Behördenkrieg gegen einen Jugendlichen mit Chemikalien-Sensitivität

Umweltkranke werden zur Zielscheibe

Patrick ging aufs Gymnasium. Die Schule fiel ihm leicht. In seiner Freizeit machte er Musik und spielte American Football. Die Rock Band, die er und seine Freunde gegründet hatten, fing an Fuß zu fassen und bekam Auftritte. Patrick fühlte sich mittendrin im Leben, jeder neue Tag war genial. Er schrieb Texte, die ins Mark trafen. Nicht das übliche Schülerband- gedudel. Zudem war er glücklich verliebt und schmiedete Pläne für die Zukunft. Dann pas- sierte es, Patricks’s Gesundheit kippte ab. Migräne bis auf Anschlag, Schwäche, Erschöpfung, er war zu nichts mehr fähig. Die Tage bestanden nur noch aus Schmerzen.

Der Alltag wurde zum geballten Schmerz

Die Schule wurde zur Qual. Patrick kämpfte. Er wollte nicht aufgeben, die Schule nicht, das American Football nicht, die Band nicht und schon gar nicht seine große Liebe. Was wäre das Leben ohne Alles? Schrott! Seine Eltern standen hinter ihm, sie ließen nichts unversucht. Ein Arzt fand die Ursache: Toxische Schäden durch Chemikalien und Schimmelpilze. Patrick war durch Chemikalien und Schimmel so krank geworden, dass kein Alltag möglich war. Er begann auf Haargel seiner Mitschüler zu reagieren. Axe Deo, das viele in der Schule benutzten, ein Alptraum, der Schmerzen auslöste, die mit nichts zu beschreiben waren.

Irgendwo hingehen mit den Kumpels, Auftritte mit seiner Band? No way. Dann ging es rasch, Patrick konnte nicht mehr zur Schule. Konnte nicht mehr lernen. Ende des American Football. Ende der Band. Ender der großen Liebe. Die Tage bestanden aus Schmerzen und den eigenen vier Wänden. Das ist so geblieben, bis jetzt. Isolation, Einsamkeit, jeder Tag ein Überlebenskampf – Das sind seine ständigen Begleiter. Medizinische Hilfe? Fehlanzeige. In Deutschland existiert keine Umweltklinik.

Ein Rachefeldzug gegen einen jungen Menschen?

Die Eltern von Patrick sind besorgt. Nicht zu vergessen, dass auch der Vater von Patrick schwer toxisch geschädigt ist und um seine Rechte kämpft. Was soll werden? Ohne Schulabschluss, ohne finanzielle, ohne medizinische Versorgung? Kein Kindergeld, keine Grundversorgung – Nichts. Was ist wenn sie nicht mehr da sind? Jeden Tag sehen sie ihren Sohn mit Chemikalien-Sensitivität, Schmerzen, die eigentlich nicht auszuhalten sind. Trotzdem gibt er nicht auf, das macht sie stolz auf ihn und gibt ihnen selbst Kraft, für ihn zu kämpfen. Patricks’s Eltern wollen, dass die Erkrankung ihres Sohnes als Schwerbehinderung anerkannt wird, schließlich ist er auf Hilfe von Dritten angewiesen und zwar rund um die Uhr. Die Eltern von Patrick sollten die Bürokratie kennenlernen. Medizinischer Dienst der Krankenkasse und Versorgungsamt lassen seit zwei Jahren ihre Muskeln spielen und verwehren dem jungen Mann jegliches Entgegenkommen.

Ende des Schweigens

Patrick’s Mutter hat niedergeschrieben, was ihrem Jungen seit zwei Jahren widerfährt: Keine Hilfe, nichts als Schikanen. Sie hat beschlossen, dass sie nicht länger schweigt:

MCS und die Anerkennung als Schwerbehinderung – eine Odyssee ohne Gleichen

März 2009 Erstantrag auf Feststellung einer Behinderung beim Amt für soziale Angelegenheiten

Schwere immuntoxische Schäden, Stoffwechselstörung, chronisch starke Schmerzen (Rücken, Kopf) u.a. durch Nervenentzündungen, Muskelschwäche, schul-/arbeitsunfähig seit 2004

August 2009 Bescheid

Grad der Behinderung beträgt 20

“..Zur Klärung, welche Beeinträchtigungen bei Ihnen vorliegt, wurden ärztliche Unterlagen beigezogen (z. B. von behandelten Ärzten).

Die Auswertung dieser Unterlagen unter Einschaltung unseres ärztlichen Sachverständigen hat ergeben, dass bei Ihnen folgende Beeinträchtigung(en) vorliegt (vorliegen) – in Klammern steht der jeweilige Einzel-GdB-:

1. Psychovegetative Mindestbelastbarkeit

Von dieser (diesen) Beeinträchtigung(en) bin ich bei der Entscheidung ausgegangen.”

August 2009 Widerspruch

Begründung

Laut ihrer eigenen Aussage „sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Leben typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (§2 Abs.1 SGBIX vom 19/06/2001).

Ihr Bescheid stützt sich lediglich auf die Behauptung „…Psychovegetative Minderbelastbarkeit (20)“ – hier stellt sich mir die Frage, ob ihr wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn grundsätzlich „wertfrei“ zu beurteilen ist und ob sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind.

Obwohl sie genügend begründete Unterlagen seitens Dr. Binz und Dr. Lucas erhielten, haben sie diese meines Erachtens bewusst nicht zur Kenntnis genommen bzw. einfach ignoriert. Es ist hinreichend bekannt, dass Gutachter die Wirkung von Chemikalien, Schimmelpilzen, Schadstoffen udgl. mehr bei der Auslösung chronischer Krankheiten gerne leugnen.

Weitere dauerhafte schwer körperliche Beeinträchtigungen bleiben unberücksichtigt oder werden „psychiatrisiert“.

Weiteren Sachvortrag behalte ich mir vor, notfalls auf dem Klageweg.

Mit freundlichen Grüßen

September 2009

die Zweigstelle des Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung beabsichtigt eine ärztliche Begutachtung durch Dr. X als tätigen medizinischen Sachverständigen der Versorgungsverwaltung Rheinland- Pfalz durchführen zu lassen.

Dr. X lehnte die Begutachtung wegen Befangenheit ab, da Patrick schon Patient bei ihm war (wurde telefonisch seitens des Amtes eher hinten herum erfragt, ob das wirklich so stimmt, und dadurch erfuhren wir dann den Stand der Dinge, außerdem auch dass sie sich ärztliche Auskünfte wo anders auch eingeholt hatten)

November 2009

unsererseits um Mitteilung des aktuellen Sachstandes gebeten und folgende Unterlagen noch nachgereicht: Ärztliches Zeugnis von Dr. Binz, Ärzteinfo von Dr. Merz, Datenschutzerklärung und Erklärung zum Gutachterauftrag. Ende des Monats nochmals erinnert.

Dezember 2009

unsererseits Aufforderung zur Offenlegung (Datenschutz), kurz darauf kam die Stellungnahme und Mitteilung “…Wie bereits telefonisch besprochen, beabsichtige ich, die Akte nach Abschluss der Sachverhaltaufklärung mit den ärztlichen Unterlagen und ihren Aufführungen zu der Art und dem Ausmaß der Erkrankung der Abteilung “Ärztlicher Dienst” zur Prüfung Ihres Widerspruchsbegehrens vorzulegen.

Im Anschluss daran wird Ihnen ein rechtsmittelfähiger Bescheid erteilt…”

Dezember 2009 Widerspruchsbescheid

Grad der Behinderung beträgt 30

“ Ihrem Widerspruch gegen den Bescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten in …… wird insoweit stattgegeben, als es sich im Hinblick auf die nachstehende neue Entscheidung ergibt.

  1. In Abänderung der Entscheidung des Amtes für soziale Angelegenheiten in… wird der Grad der Behinderung (GdB) nach… mit insgesamt 30 bewertet.
  2. Im Übrigen wird Ihr Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
  3. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auf- wendungen im Vorverfahren sind auf Antrag zu 1/3 zu erstatten…

Gründe:

Nach Auswertung aller aktenkundigen ärztlichen Befundunterlagen im Benehmen mit einem/einer medizinischen Sachverständigen ist der Grad der Behinderung (GdB) mit nunmehr 30 zu bewerten.

Die bei Ihnen vorliegende und einen GdB von 30 begründende Beeinträchtigung nach dem § 69 SGB IX wird wie folgt neu bezeichnet bzw. Ergänzt -…

Psychisches Leiden, Chronic-Fatigue-Syndrom (30)

Soweit Ihr Widerspruch über die nunmehr getroffene Entscheidung hinausgeht und auf die Feststellung eines höheren GdB gerichtet ist, wird er als nicht begründet zurückgewiesen.

Bei Ihnen wurden keine Befunde erhoben, die es rechtfertigen würden, den Grad der Behinderung höher zu bewerten.

Die Bewertung richtet sich alleine nach den “Versorgungsmedizinischen Grundsätzen” (Anlage 1 zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)) bzw. den darin enthaltenen GdB-Werten, wie sie für bestimmte Veränderungen vorgeschlagen sind. Dem wurde auch in Ihrem Falle Rechnung getragen.

Die von Ihnen gewünschte Untersuchung war nicht erforderlich, weil der angefochtenen Entscheidung ausreichend ärztliche Befundberichte zugrunde lagen…”

FORTSETZUNG FOLGT

Autoren: Sivia K. Müller und Kira, CSN – Chemical Sensitivity Network, Februar 2011

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11 Kommentare zu “Behördenkrieg gegen einen Jugendlichen mit Chemikalien-Sensitivität”

  1. Tohwanga 21. Februar 2011 um 11:46

    hey das ist ja soooo bekannt.

    Fast deckungsgleich mit meinem Fall. Bei mir wurde für chemische Überempfindlichkeiten ein GdB von 10 definiert.

    Im Widerspruchsverfahren wurden dann plötzlich psychische Störungen gefunden und darauf ein GdB von 30 anerkannt.

    Mein Erhöhungsantrag wurde abgelehnt. Obwohl nun CFS, FMS, Vitiligo, und Polyneuropathie hinzugekommen sind, wurde betitelt das keine Verschlimmerung zu erkennen ist.

    Jetzt gehe ich in den Klageweg.

    Das ganze hat System und dient nur der Zermürbung. ABER wir lassen uns nicht unterkriegen!

    Kira kämpfe weiter für deine Männer, gebe nie deinen Mut auf!

  2. PappaJo 21. Februar 2011 um 13:40

    Jaja, so sieht das aus hier im korrupten Deutschland!-((

    Mir wurden zwar sofort 30% zugesprochen, aber für eine Rente reicht das ja nicht. Da ich noch allein bin und keine Kraft habe (und kein Geld) für den Rechtsweg – mehrere Absagen von Anwälten wegen Prozeßkostenhilfe – wird das noch dauern.

    Ein Grundsatzurteil wäre der Hit!

  3. Mia 22. Februar 2011 um 22:48

    Die Zustände sind einfach unerträglich! Dieser junge Mann und viele tausend andere Bürger dieses Landes werden im Stich gelassen, weil die Lobby der Industrie in unseren Parlamenten usw. so stark ist und so schwere Umwelterkrankungen verheimlichen will.
    Nur wer den Verursacher seiner Erkrankung kennt und es schafft, ihn aussergerichtlich unter Druck zu setzen, kann, so wie in meiner Nähe vor Jahren geschehen, Schadenersatz und Schmerzensgeld bekommen, allerdings unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Alle Beteiligten schweigen und lassen es zu, dass weitere Bürger geschädigt werden können. Inzwischen ist die verursachende Firma längst in eine GmbH umgewandelt worden und haftet nur noch mit einer geringen Summe für Gesundheitsschäden, die sie anrichten könnte. Gesundheitsamt, Kreisverwaltung und viele andere schauen eben lieber einfach weg.

    Mia

  4. Energiefox 23. Februar 2011 um 11:48

    Erst mal vielen Dank an das Autorenteam, besonders an Kira für den Mut so was zu veröffentlichen.

    Ich hatte im Forum geschrieben mein Neffe (geht zum Gymnasium) bekam Axe Deo zum Geburtstag. Den krankmachenden Dreck habe ich Ihm gegen Bares abgekauft, entsorgt und Ihn belehrt. So richtig ernst hat er meine Belehrung nicht genommen, nur das Geld denke ich hat Ihn überzeugt. Leider die Werbeindustrie ist mächtig und ich meine zum Teil so verkommen, dass es nur noch ums Verkaufen geht. Produktqualität, Unschädlichkeit des Produktes, sowie Langlebigkeit der Produkte scheinen Nebensache zu sein.

    Wo gerade heute diese Eigenschaften der Produkte mehr als nötige sind.

    „Ja was soll werden“ steht in dem Bericht.
    Ich weiß es auch nicht, nur es ist besonders für eine Demokratie eine himmelschreiende Ungerechtigkeit dieser unwürdige Zustand und ich hoffe , dass endlich auch durch diesen Bericht wachgerüttelt Hilfe kommt.

    Gruß Fox

  5. Milijam 25. Februar 2011 um 14:19

    Ja, Kira,

    die Fakten werden ignoriert und der Bürger diskriminiert. Das ist sehr undemokratisch.

    Deshalb ist es wichtig, dass man über solche Verstöße und Ungerechtigkeiten aufklärt, um unsere Demokratie zu verteidigen.

    Danke für die große Mühe und viel Erfolg bei der Durchsetzung eurer Rechte!

    Mirijam

  6. Kira 25. Februar 2011 um 15:50

    @Tohwanga,
    ich/wir werden weiterkämpfen – denn wer nicht kämpft hat schon verloren.
    Wünsche dir ebenfalls Stärke und Durchhaltevermögen!

    @PappaJo,
    Zitat“Ein Grundsatzurteil wäre der Hit!“ – was nicht ist kann noch werden :0)
    Und gib selbst nicht auf, dich zu wehren!
    Danke auch für deinen Kommentar im 2.Teil.

    @Mia,
    ebenfalls danke, aber warum nennst du das Kind nicht beim Namen?

    @Fox und Mirijam,
    auch euch danke ich für euren Kommentar.

  7. Max 27. Februar 2011 um 23:08

    Leider gibt es noch zu wenige, die von MCS betroffen sind. Oder lassen leichtere Auswirkungen wie Kopfschmerz, Müdigkeit, Depression, Antriebsschwäche, Jucken etc. mit allerlei Pillen in den Griff kriegen. Schon ist man im System und rührt sich nicht, denkt nicht nach, wiegelt ab.

    Neulich sagte ein Arzt zu mir, MCS-Kranke sind Kollateralschäden der Industrialisierung…

  8. Carin 4. August 2011 um 17:46

    Alle, die eine Anerkennung von GdB oder ähnlichem anstreben ist zu raten, sich die sogenannten „AHP“ neueste Ausgabe von 2004 zu suchen und herunter zu laden. Bei den AHP’s handelt es sich um die Anhaltspunkte (Prozente) nach denen die gesundheitliche Schädigung zu bemessen ist.
    Wir schlagen uns wegen der Anerkennung gewisser Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz seit nunmehr 14 Jahren mit der Verwaltung herum. – Bei uns hofft man, dass bei meinem Mann vor einer Anerkennung die biologische Lösung eintritt.

  9. Kira 6. August 2011 um 11:52

    @Carin,
    danke für den Hinweis:0)

    @ALL,
    und der Kampfum die Gerechtigkeit geht weiter
    http://www.csn-deutschland.de/blog/2011/07/09/verflucht-ich-akzeptiere-nicht-dass-mein-leben-gelaufen-ist/

  10. Kira 4. Februar 2012 um 11:25

    @All,
    der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter:
    http://www.csn-deutschland.de/blog/2012/02/01/trier-sehen-und-sterben/
    zeigt eure Solidarität!!!

    Gruß Kira

  11. Pharmazie Geschädigte 18. Januar 2015 um 00:30

    Hallo MCS Betroffene,
    werden diese Kommentare noch vervollständigt?

    Meine beruflich exponierte Allergie wurde 30 Jahre nach dem Erstkontakt in der Ausbildung nachgewiesen. Seit 20 Jahren bin ich OEG Anerkannte, seit 15 Jahren wurde GdB50 anerkannt.
    Bei SHT Folgen sind 100 GdB anzuerkennen, nach Kopfsturz durch nicht angeleinten Hund beim Radfahren! Eine Entschädigung und Rente habe ich bisher nicht erhalten. Kontrovers haben die Ärzte meine Beschwerden ignoriert und in Kliniken eine Arbeitsfähigkeit geschrieben. Die Spezialklinik Neukirchen beim Hl. Blut ist eine Umweltklinik, die nach den Ursachen sucht und eine strenge Rotationsdiät verordnet, dazu Infusionen u.w.
    Die Behörden haben jahrelang mit Korruption schikaniert, sogar im Ausland und in den USA mit legitimer Immigration interveniert. Meine Versicherungsbeiträge sind an Bedürftige gezahlt worden, sodass ich mit Nahrungsmittelallergien hungern musste bis Dauerschäden nachgewiesen worden sind. Jetzt wurde ich in der Reha zum Fleischessen gezwungen, an Silvester 2014/2015 wurde ein blutiges Steak serviert! …wird fortgesetzt…

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