Von der Werbeagentur zum Biobauern

Ausstieg unter Zwang – Das Leben danach

Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wie ein Leben ohne Chemie wäre? Ein Leben ohne Kunststoff-Autoverkleidungen, Kunststoff-Kleidung, -Spielsachen, -Küchengefäße, ohne Haarspray, Deodorant, Fleckenspray, ohne künstliche Farbstoffe, Geschmacksverstärker, ohne gedruckte Zeitschriften und Bücher, ohne Schaumstoff-Couch und lackierte Oberflächen, das geliebte Sport-Trikot?

Stefan Fenzel hat sich das auch nicht vorgestellt. Und als er es sich dann vorstellen musste, war es eine kaum vorstellbare Vision von seinem zukünftigen Leben. Leben mit MCS.

Eigentlich, erzählt Fenzel, bestand sein Leben immer aus Sport. Ob Skifahren oder Triathlon, Karate oder Laufen, Sport hat ihn seit seiner Kindheit begleitet. Daher war er auch immer der Überzeugung, dass er gesund lebte.

Doch mit knapp 40 Jahren konnte er sich oft kaum mehr konzentrieren, musste nach dem Treppensteigen kleine Pausen einlegen, hatte permanent Verdauungsprobleme und oft ein „glühendes“ Gesicht, vertrug helles Licht extrem schlecht („Wie erklärt man seinen Mitmenschen eine Sonnenbrille bei bewölktem Himmel?“), vergaß Dinge, die er 10 Minuten vorher mit seinen Mitarbeitern besprochen hatte, benötigte bis zu 12 Stunden Schlaf, und fühlte sich morgens, als hätte er die Nacht durchzecht. Und das Tag für Tag, Monat für Monat.

Was war geschehen? Die Schwermetall-Vergiftung durch 13 Amalgam-Füllungen in seiner Jugend wurde nicht erkannt, obwohl einige Erkrankungen auf Gift schließen hätten lassen können: so wurden ihm bereits in jungen Jahren die Mandeln, Polypen und der Blinddarm entfernt, er erkrankte permanent an Infektionen, an Gürtelrose und Pfeifferschen Drüsenfieber.

Die Füllungen ließ er später aufgrund allgemeinen Unbehagens gegenüber Amalgam entfernen und es wurde ein wenig besser. Fenzel: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist. Was soll man machen?“

Ausgerechnet sein Traumhaus mit einem freien Blick über 200 km bis in die Alpen sollte ihn an die Grenzen seiner Belastungsfähigkeit bringen. Dort eingezogen, ereilte ihn wenige Wochen danach eine Grippe. Zwar im Sommer, aber das kann schon einmal vorkommen. Doch die Infekte häuften sich und reihten sich schließlich nahtlos.

Nach dem Besuch von Hausarzt, Internist, HNO-Arzt, dem örtlichen Umweltmediziner, Homöopath und Neurologe gab er auf. Aus seiner Sicht funktionierte seine Psyche hervorragend und auch die Belastung als Unternehmer überforderte ihn nicht, sondern machte ihm Spaß.

Viele Jahre beließ er es dabei, nahm Antihistaminika zur Reduktion der allergischen Reaktion, bis ihn sein Körper zur Aufgabe zwang: bereits geringste Mengen an Duftstoffen aus Parfüms, Deodorants oder mit Weichspüler gewaschener Kleidung brachten seinen Kopf zum Glühen und sein Immunsystem zum Erliegen. An Sport war schon seit Jahren nicht mehr zu denken, denn unweigerlich wäre eine Grippe gefolgt. Und die permanente Müdigkeit war kaum mehr zu kontrollieren. Der neue Firmenwagen legte ihn dann endgültig für Wochen ins Bett.

Der absolute Tiefpunkt war erreicht und Fenzel bereit, sich erneut auf die Suche zu machen. Die Interaktion Betroffener im Internet war bereits deutlich vorangeschritten im Vergleich zur Erstkonfrontation mit der Krankheit acht Jahre zuvor und er wurde schnell fündig, was die Krankheitserscheinungen angeht. Nur die Ursache blieb im Dunkeln.

Heute weiß Fenzel, was er hat: MCS (multiple chemical sensitivity, Multiple Chemikalienunverträglichkeit). Neben der Tatsache, dass er genetisch bedingt ein schlechter Entgifter ist, brachten die Schwermetallvergiftung und eine Lösemittelvergiftung aus Lacken und Klebern in seinem Traumhäuschen sein Immunsystem völlig aus den Fugen, teilweise irreversibel.

Doch wie lebt man damit? Fenzel hatte die letzten 10 Jahre eine Werbeagentur mit knapp 20 Mitarbeitern aufgebaut, die er nun verkaufte. Doch was nun machen und von was leben? Seine Frau besaß eine Landwirtschaft, die weitgehend von den Schwiegereltern im Rentenalter betrieben wurde und die eigentlich für die Zukunft ausgerichtet werden musste, doch dazu war nie Zeit. Fenzel besichtigte 20 landwirtschaftliche Betriebe, las sich ein und stellte als Quereinsteiger den ehemaligen Milchbetrieb auf eine ökologische Rinderhaltung um. Darüber hinaus betreibt er nun Photovoltaikanlagen, Forstwirtschaft, unterstützt seine Frau bei deren Gastronomie und stellt seine Kommunikations-Expertise von zuhause aus zur Verfügung.

Seine Wohnung baute er komplett ökologisch um und verbannte sämtliche Kunststoffe daraus. In der Regel isst er nur selbst zubereitete Speisen, mit einem sehr hohen Rohkost-Anteil, ohne Farbstoffe und Geschmacksverstärker, aus ökologischem Anbau. Fenzel: „Früher hätte ich solche Personen wohl für Öko-Spinner gehalten, heute freue ich mich über die neue Lebensqualität und Feinkost-Lebensmittel, denn das sind ökologische Lebensmittel eigentlich.“

Zudem hat er auch Duftstoffe konsequent aus seinem Leben verbannt. Das ist zwar im Leben mit den Mitmenschen oft nicht leicht und schafft oft Gesprächsbedarf mit anderen, wo man lieber über etwas anderes reden würde, aber dafür hat er wieder Lebensqualität und nur noch wenige „kranke“ Tage.

Nachdem er nicht mehr ein noch aus wusste, wie er überhaupt noch ein Leben führen können soll, ist das für ihn ein riesiger Schritt. „Heute brauche ich nur noch zum Traktorfahren eine Gasmaske. Das sieht zwar doof aus und grenzt aus, aber vermeidet, dass ich am nächsten Tag im Bett liege.“

Wie schätzt er seine Zukunft ein? „Mein Ziel ist es, dass mein Körper wieder so weit genest, dass ich geringe Mengen an Giftstoffen wieder vertrage, damit ich mit meiner Frau und Familie auch einmal wieder ganz normal in ein Restaurant gehen oder Freunde besuchen kann. Ob das möglich ist, weiß ich nicht, aber versuchen werde ich es.“

Und ganz nebenbei bemerkt er, dass einfach in jedem Bruch eine Chance liege, und die kann man nutzen oder verstreichen lassen. Er freue sich, dass er nun etwas mehr Zeit habe, seine Familie täglich sehe und auch noch andere Dinge erleben kann als nur seine Firma.

Video zum Biohof >> Hafning im Bayrischen Fernsehen

Autor: Stefan Fenzel für CSN, Passau, 1.11.10.2010

Weitere interessante CSN-Artikel zum Thema:

8 Kommentare zu “Von der Werbeagentur zum Biobauern”

  1. Udo 3. November 2010 um 11:23

    Die Geschichte wäre doch was für eine TV-Reportage!

  2. Juliane 3. November 2010 um 12:29

    Lieber Stefan Fenzel,

    herzlichen Dank für Ihren Bericht.

    Das macht doch wieder Hoffnung, wenn man hört, dass
    die konsequente Vermeidung von Triggersubstanzen
    zu so viel mehr Lebenqualität führt.

    Alles Gute für Sie und Ihre neue Lebensaufgabe!

    Juliane

  3. Energiefox 3. November 2010 um 22:05

    Stefan Frenzel,
    der Bericht ist einfach klasse, ich hoffe viele lesen den Bericht.

    Gruß Fox

  4. Seelchen 4. November 2010 um 14:52

    Hallo Stefan!
    Hab vielen Dank für deinen Bericht im Blog.
    Es ist immer sehr interessant,wie Menschen ihr Leben verändern mit MCS ,um überleben zu können.
    Weiterhin viel Kraft und auch Mut wünscht dir Mona

  5. Eric 4. November 2010 um 16:03

    Vielen Dank für den aufschlussreichen Bericht. Solche Infos sind wichtig und können dazu beitragen, anderen die Augen zu öffnen.

    Ich wünsche viel Glück für Zukunft und Gesundheit,

    Eric

  6. PappaJo 6. November 2010 um 10:25

    Hallo Stefan,
    schöner Bericht der einem auch Mut machen kann.
    Aber leider sieht es bei den meisten nicht so rosig aus. Du hattest quasi Glück im Unglück. Das zeigt auch das ein MCS-Kranker sich nur selbst helfen kann wenn die Umstände entsprechend sind und er Hilfe erfährt. Hoffe das es Eurem Bio-Hof stets gut gehen wird. Die richtige Branche hast Du ja ausgesucht. Das wird immer populärer. Mach Dir auch schon mal Gedanken wie Du später mal Trecker fahren willst wenn Du das Gummi der Gasmaske nicht mehr tolerieren solltest. Mit der Krankheit sollte man, auch wenn man derzeit dies und das noch toleriert, immer auf der Hut sein und schon für die Zukunft „bessere“ Materialien suchen, damit man im Fall der Fälle nicht wieder dumm da steht.

    Tip für Deine Solargeschichte:
    Die Umrichter, die aus den vielen kleinen Spannungen eine Netzspannung generieren, erzeugen unglaubliche Wechselfelder. Das sind elektrische Felder in sehr vielen Frequenzbereichen, nicht nur 50Hz, die quasi so vor sich hinstreuen und auch in das Netz eingespeist werden können. Sowas kann bis ins Haus reingetragen werden, über die Kabel. Wärst dann nicht der Erste der so eine laufenden Anlage nicht verträgt. Lass Dich eingehende von Baubiologen beraten. Setze die Umrichter nicht direkt ans Wohnhaus und packe vor der Netzeinspeisung fette Drosseln und/oder Kondensatoren, die können viel glätten.

    Abschirmung ist hier sehr wichtig!!!

  7. Mirijam 12. November 2010 um 15:07

    Toll Stefan,

    du hast eine super Problemlösung gefunden. Ich wünsche dir viel Glück mit deinem neuen Lebenssinn und zahlreiche nützliche Erfahrungen.

    Dein Bericht zeigt uns, dass man oft erst durch solche Schicksalsschläge den richtigen Weg finden kann, wenn man den nötigen Verstand und Willen hat.

    Gruß
    Mirijam

  8. DE UNA AGENCIA DE PUBLICIDAD A LA AGRICULTURA ECOLÓGICA « Difusamente's Blog 2. Dezember 2010 um 11:27

    Der Artikel erschien nun auch auf Spanisch auf Eva’s No Fun Blog.

    DE UNA AGENCIA DE PUBLICIDAD A LA AGRICULTURA ECOLÓGICA
    http://difusamente.wordpress.com/2010/12/02/de-una-agencia-de-publicidad-a-la-agricultura-ecologica/

Kommentar abgeben: