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Fukushima: Japanischer Professor belegt Inkompetenz der Regierung

“Ich bebe vor Wut!” – Prof. Kodama zur Kontamination nach Fukushima

Im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Japanisches Unterhaus, 27. Juli 2011, morgens/Transkript.

Der Nächste bitte, Zeuge Kodama:

Mein Name ist Kodama, ich bin der Chef des Radioisotopen-Zentrums der Universität von Tokyo. Am 15. März war ich sehr bestürzt. Wir von der Universität Tokyo haben 27 Radioisotopen-Zentren und sind verantwortlich für Strahlenschutz und Dekontamination. Ich selbst bin Mediziner und war über einige Jahrzehnte hinweg an Dekontaminationsarbeiten bei Einrichtungen der Universitätskliniken in Tokyo beteiligt.

Gegen 9:00 morgens am 15. März maßen wir eine Strahlung von 5 microsievert/h in Tokai-mura in der Präfektur Ibaraki und unterrichteten das Ministerium für Erziehung und Wissenschaft gemäß des Artikel 10 der Maßnahmen bezüglich Nuklear- notfallmaßnahmen. [japanisches Gesetz zum Strahlenschutz] Später wurden Strahlungen in Tokyo gemessen, die 0,5 microsievert/h überschritten. Dieser Stand ging bald zurück. Und dann, am 21. März regnete es in Tokyo, und mit dem Regen kam eine Strahlenbelastung von 0,2 microsievert/h. Meiner Meinung nach ist dies der Grund für die bis heute erhöhte Strahlenbelastung.

Zu dieser Zeit sagte Generalstaatssekretär Edano: „Es gibt keine direkten Auswirkungen auf die Gesundheit.“ Ich dachte eigentlich, das werde ein großes, großes Problem werden. Warum war ich so besorgt? Weil das gegenwärtige Strahlenschutzgesetz darauf basiert, kleine Mengen radioaktiven Materials zu behandeln, die sehr hohe Strahlendosen emittieren. In diesem Fall ist die Gesamtmenge des radioaktiven Materials von geringer Bedeutung. Wichtig ist die Höhe der Strahlendosis. Im Fall des Nuklearunfalles im AKW Fukushima I jedoch haben wir 5microsievert/h innerhalb eines 100km-Radius [er bezieht sich auf Tokai-mura], 0,5 microsievert/h innerhalb eines 200km-Radius [bezüglich der Tokyo-Gegend] und Strahlung weit darüber hinaus, sogar in Tee aus Ashigara und Shizuoka [über 300km], wie jetzt jedermann weiß.

Wenn wir Strahlungsverletzung und -Krankheit untersuchen, achten wir auf die Gesamtmenge des radioaktiven Materials. Aber es gibt keinen definitiven Bericht von TEPCO oder der japanischen Regierung über die genaue Menge des radioaktiven Materials, das in Fukushima freigesetzt wurde. Also haben wir auf Grundlage unserer Wissensdatenbank am Radioisotopen-Zentrum unsere Berechnungen angestellt. Bezüglich des thermischen Ausstoßes ist er 29,6-mal höher als die Menge, die beim Atombombenabwurf in Hiroshima freigesetzt wurde. Das Uran-Äquivalent beträgt 20 Hiroshima-Bomben. Beängstigender ist, dass die Strahlung von einer Atombombe innerhalb eines Jahres auf ein Tausendstel abnimmt, während die Strahlung von einem Kernkraftwerk nur auf ein Zehntel abnimmt. In anderen Worten: wir sollten von Anfang an erkennen, dass – genau wie Tschernobyl – das Atomkraftwerk Fukushima I radioaktives Material freigesetzt hat, das der Menge von 10 Atombomben entspricht und dass die resultierende Kontamination viel schlimmer ist als die Kontamination von einer Atombombe.

Von Standpunkt eines Systembiologen muss man, wenn die Gesamtmenge klein ist, nur die jeweilige Menge für jede einzelne Person berücksichtigen. Wenn jedoch große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt werden, bestehen sie aus Partikeln. Die Verbreitung von Partikeln ist nicht-linear, und ihre Berechnung ist eine der schwierigsten Aufgaben der Fluiddynamik [Teilgebiet der Strömungslehre]. Kernbrennstoff ist wie in Kunstharz eingeschlossener Sand, aber wenn die Brennstäbe schmelzen, wird eine große Menge kleinster Partikel freigesetzt.

Was passiert dann? Probleme wie das kontaminierte Reisstroh passieren.

Zum Beispiel wurde in Fujiwara-cho in der Präfektur Iwate Reisstroh mit 57.000 Bq/kg gefunden. In Osaki in der Präfektur Miyagi 17.000 Bq/kg, in Minami-Soma City in der Präfektur Fukushima 106.000 Bq/kg und in Shirakawa City in der Präfektur Fukushima 97.000 Bq/kg und in Iwate 64.000 Bq/kg. Das Kontaminationsmuster folgt keinen konzentrischen Kreisen. Es hängt vom Wetter ab. Die Kontamination hängt auch davon ab, wo die Partikel landen – zum Beispiel auf Material, das Wasser absorbiert.

Wir vom Radioisotopen-Zentrum haben der Stadt Minami Soma City bei Dekontaminations-Maßnahmen geholfen. Bisher haben wir sieben Dekontaminationen durchgeführt. Als wir das erste mal nach Minami Soma kamen, gab es nur einen Geigerzähler. Am 19. März, als das Ministerium für Agrikultur, Waldwirtschaft und Fischerei vermutlich die Anweisungen [bezüglich der Viehfütterung] ausgab, gingen in der Stadt gerade Lebensmittel, Wasser und Benzin zur Neige. Der Bürgermeister von Minami Soma veröffentlichte ein Hilfsgesuch im Internet, das weltweit gesehen wurde.

In solch einer Situation hätte niemand auf ein Papier des Ministeriums geachtet, niemand hätte etwas gewusst. Die Bauern wussten nicht, dass Reisstroh im Begriff war, kontaminiert zu werden. Trotzdem kauften sie Futter von außerhalb, gaben hunderttausende Yen aus, fütterten ihr Vieh damit und gaben ihm Trinkwasser. Was sollten wir also jetzt tun? Wir müssen garantieren, dass in dem kontaminierten Gebiet vollständige Strahlenmessungen durchgeführt werden.

Wie ich bereits erwähnte, gab es einen Geigerzähler in Minami Soma City, als wir im Mai dorthin kamen. Tatsächlich gab es 20 Strahlenmessgeräte, die von den US-Truppen zur Verfügung gestellt worden waren. Aber niemand im örtlichen Bildungsausschuss konnte die englische Bedienungsanleitung verstehen, bis wir kamen und ihnen erklärten, wie die Geräte zu bedienen sind. So war das dort.

Zur Lebensmittelkontrolle: es gibt fortschrittlichere Geräte als Germanium-Detektoren, bildgebende Halbleiter-Detektoren. Warum gibt die japanische Regierung kein Geld aus, um sie zu benutzen? Nach 3 Monaten hat die Regierung nichts dergleichen getan, und ich bebe vor Wut. Zweitens: Seit Herr Obuchi Premierminister war [1998], bin ich zuständig für Therapeutische Antikörper im Auftrag des Kanzleramtes. Wir benützen Radioisotope in Antikörper-Therapien, um Krebs zu behandeln.

Mit anderen Worten: meine Arbeit besteht darin, Radioisotope in menschliche Körper zu injizieren. Deshalb habe ich höchstes Interesse an der internen Strahlenbelastung und das ist es, was ich intensiv untersucht habe. Also möchte ich den Mechanismus erklären, wie es zu interner Strahlenbelastung kommt.

Das größte Problem bei interner Strahlung ist Krebs. Wie entsteht Krebs? Weil Strahlung DNA-Stränge zerschneidet. Wie Sie wissen, hat die DNA die Form einer Doppelhelix. In dieser Spiralform ist sie äußerst stabil. Wenn sich jedoch eine Zelle teilt, wird die Doppelhelix zu Einzelsträngen, doppelt sich und wird zu 4 Strängen. Das ist das höchst gefährdete Stadium. Deshalb sind Föten und kleine Kinder, deren Zellen sich rasch teilen, am empfänglichsten für Strahlengefährdung. Selbst bei Erwachsenen gibt es Zellen, die sich rasch teilen wie Haar, Blutzellen und Darmepithel [Bestandteil der Darmschleimhaut], die von Strahlung beschädigt werden können.

Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel dafür geben, was wir über interne Strahlungsbelastung wissen. Eine genetische Mutation verursacht keinen Krebs. Nach der anfänglichen Bestrahlung braucht es einen zweiten Auslöser, damit eine Zelle zu einer Krebszelle mutiert, der „driver mutation“ oder „passenger mutation“ genannt wird. [keine deutsche Bezeichnung verfügbar] Für Details sehen Sie sich bitte das beigefügte Dokument über die Fälle in Tschernobyl und Cäsium an.

Anmerkung CSN: driver mutations (Haupt oder Zellwuchs-Mutationen) sind jene, die den Krebs produzieren, während passenger mutations (Neben oder Gastmutationen) keinen Krebs machen. Vgl. Cancerfocus

Alpha-Strahlung ist sehr berühmt[berüchtigt]. Ich bin erschrocken, als ich von einem Professor der Tokyo Universität erfuhr, der sagte, es sei sicher, Plutonium zu trinken. Alpha-Strahlung ist die gefährlichste Strahlung. Sie verursacht Thorotrast-Leberschäden [später erklärt], wie wir Leberspezialisten sehr genau wissen. Bei interner Strahlung wird häufig auf so und so viele Millisievert verwiesen, aber das ist absolut bedeutungslos. Jod-131 geht in die Schilddrüse, Thorotrast geht in die Leber und Cäsium geht ins Urothel [Gewebe der Harnwege] und in die Harnblase. Ein Ganzkörperscan ist völlig bedeutungslos, ohne sich diese Stellen im Körper anzuschauen, wo Strahlung akkumuliert.

Thorotrast war ein Kontrastmittel, das in Deutschland seit 1890, in Japan seit 1930 benützt wurde, aber man fand heraus, dass 25 bis 30% Prozent der Menschen 20 bis 30 Jahre später Leberkrebs bekamen.

Warum dauert es so lange, bevor sich Krebs entwickelt?

Thorotrast ist ein alpha-strahlendes Nuklid. Alphastrahlung verletzt nahegelegene Zellen, und die DNA, die am meisten betroffen ist, ist ein Gen namens „P53“. Mittlerweile kennen wir Dank der Gentechnik die gesamte Sequenz der menschlichen DNA. Allerdings gibt es 3 Millionen Positionen auf der DNA, die von Person zu Person unterschiedlich sind. Daher macht es heute überhaupt keinen Sinn, so zu handeln als ob alle Menschen gleich wären. Das Grundprinzip sollte die „personalisierte Medizin“ sein, wenn wir interne Strahlung untersuchen,- welche DNA ist beschädigt und welche Art Wandel findet statt. Im Fall von Thorotrast ist es erwiesen, dass im ersten Stadium P53 geschädigt wird und es dann 20 bis 30 Jahre dauert, bis die Zweit- und Drittmutationen auftreten, die Leberkrebs und Leukämie verursachen.

Über Jod-131.

Wie Sie wissen, akkumuliert Jod in der Schilddrüse, und das ist besonders während der Entwicklungsphase der Schilddrüse festzustellen, d.h. bei kleinen Kindern. Aber dennoch: als die ersten Forscher in der Ukraine 1991 sagten: „Es gibt eine ansteigende Zahl von Schilddrüsenkrebs-Fällen“, veröffentlichten Forscher in Japan und den USA Artikel in „Nature“, die besagten: „Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Strahlung und Schilddrüsenkrebs.“

Warum sagten sie das? Weil es keine Daten gab für die Zeit vor 1986, gab es keine statistische Signifikanz. Die statistische Signifikanz wurde schließlich 20 Jahre später festgestellt.

Warum? Weil der Kurvenausschlag, der 1986 begann, wieder verschwand. Selbst ohne Daten von vor 1986 gab es also den kausalen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Schilddrüsenkrebs-Fälle und der Strahlenbelastung aus Tschernobyl.

Epidemiologische Beweisführung ist sehr schwierig. Es ist unmöglich, Beweise zu liefern, bevor alle Fälle abgeschlossen sind. Daher wird aus dem Blickwinkel des „beschützt unsere Kinder“ eine völlig andere Herangehensweise benötigt. Dr. Shoji Fukushima von der staatlichen Institution „Japan Bioassay Research Center“, die die gesundheitlichen Auswirkungen von chemischen Verbindungen erforscht, hat seit dem Tschernobyl-Unfall Krankheiten im Bereich des Urinaltraktes untersucht. Dr. Fukushima und Doktoren aus der Ukraine untersuchten Teile von Blasen, die bei über 500 Operationen von Prostatahypertrophie [Vergrößerung der Prostata] entnommen wurden.

Sie fanden heraus, dass es in den hoch kontaminierten Gegenden, wo 6Bq/Liter im Urin entdeckt wurde, eine hohe Frequenz von P53-Mutationen gab, obwohl 6Bq/l unbedeutend klingen mag. Sie stellten auch viele Fälle von proliferativen präkazerosen Konditionen fest [entartete Zellen, die Krebs entwickeln können], von denen wir annehmen, dass sie durch Aktivierung von P38 MAP Kinase und dem sogenannten „NF-kappa-B“ Signal bedingt sind, was zwangsläufig zu einer proliferativen Zystitis führt, mit in beachtlicher Frequenz auftretendem Carcinoma in Situ.

Mit diesem Wissen war ich bestürzt, den Bericht zu hören, dass 2 bis 13 Bq/Liter [radioaktives Cäsium] in der Muttermilch von sieben Müttern in Fukushima gemessen wurde. Wir vom Radioisotopen-Zentrum der Universität Tokyo haben geholfen, Minami-Soma City zu dekontaminieren. Wir haben jeweils 4 Leute gleichzeitig geschickt und Dekontaminationen auf der Länge von 700km pro Woche durchgeführt.

Nochmals: das, was in Minami-Soma geschieht, zeigt deutlich, dass ein 20 oder 30 km Radius [vom AKW] überhaupt keinen Sinn macht. Sie müssen mehr ins Detail gehen, wie z.B. in jedem Kindergarten messen. Im Moment werden aus dem 20-30 km Radius 1.700 Schulkinder mit Bussen zur Schule gefahren. Tatsächlich liegt aber das Stadtzentrum von Minami-Soma nahe am Ozean und 70% der Schulen haben eine relativ niedrige Strahlenbelastung. Trotzdem werden Kinder dazu gezwungen, in die Busse zu steigen und den ganzen Weg zu Schulen in der Nähe von Iitate-mura [wo die Strahlung viel stärker ist] zurückzulegen. Die Busfahrten kosten jeden Tag 1 Millionen Yen.

Ich verlange nachdrücklich, dass diese Situation so schnell wie möglich beendet wird. Das Problematischste an der Richtlinie der Regierung ist, dass sie die Bewohner nur für ihre Umzugskosten entschädigen, wenn deren Gebiete als offizielle Evakuierungs-Zonen ausgewiesen sind. In einem kürzlich im Sangiin [Oberhaus der japan. Regierung] tagenden Ausschuss sprachen der damalige TEPCO-Präsident Shimizu und Herr Kaieda, Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie darüber. Ich fordere Sie dazu auf, diese zwei Dinge sofort zu trennen – Kompensationskriterien-Belange und das Thema Schutz von Kindern.

Ich ersuche Sie nachdrücklich, alles zu tun, was Sie können, um Kinder zu beschützen. Eine andere Sache, von der ich mich überzeugt habe, während ich die Dekontamination in Fukushima durchführe, ist die Tatsache, dass Notfalldekontamination und permanente Dekontamination unterschiedlich behandelt werden sollten.

Wir haben eine Menge Notfalldekontamination durchgeführt. wenn Sie z.B. dieses Diagramm anschauen, werden Sie feststellen, dass das untere Ende dieser Rutsche die Stelle ist, worauf kleine Kinder ihre Hände legen. Jedes Mal, wenn der Regen die Rutsche herunter strömt, akkumuliert mehr radioaktives Material. Gibt es eine Schräglage, kann die Strahlungsdosis zwischen rechts und links unterschiedlich sein. Bei einer solchen Neigung kann die durchschnittliche Strahlung zwar bei 1 Mikrosievert liegen, aber an einer Seite trotzdem 10 Mikrosievert betragen. Benützen Sie einen Hochdruckreiniger, können Sie die Strahlungsdosis von 2 Mikrosievert auf 0,5 Mikrosievert verringern. Wir müssen mehr Notfalldekontaminationen an solchen Stellen durchführen.

Der Boden unter der Dachrinne ist auch eine Stelle, wo Kinder oft mit ihren Händen hinkommen. Benützen Sie einen Hochdruckreiniger, können Sie die Strahlungsdosis von 2 Mikrosievert auf 0,5 Mikrosievert verringern. Trotzdem ist es extrem schwierig, den Wert unter 0,5 Mikrosievert zu bringen, weil alles kontaminiert ist. Gebäude, Bäume, ganze Gegenden. Sie können die Strahlungsdosis einer Stelle verringern, aber es ist sehr schwer, das für eine ganze Gegend zu tun. Außerdem, welche Probleme müssen wir lösen und was wird das kosten, wenn wir ernsthaft dekontaminieren wollen?

Im Fall der „Itai-Itai-Krankheit“, hervorgerufen durch Cadmiumvergiftung [von einer Mine] hat die Regierung bisher 800 Billionen Yen ausgegeben, um die Hälfte der Cadmium-kontaminierten Gegend, die insgesamt etwa 3.000 Hektar groß ist, zu dekontaminieren.

Wie viel Geld wird es kosten, wenn wir eine tausendmal größere Fläche dekontaminieren müssen? Daher möchte ich drei dringende Anträge stellen.

Erstens: Ich beantrage, dass die japanische Regierung als nationale Strategie die Messung der Strahlung von Lebensmitteln, Erdreich und Wasser mittels Japans fortschrittlichster Technologie wie bildgebenden Semikonduktor-Detektoren betreibt. Das liegt absolut im Bereich von Japans derzeitigen technischen Fähigkeiten.

Zweitens: Ich beantrage, dass die Regierung so schnell wie möglich ein neues Gesetz in Kraft setzt, um die Strahlenbelastung von Kindern zu reduzieren. Im Moment ist alles, was ich tue, illegal.

Das jetzige Strahlenschutzgesetz spezifiziert die Menge der Strahlung und die Arten von Radionukleiden, die die einzelnen Institutionen bearbeiten dürfen. Die Universität Tokyo mobilisiert all die Arbeitskraft ihrer 27 Radioisotopen-Zentren, um Minami-Soma City bei der Dekontamination zu helfen. Aber viele der Zentren haben keine Erlaubnis, mit Cäsium zu arbeiten. Es ist illegal, es in Autos zu transportieren. Aber wir können nicht hoch radioaktives Material bei den Müttern und Lehrern dort lassen, also stecken wir alles in Fässer und bringen die mit nach Tokyo zurück. Sie dort in Empfang zu nehmen, ist illegal. Alles ist illegal. Es ist die Schuld des Parlamentes, solche Situationen so zu belassen, wie sie sind. Es gibt viele Institutionen in Japan, z.B. Radioisotopen-Zentren an nationalen Universitäten, die Germanium-Detektoren und andere hochentwickelte Detektoren besitzen. Aber wie können wir als Nation mit aller Kraft unsere Kinder beschützen, wenn die Hände dieser Institutionen gebunden sind? Dies ist das Ergebnis der groben Fahrlässigkeit des Parlamentes.

Drittens: Ich beantrage, dass die Regierung als nationale Strategie die Fähigkeiten des privaten Sektors mobilisiert, um Techniken zur Dekontamination des Erdreiches zu entwickeln.

Es gibt viele Firmen mit Expertise in radiologischer Dekontamination; Chemie- unternehmen wie Toray und Kurita, Dekontaminationsunternehmen wie Chiyoda Technol und Atox, und Baufirmen wie Takenaka Corporation. Bitte mobilisieren Sie deren Kräfte sobald wie möglich, um ein Dekontamination-Forschungszentrum aufzubauen. Es wird zehntrillionfach Yen kosten, die Dekontaminationsarbeiten durchzuführen. Ich bin tief besorgt, dass es hier zu Öffentlichen Arbeiten mit Ausschreibungen, Konzessionen etc. kommt. Wir können uns den Luxus nicht erlauben, eine Sekunde zu verschwenden, wenn wir den finanziellen Zustand der japanischen Regierung bedenken. Wir müssen herausfinden, wie wir tatsächlich dekontaminieren können.

Was in aller Welt treibt das Parlament, während 70.000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden und herum irren?

Das ist alles.

Übersetzung aus dem Englischen: 007bratsche

Prof. Tatsuhiko Kodama ist der Leiter des Radioisotopen-Zentrums der Universität Tokyo. Am 27.7.2011 hielt er als Zeuge im Unterhaus der japanischen Regierung diese Rede zur Lage in den von den havarierten Reaktoren in Fukushima betroffenen Gebieten.

Diese Rede gibt es auf dem Blog EX-FSK auf Japanisch, Englisch, Französisch und Deutsch.

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Gesetzesverstöße und mangelhafte Beratung in Baumärkten

Bauschaum gesundheitsschädlich und ein Umweltproblem

Baumärkte verstoßen gegen gesetzliche Informationspflichten zur Entsorgung gebrauchter Bauschaumdosen – Testbesuche der DUH belegen neben fehlender Kundeninformation auch mangelhaften Beratungsservice zum umweltgerechten Umgang mit Montageschaumdosen – DUH-Bundesgeschäftsführer Resch fordert flächendeckende Umsetzung gesetzlicher Informationspflichten im Handel und konsequente Kontrollen durch zuständige Behörden.

Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) hat erneut Verstöße von Baumärkten gegen Verbraucherinformationspflichten festgestellt. Jeder fünfte Baumarkt informiert seine Kunden demnach nicht über die Entsorgung gebrauchter Montageschaumdosen (PUR-Schaum), obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Ein Drittel der Baumärkte informiert nur unzureichend. Dies ergaben aktuelle Testbesuche der DUH. „Dass ein großer Teil der Baumärkte wie selbstverständlich bestehende Umweltgesetze ignoriert, zeigt wie sicher sich diese sind, nicht erwischt zu werden. Nur Umweltgesetze die konsequent kontrolliert werden, werden in der Praxis auch eingehalten“, erklärt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch und fordert die Vollzugsbehörden der Bundesländer auf, „die Einhaltung der Informationspflichten des Handels endlich konsequent zu kontrollieren und Verstöße zu ahnden“.

Vermeintlich leere Bauschaumdosen beinhalten immer noch umwelt- und gesundheitsschädliche Reststoffe, weshalb diese nicht im Hausmüll oder der Wertstoffsammlung, sondern getrennt als Sonderabfall entsorgt werden müssen. Nach der Verpackungsverordnung sind Baumärkte verpflichtet durch deutlich erkennbare und lesbare Schrifttafeln auf die Rückgabemöglichkeiten gebrauchter Bauschaumdosen hinzuweisen. Für eine sachgerechte Verbraucherinformation ist die Anbringung von Hinweisschildern an allen Verkaufsstellen notwendig. Neben den Baumärkten, die gar nicht informieren, bietet jedoch ein Drittel der Baumärkte nur an einer von mehreren Verkaufsstellen Informationen zur Entsorgung von Bauschaumdosen an. „Eine derart partielle Verbraucherinformation ist völlig unzureichend und entspricht nicht dem gesetzlich geforderten Anspruch konsequenter Verbraucherinformationen über die Rückgabe von Bauschaumdosen“ kritisiert Jürgen Resch.

Als positives Ergebnis der Testbesuche bewertet die DUH die erhöhte Bereitschaft der Baumärkte, auf Nachfrage leere PUR-Schaumdosen zurückzunehmen. Allerdings stellen immer noch die wenigsten Baumärkte ihren Kunden hierfür Sammeltonnen zur Verfügung. Zwanzig Prozent der besuchten Baumärkte verweigerten die Rücknahme von leeren Bauschaumdosen oder verlangten einen Beleg, dass die Dosen im jeweiligen Baumarkt gekauft wurden.

Seit Dezember 2010 dürfen schadstoffhaltige Montageschäume nur noch durch sachkundige Mitarbeiter ausgehändigt werden. Das persönliche Aushändigen von Bauschaumdosen bietet zusätzliche Möglichkeiten, auf deren umweltgerechte Entsorgung hinzuweisen. Doch in weniger als der Hälfte aller Testbesuche wurden den DUH-Mitarbeitern bei der Dosenübergabe Hinweise zur entsprechenden Entsorgung mitgeteilt. „Das Potential, beim persönlichen Kontakt mit den Kunden Informationen zur umweltfreundlichen Entsorgung von Bauschaumdosen mitzuteilen, wird vom Handel bislang nicht ausreichend genutzt“, bedauert Maria Elander, DUH-Bereichsleiterin Kreislaufwirtschaft. „Durch Anweisung aller Baumarktmitarbeiter zur aktiven Kundeninformation bei der Dosenübergabe, kann mit geringem Aufwand ein erheblicher Beitrag zum Umweltschutz und zur Ressourceneffizienz geleistet werden“.

Die DUH fordert den Handel auf, bestehende Umweltgesetze konsequent und in geeigneter Weise einzuhalten und kündigt weitere Testbesuche an. Sollte sich die Situation nicht kurzfristig ändern wird die DUH zudem verstärkt Gesetzesverstöße als Verbraucherschutzverband abmahnen und die entsprechenden Betriebe im Internet veröffentlichen. Durch die geplante Veröffentlichung und namentliche Nennung von Baumärkten, die gegen gesetzliche Informationspflichten verstoßen, können sich Verbraucher selbst ein Urteil darüber bilden, welches Baumarktunternehmen Umweltschutz wirklich ernst nimmt.

Autor:

Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Gesetzesverstöße und mangelhafte Beratung in Baumärkten zur Entsorgung von Bauschaumdosen, Berlin, ots, 21.07.2011

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Genfood als Marketingstrategie für Pestizide

Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel ist eine lebenswichtige Notwendigkeit

Auf dem Boden der Tatsachen: Fragen und Antworten mit CFS-Anwalt George Kimbrell (audio podcast)

Jessica Knoblauch von Earthjustice unterhält sich mit George Kimbrell vom Center for Food Safety [CFS/Initiative für Lebensmittelsicherheit]. Kimbrell wirkt zurzeit als ergänzend hinzugezogener Anwalt in den von Earthjustice angestrengten Prozessen zu gentechnisch veränderten Zuckerrüben und Luzernen [Alfalfa] mit. 2006 klagte das CFS gegen die Zulassung von genmanipulierten Luzernen durch das amerikanische Agrarministerium (USDA), ein Verfahren, das schließlich beim US Supreme Court ankam und zu einem [Anbau-] Verbot der genmanipulierten Feldfrucht führte.

Transkript des Interviews:

Jessica Knoblauch: Das Center for Food Safety arbeitet als Organisation daran, die Gesundheit der Menschen und die Umwelt zu schützen, indem es gegen schädliche Lebensmittelherstellungsmethoden vorgeht. Was genau macht gentechnisch veränderte Lebensmittel so gefährlich?

George Kimbrell: Sie gehören zum industriellen Paradigma, zu den Systemen industrieller Lebensmittel. Gerade jetzt gibt es in unserem Land ein Erwachen für Nachhaltigkeit und Landwirtschaft und die Menschen erkennen die Vorzüge, welche Bio, lokal und von Menschen produziert bieten. Gentechnisch entwickelte Lebensmittel stehen für eine fabrikmäßig betriebene Landwirtschaft, was genau das Gegenteil dieser Philosophie ist. Außerdem denke ich, dass die Menschen den Zusammenhang zwischen unserem Nahrungsmittelsystem und der Umwelt verstehen und auch, wie das, was wir essen, mit der Art, wie wir auf diesen Planeten leben, zusammenhängt und welche Folgen das hat.

Um Ihre Frage noch genauer zu beantworten denke ich, muss die Antwort doppelt ausfallen. Zuerst unter gesundheitspolitischen Aspekten. Dies ist eine neue Technologie und es wird mit unserer Gesundheit ein anhaltendes Experiment unternommen, leider. Im Grunde genommen sind weitaus mehr Fragen offen als dass wir wüssten, welche Folgen gentechnisch veränderte Lebensmittel möglicherweise für die menschliche Gesundheit haben. Man nimmt die Gene von Arten, die sich in der Natur nie kreuzen könnten und kreuzt sie mit sehr entfernten Arten. So nimmt man z.B. das Gen von einer Flunder und baut es mit Hilfe einer Gen-Kanone in eine Tomate ein, um sie gegen Kälte widerstandsfähiger zu machen. Ein Flunder und eine Tomate kommen in der natürlichen Welt niemals zueinander. Das ist etwas völlig anderes als konventionelle Zucht, wenn man zwei Getreidesorten mit der Absicht kreuzt, verschiedene Eigenschaften des Getreides zu verbessern. Das ist der erste fundamentale Unterschied.

Gerade aus diesen Gründen ist dies eine Art permanentes Experiment mit der Bevölkerung. Und auch, weil wir leider keine Deklarationspflicht haben. Von möglichen toxischen Gefahren oder Gesundheitsgefährdungen, die sich daraus ergeben könnten, bekommen wir nichts mit. Zwei Drittel der Welt kennzeichnet gentechnisch veränderte Lebensmittel. Was dies angeht, sind wir ein echter Sonderfall und wir lassen unserer Bevölkerung nicht die Wahl, die Herkunft [ihrer Nahrung] auszuwählen. Außer Sie kaufen aus biologischem Landbau; das ist die einzige Möglichkeit sicher zu sein, da im biologischen Landbau genetisch veränderte Lebensmittel nicht zulässig sind.

Ich bin Anwalt, deshalb liegen wissenschaftliche und gesundheitliche Fragen gewissermaßen außerhalb meines Fachgebietes, doch ich weiß, dass es neuartige Probleme mit Allergien gibt. Dies gehört zu den am häufigsten aufgeworfenen Fragen. Oder anderes gesagt, wenn Sie beispielsweise auf Fisch allergisch reagieren und ich verkaufe Tomaten und Sie wissen nicht, dass die Tomate von mir ein gentechnisches Produkt ist, können Sie durch deren Verzehr eine sehr schwere allergische Reaktion erleiden, weil sich darin eine transgene Substanz von einer Art befindet, auf die Sie allergisch reagieren, ohne dass Sie dies nachvollziehen können. Das ist nur ein Beispiel.

Aber ich denke, das wichtigste, was Ihre Leser und die Öffentlichkeit wissen sollten ist, dass wir keine unabhängige Prüfung dieser Lebensmittel durch unsere Behörden haben. Monsanto und die anderen Unternehmen, die sie herstellen, sind zu sogenannten freiwilligen Rücksprachen mit der amerikanischen Lebens- und Arzneimittelbehörde [FDA] angehalten. Hinter verschlossenen Türen unterrichten sie die FDA über die Untersuchungen, welche sie zu den Lebensmitteln durchgeführt haben. Und mehr nicht. Die FDA erlaubt sie entweder ohne weiter Fragen zu stellen oder sie tut es nicht, dabei hat sie noch nie eines auf dem Markt nicht erlaubt. Und das ist alles. Die Untersuchungen werden nicht veröffentlicht. Es handelt sich um vertrauliches Geschäftswissen. Die FDA macht keine eigenen Untersuchungen, es gibt keine unabhängigen Untersuchungen oder irgendetwas dieser Art. So liegen sie in den Verkaufsregalen und wir essen sie. Das ist das, was zur menschlichen Gesundheit zu sagen ist.

Wie Sie vermutlich wissen, geht es dem Center for Food Safety in seinen Gerichtsverfahren überwiegend um die Folgen, welche dieses industrielle System auf die Umwelt hat. In diesen Verfahren geht es darum, warum der Anbau dieser Feldfrüchte die Umwelt schädigt, um die sich auch die Menschen Sorgen machen. Die Menschen möchten etwas essen, das die Umwelt nicht schädigt, dass nachhaltig hergestellt wird. Das wichtigste, was sie wissen müssen ist, dass es sich bei dieser Technologie um ein One-Trick-Pony handelt [ein Pony, das nur eine Nummer kann]. Diese Ackerpflanzen dienen dazu, den Verkauf von Pestiziden anzukurbeln. Darum sind die Unternehmen die sie entwickeln, die nebenbei bemerkt Chemiekonzerne sind, die Pestizide herstellen, Monsanto, Syngenta, Bayer, DuPont und Dow Chemical, dieselben. Darum können diese Unternehmen von ihren Hauptprodukten mehr verkaufen, mehr Pestizide. Eines können sie wirklich sehr gut, die Pflanzen gegen Pestizide widerstandsfähig machen. Sie helfen uns nicht, die Welt zu ernähren, es gibt keine, welche die Erträge erhöhen oder uns helfen, die Hungernden zu ernähren. Sie helfen uns nicht, etwas gegen den Klimawandel zu tun, keine von ihnen sind gegen Dürren resistent oder tolerant und sie helfen uns nicht, etwas für die Umwelt zu tun. Sie erhöhen lediglich den Verbrauch von Pestiziden. Das ist ihr einziger Zweck.

Jessica: Es gibt sehr viele falsche Vorstellungen, welche die Leute von gentechnisch veränderten Lebensmitteln haben. Sie erwähnten etliche davon, dürre-resistent, nährwerthaltiger. Kommt dies einfach nur davon, weil die Unternehmen sie so vermarkten? Sind diese falschen Vorstellungen so entstanden?

George: Um es zu wiederholen, die gängigen Mythen sind jene, über die wir gesprochen haben. Der erste ist, dass es sich um dasselbe wie konventionelle Züchtung handelt. Dem ist nicht so. Es ist etwas grundlegend anderes. Ein Flunder und eine Tomate kommen in der Natur nicht zusammen. Das zweite Missverständnis ist, dass ausgerechnet diese Feldfrüchte für den Konsumenten, für die Öffentlichkeit, für die öffentliche Gesundheit oder für die Landwirte Vorteile bieten. Diese gibt es nicht. Es ist im Grunde genommen eine misslungene Technologie. Monsanto und die anderen, welche sie bewerben, haben diese Pflanzen patentiert und sie dienen größtenteils nur einem Zweck.

Warum gibt es überall diese falschen Vorstellungen über nicht eingehaltene Versprechungen? Eine gute Frage! Ich denke, die allumfassende Antwort ist Geld. Es geht hier um sehr mächtige Unternehmensgebilde, die hunderte Millionen Dollar ausgeben, um unsere Regierung mit Lobbyarbeit zu beeinflussen – und wahrscheinlich noch mehr für Werbung. Wenn Sie NPR [National Public Radio] hören, hören Sie irgendwann „Präsentiert für Sie von Monsanto“. Sie sind mit ihrer Reklame allgegenwärtig. Da wartet noch viel Arbeit auf uns. Es gibt eben sehr viel solche Werbung. Ich denke, ein Teil von dem was wir tun und was wir viele Jahre getan haben, besteht darin zu versuchen, das was die Leute darüber wissen zu korrigieren und zu erklären, dass sich die Wirklichkeit von dem Marktgeschrei sehr unterscheidet. Was diese Ackerpflanzen angeht, gibt es zwischen dem Hype und der Wirklichkeit einen sehr großen Unterschied.

Jessica: Im Jahre 2006 klagte Ihr Center gegen die Zulassung von genetisch modifizierter Alfalfa durch die USDA [U.S. Department of Agriculture]. Es gibt sehr viele Gentechnik-Lebensmittel auf dem Markt, warum entschied sich das Center, diesen Fall aufzugreifen?

George: Das ist eine gute Frage. Alfalfa war in vielerlei Hinsicht ein Wechsel zu einer anderen Art von Feldfrüchten, als jene die bisher gentechnisch verändert wurden. Dies stellte eine bedeutende neue Bedrohung für die Umwelt und das Nahrungssystem dar, insofern als dass bisher im Prinzip nur vier Feldfrüchte genetisch modifiziert wurden, Mais, Soja, Raps und Baumwolle.

Alfalfa ist ein anderer Fall. Zu aller erst handelt es sich um eine mehrjährige Feldfrucht, die im Gegensatz zu einer einjährigen Pflanze drei bis acht Jahre wächst. Sie kann in der Natur aus eigener Kraft überleben, wild oder ausgewildert. Deshalb ist sie im Westen Amerikas überall präsent. Wenn Sie da, wo ich wohne, im pazifischen Nordwesten, irgendwo unterwegs sind, wächst da wo sie herum fahren Alfalfa im Straßengraben, auf brachliegenden Feldern, am Straßenrand, bei den Telefonmasten. Es ist außerdem eine von Bienen bestäubte Pflanze. Nun gibt es wilde und gehaltene Bienen und von denen gibt es viele Arten und sie können umher fliegen und Pollen verschiedener Herkunft über große Entfernungen vermischen. Bei Honigbienen können das zehn Kilometer sein, zum Beispiel. Und Honigbienen lesen keine Schilder. Sie vermischen die Pollen der Felder. So besteht nicht nur für die Felder der Landwirte die Gefahr, dass Transgene wandern und es zur Kontamination kommt, es können auch wilde Bestände in der Natur kontaminiert werden, wo Alfalfa Dank der Bestäubung durch Bienen wächst. Das ist eines der Probleme, welches es nur bei Alfalfa gab, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Feldfrüchten, die vom Wind bestäubt werden. Die Gefahr der Kontamination war agrartechnisch gesagt eine andere. Ein anderes Problem besteht darin, dass Alfalfa eine Hauptkomponente der Milchwirtschaft ist. Für viele unserer tierhaltenden Betriebe ist es das Hauptfuttermittel, jedoch insbesondere für die Milchviehhaltung, Milch- und Käseproduktion und für die ökologische Landwirtschaft. Dort hat man ein wirkliches Problem, wenn man kontaminierte Alfalfa hat. Dies stellt für die ökologische Milchwirtschaft und für die Milchwirtschaft die gentechnikfrei bleiben möchte eine wirkliche Gefahr dar, weil ihre Hauptfutterquelle mit hoher Wahrscheinlichkeit kontaminiert sein könnte, selbst wenn sie Gentechnik ablehnen. Dann werden ihre Futtermittel, die sie über den Futterhandel beziehen, natürlich diese gentechnisch erzeugte Variante enthalten.

Jessica: Eine andere meiner Meinung nach interessante Geschichte über Alfalfa ist, dass der größte Teil von Alfalfa ohne jegliche Pestizide bestens wächst. Nun wird eine Gen-Alfalfa produziert, die hohe Dosen von Monsantos Roundup Ready Pestizid aushält. Stimmt das?

George: Wie wir wissen, ist es die am viert häufigsten angebaute Feldfrucht des Landes. Es gibt etwa 80 Millionen Quadratkilometer davon. Alfalfa wird in jedem Staat unseres Landes angebaut. Und es ist gemeinhin eine pestizidfreie Frucht. Nur etwa 10 bis 15 Prozent der gesamten Alfalfa, konventionelle und ökologische zusammengerechnet, werden mit Pestiziden angebaut. Die meisten Landwirte nutzen anbautechnische Methoden. Sie vermengen Alfalfa mit Hafer oder irgendetwas anderem, um das Unkraut klein zu halten, anstatt Pestizide zu sprühen. Und deshalb würden die Zulassung und der mögliche Ersatz dieser Methoden durch ein Pestizid förderndes Anbausystem für viele unterschiedliche Ökosysteme eine dramatisch zunehmende Erhöhung der Umweltbelastung durch Pestizide bedeuten. Also anders als andere Feldfrüchte, Soja, Mais und Baumwolle, die im Allgemeinen mehr Pestizide benötigen, braucht dies Alfalfa nicht. Darum ist ihr Ersatz durch ein Pestizid gestütztes Anbausystem nach unserer Ansicht eine große Gefahr für die Umwelt.

Jessica: Deshalb hat es der Alfalfa-Fall 2010 bis zum US Supreme Court geschafft, was im Falle gentechnisch modifizierte Lebensmittel eine Premiere war. Was ist bei der Entscheidung des Gerichts herausgekommen?

George: Der Prozess wurde 2006 eröffnet und Anfang 2007 gewannen wir vor dem Landgericht. Den Landwirtschaftsministerium wurde vom Gericht auferlegt, eine Umweltfolgenabschätzung [EIS/environmental impact statement] vorzubereiten, um die möglichen Umwelt- und sozialökonomischen Folgen von Roundup Ready Alfalfa auf Landwirte und Umwelt abzuwägen, dazu gehörte vieles von dem, über das wir gerade sprachen: Kontamination genauso wie Zunahme des Pestizideinsatzes. Die USDA begann dieses Dokument zu erstellen. Bemerkenswerterweise – während den 15 Jahren, in denen verschiedene Arten dieser genetisch modifizierten Pflanzen zugelassen wurden, hat die USDA niemals zuvor irgendeine Umweltfolgen- abschätzung für irgendeine davon angestellt. So war diese im Alfalfa-Prozess die erste, die sie jemals machten. Und danach wurde sie dazu verdonnert, eine für den Zuckerrüben-Prozess anzufertigen. Leider war das nur die zweite, die sie machten.

Und dann kam im Prozess die Frage auf, was wir in der Zwischenzeit machen sollen, solange die Behörde sich zurück zieht und ihre Hausaufgaben erledigt? Wir argumentierten, dass man den Anbau dieses Zeugs stoppen sollte, dass es nicht erlaubt sein sollte weiterzumachen, bis die Behörde der Anordnung des Gerichts gefolgt ist und diese gründliche Studie durchgeführt hat. Und folglich sollten sie eine neue Entscheidung fällen. Monsanto und die Behörde argumentierten, dass es ihnen erlaubt sein sollte, den Verkauf und Anbau der Pflanze fortzusetzten, auch während die Behörde die Prüfung durchführt. Nach unserer Auffassung spannt man damit den Karren vor das Pferd. Das Landgericht stimmte uns zu und verbot den Anbau und bewahrte den Status Quo. Platt gesagt heißt dies, während die Behörde ihre Untersuchung durchführt, kann nichts weiter geschehen. Diese Entscheidung wurde beim 9. Gerichtsbezirk angefochten und zweimal bestätigt. Und dann ging sie im Jahre 2008/2009 an den Supreme Court.

Der Supreme Court fällte eine interessante Entscheidung, in deren Folge der Anbau von Roundup Ready Alfalfa weiterhin verboten war. Ich denke, die meisten Medien, die darüber berichteten, haben die Geschichte falsch verstanden, nach der es hieß, das Gericht habe das Verbot von Roundup Ready Alfalfa aufgehoben. Der Supreme Court tat nichts dergleichen. Was der Supreme Court sagte war folgendes: das Landgericht hat zwei Abhilfen bereit gestellt, die beide unabhängig voneinander den Anbau dieser Frucht stoppen. Eine nennt sich einstweilige Verfügung, die andere heißt Aufhebung. Der Supreme Court sagte, beide werden nicht zugleich benötigt. Beide zugleich sind ein Übermaß. Einmal genügt. Deshalb hob es einmal auf. Nachdem der Supreme Court seine Entscheidung bekannt gegeben hatte, konnte niemand Roundup Ready Alfalfa anpflanzen, genauso wie es niemand anpflanzen konnte, bevor sie ihre Entscheidung bekannt gaben. So war das ein Sieg für uns, der nur nicht so hieß. Verfahrenstechnisch haben sie etwas aufgehoben, aber das Ergebnis war, dass die Umwelt weiterhin vor Roundup Ready Alfalfa sicher war und dass unsere Landwirte davor sicher blieben. Deshalb waren wir mit dieser Entscheidung und mit diesem Ergebnis sehr zufrieden.

Jessica: Nun, ist es jetzt nicht doch möglich, genetisch modifizierte Alfalfa anzubauen?

George: Jene Entscheidung war im Juni 2010. Bis Ende Herbst war es noch verboten. Was dann geschah war, dass im Dezember 2010 die USDA ihre Studie fertig hatte, zu der sie vom Gericht verpflichtet worden war. Und sie urteilten erneut und unglücklicherweise entschieden sie so, dass nach dem neuen Urteil Roundup Ready Alfalfa wieder angebaut werden darf, selbst nach dem EIS [Umweltfolgenabschätzung s.o.], in welchem alle Umweltbeeinträchtigungen, die wir gerade bezüglich Pestiziden und Kontamination von ökologischem und konventionellem Landbau diskutiert haben, offengelegt wurden. So wurde diese Entscheidung im Januar dieses Jahres getroffen. Also ist es seit Januar 2011 wieder zulässig, Roundup Ready Alfalfa anzubauen. Auf Grund dessen haben wir mit Earthjustice eine neue Klage gegen diese neue Zulassung eingereicht, was wir im März diese Jahres taten.

Jessica: So hat die USDA grundsätzlich zugestimmt, dass es durch Alfalfa Umweltschäden geben wird, hat dann aber trotzdem erlaubt, dass sie angepflanzt werden kann? Hat man dem Anbau irgendwelche Einschränkungen auferlegt?

George: Leider nicht. In ihrer Analyse erwogen sie drei Alternativen. Eine bestand darin, es zu verbieten, den kommerziellen Anbau und Verkauf nicht zu erlauben. Die zweite bestand darin, den Anbau und Verkauf ohne jegliche Einschränkungen zu erlauben. Die dritte war, den kommerziellen Anbau und Verkauf zu erlauben, jedoch mit erheblichen Einschränkungen in Gestalt von Isolations-Abständen zu ökologischen und konventionellen Ackerpflanzen und geographischen Zonen, so dass es Teile verschiedener Staaten gegeben hätte, die frei von Gentechnik gewesen wären, wo man grundsätzlich nichts anbauen darf. Das waren die drei Alternativen und man wählte die zweite ohne jegliche Restriktionen. Wir waren natürlich sehr enttäuscht und wir glauben, dass die Entscheidung aus mehreren Gründen rechtswidrig ist und eine Reihe von Gesetzen verletzt. Es war eine vollständige Kapitulation gegenüber dem Druck der biotechnischen Industrie und dem Druck, den sie auf die USDA ausgeübt haben, diese Entscheidung über die Feiertage [am Jahresende] zu treffen.

Jessica: Im Sinne von lobbyistischen Bemühungen?

George: Massive Summen für die Lobbyarbeit. Land of Lakes, der Eigentümer von Forage Genetics, ein Lizenznehmer für Roundup Ready Alfalfa, hat für Lobbying tonnenweise Geld ausgegeben, Millionen und Millionen von Dollar. Nach unserer Ansicht fanden reichlich politische Aktivitäten statt und der Druck hielt an und das Urteil war ein politisches, das sich weder auf Wissenschaft noch auf Recht stützt.

Jessica: Ich sah, dass einige Gruppen die Bemühungen des Centers im Alfalfa-Prozess unterstützt haben, von der Arkansas Rice Growers Association Vereinigung der Reisbauern in Arkansas] bis zur [Humane Society of the United States [große US-Tierschutzorganisation]. Was ist es, dass in diesen Prozess so viele unterschiedliche Interessen zusammen bringt?

George: Der Supreme Court hat dieses Gerichtsverfahren ins Rampenlicht gerückt und es war der erste Fall dieser Art, der den Supreme Court erreicht hat und insofern wurde ihm als hochgradig umweltbezogener Prozess vor dem Supreme Court große öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. Ich denke, es stand ziemlich viel auf dem Spiel, wie es in solchen Fällen immer ist, deshalb wurden die Leute und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam. Aber ich denke auch, dass die Menschen die Zusammenhänge zwischen ihrem Lebensmittelsystem und der Umwelt immer mehr erkennen, und wie sich die Art wie sie einkaufen und wie sie leben auf die Umwelt auswirkt und dass die Landwirtschaft von dem, was wir als Natur ansehen, kein getrennter Bereich ist. Dass das alles eher ein ganzheitliches, zusammenhängendes System ist und dass die Art, wie alles besteht, eine ökologische ist. Ich denke, das ist eine wichtige Erkenntnis. Ich denke, in früheren Generationen hatten wir die Auffassung, dass die Landwirtschaft das eine und die Natur, wo wir mit unserer Familie wandern gehen, das andere ist – zwei verschiedene Sachen. Und in der Tat sind diese Dinge weitgehend Teil desselben Ortes und Planeten. Und das geht nun so weit, dass dieser kleine Gentechnik-Prozess ein Mikrokosmos des Paradigmenwechsels ist. Die Menschen bekommen dieses Bewusstsein, besonders was Pestizide angeht. Die Leute verstehen Pestizide. Wenn man den Leuten also erzählt, diese Feldfrüchte fördern Pestizide, verstehen die Leute das und werden sich dessen mehr und mehr bewusst. Das haben wir die letzten Jahre sehr häufig beobachtet, bei allen Verfahren, die wir angestrengt haben.

Die Reisbauern waren eine eigene Geschichte. Sie wurden selbst kontaminiert. Was den Reisbauern widerfuhr war das im Jahre 2006… Wir verkaufen sehr viel Reis nach Japan. Und in Japan werden natürlich wie fast überall auf der Welt gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet und verboten, wenn sie [nicht gekennzeichnet] über einen gewissen Grad hinaus kontaminiert sind. [GMOs brauchen auch in Japan eine Zulassung.] Nun wurden Reisbauern im Südwesten unwissentlich durch eine Sorte kontaminiert, die an der Louisiana State University in einem Freilandversuch getestet wurde und Japan machte die Grenze für sie zu, schloss ihre Märkte und kappte ihre Geschäftsbeziehungen für zwei Jahre. So verloren während dieser Zeit hunderte und tausende kleiner Familienhöfe die im Süden Reis anbauen ihre Betriebe, ihren Lebensunterhalt und ihr Geschäft. Darum hatten sie natürlich etwas zu sagen, als wir unseren Prozess wegen der Kontamination durch Alfalfa führten. Sie hatten das schon einmal erlebt und sie wollten nicht, dass mit den Leuten dasselbe passiert, die Bio-Alfalfa anbauen oder die Alfalfa exportieren – denn wir exportieren eine Menge Alfalfa nach Übersee und auch in Märkte, die eine Gentechnik-Kontamination nicht tolerieren, Japan inbegriffen.

Jessica: Vor ein paar Monaten habe ich gelesen, dass zur Zeit Landwirte die Biotechnik-Unternehmen wegen dieser gentechnischen Kontamination verklagen, weil sie die Preise ihrer Produkte beeinflusst, wenn sie durch gentechnische Bestandteile verunreinigt sind, egal ob andere Länder ihre Produkte akzeptieren oder nicht. So sieht es also danach aus, als ob etwas in Bewegung käme.

George: Ja, das war eine sehr wichtige Klage, die Anfang dieses Jahres [2011] von der [Public Patent Association]5 eingereicht wurde, eine gemeinnützige Organisation die wegen Patenten von öffentlichem Interesse Prozesse führt. [Anmerkung der Redaktion: Die Gruppe heißt Public Patent Foundation] Einige unserer Mitglieder und Unterstützer sind in diesem Verfahren Kläger. Verfahrenstechnisch sind wir das nicht [sic!]. Wir sind keine Patentanwälte; wir sind Verwaltungs- und Umweltrechtler. Doch es handelt sich um ein wichtiges Verfahren und ich denke, es ist ein berechtigtes Verfahren, weil es dabei um alles oder nichts geht, da Monsanto diese Feldfrüchte patentiert und es zu Kontaminationen kommt und die Natur Wege findet. Ob durch Bienen oder Wind, es kommt zur Vermischung von Pollen und plötzlich ist deren patentierte Pflanze im Feld irgendeines Landwirtes, der das nicht drin haben will.

Nach dem Patentrecht kann der Landwirt, der unwissentlich und unfreiwillig kontaminiert wurde, von Monsanto wegen Patentverletzung belangt werden, da er ihre patentierte Sorte anbaut und ihnen nicht die vertraglich festgelegte Lizenzgebühr für die Samen gezahlt hat. Was diese patentierten Pflanzen anstellen gehört zum Wechsel zu einem industriellen Paradigma, anders als bei einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem-Paradigma – es findet eine Privatisierung eines 10.000 Jahre alten Rechtes statt. Seit 10.000 Jahren haben Bauern ihr Saatgut [durch Einbehalt eines Teils der Ernte] selbst erzeugt. Meine Frau und ich ziehen grüne Bohnen und Kopfsalat oder was es auch immer ist und wir sorgen dafür, dass wir für das nächste Jahr Saatgut haben und wir sähen dies erneut aus. Nun, mit diesen Patentierten Pflanzen kann man das nicht tun. Monsanto wird sie verklagen. Sie müssen jedes Jahr zurück kommen und die jährliche Gebühr bezahlen um von denen neues Saatgut zu erhalten. Nun, genau darum geht es in der Klage, es geht darum, diese Praxis zu stoppen und das Recht der Bauern zu bewahren, ihr eigenes Saatgut zu sichern und nicht von Monsanto wegen Patentverletzung belangt werden zu können.

Jessica: Unter den Konsumenten wächst die Aufmerksamkeit gegenüber genetisch modifizierten Lebensmitteln und wie diese die Umwelt und uns selber beeinflussen. Was können die Menschen in Anbetracht dessen tun, dass die USA ihre Firmen nicht verpflichtet, gentechnische Lebensmittel zu kennzeichnen, um sich diesen möglichst wenig auszusetzen?

George: Das eine, das wir schon unmittelbar erwähnt haben ist, Sie können Produkte aus ökologischem Anbau kaufen oder ihren Landwirt auf dem Markt oder in der Kooperative kennen lernen. Bauen Sie zur Herkunft ihre Nahrung eine persönliche Beziehung auf. Legen Sie sich einen Garten zu. Das ist das Beste, was Sie bezüglich der Herkunft ihrer Nahrung tun können. Das ist eine Möglichkeit, sich wirklich sicher zu sein. Doch was den Einkauf im Laden angeht, bedeutet Bio kein GMO [genetically modified organism]. Nach den nationalen Regelungen für ökologische Standards muss es GMO-frei sind. Also ist das etwas, worauf Sie sich verlassen können.

Aber etwas allgemeiner denke ich, jeder dem an diesem Thema etwas liegt, sollte unbedingt das öffentliche Bewusstsein fördern und auf seine Politiker Druck ausüben, damit wir eine Kennzeichnungspflicht bekommen. Das gehört auch zu dem, wofür sich das Center for Food Safety eingesetzt hat, seit Anfang an ist es eines unserer Ziele, dass die Öffentlichkeit dieses fundamentale Recht hat zu entscheiden, womit man sich selbst und seine Familie ernährt. Und wir sollten eine Kennzeichnung haben und dass wir sie nicht haben, ist ein Fehler. Diese Entscheidung ist wieder eine politische. Es ist eine, welche die Obama-Regierung ändern könnte, wenn der politische Wille da wäre und wenn die Leute laut genug wären. Und wie ich sagte, werden diese Lebensmittel fast überall auf der Welt gekennzeichnet. Und aus diesen Gründen sollten sich die Menschen einmischen, aktiv werden, denn die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel ist eine lebenswichtige Notwendigkeit.

Autor und Copyright: Earthjustice 2011

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, Juli 2011

Wir danken Earthjustice, das Transkript eines Podcasts übersetzen zu dürfen. Der Originaltext kann hier nachgelesen und auch angehört werden.

Earthjustice wurde 1971 vom Sierra Club als eigenständige Organisation gegründet und hieß anfänglich Sierra Club Legal Defense Fund. 1997 wurde der Name geändert, um zum Ausdruck zu bringen, dass dieses ‚Anwaltsbüro für Umweltbelange‘ auch andere Organisationen zur Verfügung steht. Es hat sich z.B. für die Rechte der Bewohner von Mossville eingesetzt und arbeitet dort mit MEAN (Mossville Environmental Action Now) zusammen.

Der Sierra Club ist die größte Umweltorganisation der USA und seit 1892 aktiv. Sie wurde von John Muir (1838-1914) gegründet, der als amerikanische Ikone für Naturverbundenheit und Umweltbewahrung gilt.

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Jungem Mann mit MCS wurde Rente gewährt

Volle Rentenleistungen aus der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BUZ) und der gesetzlichen Rentenversicherung bei MCS?

RA Dr. jur. Burkhard Tamm, Fachanwalt für MedizinrechtRegelmäßig ist es für an MCS erkrankte Patienten schwierig, gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund erfolgreich Ansprüche auf Rentenleistungen wegen voller Erwerbsminderung durchzusetzen. Dasselbe gilt für Rentenleistungen aus einer privaten Berufsunfähig- keitsversicherung. Oft ist es erforderlich, zur Durchsetzung dieser Ansprüche den Rechtsweg zu beschreiten und dauert es Jahre, bis die Rente endlich fließt, eine von vielen Betroffenen gemachte leidvolle Erfahrung.

RA Dr. Burkhard Tamm: Ich möchte deshalb heute über einen Fall berichten, in dem es mir vor kurzem gelungen ist, Rentenansprüche meines an MCS erkrankten, noch sehr jungen Mandanten sowohl gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund als auch gegen die private Berufsunfähig- keitsversicherung mit Erfolg durchzusetzen, ohne dass es dafür eines Widerspruchs oder gar einer Klage bedurft hätte.

Alles begann damit, dass mein Mandant auf Veranlassung seiner Krankenkasse bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einen Antrag auf Rehabilitationsleistungen gestellt hatte. Aufgrund der Besonderheiten der bei ihm vorliegenden Erkrankung MCS war mein Mandant dabei von vornherein der Ansicht, dass eine Rehabilitation wenig sinnvoll, weil letztlich nicht möglich sei, weil es in ganz Deutschland keine auf MCS spezialisierte Klinik gebe.

Auch der von der Deutschen Rentenversicherung beauftragte Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass im Falle meines Mandanten eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme weder sinnvoll noch Erfolg versprechend sei, woraufhin die Deutsche Rentenversicherung den Reha-Antrag meines Mandanten ablehnte. Von diesem wurde das Gutachten zunächst recht negativ aufgenommen, letztlich jedoch nicht wegen des Ergebnisses, das letztlich zur Ablehnung einer Reha-Maßnahme führte, sondern aufgrund des Ablaufs der Begutachtung und einiger inhaltlicher Feststellungen.

Ich teilte meinem Mandanten dann mit, dass meine Einschätzung in Bezug auf das Gutachten eine andere sei, denn zum einen hatte der Gutachter festgestellt, dass bei meinem Mandanten zweifellos ein Krankheitsbild vorlag, das erheblichen Krankheitswert hatte, auch wenn „keinerlei objektivierbarer Krankheitsbefund vorliege“ (!). Zudem stellte der Gutachter fest, dass bei meinem Mandanten nur noch ein Leistungsvermögen von unter 3 Stunden täglich auf dem gesamten Arbeitsmarkt vorliegt und es äußerst fraglich ist, ob noch jemals eine Besserung eintreten könne, wenngleich mein Mandant erst 28 Jahre alt ist.

Diese Feststellungen des Gutachters nahm ich zum Anlass, meinem Mandanten dringend anzuraten, einen Rentenantrag zu stellen und Leistungen wegen voller Erwerbsminderung zu beantragen. Gestützt auf das im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung erstellte Gutachten gelang es mir in der Folge dann, innerhalb von nur rund vier Monaten die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung zu erreichen.

Mein Mandant hatte mich jedoch von Anfang an nicht nur im Zusammenhang mit seinem Reha-Antrag beauftragt, sondern gleichzeitig auch damit, seinen Rentenantrag gegenüber seiner privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vorab zu prüfen und vorzubereiten und erst dann bei der Versicherung einzureichen wenn er aus meiner Sicht ausreichend gut vorbereitet ist. Da sich mein Mandant bereits zu diesem frühen Zeitpunkt – d.h. vor Antragstellung – an mich gewandt hatte, war es mir möglich, seinen Antrag sorgfältig vorzubereiten und insbesondere das im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung erstellte Gutachten, dessen Fertigstellung ich zunächst abgewartet hatte, zur Stützung seiner Ansprüche bei der Versicherung mit einzureichen.

Auf diese Weise gelang es mir auch gegenüber der privaten Berufsunfähig- keitsversicherung meines Mandanten, erfolgreich und rückwirkend ab Januar 2009 Rentenleistungen durchzusetzen. Auch hier lag zwischen der Einreichung des vollständigen Antrags (26.01.2011) und dem Anerkenntnis des Bestehens eines Anspruchs durch die Versicherung (1.6.2011) nur ein sehr kurzer Zeitraum.

Fazit:

  1. Die Darstellung sollte zunächst zeigen, dass es durchaus auch Fälle gibt, in denen Rentenansprüche wegen MCS ohne ein langwieriges Widerspruchsverfahren oder gar eine Klage durchgesetzt werden können, wenngleich solche Fälle sicherlich selten sind.
  2. Liegt ein ablehnender Bescheid der Rentenversicherung vor, dann sollte ein auf den Bereich der Erwerbsminderungsrenten spezialisierter Rechtsanwalt aufgesucht werden, der nach Gewährung von Akteneinsicht überprüft, ob es Ansatzpunkte für die Durchsetzung von Ansprüchen gibt und ggf. welche. Der von mir geschilderte Fall soll zeigen, dass ein im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung erstelltes Sachverständigengutachten und der darauf beruhende ablehnende Bescheid nicht unbedingt so negativ zu bewerten sein müssen, wie dies dem Mandanten zunächst scheint.
  3. Vor allem dann, wenn es um die Durchsetzung von Ansprüchen aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung geht, ist es ratsam, bereits möglichst frühzeitig den Rat eines auf diesen Bereich spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen, damit dieser den auf die Gewährung von Rentenleistungen gerichteten Antrag sorgfältig vorbereiten und erst dann bei der Versicherung einreichen kann.

Autor und Ansprechpartner:

RA Dr. jur. Burkhard Tamm, Fachanwalt für Medizinrecht, Würzburg, 01.07.2011

Kontakt:

RA Dr. jur. Burkhard Tamm

Weitere Schwerpunkte: VersicherungsR – LebensmittelR

Dr. Tamm & Degelmann, Fachanwälte in Bürogemeinschaft.

Augustinerstr. 6, 97070 Würzburg, Tel. 0931 – 32 98 72 90

Internet: www.tamm-law.de und E-Mail: drtamm @ tamm-law.de

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Verflucht, ich akzeptiere nicht, dass mein Leben gelaufen ist!

Lasst mich doch leben!

Patrick ist 19, auf dem Kleiderschrank liegt seine American Football-Ausrüstung, in der Ecke seines Zimmers steht seine E-Gitarre und auf dem Regal liegen die genialen Texte, die er schrieb. Seine Songs haben Aussage, keine abgewandelten, banalen Coverversionen von irgendwelchen abgedroschenen Songs, die irgendwann in den Charts oben waren. Nix da, Patricks Musik geht zur Sache und lässt unmissverständlich durchblicken, dass der Songschreiber kein Weichei ist, sondern selbstbewusst und dass er etwas auf dem Kasten hat. Als Patrick die Songs und die Musik dazu niederschrieb, ging er aufs Gymnasium, was kein Problem darstellte, weil ihm die Lehrinhalte eher zufielen. Ein Klacks und schließlich gibt es auch noch ein Leben neben der Schule. Seine Kumpels waren genauso drauf. Das Leben ist da, um gelebt zu werden! War da um gelebt zu werden, denn die American Football-Ausrüstung, die Gitarre, die angefangenen CD-Aufnahmen und die Songbücher im Regal sind unübersehbar angestaubt.

Das war mal

Wenn Patrick in seinem Zimmer auf dem Bett liegt, kommt es ihm vor, als sei es vor Jahrzehnten gewesen, als er das letzte Mal mit den Kumpels aus seiner Band auf der Bühne stand. Manchmal hat er noch diese Flashes, er sieht die Gesichter der Mädels vor der Bühne, glühend, ehrfürchtig hochschauend und von ihrer verdammt guten Musik ergriffen. Wenn diese Flashes kommen, dreht Patrick sich um, er will sich nicht mehr an das, was war, an das Leben erinnern, ohne augenblicklich wieder so leben zu können. Am liebsten würde Patrick dann schreien, richtig laut schreien, damit alle es hören können:

„Mein Körper und meine Schmerzen halten mich gefangen, lassen nicht zu, das ich so leben kann wie die anderen. Ein kaputter Körper macht mich zum Krüppel. Er zwingt mich, immer wieder Dinge nicht zu tun, die ich gerne tun möchte. Aber ich will leben.“

Ursachen und Auswirkungen

Patrick ist durch Chemikalien erkrankt und sein Körper hat eine extreme Form von Chemikalien-Sensitivität (MCS) entwickelt. Manche Chemikalien sind dazu imstande, den Körper zu sensibilisieren. In der Medizin ist dies von einigen Chemikalien gut bekannt, Formaldehyd, Isocyanate und auch einige Pestizide sind dazu in der Lage. Was bei Patrick alles eine Rolle spielte, dass er jetzt so da hängt, weiß man nicht, aber man kann es erahnen. Sein Vater war Chemiker und hatte 30 Jahre mit Chemikalien Kontakt, die in der Lage sind, Gene zu schädigen. Was bei jahrelanger Arbeit aufsummiert und welchen Effekt die zahllosen, oft nicht gerade harmlosen Chemiecocktails hatten, denen Patricks Vater ausgesetzt war, das vermag niemand präzise zu definieren. Fakt ist, dass der Vater von Patrick wegen toxisch bedingter Gesundheitsschäden nicht mehr arbeiten kann und schwer krank ist. Dann ist da das Haus, in dem sie leben. Siebenmal hatten sie Hochwasser. Der Schimmel an den Wänden wurde großflächig mit Chlor abgewaschen. Eine hochgiftige Chemikalie. Von den Holzschutzmitteln im Haus ganz abgesehen, auch sie hatten mit Gewissheit Part am Zustand, in dem Patrick sich jetzt befindet.

Andere haben wenigstens gelebt

Das Durchschnittsalter bei Menschen, die chemikaliensensibel sind, liegt bei 35-45 Jahren gemäß Studien. Es gibt auch Erkrankte, die wesentlich älter sind und welche, die noch Kleinkind sind, aber die Mehrzahl der Erkrankten hatte ein Leben vor MCS. Bei Patrick ist es anders:

„Entschuldigt, ich will keinem weh tun, aber die anderen MCS-Kranken durften ihr Leben vorher leben (Jugend, Schule, Ausbildung, Reisen, Freunde, Partnerschaft etc.) und erleben, aber mir ist alles von Anfang an verwehrt. Die schönste Zeit des Lebens, meine Jugend ist mir nicht vergönnt, im Gegenteil, ich gehe durch die Hölle, aber das interessiert niemanden, weil man mir nicht glaubt.

Ciao Buddy

Nachdem Patrick völlig zusammenbrach, war das Mitgefühl der Kumpels und Mitschüler erst groß. Sie kamen ihn auch besuchen und versorgten ihn mit Infos aus der Schule. Das gab ihm die Möglichkeit, seine Schule eine Zeitlang weiterzumachen. Als das nicht mehr ging, versuchte er es über die Fernschule per Internet. War, denn auch das ist vorbei. Es kommt keiner mehr, es ruft auch keiner mehr an. Wenn Patrick ganz kurz keine dieser unerträglichen Schmerzen hat, dann realisiert er, dass er für die anderen, bis auf zwei, so eingestaubt ist wie seine Gitarre ist. Auch für seine damalige Freundin, mit der er ein Leben aufbauen wollte. Sie lebt ihr Leben ohne ihn, mit wem auch immer. Dieses Realisieren schmerzt auf einer anderen Ebene als die unerträglichen körperlichen Schmerzen und Patrick ist wütend deswegen:

„Ich lasse nicht zu, es kann und darf nicht sein, dass ich da draußen vergessen werde, nicht existiere. Es darf nicht sein, das mein Kampf umsonst ist.“

„All das, was ich erreicht habe, lasse ich mir nicht zerstören.“

„Ich habe mich damit abgefunden, dass ich wohl immer allein bleiben und leben werde. Für diese Art Erkrankung zeigt niemand Verständnis, im Gegenteil, man wird umgehend ausgegrenzt. Wie bitteschön soll ich da jemanden kennenlernen, die es wirklich ernst meint? Welches Mädchen, welche junge Frau ist bereit solch ein Opfer zu bringen und wie soll ich sie finden, wenn ich ein Leben in der Isolation leben muss? Vergiss es. Dies gilt auch für andere Freundschaften.“

„Obwohl ich immer wieder bei verschiedenen Personen, die mir früher hinsichtlich Freundschaft was bedeutet haben, nachhakte. Bis auf zwei Freunde ist keiner mehr übrig – ich habe immer alles gegeben und nun… einfach fallengelassen, da man ja nicht mithalten kann und all das andere denen zu nervig und zu kompliziert erscheint.“

Wenigstens mal raus gehen

Bei allem Unglück verloren Patrick und seine Eltern auch noch ihre treueste Weggefährtin. Patricks Mutter hat einen neuen Hund angeschafft, damit ihr Sohn etwas Leben im Haus hat und Trost durch das liebe Tier findet. Die Entscheidung war gut, denn der Hund liebt Patrick sehr und er ihn:

„So gerne würde ich mal für ein paar Stunden einfach nur in die Natur, mit unserem Hund zum Training oder einfach nur mit ihm richtig spielen, noch nicht einmal das ist mir vergönnt.“

Oder einfach in die Saiten hauen und den Frust raus lassen

Wenn Patrick früher einmal Frust hatte, dann war das nicht zu überhören. Er griff seine Gitarre und ließ bildlich gesehen die Fetzen fliegen und sang, dass die Wände bebten. Das kam nicht oft vor, aber wenn, dann wusste jeder im Haus nach zwei Minuten Bescheid. Musik ist eben Leben und sich ausdrücken, raus lassen was auf der Seele drückt. Aber selbst dass, den Frust, die Wut und die Enttäuschung raus lassen, ist für Patrick nicht möglich:

„Gitarre spielen und Singen bedeutet mir so viel, aber auch das lässt mein verfluchter Körper nicht zu. Die Muskelschwäche und Schmerzen bremsen mich immer wieder aus. Vom Sport ganz zu schweigen – Mein Traum vom American Football ist vorbei.“

MCS bedeutet im schwersten Stadium ein „Leben“ in völlige Isolation

Patrick gehört zu den MCS Kranken, denen ein Leben außerhalb der eigenen vier Wände nicht möglich ist. Nicht zu verwechseln, dass diese Menschen nicht unter anderen sein wollen, im Gegenteil der Wunsch und Drang mit anderen etwas zu unternehmen besteht jeden Tag rund um die Uhr. Es ist kein psychisches Problem oder Menschenscheu, der Körper geht auf die Barrikaden, wenn er Chemikalien ausgesetzt ist und das ist man, wenn man seine vier Wände verlässt, zwangsläufig. Autoabgase, Heizungsabgase, parfümierte Mitmenschen, Häuser, aus denen der Weichspülermief wabert. Alles Chemiecocktails, die einem schwer chemikaliensensiblen Menschen kaum eine Chance lassen, sich länger darin zu bewegen.

Extreme Schmerzen, Krampfanfälle, Atembeschwerden, Kollaps, Bewusstlosigkeit, dass kann ein kurzer Kontakt mit der Außenwelt zur Folge haben. Gleiches gilt für Besuch. Kommt jemand zu Besuch, kann die Freude darüber bei jemandem, der so schwer wie Patrick betroffen ist, schnell in ein Desaster münden. Das Deo nicht weggelassen oder Rückstände aus der chemischen Reinigung in der Jacke, Weichspüler, der nicht raus zu waschen war und Dinge die der Besuch selbst nicht wahrnahm. Völliger Schwachsinn? Mitnichten, wer sich die Mühe macht und die Inhaltsstoffe solcher „Alltagsprodukte“ anschaut, ist im Stande, den Umkehrschluss zu ziehen und erkennt, dass die Reaktionen eine nachvollziehbare Konsequenz darstellen bei einem Menschen, dessen Körper hypersensibilisiert ist. Aber wer macht sich diese Mühe? Nicht einmal die meisten Ärzte. Teils aus Unkenntnis, weil sie nie etwas von der Erkrankung gehört haben, teils aus Ignoranz und schlichtem Zeitmangel. Und wenn Ärzte sich nicht schlaumachen und die Krankheit aus Bequemlichkeit als Marotte deklarieren, wie sollen ganz normale Mitmenschen sie dann verstehen?

Patricks Meinung über MCS:

„MCS ist die schlimmste Krankheit, die es gibt, manchmal wünsche ich mir, ich wäre querschnittsgelähmt. Ich weiß das klingt hart, aber da wäre ich nicht so isoliert, alleingelassen, unglaubwürdig und hätte keine Schmerzen. Ich könnte trotz diesem Handikap fast überall hin, reisen, Konzerte besuchen, Freunde treffen, meine Ausbildung evtl. machen und, und, und.“

Die ganze Familie ruiniert

Patricks Eltern sind bereit, alles für ihren Sohn zu tun, damit er sein Leben zurückbekommt. Aber MCS ist zu komplex, dass man die Krankheit mit Schulmedizin und ein paar Naturheilmitteln, etc. bekämpfen kann. Es muss als Erstes ein cleanes Wohnumfeld her. Patrick, als auch sein Vater, bräuchten Wohnraum, der so weitgehend wie möglich chemie- und schimmelfrei ist. Aber wie realisiert man das? Das Haus, in dem sie ihre Wohnung haben, gehört den Großeltern, wegen der Erkrankung von Patricks Vater ist finanziell kein Sprung mehr zu machen.

Hilfe durch Behörden? Nein

Eigentlich wäre Patrick ein Fall für die Behörden, um Hilfe zu erhalten. Aber weil er keinen Schulabschluss hat, gibt es auch keine finanzielle Unterstützung, keine Grundsicherung; das ist für den jungen Mann entwürdigend. Seine Mutter sagt:

„Wir kriegen von nirgendwoher Hilfe, ganz im Gegenteil. Wir werden schikaniert von den Behörden und man stellt Forderungen an Patrick, die er nicht erfüllen kann. Jeder, der bis drei zählen kann, muss das einsehen. Aber niemand macht sich die Mühe, das Elend anzuschauen, stattdessen bekommt man Beschlüsse, die jeglicher Menschlichkeit entbehren. Ja, und quasi existiert Patrick nur auf dem Ausweis. Die Krankheit meiner beiden Männer hat uns ruiniert und die, die es wissen und ändern könnten, schauen einfach zu!“

„Viele fragen mich, wie kann das gehen, diese totale Isolation seit über 2 Jahren. Sie sagen zu mir: „da würde ich verrückt,…. also ich würde durchdrehen,…das stelle ich mir schlimm vor, und, und…“ Sie fragen auch: „Woher nimmt Patrick, woher nehmt ihr die Kraft?“

Die Antwort von Patricks Mutter: „Man kann so leben, Ihr seht es ja an Patrick und an uns. Irgendwie sind wir wohl Kämpfernaturen und was wollen wir tun außer tapfer und mutig zu sein und einen starken Willen zum überleben hochzuhalten? Der Kampf um die Gerechtigkeit macht einen zusätzlich stark.“ Das ist, was Patricks Mutter nach außen sagt, aber in ihrem Inneren denkt sie oft, wie lange spielt der Körper, sprich, der Herzmuskel da noch mit? Jeden Tag steht sie rund um die Uhr ihren „Mann“. Jeder Tag ist eigentlich ein Überlebenskampf. Für Patrick, als auch für seinen Vater.

Wunsch: Eine menschliche Entscheidung

Das, was Patrick und seine Eltern seit März 2009 zuteilwurde, ist erschütternd. Seine Eltern hatten mit ihm zusammen einen Antrag zur Feststellung seines Behinderungsgrades gestellt. Jetzt soll ein Gerichtsbeschluss dazu führen, dass der 19 -jährige Mann, der den ganzen Tag unter unerträglichen Schmerzen und Reaktionen leidet, in ein chemikaliengeschwängertes Krankenhaus soll. Man sei dort auf Notfälle eingerichtet.

  • Was, wenn er dort, wie vom Medizinischen her zu erwarten, völlig kollabiert? Wer trägt dann dafür die Verantwortung?
  • Wer zahlt den Aufenthalt in einer Umweltklinik im Ausland, weil es in Deutschland keine gibt?
  • Kann man ihn mit Reanimierung und dem normalen Notfallprocedere wieder auf die Beine stellen?
  • Was, wenn nicht?

In Deutschland gibt es bekanntermaßen keine einzige Klinik, die Umweltbedingungen vorweisen kann, die einem schwer Chemikaliensensiblen auch nur annähernd entgegenkämen.

Bisher statt Hilfe nur Kosten verursacht

Der Verwaltungsaufwand, der bislang betrieben wurde, um Patrick, einem 19-Jahrigen mit ungebrochenem Lebenswillen, jegliche Hilfe zu verweigern, hat jetzt schon Unsummen gekostet. Rechtmäßig besteht die Möglichkeit Schwerkranke, die das Haus nicht verlassen können, in den eigenen vier Wänden zu begutachten. Für Patrick wäre es ein Akt von Menschlichkeit, dies zuzulassen. Damit wäre das untragbare Risiko für den jungen Mann, der nichts weiter möchte als dass seine Behinderung festgestellt wird, genommen. Seine Behinderung und seine Erkrankung ist feststellbar und nirgendwo besser als in seinem eigenen Zuhause, wo jeder sich mit eigenen Augen überzeugen kann, was die Krankheit vom Erkrankten und seiner Familie abfordert.

Autoren: Silvia K. Müller und Kira, CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. Juli 2011

Anm.: Patricks Unterlagen liegen CSN vollständig vor.

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Asbest ist verboten, die Zahl der Opfer wächst trotzdem noch lange weiter

Das krebserregende Mineral lauert in Nachtspeicheröfen und vielen Produkten

Von 1980 bis 2004 starben in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt rund 11.000 Menschen an einer Asbest-bedingten Erkrankung. Die Zahl der jährlichen Opfer hat schon seit längerer Zeit die Tausender-Marke überschritten. Die Berufsgenossenschaften rechnen bei Asbest – bedingten Erkrankungen erst etwa ab dem Jahr 2015 mit dem Rückgang dieser Zahlen. Bis dahin werden nach Schätzungen bis zu 20.000 Todesopfer durch Asbest zu beklagen sein. Seit fast 2 Jahrzehnten ist die Herstellung und Verwendung asbesthaltiger Produkte in Deutschland verboten.

Asbest, das unvergängliche Mineral

Die Bezeichnung „Asbest“ kommt vom griechischen Wort „Asbestos“, was so viel wie unauslöschlich oder auch unvergänglich zu Deutsch heißt und im Gesamten eine Gruppe von feinfaserigen und natürlich vorkommenden Mineralien betitelt. Große Gruppenvertreter sind zum Beispiel die Amphibolasbeste oder auch der Serpentinasbest.

Asbeste

Amphibolasbest sind dunkle oder braune Asbeste, die man auch als Hornblende betitelt. Allgemein gehören zu dieser Asbestsorte fünf Vertreter:

  • Krokydolith (weitere Bezeichnung Riebeckite, Blauasbest, Kapasbest)
  • Aktinolith (weitere Bezeichnung Actonolith)
  • Tremolith
  • Anthophyllith
  • Amosit (weitere Bezeichnung Grunerit, Braunasbest)

Amosit – Braunasbest

Vorsicht ist bei der Betitelung „Amosit“ gegeben, weil dieser Begriff bzw. dessen Synonym „Braunasbest“, auch oftmals allgemein für alle Amphibolasbeste genutzt wird. Amphibolasbeste gelten als Magnesiasilikate, die neben dem Magnesium auch Calcium, Eisen und Natrium enthalten. Man findet diese Asbestarten vor allem in älteren Hitzeschutzverkleidungen, Brandschutzplatten, Bremsbelägen, Klebstoffen, Dichtungsmassen, Pflanzgefäßen, Wellplatten, Rohre und andere Asbestfaserprodukten aber auch in Bodenbelägen, Anstrichen, Kitten und Spritzmassen. Amphibolasbeste gelten als äußerst giftig und können zu sehr ernsten Gesundheitsschäden und selbst zu Krebs führen.

Serpentinasbest – Weißasbest

Serpentinasbest ist eine weiße oder hellgraue Asbestart, die auch als „Chrysotilasbest“ oder „Weißasbest“ betitelt wird. Diese Asbestsorte machte einmal 94% der Weltasbestproduktion aus. Im Gegensatz zu Amphibolasbest verfügt der Serpentinasbest über eine bessere Beständigkeit gegen Laugen, jedoch zeigt er sich als unbeständig gegenüber Säuren. Die Verwendung war aber nicht weniger vielfältig, als die seiner Verwandten, so findet man diesen Asbest auch in diversen alten Elektrogeräten, Nachtspeicheröfen, Asbestzementprodukten, Klebstoffen, Fußbodenbelägen und vielem mehr. Wie auch die Amphibolasbeste ist auch der Serpentinasbest äußerst giftig. Es besteht auch hier die Gefahr ernster Gesundheitsschäden bei längerer Exposition durch Einatmen und auch dieser Asbest erzeugt Krebserkrankungen.

Feinste Fasern bergen große Gefahr

Typisch für alle Asbestarten ist die leichte Zerfaserbarkeit und Spaltbarkeit zu feinsten Fasern, die über die Atemluft in den Organismus gelangen können. Wie angedeutet können diese Fasern beim Menschen Krebs auslösen und tun dies oftmals im Bereich der Atemwege und im Brust- und Bauchraum. Die ersten Krankheitserscheinungen treten jedoch in aller Regel nicht sofort auf. Noch nicht einmal Atemwegsreizungen müssen unabdinglich sofort auftreten. Zumeist merken die Geschädigten erst Jahre, nicht selten Jahrzehnte später, dass sie ernsthaft erkrankt sind. Die Gefahrenstoffverordnung stuft Asbest als besonders gefährlichen, krebserregenden Gefahrenstoff ein. Eben aus diesem Grunde wurde für alle Asbestsorten, die eben genannt wurden, die TRK (Technische Richtkonzentration) ausgesetzt wodurch Arbeitnehmer mit diesem Stoff nicht mehr in Kontakt kommen dürfen. Ausnahme in Bezug auf den Kontakt zu Arbeitnehmern stellen Sanierungsarbeiten dar, hier gilt ein TRK-Wert von 50.000 Fasern/m3 und eine Auslöseschwelle von 12.500 Fasern/m3. Die aktuellen Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) für den Umgang mit Asbest (Asbest Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten) finden Sie in der TRGS 519.

Eine kostenpflichtige Onlineversion zur TRGS ist hier zu finden: Umwelt-Online

Asbestverbot

In Deutschland sind z.B. Produkte aus Asbestzement seit dem 1.1.1992 verboten. Das europaweite Verbot in Bezug auf Asbest gilt seit dem 1.1.2005, was allerdings nicht heißt, dass heute bereits alle Gefahren gebannt sind. Große Mengen asbesthaltiger Baustoffe sind noch immer verbaut. Besonders kritisch sind Baustoffe, die nicht auf den ersten Blick mit dem Gefahrstoff Asbest in Verbindung gebracht werden. Hierzu zählen insbesondere asbesthaltige Fußbodenbeläge oder asbesthaltige Klebstoffe.

Ein Material mit fast unendlich vielen Einsatzmöglichkeiten

Früher wurde Asbest aufgrund seiner Eigenschaften, z.B. der nicht vorhandenen Brennbarkeit, oftmals im Bereich des Brandschutzes genutzt, aber auch für eine Reihe anderer Produkte. Grob kann man schreiben, dass zwei Produktgruppen aus Asbest hergestellt wurden; zum einen der Weichasbest, den man oft für Produkte wie Spritzasbest, Asbestpappen und Asbestpapier nutzte und den Hartasbest (Asbestzement), der für Produkte wie Asbestzementplatten, Bremsbeläge und asbesthaltige Dachplatten genutzt wurde. Bei schwachgebundenen asbesthaltigen Produkten (Weichasbest) beträgt der Asbestanteil in der Regel über 60%. Das heißt hier liegt ein sehr hoher Asbestgehalt vor, der auch nicht fest gebunden ist, und somit geht hiervon eine höhere gesundheitliche Gefahr aus wie bei Hartasbestprodukten, welche in der Regel einen Asbestgehalt von um die 20% aufweisen.

Altlast Nachtspeicheröfen

Produkte aus Asbest findet man aber auch immer noch in alten Geräten wie zum Beispiel ältere Nachtspeicheröfen sowie elektronischen Schalteinrichtungen. Die überwiegende Zahl der vor 1977 hergestellten Nachtspeicheröfen enthalten asbesthaltige Bauteile, teilweise wurde Asbest auch noch bis 1984 verwendet. Ob Ihr Nachtspeicherofen asbesthaltige Materialien enthält, können Sie mit Hilfe der Typen- und Fabrikationsnummer vom Hersteller erfahren. Manchmal bieten die Energielieferanten oder Abfallämter Auskunft zu möglichen Asbestgehalten in Nachtspeicheröfen. Ein gutes Beispiel gibt hier das Abfall- und Wirtschaftsamt im Landkreis Wittmund im Internet.

Hier werden einige Fabrikate aufgezählt die Asbest enthalten oder eben auch nicht:

Abfallwirtschaft – Info für Haushalte

Gesetz regelt Außerbetriebnahme von Nachspeicheröfen

Seit dem Jahr 2009 sind Nachtspeicheröfen auch in der in Deutschland gültigen Energieeinsparverordnung (EnEv) berücksichtigt, und nicht nur berücksichtigt, sondern direkt auch deren Außerbetriebnahme geregelt. So findet sich in § 10a folgende Angabe:

Außerbetriebnahme von elektrischen Speicherheizsystemen

(1)

1- In Wohngebäuden mit mehr als 5 Wohneinheiten dürfen Eigentümer elektrische Speicherheizsysteme nach Maßgaben des § 10 Abs. 2 nicht mehr betreiben, wenn die Raumwärme in den Gebäuden ausschließlich durch elektrische Speicherheizsysteme erzeugt wird.

2- Auf Nichtwohngebäude, die nach ihrer Zweckbestimmung jährlich mindestens 4 Monate und auf Innentemperaturen von mind. 19°C beheizt werden, ist Satz 1 entsprechend anzuwenden, wenn mehr als 500 m2 Nutzfläche mit elektrischen Speicherheizsystemen beheizt werden.

3- Auf elektrische Speicherheizsysteme mit nicht mehr als 20 W Heizleistung pro m2 Nutzfläche einer Wohnungs-, Betriebs- oder sonstigen Nutzungseinheit sind die Sätze 1 und 2 nicht anzuwenden.

(2)

1- Vor dem 1. 1. 1990 eingebaute oder aufgestellte elektrische Speicherheizsysteme dürfen nach dem 31.12.1019 nicht mehr betrieben werden.

2- Nach dem 31.12.1989 eingebaute oder aufgestellte elektrische Speicherheizsysteme dürfen nach Ablauf von 30 Jahren nach dem Einbau oder Aufstellen nicht mehr betrieben werden.

3- Wurden die elektrischen Speicherheizsysteme nach dem 31.12.1998 in wesentlichen Bauteilen erneuert, dürfen sie nach Ablauf von 30 Jahren nach Erneuerung nicht mehr betrieben werden. Werden mehrere Heizaggregate in einem Gebäude betrieben, ist bei Anwendung der Sätze 1, 2. oder 3 insg. auf das 2. älteste Heizaggregat abzustellen.

Ausnahmeregelungen

Somit hat sich in vielen Bereichen der Einsatz und die Gefahr, welche von Nachspeicheröfen ausgeht, erledigt, wenn hier nicht auch noch ein 3. Absatz wäre, der einige Ausnahmen schildert, wie zum Beispiel, dass der gesamte 1. Abs. nicht anzuwenden ist, wenn öffentlich rechtliche Pflichten entgegen stehen und einiges anderes mehr.

Asbest, ein Problem, das noch lange existieren wird

Zusammengefasst kann und muss festgestellt werden, dass wir auch in der Gegenwart, nach beinahe 20 Jahren des Asbestverbots, noch immer eine ganze Menge an asbesthaltigen Produkten in unserem Alltag vorfinden und es kann mitnichten begonnen werden, diesen Fakt lapidar in die Geschichte einzuordnen und als für die heutige Zeit übertrieben abzukanzeln. Demnach möchte ich diesen kurzen Text zum Thema Asbest auch nutzen, um Ihnen abschließend den Rat auf den Weg zu geben, sich bei jeglichem Verdacht in Bezug auf ein Asbestprodukt direkt an einen Fachmann zu wenden. Bitte nur und ausschließlich einen für den Umgang mit Asbest ausgebildeten Fachmann. Machen Sie keine Experimente, reißen Sie diesen akuten Gefahrenstoff nicht in unbedachter Eigenregie ab und schonen Sie ihre Gesundheit. Es gibt ausgebildete Fachleute, die wissen, wie man sich solcher Probleme entledigt.

Autor: Ing. Gerhard Holzmann, Juni 2011

Sachverständigenbüro Holzmann-Bauberatung

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Weitere interessanter CSN Blogs zum Thema:
Der Stoff aus dem die Schulen sind – Teil IV – „Gebaut für alle Ewigkeit: Deutschlands Asbest Schulen“

Weitere Blogs des Bausachverständigen Gerhard Holzmann:

Dienstanweisung soll Gesundheit der Mitarbeiter verbessern

Arbeitgeber verlangt: Kein Parfüm, keine Kekse, keine Limonade, keine Pommes…

Die Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde in New York müssen sich grundlegend umstellen. Die neue Dienstanweisung mit dem Titel „Life in the Cubicle Village“ verlangt drastische Änderungen in vielen Bereichen des Arbeitsplatzes. Die Mitarbeiter werden angehalten, keine duftenden Körperpflegemittel oder Parfüm zu benutzen und ihre Essgewohnheiten auf dem Arbeitsplatz umzustellen. Die New Yorker Gesundheitsbehörde will mit gutem Bespiel vorangehen, um den Bewohnern der Millionenstadt tatsächlich ein Vorbild zu sein. Das Essen von Keksen ist mit Inkrafttreten der neuen Dienstanweisung genauso Vergangenheit, wie der Verzehr von frittierten Nahrungsmitteln. Nicht allen Angestellten gefällt das, sinnvoll ist es dennoch, wenn man die Vorbildfunktion der Behörde ernstnimmt.

Behörde stellt Gesundheit vor persönliche Interessen

Das New Yorker Department of Health hat in der Vergangenheit manches Gesetz zur Verbesserung der Gesundheit der Bewohner der Weltstadt durchgesetzt, das Aufsehen erregte. Generelle Rauchverbote an den Stränden des Stadtbezirks waren genauso erstmalig, wie das Verbot von gehärteten Fritierfetten in den Fast Food Restaurants der Stadt.

Mit der neuen Leitlinie verdeutlicht die Gesundheitsbehörde, dass man Verbote, die der Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung dienen, auch für sich selbst ernstnimmt und umsetzt. Nicht alle Mitarbeiter sind glücklich über die Änderungen in der Dienstanweisung, manche empfinden sie als unerträgliche Schikane, auch weil bei Nichteinhaltung eine Geldstrafe droht. Andere hingegen sind froh darüber und haben erkannt, dass die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Angestellten sich verbessern werden durch die Neuerungen.

Arbeitgeber verlangt: Duftstoffe und Parfüm weglassen

„Gerüche verbreiten sich genauso leicht wie Geräusche innerhalb der Wände von „Cubicle“, lässt die New Yorker Gesundheitsbehörde ihre Angestellten wissen und erläutert die Notwendigkeit, auf Duftstoffe, Parfüm etc. zu verzichten, da einige Personen sehr empfindlich auf die Gerüche von Parfüm, Cologne und anderen parfümierten Produkten reagieren. Man bittet deshalb bei guter Körperhygiene, auf Produkte mit wahrnehmbarem Geruch zu verzichten.

Keine Desinfektions- und Reinigungsmittel oder Raumdüfte mitbringen

Weil manche handelsüblichen Reinigungs- und Desinfektionsmittel gesundheits- schädliche Chemikalien enthalten, verlangt die Gesundheitsbehörde, dass Angestellte solche Produkte zu Hause lassen und nicht mit auf den Arbeitsplatz bringen. Wenn ein Mitarbeiter ein Reinigungsmittel benötigt, kann er sich an den Reinigungsservice wenden, der Produkte bereithält, die den Sicherheitsstandards Genüge tragen. „Lufterfrischer“ oder Raumsprays sind wegen ihrer Inhaltsstoffe, die der Gesundheit schaden können, auf dem Arbeitsplatz in Cubicle Village ebenfalls verboten.

Gesunde Ernährung statt süß und fettig

Pommes bei Meetings, Veranstaltungen der Behörde oder bei der Geburtstagsfeier eines Mitarbeiters? Ein „No Go“ beim New Yorker Department of Health. Frittiertes ist nicht erlaubt, und wenn es Kuchen gibt, sind keine Kekse gestattet. Stattdessen sollen Vollkorn Kräcker gereicht werden. Das bevorzugte Getränk soll gefiltertes Wasser sein, weil es gesünder ist und um Müll zu vermeiden. Wenn ein Angestellter seinen Kollegen trotzdem etwas anderes anbieten möchte, darf das Getränk 25 Kalorien pro großes Glas nicht überschreiten. Gefiltertes Wasser muss dennoch auf dem Tisch stehen. Durch diese Vorschrift soll Gesundheit und Umwelt geschont werden.

Behörde will sich an das halten, was sie selbst „predigt“

Die vollfarbige Broschüre mit neuen Dienstanweisungen der New Yorker Gesundheitsbehörde mag überspannt auf manchen wirken. Andererseits verlangt die Behörde eigentlich nicht mehr als das, was sie der Bevölkerung „predigt“, um die Gesundheit der Menschen in New York zu verbessern. Man möchte erreichen, dass Übergewicht, Herzkrankheiten durch fettes und zu salziges Essen, Allergien, Asthma und andere Erkrankungen, die in der Bevölkerung häufig anzutreffen sind und durch ungesunde Lebensweise verursacht oder verstärkt werden, mittelfristig gesehen, weitgehend der Vergangenheit angehören.

New Yorkern zu „predigen“, auf zu salziges, fettiges Fast Food, Alkohol, Zigaretten und übersüße Donuts zu verzichten, aber selbst zu konsumieren? Oder Limonaden an Schulen zu verbieten, aber auf Mitarbeiterfesten und in den Kantinen welche anzubieten? Stimmt schon, eine Vorbildfunktion hätte das in der Tat nicht.

Nach zwei, drei Jahren wird das Department of Health belegen können, dass die neuen Dienstanweisungen tatsächlich keine willkürliche Schikane sind, sondern Maßnahmen sind, die der Gesundheit dienen. Es ist durchaus zu erwarten, dass eine Auswertung der Fehlzeiten der rund 3000 Mitarbeiter, eine Analyse des Ausscheidens aus dem Beruf wegen Krankheit und Todesfälle verursacht durch degenerative Erkrankungen, eine positive Bilanz aufweisen werden. Mit solchen Zahlen könnte die Gesundheitsbehörde den New Yorkern schwarz auf weiß beweisen, dass gesunde Lebensführung, gute Ernährung und Verzicht auf chemiegeladene Produkte sich positiv auswirken.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 20. Juni 2011

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Ergebnis der WHO – Anhörung zu MCS und EHS

Ende Mai 2011 fand im Hauptquartier der WHO in Genf eine Anhörung von MCS Organisationen, Wissenschaftlern und Rechtsanwälten durch WHO Repräsentanten statt. In den meisten Ländern weltweit gibt es keinen Verschlüsselungscode für die Umweltkrankheiten MCS – Multiple Chemical Sensitivity und EHS – Elektrohypersensitivität. Das Anliegen der Organisationen bestand darin, eine Petition zu überbringen, die fordert, dass MCS und EHS einen für alle Länder gültigen Verschlüsselungscode als Krankheit erhält. Nachfolgend eine Zusammenfassung der spanischen Organisation ASQUIFYDE über das Treffen mit den WHO Repräsentanten.

RESÜMEE DES TREFFENS IM WHO-HAUPTQUARTIER, Genf 13. Mai 2011

Teilnehmer:

  • Dr. María Neira. Chef der Abteilung für Öffentliche Gesundheit und Umwelt
  • Dr. Annette Prüss-Ustün. Teamleiterin aus Öffentliche Gesundheit und Umwelt
  • Dr. Ivan D. Ivanov. Aus den Abteilungen Arbeitsmedizin und Öffentliche Gesundheit und Umwelt
  • Dr. T. Bedirhan Üstün. Koordinator für Klassifikationen, Terminologie und Standards, Abt. für Gesundheitsstatistik und Information
  • Frau Nada Osseiran. Kommunikationsbeauftragte der Abt. Öffentliche Gesundheit und Umwelt
  • Dr. Anunciación Lafuente. Professor für Toxikologie an der Universität von Vigo und Vizepräsident der Spanischen Toxikologie-Vereinigung AETOX (Asociación Española de Toxicología)
  • Dr. Julián Márquez. Klinischer Neurologe und Neurophysiologe, spezialisiert auf Patienten mit Multiple Chemical Sensitivity und Elektrohypersensitivität
  • Frau Isabel Daniel. Auf Neurophysiologie spezialisierte Krankenpflegerin
  • Herr Jaume Cortés. Mitglied der Anwaltsgruppe Ronda. Ein auf Arbeitsrecht und Umwelterkrankungen (MCS und EHS) spezialisierter Anwalt und Mitglied des (spanischen) Nationalen Komitees für die Anerkennung von Multiple Chemical Sensitivity
  • Frau Sonia Ortiga. Auf Umweltrecht spezialisierte Anwältin
  • Frau Francesca R. Orlando. Vizepräsidentin der italienischen Vereinigung AMICA (Associazione per le Malattie da Intossicazione Cronica e/o Ambientale)
  • Frau Francisca Gutiérrez. Präsidentin der spanischen Vereinigung ASQUIFYDE (Asociación Estatal de Afectados por Síndromes Sensibilidad Química Múltiple y Fatiga Crónica, Fibromialgia y para la Defensa de la Salud Ambiental) und Mitglied des (spanischen) Nationalen Komitees für die Anerkennung des Multiple Chemical Sensitivity

Jaume Cortés eröffnet die Diskussion mit ein paar grundlegenden Feststellungen und Forderungen zum Thema Chemical Sensitivity (MCS) und Elektrohypersensitivität (EHS).

a) MCS und EHS sind reale Gesundheitsprobleme.

b) Diese Feststellung kann belegt werden:

  • Mittels medizinischer Diagnostik
  • Betriebsprüfungsberichte stellen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Belastungen und Erkrankungen her
  • Es gibt wissenschaftliche Studien, die ihre Existenz bestätigen
  • Diese Erkrankungen sind von vom Europäischen Parlament anerkannt, ein Beleg, der im heute überreichten Dossier enthalten ist
  • In Spanien gibt es 200 Urteile zugunsten Erkrankter, was die Evidenz erhärtet
  • In Spanien bekommt man als Kranker (finanzielle) „Entschädigung“

c) Diese Erkrankungen müssen in die internationale Klassifikation von Erkrankungen der WHO (ICD) aufgenommen werden, denn was eine rechtliche Anerkennung besonders schwierig macht, ist genau dieses Fehlen eines Codes für diese Erkrankungen im ICD.

Danach ergriff Dr. Julián Márquez das Wort, indem er erklärte, dass die fehlenden Kenntnisse des medizinischen Personals ein Problem der Patienten darstellen, da diese Erkrankungen wenig oder gar nicht bekannt sind.

Im Falle von MCS sind Organophosphat-Insektizide bei einem hohen Prozentsatz der Fälle die Ursache des Krankheitsausbruches. Bei den meisten Patienten liegt keine [akute] Vergiftung vor, da sie nicht an vergiftungsbedingten Erkrankungen leiden. Die klinischen Manifestationen beginnen bei einer Exposition und verbessern sich, wenn die Kranken den toxischen Auslöser meiden.

MCS ist eine multisystemische Erkrankung und in ungefähr 90 Prozent der Fälle ist das Nervensystem betroffen. Es kommt zu einer gravierenden neurokognitiven Erkrankung mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Taubheit, Muskelschwäche, Schwindelgefühl; zu allen gesellen sich multisystemische Störungen, Atemwege, Herz-Kreislauf, hormonales System usw. Bei Frauen gibt es häufig Störungen des Menstruationszyklus und ein großer Prozentsatz an starker Libidoabschwächung.

Dr. Márquez erinnert daran, dass Umweltunverträglichkeit von der WHO selbst anerkannt wird, wenn es heißt, dass eine niedrige Dosis einer Substanz nicht nur lästig sein, sondern klinische Probleme hervorrufen kann: Irritationen, Brennen, Kopfschmerzen usw.

Die gesundheitlichen Reaktionen auf Chemikalien oder elektromagnetische Strahlungen halten bei jedem Betroffenen unterschiedlich lange an, und die Manifestationen unterscheiden sich ebenfalls. Wenn der Kranke wiederholt belastet wird, verschlimmern sich die Symptome gewöhnlich oder haben das Auftreten neuer Symptome zur Folge.

Die Diagnose sowohl von MCS als auch von EHS ist klinisch. Für MCS steht ein Fragebogen zur Verfügung, der dem Kliniker hilft. Es handelt sich um QEESI (Quick Environmental Exposure and Sensitivity Inventory). Mit diesem Fragebogen wird versucht, die Symptome des Patienten zu objektivieren.

Diese Diagnosen setzen jedoch ein Protokoll voraus, das ein Reihe von Untersuchungen erfordert. Eine vollständige neurologische Untersuchung, sowohl zentral als auch peripher, eine neurophysiologische Untersuchung (EEG, optisch evozierte Potentiale, akustisch evozierte Potentiale des Hirnstamms, somesthetische Potentiale (körperempfindungsgebunden) und kognitives Potential P300 [typische Welle, 300 ms nach dem Reiz]), funktionelle Bildgebung (insbesondere MRI(Magnetresonanz/Kernspin) und SPECT(Single Photon Emission Computed Tomography) von Schädel und Hirnanhangdrüse), gezielte analytische Untersuchungen, Hormonuntersuchungen usw. Sehr interessant ist weiterhin die Durchführung einer neuropsychologischen Untersuchung durch Spezialisten, um nach einer frontalen oder frontal-temporalen Dysfunktion zu suchen, als auch den Grad der neurophysiologischen Verletzung festzustellen. Je schwerwiegender das neuropsychologische Problem ist, desto höher ist der Grad der Störung und die Daten aus den neurophysiologischen und neuropsychologischen Untersuchungen sind entsprechend, die der bildgebenden Verfahren sind es weniger. Solche Untersuchungen müssen von Fachleuten der Neurophysiologie durchgeführt werden.

Der Verlauf dieser Erkrankungen (MCS und EHS) ist chronisch und die Situation des Kranken ist noch schlimmer, wenn sie oder er in einer toxischen Umgebung lebt, wie z.B. in der Nähe von Tarragonas petrochemischer Industrie oder inmitten elektromagnetischer Strahlung: Emissionen in der Nachbarschaft, Mobilfunkantennen, etc. Der Kranke muss eine erneute Belastung vermeiden.

Es ist unverzichtbar, dass der Kranke festen Kontakt zu einem klinischen Zentrum hat, wo sie oder er diagnostiziert werden kann, um Zweifel auszuräumen und das Rat, soziale und laboranalytische Hilfe anbietet, und wo sie oder er rechtzeitig ärztliche Berichte erhalten kann.

Aufgrund der begrenzten Zeit gab Dr. Neira das Wort an Dr. Üstün ab, Koordinator für den ICD aus der WHO-Abteilung für Statistik.

Die WHO ist seit 1948 für die internationale Klassifikation von Erkrankungen zuständig und alle zehn Jahre wird diese Klassifikation aktualisiert. Derzeit arbeitet die WHO an der nächsten revidierten Fassung, welche bis zum Jahre 2015 fertig sein soll.

Die WHO ist sich des Zusammenhanges, der zwischen bestimmten Erkrankungen und der Umwelt besteht, bewusst. Im Moment gibt es heftige Diskussionen über die Aufnahme oder Nichtaufnahme bestimmter Erkrankungen und die WHO nimmt die ausgelösten Kontroversen zur Kenntnis.

Die Revisionen der Fassung von 2010 wurden von einer Expertengruppe gemacht. Zwischen 2001 und 2009 gab es jährliche Überprüfungen durch Expertenteams in Beisein der Gesundheitsminister aus den Mitgliedstaaten. Dieses Modell wurde allerorten kritisiert, weil die Teilnahme ausschließlich staatlicher Delegationen vorgegeben war und die Entwürfe nicht den wirklichen Notwendigkeiten entsprachen. Wir haben diese Arbeitsmethode überarbeitet, um den Erfordernissen gerecht zu werden und die Teilnahme der Öffentlichkeit über eine virtuelle Plattform zu ermöglichen.

Der ICD ist ein Instrument, das auf wissenschaftlicher Plausibilität beruht und sich einer Methodik bedient, welche besondere Anforderungen an wissenschaftliche Studien stellt. Es müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Kausalität, Ätiologie, diagnostische Prüfung, etc.

Dr. Neira ergreift das Wort, um zu erklären, dass die vom Komitee der Betroffenen (also unsere Delegation) eingereichte Dokumentation dieser Methodik gerecht werden sollte.

Aufgrund seiner Erfahrungen aus der Grundlagenforschung weist Dr. Lafuente darauf hin, dass es wissenschaftliche Literatur gibt, die dafür spricht, dass es angemessen ist, beide Erkrankungen anzuerkennen und in den ICD aufzunehmen.

Dr. Üstün erklärt, dass die Revisionen von wissenschaftlichen Beraterteams gemacht werden. Zuerst müsse man die umweltbedingten Erkrankungen kennen und wissen, ob es Berufserkrankungen sind, und zweitens müsse man die Todesrate statistisch erfassen.

Francisca Gutiérrez fragt Dr. Üstün, wie es dazu kommt, dass ein paar Länder wie Deutschland, Japan, Österreich und Luxemburg MCS in ihrem ICD anerkannt haben, die restlichen Länder aber nicht. Dies erzeugt für Kranke in verschiedenen Ländern eine ungleiche Situation.

Dr. Üstün erklärt, dass der ICD ein weltweiter Standard ist, trotzdem kann aber jedes Land in Ausübung seiner Souveränität notwendige Änderungen vornehmen.

Nach den Worten von Dr. Üstün wird am 16. Mai 2011 ein sehr allgemein gehaltener Entwurf dieser Revision präsentiert und im Mai 2012 könnten sie einen detaillierteren Entwurf vorbereitet haben. 2015 werden sie im Rahmen der Weltgesundheitsversammlung die Ergebnisse bekannt geben.

Im Verlauf dieser Arbeit wird es eine wissenschaftliche Debatte darüber geben, wie man diese Art von Erkrankungen einordnet. Dies ist eine komplexe Angelegenheit, da es häufig kein Einvernehmen über die medizinischen Besonderheiten gibt, nach denen man eine bestimmte Krankheit einer Klasse zuordnet. Das ist gerade bei MCS und EHS der Fall, da es sich um Multisystem-Erkrankungen handelt.

Der Klassifikationsentwurf wird offen und transparent sein und es wird auf der WHO-Homepage Informationen geben.

Dr. Neira glaubt, dass es für Gruppen mit diesen Erkrankungen (MCS und EHS) interessant sein könnte, zu anderen Arbeitsgruppen Kontakt aufzunehmen, solche die z.B. im Zusammenhang mit REACH entwickelt worden sind. (REACH ist das Regelwerk zur „Registrierung, Untersuchung(Evaluation), Genehmigung und Einschränkung (Authorization) von Chemikalien“. Es trat am 1. Juni 2007 in Kraft. Es rationalisiert und verbessert das frühere gesetzliche Rahmenwerk der EU zu Chemikalien.)

Sowohl Francisca Gutiérrez als auch Francesca R. Orlando melden sich zu Wort, um Dr. Neira ihren Standpunkt zu verdeutlichen, dass die organische und erworbene Entstehung dieser Erkrankungen wissenschaftlich nachgewiesen wurde und dass nur aufgrund dieser Evidenz angemessene Lösungen gefunden werden können und dass es auch sinnvoll ist, an der Prävention zu arbeiten, da es sich um verhinderbare Erkrankungen handelt.

Francisca Gutiérrez verweist Dr. Neira auf die Besorgnis von Betroffenen-Vereinigungen über die zunehmende Zahl junger Leute, einschließlich Kinder, die betroffen sind; einige haben auch Probleme in der Schule. Frau Gutiérrez erklärt, dass dies mit der Prävalenz weiblicher Erkrankter zusammen hängt, durch die weibliche Fortpflanzungsfunktion und die Übertragung der toxischen Last, welche die Mutter in ihrem Leben angesammelt hat, und insbesondere durch die Belastung während der Schwangerschaft und der Stillzeit.

Francesca R. Orlando fragte die WHO-Offiziellen, ob es irgend ein Positionspapier zu MCS gäbe. Dr. Neira und Dr. Üstün erwiderten, dass es nach ihrer Kenntnis kein Dokument von ihren jeweiligen Abteilungen gibt.

Dies ist besonders für jene Länder von großer Bedeutung, in denen die Anerkennung von MCS mit Hinweis auf eine „mutmaßliche“ IPCS-WHO Position (International Programme on Chemical Safety) zur Annahme der Definition „Idiopathische Umweltunverträglichkeit“ oder „IEI“ gestoppt wurde, die 1996 Ergebnis eines Workshops in Berlin war.

Dr. Neira schlug vor, dass die betreffenden Vereinigungen zu den verschiedenen internationalen Gruppen der WHO, die am ICD 11 arbeiten, Kontakt aufnehmen.

Dr. Lafuente bekräftige gegenüber den Vertretern der WHO, dass an MCS und EHS Erkrankte Individuen mit hoher Sensitivität sind, da sie auf sehr niedrige Dosen von Xenobiotika reagieren, welche beim Gros der Bevölkerung keine Reaktion hervorrufen. Das heißt, in einer graphischen Darstellung des Dosis-Reaktions-Zusammenhanges befinden sich diese Erkrankten am ganz linken Ende der Gauß-Glocke (statistische Normal-Verteilungskurve).

Francisca Gutiérrez weist Dr. Neira darauf hin, dass das, was Dr. Lafuente erklärte, keine geringe Zahl von erkrankten Menschen bedeutet, sondern ziemlich das Gegenteil. Wir sehen uns einer großen Zahl bereits diagnostizierter Menschen gegenüber und außerdem erleben etwa 12 bis 15 Prozent der Bevölkerung die Gegenwart von chemischen Stoffen auf irgendeine Art als belästigend. Für EHS betragen die Zahlen der betroffenen Menschen etwa 3 bis 6 Prozent der Bevölkerung, doch diese Zahlen nehmen beständig zu.

Dr. María Neira, die immer großes Entgegenkommen gezeigt hatte und mehr Zeit als erwartet aufbrachte, begleitete uns (die Delegation) bis nach draußen, obwohl sie schon auf dem nächsten Termin sein sollte. Sie erklärte, uns weiterhin zu Verfügung zu stehen.

Das Komitee der Betroffenen dankt Dr. Neira und ihrem Team für das Entgegenkommen und die Aufmerksamkeit angesichts der Bedeutung der Thematik.

EINIGE FOLGERUNGEN DES KOMITEES DER BETROFFENEN

  1. Die Regeln zur Neuanpassung des ICD wurden geändert. Früher konnten nur staatliche Gesundheits-Delegationen mitwirken. Heute ist alles offener, insbesondere die Möglichkeit über eine virtuelle Plattform an der Entwicklung des neuen Codes teilzunehmen, was von Vorteil sein könnte. Dank der „WHO Kampagne 2011“ können weltweit Arbeitsgruppen zur Mitarbeit eingerichtet werden, für beide Erkrankungen, koordiniert und mit einvernehmlichen Kriterien.
  2. Wir glauben, dass es genug wissenschaftliche Studien gibt, welche die Existenz von MCS und EHS belegen, so sollte es nicht allzu problematisch sein, einen allgemeingültigen ICD-Code zu bekommen, wie in andere Länder bereits haben. Wir müssen die wissenschaftlichen Informationen in eine der WHO-Methodik entsprechende Form bringen, um positiv evaluiert zu werden.
  3. Der vielleicht heikelste Aspekt ist die Tatsache, dass es sich bei MCS und EHS um multisystemische Erkrankungen handelt, die in unterschiedliche Bereiche der Klassifikation (medizinische Fachgebiete) eingeordnet werden können, obwohl man die große Bedeutung der neurologischen Symptome nicht vergessen sollte. Wir benötigen die Einführung eines neuen medizinischen Paradigmas, das einige Fragen bezüglich dieser um sich greifenden Erkrankungen einschließlich ihrer Einordnung in den ICD beantwortet.
  4. Die WHO weiß, dass diese Erkrankungen existieren.
  5. Das Auftreten dieser Erkrankungen hat innerhalb der WHO zu Kontroversen geführt, doch die Ankündigung von Änderungen in der Arbeitsmethodik, um den ICD für das Jahr 2015 zu entwickeln und die mögliche Mitarbeit in Arbeitsgruppen eröffnen neue Möglichkeiten für eine Anerkennung.
  6. Jedes Land kann diese Erkrankungen unabhängig von der WHO anerkennen in ihren ICD aufnehmen, da die Länder nach der WHO auf diesem Gebiet souverän sind.

Autor: ASQUIFYDE, 6. Juni 2011

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

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Bisphenol A: EU-Verbot von Säuglingsflaschen tritt in Kraft

Entgültiges Ende für Babyflaschen mit BPA

Brüssel, 31. Mai 2011 – Säuglingsflaschen, die Bisphenol A (BPA) enthalten, müssen morgen in der gesamten Europäischen Union aus den Regalen der Geschäfte entfernt werden, weil in der EU das Verbot in Kraft tritt, solche Produkte auf den Markt zu bringen oder zu importieren. Dieses Verbot ist in einer EU-Richtlinie (2011/8/EU) vorgesehen, die Ende Januar angenommen wurde. Die Industrie hat Säuglingsflaschen, die BPA enthalten, bereits freiwillig vom Markt genommen. Am 1. März hat die EU die Herstellung von Säuglingsflaschen, die BPA enthalten, untersagt.

John Dalli, Kommissar für Gesundheit und Verbraucherpolitik, erklärte: „Der 1. Juni bildet einen Meilenstein bei unseren Anstrengungen, die Gesundheit der EU?Bürgerinnen und -Bürger, insbesondere unserer Kinder, besser zu schützen. Da Ungewissheiten darüber bestehen, welche Auswirkungen es hat, wenn Säuglinge mit Bisphenol A in Berührung kommen, hält die Kommission es für notwendig und angemessen, Maßnahmen zu treffen. Ziel ist es, die Exposition der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppe, nämlich unserer Kinder, weiter zu senken.“

Was ist BPA?

Bei Bisphenol A handelt es sich um ein organisches Molekül, das für Polykarbonat-Kunststoffe verwendet wird, die dann bei der Herstellung von Säuglingsflaschen aus Kunststoff eingesetzt werden.

Spuren von BPA können aus Kunststoffbehältern in die darin enthaltenen Lebensmittel – bei Säuglingsflaschen Säuglingsnahrung – übergehen, wenn diese Behälter auf hohe Temperaturen erhitzt werden.

In den ersten sechs Lebensmonaten sind Säuglinge diesem Stoff am stärksten ausgesetzt, vor allem, wenn sie nur Säuglingsnahrung erhalten. In dieser Zeit befindet sich auch das Immunsystem der Säuglinge im Aufbau und kann BPA noch nicht abbauen.

Hintergrund

2010 trafen Frankreich und Dänemark einzelstaatliche Maßnahmen zur Begrenzung von Bisphenol A. Frankreich konzentrierte sich dabei nur auf Säuglingsflaschen, während Dänemark auch andere Materialien ins Visier nahm, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, welche für Kinder bestimmt sind.

Die Kommission beauftragte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bewerten, und die EFSA gab im September 2010 ihre Stellungnahme ab. Sie kam zu dem Schluss, dass Bisphenol A bis zu einer täglichen Aufnahme von 0,05 mg je Kilogramm Körpergewicht unbedenklich ist. Die Belastung liegt bei allen Bevölkerungsgruppen unterhalb dieses Wertes. Allerdings prüfte die EFSA auch einige Fragen zu den möglichen Auswirkungen von BPA auf Säuglinge und kam zu dem Schluss, dass in den Bereichen, in denen noch Ungewissheit besteht, aussagekräftigere Daten benötigt werden.

Im Januar 2011 nahm die Kommission die Richtlinie 2011/8/EU an, die in der EU ab 1. März ein Verbot der Herstellung von Säuglingsflaschen, welche BPA enthalten, und ab 1. Juni ein Verbot, solche Produkte in Verkehr zu bringen und in die EU einzuführen, vorsah.

Die Vorschriften für BPA sind nun in die Verordnung (EU) Nr. 10/2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 321/2011, aufgenommen worden.

Weitere Informationen:

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Salatgurken aus Spanien Ursache für EHEC

Wissenschaftler haben Typ des EHEC Erregers gefunden, EU- Kommission ruft Alarmstufe 1 aus

Endlich hatten unermüdlich arbeitende Wissenschaftler Erfolg, sie haben eine Ursachenquelle für die derzeit in Deutschland grassierende, durch einen EHEC-Erreger verursachte Krankheitswelle gefunden. Der EHEC-Keim, der eine blutige Durchfall- erkrankung verursacht und aus Rinderkot stammt, wurde durch das Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt an drei Salatgurken aus Spanien festgestellt. Als Konsequenz werden spanische Salatgurken aus dem Verkauf genommen und Verbraucher sollen vollständig auf den Verzehr verzichten. Forscher der Uni-Klinik Münster teilten mit, dass sie den genauen Erregertyp gefunden haben, es handelt sich um „einen Vertreter des Typs „HUSEC 41″ des Sequenztyps ST678“. Die EU Kommission ist dabei, europaweit Alarmstufe 1 wegen der EHEC–Epidemie in Deutschland auszurufen.

EHEC bedingte Duurchfallerkrankung forderte bislang 4 Todesopfer

Laut RKI Chef Reinhard Burger erlebt Deutschland gerade den stärksten je registrierten EHEC (enterohämorrhagischen Escherichia coli) Ausbruch. Die blutige Durchfallerkrankung hat bislang mindestens vier Todesopfer gefordert. Der Körper setzt ein Toxin frei, durch das rote Blutkörperchen abgebaut werden. Zahlreiche EHEC Patienten haben Nierenschäden davongetragen. Bislang berichten 15 von 16 Bundesländern von EHEC Opfern, einzige Ausnahme bildet bislang Rheinland-Pfalz.

Wissenschaftler suchen pausenlos

Experten suchten seit Tagen auf Hochtouren nach dem Ursprung und dem genauen Typ des EHEC Erregers. Die heißeste Spur führte zuerst nach Norddeutschland. Tomaten, Gurken, Blattsalat standen unter dringendem Tatverdacht. Das RKI warnte vor dem Verzehr dieser Gemüsesorten, wenn sie aus Norddeutschland stammen. Dort bangten die Gemüsehändler sofort um ihre Existenz wegen des sich abzeichnenden Umsatzeinbruchs. Jetzt hat das Hamburger Hygieneinstitut das Bakterium an vier Salatgurken festgestellt. Drei davon stammen nicht aus Norddeutschland, sondern zweifelsfrei aus Spanien. Bei einer der EHEC – kontaminierten Gurke ist die Herkunft noch ungewiss.

Fast zur gleichen Zeit wie die Hamburger Forscher, konnten auch Wissenschaftler aus Münster Erfolg vermelden. Sie stellten am späten Abend des 25. Mai fest, dass es sich bei dem EHEC Erreger um einen Vertreter des Typs „HUSEC 41″ des Sequenztyps ST678“ handelt. Bisher hatte dieser EHEC-Erreger weltweit noch keine dokumentierten Erkrankungsausbrüche verursacht. Das Problematische an diesem speziellen, äußerst resistenten EHEC-Erregertyp ist, dass er nicht auf Penicillin anspricht.

RKI warnt weiterhin vor Tomaten, Gurken und Blattsalaten aus Norddeutschland

Das RKI hatte basierend auf erste Ergebnisse zuerst drei mögliche Urheber eingrenzen können und warnte vorsorglich davor, Tomaten, Gurken und Blattsalate zu essen. Sie könnten mit EHEC – Keimen belastet sein, was laut Institut insbesondere dann gefährlich wird, wenn das Gemüse roh verzehrt wird.

Auf die heiße Spur, was die Darmerkrankung auslöst, kamen Wissenschaftler durch regelrechte Detektivarbeit. Mittels Fragebogen ermittelten sie, was die Erkrankten zuvor gegessen hatten und wurden dann immer gewisser, dass Tomaten, Gurken und Blattsalate die mögliche Ursachenquelle darstellen könnten. Trotz dass man jetzt bei spanischen Salatgurken fündig wurde, suchen Wissenschaftler aus ganz Deutschland unermüdlich weiter nach Quellen der EHEC- Keime, die immer mehr Opfer fordern.

Das Bundesministerium für Verbrauchersicherheit, das RKI und das BfR halten die Warnung, keine Gurken, Tomaten oder Blattsalate aus Norddeutschland zu essen, trotz heftiger Kritik weiterhin für gerechtfertigt, weil dies die vorerst beste Möglichkeit darstellt, das Risiko für weitere Erkrankungsfälle einzudämmen. Trotz, dass nun herausgefunden wurde, dass der Erreger von Salatgurken aus Spanien stammt, warnen sie weiterhin vor dem Verzehr, weil die meisten Erkrankungsfälle bisher in Norddeutschland auftraten.

Labors kommen kaum nach mit Untersuchen

Die Untersuchungen in den Labors werden auch noch länger andauern, denn selbst jetzt, wo kontaminierte Salatgurken aus Spanien gefunden wurden, muss weitergesucht werden. Erzeuger, Lieferketten, alles muss genauestens zurückverfolgt werden, um sicher zu sein, was genau die bislang größte EHEC -Erkrankungswelle in Deutschland ausgelöst hat und wo der Ursprungsort ist.

EHEC – Epidemie: Ärzte bangen um Überleben von Patienten, Gemüsehändler um ihre Existenz

Für Gemüseanbauer und Gemüsehändler aus Norddeutschland sind die derzeitige Situation und die Warnungen der Bundesbehörden dramatisch. Sie halten die Warnungen größtenteils für überzogen und bangen um ihre Existenzen. RKI Mitarbeiter können darauf keine Rücksicht nehmen, denn es geht um Menschenleben und ernsthafte Gesundheitsschäden, wie u.a. bleibende Nierenschäden, die Opfer der EHEC-Epidemie davontragen.

Die Warnung vor dem Gemüse wurde von den Bundesbehörden nicht unüberlegt ausgesprochen. Mehrere Wissenschaftlerteams und die Behörden arbeiten eng zusammen um die Ursache lückenlos herauszufinden.

Die bislang aussagekräftigste Studie aus Hamburg, wurde zusätzlich unter Einbeziehung einer Kontrollgruppe aufgebaut. Die Wissenschaftler sicherten ihre Daten ab und das RKI sprach seine Warnung erst aus, nachdem die Auskünfte über die Essgewohnheiten der Erkrankten mit den Daten der Kontrollgruppe abgeglichen und ausgewertet waren.

Menschenleben haben Vorrang vor monetären Interessen von Erzeugern

Die EU-Kommission ist dabei wegen der EHEC – Epidemie in Deutschland Alarmstufe 1 auszurufen. Diese Alarmstufe verlangt von allen EU Mitgliedsländern Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Zu diesen sollte im weiteren Verlauf auch das Einleiten eines Umdenkprozesses bei der Agrarindustrie auf diesen neuen Lebensmittelskandal folgen. Hygienisch saubere Erzeugnisse, ohne Schadstoff- und Pestizidrückstände müssen ein mittelfristig forciertes Ziel für die Branche werden, die in der Regel auf schnelles Verstummen der Medien hofft, um weiterzumachen wie bisher.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 26. Mai 2011

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