Monatsarchiv für Dezember 2010

Norwegischer Allergie und Asthma Verband bittet darum, keine Parfüms zu benutzen

Präventionsmaßnahmen für die Gesundheit sind gut für uns alle!

Immer mehr Menschen wenden sich an den norwegischen Asthma und Allergie Verband (NAAF) und beklagen, dass sie krank werden durch Parfüm ihrer Mitmen- schen. Es riecht überall danach und die Parfüms übertönen oft alles.

Gleichzeitig mit dem Umsatzanstieg von „gutem Duft“ leiden immer mehr Kinder unter Allergien. Rund 1,5 Millionen Menschen kämpfen in Norwegen mit irgendeiner Form von Allergie oder Überempfindlichkeit. Verstärkt wird das Problem der Duftstoffe, weil sie Chemikalien enthalten.

Steigende Tendenz bei Verkaufszahlen für Parfüms und Duftstoffe

Während der norwegische Allergie und Asthma Verband immer mehr Beschwerden registriert, steigen gleichzeitig die Verkaufszahlen von „gutem Duft“. Zahlen aus KLF zeigen, dass Männer und Frauen in den letzten Jahren zunehmend mehr Geld aus- gegeben haben für den Kauf von Parfüm und anderer duftender Kosmetik.

Parallel dazu benutzen wir immer mehr verschiedene Anti-Allergiemedikamente. Der Verbrauch an Medikamenten stieg in den vergangenen fünf Jahren um 25 %.

Duftstoffe sind lästig, oder machen krank

NAAF sagt, dass diejenigen, die sich zunehmend wegen ihrer Beschwerden bei ihnen melden, sich in zwei Gruppen unterteilen lassen:

  • Einige sagen, dass es einfach lästig geworden sei mit der Beduftung, es rieche überall und alles.
  • Andere werden krank von Duftstoffen oder bekommen schwere allergische Reaktionen und Asthmaanfälle.

Beschwerden auf Duftstoffe auch ohne vorherbestehende Krankheit oder Allergien

Fakt ist, starke Gerüche können tränende Augen und Nase, Juckreiz, Ekzeme, Kopfschmerzen und Asthma-Anfälle verursachen. Man muss allerdings keine allergischen oder asthmatischen Beschwerden haben, um Kopfschmerzen, Übelkeit oder andere Beschwerden zu bekommen, wenn ein Kollege oder eine Verkäuferin sich mit Parfüm überschüttet hat. Kinder seien durch Duftstoffe besonders gefährdet, sagt NAAF.

Freiheitseinschränkung wegen Duftstoffen

Das, was „Guter Duft“ für viele ist, zerstört einen Großteil des täglichen Lebens für immer mehr Mitmenschen. NAAF will daher jetzt „Guten Duft“ aus Öffentlichen Gebäu- den weghaben.

Die meisten Menschen verstehen nicht, dass auch viele Alltagsprodukte Parfüm enthalten. Duftstoffe stecken überall drin, von Haarpflegeprodukten, Cremes, Kos- metika, Deodorants, in Waschmitteln, Weichspülern, usw.

Neue Volkskrankheit?

Der Verbrauch an duftenden Produkten ist recht drastisch gestiegen in den letzten Jahren, gleichzeitig aber auch die Anzahl der Menschen, die unter Parfümallergie leiden. „Dies ist in vielerlei Hinsicht eine neue Volkskrankheit“, sagte NAAF Generalsekretär Geir Endregard.

Fair sein und duftfreie Alternativen benutzen

Es gibt neutrale Alternativen zu den bedufteten Produkten. In Apotheken bekommt man auch unparfümierte Deodorants und Kosmetika und die Nachfrage für diese Art Produkte hat stark zugenommen. NAAF möchte die Bevölkerung dazu bringen, dass sie aufhören, Parfüm und parfümierte Produkten zu benutzen. Die Menschen sollen verstehen, dass deren Parfüm ein direktes Problem sein kann für viele Leute.

Barrierefreiheit im Gesundheitssystem angestrebt

„Darüber hinaus müssen Gesundheitsbehörden sicherstellen, dass Angehörige in den Gesundheitsberufen die Kompetenz haben, diejenigen, die durch Parfüm und Duftstoffen tatsächlich krank werden, richtig zu behandeln, und wir müssen auch daran arbeiten, dass Parfüm aus der Öffentlichkeit verschwindet, so dass diejenigen, die darunter leiden, auch am öffentlichen Leben teilhaben können“, sagt NAAF Generalsekretär Geir Endregard.

NAAF – Neuer Strategieplan 2010-2013

Um den Anstieg von Krankheiten zu reduzieren, hat NAAF folgende Zielsetzung:

  • Rauchen und die Verwendung von Duftstoffen in öffentlichen Räumen ganz verbieten
  • Probleme bezüglich der Innenraumluft in den Innenräumen norwegischer Gebäude lösen, als Erstes in den Schulen und Kindergärten
  • Reduzierung der allgemeinen Luftverschmutzung
  • Gefährliche Stoffe und Allergene in Kosmetikprodukten entfernen

NAAF’s Generalsekretär Geir Endregard meint, dass es sehr wichtig sei, Rauchverbot auch in Privathaushalten durchzusetzen. Es seien immer noch zu viele Kinder Passiv- rauch ausgesetzt. Dort, wo Eltern keine Verantwortung übernehmen, muss das Gesetz angreifen.

Kindergesundheit sei viel wichtiger als persönliche Freiheit!

Autor: Alena für CSN – Chemical Sensitivity Network, Norwegen, 9. Dezember 2010

Photo: NAAF Generalsekretär Geir Endregard / NAAF

Weitere CSN Artikel über MCS und Duftstoffallergien in Norwegen:

Die Problematik MCS ist der Regierung schon öfter unterbreitet worden

Verantwortliche stehlen sich aus der Verantwortung

Fortsetzungsgeschichte

…Noch unerträglicher war der Fall von Angelika, deren Leben an einem seidenen Faden hing. Tim erfuhr von ihrem Schicksal und schrieb im Herbst 2009 an das Bundesministerium für Umwelt eine Email mit folgendem Text:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

es gibt Menschen in Deutschland, die Unverträglichkeiten gegenüber Lebensmitteln, Geruchsstoffen und chemischen Produkten haben, die sehr weit über das allgemein bekannte Maß von Allergien hinausgehen. Diese Menschen haben eine derart hohe Sensibilität auf die genannten Stoffgruppen, dass für sie ein normales Leben unmöglich ist. Oft können sie nicht in ihrem Wohnraum bleiben, weil sie die Ausdünstungen von Fußbodenbelägen, Farben, Möbeln oder Rauchgasen der Schornsteine nicht vertragen und vegetieren in der freien Natur. Die übliche medizinische Behandlung ist für diese Krankheitsform tödlich. Ein psychiatrisches Abschieben ist nicht nur völlig wirkungslos, sondern auch menschen- verachtend. Es ist ein unmenschliches, unwürdiges und für das reiche Deutschland inakzeptables Los dieser schwerstkranken Menschen. Viele von ihnen begehen Selbstmord, weil sie nicht mehr weiter wissen. In den USA, Kanada und anderen Ländern wird diese Krankheit, in Übereinstimmung mit der entsprechenden Definition der WHO, als schwere organische Krankheit anerkannt und die Menschen als Schwerstbehinderte akzeptiert und unterstützt.

Über den Link:

http://www.csn-deutschland.de/blog/2009/10/27/aufruf-zur-hilfe-umwelterkrankte-wurden-innerhalb-weniger-monate-zum-notfall/comment-page-1/#comment-15405

finden sie 3 aktuelle Fälle, wo das Leben von Betroffenen wirklich an einem seidenen Faden hängt. Jetzt kann nur noch die Regierung durch augenblickliches Handeln diese Menschen vor dem Tod bewahren. Bitte helfen sie sehr schnell!

Auch meine Frau hat extreme Probleme, in unserer Wohnung zu bleiben, weil wir mehrmals in der Woche durch fallenden Luftdruck und entsprechende Windrichtung die Rauchgase in der noch relativ konzentrierten Form eines sehr nahen gelegenen Holzpellets-Blockheizwerk abbekommen und diese auch bei geschlossenen Fenstern in die Wohnung gedrückt werden.

Für diese Menschen muss schnell eine grundsätzliche Lösung gefunden werden. Es kann nicht sein, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in der Betreuung von diesen Kranken ein „Entwicklungsland“ ist. So wie die Umweltverschmutzung nicht vor Ländergrenzen halt macht, darf auch eine menschenwürdige Behandlung von diesen Schwerstkranken nicht halt vor Ländergrenzen machen.

Nochmals: Bitte helfen Sie schnell!

Mit freundlichen Grüßen

Tim Bayer“

Daraufhin erhielt er folgende Antwort, die über die Menschlichkeit der Teflon-Behörden Bände spricht:

„Sehr geehrter Herr Bayer,

vielen Dank für Ihre Mitteilung an das BMU, die wir mit Interesse zur Kenntnis genommen haben. Wir sind weiterhin vielfältig bemüht, dass Umweltschutz gleichzeitig der Gesundheitsvorsorge dient.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

Küllmer“

Was sollte Tim dazu noch sagen?

Wenige Tage später war Angelika tot. Sie hatte sich das Leben genommen, weil sie nicht mehr wusste, wo sie leben sollte. Ihr Körper reagierte auf jedes Umfeld, sei es ein Wohnraum oder sei es die Natur. Wahrscheinlich hätte sie nur noch eine Art Glascontainer retten können und ein Entgiftungsprogramm eines fähigen Umweltmediziners, die mit Dr. Rea, Dr. Pall und Dr. Runow konform gehen.

Keine Hilfe für Kranke, dafür Druck nach allen Seiten

Nur zu gut erinnerte sich Tim an die schwere Zeit, als sich die Verdauungsorgane von Carla sehr entzündet hatten und sie trotz reichlichem und kalorienreichem Essen auf achtundvierzig Kilogramm abmagerte. Innerhalb von neun Monaten hatte sie damals fünfzehn Kilogramm verloren. Eine andere Frau magerte sogar auf 38 Kilogramm ab, wurde von ignoranten Ärzten als magersüchtig abgestempelt und musste sich psychologisch diesbezüglich behandeln lassen. Natürlich erfolglos, so dass man sie damals in die Frührente schickte. Auch heute wiegt sie noch unter fünfzig Kilogramm und kann mit ihrer kleinen Frührente nicht so leben, wie sie es müsste, um nicht noch kränker zu werden.

Da nur sehr wenige Ärzte und keine Krankenkasse diese Krankheit anerkennen, müssen Betroffene sämtliche Behandlungskosten und andere Aufwendungen selbst tragen. Ärzte, die die Interessen der Patienten vertreten, werden von Krankenkassen und Gesundheitsbehörden unter Druck gesetzt, teilweise sogar juristisch verfolgt, wie der Neurologe Dr. Binz.

Ob die Kanzlerin von diesen Zuständen weiß?

Und wenn, wie würde sie darauf reagieren? Im Sinne ihrer Worte „ Etwas für sein Land tun heißt übrigens auch: an den Diskussionen teilzunehmen…“ (die sicher etwas bewirken sollen und nicht zum Selbstzweck dienen, so dass es sich auch lohnt, daran teilzunehmen), oder wie eine Teflon-Kanzlerin?

Verhöhnung, Bagatellisierung

Mit Wut denkt Tim an jene Hausärztin, die sie aufsuchten, um eine Überweisung Carlas in eine Umweltklinik zu erbitten. Auf den Bericht von Carla, dass sie erheblich abgenommen habe, immer weniger Lebensmittel vertrage und extrem auf Benzingerüche reagiere, sagte diese, dass sie eine gute Figur habe. Sie solle abends mal ausgehen und gut essen, das Leben genießen. Und wenn man meint, auf Benzin reagieren zu müssen, dann täte man dann das auch. Die Nerven würden einen so manchen Streich spielen.

Aufgebracht erwiderte Tim: „Sie müssen es auch nicht aushalten. Die Beschwerden meiner Frau nehmen sie überhaupt nicht ernst“, worauf die Ärztin ihn des Sprechzimmers verwies. Gegenüber Carla hatte sie dann beteuert, dass sie ihre Beschwerden sehr wohl ernst nehme. Was sich dann dadurch ausdrückte, dass sie Carla keinen Einweisungsschein für die Umweltklinik ausstellte…

Auch der Allergologe, der Carla wegen ihres Asthma behandelte, wollte ihre Beschreibungen nicht glauben und verschrieb ihr Antidepressiva gegen ihre „Winterdepressionen“, wie er meinte.

„In Deutschland sorgt man sich zehn Mal mehr um Suchtkranke als um Menschen mit einer Umweltkrankheit“, dachte Tim…

Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

FORTSETZUNGSGESCHICHTE:

Teil I: …und komme bitte nicht mit Parfüm

Teil II: MCS als Fiktion hinzustellen ist einfach, mit MCS zu leben ist schwer

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MCS als Fiktion hinstellen ist einfach, mit MCS zu leben ist schwer

Eine Riesensauerei was da läuft

Fortsetzungsgeschichte, Teil II

Als Carla und Joel nach Hause kamen, war Tim, Carlas Mann und Vater des Jungen, schon zu Hause. Tim war von einer Dienstreise vorzeitig zurück gekehrt, die er meistens mit der Bahn unternahm. Herzlich umarmte er seine Frau und seinen Sohn. Er wusste, was sie täglich auszuhalten hatten und bemühte sich, vor allem durch Liebe und Verständnis ihr Los zu erleichtern.

Jahre hatte er damit zugebracht, Umzüge zu organisieren, um eine verträgliche Wohnung für seine Lieben zu finden oder sie durch verschiedene Maßnahmen ver- träglich zu machen.

Carla schnüffelte prüfend an seiner Schulter.

Riechst du was? Ich habe nichts Duftendes angefasst.“

Überall

„Nein, das hast du nicht. Aber vielleicht hast du dich auf einem Platz gesetzt, indem vorher ein parfümierter Mann gesessen hat, denn ich rieche etwas Männerparfüm.“

„Tut mir leid, das habe ich nicht gemerkt. Ich ziehe mich sofort um.“

„Ist schon gut. Du kannst es ja nicht so riechen wie ich. Es geht schon“, sagte Carla lächelnd. Sie wollte nicht, dass Tim sich erst umzog und so das liebevolle Wiedersehen einen Abbruch erlitt. Tim würde es anstandslos tun, ihr zu liebe sogar gern, dass wusste sie, aber sie spürte, er wollte etwas los werden.

Tim seufzte erleichtert, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, öffnete seine Tasche und hielt Carla die Dezemberausgabe der Bahnzeitschrift „mobil“ von 2010 hin.

Sie setzte sofort ihre Maske auf, denn sie vertrug oft nicht den Geruch der Druckfarben.

„Was gibt es denn besonderes in dieser Ausgabe?“, fragte sie lächelnd, denn sie wusste, dass Tim sie nicht ohne Grund auf die Zeitschrift aufmerksam machte.

„Zwei was“, antwortete Tim.

„Zwei was?“

Behauptungen besser erst auf den Wahrheitsgehalt abklopfen

„Nun ja, dass eine würde ich gern auf den Wahrheitsgehalt einmal abklopfen und das andere ist eher besorgniserregend.“

„Leg los“, sagte Carla, trotz ihrer Erschöpfung um freundliches Interesse bemüht, damit Tim nicht seinen Elan verlor.

„Nun, ich zitiere und du rate einmal, wer das sagte: „ Etwas für sein Land tun heißt übrigens auch: an den Diskussionen teilzunehmen, die unser Land bewegen. Das fängt im privaten Bereich an, und findet seine Fortsetzung in Vereinen, Verbänden oder Initiativen…“ Na Schatz, wer sagte das?“

„Na wer schon?“, antwortete Carla und konnte nur mühsam ein Lachen unterdrücken. „Angela Merkel, wer sonst?“

„Woher weißt du….?“, fragte ungläubig Tim, den vollkommen unklar war, wie Carla darauf auf Anhieb kam. Da fiel sein Blick auf das Titelblatt der Zeitschrift und er schlug sich mit der Hand auf seiner Stirn: Auf ihm war deutlich die Kanzlerin zu sehen und er hatte vergessen, die Zeitschrift entsprechend zu knicken. Und Carla tat so… „Du Mistvieh…“, zischte er.

Und da prustete das Lachen aus Carla heraus und Tim freute sich, dass er seine oft genug bedrückte Frau zum Lachen bringen konnte.

„Aber interessant ist das schon“, bestätigte Carla. „Das Bedrohliche von Chemikalien bewegt zweifellos unser Land, das heißt die Bevölkerung. Und da möchte ich mal eine öffentliche Diskussion entfachen und sogar Initiativen auslösen. Ob sie dann noch so hinter ihren Worten steht?“

Die Problematik MCS ist der Regierung schon öfter unterbreitet worden

„Das ist der Punkt“, stimmte Tim zu. „Und die Problematik MCS ist der Regierung schon öfters unterbreitet worden, ohne dass ernsthaft darauf reagiert wäre. In Dänemark wurde wider besseres Wissen manipulativ versucht, MCS-Kranke in die psychische Ecke zu stellen. Das versuchte man immer wieder auch schon in Deutschland, aber nicht mit einer so pseudowissenschaftlich-kriminellen Energie wie dort. Man müsste die Kanzlerin bei Wort nehmen…“

„Ja, das müsste man. In Dänemark lief eine besonders hinterhältige Methode. Sogar Fragekataloge zur Erkennung von MCS wurden so umgestellt, dass Antworten psycho- lastig erschienen.“

Das ist eine Riesensauerei

„Das ist eine Riesensauerei“, gab Tim mit verächtlicher Mine seiner Frau Recht. „Nimm eine Gruppe jugendlicher Querschnittgelähmter, die vor kurzer Zeit durch einen Verkehrsunfall von heute auf morgen gelähmt wurden. Es ist keine Kunst, ihnen eine Reihe von Fragen zu stellen, die dann ihre Befindlichkeiten entblößen und sich psychisch oder psychiatrisch ausschlachten lassen. Wenn man nur will, kann man es immer so aussehen lassen, dass eine psychiatrische Behandlung dringend erforderlich sei.“

„Weißt du, es wurde damit an für sich ein Eigentor geschlossenen. So wird ja immer wieder behauptet, dass durch Studien festgestellt worden sei, dass MCS-Betroffene – sie sagen: Menschen, die sich selbst für MCS-krank halten – eine schwierige Kindheit gehabt, dass sie traumatische Erlebnisse gehabt hätten usw…. Und dass sei die eigentliche Ursache für das Befinden der Betreffenden. Wenn das stimmt, dann ist in naher Zukunft eine bedrohliche Anzahl von Menschen betroffen, denn die Mehrheit der Eltern ist heute entweder beruflich maßlos überlastet oder arbeitslos bzw. unterversorgt. Sehr viele Kinder sehen entweder ihre Eltern fast gar nicht, und wenn dann im gestressten Zustand oder sie sehen sie als perspektivlose Wesen. Wie jetzt eine Fernsehsendung von 3Sat belegte, hat fehlende Liebe und Fürsorge verheerende Folgen in der Persönlichkeitsentwicklung. Aber das ist nicht gleichzusetzen mit den Ursachen von MCS.

Es stellt sich sonst die Frage, warum es nach den Weltkriegen kaum MCS gab?

Und warum gab es sie in den früheren Ostblockstaaten nicht bzw. war sie nicht bekannt, dafür aber heute n den Nachfolgestaaten?

Die Häufung ein statistischer Zufall?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass es z.B. in der DDR nur sehr wenig Asthma- und Allergiefälle gab, heute aber in den neuen Bundesländern genauso viele wie in den alten Bundesländern. Selbst Fachleute geben zu, dass die neuen Länder hier aufgeholt haben, können oder wollen aber nicht die Gründe hierfür nennen. Die Psychiatrisierung aber – das wird man gar nicht bedacht haben – stellt, wenn man über ihre Aussagen wirklich nachdenkt, eine gigantische Anklage darüber dar, wie extrem sozial krank unsere Gesellschaft ist. Ob das den verantwortlichen Herren besser gefällt, wie die tatsächliche Ursache: Das Übermaß an Chemikalien im Alltag in Verbindung mit ererbten oder erworbenen Schwächen der Entgiftungsorgane der Körper der Betreffenden?“

„Weißt du aber, was die Kanzlerin noch gesagt hatte?“

„Nein, was meinst du?“

„Nun es gab eine Anfrage im Bundestag, warum es so viele Krebsfälle in der näheren Umgebung von der Atommüll Lagerstätte Asse gibt. Ihre Antwort war, dass sie diese Häufung für einen statistischen Zufall hält.“

„Klingt doch gut Carla, oder? Warum es immer mehr Allergien und MCS gibt in der heutigen Zeit? Statistischer Zufall! In den letzten zehntausend Jahren gab es doch kaum Allergien und MCS oder?“

Carla musste lachen. „Sie hat ja jetzt ihren Spitznamen als Teflon-Merkel weg. Ob das drastische Bienensterben in Amerika und Europa auch nur ein statistischer Zufall ist? Ach, lassen wir das für heute, Tim. Sag mir lieber das Zweite von „mobil“.“

Ein Seufzen kam aus der Ecke der Stube. Das Paar blickte in Richtung Sofa. Joel war eingeschlafen. Es war ein anstrengender Tag für ihn. Carlo und Tim sahen sich an. Ihnen war klar, dass sie sich erst einmal um den Jungen kümmern mussten, bevor sie weiter diskutierten. Dann aber spürten sie, dass sie selbst auch erschöpft waren und gingen zu Bett.

Kranke werden auf sich allein gestellt

Tim hatte seine, noch im Halbschlaf befindliche Frau am Morgen gefragt, was für Wasser am selbigen Tag mit Trinken und Kochen dran sei, denn Carla musste auch das Mineralwasser im Rotationsplan mit einbeziehen, damit sie nicht auch noch gegenüber einer Mineralwassersorte allergisch wird. Sie vertrug ohnehin nur drei Sorten. Er füllte zweieinhalb Glasflaschen Wasser in einem Glastopf, um das Mineralwasser zehn Minuten zu kochen. Damit entweicht nicht nur die Kohlensäure, sondern es wird auch ein Teil der Mineralien ausgefällt. Zuviele Mineralien kurbeln den Entgiftungsprozess zu sehr an, was Carla unnötig belasten würde. Da sie auf das Metall von Stahltöpfen reagierte, musste alles mit Glas- oder Keramiktöpfen gekocht werden. So auch das Frühstück, das dieses Mal planmäßig aus gekochten Quinoa mit Blattspinat und Hanföl bestand. Joel war nicht so histaminanfällig wie seine Mutter und vertrug daher Brötchen.

Sauerstoff aus der Flasche

Während Tim kochte, fiel ihm der Bericht von Carla ein, als sie im EHC-Dallas bei Dr. Rea zur Behandlung weilte. Dort war eine Frau, die überhaupt kein Wasser vertrug. Sie musste sich Entenbrüste zubereiten und den austretenden Fleischsaft trinken, wollte sie nicht verdursten. Carla berichtete auch von einem Mädchen, dass auf einer Rollliege transportiert wurde und sogar innerhalb der cleanen Klinikräume noch eine Atemschutzmaske tragen musste. Ihr Körper und Kopf waren mit Decken zugedeckt, weil sie nicht einmal das Licht der Lampen der Klinik vertrug. Eine alte Frau zog ständig eine Stahlflasche mit medizinischem Sauerstoff hinter sich her, weil sie auf die normale Luft schwer reagierte. Sie war früher Lehrerin und wurde durch chemisch verseuchte Schulräume krank. Sie lebte praktisch in ihrem Auto und schrieb auf einer alten Schreibmaschine ihre Biografie. Eine andere Betroffene hielt es nur in den speziellen cleanen Räumen der mit dem EHC kooperierenden Hotels aus. Selbst die elektromagentische Strahlen eines normalen Schnurtelefons konnte sie nur wenige Minuten tolerieren. In den USA gibt es MCS-Kranke, die überhaupt nicht mehr in einer Wohnung leben können und Sommer wie Winter in Zelten oder Autos hausen müssen. In Deutschland, Italien und in der Schweiz kämpfen schwer kranke MCS-Kranke, oft noch zusätzlich mit einer starken Elektrosensibilität belastet, in Wohnwagen um ihr Überleben.

…plötzlich völlig alleine

Andere sind zu einer Art „Waldmensch“ geworden, um zu überleben. Die Selbstmordrate unter den Kranken ist sehr hoch, weil sie in schweren Fällen nicht mehr wissen, wo sie sich aufhalten, was sie für Lebensmittel und Kleidungsstoffe sie vertragen und welche Mineralwässer sie tolerieren können. Viele leben weitgehend isoliert. Eine MCS-kranke Frau stand plötzlich völlig allein dar, als sich ihr Mann bei der Arbeit eine schwere Verletzung zuzog und er ins Krankenhaus musste. Sie erlitt einen Herzschock, weshalb sie ebenfalls ins Krankenhaus hätte gehen müssen, aber nicht konnte, weil sie MCS hatte. Es gibt einfach kein SOS-Notprogramm für solche Fälle… Sie waren mehr oder weniger Freiwild, das oft genug in Psychiatrien weggesperrt wurde, statt das ihnen wirksam geholfen wurde. Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN -Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

Teil I: ….und komme bitte nicht mit Parfüm

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…und komme bitte nicht mit Parfüm

FORTSETZUNGSGESCHICHTE

Der vierjährige Joel

lief schwermütig und keuchend an der Hand seiner Mutter. Das Atmen fiel dem Kleinen schwer, weil er durch die Atemschutzmaske nur mühsam Luft bekam. Carla, seiner Mutter, erging es mit ihrer Maske nicht viel besser, aber sie bemühte sich durch aufmunternde Worte, die immer wieder aufkommende Schwermut des Jungen zu vertreiben. Sie hoffte, dass er nicht gleich wieder mit seiner quälenden Fragerei begann; quälende Fragen auch für sie, die sie mit einem Lächeln in der Stimme zu entschärfen suchte:

  • Mutti, warum wird es uns schlecht, wenn wir keine Maske tragen?
  • Mutti, warum müssen wir draußen bleiben, wenn Papi einkauft?
  • Warum schließt du immer die Fenster, wenn gerade die Sonne so schön scheint?
  • Wieso sind Weichspüler und Parfüm für uns giftig und für andere Menschen nicht?
  • Warum wird es mir schlecht, wenn ich mit anderen Kindern spiele?
  • Warum sind wir so anders wie die anderen…

Fragen über Fragen, deren Antworten nur erklären, aber nicht trösten können.

Carla hoffte also, dass er sie nicht wieder mit Fragen löcherte, aber das Schweigen des Kindes, das sogar seine ausdruckslosen Augen unterstrichen, bedrückte sie noch mehr als die unausgesprochenen Fragen.

Blitzartig drückte sie ihre Atemschutzmaske und die des Kleinen fest an das Gesicht: Ein rauchender Radfahrer war an ihnen vorbeigefahren und der Tabakgestank drang sogar durch ihre Masken. Nach einigen Minuten riss sich Carla hustend und röchelnd die Maske vom rot angelaufenen Gesicht und presste die Atemmaske der Sauerstoffflasche – die sie immer bei sich hatte – an Mund und Nase. Tief atmend sog sie den Sauerstoff ein. Joel sah ihr dabei ohne große Beunruhigung zu. Er wusste, dass er seiner Mutter nicht helfen konnte, dass ihre Reaktion auf den Zigarettenqualm immer sehr qualvoll waren, aber auch, dass der Sauerstoff ihr nach einigen Minuten Linderung verschaffen würde. Meistens waren Zigarettenrauch, qualmende Schornsteine – sogar im Garten, wenn Gartennachbarn heizten – Weichspüler und Parfümgerüche schuld an solchen Atemnotattacken. Ihn selbst belasten diese Gerüche auch sehr, aber nicht so schlimm wie seine Mutti.

„Mama, warum müssen die anderen Leute immer so sehr riechen, dass es uns schlecht wird?“, fragte Joel nun doch. Carla, die sich noch nicht völlig wieder erholt hatte, presste ein „tun sie nicht mit Absicht“ hervor. „Sie wissen nichts von unserer Krankheit und können sich nicht vorstellen, wie sehr Duftstoffe schädlich sein können“, ergänzte sie, nach dem sie noch einige Mal gehustet hatte.

„Und die Farben und Lacke, Mama?“ Carla musste trotz ihres Zustandes schmunzeln und war erstaunt, wie gut ihr Sohn aufgepasst hatte, wenn sie etwas erklärte. Über Farbe und Lacke hatten sie sich vor einige Tage unterhalten. Joel wollte sich nur bestätigt fühlen und so stimmte Carla zu: „Ja, auch die Farben und Lacke sind gefährlich“. „Die mit den Lösungsmitteln“, hackte der Kleine nach. „Genau!“

Carla seufzte leise. Ihr ging es immer noch nicht gut. Aus den Augenwinkeln versuchte Joel unauffällig einen Blick von ihr zu erhaschen und Carla tat so, als bemerkte sie es nicht. Sie versuchte zu lächeln, um Joel von ihren Zustand abzulenken. Doch das war zwecklos, der Junge durchschaute diese gutgemeinte Schauspielerei sofort. Sie machte ihn eher wütend: Wie kann diese verfluchte Krankheit seine Mama zwingen, zu lächeln, wenn es ihr doch so schlecht geht?

Gegenseitig konnten sich die beiden Leidgeprüften einfach nichts vormachen. Die gemeinsame Krankheit schien einen Großteil des Altersunterschiedes zwischen Mutter und Sohn aufzulösen…

„Ey Alter – ist wohl schon Fasching?“,

rief eine Stimme aus einer johlenden Menge von Jugendlichen, die sich über die Atemmasken der beiden amüsierten.

‚Blöde Kerle´, dachte Carla und überlegte, was sie ihnen erwidern sollte. Kurz entschlossen ging sie auf die Jugendlichen zu, holte ein Bündel Flyer über Multiple Chemische Sensibilität aus ihrer Tasche und drückte sie einem der Jugendlichen in die Hand: „Hier – Karnevalsinfos. Ich hoffe, ihr könnt euch totlachen“ sagte sie mit sarkastischer Stimme, drehte sich um und eilte zu Joel.

„So´n Quatsch“, hörte sie eine Stimme.

„Überhaupt nicht“, konterte eine andere. „Eine Bekannte von mir verträgt ebenfalls kein Parfüm und nix was duftet“.

Carla begann sich für die Diskussion zu interessieren und setzte sich mit Joel auf eine nahe stehende Bank.

„Hab nebenher einen Film bei ARTE gesehen, den meine Alten sich reinzogen. Die haben gesagt, dass es fünfmal mehr Plastikmüll in den Ozeanen gibt wie Plankton.“

„Na und Alter, dass verschwindet auch wieder. Löst sich auf und so.“

„Haste‘ ne Scheibe? Nix mit auflösen oder Abbau. Es zerfällt nur in immer kleinere Teile bis Planktongröße. Dann wird das Zeug von Fischen gefressen. Guten Appetit Alter! Plastikbestandteile werden inzwischen schon im Menschenblut nachgewiesen“

„Was ist heute schon noch gesund“, sagte ein schwarzhaariges Mädchen.

„Nun übertreibt mal nicht. Wir haben die besten Lebensmittel seit Jahrhunderten.“

„Aber natürlich – mit der höchsten Chemiebelastung seit Jahrhunderten.“

„Na und, dafür gibt es genug Lebensmittel für alle zu bezahlbaren Preisen. Außerdem gibt es für alles Grenzwerte.“

„Mann, bist du bescheuert“, regte sich ein etwas älterer Jugendlicher auf, der gut ein Student sein konnte. „Was bedeuten schon Grenzwerte? Sie fragen nicht danach, ob du noch ein Kind bist, ob du weiblich oder männlich, ob du jung oder alt, ob du gesund oder krank bist und unter was für einer Krankheit du leidest. Und wenn es für viele tausend Chemikalien Grenzwerte gibt, wer sagt dir, dass diese in Kombinationen nicht erheblich giftiger und schädlicher sind? Und was ist mit denen, die schon vorbelastet sind oder deren Entgiftungsorgane nicht optimal arbeiten?“

„Genau“, pflichtete das schwarzhaarige Mädchen bei. „Die Grenzwerte sind doch nur Beruhigungspillen für die Bevölkerung, damit die Chemieindustrie mit ihrem Chemiedreck weiterhin unseren Alltag völlig durchdringen kann.“

„Ach so, die böse, böse Chemie. Und was verdanken wir ihr alles? Warum macht ihr alles so einseitig schlecht?“

„Man, darum geht es doch gar nicht“, meldete sich der Studententyp wieder zu Wort. „Es geht darum, dass einfach keine chemischen Produkte für die Verbraucher oder den Einsatz in der Wirtschaft oder im öffentlichen Raum zugelassen werden dürfen, bis zweifelsfrei sicher ist, dass sie nicht gesundheitsgefährdend sind. Auch dann nicht, wenn sie schon lange Zeit der Witterung ausgesetzt oder im Gebrauch sind. Warum leiden denn heute immer noch Menschen unter dem Einsatz von Holzschutzmitteln, zu wenig geprüften Medikamenten, Ausdünstungen von Teppichen, Farben, Spanplatten usw.?“

„Er hat Recht“, sagte ein Rotschopf, der sich bis dahin zurückgehalten hatte. „Es gibt immer mehr Allergien. Immer mehr Kinder haben ADHS. Und in den blöden Plastikflaschen stecken hormonartige Substanzen. Einer Neunjährigen wuchsen dadurch schon Brüste und sie bekam die Regel. Und selbst in Ländern, wo Bisphenol A, so heißen diese „Pseudohormone“, verboten werden sollen, gibt es relativ lange Übergangsfristen, bis das Zeug endgültig verschwindet.“

„Neunjährige mit Brüsten und Regel? Das sind doch nur Ausnahmen.“

„Du Rindvieh, soll das erst die REGEL werden? Wie lange willst du denn noch…“

Carla hätte gern noch länger zugehört. Obwohl es noch warm war an diesem Augustnachmittag fröstelte sie stark. Eine Folge ihrer Reaktion auf den Zigarettenrauch. Auch Joel sah müde aus. Sie bereute es aber nicht, den jugendlichen Gedankenaustausch verfolgt zu haben. Nie hätte sie gedacht, dass diese – noch vorher johlende Menge – plötzlich so ernsthaft und kritisch diskutierte.

Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

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Warnung eines bedeutenden Forschers – Über die Risiken, mit denen BPA unser Leben bedroht

Interview Elizabeth Kolbert, Yale Environment 360 mit Prof. Frederick vom Saal

Die synthetische Chemikalie BPA – die man in allem findet, von Plastikflaschen bis zu Kassenzetteln – ist eine hochwirksame, die Wirkung von Östrogenen nachahmende chemische Verbindung. In einem Interview mit Yale Environment 360 kritisiert der Biologe Frederick vom Saal US-Firmen und die US-Regierung auf das Heftigste, weil sie viele mit BPA verbundene Gesundheitsrisiken vertuschen oder ignorieren.

Die Chemikalie Bisphenol A, oder BPA, war die letzte Zeit sehr oft in den Nachrichten. BPA ist Grundbaustein für Polycarbonat-Kunststoff – ein harter, klarer Kunststoff, aus dem häufig Wasserflaschen hergestellt werden – und man findet es in allem, von der Innenbeschichtung von Konservendosen, über Thermopapier für Registrierkassen, bis zum Zahnfüllmaterial, mit dem man die Zähne von Kindern behandelt. Diese Chemikalie ahmt die Wirkung von Östrogen nach und Studien mit Labortieren haben eine Belastung mit BPA, selbst in sehr geringen Dosen, mit einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen in Zusammenhang gebracht, vom erhöhten Risiko für Prostata-Krebs, über Herzerkrankungen, bis zur Schädigung des Fortpflanzungs- systems.

Frederick vom Saal, ein Biologe aus der Forschungsgruppe Endokrine Disruptoren an der Universität von Missouri, ist einer der weltweit führenden Forscher, die sich mit den die Gesundheit beeinträchtigenden Auswirkungen von BPA auf Menschen und Tiere befassen. Darüber hinaus ist er einer der erklärtesten Kritiker von US-Wirtschaft und Behörden, welche die sich verschlimmernden Hauptfolgen der BPA-Belastung für die menschliche Gesundheit herunterspielen und verschleiern. Vom Saal ist wütend, denn obwohl BPA einem anderen synthetischen Hormon sehr ähnelt, nämlich DES oder Diethylstilbestrol, das in den 40’er und 50’er Jahren bei tausenden von Frauen eine Unzahl von Gesundheitsproblemen verursachte, fangen die für die Regulierung zuständigen Bundesbehörden erst jetzt an, die von BPA ausgehende Gefahr ernst zu nehmen.

In einem Interview mit Elizabeth Kolbert, einer Mitarbeiterin von Yale Environment 360, ließ vom Saal an der US-amerikanischen Chemieindustrie kein gutes Haar, da sie versucht, die Forschung, die Gefahren von BPA aufzeigt, zu unterdrücken und ihn und andere Forscher bedroht. Den Regulierern der US-Umweltschutzbehörde steht vom Saal genau so kritisch gegenüber, von denen sagt er, dass sie sich auf veraltete Studien stützten, die oft von der Industrie finanziert wurden, um die Behauptungen aufrecht zu erhalten, dass BPA sicher sei.

Vom Saal ist felsenfest davon überzeugt, dass BPA so bald wie möglich aus allen Produkten entfernt werden sollte, so wie es in Japan vor einem Jahrzehnt getan wurde. Obgleich die amerikanische Aufsichtsbehörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) bereits zu einem früheren Zeitpunkt diesen Jahres bekannt gab, dass die gesundheitlichen Folgen von BPA „Anlass zu vielen Sorgen“ geben, bleibt diese Chemikalien weiterhin unreguliert. Vom Saal beharrt darauf, dass das Regulierungssystem versagt hat, die amerikanischen Verbraucher zu schützen und fügt hinzu, „Es ist eine Lüge. Es ist Betrug. Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass diese Angelegenheit immer so weiter geht.“

Yale Environment 360: Jeder hat von BPA gehört, doch ich glaube kaum, dass die Leute wissen, was das ist. Was ist es?

Frederick vom Saal: Bisphenol A ist von Erdöl abgeleitet. Man verwendet dafür Benzol, diese Art von chemischem Grundbaustein, den Firmen wie Exxon herstellen und den sie an Firmen wie Dow Chemical verkaufen. Und das sind jene, die mit Hilfe einer vom Menschen erdachten chemischen Reaktion aus diesem Benzol die Chemikalie Bisphenol A machen. Und das ist eine äußerst reaktive Chemikalie, die so gestaltet ist, dass jeder Biochemiker sie ansehen und sagen würde, „Diese Chemikalie wird als Östrogen-nachahmende hormonale Chemikalie agieren.“

e360: Zu dieser Chemikalie geforscht hat ursprünglich…

vom Saal: Charles Edward Dodds. Er war ein britischer Chemiker, einer der führenden Chemiker der 30’er und 40’er Jahre, und er bekam den Nobelpreis für die Synthetisierung einer Chemikalie – manche würden ihn gerne exhumieren und ihm den Preis wieder wegnehmen – die DES heißt, Diethylstilbestrol (PDF Deutsch, S. 100), die an Millionen Frauen verabreicht wurde und die das Leben vieler von ihnen zerstört hat. Sie suchten nach einem synthetischen, oral aktiven Östrogen. Bisphenol A wird größtenteils resorbiert, in Gegensatz zu den natürlichen Hormonen, die im Magen sofort abgebaut werden. Und DES wird hochgradig resorbiert. DES ähnelt BPA sowohl strukturell als auch funktionell sehr stark. Es gibt zahlreiche andere noch anspruchsvollere Molekulararbeiten des 21. Jahrhunderts die zeigen, dass BPA tatsächlich genau so wirksam und in einigen Fällen sogar wirksamer als DES ist.

e360: Und warum können wir BPA nicht z.B. zur Geburtenkontrolle benutzen?

vom Saal: Aus dem gleichen Grund, weshalb wir DES nicht einsetzen können. Es ist eine krebsauslösende Chemikalie. Wenn Föten ihr ausgesetzt werden, wissen wir mittlerweile, dass eine Zunahme des Körpergewichtes damit verbunden ist. Des weiteren Fettleibigkeit, Diabetes, Herzerkrankung, Immunstörungen einschließlich Asthma und Allergie, Schädigung des gesamten Fortpflanzungssystems, einschließlich Gebärmutterfibromen, Eierstockzysten bei Frauen, Brustkrebs.

Bei Männern, geringe Spermiendichte, Prostatakrebs, Missbildungen der Harnwege, deshalb können Männer, wenn sie älter werden, nicht normal urinieren – der häufigste Grund, weshalb Männer einen Arzt aufsuchen. Wir sprechen über Milliarden von Dollar an Behandlungskosten. Und aus neurobiologischer Sicht, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung [AHDS/wird leider oft diagnostiziert, um gesunde Kinder chemisch ruhig zu stellen], manche Lernbehinderung und Störung des sozialen Verhaltens. Es bewirkt, dass das Gehirn junger Tiere wie das einer altersschwachen, erwachsenen, alten Person aussieht und spielt bei Gedächtnisverlust eine Rolle. Viele der weltweiten Epidemien hängen mit diesen Chemikalien zusammen – Diabetes, Fettleibigkeit, neurologische Verhaltensstörungen, Störung der Fortpflanzung, Abnahme der Fruchtbarkeit und vorgezogene Pubertät bei Mädchen.

e360: Nun gibt es also diese Östrogen nachahmende Chemikalie. Warum wird diese in so vielen Produkten eingesetzt?

vom Saal: Die Vorstellung, ein Chemiker würde Biologie studieren, ist neu. Chemiker, die sich mit der Synthetisierung von Stoffen befassen, würden auf das Molekül schauen und das Östrogen nicht erkennen, klar. Sie würden nicht wissen, dass jemand darüber publiziert hat, dass man bei BPA davon ausgeht, dass es sich um einen hormonellen Wirkstoff handelt.

e360: Aber warum ist es überall drin?

vom Saal: Nun, es ist ein Molekül, aus dem man, indem man es aneinander hängt, die harten und klaren Gläser meiner Brille macht. Es ist ein fantastisch aussehendes Produkt. Problematisch wird es, wenn man es in heißes Material taucht, legen Sie es in eine Wanne mit einer etwas alkalischen Umgebung, dann brechen die Molekülbindungen auf. Wenn es die Gestalt einer Molekülkette hat, seine polymere Form, dann sind diese Moleküle hormonal nicht aktiv. Wenn man sie aber aus der Kette brechen und sie frei sind, hat man ein Hormon.

e360: Aber sagen wir doch einfach, wir nehmen das BPA aus dieser Chemikalie. Warum nicht einfach herausnehmen?

vom Saal: Stellen Sie sich Polycarbonat als Stahlkette vor. Und was Sie fragen ist – was passiert, wenn ich den Stahl weglasse? Sie haben keine Stahlkette. Sie können die Kette aus etwas anderem herstellen, aber sie wird nicht diese Eigenschaften besitzen. Nun, man stellt tatsächlich andere Polymermischungen her, die hart und klar sind. Dafür hat man lange Zeit gebraucht. In den 50’er Jahren, als man dies tat, war man euphorisch. Man hatte etwas hergestellt, von dem man dachte, dass es auf den ersten Blick wie Glas aussieht. Nun, wie jeder weiß, der etwas aus Polycarbonat besitzt, kann man nach dem hundertsten Waschen oder so, nicht mehr durch gucken. Das Wasser beginnt einzudringen, baut es ab; es löst sich auf. Und unter extremen Bedingungen, sie können Polycarbonat nehmen und es in eine Salzlösung stecken und erhitzen, und innerhalb von 20 oder 30 Tagen, löst es sich fast vollständig auf.

e360: Nun, wie haben sie es als problematischen Stoff identifiziert?

vom Saal: Wir untersuchten Östrogene und deren Wirkungen auf Föten, da wir wissen, dass das Internationale Krebsregister [jetzt IACR/International Association of Cancer Registries das natürliche menschliche Hormon Östradiol als Karzinogen der Klasse I aufführt. Das Brustkrebsrisiko während des gesamten Lebens beschreibt man am besten mit der Zeit des Lebens, während der man dem eigenen natürlichen Hormon Östradiol ausgesetzt war. Man braucht es zur Fortpflanzung. Aber Menschen lebten ursprünglich keine 50 oder 60 Jahre. Das hatte die Evolution so nicht vorgesehen, und – hoppla, sie sind [Östradiol] genau so lange ausgesetzt und deshalb spielt es bei der Entstehung von Krebserkrankungen in unserem Körper eine Rolle. Und all die anderen Östrogene tragen zu der Östrogenbelastung bei, da ihr Körper nicht weiß, ob DES Östradiol oder eine dieser zahlreichen anderen Chemikalien ist, die den Körper täuschen können, zu denken, er habe Östrogene vor sich. Bisphenol A ist auf einer Liste jener Chemikalien, von denen ziemlich eindeutig nachgewiesen wurde, dass sie die Wirkungsweise des natürlichen Hormons Östrogen imitieren.

Zu Bisphenol A wird gebetsmühlenartig wiederholt, „Auch wenn es sich um ein Östrogen handelt, ist es so schwach, dass wir uns deswegen keine Sorgen machen müssen.“ Aber das ist so wie zu behaupten, Arnold Schwarzenegger ist im Vergleich zu Supermann schwach. Weil Östradiol unter einem ppt [1/1000000000000] wirkt? Das ist ein derart erstaunlich kleiner Tropfen in einem Schwimmbecken von Olympiagröße, und der verursacht Brustkrebs. Damit liegen wir zwischen zehn und hundert bis tausend Millionen mal niedriger als das, worüber auch immer sich Toxikologen Gedanken machen. Was wir machten, war anhand menschlicher Brustkrebszellen östrogene Chemikalien auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Und Bisphenol A ging wie eine Rakete ab. Wir sagten, „Heiliger Bimbam! Was zum Kuckuck hat jemals jemand dazu veranlasst zu denken, es wäre schwach?“

Und wir machten einen Versuch und wir begannen mit einer 25.000 fach geringeren Dosis als jemals jemand untersucht hat. Dazu gab es im Wesentlichen eine Studie des NIH [National Institut of Health/US-Gesundheitsbehörde]. Niemand hat jemals eine gründliche Untersuchung über die Belastung während den fötalen und den neonatalen Stadien und der Kindheit durchgeführt, wenn Entwicklungen stattfinden, wenn Östrogene die Programmierung beschädigen, die festlegt, wie ihr Körper für den Rest des Lebens funktionieren wird. Genau das geschah mit den DES-Babys. Mit 20 bekamen sie Krebserkrankungen, die niemand zuvor beobachtet hatte. Das Problem ist, man sieht sie nicht sofort. Nun, wenn man ihren Uterus untersucht, so hat er die Form einer Sanduhr; die Eileiter sind völlig zerstört. Und dann im Alter von 50, haben sie über dreimal häufiger Brustkrebs. Es dauerte 50 Jahre, bis man es sehen konnte. Das ist die Handschrift endokriner Disruption.

Wir publizierten dies, und die chemische Industrie war hinter uns her, drohte uns. Alle Hersteller riefen uns an, drohten uns.

e360: Von welchem Jahr sprechen Sie?

vom Saal: 1996. Dann schickte Dow Chemical jemanden vorbei und meinte, „Können wir uns auf ein für beide Seiten nützliches Ergebnis einigen, bei dem Sie diese Arbeit nicht veröffentlichen?“ – die längst angenommen war. Wenige Wochen später hatte ich einen Anruf von jemandem der sagte, „Ob ich mir dessen bewusst wäre, dass die Chemiehersteller eine millionenschwere Kampagne vorbereiten, wie gut BPA für Babys wäre“, wozu sie sich eine Seite von Dutch Boy Paints* [Farbenhersteller] borgten, auf dieser wurde damit geworben, man würde Babys glücklich machen, obwohl bekannt ist, dass Blei Kleinkinder tötet. Was man also tut, ist, dass man jene Bevölkerungsgruppe zur Zielgruppe des Produktes macht, die durch dieses tatsächlich ernsthaft geschädigt wird. Diese Leute sind wirklich krank. Ich meine, jemand der so etwas tun würde, ist aus meiner Sicht ein Soziopath.

*[Übersetzer: Heute enthalten diese Farben hoffentlich kein Blei mehr. Warum linkt man dann aber unter Sicherheitshinweise (Safety Education) zur den Bleiwarnungen der EPA?]

e360: Doch nun sind wir 14 Jahre und wie viele Studien weiter?

vom Saal: OK, über 1.000. Und was wir haben, ist eine Regulierungsbehörde nach der anderen Regulierungsbehörde, die an Jahrzehnte veraltete Verfahren gebunden ist. Und unfähig, wie sie behaupten, aufgrund ihrer Regeln, die Existenz buchstäblich jeglicher moderner Wissenschaft anzuerkennen. Es ist so, als ob man Polio bekommt, und nun müssen wir Sie in eine eiserne Lunge stecken, denn unsere gesetzlichen Regelungen erlaubt keinerlei moderne Herangehensweise, um es zu behandeln. Aber, genau so ist unser Regelwerk für Chemie.

Keine der Regulierungsbehörden, die alle stark unter dem Einfluss der chemischen Industrie standen, wusste überhaupt, wie sie vorgehen sollten. Und womit anfangen? Im Handel gibt es 100.000 Chemikalien. Davon fällt tatsächlich nur eine kleine Anzahl unter ihre gesetzliche Regulierungsbefugnis, dank des Toxic Substance Control Act [Kontrollgesetz für toxische Substanzen] von 1970, fallen 62.000 Chemikalien, darunter BPA, unter den Bestandsschutz, d.h. sie werden von gesetzlichen Regelungen überhaupt nicht erfasst. Darum gibt es keine Vorschriften für BPA.

Doch im Januar 2010 tat die FDA (US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde) etwas bemerkenswertes – sie drehten ihre Position, wonach BPA sicher wäre, um 180 Grad, und teilten mit, wir stimmen unserer wissenschaftlichen Beratungsbehörde zu [Advisory Committees], dass es Gründe gibt, sich wegen Prostatakrebs, vorzeitiger Pubertät und einer Reihe anderer Dinge Sorgen zu machen. Dies war ein großer Durchbruch. Nun haben wir neuerdings eine Regierungsbehörde, welche akzeptiert hat, dass man diese Chemikalie vermeiden sollte. Doch sie sagen, „Es tut uns leid, aber wir haben nicht die Befugnis, dies zu bewerkstelligen. Wir haben nicht einmal die Befugnis, zur Chemischen Industrie hin zu gehen und zu sagen, ‚Was ist da drin?‘. Wir können dies nicht mal feststellen.“ Es ist eine Chemikalie, die unter den Bestandsschutz fällt.

e360: Was könnte (die FDA) tun?

vom Saal: Was die FDA sagte ist folgendes, „Wir arbeiten mit dem Kongress daran, zu versuchen, das Gesetzt geändert zu bekommen.“ Doch die Regelungen, die wir ausführen zu ändern, würde fünf bis zehn Jahre dauern, wenn die Industrie mitspielen würde. Und dies ist eine extrem unkooperative Industrie. Es geht um ein Produkt, das annähernd 10 Milliarden Dollar pro Jahr einbringt. Solches Geld lässt sich natürlich niemand entgehen.

Und 100 Prozent der von der chemischen Industrie finanzierten Studien sagen, diese Chemikalie ist absolut sicher. Haben sie das schon mal gehört? Bei jeder Chemikalie, bei jedem Arzneimittel, das Sie sich ansehen, brauchen sie nur auf das Geld achten und es wird ihnen sagen, was bei der Studie herauskommen wird. Unabhängige Wissenschaftler stellen Gefahren fest. Leute, die entweder offen oder verdeckt für die Interessen der chemischen Industrie arbeiten, stellen nur Unbedenklichkeit fest. Keines der Industrie- oder Firmenlabore genießt irgendeinen besonderen Ruf in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Und ihre Arbeiten sind pathetisch, da sie völlig veraltet sind und Techniken benutzen, die niemand in einer Laboruntersuchung benutzen würde und die 40, 50 Jahre alt sind.

e360: Können sie mal eine der Laboruntersuchungen beschreiben, die Ihr Labor durchgeführt hat?

vom Saal: Das erste Ergebnis, das wir hatten, war, dass BPA eine krankhafte Prostata bei einem Mausfötus hervorrief. Und dann publizierten wir in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ [renommierte Zeitschrift der Amerikanischen Wissenschaftsakademie] wie man eine sehr hochentwickelte Technik wirklich verwenden kann, indem man das Organ heraus nimmt, es zerschneidet und in einen Computer einscannt. Man kann sagen, wie viele dorsale Kanäle es da gibt und wie die Beschaffenheit dieser Kanäle ist. Dann nehmen wir diese Kanäle, die aus dem Harnleiter kommen und färben sie mit speziellen Farben ein, damit wir genau feststellen können, welche Arten von Zellen es darin gibt und ob sie sich teilen oder nicht. Und was wir fanden waren Stammzellen – das schlimmste, was passieren kann, denn dies sind jene Zellen, die sich zu erwachsenen Zellen wandeln und zu Krebszellen werden – und sie sind das Ziel von Bisphenol A. Und sie wachsen anormal; die Kanäle sind alle stark missbildet.

Wir verfütterten auch BPA in einer [kleineren] Dosis an eine trächtige Maus, die sich um das Tausendfache von der unterschied, die irgend eine Wirkung hervorrufen kann, und dann nahmen wir ihre männlichen Nachkommen und stellten fest, dass es bei der Entwicklung der Prostata Anomalitäten gab. Eine andere Forschergruppe griff dies auf und behandelte Ratten mit Bisphenol A. Und im Erwachsenenalter entwickelten diese Prostatakrebs im Frühstadium. Und diese Gruppe war in der Lage, dies auf eine Veränderung in der Programmierung jener Gene zurück zu führen, welche bei Menschen, die Prostatakrebs bekommen, eine Rolle spielen.

e360: Nun also ganz praxisnah – als Mutter, die alle ihre drei Söhne als Säuglinge mit Plastikfläschchen gefüttert hat – wie besorgt müssen wir Eltern alle sein, und was können die Leute praktisch tun, um diese allgegenwärtige Chemikalie zu vermeiden?

vom Saal: Was wir wissen ist, dass Östradiol und Östrogene Risikofaktoren für Krankheiten sind. Und das bedeutet, wenn sie 100 Menschen untersuchen, wissen sie, dass sieben oder acht erkranken können, oder zehn, oder mehr. Und das andere ist, dass wir wissen, dass es unter Frauen hundert verschiedene Abstufungen gibt, wie Frauen beispielsweise auf orale Empfängnisverhütungsmittel ansprechen. Was man nicht sagen kann ist, die Tatsache, dass Sie mit ihren Kindern so umgegangen sind, würde zwangsläufig bedeuten, dass sie all diese Erkrankungen bekommen werden. Aber es erhöht ihr Risiko für zahlreiche Anomalitäten, was Sie im Auge behalten sollten. Doch alle diese Krankheiten, von denen wir sprechen, haben multifaktorielle Ursachen, und wenn BPA dazu kommt, spielt der ganze Rest des individuellen Lebensstiles eine Rolle. Ich meine damit, bei unseren Versuchstieren führte es zu Fettleibigkeit ohne erhöhte Nahrungsaufnahme. Das heißt, wenn man BPA ausgesetzt war und Symptome von Fettleibigkeit aufweist, würden Sie gerne Gegenmaßnahmen ergreifen und müssten erkennen, dass es nichts bringt, diese Person nur das essen zu lassen, was auch Sie essen – wegen dieser Chemikalie, von der wir feststellen, dass es umprogrammierte Gene in den Fettzellen sind, die anders funktionieren. Und die platzieren mehr Fett in ihre Fettzellen. Ihre Fettzellen sind im Vergleich zu normalen Fettzellen groß. Sie lagern dort einfach mehr Lipide ein. Und die Person kann nichts daran ändern. Aber Sie können dennoch die Ernährung dieser Person kontrollieren und nicht zulassen, dass es so weit kommt. Eines von den Dingen, die ich getan habe ist, meine Frau und ich haben in unserem Haushalt vor allem jede Art von Polycarbonat-Kunststoff verbannt.

e360: Das bedeutet, jegliche Art von diesen Hartkunststoff-Flaschen?

vom Saal: Hart und durchsichtig, wo nicht BPA frei drauf steht. Sie enthalten andere Chemikalien, denen sich auszusetzen ich nicht empfehlen würde. Und das Wasser in ihnen ist nicht rein, noch ist es überwacht. Das Beste, was Sie für Ihre Versorgung mit Wasser tun können ist, ein gutes Haushalts-Filtersystem zu kaufen und Leitungswasser zu benutzen, das durch einen Umkehr-Osmose, Kohlefilter gelaufen ist. In innerhalb weniger Monate kommen sie im Vergleich zum Kauf von Trinkwasser in Flaschen finanziell besser weg. OK, die andere Sache ist, dass ich jegliches Wasser, welches ich abfülle, in einen Edelstahlbehälter fülle.

e360: Und einmal las ich, Sie hätten gesagt, sie trinken nur Bier aus Flaschen; wir sollten nicht aus Getränkedosen trinken.

vom Saal: Mit ein paar sehr wenigen Ausnahmen gibt es in den Vereinigten Staat keine Dosenprodukte, die kein BPA enthalten. Darum benutzen wir zu Hause keine Produkte in Dosen. Als die Japaner die Beschichtung ihrer Dosen wechselten – von der die NAMPA (National Association of Metal Packagers Association), der Nationalverband der Herstellervereinigungen von Metallverpackungen behauptet, das Leben auf der Erde wäre zu Ende, wenn wir ihnen BPA wegnehmen. Nun, raten Sie mal was geschah? Die Japaner taten es. In Japan findet man kein Polycarbonat.

Es gibt zigtausende von Alternativen zu Babyfläschchen [mit BPA]**, und es gibt längst Alternativen für Konservendosen. Deshalb ist das, was [US-Senatorin Diane]** Feinstein mit dem BPA-Gesetz vorhat, der Konservenindustrie einen begrenzten Zeitraum für die Umstellung einzuräumen.

Das andere Ding ist, wenn man die Beschichtung der Konserven umstellt, wechselt man am besten zu etwas, das nicht diesen traditionellen Regulierungsbehörden-Blödsinn mit veralteten Untersuchungsmethoden passiert hat. Man sollte lieber die Fachleute auf diesem Gebiet zusammenrufen und sagen, „Wie kann ich feststellen, ob dies eine endokrin disruptive Aktivität besitzt?“ Andere Leute aus dieser Gemeinschaft können Ihnen das sagen. Aber sie werden es nie der US-EPA entlocken.

e360: All das wirft ziemlich beunruhigende Fragen auf, inwieweit wir wirklich allem oder den Chemikalien, die wir gebrauchen, trauen können. Doch Ihre Geschichte deutet darauf hin, dass wir, selbst wenn wir sehr eindeutige Belege haben, dass etwas schädlich ist, die Sachen nicht los werden können. Inwieweit sollten wird diesem System überhaupt noch trauen? Gar nicht?

vom Saal: Niemandem. Das System ist so sehr versteinert, dass es die Vorstellung absolut pervertiert, es wäre mit irgendeinem rationalen Prozess beschäftigt, um die gesundheitlichen Auswirkungen von Chemikalien zu untersuchen. Ein paar Leute von uns aus der Endocrine Society, Repräsentanten einer große medizinischen Gesellschaft, sagten zum Leiter des [EPA]**-Büros für Chemikaliensicherheit, „Ihre Mitarbeiter haben über 100 Millionen Dollar ausgegeben; Sie haben keinen glaubwürdigen Bestand an Untersuchungen, Sie haben nichts zustande gebracht außer mit nicht ausgeschriebenen Verträgen viel Geld zu verschwenden, die Ihnen keine Daten einbrachten. Und die Vertragslabore, die Sie für sich arbeiten lassen, liefern Ihnen Müll und sind derart außerhalb akzeptabler Leistungsgrenzen. Und Sie erklären die Daten für brauchbar.“

Und er wies dies zurück. Er drehte durch. Wir sagten ihm, „Sie wissen nicht, was Sie tun. Und solange Sie keine Endokrinologen beteiligen, die wissen, wie man hormonaktive Chemikalien untersucht, werden sie nicht weiter kommen.“ Und er wollte das nicht hören. Und er erzählt weiterhin überall allen Leuten, dass sie dieses wunderbare Programm hätten. Es ist eine Lüge; es ist Betrug; es ist absolut nicht hinnehmbar, dass diese Angelegenheit immer so weiter geht.

e360: Nun, wahrscheinlich bekommen Sie dies öfter zu hören, aber die Leuten werden sagen, „Oh, Sie sind einfach nur ein Panikmacher.“ Was sagen Sie zu diesen Leuten?

vom Saal: Prüfen Sie die Daten! Als Wissenschaftler denke ich, wenn sie von dem abweichen, was die Daten hergeben, verlieren Sie Ihre Glaubwürdigkeit und sind erledigt. Einer der Gründe, warum man mich auf diesem Fachgebiet für glaubwürdig hält ist, dass ich nie mehr gemacht habe, als zu erklären. Wenn ich jene Liste vortrage, welche Folgen BPA hat, ist jeder Punkt stapelweise mit Publikationen verschiedener Labore belegt. Und das ist der Vorgang, wissenschaftliche Ergebnisse zu validieren. Wenn diese Studien nur einmal an einem Ort durchgeführt worden wären und sie niemand wiederholen konnte, würde ich sie nicht in die Liste der Schäden aufnehmen, welche diese Chemikalie hervorrufen kann. Es ist die in den größten Mengen verbreitete endokrin-disruptive kommerzielle Chemikalie. Wir wissen nicht, in welchen Produkten sie überall drin ist. Wir wissen, dass sie bei Tieren umfangreiche Schäden anrichtet. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Studien am Menschen, welche den gleichen Zusammenhang zwischen der Gegenwart von Bisphenol A und jenen Schäden feststellen, die sich im Tierversuch ergaben.

Das beunruhigt mich. Ich denke nicht, dass dies Panikmache ist. Es ist mit Ausnahme von Dioxin eine Chemikalie, über die wir mehr wissen als über jeden anderen chemischen Stoff. Im Augenblick ist es die am meisten untersuchte Chemikalie der Welt. NIH [National Institutes of Health]** [die US-Gesundheitsbehörde] hat ein Budget von 30 Millionen Dollar für Studien die gerade über diese Chemikalie durchgeführt werden. Glauben Sie, dass die Bundesbehörden in Europa, der Vereinigten Staaten, Kanada und Japan, alle der Untersuchung dieser Chemikalie höchste Priorität einräumen würden, wenn es nur ein paar wenige Panikmacher gäbe, die behaupten, BPA wäre ein Problem?

** Einfügungen von der Redaktion des Originals

Autorin: Elizabeth Kolbert für Yale Environment 360, 24.11.2010

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

Wir danken der Yale University für die Erlaubnis, dieses Interview übersetzen zu dürfen!

Weitere CSN Artikel über die Gefahren von BPA – Bisphenol A:

  1. Die Quittung für BPA
  2. Klage soll Verbot von BPA erzwingen
  3. 60 Wissenschaftler und NGOs appellieren an EFSA
  4. Bisphenol A – Eine Chemikalie verseucht unsere Nahrungsmittel und Getränke
  5. Mindestens 84% der Limonaden und Cola in Dosen mit Bisphenol A belastet
  6. Hersteller nehmen toxische Babyflaschen vom Markt, Verkauf nach Europa geht weiter

Dem Weihnachtsmann stinkts gewaltig!

Draußen vom Walde komm‘ ich her,

ich muss euch sagen, es stinkt gar sehr

in euren Dörfern und Städten

nicht nur nach Zigaretten

Es riecht nicht nach Apfel und Zimt,

diese Gerüche, die kenn ich bestimmt.

Früher duftete Backapfel und Tanne

heute stinkt es nach Badewanne

nach Fichtennadel und Zimtaldehyd

bei mir macht das Kopfweh

und ich werd schon ganz müd.

Mich deucht, eure Nasen, die sind zwar nicht rot

doch offenbar innendrin ziemlich tot

sonst würdet ihr merken, dass man euch veräbbelt,

dass die Chemie euch das Hirn ganz vernebelt

Lasst euch kein X für ein U vormachen

Symrise und Givaudan, die liefern die Sachen

die kochen in ihrer Hexenküche

allerlei Aromen und auch Gerüche

von denen ihr denken sollt, sie seien echt

doch manch Einem wird davon sogar schlecht.

Soll ich euch Menschen weiter beehren,

dann müsst ihr euch gegen Gestank verwehren

Ich bin schon sehr alt, meine Nase ist rot

doch mein Geruchsinn, ist lang noch nicht tot

Ich rufe euch auf, sorgt für bessere Luft

Sonst bringt ihr euch alle noch selbst in die Gruft.

Überlegt es euch gut

sonst bleib ich da oben

und ihr könnt unten

im Gestank rumtoben.

Euer Weihnachtsmann

AKTIONSKARTE, zum Ausdrucken anklicken >>>

Der echte Weihnachtsmann trägt KEIN PARFÜM, denn er liebt alle Kinder. Auch die mit Asthma oder Allergien.

Die beliebtesten Artikel im CSN Blog im November 2010

In den vergangenen Tagen sanken die Temperaturen oft unter 10°C minus. Keine gemütlichen Temperaturen, wenn man in einem unbeheizten Wohnmobil verbringen muss. Für Rocco ist es Alltag und in den letzten Tagen signalisierte er, dass er es nicht mehr lange schafft. Der am häufigsten gelesene Artikel im CSN Blog im Monat November handelt von Rocco und seinem Leben auf der Flucht vor Umweltchemikalien und Mobilfunkstrahlung, worüber kürzlich im Fernsehen berichtet wurde. Im Augenblick versuchen Umweltkranke aus verschiedenen Ländern ihm mit ihren bescheidenen Mitteln zu helfen. Ob es ausreicht? Rocco bräuchte eine Familie, die ihn aufnimmt und sich um ihn kümmert…

Es vergeht kein Tag, an dem nicht neue wissenschaftliche Fakten publiziert werden, die offenbaren, welche Gesundheitsschäden und Krankheiten durch bestimmte Chemikalien ausgelöst werden. Diese Informationen interessieren zunehmend viele Menschen, oft aus eigener Betroffenheit. Auf Platz Zwei der Top-10 landete im Monat November ein Artikel über Chemikalien und deren Relevanz als Ursache für Brustkrebs.

Auf Platz Drei landete ein Klassiker unter den Artikeln im CSN Blog, Ihr ahnt es sicher schon, es ist Marias Artikel über Laminat. Er handelt davon, wie dieser beliebte Bodenbelag die Umwelt und Gesundheit schädigt.

Zum Lesen der CSN – Top 10 Artikel einfach anklicken >>

  1. Umweltkrankheiten: Ein Leben auf der Flucht
  2. Chemikalien, verschwiegene Ursache für Brustkrebs
  3. Laminat belastet Umwelt und Gesundheit
  4. Betrug in der Umweltmedizin?
  5. Wenn die Galle überläuft – Natürliche Hilfe bei Gallensteinen, Gallenkolik & Co.
  6. Von der Werbeagentur zum Biobauern
  7. Domina bietet außergewöhnliche Dienste an
  8. Es gibt keinen Ort – Eine Sekundengeschichte
  9. Krebs durch die Umwelt – krebserregende PAK in vielen Produkten des Alltags
  10. Neuer Trailer zum kommenden Film über Multiple Chemical Sensitivity wurde in Spanien auf einer MCS Konferenz gezeigt

Grüne Chemie – Die Zukunft braucht neue Lehrpläne

Neues Zeitalter, neue Lehrpläne

Viele Amerikaner denken über ihr Verhältnis zu Chemikalien nach, fragen, wo sie in Mensch und Umwelt bleiben, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Mittlerweile lehren Universitäten ihre Studenten, genau solche Fragen zu stellen. Ingrid Lobet berichtet, was sich an der kalifornischen Universität in Berkeley tat.

GELLERMAN: Seit mehr als 60 Jahren versprach die Chemiefirma DuPont: „Bessere Dinge für ein besseres Leben dank Chemie.“ Nun, heute sollte der Slogan so lauten: „Eine bessere Chemie für ein besseres Leben.“

Überall in unserem Land versuchen Chemiker in Laboren neue chemische Formeln zu entwickeln, um Produkte sicherer zu machen. Und an vielen Universitäten lernen die Studenten, wie das geht. Man nennt es Grüne Chemie. Ingrid Lobet von Living on Earth berichtet über die Veränderungen an einer der einflussreichsten chemischen Fakultäten der USA, an der Universität von Kalifornien in Berkeley.

Living on Earth Interview:

LOBET: Michael Wilson steht vor einer Garage, zwei Blöcke vom Campus der UC Berkeley (University of California, Berkeley) entfernt.

WILSON: Wir besuchen gerade eine normale Autoreparaturwerkstatt. Es gibt ungefähr sechs oder acht Mechaniker, die hier an Fahrzeugen auf hydraulischen Hebebühnen arbeiten, und wie man sieht, ist dies eine Prozedur, bei der ziemlich viele Lösungsmittel zur Anwendung kommen.

LOBET: Wilson ist jetzt Professor für Öffentliche Gesundheit, aber vor acht Jahren war er Sanitäter bei der Feuerwehr, der in Berkeley Umweltmedizin studierte, um zu promovieren, als er vom Fall eines verletzten Arbeiters erfuhr.

WILSON: Es war ein junger Mann, ein 24-jähriger Auto- mechaniker, mit sehr weit voran geschrittenen Symptomen einer neurologischen Erkrankung. Er hatte den Tastsinn und die motorischen Funktionen in seinen Extremitäten verloren. Seine Hände hatten keine Kraft mehr, er saß im Rollstuhl.

LOBET: Das Gesundheitsministerium ahnte, was mit diesem jungen Mann geschah.

WILSON: Er verbrauchte jeden Tag ungefähr acht bis zehn Behälter eines handelsüblichen Lösungsmittels zur Reinigung von Bremsanlagen, das Hexan und Aceton enthielt. Und diese chemische Zusammensetzung verursacht Nervenschäden.

LOBET: Wilson interessierte, ob es sich um einen Einzelfall handelte, deshalb begann er, Autowerkstätten zu besuchen. Allein in Gebiet um die Berkeley Bucht fand er 14 weitere Mechaniker mit ähnlichen neurologischen Schäden. Sie sprühten die Autos mit dem reinigenden Lösungsmittel ein und arbeiteten daran, während die Dämpfe, wie Wilson bemerkt, in ihren Atembereich aufstiegen.

LOBET: Dieser toxische Bremsreiniger war nicht etwas, das es schon seit Jahren gab und das der Aufmerksamkeit des kalifornischen Gesetzgebers entglitten war. Es war ein neues Produkt. Die kalifornischen Behörden hatten die Hersteller gebeten, einen Teil des Hexans aus dem Reiniger heraus zu nehmen, da es sich in Ozon umwandeln kann, welches die Lungen der Menschen angreift und Asthma verschlimmert. Das taten sie und ersetzen es durch Aceton.

WILSON: Wie kommt es, dass ein bekanntes neurotoxisches Lösungsmittel im gesamten Bundesstaat Kalifornien von Arbeitern völlig unkontrolliert eingesetzt wird?

LOBET: An der Uni, so sagt Wilson, fand er sich in der heiklen Situation wieder, jene Disziplin verändern zu wollen, in die er sich gerade begeben hatte.

WILSON: Typischerweise befasste sich unser Fach damit, das Ausmaß des Schadens festzustellen, und in mir erwachte das Interesse an den sich daraus ergebenden Fragen wie:

  • Warum lassen wir es überhaupt zu diesen Gesundheitsgefahren in Beruf und Umwelt kommen?
  • Haben wir nicht die Begabung und die Ressourcen, von vorneherein sicherere Chemikalien und Produkte herzustellen?

LOBET: Diese Fragen führten Wilson in die Fachrichtung der Grünen Chemie. In den 90’er Jahren von Paul Anastas und John Warner eingeführt, handelt es sich um ein sich neu entwickelndes Fachgebiet, das untersucht, wo sich Chemikalien in Mensch und Umwelt ansammeln und das für sicherere Substanzen eintritt. Als nächstes fing Wilson an, mit der Fakultät für Chemie zu verhandeln.

WILSON: Wir stellten fest, dass sich hier auf dem Campus von Berkeley an der Ausbildung von Chemikern in den vergangenen 30 bis 40 Jahren nicht wirklich viel geändert hat.

LOBET: Nicht viel später traf Wilson einen neuen Chemie-Doktoranten, der an die Universität gekommen war. Marty Mulvihill und Mike Wilson hatte etwas gemeinsam – nennen wir es eine Herangehensweise im Sinne des Gemeinwohls.

MULVIHILL: Während meiner Zeit hier legte ich sehr großen Wert darauf, nicht nur zu forschen, sondern auf die Menschen in meinem Umfeld zuzugehen und darüber nachzudenken, wie gerade Chemiker die Gesellschaft beeinflussen können. [Gedanken] wie: Wir nehmen sehr viele Ressourcen von der Gesellschaft, Chemie ist eine sehr ressourcenintensive Angelegenheit. [Fragen] wie: Auf welche Art geben wir etwas zurück?

LOBET: Mit dieser Art gesellschaftlicher Orientierung war es selbstverständlich, dass Mulvihill als erstes damit anfing, eine Zusammenarbeit mit anderen Chemie-Doktoranten zu organisieren, als er nach Berkeley kam.

MULVIHILL: Der Name dieser Gruppe war tatsächlich „Chemiker für den Frieden„, der sich für einen Ort wie Berkeley als zu kontrovers heraus stellte. Genauer gesagt denkt man, in Berkeley gehe es besonders aktivistisch zu, doch wenn sie sich den Fachbereich Chemie ansehen, so ist dort alles, was einen politischen Anschein hat, nicht besonders akzeptiert.

So ließen wir eine Menge Werbetassen (Beispiel) [für unser Anliegen] herstellen, die Leute fanden es gut dass, wir da waren, aber wir konnten nicht wirklich Fuß fassen.

LOBET: Mulvihill dämmerte, dass er zu Wissenschaftlern wissenschaftlich sprechen musste. Er und eine Kerngruppe weiterer Doktoranten organisierten deshalb ihre eigene Seminarreihe.

Von Dow Chemical bekamen sie finanzielle Unterstützung und engagierte Chefdenker der Grünen Chemie: John Warner, Paul Anastas und Terry Collins. Mulvihill erzählt, dass die Chemische Fakultät ihnen zuerst nicht mal einen Versammlungsraum überlassen wollte, aber allmählich setzten sich die Studenten durch.

MULVIHILL: Ich kann mich noch an den Abend erinnern, als es geschah. Der Dekan war gerade herein gekommen. Ich glaube, es war sein erstes, oder vielleicht sein zweites Jahr. Das Doktoranten-Seminar lief und John Warner, einer der Väter, einer der Typen, die das erste Buch der Grünen Chemie geschrieben hatten, hatte sich bereit erklärt, vorbei zu kommen und einen Vortrag zu halten. Und der Dekan tauchte tatsächlich zu diesem Vortrag auf. Er erschien nicht nur zum Vortrag, sondern er kam auch zum anschließenden Dinner mit, und es war lustig zu beobachten, wie der Dekan und John Warner, genauer, wie Dekan Rich Mathies und John Warner miteinander kommunizierten und mit einem Mal wurde mir klar, dass das Ganze nun größer ist als ich.

LOBET: Um die Bedeutung dessen, was in Berkeley und an anderen Universität im Land geschah. wirklich verstehen zu können, muss man wissen, wie fern den meisten Chemikern Gesundheitsfragen lagen. Für dieses Wissenschaftsgebiet ist die Toxikologie zuständig: die Untersuchung der Nebenwirkungen chemischer Substanzen auf Lebewesen, und auch die von Naturkräften und biologischen Stoffen.

MULVIHILL: Eine traditionelle Ausbildung zum Chemiker vermittelt nicht viel über das, was mit dem Zeug passiert. Man lernt viel darüber, wie man es herstellt, und wie man es billig und wirksam macht – das gehört alles zur traditionellen wissenschaftlichen Ausbildung. Wo die Stoffe landen, wie sie sich möglicherweise auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auswirken, genau das gehörte traditioneller Weise nicht zur Chemieausbildung.

NARAYAN: Wir arbeiten die ganze Zeit mit diesen Chemikalien, aber wir wissen nicht unbedingt, wie giftig sie sind. Oder wenn sie giftig sind, [wissen wir nicht,] wie sie wirken und warum sie für Menschen schädlich sind.

LOBET: Hier ist Alison Narayan, ein weitere Studentin, welche die von Studenten durch- geführten Seminarreihen organisiert. Narayan ist im fünften Jahr der Organischen Chemie und entwickelt völlig neue Stoffe.

NARAYAN: In der Tat ist unsere Ausbildung auf die Reaktionsfähigkeit der Chemikalien ausgerichtet und darauf, neue Reaktionen und neue Herstellungsver- fahren zu entwickeln, und nicht notwendigerweise darauf, etwa das Verhalten oder die Toxizität dieser Materialien zu untersuchen.

LOBET: Narayan sagt, sie war überrascht, dass es in ihrer Chemieausbildung keinen Toxikologie-Unterricht gab. Und der Wissenschaftler für Umweltmedizin Michael Wilson meint, ihm erscheine es ebenfalls seltsam.

WILSON: Fakt ist, dass man in den Vereinigten Staaten den Grad eines Bachelors, eines Masters und eines Doktors der Chemie an allen Universitäten und Colleges erwerben kann und nie ein Grundverständnis dafür nachweisen muss, wie sich Chemikalien auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt auswirken. Und sind wir also überrascht, dass giftige Materialien ihren Weg in Verbraucherprodukte finden, die überall auf dem Markt erhältlich sind? Wir sollten es wahrscheinlich nicht sein.

LOBET: Und Wilson sagt, Chemiker sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die der Toxikologie nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. Erstaunlicherweise sind selbst Fachleute für Öffentliche Gesundheit oft nicht darin ausgebildet.

WILSON: Nun sehen wir eine Veränderung in der Disziplin der Öffentlichen Gesundheit, welche den Gedanken der Grünen Chemie aufgreift, während bis jetzt unsere Aufgabe hauptsächliche darin bestand, das Ausmaß des Problems festzustellen, zu bewerten und zu beschreiben. Es ist für uns in der Öffentlichen Gesundheit und der Umweltmedizin schlichtweg nicht mehr länger möglich, den Schaden zu begrenzen [wörtlich: die Sauerei am Ende der Leitung wegzuputzen]. Wir müssen Chemikalien, wir müssen Produkte so konzipieren, dass sie nicht im menschlichen Blut und in der Muttermilch und in Sondermülldeponien und im Grundwasser zum Vorschein kommen.

LOBET: Die ersten deutlichen Hinweise auf Veränderungen, die in Berkeley über die von Studenten organisierten Seminare hinaus stattfanden, machten sich letzten Sommer bemerkbar. Zum ersten Mal bot die Universität seine Einführungsver- anstaltung mit der Wahlmöglichkeit an, eine eigenständige grüne Laborübung zu belegen.

LOBET: Heute machen Swetha Akella und Michael Poon, Studenten im zweiten Jahr, ein Praktikum in einem der neuen Labors.

POON: Was sie [Akella] zurzeit versucht, ist die Konzentration von Farbstoffen in Getränken festzustellen um zu sehen, wie viel wir davon aufnehmen. Red 40 [roter Azofarbstoff] kommt in vielen Verbraucherprodukten vor. Da die Konzentrationen des Farbstoffes sehr gering sind, muss man das Wasser aufkochen und das erhöht den Anteil der Farbstoffe in den Proben. Hier habe ich Sunkist und Hawaiian Punch.

AKELLA: Ich denke, das was mich wirklich anspricht ist die Anwendbarkeit, denn oft macht man Laborarbeiten, bei denen man vielleicht irgendeine Konzentration findet, die man wahrscheinlich hinterher vergisst. Doch wenn man z.B. im Sonnenschutzmittel-Labor oder in diesem Labor hier arbeitet, überlegt man es sich wirklich das nächste Mal, wenn man Sonnenschutz aufträgt oder man beschließt, das nächste Mal ein Selters zu trinken.

LOBET: Poon weist darauf hin, dass es nicht nur um das geht, womit man sich im Labor befasst.

POON: Ich denke, es ist wirklich wichtig darüber nachzudenken, wozu das eigene Handeln führt. Wohin fließt es, wenn Du etwas in den Ausguss gießt? Denke darüber nach und über das, was erforderlich ist, es wieder sauber aufzubereiten, damit dieses Wasser wieder benutzt werden kann.

LOBET: Eine Auswertung der Befragung von Studenten, die dieses erste Grüne Labor im Sommer belegt hatten, wies viel Begeisterung [bei den Studenten] nach. Chantelle Khambholja war eine dieser Studienanfängerinnen.

KHAMBHOLJA: Nun, in unserer ersten Laborübung ging es um Biotreibstoffe. In unserer ersten Übung befassten wir uns damit und untersuchten die Wirkung von Biotreibstoffen auf das Keimen von Saaten, um deren Ökotoxizität zu messen. In der zweiten Übung synthetisierten wir tatsächlich unser eigenes Biodiesel, was großartig war, und in der dritten Laborübung maßen wir die erzeugte Energiemenge, wenn man es verbrannte.

LOBET: In diesem Herbst hat die Chemische Fakultät alle Labore für die Laborübungen der Studienanfänger in grüne Labors umgewandelt. Die Berkeley Chemie-Dozentin Michelle Douskey beaufsichtigt die Übungsgruppenleiter für die Einführungskurse. Sie sagt, die traditionellen Chemie-Curricula stützen sich zu sehr auf gemerktes Wissen. Sie versucht dies zu ändern. Die neue Ausrichtung auf grüne Chemie, sagt sie, wird den Lehrstoff für die Studenten, die solche Fragen bereits stellen, relevanter machen.

DOUSKEY: Die Studenten interessieren sich sehr für Körperpflegemittel. Was ist in ihrer Wasserflasche? Gibt es in meiner wirklich alten Wohnung Blei in der Anstrichfarbe? Und all das sind chemische Probleme.

LOBET: Ein typischer Lehrplan oder ein Text, sagt Douskey, befasst sich vielleicht in einer Fragestellung mit jemandem, der sich wegen Blei im Trinkwasser Sorgen macht, um dann zur nächsten zu wechseln.

DOUSKEY: Wenn wir z.B. Blei in Farben untersuchen, können wir dies aus verschiedenen Blickrichtungen tun. Wir können Blei während des Semesters immer wieder aufgreifen. Bleibt es in der Farbe oder nicht. Wo hin gelangt es, wenn es in den Staub übergeht? Dann gibt es z.B. diesen ganzen Chemie-Unterrichtsstoff, wie man überhaupt Blei in Farben nachweist. Auf diese Art beziehen wir Themen mit ein wie, dass z.B. Licht mit Materialien interagiert und dass wir gewisse Instrumente haben, die uns helfen, diese Vorgänge genau zu messen. Darum kommt es mir so vor, als ob die Grüne Chemie dabei wäre uns zu gestatten, eine etwas vollständigere Geschichte zu erzählen. Es war wohl so, dass wir früher die Geschichte [einer Substanz] nur zum Teil erzählt haben, nämlich, „na gut, man muss nicht wissen, woher das kommt“.

LOBET: Die Idee, die ganze Geschichte zu lehren, war seit über einem Jahrzehnt Schwerpunkt an der University of Oregon. Als in der Grünen Chemie führend, schulte sie Chemie-Lehrkörper aus dem ganzen Land in einwöchigen Workshops. Das verleiht Julie Haack, der stellvertretenden Dekanin der Universität von Oregon, einen geschärften Blick für die Veränderungen in Berkeley.

HAACK: Ich denke, die Veränderungen, die in Berkeley vor sich gehen, sind eine unglaubliche Validierung dieses Ansatzes.

LOBET: Eine Validierung wegen Berkeleys Bedeutung und Reichweite. Jedes Jahr werden 24 Hundertschaften neuer Studenten ihre wichtigsten Grundlagen über Chemie lernen … Grüne.

HAACK: Ich denke die Wirkung ist enorm. Es handelt sich um die zukünftigen Entscheidungsträger unserer Gesellschaft und was wir gesehen haben ist, sobald die Studenten mit den Werkzeugen der Grünen Chemie ausgerüstet sind, werden sie tatsächlich in die Lage versetzt, sich an den Lösungen zu beteiligen, mehr nachhaltige Produkte und Verfahren zu entwickeln.

LOBET: Sofern die Chemikerin Alison Narayan ein Indikator ist, wird die Veränderung umfassend sein, vom alltäglichen bis zum grundlegenden.

NARAYAN: So werde ich angeregt darüber nachzudenken, wie ich als Chemikerin arbeite, beispielsweise um die Menge des Abfalles, den man verursacht, zu reduzieren. Tatsächlich hatten wir gestern Abend in unserer Forschungsgruppe eine Diskussion über die Wiederverwendung von Reagenzgläsern. So benutzen wir sehr viele Reagenzgläser und üblicherweise werfen wir sie einfach weg, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Deshalb ertappe ich mich in meiner Freizeit dabei, wie ich darüber nachdenke, was man sonst noch damit anfangen könnte. Oder wenn ich am Abzug stehe und warte, bis die Reaktionen abgelaufen sind, oder wenn ich im Bus zu meinem Labor sitze. Woraus könnte man dies oder jenes noch machen, anstatt die gebräuchliche Ausgangschemikalie auf Erdölbasis zu verwenden. So wirkt es, es färbt auf meine Gedanken über die Dinge ab und auf das, was ich mir erträume.

LOBET: Berkeley hat nun ein Zentrum für Grüne Chemie eröffnet. Im Frühjahr ist ein neuer Studiengang geplant. Und man wird einen neuen Schwerpunkt „Grüne Chemie“ anbieten, den Studenten wählen können, und dieser wird in ihren Abschlussurkunden wie ein Nebenfach eingetragen. Alle diese Veränderungen sind der Wahrnehmung der chemischen Industrie nicht entgangen, sagt Mike Wilson.

WILSON: Es sind Diskussionen, die den innersten Kern des Chemiegeschäftes erschüttern, die Dinge, die wir schreiben und die wir lehren, haben einen enormen Einfluss, was einige der größten Industriegruppen und die größten Firmen der Welt angeht. Und sicherlich haben sie ein Interesse daran, das, was wir hier machen, zu beeinflussen und deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein, denn wir wollen natürlich, dass diese Firmen den Gedanken der Grünen Chemie aufnehmen, nicht um sich grün zu waschen, sondern als grundlegendes Element ihres Firmenzwecks. Doch wir müssen auch in der Art, wie wir unsere Arbeit durchführen, unabhängig sein, deshalb gibt es eine innere Spannung, mit der wir fast täglich zu tun haben.

LOBET: Diese Spannung könnte in Berkeley stärker sein, wo sich die Veränderungen in der Chemieausbildung auf die Chemikalienpolitik in ganz Kalifornien auswirken. Doch der Wechsel zur Grünen Chemie scheint an allen Universitäten im Land deutlich stattzufinden. Noch einmal Julie Haack von der University of Oregon.

HAACK: Es ist unser Ziel, dass die Grüne Chemie zu dem wird, wie man Chemie lehrt. Und sehr bald wird die Grüne Chemie verschwinden und zum Grundprinzip der Chemie werden.

LOBET: Die Professoren in Berkeley sagen, das Ziel besteht darin, nicht nur die nächsten Generation von Chemiker hervorzubringen, sondern auch Schriftsteller, Politiker und Rechtsanwälte, welche die Folgen davon verstehen können, wie etwas hergestellt wird.

Autorin: Ingrid Lobet für Living on Earth

Photos: Berkeley University

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity

Diese von „Living on Earth“ produzierte Sendung wurde Mitte November 2010 an viele US-Radiostationen verteilt und gesendet. Sie kann im Original nachgelesen oder nachgehört werden.

Wir danken Eileen und LOE für die Erlaubnis, das Transskript zu übersetzen!


Kleine persönliche Nachbemerkung des Übersetzers BrunO:

Der vielleicht zu mühselig anmutende Weg der Evolution, inklusive der Überzeugung der Widersacher, scheint mir langfristig der wirksamste zu sein. Wie dieses Beispiel zeigt, geht die Entwicklung manchmal gar nicht so langsam voran und Chemie ist immerhin very big business. Vielleicht ist aber Deutschland für so etwas zu knöchern, zu konservativ. Mich hat dieses Radiofeature sehr stark an die Bewegung der Postautistischen Ökonomie, an PAECON, erinnert. Im Jahre 2000 waren Ökonomie- studenten an der Sorbonne (Paris) mit der Art, wie sie ausgebildet werden, unzufrieden und kritisierten die Ökonomie, welche gerade die Welt besonders nachdrücklich globalisierte, als autistisch. Auch daraus entstand eine Bewegung, welche die Lehre an den Unis von innen heraus umstülpt. Irgendwann wird es hoffentlich genug Ökonomen geben, die sich neben der reinen Geldökonomie auch dafür interessieren, wie sich das auf die Menschen auswirkt. Ökonomie heißt nämlich nicht, nur mit Geld, sondern mit allen Ressourcen sinnvoll zu haushalten.