumpsen, was zur Folge hatte, dass wir mitten in einer Sternenstaubwolke saßen und gleichzeitig husten und kichern mussten. Magst Du einen heißen Adventstee, lieber Weihnachtsengel“, fragte ich ihn. Er konnte nur nicken, so war er noch am Lachen. Als ich aus der Küche kam und den dampfenden Tee vor ihm hinstellte, gab er mir etwas in die Hand. Es war ein gerollter Zettel. „Mach ihn erst auf, wenn ich weg bin, es soll eine Überraschung sein“, sagte der Weihnachtsengel, den Tee dabei schlürfend. „Erzähl, erzähl, erzähl,…wie war es bei Euch das ganze Jahr über, was machen die Leute mit Allergien und die mit Chemikaliensensitivität? Wie geht es ihnen, bekommen sie jetzt mehr Hilfe und Unterstützung?“, fragte er.

„Vielen geht es nicht so gut, besonders schwer haben es die Chemikaliensensiblen “, antwortete ich ehrlich. Der Weihnachtsengel stellte hastig die große Teetasse ab und schaut mich besorgt an. „Bekommen sie Hilfe?“; fragte er mit erschrockener Stimme. „Nein, zumindest nicht in dem Umfang, wie es nötig und angemessen wäre“, erwiderte ich ihm. Der Engel hauchte: „Ich hab es mir fast gedacht.“ Dann berichtete ich ihm von den vielen Bemühungen der umweltkranken Menschen seit seinem letzten Besuch. „Wir haben gemerkt, dass Ihr Euch bemüht bis ans Ende eurer Kräfte, und so kann es tatsächlich nicht weitergehen. Sag mal, wie ist es sonst wo, ich meine in anderen Ländern. Ist es da besser?“

„Ja, in einer ganzen Reihe von Ländern ist es besser. Australien zum Beispiel. Dort haben drei große Provinzen Leitlinien geschaffen, die Krankenhäuser in die Lage versetzen, chemikaliensensible Patienten aufzunehmen und medizinisch zu versorgen. Von etwas über 20 Millionen Australiern sind rund 8 Millionen durch diese MCS Leitlinien abgedeckt, “ berichtete ich.

„Na, das ist eine hervorragende Nachricht. Siehst Du, ein Wandel ist im Begriff sich zu entfalten, “ sagte der Weihnachtsengel. „So einfach ist das nicht, wir bekommen erwidert, das sei in anderen Ländern und damit habe es für Deutschland keine Gültigkeit, “ erläuterte ich. Wusch… machte es und der Engel schlug mit seiner Flügelspitze auf den Tisch. „Papperlapapp, was für ein Blödsinn ist das denn? Die Behörden sollten sich da lieber eine Scheibe vom anderen abschneiden und ihr Wissen bündeln, um den Umweltkranken zu helfen“, sagte der Weihnachtsengel mit scharfer Stimme.

„Das sollten sie“, entgegnete ich traurig, „denn das Elend ist schon zu groß und es macht auch keinen Sinn, die Chemikaliensensiblen zu ignorieren. Es werden dadurch nicht weniger.“ Der Engel blickte mir in die Augen und sagte mit fester, überzeugender Stimme: „Ihr werdet die Gewinner sein, glaub mir. Ihr müsst nur durchhalten und macht weiter mit Eurer Aufklärungsarbeit. Jeder Einzelne von Euch, ganz wie er kann und Kraft hat. Unterstützt Euch gegenseitig beim Verbreiten der Informationen und glaub mir, es gibt viele Menschen da draußen, die großes Verständnis für Euch haben. Eine ganze Menge von ihnen hat selbst auch Probleme mit Allergien oder reagiert auf Chemikalien im Alltag. Erzählt diesen Menschen ruhig, dass es in anderen Ländern Unterstützung gibt für Menschen wie Euch und dass man dort Regelungen, Leitlinien und Gesetze geschaffen hat. Und, vergesst den Unsinn, dass es nichts wert ist, was in anderen Ländern Gutes umgesetzt wird, damit Allergiker und Umweltkranke Teil der Gesellschaft sein können. Sagt denen einfach: „Ja, und die Erde ist eine Scheibe“, mehr nicht, belasst es dabei. Man wird zur Kenntnis nehmen, dass man Euch nicht ignorieren kann. Die Änderungen werden nicht in wenigen Wochen zu schaffen sein, aber in Monaten schon.“ Als der Weihnachtsengel seine Worte beendet hatte, stand er auf und zeigte dabei auf den gerollten Zettel, den er mir anfangs gegeben hatte. „Da steht alles drin, macht es so“, sagte der Engel mit zwinkernden Augen. „Zupf mal“, meinte er dann. „Wie zupf mal? “, fragte ich ihn. „Na, eine Feder aus meinem Flügel. Zupf eine raus.“ „Aber warum das denn?“, fragte ich ihn mit großen Augen. „Noch nie gehört dass die Federn eines Weihnachtsengels Stärke verleihen und alles gelingen lassen?“, entgegnete er und reichte mir eine große Feder aus seinem Flügel.

Noch einmal zeigte der Engel auf den gerollten Zettel, öffnete dabei das Fenster und sagte zum Abschied: „Ihr habt viel mehr Einfluss und Kraft als Ihr glaubt, jeder einzelne von Euch. Hab Selbstvertrauen, seid mutig, und Ihr seid viele. Verzagt nicht.“ Ein frostiger Windstoß kam durch das Fenster herein und löste Sternenstaub aus den Flügeln des Weihnachtsengels. Das ganze Zimmer glitzerte wie Tausende von Diamanten. Ich schaute zuerst auf die lange silberne Feder in meiner Hand und dann auf den gerollten Zettel auf dem Tisch und dachte dabei: „Was immer darin steht, es wird uns eine große Hilfe sein und wir werden es schaffen.”

Autor: Silvia K. Müller, Weihnachten 2012

Weihnachtsgeschichte: Der Weihnachtsengel hat einen Plan, hört ihm zu

Wehrt Euch, statt an Ungerechtigkeit zu verzweifeln!

Die Herbstsonne verwöhnte uns lange in diesem Jahr. Es gab nur ganz wenige Frostnächte, die darauf hindeuteten, dass Weihnachten bevorsteht. An einem Morgen nach einer solchen Frostnacht, es war noch alles mit Reif überzogen, hörte ich ein leises Klirren draußen. Eine Vorahnung beschlich mich. War es vielleicht… er war es, mein liebgewonnener Weihnachtsengel. In Sekunden war mein Büro mit glitzerndem Sternenstaub überzogen, der durch die aufgehende Sonne an Brillanz gewann. War das herrlich!

„Guten Morgen“, rief der Weihnachtsengel mit einem Lächeln auf seinem zarten Gesicht, „diesmal bin ich früher dran und habe Zeit mitgebracht, um mit Dir zu reden.“ Eine freundschaftliche Umarmung folgte und wir beiden setzten uns gemütlich hin. „Als hätte ich es geahnt“, sagte ich zu ihm, und schob eine Schale mit Weihnachtsgebäck zu ihm hin. „Wir haben schon gebacken, probiere, gleich kommt noch eine heiße Schokolade.“ Mit erfreutem Blick erwiderte der Weihnachtsengel, nach dem Gebäck greifend, hastig: „Ich bin neugierig, wie geht es den Menschen mit Allergien und den Chemikaliensensiblen? Wir bekommen zwar Einiges mit, aber für uns sieht es aus, als ginge es ziemlich schleppend voran, dass man den Leuten hilft.“ „So ist es leider“, musste ich beipflichten und berichtete dem Weihnachtsengel, dass die MCS Kranken unruhig werden und sich international vernetzen, um endlich die Hilfe zu erhalten, die anderen Behinderten längst zuteilwird. „Sogar zur WHO nach Genf ging eine Delegation von Chemikaliensensiblen zusammen mit Ärzten und einem Rechtsanwalt. Aber bei uns in Deutschland gehen die Uhren rückwärts. Die Umweltärzte, von denen wir lange glaubten, dass sie sich für uns einsetzen, haben eine Leitlinie, die „dbu Handlungsorientierte umweltmedizinische Praxisleitlinie“ veröffentlicht. Wir Kranke sind empört und erschüttert darüber, aber wir werden dazu nicht schweigen.“

Der Weihnachtsengel zog die silbrig glänzenden Augenbrauen kurz anerkennend nach oben und sagte: „Richtig, denn Ihr dürft nicht länger schweigend leiden. Geht zu den Behörden, die zuständig sind und berichtet öffentlich darüber. Das ist Eure Chance, damit Euch endlich wirklich geholfen wird.“ Dann wurde der Weihnachtsengel richtig zornig, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass Sternenstaub durch das ganze Zimmer stob: „Diese Angelegenheit mit der Umweltmedizinischen Leitline, die haben wir im Auge, das glaub mir. So nicht! Wir haben nämlich zum Beispiel bei Euch mitgelesen, als Ihr nach Hilfe für junge Menschen mit Chemikaliensensitivität gebeten habt. Eine Schande, dass Euch keiner hilft. Was soll denn aus diesen jungen Menschen werden? Schon bevor sie den Schulabschluss in der Tasche haben, so krank, dass sie ihr Haus nicht mehr verlassen können. Nein, so geht es nicht weiter. Ihr müsst noch lauter werden. Alle sollten Euch unterstützen, denn chemikaliensensibel ist man schneller als man denkt. Ein Flug in den Urlaub, ein Hotelzimmer, das mit Pestiziden behandelt wurde, und kann es einen treffen. Ja, oder eine Renovierung in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Miethaus.“

„Das stimmt“, nickte ich bestätigend, aber es ist wie mit Vielem, wenn man nicht betroffen ist, dann schiebt man eine solche Krankheit und ihre Auswirkungen möglichst weit von sich.“ Der Weihnachtsengel schaute mich mit Sorgenfalten auf der Stirn an und erwiderte mit energischer Stimme: „Wenn man egoistisch oder ignorant ist, dann handelt man so. Macht Ihr als Kranke doch den Anfang. Jeder von Euch kann Informationen über Chemikaliensensitivität und seine Allergien verbreiten. Es ist doch so einfach geworden durch das Internet. Redet darüber, wie es Euch geht, mit anderen, die ihr kennt und wie man mit Euch umgeht. Verbreitet Eure Informationen überall, wo es möglich ist. Ihr werdet sehen, dass immer mehr Mitmenschen zur Kenntnis nehmen, dass es Euch gibt. Erklärt den Leuten ganz in Ruhe und ganz sachlich – es wird funktionieren. Und nutzt das Internet. Ich bin schon alt und war lange skeptisch. Man lernt nie aus, auch als Weihnachtsengel nicht“, sagte der Engel schmunzelnd. „Wenn Du uns gesehen hättest, als wir anfingen, das Internet zu benutzen, Du hättest Dich geschüttelt vor Lachen. Jetzt klappt es wunderbar und wir lesen jeden Tag, was viele, viele Millionen Menschen da draußen austauschen. Es hilft uns, Informationen zu erhalten und Menschen wie Euch, die Hilfe brauchen, zu motivieren, aktiv zu werden“.

„Wir werden versuchen, noch mehr Chemikaliensensible und Allergiker dafür zu gewinnen, versprochen“, erwiderte ich dem Weihnachtsegel. Es sind immer mehr Interessierte, die auf unseren Webseiten lesen, und ständig werden neue Blogs gegründet“. „Na siehst Du, das ist der Weg, und wer selbst keinen Blog oder eigene Webseite hat, der kann doch die Informationen und Links von anderen verbreiten. Wo ist das Problem?“, ergänzte der Weihnachtsengel. „Schwupps, einen Link auf Facebook, Google plus, Twitter eingestellt oder als Kommentar irgendwo eingetragen, und schon sind wieder Menschen informiert. Lasst Euch von keinem mehr als psychisch krank abstempeln, Ihr wisst, was Ihr habt und dass Chemikalien Euch krank gemacht haben. Auch nicht von Ärzten oder Umweltmedizinern, die besser mit der Krankenkasse abrechnen können, wenn sie Euch psychologische Diagnosen und entsprechenden Psycho-Behandlungen verpassen. Wehrt Euch dagegen, macht es öffentlich – statt an solcher Ungerechtigkeit zu verzweifeln!

Denkt immer daran, mit jeder kleinen Aktivität Eurerseits wird der Informationsfluss über Eure Belange und Nöte größer. Seid schlau, nutzt diese kostenlosen Möglichkeiten und wartet nicht, bis ein Journalist an Eure Haustür klopft. Ihr könnt Eure Geschichten besser darstellen als jeder andere. Legt los, seid mutig und traut Euch“, rief der der Weihnachtsengel voller Elan. „Vergesst nicht, uns gibt es schließlich auch noch und solange es uns gibt, unterstützen wir Euch mit Kraft, Mut und kreativen Ideen. Wir schicken sie Euch nachts. Wenn Ihr traurig seid oder Hilfe braucht, merken wir das und Ihr bekommt unsere volle Unterstützung. Wir werden es gemeinsam schaffen, Ihr werdet staunen, zu was Ihr fähig seid“, kicherte er vergnügt und es war zu spüren, dass er und die anderen Weihnachtsengel etwas Besonderes im Schilde führen, etwas Wunderbares.

Dann sprang er auf, umarmte mich so kraftvoll, dass eine Riesenwolke Sternenstaub aus seinen Flügeln das Zimmer füllte und wir beide davon husten mussten. Als sich der glitzernde Staub langsam legte, sah ich, dass das Fenster offenstand, und der Engel war weg. Mein Blick schweifte wehmütig durch den Raum, schade, dachte ich, doch dann fiel mein Blick an die Wand hinter dem Schreibtisch. Dort hing ein Zettel, der mit einer silbrig glänzenden Feder an der Wand gepinnt war, darauf stand in leuchtendem Sternenstaub, mit gestochen scharfer Schrift geschrieben: „Ihr schafft es!“

Frohe Weihnachten und alles Gute für das kommende Jahr!

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Weihnachten 2011

Keine Angst vor der Angst

Angst ist ein sehr brauchbares, einschüchterndes Zwangsinstrument, um Menschen zum Schweigen zu bringen und sie zu kontrollieren. Eine stumme Drohung erinnert subtil daran, dass man alles verlieren kann, was man hat. Jammere nicht, mach keinen Krach, denn das könnte dein Leben noch schlimmer machen und es in einen Alptraum verwandeln. Sie erschrecken die Massen so, dass sie keinen Aufstand wagen. Sie zensieren und verfälschen die Realität.

Doch Angst ist ein zweischneidiges Schwert, wenn sie an Menschen angewendet wird, die wenig zu verlieren haben. Wenn dein Tag daraus besteht, ums Überleben kämpfen, wenn du in einer parallelen Realität lebst, die sich niemand in deiner Nähe auch nur vorstellen kann, verlierst du die Angst vor dieser abstrakten Angst, die sie in dir wecken wollen.

Die rauhe und zermürbende Realität ist stärker. In Anbetracht einer Gegenwart, die uns überwältigt und keinen Raum für irgendetwas anderes lässt, verschwindet, was möglich wäre oder kommen könnte. Das Hier und Jetzt ist alles, was zählt und die Angst vor der Angst ist einfach lächerlich gegen die wirklichen Probleme, die dich unermüdlich am Laufen halten, um weiterzumachen und nur zu überleben. Wenn jeden Tag ein wahrer Kampf ist, der deine physische und mentale Stärke testet, dann ist die Angst vor der Angst nichts anderes als eine Täuschung, eine lächerliche Drohung gegenüber den unbestreitbaren Hindernissen der Unterwelt, in die du verdammt wurdest zu leben.

Manchmal wagst du es, dich aus dem Fenster zu lehnen, in einem riskanten Spiel, um zu sehen, wie die vermeintlich glücklichen Menschen leben, und du bist beeindruckt zu sehen, dass eine unwirkliche Angst sie lähmt, welche sie lethargisch macht und gefühllos leben lässt. Es ist fast tragisch anzusehen, wie sie auf Zehenspitzen durch ihr Leben gehen, angstvoll, narkotisiert und kontrolliert, und sogar ohne sich dessen bewusst zu sein.

Diejenigen unter uns, die jeden Tag extreme Situationen erleben, wie diejenigen unter uns, die von Multiple Chemical Sensitivity betroffen sind; diejenigen unter uns, die über Nacht zu Bürgern zweiter Klasse wurden, ohne Rechte, aber immer noch mit allen Verantwortungen; diejenigen von uns, die zu Nomaden wurden, weil eine vergiftete und sterbende Welt unsere Gesundheit, unser Leben, unsere Träume stiehlt…wir haben keine Angst vor der Angst, weil es keinen Platz mehr gibt für Feigheit, wenn mit einer Realität konfrontiert ist, die jede Angst übersteigt, von der sie wollen, die sie in uns züchten wollen, um uns einzuschüchtern, zu dominieren und einfach, um uns zu vernichten. Was wir befürchtet haben, ist wahr geworden. Wir haben nichts mehr, vor dem wir noch Angst haben müssten.

Autor: Eva Caballé, No Fun, erschienen in der Kunstzeitung  Delirio, 12. September 2011

Photo: David Palma

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Environmental Medicine Matters: No Fear of Fear

Weitere Artikel von Eva Caballé, die in der Kunst- und Kulturzeitung Deliro erschienen:

Hommage an Lukanga Mukara

Wie klug Du bist, mein Kind! Du fragst, ob es noch andere Menschen auf der Welt gibt. Was Du noch nicht wissen kannst ist, dass Du eine sehr seltsame Frage stellst. Früher haben wir sie falsch beantwortet und heute tun wir dies nicht mehr, obwohl wir sie immer noch gleich beantworten. Es gibt keine anderen Menschen!

Es gibt ein anderes Dorf mit ein paar Menschen, die Du nicht kennst. Sie sind so wie Du und ich. Es gab mal einen großen Streit und damit wir uns nicht weiter streiten müssen, sind ein paar Leute weg gegangen und haben nicht weit von hier, aber weiter als Du laufen kannst, ein neues Dorf gebaut. Vielleicht haben die sich auch gestritten und es gibt irgendwo noch so ein neues Dorf, das wissen wir nicht. Es gibt aber nur solche Menschen wie wir.

Worüber gestritten wurde, weiß niemand mehr. Das ist schon sehr lange her.

Die anderen Menschen haben wir nie gesehen. Doch es gab mal einen von uns, der ist weit gereist. Der hat sie aber auch nicht gesehen. Er war nur in ihrer Welt, in der er keinen von ihnen traf. Er erzählte, dass alles was er sah, wie für Menschen gemacht war. Ob diese Menschen das alles selber hergestellt hatten, konnte er niemanden fragen. Auch kam es ihm so vor, als ob vieles in Unordnung oder vielleicht sogar kaputt war.

Leider starb er nach seinen langen Erzählungen. Er hatte diese seltene Krankheit, bei der das Blut immer weißer wird und die wir nicht heilen können. Es ist sicher von seiner Reise krank geworden. Deshalb ist es besser, wir bleiben in unserer Welt. Uns geht es doch gut.

Er berichtete von riesigen Dörfern und Hütten, die bis in den Himmel ragten. Es gab sogar Wege in ihnen, über die man hinauf gelangen konnte. Wir können uns sowas gar nicht vorstellen.

Nun fragst Du, ob diese Geschichten überhaupt wahr sind, ob es diese andere Welt gibt und ob dort einmal Menschen gelebt haben. Das wissen wir natürlich nicht, doch wir haben über eine lange Zeit sehr viele Veränderungen hier in unserer Welt beobachtet, die etwas mit diesen Menschen zu tun haben könnten.

Bevor Du geboren wurdest sahen wir öfter riesige Vögel am Himmel. Die flogen höher als alle anderen Vögel und manche zogen langen, weißen Rauch hinter sich her. Sie flogen so, wie der große, weiße Vogel vom Bach dort drüben gerade fliegt. Siehst Du? Er bewegt seine Flügel nicht, er gleitet durch den niederen Himmel, als ob dieser ihn tragen würde. Wie Du siehst, muss er aber ab und zu seine Flügel auf und ab schwingen, während jene großen, schwarzen Vögel dies nie taten. Wir haben ihnen immer hinterher gesehen, solange wir sie sehen konnten. Sie haben ihre Flügel nie geschwungen.

Diese Vögel gibt es schon lange nicht mehr. Sie sind ausgestorben. Unser Reisender erzählte sogar, dass diese Vögel in Wirklichkeit fliegende Hütten dieser Menschen gewesen wären. Kannst Du Dir vielleicht vorstellen, wie Hütten fliegen können?

Über die Jahre hat sich auch der Himmel, in dem diese Vögel zu Hause waren, verändert. Es gab immer mehr Wolken und es regnete zu viel, so dass wir oft nur von den Bäumen und nichts vom Boden zu essen hatten. Das wird jetzt wieder besser.

Unser Reisender hat erzählt, diese Menschen hätten ihre ganze Welt in Besitz genommen. Das hat niemand von uns verstanden. Zum einen wissen wir nicht, wie man so etwas macht und zum anderen wissen wir nicht, wo zu es gut sein soll, wenn jedes Ding uns oder einem von uns gehören würde. Es wäre ja auch nicht gut, weil man dann damit machen könnte, was man will. Vielleicht sind diese Menschen deshalb alle gestorben, weil sie alles was ihnen gehörte so sehr durcheinander gebracht haben, dass kein einziger mehr leben konnte. Du siehst ja, was der Regen macht. Wenn der Regen einem von uns gehören würde, würde es nicht mehr für alle regnen. Vielleicht würde es gar nicht mehr regnen.

Nicht nur diese bewegungslos fliegenden Vögel sind ausgestorben. Früher gab es viel mehr Tiere, nicht nur Vögel oder große, sondern auch ganz kleine im Wasser und unter jedem Stein. Auch das wird jetzt wieder besser.

Einmal sind wir beinahe selber ausgestorben. Damals kam eine große Hummel, die ganz böse brummte. Normale Hummeln tun niemanden was und sind nicht so riesig. Diese Hummel flog fast über unsere Köpfe, wenn keine Bäume dazwischen gewesen wären. Sie pisste auf uns und viele wurden davon krank und starben. Auch die Bäume. Diese Hummel kam aber nur ein Mal. Sie ist längst selber gestorben, weil sie so viel Gift in sich hatte. Um das zu sagen, muss man nichts vom Heilen verstehen.

Unser Reisender hat uns sehr viel erzählt. Das konnte gar nicht alles weitererzählt werden. Es haben ihm zu wenige von uns zugehört, um sich das alles zu merken. Ich war leider nicht dabei, weil ich damals ungefähr so alt wie Du war und man mir das alles nur beigebracht hat, um es weiter zu erzählen. Ich kann Dir aber eine ganz lustige Geschichte erzählen, obwohl die Geschichte unseres Reisenden eher eine traurige Geschichte ist.

Du weißt, wir setzen uns auf große Steine oder auf ein Stück alten Baum. Wir machen diese Stücke sogar hohl, damit sie leichter sind. In fast jeder Hütte gibt es eins davon, weil nicht jeder gerne auf dem Boden sitzt. Besonders wir Ältere nicht.

Unser Reisender sah ganz viele Stücke, die waren schon so ausgehöhlt, dass man von ihren fast nichts mehr sehen konnte. Sie hatten aber die Form eines sitzenden Menschen. Genauer, sie sahen aus, wie der Abdruck eines sitzenden Menschen. Bei manchen war sogar der Platz für die Arschbacken ausgehöhlt. So wie wenn Du Dich mit Deinem Hintern auf den feuchten Sand am Bach setzt. Dann kann man dort eine Zeit lang die Form Deiner Arschbacken sehen. Haha! Unser Reisender hatte zuerst Bedenken, sich auf so ein Stück zu setzen. Er dachte, es müsste sofort zusammenbrechen. Doch irgendwann war er sehr müde und setzte sich. Das Stück hielt. Ein andres zerbrach tatsächlich. Hahaha! Die meisten waren aber sehr stabil, obwohl sie aus fast nichts bestanden.

Wenn diese Geschichte für Dich nicht lustig genug ist, erzähle ich Dir eine andere.

Obwohl nirgends etwas zu essen wuchs, fand er genug zu essen. Es hatte aber immer sehr harte Schalen, die er zerschlagen musste. Die Splitter waren viel schärfen als die Splitter unserer härtesten Steine. Irgendwann fand er heraus, dass die Schalen aus zwei Teilen bestanden und er ein Teil davon nur drehen brauchte. Er konnte sie sogar wieder zu machen. Ist das nicht lustig? – Er meinte, er hätte dort lange leben können. Die Dinge die er sah waren so gemacht, dass man mit ihnen viel einfacher Leben konnte als wir das tun. Doch er spürte, dass er nicht mehr die gleiche Kraft wie zu Beginn seiner Reise hatte. Er ahnte schon, dass er irgendwann sehr krank werden würde. Deshalb kam er zurück, um uns berichten zu können, was er alles gesehen hatte. Menschen hatte er aber keine gesehen. Keinen einzigen, nicht mal einen toten. Doch da in dieser anderen Welt alles für Menschen gemacht war, muss es dort einmal Menschen gegeben haben.

Autor: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 30. Juli 2011

Anregungen für diese Geschichte waren:

Umweltkrankheiten: Hinschauen oder wegsehen?

Erneut erschien ein Artikel der MCS-Aktivistin und Autorin Eva Caballé im spanische Kunst- und Kulturmagazin Deliro. Das Motto der aktuellen Ausgabe lautet „KINO.

Die zum Nachdenken anregende Geschichte von Eva Caballé handelt über Schadstoffe und Multiple Chemical Sensitivity. Sie trägt den Titel „Das Fenster zum Hof“ und ist ein Tribut an den großartigen Filmemacher Alfred Hitchcock. Die Fotos dazu stammen von Evas Mann David Palma.

Das Fenster zum Hof

Von Eva Caballé

Der Raum ist fast leer; nichts als ein Bett und ein alter Nachttisch ohne Dekor oder Vorhang, alles in hellen Farben. Es scheint ruhig. Die Frau sitzt auf dem Rand des Bettes vor dem Fenster und schaut ins Sonnenlicht, das orangefarben durch den Sonnenuntergang ist. Sie wirft einen kurzen Blick aus dem Fenster und beobachtet etwas ganz genau, wobei sie ihren Hals dreht, als ob sie nach etwas sucht. Sie dreht sich um und spricht mit der jungen Frau, die gerade den Raum mit einem ironisch besorgten Lächeln betritt.

Frau: Siehst du nicht, wie jeder verschwindet? Es ist kein Zufall! Sie haben begonnen, den Park zu sprühen, Tag für Tag, während die Kinder spielten und die Eltern und Großeltern in der Sonne saßen und redeten, während sie die Kinder beobachteten.

Die junge Frau stützt ihre Hand auf ihre Taille mit einem müden Blick und reagiert, mit der anderen Hand gestikulierend, während sie schnaubend impliziert, dass sie müde ist, immer über die gleiche Sache zu reden.

Junge Frau: Du sieht nur Verschwörungen, für Dich ist alles sehr einfach. Wie kannst Du so sicher sein, wenn Du das Haus nicht verlassen kannst? Du lebst nur durch Dein Fenster! Statt stundenlang Pamphlete zu schreiben, von denen ich sicher bin, dass sie niemand liest, und Fotos zu machen, solltest Du Dich nicht lieber auf Dein nächstes Buch konzentrieren?

Der Gesichtsausdruck der Frau wird ernst, sie wendet sich wütend um und antwortet mit einigem Unwillen.

Frau: Aber es ist offensichtlich! Es braucht keinen Sherlock Holmes! Der Hund des Nachbarn im ersten Stock starb wenige Tage nach der ersten Begasung. Sie sagen, dass er durch etwas, was er gefressen hat, vergiftet wurde … Vor ein paar Tagen kam ein Krankenwagen und nahm mitten in der Nacht die alte Frau mit, die im Obergeschoss wohnt, und sie ist noch im Krankenhaus, während ich sie in den 40 Jahren, die ich hier lebe, noch nie mit einer Erkältung gesehen haben! Und was ist mit den Kindern vom vierten Stock? (Sie macht eine Pause zum Atmen, ihre Stimme überschlägt sich fast, so dass sie fast den Atem verliert.) Jeden Tag sehe ich sie mit dem Inhalator und alle zwei Minuten in der Notaufnahme! Ihre Nachbarin hat Krebs und seit sie Chemotherapie bekommt, kann sie Parfums mehr nicht länger ertragen und jetzt muss sie eine Maske tragen, wenn sie für einen Spaziergang die Straße entlang geht. (Jetzt fast schreiend.) Man sagt, dass sie hat Multiple Chemical Sensitivity (MCS) und die Ärzte kümmern sich nicht um sie!

Die Frau schneidet Gesichter und parodiert den Vortrag der junge Frau, denn sie bereits erwartet hat und auswendig kennt.

Junge Frau: Du bist ein wenig ein Panikmacher! Es gibt nur wenige Menschen, die unter MCS leiden, es gibt keinen Grund zur Sorge. Und heute hat fast jeder Allergien oder Asthma und die Behörden warnen davor, dass jeder vierte Mensch in seinem Leben Krebs haben wird. (Sie geht rückwärts, und spricht vom Flur aus, sich dabei an die Tür anlehnend). Das ist das moderne Leben. Vor irgendetwas müssen wir ja schließlich sterben!

Die Frau dreht sich um und antwortet entrüstet vom Bett aus.

Frau: Und, erscheint es normal für Dich? Wirklich? Und wenn es Dich betrifft, denkst Du dann immer noch genauso?

Die junge Frau verlässt schließlich den Raum und ihre Stimme, die vom Flur aus noch zu hören ist, klingt vom Ton her zwischen sarkastisch und müde.

Junge Frau: Also, wir sehen uns nächste Woche. Hör auf, Deine Nachbarn zu bespitzeln, weil Du sonst am Ende noch verrückt wirst. Du solltest Dich lieber amüsieren und aufhören zu fantasieren.

Die Frau antwortet und hebt dabei ihre Stimme, während die junge Frau die Vordertür schließt und das Haus verlässt.

Frau: Mach dir keine Sorgen, meine Einstellung bietet keine Lösung. (Und endet damit ärgerlich vor sich hinsprechend.) Und auch nicht Deine Dummheit.

Die Frau starrt immer noch entrüstet und mit einem besorgten Gesicht aus dem Fenster und denkt laut dabei.

Frau: Realisiert es irgendeiner? Ich sehe alles so klar, dass es mich erschreckt. Es drängt mich dazu, das Fenster zu öffnen und es von den Dächern zu schreien, aber will mich irgendjemand hören? Warum wollen sie nicht hören, selbst wenn es sie alarmiert? (Mit einem sarkastischen Ton.) Keine Zeit dafür, und die Geschwindigkeit des Lebens klingt wie billige Ausreden für mich. (Sie steht auf und nähert sich dem Fenster.) Es ist ganz einfach. Wir sind schlimmer als Esel geworden, denn es ist nicht einmal notwendig, dass sie uns Scheuklappen aufsetzen, um zu verhindern, dass wir unseren Blick vom ausgetretenen Weg abwenden. Wir haben nicht mehr den Drang dazu, es zu tun! Wir fürchten uns davor, was wir sehen, weil wir dann nämlich reagieren müssten. (Die Sonne ist untergegangen und sie beginnt die Fensterläden zu schließen.) Es muss daran liegen, dass ich keine Angst habe hinzuschauen oder daran, weil ich nichts zu verlieren habe. Es scheint, als sei mein Fenster anders…

Autor: Eva Caballé, No Fun Blog, Februar 2011

Originalartikel: LA VENTANA INDISCRETA, artículo sobre tóxicos y Sensibilidad Química Múltiple publicado en la revista DELIRIO

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Weitere Artikel von Eva Caballé, die in der Kunst- und Kulturzeitung Deliro erschienen:

Muss man erst völlig zusammenbrechen, damit man Hilfe bekommt?

FORTSETZUNGSGESCHICHTE

Nicht verstehen können oder nicht verstehen wollen?

…Doch Joel hörte gar nicht die Worte seiner Mutter und tobte weiter. Dann warf er das Plüschtier in hohem Bogen in die Ecke der Stube, stand auf und trat gegen den Stuhl.

„Joel, Joel!“

„Carla, bleib ruhig. Der Schokoladenriegel ist schuld. Der Junge hat eine Reaktion. Dazu noch der Geruch von Omas Creme…“

„Was, jetzt bin ich schuld, wenn der Lausbub ausrastet? Das ist ja eine Unverschämtheit. Ihr solltet den Bengel mal richtig erziehen! Ich hätte ihn schon längst eine gefenstert.“

„Joel hat eine Reaktion, Oma! Er reagiert auf deinen Schokoriegel. Er verhält sich so nur, wenn er auf etwas reagiert, versteh doch das mal endlich“, wies Carla wütend die alte Frau zurecht.

Ihr gehört doch in die Klapse

Omas Augen funkelnden wütend und ratlos zugleich: „Ich habe Joel einen Schoko- riegel gegeben, kein Aufputschmittel oder Rauschgift! Ihr seid doch alle verrückt. Ihr gehört wirklich in die Klapse, aber alle.“

„Nur du nicht“, konterte Tim halbherzig. Es lohnte nicht, sich mit dieser verbitterten alten Frau anzulegen.

Dann glätteten sich die Wogen wieder. Der Tag verlief so, wie er wohl mehr oder weniger in allen Familien abzulaufen pflegt, mit Frühstück, Unterhaltung, Mittag, einem kleinen Spaziergang, Kaffeetrinken usw., wobei Carla und Joel jeweils ihre verträglichen Lebensmittel und Getränke zu sich nahmen. Gesättigt saßen sie auf den Polstermöbeln, eine gewisse Trägheit schlich sich ein, was die Oma veranlasste, langsam zum Fenster zu gehen, was die anderen nicht weiter beachteten.

Kompletter Zusammenbruch, Notfall

Carla spürte plötzlich einen Luftzug und gleichzeitig eine sehr unangenehme Misch- ung von Zigarettenrauch, Schornsteinrauch eines Kamins, Autoabgasen und Parfüm.

„Oma!“, schrie Carla, „…mach sofort…“

Weiter kam sie nicht mehr. Sie rutschte vom Sessel, röchelte, ihre Augen waren weit geöffnet.

Tim kniete sich neben ihr, schlug ihr leicht auf die Wange, aber Carla reagierte nicht. Sofort stülpte er ihr eine Keramikmaske über die Nase, die mit einer Sauerstoffflasche verbunden war und beatmete sie mit Sauerstoff. Mit Schrecken musste er feststellen, dass die Stahlflasche fast leer war. Er rief der Oma zu: „Ich muss Sauerstoff holen. Bin gleich wieder da. Bleib bei ihr und macht die Flasche leer.“

Als Tim zum Wohnhaus zurückkehrte, sah er einen Krankenwagen, dessen Türen gerade geschlossen wurden. Er hörte das laute Weinen seines Sohnes. Schlimmes schwante ihn. „Halt! Halt!“ schrie er aus Leibeskräften in Richtung des Krankenwagens, aber dieser setzte sich schon in Bewegung. Er eilte die Treppe auf, schloss und stieß die Tür auf: „Wo ist Carla?“

Benebelt, verwirrt

„Papa, Papa, sie haben Mutti weggeschafft“, schluchzte Joel. „Hab Oma gesagt, sie soll sie festhalten, aber sie sagte, dass es Mutti im Krankenhaus gut gehen wird…“

„Bist du vollends irre? Sie überlebt keine zwei Tage dort!“

„Unsinn, dort sind hochqualifizierte Ärzte, die endlich mal was unternehmen werden.“

„Unternehmen? Das Einzige, was ihr hilft, ist sofortige Gabe von medizinischem Sauerstoff. Jede Spritze, jedes Medikament, von den vielen Duftstoffen ganz zu schweigen, kann für sie tödlich sein. Die haben doch gar keine Ahnung.“

„Sie haben ja Carla gefragt, aber sie hat die Ärzte nur mit großen Augen angesehen und kein Wort gesagt. Nicht einmal ihren Namen wollte sie sagen.“

„Weil sie sich in solchen Momenten nicht ausdrücken kann. Sie ist dann wie benebelt oder verwirrt. Was hast du ihr nur angetan? Du hast nicht nur ohne Vorwarnung das Fenster geöffnet – womit alles begann – du hast auch noch den Arzt angerufen, der nur alles noch schlimmer macht und du hast zugelassen, dass man sie in das Krankenhaus voller Chemikalien brachte“, schrie er aufgebracht und schüttelte traurig mit den Kopf. „Lass uns allein. Ich kann dich nicht mehr ertragen“, sagt er noch leise und ging mit Joel in das Kinderzimmer, ohne der Oma noch eines Blickes zu würdigen.

Krankenhaus, Abteilung für Psychiatrien

Am nächsten Tag machte sich Tim früh auf den Weg zum Krankenhaus, um Carla zu besuchen. Er hatte Wegkleidung gleich mit eingepackt, denn er konnte sie keinen Tag länger im Krankenhaus lassen. Im Krankenhaus erfuhr er, dass auf richterlicher Anweisung Carla in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie gebracht wurde. „Warum? Warum?“, schrie er.

„Sie war völlig verwirrt, konnte uns nicht ihren Namen sagen, nicht ob sie Kinder hat oder verheiratet ist, einfach nichts, nur unverständliches Gestammel“, antwortete der diensthabende Arzt.

„Und sie haben ihr keinen medizinischen Sauerstoff gegeben?“

„Nein. Dafür bestand keine Notwendigkeit. Sie atmete selbstständig und war, von der Verwirrung abgesehen, bei Bewusstsein.“

Klappe zu – Gibt es keine Chance???

„Ich muss sie da rausholen!“

„Das geht nicht, nicht ohne, dass der richterliche Beschluss aufgehoben wird.“

Tim verließ fluchtartig das Krankenhaus. Noch im Krankenhaus fiel ihm Dr. Binz ein, von dem ihm eine Bekannte, die ebenfalls unter MCS litt, erzählte. Sofort nahm er mit ihm Verbindung auf und durch seine Hilfe gelang es tatsächlich, Carla nach wenigen Tagen wieder frei zu bekommen, wenn auch mit der richterlichen Auflage, dass sich Carla täglich in einer Tagesklinik zu melden habe. Dr. Binz setzte aber durch, dass Carla sich dort nur in einem Raum aufzuhalten brauchte, der für sie verträglich sein würde. Die Klinik stimmte zu, einen solchen Raum zu schaffen.

Ich habe Euch Unrecht getan, bitte verzeiht mir

Die Familie aß gerade Abendbrot, als es plötzlich klingelte. Es war Oma. Carla und Tim wollten gerade aufschreien, nur die rotgeweinten Augen der Oma hinderten sie daran. Schweigend setzte sich die Oma auf einen Stuhl, ohne ihren Mantel auszuziehen. Einige Minuten herrschte Schweigen, dann begann Oma mit zitternder Stimme zu reden: „Ich habe mich kundig gemacht. Fragt nicht bei wem. Ich habe euch, besonders dir Carla, Unrecht getan. Habe auch einen Film im Fernsehen über MCS gesehen. Mir wurde sogar von einer Psychologin berichtet, die an MCS erkrankte und am Ende die Schmerzen nicht mehr aushalten konnte und sich das Leben nahm. Ich erfuhr von einem jungen, MCS-kranken Mann, der gewaltsam in die Psychiatrie eingeliefert und mit Medikamenten vollgepumpt wurde. Nach seiner Entlassung brachte auch er sich um. Und das in unserem Rechtsstaat. Mir tut alles so leid. Bitte verzeiht mir. Wieder gut machen kann ich es nicht. Aber etwas helfen kann ich euch vielleicht doch“, schloss sie ihre Ansprache.

Was für eine Hilfe soll das werden?

Carla und Tim hörten wie versteinert die Worte der Oma. War das ihre Oma? Die gleiche Oma, der sie jahrelang MCS begreiflich zu machen versuchten und immer kalt abgefertigt wurden? Die sogar den Spruch fallen ließ, als das Paar um finanzielle Hilfe nachsuchte: „Weil du arm bist, musst du früher sterben, das ist jetzt wieder so.“ Diese Oma will jetzt helfen? Was soll das für eine Hilfe sein?

Als ahnte die Oma die Gedanken der beiden, fuhr sie fort: „Vor ein paar Tagen rief mich eine alte Freundin an. Alte Freundin, sage ich, sie ist aber bedeutend jünger wie ich. Jahrelang lebte sie zurückgezogen in einer – ich wollte es gar nicht glauben – Höhle, einer Wohnhöhle auf einer Insel. Die Höhle wäre sauber und trocken. Das Klima ganzjährig mild. Keine direkten Nachbarn und dennoch nicht so sehr weit bis in die Stadt. Nun, sie hat sich verliebt und will jetzt wieder zurück in die Zivilisation, wie sie sagte. Und stellt euch vor, sie will die Höhle verschenken, mit Mobiliar. Da habe ich an euch gedacht. Tim findet auf jeden Fall Arbeit dort und für das erste Jahr gebe ich euch was mit, womit ihr über die Runden kommt.“

Danke! ENDLICH

Ungläubig sahen sich Carla und Tim an. Träumten sie? Sie waren noch zu angespannt von den jüngsten Ereignissen, dass sich keine rechte Freude einstellen wollte. Doch dann huschte ein Lächeln über ihre Gesichter: „Danke Oma!“, sprachen sie wie im Chor.

„Aber nur, wenn du uns besuchst“, warf unerwartet plötzlich Joel ein. Tim wollte gerade die Augen verdrehen, aber ein sanfter Fußtritt Carlas besänftigten seine Augenmuskeln.

Sechs Monate später

… schaltete Tim am Morgen den Computer im Arbeitsraum ihrer Wohnhöhle ein. Carla und Joel schliefen noch. Ihnen ging es bedeutend besser. Freilich mussten sie sich weiterhin konsequent um ein cleanes Umfeld bemühen und aßen nur Bio-Kost. Aber hier ließ es sich aushalten. Wie würde es seiner Frau und den Jungen jetzt wohl gehen, wenn sie in Deutschland geblieben wären? Zudem hätte Carla sich weiterhin zwangsweise in eine Tagesklinik begeben müssen…

Schon lange hatte Tim sich vorgenommen, die Erlebnisse des letzten Jahres in Form einer Kurzgeschichte festzuhalten. Und so begann er zu schreiben: „Der vierjährige Joel lief schwermütig und keuchend an der Hand seiner Mutter. Das Atmen fiel den Kleinen schwer, weil er durch die Atemschutzmaske nur mühsam Luft bekam…“

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

FORTSETZUNGSGESCHICHTE:

Teil I: …und komme bitte nicht mit Parfüm

Teil II: MCS als Fiktion hinzustellen ist einfach, mit MCS zu leben ist schwer

Teil III: Die Problematik MCS ist der Regierung schon öfter unterbreitet worden

Teil IV: Umweltkrankheiten: Ich will mein altes Leben wieder

Teil V: Die Folgen sind bitter

Teil VI: Seit wann machen Krankheiten vor dem Alter halt?

Die Folgen sind bitter

Alltagschemikalien – Für Chemikaliensensible ein Dauerbrenner

FORTSETZUNGSGESCHICHTE

… „Was ist nun mit dem Zweiten Punkt?“, fragte Carla.

„Was? Was für einen, eh, Zweiten…“ stotterte irritiert Tim, der sich wunderte und freute, dass die Stimme seiner Frau fester klang.

„Na von „mobil“, der Zeitschrift von gestern, weißt du noch?“

„So wichtig war das auch nicht“, wehrte Tim ab, der seine Frau nicht noch mehr beunruhigen wollte.

„Nun komm schon!“

Tim holte die Zeitschrift, schlug sie auf und tippte auf den Artikel „Düfte als Dauerbrenner“.

Da musste Carlo zum Erstaunen von Tim lachen: „Ja, Düfte sind wirklich für uns Chemikaliensensible ein Dauerbrenner.

„Nur wenn der Firmeninhaber der Engels Kerzen GmbH sagte, dass Duftkerzen der Wachstumsmotor der Kerzenbranche sind, dann kannst du dir ausmalen, wie sehr die Belastung mit künstlichen, um nicht zu sagen chemischen Duftstoffen steigen wird. Weißt du noch, als wir unsere Schrankwand entsorgen mussten, weil der Duftkerzengeruch der Duftkerzen, die wir früher selbst verwendet haben, als du noch gesund warst, nicht mehr zu entfernen war? Wir waren ganz erstaunt darüber, wie viel Fächer nach Duftstoffen rochen. Das Zeug bekommst du ebenso wenig aus einer Wohnung raus wie den Zigarettengeruch aus einer Raucherwohnung. Auf keinen Fall jedenfalls mit dem Niveau, dass für MCS-Betroffene nötig ist.“

„Wie könnte ich das vergessen…“

„Engels sagte, dass sie jährlich neue Farben und Gerüche entwickeln. Ich fürchte, dann sind Düfte in Kerzen bald so selbstverständlich wie in Weichspüler, Wasch- mittel, Spülmittel und fast allen anderen Haushaltschemikalien.“

Wasser- und Luftverschmutzung

„Da brauchen wir uns wirklich zu wundern Tim, warum es in der Umgebung der Wohnhäuser so stinkt, warum selbst die Abwässer eher wie widerliche Duftkonzentrate, statt abwassertypisch riechen. Buchstäblich alles, was Menschen heute umgibt, ist in Duftstoffen eingehüllt. Das ist die reinste Geruchsstoff- verschmutzung. Natürliche frische Luft gibt es kaum noch. Auch die Flüsse stinken schon zeitweilig nach Duftstoffen und sogar Wälder werden von Duftstoffschwaden durchzogen. Das ist doch nicht normal.“

„Glaubst du, dass das die anderen Menschen überhaupt riechen, Carla?“

„Da habe ich teilweise meine Zweifel. So wie sich die Menschen an den hohen Salz- oder Zuckergehalt von Lebensmitteln, an künstliche Aromen und Geschmacks- verstärker gewöhnt haben, so haben sie sich an die Duftstoffe gewöhnt. Der Gewöhnungseffekt erfordert immer stärkere Geruchsstoffe. Man ist daher stolz darauf, Duftstoffe für Weichspüler entwickelt zu haben, die mehrere Waschmaschinen- waschgänge überstehen. Wenn dann die Duftrichtung gewechselt wird, weißt du, was dann für Mischungen entstehen?“

Denken Hersteller nicht an Allergiker?

„Carla, wir müssten einfach mal Herrn Engel und eigentlich alle Kerzenhersteller fragen, ob er auch an die Allergiker und MCS-Kranken denkt. Warum wird bei der Entwicklung von Duftstoffen nicht auch danach geforscht, dass sie keine große Reichweite haben? Eine Frau muss keine zwanzig Meter lange Duftfahne hinter sich her ziehen. Duftstoffe in Kerzen können nach dem Verbrennen der Kerze eine nur kurze Lebensdauer haben und müssen nicht noch wochenlang, Monate oder Jahre auf Gegenständen zu riechen sein. Das tun natürliche Duftstoffe auch nicht. Sie müssen auch nicht die Fähigkeit haben, während des Nichtbrennens der Kerze so intensiv, um nicht zu sagen aggressiv zu riechen und an Gegenständen so permanent zu haften.

Die Natur ist nicht so aufdringlich

Wenn sich die Duftstoffe der Pflanzen in der Natur auch so aggressiv verhalten würden, dann könnten wir keinen Spaziergang über eine blühende Wiese überstehen. Unsere Kleidung, Haut und Haare würden extrem nach Wiesenblütenduft riechen und der Geruch wäre nur durch mehrmaliges Waschen über einen längeren Zeitraum zu entfernen. Ständig würden massiv andere Gerüche auf uns einstürmen, so dass wir gar nicht mehr wüssten, was wie riecht. Wir könnten keine Fenster mehr öffnen, weil der Raum voll wäre von konzentriertem Duft, der durch einfaches Lüften nicht mehr zu entfernen wäre. Die Möbel würden jahrelang riechen…“.

Gerüche, Gerücht, Geh-Rüche

„Tim, früher habe ich einmal davon geträumt, dass das oft vorausgesagte Geruchskino bald Realität werden möge. Und jetzt? Jetzt sind Gerüche für uns zu „Geh-Rüche“ geworden, GEH-RÜCHE, vor denen man wegzugehen, zu fliehen hat, will man nicht noch kränker werden.“

„Da gibt es noch ein anderes, ähnliches Wort Carla: GERÜCHT, also eine unwahre oder zweifelhafte Behauptung, die in die Öffentlichkeit lanciert wurde. Wie ein Geruch durchdringt das Gerücht die Öffentlichkeit und bleibt am Bewusstsein der Menschen hartnäckig haften. Also ein GEH-RÜCHT, denn es geht zu den Menschen hin, um die Schadensbrut in den Gehirnen abzulegen. Geistige Schlupfwespen sozusagen. Selbst wenn das Gerücht widerlegt, also gereinigt wurde, hinterließ es oft fast unauslöschbare Spuren in den Hirnen der Menschen.“

Der Kreis schließt sich

„Wie Chemikalien und Duftstoffe in den Hirnen von MCS-Kranken auch“, stellte Carla eine Parallele her. „Womit sich der Kreis zwischen Gerüche und Gerücht wieder schließt. Moleküle von Duftstoffen, flüchtigen Substanzen, Schwermetalle und Gerüchen dringen über die defekte Bluthirnschranke von MCS-Kranken ein und lösen ein Chaos im Gehirn aus. Dabei reichen geringste Mengen aus, die dann zu massiven Symptomen führen.“

„Genau Carla. Diese wenigen Moleküle wirken bei MCS-Kranken wie ein materialisiertes Gerücht von einer augenblicklich großen körperlichen Gefahr, versetzen dadurch das Gehirn in eine Art Ausnahmezustand.“

Der Körper von Menschen mit MCS reagiert anders

„Und das, Tim, führt wieder dazu, dass diese MCS-Reaktionen so massiv und gewaltig sind, dass es für deren Auslösung unerheblich ist, ob die Schadstoffe in so großen Menge eingedrungen sind, dass sie einen erheblichen Schaden im klassischen Sinne einer Vergiftung direkt anrichten können oder nicht. Durch die defekte Bluthirnschranke und die mangelhafte Entgiftungsleistung der Entgiftungs- organe, wodurch die gespeicherte Schadstoffmenge grundsätzlich überdurch- schnittlich erhöht ist, ist das Gehirn und letztlich der Körper nicht in der Lage, so zu reagieren, wie es bei Menschen ohne MCS der Fall ist.“

„Also doch Psychopharmaka, die das Gehirn beruhigen?“, provozierte grinsend Tim.

Warnsignale beachten

„Blödmann. Eben nicht. Der Körper muss entgiftet werden, soweit das möglich ist. Ob sich die Bluthirnschranke wieder erholt? Schwer zu sagen. Jedenfalls bleibt ohne Entgiftung und das Leben in einem cleanen Umfeld der Körper in einem Zustand, wo er immer extrem auf geringste Chemikalien reagieren wird. Daran können Psychopharmaka gar nichts ändern. Und selbst wenn, was wäre denn die Folge?

Die Ansammlung der Schadstoffe geschieht mit einem noch größeren Tempo, weil der Körper durch fehlende Reaktionen keine Warnsignale mehr aussendet, und der totale Zusammenbruch kommt dann viel schneller als ohne Psychopharmaka. Sind schon MCS-Kranke generell vergleichsweise hoch selbstmordgefährdet, dann diejenigen, denen man Psychopharmaka gab, aus Erfahrung extrem. Es ist sicher nicht nur ein Gerücht, dass die meisten MCS-Kranken, die Suizid beginnen, Psychopharmaka einnahmen und dann dies taten, als diese Mittel abgesetzt wurden oder werden mussten.“

Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

FORTSETZUNGSGESCHICHTE:

Teil I: …und komme bitte nicht mit Parfüm

Teil II: MCS als Fiktion hinzustellen ist einfach, mit MCS zu leben ist schwer

Teil III: Die Problematik MCS ist der Regierung schon öfter unterbreitet worden

Teil IV: Umweltkrankheiten: Ich will mein altes Leben wieder

MCS als Fiktion hinstellen ist einfach, mit MCS zu leben ist schwer

Eine Riesensauerei was da läuft

Fortsetzungsgeschichte, Teil II

Als Carla und Joel nach Hause kamen, war Tim, Carlas Mann und Vater des Jungen, schon zu Hause. Tim war von einer Dienstreise vorzeitig zurück gekehrt, die er meistens mit der Bahn unternahm. Herzlich umarmte er seine Frau und seinen Sohn. Er wusste, was sie täglich auszuhalten hatten und bemühte sich, vor allem durch Liebe und Verständnis ihr Los zu erleichtern.

Jahre hatte er damit zugebracht, Umzüge zu organisieren, um eine verträgliche Wohnung für seine Lieben zu finden oder sie durch verschiedene Maßnahmen ver- träglich zu machen.

Carla schnüffelte prüfend an seiner Schulter.

Riechst du was? Ich habe nichts Duftendes angefasst.“

Überall

„Nein, das hast du nicht. Aber vielleicht hast du dich auf einem Platz gesetzt, indem vorher ein parfümierter Mann gesessen hat, denn ich rieche etwas Männerparfüm.“

„Tut mir leid, das habe ich nicht gemerkt. Ich ziehe mich sofort um.“

„Ist schon gut. Du kannst es ja nicht so riechen wie ich. Es geht schon“, sagte Carla lächelnd. Sie wollte nicht, dass Tim sich erst umzog und so das liebevolle Wiedersehen einen Abbruch erlitt. Tim würde es anstandslos tun, ihr zu liebe sogar gern, dass wusste sie, aber sie spürte, er wollte etwas los werden.

Tim seufzte erleichtert, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, öffnete seine Tasche und hielt Carla die Dezemberausgabe der Bahnzeitschrift „mobil“ von 2010 hin.

Sie setzte sofort ihre Maske auf, denn sie vertrug oft nicht den Geruch der Druckfarben.

„Was gibt es denn besonderes in dieser Ausgabe?“, fragte sie lächelnd, denn sie wusste, dass Tim sie nicht ohne Grund auf die Zeitschrift aufmerksam machte.

„Zwei was“, antwortete Tim.

„Zwei was?“

Behauptungen besser erst auf den Wahrheitsgehalt abklopfen

„Nun ja, dass eine würde ich gern auf den Wahrheitsgehalt einmal abklopfen und das andere ist eher besorgniserregend.“

„Leg los“, sagte Carla, trotz ihrer Erschöpfung um freundliches Interesse bemüht, damit Tim nicht seinen Elan verlor.

„Nun, ich zitiere und du rate einmal, wer das sagte: „ Etwas für sein Land tun heißt übrigens auch: an den Diskussionen teilzunehmen, die unser Land bewegen. Das fängt im privaten Bereich an, und findet seine Fortsetzung in Vereinen, Verbänden oder Initiativen…“ Na Schatz, wer sagte das?“

„Na wer schon?“, antwortete Carla und konnte nur mühsam ein Lachen unterdrücken. „Angela Merkel, wer sonst?“

„Woher weißt du….?“, fragte ungläubig Tim, den vollkommen unklar war, wie Carla darauf auf Anhieb kam. Da fiel sein Blick auf das Titelblatt der Zeitschrift und er schlug sich mit der Hand auf seiner Stirn: Auf ihm war deutlich die Kanzlerin zu sehen und er hatte vergessen, die Zeitschrift entsprechend zu knicken. Und Carla tat so… „Du Mistvieh…“, zischte er.

Und da prustete das Lachen aus Carla heraus und Tim freute sich, dass er seine oft genug bedrückte Frau zum Lachen bringen konnte.

„Aber interessant ist das schon“, bestätigte Carla. „Das Bedrohliche von Chemikalien bewegt zweifellos unser Land, das heißt die Bevölkerung. Und da möchte ich mal eine öffentliche Diskussion entfachen und sogar Initiativen auslösen. Ob sie dann noch so hinter ihren Worten steht?“

Die Problematik MCS ist der Regierung schon öfter unterbreitet worden

„Das ist der Punkt“, stimmte Tim zu. „Und die Problematik MCS ist der Regierung schon öfters unterbreitet worden, ohne dass ernsthaft darauf reagiert wäre. In Dänemark wurde wider besseres Wissen manipulativ versucht, MCS-Kranke in die psychische Ecke zu stellen. Das versuchte man immer wieder auch schon in Deutschland, aber nicht mit einer so pseudowissenschaftlich-kriminellen Energie wie dort. Man müsste die Kanzlerin bei Wort nehmen…“

„Ja, das müsste man. In Dänemark lief eine besonders hinterhältige Methode. Sogar Fragekataloge zur Erkennung von MCS wurden so umgestellt, dass Antworten psycho- lastig erschienen.“

Das ist eine Riesensauerei

„Das ist eine Riesensauerei“, gab Tim mit verächtlicher Mine seiner Frau Recht. „Nimm eine Gruppe jugendlicher Querschnittgelähmter, die vor kurzer Zeit durch einen Verkehrsunfall von heute auf morgen gelähmt wurden. Es ist keine Kunst, ihnen eine Reihe von Fragen zu stellen, die dann ihre Befindlichkeiten entblößen und sich psychisch oder psychiatrisch ausschlachten lassen. Wenn man nur will, kann man es immer so aussehen lassen, dass eine psychiatrische Behandlung dringend erforderlich sei.“

„Weißt du, es wurde damit an für sich ein Eigentor geschlossenen. So wird ja immer wieder behauptet, dass durch Studien festgestellt worden sei, dass MCS-Betroffene – sie sagen: Menschen, die sich selbst für MCS-krank halten – eine schwierige Kindheit gehabt, dass sie traumatische Erlebnisse gehabt hätten usw…. Und dass sei die eigentliche Ursache für das Befinden der Betreffenden. Wenn das stimmt, dann ist in naher Zukunft eine bedrohliche Anzahl von Menschen betroffen, denn die Mehrheit der Eltern ist heute entweder beruflich maßlos überlastet oder arbeitslos bzw. unterversorgt. Sehr viele Kinder sehen entweder ihre Eltern fast gar nicht, und wenn dann im gestressten Zustand oder sie sehen sie als perspektivlose Wesen. Wie jetzt eine Fernsehsendung von 3Sat belegte, hat fehlende Liebe und Fürsorge verheerende Folgen in der Persönlichkeitsentwicklung. Aber das ist nicht gleichzusetzen mit den Ursachen von MCS.

Es stellt sich sonst die Frage, warum es nach den Weltkriegen kaum MCS gab?

Und warum gab es sie in den früheren Ostblockstaaten nicht bzw. war sie nicht bekannt, dafür aber heute n den Nachfolgestaaten?

Die Häufung ein statistischer Zufall?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass es z.B. in der DDR nur sehr wenig Asthma- und Allergiefälle gab, heute aber in den neuen Bundesländern genauso viele wie in den alten Bundesländern. Selbst Fachleute geben zu, dass die neuen Länder hier aufgeholt haben, können oder wollen aber nicht die Gründe hierfür nennen. Die Psychiatrisierung aber – das wird man gar nicht bedacht haben – stellt, wenn man über ihre Aussagen wirklich nachdenkt, eine gigantische Anklage darüber dar, wie extrem sozial krank unsere Gesellschaft ist. Ob das den verantwortlichen Herren besser gefällt, wie die tatsächliche Ursache: Das Übermaß an Chemikalien im Alltag in Verbindung mit ererbten oder erworbenen Schwächen der Entgiftungsorgane der Körper der Betreffenden?“

„Weißt du aber, was die Kanzlerin noch gesagt hatte?“

„Nein, was meinst du?“

„Nun es gab eine Anfrage im Bundestag, warum es so viele Krebsfälle in der näheren Umgebung von der Atommüll Lagerstätte Asse gibt. Ihre Antwort war, dass sie diese Häufung für einen statistischen Zufall hält.“

„Klingt doch gut Carla, oder? Warum es immer mehr Allergien und MCS gibt in der heutigen Zeit? Statistischer Zufall! In den letzten zehntausend Jahren gab es doch kaum Allergien und MCS oder?“

Carla musste lachen. „Sie hat ja jetzt ihren Spitznamen als Teflon-Merkel weg. Ob das drastische Bienensterben in Amerika und Europa auch nur ein statistischer Zufall ist? Ach, lassen wir das für heute, Tim. Sag mir lieber das Zweite von „mobil“.“

Ein Seufzen kam aus der Ecke der Stube. Das Paar blickte in Richtung Sofa. Joel war eingeschlafen. Es war ein anstrengender Tag für ihn. Carlo und Tim sahen sich an. Ihnen war klar, dass sie sich erst einmal um den Jungen kümmern mussten, bevor sie weiter diskutierten. Dann aber spürten sie, dass sie selbst auch erschöpft waren und gingen zu Bett.

Kranke werden auf sich allein gestellt

Tim hatte seine, noch im Halbschlaf befindliche Frau am Morgen gefragt, was für Wasser am selbigen Tag mit Trinken und Kochen dran sei, denn Carla musste auch das Mineralwasser im Rotationsplan mit einbeziehen, damit sie nicht auch noch gegenüber einer Mineralwassersorte allergisch wird. Sie vertrug ohnehin nur drei Sorten. Er füllte zweieinhalb Glasflaschen Wasser in einem Glastopf, um das Mineralwasser zehn Minuten zu kochen. Damit entweicht nicht nur die Kohlensäure, sondern es wird auch ein Teil der Mineralien ausgefällt. Zuviele Mineralien kurbeln den Entgiftungsprozess zu sehr an, was Carla unnötig belasten würde. Da sie auf das Metall von Stahltöpfen reagierte, musste alles mit Glas- oder Keramiktöpfen gekocht werden. So auch das Frühstück, das dieses Mal planmäßig aus gekochten Quinoa mit Blattspinat und Hanföl bestand. Joel war nicht so histaminanfällig wie seine Mutter und vertrug daher Brötchen.

Sauerstoff aus der Flasche

Während Tim kochte, fiel ihm der Bericht von Carla ein, als sie im EHC-Dallas bei Dr. Rea zur Behandlung weilte. Dort war eine Frau, die überhaupt kein Wasser vertrug. Sie musste sich Entenbrüste zubereiten und den austretenden Fleischsaft trinken, wollte sie nicht verdursten. Carla berichtete auch von einem Mädchen, dass auf einer Rollliege transportiert wurde und sogar innerhalb der cleanen Klinikräume noch eine Atemschutzmaske tragen musste. Ihr Körper und Kopf waren mit Decken zugedeckt, weil sie nicht einmal das Licht der Lampen der Klinik vertrug. Eine alte Frau zog ständig eine Stahlflasche mit medizinischem Sauerstoff hinter sich her, weil sie auf die normale Luft schwer reagierte. Sie war früher Lehrerin und wurde durch chemisch verseuchte Schulräume krank. Sie lebte praktisch in ihrem Auto und schrieb auf einer alten Schreibmaschine ihre Biografie. Eine andere Betroffene hielt es nur in den speziellen cleanen Räumen der mit dem EHC kooperierenden Hotels aus. Selbst die elektromagentische Strahlen eines normalen Schnurtelefons konnte sie nur wenige Minuten tolerieren. In den USA gibt es MCS-Kranke, die überhaupt nicht mehr in einer Wohnung leben können und Sommer wie Winter in Zelten oder Autos hausen müssen. In Deutschland, Italien und in der Schweiz kämpfen schwer kranke MCS-Kranke, oft noch zusätzlich mit einer starken Elektrosensibilität belastet, in Wohnwagen um ihr Überleben.

…plötzlich völlig alleine

Andere sind zu einer Art „Waldmensch“ geworden, um zu überleben. Die Selbstmordrate unter den Kranken ist sehr hoch, weil sie in schweren Fällen nicht mehr wissen, wo sie sich aufhalten, was sie für Lebensmittel und Kleidungsstoffe sie vertragen und welche Mineralwässer sie tolerieren können. Viele leben weitgehend isoliert. Eine MCS-kranke Frau stand plötzlich völlig allein dar, als sich ihr Mann bei der Arbeit eine schwere Verletzung zuzog und er ins Krankenhaus musste. Sie erlitt einen Herzschock, weshalb sie ebenfalls ins Krankenhaus hätte gehen müssen, aber nicht konnte, weil sie MCS hatte. Es gibt einfach kein SOS-Notprogramm für solche Fälle… Sie waren mehr oder weniger Freiwild, das oft genug in Psychiatrien weggesperrt wurde, statt das ihnen wirksam geholfen wurde. Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN -Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

Teil I: ….und komme bitte nicht mit Parfüm

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…und komme bitte nicht mit Parfüm

FORTSETZUNGSGESCHICHTE

Der vierjährige Joel

lief schwermütig und keuchend an der Hand seiner Mutter. Das Atmen fiel dem Kleinen schwer, weil er durch die Atemschutzmaske nur mühsam Luft bekam. Carla, seiner Mutter, erging es mit ihrer Maske nicht viel besser, aber sie bemühte sich durch aufmunternde Worte, die immer wieder aufkommende Schwermut des Jungen zu vertreiben. Sie hoffte, dass er nicht gleich wieder mit seiner quälenden Fragerei begann; quälende Fragen auch für sie, die sie mit einem Lächeln in der Stimme zu entschärfen suchte:

  • Mutti, warum wird es uns schlecht, wenn wir keine Maske tragen?
  • Mutti, warum müssen wir draußen bleiben, wenn Papi einkauft?
  • Warum schließt du immer die Fenster, wenn gerade die Sonne so schön scheint?
  • Wieso sind Weichspüler und Parfüm für uns giftig und für andere Menschen nicht?
  • Warum wird es mir schlecht, wenn ich mit anderen Kindern spiele?
  • Warum sind wir so anders wie die anderen…

Fragen über Fragen, deren Antworten nur erklären, aber nicht trösten können.

Carla hoffte also, dass er sie nicht wieder mit Fragen löcherte, aber das Schweigen des Kindes, das sogar seine ausdruckslosen Augen unterstrichen, bedrückte sie noch mehr als die unausgesprochenen Fragen.

Blitzartig drückte sie ihre Atemschutzmaske und die des Kleinen fest an das Gesicht: Ein rauchender Radfahrer war an ihnen vorbeigefahren und der Tabakgestank drang sogar durch ihre Masken. Nach einigen Minuten riss sich Carla hustend und röchelnd die Maske vom rot angelaufenen Gesicht und presste die Atemmaske der Sauerstoffflasche – die sie immer bei sich hatte – an Mund und Nase. Tief atmend sog sie den Sauerstoff ein. Joel sah ihr dabei ohne große Beunruhigung zu. Er wusste, dass er seiner Mutter nicht helfen konnte, dass ihre Reaktion auf den Zigarettenqualm immer sehr qualvoll waren, aber auch, dass der Sauerstoff ihr nach einigen Minuten Linderung verschaffen würde. Meistens waren Zigarettenrauch, qualmende Schornsteine – sogar im Garten, wenn Gartennachbarn heizten – Weichspüler und Parfümgerüche schuld an solchen Atemnotattacken. Ihn selbst belasten diese Gerüche auch sehr, aber nicht so schlimm wie seine Mutti.

„Mama, warum müssen die anderen Leute immer so sehr riechen, dass es uns schlecht wird?“, fragte Joel nun doch. Carla, die sich noch nicht völlig wieder erholt hatte, presste ein „tun sie nicht mit Absicht“ hervor. „Sie wissen nichts von unserer Krankheit und können sich nicht vorstellen, wie sehr Duftstoffe schädlich sein können“, ergänzte sie, nach dem sie noch einige Mal gehustet hatte.

„Und die Farben und Lacke, Mama?“ Carla musste trotz ihres Zustandes schmunzeln und war erstaunt, wie gut ihr Sohn aufgepasst hatte, wenn sie etwas erklärte. Über Farbe und Lacke hatten sie sich vor einige Tage unterhalten. Joel wollte sich nur bestätigt fühlen und so stimmte Carla zu: „Ja, auch die Farben und Lacke sind gefährlich“. „Die mit den Lösungsmitteln“, hackte der Kleine nach. „Genau!“

Carla seufzte leise. Ihr ging es immer noch nicht gut. Aus den Augenwinkeln versuchte Joel unauffällig einen Blick von ihr zu erhaschen und Carla tat so, als bemerkte sie es nicht. Sie versuchte zu lächeln, um Joel von ihren Zustand abzulenken. Doch das war zwecklos, der Junge durchschaute diese gutgemeinte Schauspielerei sofort. Sie machte ihn eher wütend: Wie kann diese verfluchte Krankheit seine Mama zwingen, zu lächeln, wenn es ihr doch so schlecht geht?

Gegenseitig konnten sich die beiden Leidgeprüften einfach nichts vormachen. Die gemeinsame Krankheit schien einen Großteil des Altersunterschiedes zwischen Mutter und Sohn aufzulösen…

„Ey Alter – ist wohl schon Fasching?“,

rief eine Stimme aus einer johlenden Menge von Jugendlichen, die sich über die Atemmasken der beiden amüsierten.

‚Blöde Kerle´, dachte Carla und überlegte, was sie ihnen erwidern sollte. Kurz entschlossen ging sie auf die Jugendlichen zu, holte ein Bündel Flyer über Multiple Chemische Sensibilität aus ihrer Tasche und drückte sie einem der Jugendlichen in die Hand: „Hier – Karnevalsinfos. Ich hoffe, ihr könnt euch totlachen“ sagte sie mit sarkastischer Stimme, drehte sich um und eilte zu Joel.

„So´n Quatsch“, hörte sie eine Stimme.

„Überhaupt nicht“, konterte eine andere. „Eine Bekannte von mir verträgt ebenfalls kein Parfüm und nix was duftet“.

Carla begann sich für die Diskussion zu interessieren und setzte sich mit Joel auf eine nahe stehende Bank.

„Hab nebenher einen Film bei ARTE gesehen, den meine Alten sich reinzogen. Die haben gesagt, dass es fünfmal mehr Plastikmüll in den Ozeanen gibt wie Plankton.“

„Na und Alter, dass verschwindet auch wieder. Löst sich auf und so.“

„Haste‘ ne Scheibe? Nix mit auflösen oder Abbau. Es zerfällt nur in immer kleinere Teile bis Planktongröße. Dann wird das Zeug von Fischen gefressen. Guten Appetit Alter! Plastikbestandteile werden inzwischen schon im Menschenblut nachgewiesen“

„Was ist heute schon noch gesund“, sagte ein schwarzhaariges Mädchen.

„Nun übertreibt mal nicht. Wir haben die besten Lebensmittel seit Jahrhunderten.“

„Aber natürlich – mit der höchsten Chemiebelastung seit Jahrhunderten.“

„Na und, dafür gibt es genug Lebensmittel für alle zu bezahlbaren Preisen. Außerdem gibt es für alles Grenzwerte.“

„Mann, bist du bescheuert“, regte sich ein etwas älterer Jugendlicher auf, der gut ein Student sein konnte. „Was bedeuten schon Grenzwerte? Sie fragen nicht danach, ob du noch ein Kind bist, ob du weiblich oder männlich, ob du jung oder alt, ob du gesund oder krank bist und unter was für einer Krankheit du leidest. Und wenn es für viele tausend Chemikalien Grenzwerte gibt, wer sagt dir, dass diese in Kombinationen nicht erheblich giftiger und schädlicher sind? Und was ist mit denen, die schon vorbelastet sind oder deren Entgiftungsorgane nicht optimal arbeiten?“

„Genau“, pflichtete das schwarzhaarige Mädchen bei. „Die Grenzwerte sind doch nur Beruhigungspillen für die Bevölkerung, damit die Chemieindustrie mit ihrem Chemiedreck weiterhin unseren Alltag völlig durchdringen kann.“

„Ach so, die böse, böse Chemie. Und was verdanken wir ihr alles? Warum macht ihr alles so einseitig schlecht?“

„Man, darum geht es doch gar nicht“, meldete sich der Studententyp wieder zu Wort. „Es geht darum, dass einfach keine chemischen Produkte für die Verbraucher oder den Einsatz in der Wirtschaft oder im öffentlichen Raum zugelassen werden dürfen, bis zweifelsfrei sicher ist, dass sie nicht gesundheitsgefährdend sind. Auch dann nicht, wenn sie schon lange Zeit der Witterung ausgesetzt oder im Gebrauch sind. Warum leiden denn heute immer noch Menschen unter dem Einsatz von Holzschutzmitteln, zu wenig geprüften Medikamenten, Ausdünstungen von Teppichen, Farben, Spanplatten usw.?“

„Er hat Recht“, sagte ein Rotschopf, der sich bis dahin zurückgehalten hatte. „Es gibt immer mehr Allergien. Immer mehr Kinder haben ADHS. Und in den blöden Plastikflaschen stecken hormonartige Substanzen. Einer Neunjährigen wuchsen dadurch schon Brüste und sie bekam die Regel. Und selbst in Ländern, wo Bisphenol A, so heißen diese „Pseudohormone“, verboten werden sollen, gibt es relativ lange Übergangsfristen, bis das Zeug endgültig verschwindet.“

„Neunjährige mit Brüsten und Regel? Das sind doch nur Ausnahmen.“

„Du Rindvieh, soll das erst die REGEL werden? Wie lange willst du denn noch…“

Carla hätte gern noch länger zugehört. Obwohl es noch warm war an diesem Augustnachmittag fröstelte sie stark. Eine Folge ihrer Reaktion auf den Zigarettenrauch. Auch Joel sah müde aus. Sie bereute es aber nicht, den jugendlichen Gedankenaustausch verfolgt zu haben. Nie hätte sie gedacht, dass diese – noch vorher johlende Menge – plötzlich so ernsthaft und kritisch diskutierte.

Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

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Dem Weihnachtsmann stinkts gewaltig!

Draußen vom Walde komm‘ ich her,

ich muss euch sagen, es stinkt gar sehr

in euren Dörfern und Städten

nicht nur nach Zigaretten

Es riecht nicht nach Apfel und Zimt,

diese Gerüche, die kenn ich bestimmt.

Früher duftete Backapfel und Tanne

heute stinkt es nach Badewanne

nach Fichtennadel und Zimtaldehyd

bei mir macht das Kopfweh

und ich werd schon ganz müd.

Mich deucht, eure Nasen, die sind zwar nicht rot

doch offenbar innendrin ziemlich tot

sonst würdet ihr merken, dass man euch veräbbelt,

dass die Chemie euch das Hirn ganz vernebelt

Lasst euch kein X für ein U vormachen

Symrise und Givaudan, die liefern die Sachen

die kochen in ihrer Hexenküche

allerlei Aromen und auch Gerüche

von denen ihr denken sollt, sie seien echt

doch manch Einem wird davon sogar schlecht.

Soll ich euch Menschen weiter beehren,

dann müsst ihr euch gegen Gestank verwehren

Ich bin schon sehr alt, meine Nase ist rot

doch mein Geruchsinn, ist lang noch nicht tot

Ich rufe euch auf, sorgt für bessere Luft

Sonst bringt ihr euch alle noch selbst in die Gruft.

Überlegt es euch gut

sonst bleib ich da oben

und ihr könnt unten

im Gestank rumtoben.

Euer Weihnachtsmann

AKTIONSKARTE, zum Ausdrucken anklicken >>>

Der echte Weihnachtsmann trägt KEIN PARFÜM, denn er liebt alle Kinder. Auch die mit Asthma oder Allergien.