Grüne Chemie – Die Zukunft braucht neue Lehrpläne
Neues Zeitalter, neue Lehrpläne
Viele Amerikaner denken über ihr Verhältnis zu Chemikalien nach, fragen, wo sie in Mensch und Umwelt bleiben, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Mittlerweile lehren Universitäten ihre Studenten, genau solche Fragen zu stellen. Ingrid Lobet berichtet, was sich an der kalifornischen Universität in Berkeley tat.
GELLERMAN: Seit mehr als 60 Jahren versprach die Chemiefirma DuPont: „Bessere Dinge für ein besseres Leben dank Chemie.“ Nun, heute sollte der Slogan so lauten: „Eine bessere Chemie für ein besseres Leben.“
Überall in unserem Land versuchen Chemiker in Laboren neue chemische Formeln zu entwickeln, um Produkte sicherer zu machen. Und an vielen Universitäten lernen die Studenten, wie das geht. Man nennt es Grüne Chemie. Ingrid Lobet von Living on Earth berichtet über die Veränderungen an einer der einflussreichsten chemischen Fakultäten der USA, an der Universität von Kalifornien in Berkeley.
Living on Earth Interview:
LOBET: Michael Wilson steht vor einer Garage, zwei Blöcke vom Campus der UC Berkeley (University of California, Berkeley) entfernt.
WILSON: Wir besuchen gerade eine normale Autoreparaturwerkstatt. Es gibt ungefähr sechs oder acht Mechaniker, die hier an Fahrzeugen auf hydraulischen Hebebühnen arbeiten, und wie man sieht, ist dies eine Prozedur, bei der ziemlich viele Lösungsmittel zur Anwendung kommen.
LOBET: Wilson ist jetzt Professor für Öffentliche Gesundheit, aber vor acht Jahren war er Sanitäter bei der Feuerwehr, der in Berkeley Umweltmedizin studierte, um zu promovieren, als er vom Fall eines verletzten Arbeiters erfuhr.
WILSON: Es war ein junger Mann, ein 24-jähriger Auto- mechaniker, mit sehr weit voran geschrittenen Symptomen einer neurologischen Erkrankung. Er hatte den Tastsinn und die motorischen Funktionen in seinen Extremitäten verloren. Seine Hände hatten keine Kraft mehr, er saß im Rollstuhl.
LOBET: Das Gesundheitsministerium ahnte, was mit diesem jungen Mann geschah.
WILSON: Er verbrauchte jeden Tag ungefähr acht bis zehn Behälter eines handelsüblichen Lösungsmittels zur Reinigung von Bremsanlagen, das Hexan und Aceton enthielt. Und diese chemische Zusammensetzung verursacht Nervenschäden.
LOBET: Wilson interessierte, ob es sich um einen Einzelfall handelte, deshalb begann er, Autowerkstätten zu besuchen. Allein in Gebiet um die Berkeley Bucht fand er 14 weitere Mechaniker mit ähnlichen neurologischen Schäden. Sie sprühten die Autos mit dem reinigenden Lösungsmittel ein und arbeiteten daran, während die Dämpfe, wie Wilson bemerkt, in ihren Atembereich aufstiegen.
LOBET: Dieser toxische Bremsreiniger war nicht etwas, das es schon seit Jahren gab und das der Aufmerksamkeit des kalifornischen Gesetzgebers entglitten war. Es war ein neues Produkt. Die kalifornischen Behörden hatten die Hersteller gebeten, einen Teil des Hexans aus dem Reiniger heraus zu nehmen, da es sich in Ozon umwandeln kann, welches die Lungen der Menschen angreift und Asthma verschlimmert. Das taten sie und ersetzen es durch Aceton.
WILSON: Wie kommt es, dass ein bekanntes neurotoxisches Lösungsmittel im gesamten Bundesstaat Kalifornien von Arbeitern völlig unkontrolliert eingesetzt wird?
LOBET: An der Uni, so sagt Wilson, fand er sich in der heiklen Situation wieder, jene Disziplin verändern zu wollen, in die er sich gerade begeben hatte.
WILSON: Typischerweise befasste sich unser Fach damit, das Ausmaß des Schadens festzustellen, und in mir erwachte das Interesse an den sich daraus ergebenden Fragen wie:
- Warum lassen wir es überhaupt zu diesen Gesundheitsgefahren in Beruf und Umwelt kommen?
- Haben wir nicht die Begabung und die Ressourcen, von vorneherein sicherere Chemikalien und Produkte herzustellen?
LOBET: Diese Fragen führten Wilson in die Fachrichtung der Grünen Chemie. In den 90’er Jahren von Paul Anastas und John Warner eingeführt, handelt es sich um ein sich neu entwickelndes Fachgebiet, das untersucht, wo sich Chemikalien in Mensch und Umwelt ansammeln und das für sicherere Substanzen eintritt. Als nächstes fing Wilson an, mit der Fakultät für Chemie zu verhandeln.
WILSON: Wir stellten fest, dass sich hier auf dem Campus von Berkeley an der Ausbildung von Chemikern in den vergangenen 30 bis 40 Jahren nicht wirklich viel geändert hat.
LOBET: Nicht viel später traf Wilson einen neuen Chemie-Doktoranten, der an die Universität gekommen war. Marty Mulvihill und Mike Wilson hatte etwas gemeinsam – nennen wir es eine Herangehensweise im Sinne des Gemeinwohls.
MULVIHILL: Während meiner Zeit hier legte ich sehr großen Wert darauf, nicht nur zu forschen, sondern auf die Menschen in meinem Umfeld zuzugehen und darüber nachzudenken, wie gerade Chemiker die Gesellschaft beeinflussen können. [Gedanken] wie: Wir nehmen sehr viele Ressourcen von der Gesellschaft, Chemie ist eine sehr ressourcenintensive Angelegenheit. [Fragen] wie: Auf welche Art geben wir etwas zurück?
LOBET: Mit dieser Art gesellschaftlicher Orientierung war es selbstverständlich, dass Mulvihill als erstes damit anfing, eine Zusammenarbeit mit anderen Chemie-Doktoranten zu organisieren, als er nach Berkeley kam.
MULVIHILL: Der Name dieser Gruppe war tatsächlich „Chemiker für den Frieden„, der sich für einen Ort wie Berkeley als zu kontrovers heraus stellte. Genauer gesagt denkt man, in Berkeley gehe es besonders aktivistisch zu, doch wenn sie sich den Fachbereich Chemie ansehen, so ist dort alles, was einen politischen Anschein hat, nicht besonders akzeptiert.
So ließen wir eine Menge Werbetassen (Beispiel) [für unser Anliegen] herstellen, die Leute fanden es gut dass, wir da waren, aber wir konnten nicht wirklich Fuß fassen.
LOBET: Mulvihill dämmerte, dass er zu Wissenschaftlern wissenschaftlich sprechen musste. Er und eine Kerngruppe weiterer Doktoranten organisierten deshalb ihre eigene Seminarreihe.
Von Dow Chemical bekamen sie finanzielle Unterstützung und engagierte Chefdenker der Grünen Chemie: John Warner, Paul Anastas und Terry Collins. Mulvihill erzählt, dass die Chemische Fakultät ihnen zuerst nicht mal einen Versammlungsraum überlassen wollte, aber allmählich setzten sich die Studenten durch.
MULVIHILL: Ich kann mich noch an den Abend erinnern, als es geschah. Der Dekan war gerade herein gekommen. Ich glaube, es war sein erstes, oder vielleicht sein zweites Jahr. Das Doktoranten-Seminar lief und John Warner, einer der Väter, einer der Typen, die das erste Buch der Grünen Chemie geschrieben hatten, hatte sich bereit erklärt, vorbei zu kommen und einen Vortrag zu halten. Und der Dekan tauchte tatsächlich zu diesem Vortrag auf. Er erschien nicht nur zum Vortrag, sondern er kam auch zum anschließenden Dinner mit, und es war lustig zu beobachten, wie der Dekan und John Warner, genauer, wie Dekan Rich Mathies und John Warner miteinander kommunizierten und mit einem Mal wurde mir klar, dass das Ganze nun größer ist als ich.
LOBET: Um die Bedeutung dessen, was in Berkeley und an anderen Universität im Land geschah. wirklich verstehen zu können, muss man wissen, wie fern den meisten Chemikern Gesundheitsfragen lagen. Für dieses Wissenschaftsgebiet ist die Toxikologie zuständig: die Untersuchung der Nebenwirkungen chemischer Substanzen auf Lebewesen, und auch die von Naturkräften und biologischen Stoffen.
MULVIHILL: Eine traditionelle Ausbildung zum Chemiker vermittelt nicht viel über das, was mit dem Zeug passiert. Man lernt viel darüber, wie man es herstellt, und wie man es billig und wirksam macht – das gehört alles zur traditionellen wissenschaftlichen Ausbildung. Wo die Stoffe landen, wie sie sich möglicherweise auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auswirken, genau das gehörte traditioneller Weise nicht zur Chemieausbildung.
NARAYAN: Wir arbeiten die ganze Zeit mit diesen Chemikalien, aber wir wissen nicht unbedingt, wie giftig sie sind. Oder wenn sie giftig sind, [wissen wir nicht,] wie sie wirken und warum sie für Menschen schädlich sind.
LOBET: Hier ist Alison Narayan, ein weitere Studentin, welche die von Studenten durch- geführten Seminarreihen organisiert. Narayan ist im fünften Jahr der Organischen Chemie und entwickelt völlig neue Stoffe.
NARAYAN: In der Tat ist unsere Ausbildung auf die Reaktionsfähigkeit der Chemikalien ausgerichtet und darauf, neue Reaktionen und neue Herstellungsver- fahren zu entwickeln, und nicht notwendigerweise darauf, etwa das Verhalten oder die Toxizität dieser Materialien zu untersuchen.
LOBET: Narayan sagt, sie war überrascht, dass es in ihrer Chemieausbildung keinen Toxikologie-Unterricht gab. Und der Wissenschaftler für Umweltmedizin Michael Wilson meint, ihm erscheine es ebenfalls seltsam.
WILSON: Fakt ist, dass man in den Vereinigten Staaten den Grad eines Bachelors, eines Masters und eines Doktors der Chemie an allen Universitäten und Colleges erwerben kann und nie ein Grundverständnis dafür nachweisen muss, wie sich Chemikalien auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt auswirken. Und sind wir also überrascht, dass giftige Materialien ihren Weg in Verbraucherprodukte finden, die überall auf dem Markt erhältlich sind? Wir sollten es wahrscheinlich nicht sein.
LOBET: Und Wilson sagt, Chemiker sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die der Toxikologie nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. Erstaunlicherweise sind selbst Fachleute für Öffentliche Gesundheit oft nicht darin ausgebildet.
WILSON: Nun sehen wir eine Veränderung in der Disziplin der Öffentlichen Gesundheit, welche den Gedanken der Grünen Chemie aufgreift, während bis jetzt unsere Aufgabe hauptsächliche darin bestand, das Ausmaß des Problems festzustellen, zu bewerten und zu beschreiben. Es ist für uns in der Öffentlichen Gesundheit und der Umweltmedizin schlichtweg nicht mehr länger möglich, den Schaden zu begrenzen [wörtlich: die Sauerei am Ende der Leitung wegzuputzen]. Wir müssen Chemikalien, wir müssen Produkte so konzipieren, dass sie nicht im menschlichen Blut und in der Muttermilch und in Sondermülldeponien und im Grundwasser zum Vorschein kommen.
LOBET: Die ersten deutlichen Hinweise auf Veränderungen, die in Berkeley über die von Studenten organisierten Seminare hinaus stattfanden, machten sich letzten Sommer bemerkbar. Zum ersten Mal bot die Universität seine Einführungsver- anstaltung mit der Wahlmöglichkeit an, eine eigenständige grüne Laborübung zu belegen.
LOBET: Heute machen Swetha Akella und Michael Poon, Studenten im zweiten Jahr, ein Praktikum in einem der neuen Labors.
POON: Was sie [Akella] zurzeit versucht, ist die Konzentration von Farbstoffen in Getränken festzustellen um zu sehen, wie viel wir davon aufnehmen. Red 40 [roter Azofarbstoff] kommt in vielen Verbraucherprodukten vor. Da die Konzentrationen des Farbstoffes sehr gering sind, muss man das Wasser aufkochen und das erhöht den Anteil der Farbstoffe in den Proben. Hier habe ich Sunkist und Hawaiian Punch.
AKELLA: Ich denke, das was mich wirklich anspricht ist die Anwendbarkeit, denn oft macht man Laborarbeiten, bei denen man vielleicht irgendeine Konzentration findet, die man wahrscheinlich hinterher vergisst. Doch wenn man z.B. im Sonnenschutzmittel-Labor oder in diesem Labor hier arbeitet, überlegt man es sich wirklich das nächste Mal, wenn man Sonnenschutz aufträgt oder man beschließt, das nächste Mal ein Selters zu trinken.
LOBET: Poon weist darauf hin, dass es nicht nur um das geht, womit man sich im Labor befasst.
POON: Ich denke, es ist wirklich wichtig darüber nachzudenken, wozu das eigene Handeln führt. Wohin fließt es, wenn Du etwas in den Ausguss gießt? Denke darüber nach und über das, was erforderlich ist, es wieder sauber aufzubereiten, damit dieses Wasser wieder benutzt werden kann.
LOBET: Eine Auswertung der Befragung von Studenten, die dieses erste Grüne Labor im Sommer belegt hatten, wies viel Begeisterung [bei den Studenten] nach. Chantelle Khambholja war eine dieser Studienanfängerinnen.
KHAMBHOLJA: Nun, in unserer ersten Laborübung ging es um Biotreibstoffe. In unserer ersten Übung befassten wir uns damit und untersuchten die Wirkung von Biotreibstoffen auf das Keimen von Saaten, um deren Ökotoxizität zu messen. In der zweiten Übung synthetisierten wir tatsächlich unser eigenes Biodiesel, was großartig war, und in der dritten Laborübung maßen wir die erzeugte Energiemenge, wenn man es verbrannte.
LOBET: In diesem Herbst hat die Chemische Fakultät alle Labore für die Laborübungen der Studienanfänger in grüne Labors umgewandelt. Die Berkeley Chemie-Dozentin Michelle Douskey beaufsichtigt die Übungsgruppenleiter für die Einführungskurse. Sie sagt, die traditionellen Chemie-Curricula stützen sich zu sehr auf gemerktes Wissen. Sie versucht dies zu ändern. Die neue Ausrichtung auf grüne Chemie, sagt sie, wird den Lehrstoff für die Studenten, die solche Fragen bereits stellen, relevanter machen.
DOUSKEY: Die Studenten interessieren sich sehr für Körperpflegemittel. Was ist in ihrer Wasserflasche? Gibt es in meiner wirklich alten Wohnung Blei in der Anstrichfarbe? Und all das sind chemische Probleme.
LOBET: Ein typischer Lehrplan oder ein Text, sagt Douskey, befasst sich vielleicht in einer Fragestellung mit jemandem, der sich wegen Blei im Trinkwasser Sorgen macht, um dann zur nächsten zu wechseln.
DOUSKEY: Wenn wir z.B. Blei in Farben untersuchen, können wir dies aus verschiedenen Blickrichtungen tun. Wir können Blei während des Semesters immer wieder aufgreifen. Bleibt es in der Farbe oder nicht. Wo hin gelangt es, wenn es in den Staub übergeht? Dann gibt es z.B. diesen ganzen Chemie-Unterrichtsstoff, wie man überhaupt Blei in Farben nachweist. Auf diese Art beziehen wir Themen mit ein wie, dass z.B. Licht mit Materialien interagiert und dass wir gewisse Instrumente haben, die uns helfen, diese Vorgänge genau zu messen. Darum kommt es mir so vor, als ob die Grüne Chemie dabei wäre uns zu gestatten, eine etwas vollständigere Geschichte zu erzählen. Es war wohl so, dass wir früher die Geschichte [einer Substanz] nur zum Teil erzählt haben, nämlich, „na gut, man muss nicht wissen, woher das kommt“.
LOBET: Die Idee, die ganze Geschichte zu lehren, war seit über einem Jahrzehnt Schwerpunkt an der University of Oregon. Als in der Grünen Chemie führend, schulte sie Chemie-Lehrkörper aus dem ganzen Land in einwöchigen Workshops. Das verleiht Julie Haack, der stellvertretenden Dekanin der Universität von Oregon, einen geschärften Blick für die Veränderungen in Berkeley.
HAACK: Ich denke, die Veränderungen, die in Berkeley vor sich gehen, sind eine unglaubliche Validierung dieses Ansatzes.
LOBET: Eine Validierung wegen Berkeleys Bedeutung und Reichweite. Jedes Jahr werden 24 Hundertschaften neuer Studenten ihre wichtigsten Grundlagen über Chemie lernen … Grüne.
HAACK: Ich denke die Wirkung ist enorm. Es handelt sich um die zukünftigen Entscheidungsträger unserer Gesellschaft und was wir gesehen haben ist, sobald die Studenten mit den Werkzeugen der Grünen Chemie ausgerüstet sind, werden sie tatsächlich in die Lage versetzt, sich an den Lösungen zu beteiligen, mehr nachhaltige Produkte und Verfahren zu entwickeln.
LOBET: Sofern die Chemikerin Alison Narayan ein Indikator ist, wird die Veränderung umfassend sein, vom alltäglichen bis zum grundlegenden.
NARAYAN: So werde ich angeregt darüber nachzudenken, wie ich als Chemikerin arbeite, beispielsweise um die Menge des Abfalles, den man verursacht, zu reduzieren. Tatsächlich hatten wir gestern Abend in unserer Forschungsgruppe eine Diskussion über die Wiederverwendung von Reagenzgläsern. So benutzen wir sehr viele Reagenzgläser und üblicherweise werfen wir sie einfach weg, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Deshalb ertappe ich mich in meiner Freizeit dabei, wie ich darüber nachdenke, was man sonst noch damit anfangen könnte. Oder wenn ich am Abzug stehe und warte, bis die Reaktionen abgelaufen sind, oder wenn ich im Bus zu meinem Labor sitze. Woraus könnte man dies oder jenes noch machen, anstatt die gebräuchliche Ausgangschemikalie auf Erdölbasis zu verwenden. So wirkt es, es färbt auf meine Gedanken über die Dinge ab und auf das, was ich mir erträume.
LOBET: Berkeley hat nun ein Zentrum für Grüne Chemie eröffnet. Im Frühjahr ist ein neuer Studiengang geplant. Und man wird einen neuen Schwerpunkt „Grüne Chemie“ anbieten, den Studenten wählen können, und dieser wird in ihren Abschlussurkunden wie ein Nebenfach eingetragen. Alle diese Veränderungen sind der Wahrnehmung der chemischen Industrie nicht entgangen, sagt Mike Wilson.
WILSON: Es sind Diskussionen, die den innersten Kern des Chemiegeschäftes erschüttern, die Dinge, die wir schreiben und die wir lehren, haben einen enormen Einfluss, was einige der größten Industriegruppen und die größten Firmen der Welt angeht. Und sicherlich haben sie ein Interesse daran, das, was wir hier machen, zu beeinflussen und deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein, denn wir wollen natürlich, dass diese Firmen den Gedanken der Grünen Chemie aufnehmen, nicht um sich grün zu waschen, sondern als grundlegendes Element ihres Firmenzwecks. Doch wir müssen auch in der Art, wie wir unsere Arbeit durchführen, unabhängig sein, deshalb gibt es eine innere Spannung, mit der wir fast täglich zu tun haben.
LOBET: Diese Spannung könnte in Berkeley stärker sein, wo sich die Veränderungen in der Chemieausbildung auf die Chemikalienpolitik in ganz Kalifornien auswirken. Doch der Wechsel zur Grünen Chemie scheint an allen Universitäten im Land deutlich stattzufinden. Noch einmal Julie Haack von der University of Oregon.
HAACK: Es ist unser Ziel, dass die Grüne Chemie zu dem wird, wie man Chemie lehrt. Und sehr bald wird die Grüne Chemie verschwinden und zum Grundprinzip der Chemie werden.
LOBET: Die Professoren in Berkeley sagen, das Ziel besteht darin, nicht nur die nächsten Generation von Chemiker hervorzubringen, sondern auch Schriftsteller, Politiker und Rechtsanwälte, welche die Folgen davon verstehen können, wie etwas hergestellt wird.
Autorin: Ingrid Lobet für Living on Earth
Photos: Berkeley University
Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity
Diese von „Living on Earth“ produzierte Sendung wurde Mitte November 2010 an viele US-Radiostationen verteilt und gesendet. Sie kann im Original nachgelesen oder nachgehört werden.
Wir danken Eileen und LOE für die Erlaubnis, das Transskript zu übersetzen!
—
Kleine persönliche Nachbemerkung des Übersetzers BrunO:
Der vielleicht zu mühselig anmutende Weg der Evolution, inklusive der Überzeugung der Widersacher, scheint mir langfristig der wirksamste zu sein. Wie dieses Beispiel zeigt, geht die Entwicklung manchmal gar nicht so langsam voran und Chemie ist immerhin very big business. Vielleicht ist aber Deutschland für so etwas zu knöchern, zu konservativ. Mich hat dieses Radiofeature sehr stark an die Bewegung der Postautistischen Ökonomie, an PAECON, erinnert. Im Jahre 2000 waren Ökonomie- studenten an der Sorbonne (Paris) mit der Art, wie sie ausgebildet werden, unzufrieden und kritisierten die Ökonomie, welche gerade die Welt besonders nachdrücklich globalisierte, als autistisch. Auch daraus entstand eine Bewegung, welche die Lehre an den Unis von innen heraus umstülpt. Irgendwann wird es hoffentlich genug Ökonomen geben, die sich neben der reinen Geldökonomie auch dafür interessieren, wie sich das auf die Menschen auswirkt. Ökonomie heißt nämlich nicht, nur mit Geld, sondern mit allen Ressourcen sinnvoll zu haushalten.
PEACON scheint lediglich eine linkere Variante von positivistischem Größenwahn anzustreben. Da lobe ich mir einige ältere Ökonomen, die noch ihre Grenzen kannten und die Grenzen dessen was wiss- und machbar ist.
Hallo Karlheinz,
die Nachbemerkung war vom Übersetzer BrunO, nicht von Living on Earth. Ich habe dies jetzt gekennzeichnet, damit es keine Mißverständnisse gibt.
Hallo Silvia,
war mir schon klar, dass das ein Kommentar vor BrunO war. Ich sollte bei sowas sicher auch besser meine Klappe halten, aber manchmal kann ich mich dann doch nicht beherrschen.
Hallo Karlheinz,
das ist schon ok. Noch haben wir ja Meinungsfreiheit;)
LG, Silvia