Archiv der Kategorie ‘Schwerbehinderung‘

Verflucht, ich akzeptiere nicht, dass mein Leben gelaufen ist!

Lasst mich doch leben!

Patrick ist 19, auf dem Kleiderschrank liegt seine American Football-Ausrüstung, in der Ecke seines Zimmers steht seine E-Gitarre und auf dem Regal liegen die genialen Texte, die er schrieb. Seine Songs haben Aussage, keine abgewandelten, banalen Coverversionen von irgendwelchen abgedroschenen Songs, die irgendwann in den Charts oben waren. Nix da, Patricks Musik geht zur Sache und lässt unmissverständlich durchblicken, dass der Songschreiber kein Weichei ist, sondern selbstbewusst und dass er etwas auf dem Kasten hat. Als Patrick die Songs und die Musik dazu niederschrieb, ging er aufs Gymnasium, was kein Problem darstellte, weil ihm die Lehrinhalte eher zufielen. Ein Klacks und schließlich gibt es auch noch ein Leben neben der Schule. Seine Kumpels waren genauso drauf. Das Leben ist da, um gelebt zu werden! War da um gelebt zu werden, denn die American Football-Ausrüstung, die Gitarre, die angefangenen CD-Aufnahmen und die Songbücher im Regal sind unübersehbar angestaubt.

Das war mal

Wenn Patrick in seinem Zimmer auf dem Bett liegt, kommt es ihm vor, als sei es vor Jahrzehnten gewesen, als er das letzte Mal mit den Kumpels aus seiner Band auf der Bühne stand. Manchmal hat er noch diese Flashes, er sieht die Gesichter der Mädels vor der Bühne, glühend, ehrfürchtig hochschauend und von ihrer verdammt guten Musik ergriffen. Wenn diese Flashes kommen, dreht Patrick sich um, er will sich nicht mehr an das, was war, an das Leben erinnern, ohne augenblicklich wieder so leben zu können. Am liebsten würde Patrick dann schreien, richtig laut schreien, damit alle es hören können:

„Mein Körper und meine Schmerzen halten mich gefangen, lassen nicht zu, das ich so leben kann wie die anderen. Ein kaputter Körper macht mich zum Krüppel. Er zwingt mich, immer wieder Dinge nicht zu tun, die ich gerne tun möchte. Aber ich will leben.“

Ursachen und Auswirkungen

Patrick ist durch Chemikalien erkrankt und sein Körper hat eine extreme Form von Chemikalien-Sensitivität (MCS) entwickelt. Manche Chemikalien sind dazu imstande, den Körper zu sensibilisieren. In der Medizin ist dies von einigen Chemikalien gut bekannt, Formaldehyd, Isocyanate und auch einige Pestizide sind dazu in der Lage. Was bei Patrick alles eine Rolle spielte, dass er jetzt so da hängt, weiß man nicht, aber man kann es erahnen. Sein Vater war Chemiker und hatte 30 Jahre mit Chemikalien Kontakt, die in der Lage sind, Gene zu schädigen. Was bei jahrelanger Arbeit aufsummiert und welchen Effekt die zahllosen, oft nicht gerade harmlosen Chemiecocktails hatten, denen Patricks Vater ausgesetzt war, das vermag niemand präzise zu definieren. Fakt ist, dass der Vater von Patrick wegen toxisch bedingter Gesundheitsschäden nicht mehr arbeiten kann und schwer krank ist. Dann ist da das Haus, in dem sie leben. Siebenmal hatten sie Hochwasser. Der Schimmel an den Wänden wurde großflächig mit Chlor abgewaschen. Eine hochgiftige Chemikalie. Von den Holzschutzmitteln im Haus ganz abgesehen, auch sie hatten mit Gewissheit Part am Zustand, in dem Patrick sich jetzt befindet.

Andere haben wenigstens gelebt

Das Durchschnittsalter bei Menschen, die chemikaliensensibel sind, liegt bei 35-45 Jahren gemäß Studien. Es gibt auch Erkrankte, die wesentlich älter sind und welche, die noch Kleinkind sind, aber die Mehrzahl der Erkrankten hatte ein Leben vor MCS. Bei Patrick ist es anders:

„Entschuldigt, ich will keinem weh tun, aber die anderen MCS-Kranken durften ihr Leben vorher leben (Jugend, Schule, Ausbildung, Reisen, Freunde, Partnerschaft etc.) und erleben, aber mir ist alles von Anfang an verwehrt. Die schönste Zeit des Lebens, meine Jugend ist mir nicht vergönnt, im Gegenteil, ich gehe durch die Hölle, aber das interessiert niemanden, weil man mir nicht glaubt.

Ciao Buddy

Nachdem Patrick völlig zusammenbrach, war das Mitgefühl der Kumpels und Mitschüler erst groß. Sie kamen ihn auch besuchen und versorgten ihn mit Infos aus der Schule. Das gab ihm die Möglichkeit, seine Schule eine Zeitlang weiterzumachen. Als das nicht mehr ging, versuchte er es über die Fernschule per Internet. War, denn auch das ist vorbei. Es kommt keiner mehr, es ruft auch keiner mehr an. Wenn Patrick ganz kurz keine dieser unerträglichen Schmerzen hat, dann realisiert er, dass er für die anderen, bis auf zwei, so eingestaubt ist wie seine Gitarre ist. Auch für seine damalige Freundin, mit der er ein Leben aufbauen wollte. Sie lebt ihr Leben ohne ihn, mit wem auch immer. Dieses Realisieren schmerzt auf einer anderen Ebene als die unerträglichen körperlichen Schmerzen und Patrick ist wütend deswegen:

„Ich lasse nicht zu, es kann und darf nicht sein, dass ich da draußen vergessen werde, nicht existiere. Es darf nicht sein, das mein Kampf umsonst ist.“

„All das, was ich erreicht habe, lasse ich mir nicht zerstören.“

„Ich habe mich damit abgefunden, dass ich wohl immer allein bleiben und leben werde. Für diese Art Erkrankung zeigt niemand Verständnis, im Gegenteil, man wird umgehend ausgegrenzt. Wie bitteschön soll ich da jemanden kennenlernen, die es wirklich ernst meint? Welches Mädchen, welche junge Frau ist bereit solch ein Opfer zu bringen und wie soll ich sie finden, wenn ich ein Leben in der Isolation leben muss? Vergiss es. Dies gilt auch für andere Freundschaften.“

„Obwohl ich immer wieder bei verschiedenen Personen, die mir früher hinsichtlich Freundschaft was bedeutet haben, nachhakte. Bis auf zwei Freunde ist keiner mehr übrig – ich habe immer alles gegeben und nun… einfach fallengelassen, da man ja nicht mithalten kann und all das andere denen zu nervig und zu kompliziert erscheint.“

Wenigstens mal raus gehen

Bei allem Unglück verloren Patrick und seine Eltern auch noch ihre treueste Weggefährtin. Patricks Mutter hat einen neuen Hund angeschafft, damit ihr Sohn etwas Leben im Haus hat und Trost durch das liebe Tier findet. Die Entscheidung war gut, denn der Hund liebt Patrick sehr und er ihn:

„So gerne würde ich mal für ein paar Stunden einfach nur in die Natur, mit unserem Hund zum Training oder einfach nur mit ihm richtig spielen, noch nicht einmal das ist mir vergönnt.“

Oder einfach in die Saiten hauen und den Frust raus lassen

Wenn Patrick früher einmal Frust hatte, dann war das nicht zu überhören. Er griff seine Gitarre und ließ bildlich gesehen die Fetzen fliegen und sang, dass die Wände bebten. Das kam nicht oft vor, aber wenn, dann wusste jeder im Haus nach zwei Minuten Bescheid. Musik ist eben Leben und sich ausdrücken, raus lassen was auf der Seele drückt. Aber selbst dass, den Frust, die Wut und die Enttäuschung raus lassen, ist für Patrick nicht möglich:

„Gitarre spielen und Singen bedeutet mir so viel, aber auch das lässt mein verfluchter Körper nicht zu. Die Muskelschwäche und Schmerzen bremsen mich immer wieder aus. Vom Sport ganz zu schweigen – Mein Traum vom American Football ist vorbei.“

MCS bedeutet im schwersten Stadium ein „Leben“ in völlige Isolation

Patrick gehört zu den MCS Kranken, denen ein Leben außerhalb der eigenen vier Wände nicht möglich ist. Nicht zu verwechseln, dass diese Menschen nicht unter anderen sein wollen, im Gegenteil der Wunsch und Drang mit anderen etwas zu unternehmen besteht jeden Tag rund um die Uhr. Es ist kein psychisches Problem oder Menschenscheu, der Körper geht auf die Barrikaden, wenn er Chemikalien ausgesetzt ist und das ist man, wenn man seine vier Wände verlässt, zwangsläufig. Autoabgase, Heizungsabgase, parfümierte Mitmenschen, Häuser, aus denen der Weichspülermief wabert. Alles Chemiecocktails, die einem schwer chemikaliensensiblen Menschen kaum eine Chance lassen, sich länger darin zu bewegen.

Extreme Schmerzen, Krampfanfälle, Atembeschwerden, Kollaps, Bewusstlosigkeit, dass kann ein kurzer Kontakt mit der Außenwelt zur Folge haben. Gleiches gilt für Besuch. Kommt jemand zu Besuch, kann die Freude darüber bei jemandem, der so schwer wie Patrick betroffen ist, schnell in ein Desaster münden. Das Deo nicht weggelassen oder Rückstände aus der chemischen Reinigung in der Jacke, Weichspüler, der nicht raus zu waschen war und Dinge die der Besuch selbst nicht wahrnahm. Völliger Schwachsinn? Mitnichten, wer sich die Mühe macht und die Inhaltsstoffe solcher „Alltagsprodukte“ anschaut, ist im Stande, den Umkehrschluss zu ziehen und erkennt, dass die Reaktionen eine nachvollziehbare Konsequenz darstellen bei einem Menschen, dessen Körper hypersensibilisiert ist. Aber wer macht sich diese Mühe? Nicht einmal die meisten Ärzte. Teils aus Unkenntnis, weil sie nie etwas von der Erkrankung gehört haben, teils aus Ignoranz und schlichtem Zeitmangel. Und wenn Ärzte sich nicht schlaumachen und die Krankheit aus Bequemlichkeit als Marotte deklarieren, wie sollen ganz normale Mitmenschen sie dann verstehen?

Patricks Meinung über MCS:

„MCS ist die schlimmste Krankheit, die es gibt, manchmal wünsche ich mir, ich wäre querschnittsgelähmt. Ich weiß das klingt hart, aber da wäre ich nicht so isoliert, alleingelassen, unglaubwürdig und hätte keine Schmerzen. Ich könnte trotz diesem Handikap fast überall hin, reisen, Konzerte besuchen, Freunde treffen, meine Ausbildung evtl. machen und, und, und.“

Die ganze Familie ruiniert

Patricks Eltern sind bereit, alles für ihren Sohn zu tun, damit er sein Leben zurückbekommt. Aber MCS ist zu komplex, dass man die Krankheit mit Schulmedizin und ein paar Naturheilmitteln, etc. bekämpfen kann. Es muss als Erstes ein cleanes Wohnumfeld her. Patrick, als auch sein Vater, bräuchten Wohnraum, der so weitgehend wie möglich chemie- und schimmelfrei ist. Aber wie realisiert man das? Das Haus, in dem sie ihre Wohnung haben, gehört den Großeltern, wegen der Erkrankung von Patricks Vater ist finanziell kein Sprung mehr zu machen.

Hilfe durch Behörden? Nein

Eigentlich wäre Patrick ein Fall für die Behörden, um Hilfe zu erhalten. Aber weil er keinen Schulabschluss hat, gibt es auch keine finanzielle Unterstützung, keine Grundsicherung; das ist für den jungen Mann entwürdigend. Seine Mutter sagt:

„Wir kriegen von nirgendwoher Hilfe, ganz im Gegenteil. Wir werden schikaniert von den Behörden und man stellt Forderungen an Patrick, die er nicht erfüllen kann. Jeder, der bis drei zählen kann, muss das einsehen. Aber niemand macht sich die Mühe, das Elend anzuschauen, stattdessen bekommt man Beschlüsse, die jeglicher Menschlichkeit entbehren. Ja, und quasi existiert Patrick nur auf dem Ausweis. Die Krankheit meiner beiden Männer hat uns ruiniert und die, die es wissen und ändern könnten, schauen einfach zu!“

„Viele fragen mich, wie kann das gehen, diese totale Isolation seit über 2 Jahren. Sie sagen zu mir: „da würde ich verrückt,…. also ich würde durchdrehen,…das stelle ich mir schlimm vor, und, und…“ Sie fragen auch: „Woher nimmt Patrick, woher nehmt ihr die Kraft?“

Die Antwort von Patricks Mutter: „Man kann so leben, Ihr seht es ja an Patrick und an uns. Irgendwie sind wir wohl Kämpfernaturen und was wollen wir tun außer tapfer und mutig zu sein und einen starken Willen zum überleben hochzuhalten? Der Kampf um die Gerechtigkeit macht einen zusätzlich stark.“ Das ist, was Patricks Mutter nach außen sagt, aber in ihrem Inneren denkt sie oft, wie lange spielt der Körper, sprich, der Herzmuskel da noch mit? Jeden Tag steht sie rund um die Uhr ihren „Mann“. Jeder Tag ist eigentlich ein Überlebenskampf. Für Patrick, als auch für seinen Vater.

Wunsch: Eine menschliche Entscheidung

Das, was Patrick und seine Eltern seit März 2009 zuteilwurde, ist erschütternd. Seine Eltern hatten mit ihm zusammen einen Antrag zur Feststellung seines Behinderungsgrades gestellt. Jetzt soll ein Gerichtsbeschluss dazu führen, dass der 19 -jährige Mann, der den ganzen Tag unter unerträglichen Schmerzen und Reaktionen leidet, in ein chemikaliengeschwängertes Krankenhaus soll. Man sei dort auf Notfälle eingerichtet.

  • Was, wenn er dort, wie vom Medizinischen her zu erwarten, völlig kollabiert? Wer trägt dann dafür die Verantwortung?
  • Wer zahlt den Aufenthalt in einer Umweltklinik im Ausland, weil es in Deutschland keine gibt?
  • Kann man ihn mit Reanimierung und dem normalen Notfallprocedere wieder auf die Beine stellen?
  • Was, wenn nicht?

In Deutschland gibt es bekanntermaßen keine einzige Klinik, die Umweltbedingungen vorweisen kann, die einem schwer Chemikaliensensiblen auch nur annähernd entgegenkämen.

Bisher statt Hilfe nur Kosten verursacht

Der Verwaltungsaufwand, der bislang betrieben wurde, um Patrick, einem 19-Jahrigen mit ungebrochenem Lebenswillen, jegliche Hilfe zu verweigern, hat jetzt schon Unsummen gekostet. Rechtmäßig besteht die Möglichkeit Schwerkranke, die das Haus nicht verlassen können, in den eigenen vier Wänden zu begutachten. Für Patrick wäre es ein Akt von Menschlichkeit, dies zuzulassen. Damit wäre das untragbare Risiko für den jungen Mann, der nichts weiter möchte als dass seine Behinderung festgestellt wird, genommen. Seine Behinderung und seine Erkrankung ist feststellbar und nirgendwo besser als in seinem eigenen Zuhause, wo jeder sich mit eigenen Augen überzeugen kann, was die Krankheit vom Erkrankten und seiner Familie abfordert.

Autoren: Silvia K. Müller und Kira, CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. Juli 2011

Anm.: Patricks Unterlagen liegen CSN vollständig vor.

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Integration mit MCS an der Schule möglich

„Es läuft alles rund“ (Ausspruch einer Mutter)

Im Juni 2010 berichtete Tohwanga über ihren erfolgreichen Versuch, für ihren an MCS und CFS-erkrankten Sohn eine Integration an der Grundschule zu ermöglichen. Nach fast einem Jahr kann sie sagen, es ist tatsächlich geglückt, und Tohwanga möchte anderen Eltern mit chemikaliensensiblen Kindern Mut machen, bei der Schule und den Eltern der Mitschüler um Unterstützung zur Integration ihres eigenen Kindes zu bitten.

Integration eines Schülers mit MCS und CFS

Tohwanga berichtet:

Im Mai 2010 hatte ich dazu einen Elternabend initiiert und um eine schadstoffarme 1. Klasse gebeten. Ich erhielt 100%tige Unterstützung von der Schulleitung und möchte an dieser Stelle nochmals meinen Dank dem Schulleiter aussprechen. Lehrer, Eltern, Klassenkameraden, ja sogar Großeltern haben sich zur Aufnahme meines Kindes entschlossen und wirken tatkräftig mit, die Klasse schadstoffarm, Weichspüler- und Parfümfrei zu gestalten.

Mein Sohn besucht nun seit August 2010 diese Schule mit großem Erfolg. Er hat Schulfreunde gefunden und kann am Unterrichtsgeschehen teilnehmen. Natürlich ist der neue Lebensabschnitt Schulpflicht für uns sehr, sehr anstrengend, trotz häufiger Fehlzeiten und Zuspätkommen, extremer Müdigkeit und eigentlich nur Leben für die Schule ist mein Sohn ein guter Schüler und das Lernen fällt ihm leicht. Schwierig und sehr Kräfte zehrend ist die tägliche Präsenz, das morgendliche Aufstehen, trotz schmerzender Glieder, trotz nächtlichem Asthmaanfall und/oder heftigste Nasenbluten und das Kräfteeinteilen für den ganzen Tag. Es muss ja noch Motivation für die Hausaufgaben und für die wenigen sozialen Kontakte am Nachmittag verbleiben. Mein kleiner Sohn meistert diese Aufgabe schon recht gut. Während ich, schon sehr beeinträchtigt durch meine Umwelterkrankungen, oft nicht weiß, woher ich noch die Kraft für den nächsten Schultag nehme.

So leben wir von Tag zu Tag, Wochenende zu Wochenende und von Ferien zu Ferien. Ganz besonders freuen wir uns auf die Sommerferien, denn die kurzen 2-Wochen-Ferien reichten nicht aus, um aus der tiefen Erschöpfung heraus zu kommen.

Es ist ein Geschenk, welches uns Eltern und Lehrer geben. Noch ein seltenes, aber ich bin mir sicher, dass auch andere Schulen in Zukunft eine Integration von MCS-erkrankten Kindern ermöglichen werden. Schadstoffarme Schulen sind für alle Kinder wichtig. Dies kann die Politik nicht mehr verdrängen.

Bei dem allgemeinen Elternabend im laufenden Schuljahr, im September 2010, habe ich etwas Redezeit bekommen, um mich für die einmalige Integration und Toleranz der Eltern und Angehörigen bedanken zu können.

Liebe Eltern,

ich möchte Ihnen auf diesem Wege meinen Dank aussprechen. Sie ermöglichen meinem Kind Integration und die Chance möglichst unbeschadet eine Schule aufsuchen zu können.

Für Ihr Verständnis, Ihr Entgegenkommen und Ihre gewonnene Besonnenheit im Umgang mit den gesundheitsschädigenden Duftstoffen, danke ich Ihnen sehr.

Zwei Fragen interessierten mich. Und so hatte ich einen kleinen Zettel vorbereitet, den ich verteilen durfte. Die Resonanz war positiv und postwendend haben sich alle 11 anwesenden Elternteile zum sofortigen Ausfüllen bereit erklärt. Insgesamt sind es 14 Kinder in der Klasse.

Wie war für Sie die Umstellung auf einen duftstofffreien Schulalltag?

Schwer: 2

  • mein Kind reagiert auf Polycarboxylate, wir können kein „Dalli med“ nehmen und mussten wieder auf „Weißer Riese“ zurückgreifen

Kein Problem, wir lebten schon duftstofffrei: 8

  • wir lebten schon weitestgehend duftstofffrei
  • wir lebten schon duftstoffarm
  • wir lebten schon ohne Weichspüler
  • kein Problem
  • wir lebten schon zum Teil duftstofffrei

Wollten wir schon immer und hatten jetzt Anlass dazu: 1

Wir machen da nicht mit: 0

Und als zweite Frage würde mich sehr interessieren, ob Sie einen intensiveren Geruchssinn zurück gewinnen konnten. Im Allgemeinen werden Gerüche nach einiger Zeit schwächer, weil die Rezeptoren, die sie aufgenommen haben, vorübergehend unempfindlich werden. Gerade Parfüms legen ganze Riechzellareale lahm.

Stellen Sie und Ihre Familie fest, dass Sie Umgebungsgerüche und auch Parfüms (wieder) besser wahrnehmen?

Ja: 2

Nein: 9

  • ich war schon vorher sehr sensibel
  • ich habe schon immer gut gerochen

99% der Eltern machen mit, wobei für 81% die Umstellung auf eine Weichspüler- und Parfümfreie Schulform kein Problem darstellte.

Der Wille und die Bereitschaft zum umweltbewussten Handeln sind da, die Menschen müssen nur das richtige Werkzeug in die Hand bekommen um Handeln zu können. Der Markt an duftstofffreien Produkten existiert und wird täglich größer. Die Werbung für den duftstofffreien Markt bringt Erfolg.

Mein Fazit kann ich mit dem wundervollen Ausspruch einer Mutter beschließen: „Es läuft alles rund“

Mit Aufklärung kommen wir weiter – Schweigen ist kontraproduktiv

Die Bevölkerung ist sensibilisiert, Dank der vielen Umweltkatastrophen, Nahrungs- mittelskandale, Impfschäden, etc. und dem schrecklichen Atomkraftunfall in Japan. Der Aufklärungsmonat Mai ist für uns ein ganz wichtiges Instrument. Macht alle mit. Die Erfolge sind da.

Autor:

Tohwanga für CSN – Chemical Sensitivity Network, MCS Aufklärungsmonat Mai 2011

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Kranke benötigen medizinische und soziale Hilfe statt Wunderheiler

Ein falscher Schachzug, Erkrankte zu psychiatrisieren oder Wunderheilern zuzuführen

Seit dreizehn Jahren unterstützenzahlreiche Politiker verschiedener amerikanischer Bundesstaaten die Aufklärung über die Umwelterkrankung MCS – Multiple Chemical Sensitivity. Durch Proklamationen weisen sie darauf hin, wie dringlich es ist, dass jeder Bürger sich der Existenz von Umweltproblemen bewusst wird und zur Kenntnis nimmt, dass ein erheblicher Anteil der Bevölkerung bereits unter Umwelterkrank- ungen leidet. In Deutschland hat sich die Prognose für Umwelterkrankte im gleichen Zeitraum im Grunde genommen nur verschlechtert.

MCS, eine Umwelterkrankung, die Aufmerksamkeit verlangt

Etwa 15% der Allgemeinbevölkerung reagiert mehr oder weniger stark auf Chemikalien, mit denen man im normalen Alltag ständig in Kontakt gerät. Die an MCS Erkrankten klagen u.a. über Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Konzentrations- verlust, Atembeschwerden oder Muskelschmerzen, wenn sie Autoabgasen, Kamin- oder Zigarettenrauch, Parfüm, dem Geruch von Weichspüler, Zeitungsaus- dünstungen, Neuwagen oder neuen Möbel ausgesetzt sind. Die Beschwerden der Erkrankten haben erhebliche Auswirkungen auf deren Privat- und Berufsleben. Viele verlieren durch die anhaltenden und häufig schlimmer werdenden Gesundheitsbeschwerden ihre Arbeit. Weil die Auswirkungen wegen der hohen Verbreitung von MCS bereits einen Einfluss auf viele Bereiche haben, setzen sich amerikanische Gouverneure kontinuierlich für Umwelterkrankte mit MCS ein.

USA – Gouverneure bieten Verständnis und Hilfe für MCS Kranke

Der Gouverneur von Colorado, John Hickenlooper, gehört zu den Ersten, die eine Proklamation für den MCS Aufklärungsmonat Mai 2011 mit ihrem Staatssiegel beurkunden. Die Proklamation für den Bundesstaat Colorado lautet wie folgt:

MCS PROKLAMATION

WEIL, Menschen aller Altersgruppen in Colorado und in der ganzen Welt Multiple Chemical Sensitivity (MCS) als Folge der globalen Umwelt- verschmutzung entwickelten; und

WEIL, MCS eine schmerzhafte chronische Erkrankung ist, die von Überempfindlichkeits- reaktionen auf die Umwelt geprägt ist und für die es keine Heilung gibt; und

WEIL, die Symptome bei MCS akute Reaktionen auf Chemikalien, Lebensmittel und Medikamente einschließen, als auch neurologische Symptomatik, Muskel- und Gelenkschmerzen, Konzentrations- und Atembeschwerden verursachen; und

WEIL, MCS durch die amerikanische Gesetzgebung für Behinderte dem Americans with Disabilities Act, der amerikanischen Behörde für Barrierefreiheit, der Social Security Administration, dem US Department für Haus- und Stadtplanung und der Umweltschutzbehörde EPA und zahlreichen weiteren staatlichen Behörden und Kommissionen anerkannt ist; und

WEIL, die Gesundheit der Allgemeinbevölkerung in Gefahr ist durch Chemikalienexpositionen, die zu diesen umweltbedingten Krankheiten führen können; und

WEIL, diese Krankheit durch Reduzierung oder Vermeidung von Chemikalien in Luft, Wasser und Nahrung, sowohl im Innen- als auch im Außenbereich, vermeidbar sind, und weitere wissenschaftliche Untersuchungen, einschließlich der Genetik durchgeführt werden sollten; und

WEIL, Menschen mit MCS Unterstützung durch die medizinischen Fachwelt brauchen und Verständnis durch die Familie, Freunde, Mitarbeiter und der Gesellschaft, während sie mit ihrer Krankheit und der Anpassung an neue Lebensweisen kämpfen;

DESWEGEN, verkünde ich, John Hickenlooper, Gouverneur des Bundesstaates Colorado, jetzt hiermit den Mai 2011 als

Multiple Chemical Sensitivity

(MCS) Awareness Month

Die Situation Umwelterkrankter in Deutschland

Während in den USA die Allgemeinbevölkerung seit fast eineinhalb Jahrzehnten durch Gouverneure, Politiker und Behörden um Verständnis und Hilfe für MCS Kranke gebeten wird, gibt es in Deutschland keinerlei ernstzunehmende Bestrebungen, diesen Umwelterkrankten zur Seite zu stehen. Im Gegenteil, die Bestrebungen, die Ursache von MCS der Psyche der Erkrankten zuzusprechen, nimmt zu. Politiker widmeten sich Umwelterkrankten immer nur im Wahlkampf, was erkennen lässt, dass wirtschaftliche Interessen des Industriestandortes Deutschland als vorrangig betrachtet werden. Die Rechte, die MCS-Erkrankten als Behinderte im Sinne von Integration und Barrierefreiheit zustehen, werden grundsätzlich völlig ignoriert, obwohl Deutschland die UN-Behindertenkonvention unterzeichnet hat.

Immer öfter zweifelhafte Angebote statt echter Hilfe

Die jahrzehntelange Forderung von MCS-Kranken nach einer Umweltklinik, die den Bedürfnissen der Erkrankten gerecht wird, blieb in Deutschland unerfüllt. Stattdessen scheinen sich zwei Strömungen zu bilden. Die Strömung von einigen niedergelassenen Umweltmedizinern ausgehend versucht, die MCS-Kranken Wunderheilern und dubiosen „Detox-Experimenten“ zuzuführen.

Die andere Strömung, die von universitären Umweltinstituten ausgeht, versucht ein „bio-psycho-soziales Behandlungskonzept“ zu installieren.

Beide neuen Strömungen stellen nicht mehr als eine Kapitulationserklärung für den Medizinstandort Deutschland dar und sollten von den Umwelterkrankten nicht hingenommen werden.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 3. April 2011

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Macht oder Ohnmacht des Gerichts?

Medizinische Begutachtung eines Jugendlichen mit MCS auf Biegen und Brechen

Der Gesundheitszustand von Patrick verschlechterte sich rasch. An eine Rückkehr in die Schule war nicht zu denken. Er nahm an einer Beschulung per Internet teil und erhoffte sich, wenigstens auf diesem Wege einen Abschluss zu schaffen. Das Angebot, seine Behinderung mit 30 GdB zu bewerten, erschien wie ein Hohn. Das sah auch der Anwalt so und erhob im Januar 2010 Klage beim Sozialgericht um einen Gesamt- GdB von mindestens 50 festzustellen. Die Gegenseite beharrte auf ihrer Einschätzung und beantragte im Februar 2010, die Klage abzuweisen.

Teil I: Behördenkrieg gegen einen Jugendlichen mit Chemikalien-Sensitivität

Teil II:

Im Mai 2010 reichte der Anwalt von Patrick einen Schriftsatz zur Begründung der Klage ein und beschreibt den Gesundheitszustand des jungen Mandanten:

„Beim Kläger liegt eine schnelle Ermüdung und Erschöpfung bei schon geringen körperlichen Tätigkeiten, chronische Kopf- und Rücken- schmerzen, völlige Konzentrationsunfähigkeit und fehlender Antrieb, schwere bis schwerste Schwächeanfälle beim Gehen und Stehen, Tremor, Kontrollverlust beider Beine mit häufigem Einknicken und dann auch Sturz, sowie Koordinationsverluste besonders bei der Feinmotorik vor, ferner Blockaden im BWS/LWS-Bereich mit starken Schmerzen, starke Gelenk- und Gliederschmerzen, Muskel- und Nervenschmerzen am ganzen Körper, fehlende Muskelkraft, heftiger Schwindel, Benommenheit, Gleichgewichts- störungen, Taubheitsgefühle im Nasen-Stirnbereich, Magenkrämpfe, Übelkeit bis hin zur Atemnot bei der geringsten Exposition mit Duftstoffen und Chemikalien, Überempfindlichkeit und sensorische Missempfind- ungen auf Geräusche, Licht, Temperatur, Anschwellen der Nasenschleim- häute bis zur völligen Verstopfung, Reizungen und ständige Entzündungen der Atemwege bis hin zur Atemnot, zunehmende Nahrungsmittel- unverträglichkeiten, starkes Unruhe- und Bewegungsgefühl, Stimmungs- schwankungen, Chlorakne an Gesicht und Oberkörper, verschobener und gestörter Schlaf-Wachrhythmus vor. Der Kläger kann seine Wohnung nicht ohne fremde Hilfe verlassen. Trotz Behandlung mit Morphin bestehen beim Kläger unerträgliche Schmerzen.

Die angefochtenen Bescheide stützen sich demgegenüber hauptsächlich auf ältere medizinische Unterlagen, die den Gesundheitszustand des Klägers nur ungenügend erfassen und jedenfalls die gegenwärtig vorliegenden dauernden Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers nicht zutreffend wiedergeben.

Es geht nicht an, wenn deshalb keine adäquate Berücksichtigung der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen erfolgt, weil, wie es in der gutachterlichen Stellungnahme vom 01.07.2009 (Blatt 12 der Beklagtenakte) heißt, die aufgeführte Symptomatologie ließe sich auf keine gesicherte klinische toxikologische Befunderhebung zurückzuführen und es würden nicht widerlegbare Hypothesen aufgestellt. Die Einstufung hinsichtlich des Grades der Behinderung muss sich an den tatsächlich vorliegenden Leistungseinschränkungen orientieren und ist keine Frage der ätiologischen Einordnung von Krankheitserscheinungen.

Ungeachtet dessen ist die Einstufung des Krankheitsbildes des Klägers und der daraus folgenden Gesundheitsbeeinträchtigung lediglich als psychovegetative Minderbelastbarkeit gleichfalls nicht adäquat.”

Mai 2010 Beschluss der Sozialgerichts X vom 17.05.2010

“…hat die 6. Kammer des Sozialgerichts X am 17.Mai 2010 durch die Richterin am Sozialgericht Dr. XY beschlossen:

  1. Es soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens über die als Anlage beigefügten Beweisfragen (§ 103, 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG).
  2. Zum Sachverständigen wird ernannt ( § 118 Abs. 1 SGG, §§ 404 ff. ZPO): Dr. med. R (Schlafmedizin, Neurologie, Psychiatrie – Psychotherapie, Psychotherapeutische Medizin, Verkehrsmedizinische Qualifikation, Suchtmed- izinische Grundversorgung, Botulinumtoxinbehandlung.
  3. Das Gutachten soll aufgrund der übersandten Akten und einer ambulanten Untersuchung erstattet werden. Zu den bereits vorliegenden ärztlichen Gutachten, Befundberichten und anderen medizinischen Äußerungen soll ausdrücklich Stellung genommen werden.”

Sind 300 km für einen Schwerkranken an einem Tag zu schaffen?

Tage und Nächte waren für Patrick gleichermaßen. Sie bestanden aus Schmerzen und Reaktionen. Einen Gang in den eigenen Garten schaffte er nicht. Eigentlich ging überhaupt nichts mehr. Zeitgleich mit dem richterlichen Beschluss erhielt Patrick eine schriftliche Mitteilung des Sozialgerichts X, das durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens Beweis erhoben werden solle. Er erhielt außerdem eine schriftliche Einladung zur gutachterlichen Untersuchung vom bestellten Gutachter Dr. med. R – 150km (eine Strecke) vom Wohnort entfernt. Wie sollte das zu schaffen sein? Wenn es ihm ganz schlecht ging, was oft vorkam, half ihm sein Vater oder seine Mutter zur Toilette. Nicht einmal das schaffte er dann er allein. Hilfsmittel wie Sauerstoff und eine Aktivkohlemaske hatte man abgelehnt. Wie sollte er eine derart weite Fahrt packen?

Ärztlicher Beistand rund um die Uhr, sieben Tage die Woche

Der Arzt vor Ort kannte Patricks Zustand genau. Er hat den jungen Mann mehrfach gesehen und stand insbesondere mit der Mutter in ständigem Kontakt. Telefonisch half er weiter, wenn Patrick eine schwere Reaktion hatte und gab Rat, was zu tun sei. Selbst an Wochenenden war er für den jungen Mann da. Im Juni 2010 schrieb er eine Ärztliche Stellungnahme, um den Gesundheitszustand von Patrick darzulegen:

“Herr R. möchte gerne eine Begutachtung durch den vom Gericht bestellten Sachverständigen wahrnehmen.

Er ist sich seiner Pflichten durchaus bewusst und möchte diesen auch in jedem Falle nachkommen.

Aufgrund seiner schweren Vergiftung und der ausgeprägten Chemikalien- überempfindlichkeit, vor allem durch Schimmel und der dadurch massiven Schmerzsymtomatik, leidet Herr R. unter sehr starken körperlichen Beeinträchtigungen und ist zudem auf medizinische Hilfsmittel angewiesen, die ihm derzeit jedoch nicht zur Verfügung stehen (MCS-Schutzmaske, O2 Gerät).

Ohne diese Hilfsmittel ist Herr R. kaum in der Lag,e seine Wohnung zu verlassen und ist nicht transportfähig.

Um dennoch eine Begutachtung zu ermöglichen, empfehle ich die ambulante Untersuchung notfalls durch den Sachverständigen bei Her R. zu Hause durchzuführen.”

Kein Wille, nur Willkür

Mit etwas Willen von Seiten der Behörde wäre eine Begutachtung von Patrick in seiner Wohnumgebung kein Problem. Der junge Mann lebt nahe einer Stadt, nicht weitab von medizinischer Infrastruktur. Eine Hausbegutachtung hätte den Doppeleffekt, dass sich der Gutachter ein Bild von der Situation hätte verschaffen können. Diese Auffassung vertrat auch der Anwalt von Patrick in einem Schreiben im Juni 2010 an das Sozialgericht und legte die Stellungnahme des behandelnden Arztes bei:

“…weisen wir daraufhin, dass der Kläger aufgrund seines Gesundheits- zustandes nicht in der Lage sein wird, den Sachverständigen in dessen Räumlichkeiten aufzusuchen. Eine Begutachtung durch den Sachver- ständigen muss daher beim Kläger zu Hause stattfinden.

Eine entsprechende ärztliche Stellungnahme vom …… fügen wir bei.”

Das Gericht war nicht gewillt, dem zu entsprechen. Ende Juni 2010 erhielt Patrick eine erneute Einladung zur gutachterlichen Untersuchung von Dr. med. R., in der stand:

“….wir haben vom Sozialgericht X den Auftrag erhalten, über Sie ein neurologisches Gutachten zu erstellen.

Den 1. Termin am … haben sie unentschuldigt nicht wahrgenommen. Wir bitten sie nun, sich zum o.g. Neuen Termin zur Untersuchung einzufinden. Bringen sie….”

Ein Verlassen des Hauses ist möglich?

Im Juli folgte ein Schriftwechsel zwischen Anwalt und Gutachter. Patricks Zustand war unterdessen noch schlechter geworden. Der Anwalt erhielt gegen Ende des Monats eine Verfügung des Sozialgerichts:

“Sehr geehrte Damen und Herren,

in dem oben genannten Rechtsstreit wird mitgeteilt, dass weder den ärztlichen Berichten und Stellungnahmen aus der Verwaltungsakte noch den im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen entnommen werden kann, dass eine Begutachtung allein in den Räumlichkeiten des Klägers möglich sein soll. Dem Kläger war es bislang möglich, verschiedene Kliniken, auch in anderen Städten aufzusuchen. Auch die von Dr. B. ausgeführten medizinischen Hilfsmittel lassen einen derartigen Schluss nicht zu. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger ein Verlassen des Hauses mit MCS-Schutzmaske, O2-Gerät nicht möglich ist.

An der Bestellung des Sachverständigen wird daher festgehalten. Auf die Regeln der Darlegungs- und Beweislast wird verwiesen.

Frist zur Stellungnahme: 30.08.2010.”

Nächstes Attest

Die vom Gericht angeführten Hilfsmittel besaß Patrick nicht. Auch das war bereits zuvor erörtert worden. Der Anwalt von Patrick legte im August 2010 ein weiteres ärztliches Attest und eine Stellungnahme vor.

Dr. med. N.:

“Der Patient R. ist aufgrund der genannten Diagnosen und die damit verbundenen körperlichen Reaktionen nicht transportfähig.

Diagnosen: schweres MCS, chron. Fatigue Syndrom, Toxische Wirkung sonstiger näher bezeichneter Substanzen, Polyneuropathien, Gleichgewi- chtsstörung”

Patricks Arzt an das Gericht:

“Es wird gesagt, dass dem Kläger bislang möglich war, verschiedene Kliniken auch in anderen Städten aufzusuchen: das war 2007, inzwischen hat sich der Zustand erheblich verschlechtert, das ist häufig bei schweren toxischen und immunologischen Schäden. Man sieht die extremen Schmerzen, er muss schon große Mengen Morphin nehmen, insgesamt 250 mg/Tag (leichter Geschädigte brauchen nur 60 mg/Tag).

Die Muskeln sind ebenfalls schwächer geworden, er kann nicht alleine aufstehen aus dem Bett, er kann keine Treppen mehr steigen, kann seine Körperpflege nicht mehr durchführen.

Zur Dokumentation der schweren körperlichen Veränderungen vor allem durch Stoffwechselstörungen: die Familie hat auf mein Anraten eine Reihe von Fotos aus den letzten Jahren zur Verfügung gestellt.

Es treten immer häufiger und schneller allergische Reaktionen auf bis zum Schock: Atemnot mit Erstickungsanfällen. Somit ist der Transportweg bis …… zu gefährlich und nicht zu verantworten. Zudem hatte er bisher auch noch keine MCS-Maske und kein O2-Gerät (das bisherige kann er nicht verwenden weil er auf Silikon, Weichmacher und Restmonomere am gebrauchten Gerät reagiert).

Er hat also 2007 zuletzt eine “andere Klinik” besucht.

Überdies habe ich die ärztliche Pflicht, mich zu Gutachtern zu äußern, die ich seit Jahrzehnten kenne, zu denen gehört

Dr. R.. Ich muss daher dem Patienten abraten, sich dort ein Gutachten über die Folgen vor allem durch Schimmel anzufordern.

Selbstverständlich sind Familie R. und ich mit allen neutralen und sachkundigen Gutachten einverstanden, das kann ja nur für alle die Erkenntnisse über den Krankheitsverlauf und die Vorbeugung bei Schimmelschäden verbessern.”

Jugendliche mit MCS

Abstellgleis statt Schule – ausranggiert?

Bei allem was bis zum August 2010 passierte, ist zu ergänzen, dass es in ganz Deutschland keine Umweltklinik gibt, die sich auf die Behandlung von Patienten wie Patrick spezialisiert hat. Selbst niedergelassene Umweltmediziner verfügen nicht über die Räumlichkeiten, die es einer Person mit schwerer MCS möglich macht, sich darin auch nur für wenige Minuten aufzuhalten, ohne Reaktionen zu erleiden. Die Forderung nach einer Begutachtung in einer normalen Praxis bedeutet Kontakt mit einer Flut von Chemikalien: Desinfektionsmittel, scharfe chemische Reinigungsmittel, Duftstoffe und Parfums von Mitpatienten und Praxispersonal, gereinigte Praxiskleidung, Ausdünstungen von Kopierer und Druckern, ausdünstende Praxismöbel aus Pressspan, etc.

Fragen, die Beantwortung verlangen:

  • Wer hilft einem Patienten wie Patrick, wenn er durch eine Begutachtung in ungeeigneten Räumlichkeiten weiteren Schaden erleidet?
  • Wer stabilisiert den Gesundheitszustand solcher Patienten und wie?
  • Was spricht gegen eine Begutachtung in häuslicher Umgebung, dort wo sich der Gutachter auch einen Überblick hinsichtlich des Umfeldes und möglicherweise sogar bezüglich der krankheitsauslösenden Schadstoffbelastung machen kann?

Fortsetzung folgt…

Autoren: SilviaK. Müller und Kira, CSN – Chemical Sensitivity Network, Februar 2011

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Behördenkrieg gegen einen Jugendlichen mit Chemikalien-Sensitivität

Umweltkranke werden zur Zielscheibe

Patrick ging aufs Gymnasium. Die Schule fiel ihm leicht. In seiner Freizeit machte er Musik und spielte American Football. Die Rock Band, die er und seine Freunde gegründet hatten, fing an Fuß zu fassen und bekam Auftritte. Patrick fühlte sich mittendrin im Leben, jeder neue Tag war genial. Er schrieb Texte, die ins Mark trafen. Nicht das übliche Schülerband- gedudel. Zudem war er glücklich verliebt und schmiedete Pläne für die Zukunft. Dann pas- sierte es, Patricks’s Gesundheit kippte ab. Migräne bis auf Anschlag, Schwäche, Erschöpfung, er war zu nichts mehr fähig. Die Tage bestanden nur noch aus Schmerzen.

Der Alltag wurde zum geballten Schmerz

Die Schule wurde zur Qual. Patrick kämpfte. Er wollte nicht aufgeben, die Schule nicht, das American Football nicht, die Band nicht und schon gar nicht seine große Liebe. Was wäre das Leben ohne Alles? Schrott! Seine Eltern standen hinter ihm, sie ließen nichts unversucht. Ein Arzt fand die Ursache: Toxische Schäden durch Chemikalien und Schimmelpilze. Patrick war durch Chemikalien und Schimmel so krank geworden, dass kein Alltag möglich war. Er begann auf Haargel seiner Mitschüler zu reagieren. Axe Deo, das viele in der Schule benutzten, ein Alptraum, der Schmerzen auslöste, die mit nichts zu beschreiben waren.

Irgendwo hingehen mit den Kumpels, Auftritte mit seiner Band? No way. Dann ging es rasch, Patrick konnte nicht mehr zur Schule. Konnte nicht mehr lernen. Ende des American Football. Ende der Band. Ender der großen Liebe. Die Tage bestanden aus Schmerzen und den eigenen vier Wänden. Das ist so geblieben, bis jetzt. Isolation, Einsamkeit, jeder Tag ein Überlebenskampf – Das sind seine ständigen Begleiter. Medizinische Hilfe? Fehlanzeige. In Deutschland existiert keine Umweltklinik.

Ein Rachefeldzug gegen einen jungen Menschen?

Die Eltern von Patrick sind besorgt. Nicht zu vergessen, dass auch der Vater von Patrick schwer toxisch geschädigt ist und um seine Rechte kämpft. Was soll werden? Ohne Schulabschluss, ohne finanzielle, ohne medizinische Versorgung? Kein Kindergeld, keine Grundversorgung – Nichts. Was ist wenn sie nicht mehr da sind? Jeden Tag sehen sie ihren Sohn mit Chemikalien-Sensitivität, Schmerzen, die eigentlich nicht auszuhalten sind. Trotzdem gibt er nicht auf, das macht sie stolz auf ihn und gibt ihnen selbst Kraft, für ihn zu kämpfen. Patricks’s Eltern wollen, dass die Erkrankung ihres Sohnes als Schwerbehinderung anerkannt wird, schließlich ist er auf Hilfe von Dritten angewiesen und zwar rund um die Uhr. Die Eltern von Patrick sollten die Bürokratie kennenlernen. Medizinischer Dienst der Krankenkasse und Versorgungsamt lassen seit zwei Jahren ihre Muskeln spielen und verwehren dem jungen Mann jegliches Entgegenkommen.

Ende des Schweigens

Patrick’s Mutter hat niedergeschrieben, was ihrem Jungen seit zwei Jahren widerfährt: Keine Hilfe, nichts als Schikanen. Sie hat beschlossen, dass sie nicht länger schweigt:

MCS und die Anerkennung als Schwerbehinderung – eine Odyssee ohne Gleichen

März 2009 Erstantrag auf Feststellung einer Behinderung beim Amt für soziale Angelegenheiten

Schwere immuntoxische Schäden, Stoffwechselstörung, chronisch starke Schmerzen (Rücken, Kopf) u.a. durch Nervenentzündungen, Muskelschwäche, schul-/arbeitsunfähig seit 2004

August 2009 Bescheid

Grad der Behinderung beträgt 20

“..Zur Klärung, welche Beeinträchtigungen bei Ihnen vorliegt, wurden ärztliche Unterlagen beigezogen (z. B. von behandelten Ärzten).

Die Auswertung dieser Unterlagen unter Einschaltung unseres ärztlichen Sachverständigen hat ergeben, dass bei Ihnen folgende Beeinträchtigung(en) vorliegt (vorliegen) – in Klammern steht der jeweilige Einzel-GdB-:

1. Psychovegetative Mindestbelastbarkeit

Von dieser (diesen) Beeinträchtigung(en) bin ich bei der Entscheidung ausgegangen.”

August 2009 Widerspruch

Begründung

Laut ihrer eigenen Aussage „sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Leben typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (§2 Abs.1 SGBIX vom 19/06/2001).

Ihr Bescheid stützt sich lediglich auf die Behauptung „…Psychovegetative Minderbelastbarkeit (20)“ – hier stellt sich mir die Frage, ob ihr wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn grundsätzlich „wertfrei“ zu beurteilen ist und ob sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind.

Obwohl sie genügend begründete Unterlagen seitens Dr. Binz und Dr. Lucas erhielten, haben sie diese meines Erachtens bewusst nicht zur Kenntnis genommen bzw. einfach ignoriert. Es ist hinreichend bekannt, dass Gutachter die Wirkung von Chemikalien, Schimmelpilzen, Schadstoffen udgl. mehr bei der Auslösung chronischer Krankheiten gerne leugnen.

Weitere dauerhafte schwer körperliche Beeinträchtigungen bleiben unberücksichtigt oder werden „psychiatrisiert“.

Weiteren Sachvortrag behalte ich mir vor, notfalls auf dem Klageweg.

Mit freundlichen Grüßen

September 2009

die Zweigstelle des Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung beabsichtigt eine ärztliche Begutachtung durch Dr. X als tätigen medizinischen Sachverständigen der Versorgungsverwaltung Rheinland- Pfalz durchführen zu lassen.

Dr. X lehnte die Begutachtung wegen Befangenheit ab, da Patrick schon Patient bei ihm war (wurde telefonisch seitens des Amtes eher hinten herum erfragt, ob das wirklich so stimmt, und dadurch erfuhren wir dann den Stand der Dinge, außerdem auch dass sie sich ärztliche Auskünfte wo anders auch eingeholt hatten)

November 2009

unsererseits um Mitteilung des aktuellen Sachstandes gebeten und folgende Unterlagen noch nachgereicht: Ärztliches Zeugnis von Dr. Binz, Ärzteinfo von Dr. Merz, Datenschutzerklärung und Erklärung zum Gutachterauftrag. Ende des Monats nochmals erinnert.

Dezember 2009

unsererseits Aufforderung zur Offenlegung (Datenschutz), kurz darauf kam die Stellungnahme und Mitteilung “…Wie bereits telefonisch besprochen, beabsichtige ich, die Akte nach Abschluss der Sachverhaltaufklärung mit den ärztlichen Unterlagen und ihren Aufführungen zu der Art und dem Ausmaß der Erkrankung der Abteilung “Ärztlicher Dienst” zur Prüfung Ihres Widerspruchsbegehrens vorzulegen.

Im Anschluss daran wird Ihnen ein rechtsmittelfähiger Bescheid erteilt…”

Dezember 2009 Widerspruchsbescheid

Grad der Behinderung beträgt 30

“ Ihrem Widerspruch gegen den Bescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten in …… wird insoweit stattgegeben, als es sich im Hinblick auf die nachstehende neue Entscheidung ergibt.

  1. In Abänderung der Entscheidung des Amtes für soziale Angelegenheiten in… wird der Grad der Behinderung (GdB) nach… mit insgesamt 30 bewertet.
  2. Im Übrigen wird Ihr Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
  3. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auf- wendungen im Vorverfahren sind auf Antrag zu 1/3 zu erstatten…

Gründe:

Nach Auswertung aller aktenkundigen ärztlichen Befundunterlagen im Benehmen mit einem/einer medizinischen Sachverständigen ist der Grad der Behinderung (GdB) mit nunmehr 30 zu bewerten.

Die bei Ihnen vorliegende und einen GdB von 30 begründende Beeinträchtigung nach dem § 69 SGB IX wird wie folgt neu bezeichnet bzw. Ergänzt -…

Psychisches Leiden, Chronic-Fatigue-Syndrom (30)

Soweit Ihr Widerspruch über die nunmehr getroffene Entscheidung hinausgeht und auf die Feststellung eines höheren GdB gerichtet ist, wird er als nicht begründet zurückgewiesen.

Bei Ihnen wurden keine Befunde erhoben, die es rechtfertigen würden, den Grad der Behinderung höher zu bewerten.

Die Bewertung richtet sich alleine nach den “Versorgungsmedizinischen Grundsätzen” (Anlage 1 zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)) bzw. den darin enthaltenen GdB-Werten, wie sie für bestimmte Veränderungen vorgeschlagen sind. Dem wurde auch in Ihrem Falle Rechnung getragen.

Die von Ihnen gewünschte Untersuchung war nicht erforderlich, weil der angefochtenen Entscheidung ausreichend ärztliche Befundberichte zugrunde lagen…”

FORTSETZUNG FOLGT

Autoren: Sivia K. Müller und Kira, CSN – Chemical Sensitivity Network, Februar 2011

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Kirsten verträgt kein Parfüm

Sie muss der Schule fernbleiben, denn sie wird von Parfüm krank.

Die 14-jährige Kirsten Hegge Hansen kann nicht zur Schule gehen, sie muss zu Hause alleine lernen. Sie wird von Parfüm krank.

„Das macht nicht so viel Spaß, denn wenn ich Hilfe brauche, hilft mir kein Lehrer und das Zusammensein mit anderen ist mir auch verwehrt.“

[Ihr Wohl ist] von den Konsumgewohnheiten anderer abhängig

Schon wenn andere parfümierte Produkte verwenden, wird sie krank, deshalb reicht es nicht, dass sie selbst solche Produkte vermeidet.

Sie ist darauf angewiesen, dass auch andere den Gebrauch von Parfüm und parfümierten Produkten einschränken.

Solche Produkte können zum Beispiel Weichspüler, Waschmittel, Shampoo, Deodorants, Haarspray, Seife und Feuchtigkeitscreme sein. Produkte, bei denen die meisten nicht daran denken, dass sie bei anderen Unbehagen verursachen können.

Das kann [in Norwegen] gesetzwidrig sein

Ihre Schule sagt, sie schaffen es nicht, die Schule ganz von Parfüm frei zu halten.

Das kann ein Verstoß gegen das Diskriminierungs- und Barrierefreiheitsgesetz sein.

Voriges Jahr wurde dazu ein neues Gesetz erlassen, nach welchem öffentliche Räume für alle zugänglich sein sollen, und der Gleichbehandlungs- und Diskrim- inierungs-Ombudsmann muss möglicherweise prüfen, ob der Fall in Vadsø eine gesetzwidrige Ungleichbehandlung ist.

„Es geht um Vorsorge. Denn worauf es uns ankommt ist, dass es nicht die Aufgabe dieser Schülerin und dieser Familie ist, Lösungen zu finden. Dafür sind die Schule und das Gemeinwesens verantwortlich“, sagt Sunnivy Ørstavik, Gleichstellungs- und Diskriminierungs-Ombudsfrau.

Das kann eine „Raucherangelegenheit“ werden

Der Norwegische Asthma- und Allergieverband NAAF setzt sich für einen parfümfreien Alltag ein. Dort erlebt man, dass immer mehr Menschen auf übertriebenen Parfümgebrauch mit Krankheit reagieren.

„Das ist so Besorgnis erregend, dass wir glauben, die Behörden müssen sich an die Aussicht gewöhnen, dass dies zu einem ähnlichen Thema wie der Nichtraucher- schutz wird. Deshalb werden wir Parfüm schlechterdings aus dem öffentlichen Raum entfernen müssen,“ sagt NAAF-Generalsekretär Geir Endregard.

Autoren: Trine Hamran und Fredrik Norum für NRK, 20.01.2010

Übersetzung: Bernhard Höpfner für CSN-Deutschland

Originalartikel: Kirsten (14) tåler ikke parfyme mit Video

Wir danken den Norwegischen Rundfunk und Bernhard, diesen Artikel übernehmen zu dürfen. – Die Grundlage dieser Gesetze, die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen, gilt seit März 2009 übrigens auch in Deutschland.

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Stadt schafft Barrierefreiheit

San Francisco bittet um Verständnis für Allergiker, Chemikaliensensible und Umweltkranke

San Francisco zählt zu der weltoffensten Städten und der US Bundesstaat Kalifornien ist dafür bekannt, sich mehr als jeder andere Bundesstaat in den USA für die Umwelt einzusetzen. Auch Menschen mit Allergien und Umwelterkrankungen können in der Stadt an der amerikanischen Westküste, selbst im öffentlichen Bereich, mehr Hilfe und Verständnis als anderswo erwarten. Die Vorgehensweise ist relativ einfach und wäre auch überall sonst leicht durchführbar. Durch entsprechende Anweisungen wird eine Atmosphäre in Innenräumen geschaffen, die es auch diesen Personen ermöglicht, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen und im behördlichen Bereich mit dazu beizutragen, Entscheidungen zu treffen.

Barrierefreiheit für Allergiker und Umweltkranke

Eine Mitte Dezember 2010 herausgegebene Leitlinie der Stadt San Francisco und der dazugehörigen Gemeinden legt fest, welche Reglements bei Sitzungen von Behörden, Komitees und öffentlichen Institutionen eingehalten werden müssen. Um Behinderten und Menschen mit Einschränkungen die Teilnahme an Veranstaltungen und Sitzungen zu ermöglichen, wurden ganz spezielle Anordnungen getroffen. Da Menschen mit Allergien und solche mit Umweltkrankheiten mit den Gegebenheiten in vielen Gebäuden gesundheitlich zu kämpfen haben, wurde auf diese beiden Personengruppen ganz besonders eingegangen. Entsprechende entgegenkom- mende Anweisungen für das Jahr 2011 stehen bereits auf der ersten Seite einer Agenda zu lesen.

Board of Supervisors, City and County of San Francisco:

„Um die Bemühungen der Stadt für Personen mit schweren Allergien, Umweltkrankheiten, Multiple Chemical Sensitivity oder verwandten Behinderungen zu unterstützen, sind die Teilnehmer in öffentlichen Versammlungen daran zu erinnern, dass andere Teilnehmer empfindlich auf Duftstoffe und verschiedene andere auf chemischer Basis duftenden Produkte reagieren können. Bitte helfen Sie der Stadt, es für diese Personen passend zu machen.“

Integration statt Isolation

Integration von Behinderten ist eine wichtige Aufgabe, der sich viele Länder gemäß einer vor fast zwei Jahren unterzeichneten UN-Behindertenkonvention verpflichtet haben. In einigen Bereichen gab es seitdem in vielen Unterzeichnerländern bereits sehr hilfreiche Verbesserungen. Solche relativ einfach zu realisierenden Maßnahmen wie in San Francisco, um auch Allergiker und Umweltkranke zu integrieren, werden jedoch in Deutschland, das ebenfalls ein Unterzeichnerland der UN-Behinderten- konvention ist, noch völlig vermisst.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 17. Dezember 2010

Literatur:

Board of Supervisors, City and County of San Francisco, Agenda, 14. Dezember 2010.

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Die Folgen sind bitter

Alltagschemikalien – Für Chemikaliensensible ein Dauerbrenner

FORTSETZUNGSGESCHICHTE

… „Was ist nun mit dem Zweiten Punkt?“, fragte Carla.

„Was? Was für einen, eh, Zweiten…“ stotterte irritiert Tim, der sich wunderte und freute, dass die Stimme seiner Frau fester klang.

„Na von „mobil“, der Zeitschrift von gestern, weißt du noch?“

„So wichtig war das auch nicht“, wehrte Tim ab, der seine Frau nicht noch mehr beunruhigen wollte.

„Nun komm schon!“

Tim holte die Zeitschrift, schlug sie auf und tippte auf den Artikel „Düfte als Dauerbrenner“.

Da musste Carlo zum Erstaunen von Tim lachen: „Ja, Düfte sind wirklich für uns Chemikaliensensible ein Dauerbrenner.

„Nur wenn der Firmeninhaber der Engels Kerzen GmbH sagte, dass Duftkerzen der Wachstumsmotor der Kerzenbranche sind, dann kannst du dir ausmalen, wie sehr die Belastung mit künstlichen, um nicht zu sagen chemischen Duftstoffen steigen wird. Weißt du noch, als wir unsere Schrankwand entsorgen mussten, weil der Duftkerzengeruch der Duftkerzen, die wir früher selbst verwendet haben, als du noch gesund warst, nicht mehr zu entfernen war? Wir waren ganz erstaunt darüber, wie viel Fächer nach Duftstoffen rochen. Das Zeug bekommst du ebenso wenig aus einer Wohnung raus wie den Zigarettengeruch aus einer Raucherwohnung. Auf keinen Fall jedenfalls mit dem Niveau, dass für MCS-Betroffene nötig ist.“

„Wie könnte ich das vergessen…“

„Engels sagte, dass sie jährlich neue Farben und Gerüche entwickeln. Ich fürchte, dann sind Düfte in Kerzen bald so selbstverständlich wie in Weichspüler, Wasch- mittel, Spülmittel und fast allen anderen Haushaltschemikalien.“

Wasser- und Luftverschmutzung

„Da brauchen wir uns wirklich zu wundern Tim, warum es in der Umgebung der Wohnhäuser so stinkt, warum selbst die Abwässer eher wie widerliche Duftkonzentrate, statt abwassertypisch riechen. Buchstäblich alles, was Menschen heute umgibt, ist in Duftstoffen eingehüllt. Das ist die reinste Geruchsstoff- verschmutzung. Natürliche frische Luft gibt es kaum noch. Auch die Flüsse stinken schon zeitweilig nach Duftstoffen und sogar Wälder werden von Duftstoffschwaden durchzogen. Das ist doch nicht normal.“

„Glaubst du, dass das die anderen Menschen überhaupt riechen, Carla?“

„Da habe ich teilweise meine Zweifel. So wie sich die Menschen an den hohen Salz- oder Zuckergehalt von Lebensmitteln, an künstliche Aromen und Geschmacks- verstärker gewöhnt haben, so haben sie sich an die Duftstoffe gewöhnt. Der Gewöhnungseffekt erfordert immer stärkere Geruchsstoffe. Man ist daher stolz darauf, Duftstoffe für Weichspüler entwickelt zu haben, die mehrere Waschmaschinen- waschgänge überstehen. Wenn dann die Duftrichtung gewechselt wird, weißt du, was dann für Mischungen entstehen?“

Denken Hersteller nicht an Allergiker?

„Carla, wir müssten einfach mal Herrn Engel und eigentlich alle Kerzenhersteller fragen, ob er auch an die Allergiker und MCS-Kranken denkt. Warum wird bei der Entwicklung von Duftstoffen nicht auch danach geforscht, dass sie keine große Reichweite haben? Eine Frau muss keine zwanzig Meter lange Duftfahne hinter sich her ziehen. Duftstoffe in Kerzen können nach dem Verbrennen der Kerze eine nur kurze Lebensdauer haben und müssen nicht noch wochenlang, Monate oder Jahre auf Gegenständen zu riechen sein. Das tun natürliche Duftstoffe auch nicht. Sie müssen auch nicht die Fähigkeit haben, während des Nichtbrennens der Kerze so intensiv, um nicht zu sagen aggressiv zu riechen und an Gegenständen so permanent zu haften.

Die Natur ist nicht so aufdringlich

Wenn sich die Duftstoffe der Pflanzen in der Natur auch so aggressiv verhalten würden, dann könnten wir keinen Spaziergang über eine blühende Wiese überstehen. Unsere Kleidung, Haut und Haare würden extrem nach Wiesenblütenduft riechen und der Geruch wäre nur durch mehrmaliges Waschen über einen längeren Zeitraum zu entfernen. Ständig würden massiv andere Gerüche auf uns einstürmen, so dass wir gar nicht mehr wüssten, was wie riecht. Wir könnten keine Fenster mehr öffnen, weil der Raum voll wäre von konzentriertem Duft, der durch einfaches Lüften nicht mehr zu entfernen wäre. Die Möbel würden jahrelang riechen…“.

Gerüche, Gerücht, Geh-Rüche

„Tim, früher habe ich einmal davon geträumt, dass das oft vorausgesagte Geruchskino bald Realität werden möge. Und jetzt? Jetzt sind Gerüche für uns zu „Geh-Rüche“ geworden, GEH-RÜCHE, vor denen man wegzugehen, zu fliehen hat, will man nicht noch kränker werden.“

„Da gibt es noch ein anderes, ähnliches Wort Carla: GERÜCHT, also eine unwahre oder zweifelhafte Behauptung, die in die Öffentlichkeit lanciert wurde. Wie ein Geruch durchdringt das Gerücht die Öffentlichkeit und bleibt am Bewusstsein der Menschen hartnäckig haften. Also ein GEH-RÜCHT, denn es geht zu den Menschen hin, um die Schadensbrut in den Gehirnen abzulegen. Geistige Schlupfwespen sozusagen. Selbst wenn das Gerücht widerlegt, also gereinigt wurde, hinterließ es oft fast unauslöschbare Spuren in den Hirnen der Menschen.“

Der Kreis schließt sich

„Wie Chemikalien und Duftstoffe in den Hirnen von MCS-Kranken auch“, stellte Carla eine Parallele her. „Womit sich der Kreis zwischen Gerüche und Gerücht wieder schließt. Moleküle von Duftstoffen, flüchtigen Substanzen, Schwermetalle und Gerüchen dringen über die defekte Bluthirnschranke von MCS-Kranken ein und lösen ein Chaos im Gehirn aus. Dabei reichen geringste Mengen aus, die dann zu massiven Symptomen führen.“

„Genau Carla. Diese wenigen Moleküle wirken bei MCS-Kranken wie ein materialisiertes Gerücht von einer augenblicklich großen körperlichen Gefahr, versetzen dadurch das Gehirn in eine Art Ausnahmezustand.“

Der Körper von Menschen mit MCS reagiert anders

„Und das, Tim, führt wieder dazu, dass diese MCS-Reaktionen so massiv und gewaltig sind, dass es für deren Auslösung unerheblich ist, ob die Schadstoffe in so großen Menge eingedrungen sind, dass sie einen erheblichen Schaden im klassischen Sinne einer Vergiftung direkt anrichten können oder nicht. Durch die defekte Bluthirnschranke und die mangelhafte Entgiftungsleistung der Entgiftungs- organe, wodurch die gespeicherte Schadstoffmenge grundsätzlich überdurch- schnittlich erhöht ist, ist das Gehirn und letztlich der Körper nicht in der Lage, so zu reagieren, wie es bei Menschen ohne MCS der Fall ist.“

„Also doch Psychopharmaka, die das Gehirn beruhigen?“, provozierte grinsend Tim.

Warnsignale beachten

„Blödmann. Eben nicht. Der Körper muss entgiftet werden, soweit das möglich ist. Ob sich die Bluthirnschranke wieder erholt? Schwer zu sagen. Jedenfalls bleibt ohne Entgiftung und das Leben in einem cleanen Umfeld der Körper in einem Zustand, wo er immer extrem auf geringste Chemikalien reagieren wird. Daran können Psychopharmaka gar nichts ändern. Und selbst wenn, was wäre denn die Folge?

Die Ansammlung der Schadstoffe geschieht mit einem noch größeren Tempo, weil der Körper durch fehlende Reaktionen keine Warnsignale mehr aussendet, und der totale Zusammenbruch kommt dann viel schneller als ohne Psychopharmaka. Sind schon MCS-Kranke generell vergleichsweise hoch selbstmordgefährdet, dann diejenigen, denen man Psychopharmaka gab, aus Erfahrung extrem. Es ist sicher nicht nur ein Gerücht, dass die meisten MCS-Kranken, die Suizid beginnen, Psychopharmaka einnahmen und dann dies taten, als diese Mittel abgesetzt wurden oder werden mussten.“

Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

FORTSETZUNGSGESCHICHTE:

Teil I: …und komme bitte nicht mit Parfüm

Teil II: MCS als Fiktion hinzustellen ist einfach, mit MCS zu leben ist schwer

Teil III: Die Problematik MCS ist der Regierung schon öfter unterbreitet worden

Teil IV: Umweltkrankheiten: Ich will mein altes Leben wieder

Umweltkrankheiten: Ein Leben auf der Flucht

MDR berichtet über MCS und Elektrosensibilität

Jede Woche treten chemikaliensensible Menschen mit CSN in Kontakt und hoffen auf Hilfe bei der Suche nach verträglichem Wohnraum. Den meisten dieser verzweifelten Personen ist es ganz gleich, wo sie hinziehen müssten, Hauptsache ein, zwei Zimmer ohne Schadstoffbelastung. Wohnraum für Menschen mit MCS (Multipler Chemikalien Sensitivität) wird von staatlicher Seite bislang nicht gefördert, obwohl Deutschland die UN Behindertenkonvention unterzeichnet hat und damit auch für die Behinderten Hilfe zusagen müsste. Der MDR berichtet in einem Beitrag über zwei Personen, die auf Chemikalien und Mobilfunkstrahlung reagieren. Es ist ein Leben auf der Flucht, denn die Areale, in denen keine Strahlung eintrifft, werden täglich weniger.

Wo sollen Chemikalien- und Elektrosensible hin?

Noch problematischer als für Chemikaliensensible ist die Wohnraumsuche für Menschen, die zusätzlich elektrosensibel, bzw. solche, die auf Mikrowellenstrahlung reagieren. Rocco ist einer von ihnen. Er stammt aus Italien und ist seit Jahren auf der Suche nach einem Ort, an dem er leben kann. Mit einem speziell umgebauten Wohnmobil fuhr er vor einigen Jahren bei CSN vor, seitdem besteht regelmäßiger Kontakt.

Aufgeben? NIE

Rocco leitet eine Organisation, die für die Rechte Chemikaliensensibler eintritt und eine Webseite betreibt. Nicht einfach, denn WLAN verträgt er nicht. 30m Internetkabel hat er immer dabei, um sein Laptop irgendwo an einen Internetzugang hängen zu können. Auf diese Weise hält er Kontakt zu seinen Leuten und anderen Aktivisten. Dafür kommt er heraus aus einem Funkloch und nimmt Schmerzen in Kauf. Bei letzten Mal, als er uns bei CSN aufsuchte, traf er klitschnass und ausgehungert ein. Er hatte sein Wohnmobil an einem sicheren Ort geparkt und war im strömenden Regen mit dem Mountainbike durch den Wald gefahren. Die Krankheit hat ihre Spuren bei Rocco hinterlassen, er ist im Vergleich zu vor ein paar Jahren extrem dünn geworden. Sein Gesundheitszustand ist als bedenklich anzusehen. Seine Aufrufe im CSN Forum und im Internet nach Hilfe wurden zwar oft gelesen, aber konkrete Hilfe kam eher selten zustande, weil Mitbetroffene kaum Energie übrig haben, um einen anderen Kranken zu pflegen. Einige Kontakte gibt es zwar, aber Rocco läuft stetig in Gefahr, dass sie nicht ausreichen, um ihn über Wasser zu halten.

„Andenken“ an den Arbeitsplatz in der Chemieindustrie

Seit letzten Februar lebt er in seinem Camper in Bozen auf einem Parkplatz, ohne jegliche Hilfe, ohne Sozialhilfe, ohne Wasser und Strom, ohne ärztliche Versorgung. Die finanziellen Reserven sind kurz davor, aufgebraucht zu sein. Es gibt Zeiten, da hat Rocco zuwenig Kraft, um sich Nahrung zu besorgen, dann hungert er zwangsläufig über Tage. Wenn ein winziger Funken Kraft zurückkommt, schleppt er sich in den Ort. Danach ist er wieder für Tage erschöpft und erträgt schwere Schmerzen, für die er keine Medikamente nehmen kann – doch wenigstens hat er dann wieder etwas Nahrung.

Ausgestoßen, verhöhnt, belächelt – Ist das fair?

  • Nach außen mag Rocco wie ein fancy Ökofreak wirken, doch welche Chance hat er?
  • Wer fühlt sich zuständig für Menschen wie Rocco, die wegen des Schweregrades ihrer Umwelterkrankung in keinem normalen Haus in einem Ort oder einer Stadt leben können?
  • Wo soll er hin? Wo gibt es überhaupt noch Funklöcher, wo er sich ohne Schmerzen aufhalten könnte?
  • Wer gibt Menschen wie Rocco wieder ein normales Leben zurück?
  • Ist es korrekt, dass eine Gesellschaft diejenigen verstößt und verhöhnt, die sie krank gemacht hat?

MCS und EMS im TV

Am Sonntag 7.11.2010 zeigt der MDR im Rahmen der Auslandssendung Windrose den Beitrag „Strahlenfreiheit“. Der Beitrag berichtet auch von Rocco, der zur Zeit in den Bergen Südtirols in einem Wohnwagen lebt, um Strahlung und Umweltgiften zu entkommen und von Marcello, der in den Hügeln der Emilia-Romagna einen kleinen Fleck gefunden hat, der noch strahlungsfrei ist.

Alles Weitere unter www.mdr.de/windrose und am 7.11 um 16.05 – 16.30 in der Windrose des MDR (LIVESTREAM und SATELLITE)

Wiederholung: Dienstag, 10:53 Uhr – Kurz darauf STREAMING unter www.mdr.de/windrose

Öffentlichkeitsarbeit trotz Kampf ums Überleben

Für Menschen wie Rocco ist ein Beitrag im Fernsehen sehr wichtig, denn wenn der Bericht gut recherchiert ist und sachlich dargestellt wird, was es bedeutet mit MCS und EMS leben zu müssen, trägt es zu weiterer Akzeptanz in der Allgemeinbevölkerung bei. Auf diese Akzeptanz sind Umweltkranke stark angewiesen, vor allem weil es keine staatliche Hilfe gibt und Umwelterkrankungen in der Regel verschwiegen werden.

Mit Rocco kann man via Facebook in Kontakt treten: Facebook – SOS Rocco

Autor:

Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 6. November 2010

Weitere CSN Artikel über Fernsehbeiträge zu MCS und Umweltkrankheiten:

Haben Schüler mit Chemikalien-Sensitivität an deutschen Schulen eine Chance?

Die möglichst breite Integration Behinderter ist Ziel aller Länder, die zu den Unterzeichnern der UN-Behindertenkonvention gehören. In Deutschland besitzt dieses völkerrechtlich verbindliche Dokument seit März 2009 Gültigkeit. Spätestens seitdem sollten Bestre- bungen laufen, dass behinderte Kinder eine Schulbildung erhalten, die möglichst keine Benachteiligung gegenüber Nichtbehinderten aufweist. Keine Behinderung soll und darf gemäß der UN-Konvention einer anderen Behinderung gegenüber bevorzugt oder bena- chteiligt werden. MCS – Multiple Chemical Sensitivity ist in Deutschland eine anerkannte körperlich bedingte Behinderung.

In den USA und Canada gibt es eine stetig wachsende Zahl von Schulen und Univers- itäten, die Chemikaliensensible integrieren und die ihre Gegebenheiten für diese Behindertengruppe anpassen. Eine Umstellung wurde meist freiwillig, oft schon vor Jahren vollzogen. Dort kommt man mit Duftstoffverboten und durch Verwendung duft- und chemiefreier Reinigungsmittel und Vermeidung von Chemikalien den Betroffenen entgegen. Dass es Integrationsprojekte an Universitäten oder spezielle Schulen für die Gruppe der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gibt, die unter MCS leiden, ist bislang nicht bekannt geworden.

Schüler mit MCS

CSN sind mehrere Fälle von Kindern und Jugendlichen bekannt, deren Zukunft durch ihre MCS (ICD-10 T78.4) am sogenannten seidenen Faden hängt, oder denen dadurch eine erfolgreiche Zukunft verwehrt scheint. Der Grund ist der, dass sie wegen ihrer Krankheit und Behinderung keine Schule besuchen können.

Ein weiterer, kleiner Prozentsatz chemikaliensensibler Schüler in Deutschland beißt sich von einem körperlichen Zusammenbruch bis zum Nächsten durch. Deren Eltern berichten, dass ihr Kind je nach Reaktionsschwere Stunden, Tage bis Monate in der Schule fehlt. Den Lernstoff versuchen sie Zuhause nachzuholen, was natürlich nur bedingt durchführbar ist. Oft gibt es Ärger mit der Schule oder Schulbehörde. Ob das „Durchhalten“ dieser Schüler bis zum Schulabschluss im Einzelnen möglich sein wird, hängt von der Rücksichtnahme der Schule, den Mitschülern und Faktoren ab, ob eine Schule weitgehend schadstofffrei ist oder nicht. Die Intelligenz völlig zu entfalten zu können, ist realistisch betrachtet, für keinen dieser Schüler möglich.

Thommy’s MCS Blogfrage der Woche:

  • Wie steht es um die schulische Integration von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die chemikaliensensibel sind?
  • Wird Kindern mit MCS in Deutschland eine Chance in Punkto Schulbildung eingeräumt?
  • Gibt es Leitlinien für den Umgang mit chemikaliensensiblen Schülern an einer normalen Schule oder die Integration von Kindern mit MCS?
  • Gibt es Schulen in Deutschland, die auf Kinder mit MCS eingehen?
  • Haben deutsche Behörden in irgendeiner Form Ansätze gezeigt, Schülern mit MCS eine Schulausbildung zu ermöglichen?
  • Wird für Schüler, die unter MCS leiden, z.B. kostenlose Beschulung per Internet bereitgestellt?
  • Was müsste sich an Schulen ändern, damit chemikaliensensible Schüler und Lehrer erfolgreich an normalen Schulen integriert werden können?