Archiv der Kategorie ‘Krank durch den Beruf‘

Strafverfahren wegen Abrechnungsbetrug gegen Dr. Binz eingestellt

Trierer Nervenarzt willigt in Vergleich ein

Das Trierer Landgericht hat das Verfahren gegen Dr. Peter Binz eingestellt. Einzige Auflage, der Nervenarzt muss 10 000€ an die Staatskasse zahlen. Der von der Kassenärztliche Vereinigung Trier vorgebrachte Verdacht des Abrechnungsbetruges konnte nicht erhärtet werden. Es habe kein Vorsatz oder grob fahrlässiges Handeln vorgelegen, diese Erkenntnis teilte das Gericht in einer mündlichen Verhandlung am 6. April mit. Die Zahlung von 10 000€ sei als anteilige Bearbeitungsgebühr zu verstehen, ließ die Frau des Angeschuldigten wissen, nicht als Schuldeingeständnis. Mit der Annahme des vom Gericht vorgeschlagenen Vergleichs, konnte für den 70-jährigen Nervenarzt nicht zuletzt ein weiteres jahrelanges Gerichtsverfahren, mit über 60 veranschlagten Prozesstagen, abgewendet werden.

Grabenkrieg gegen mutigen Arzt beendet

Das Ermittlungsverfahren gegen den Trierer Arzt zog sich über sechs Jahre hin. Dr. Binz, der immer wieder seine Unschuld beteuerte, gab nicht auf und ließ von Abrechnungsexperten alle angeschuldigten Vorgänge überprüfen. Für ihn war die Anschuldigung der KV Trier, er habe in 2800 Fällen betrogen, nicht nur gegenstandslos, er sah sie vielmehr als Fortführung eines seit vielen Jahren andauernden Grabenkriegs gegen ihn. Der KV Trier und der Trierer Ärztekammer war Dr.Binz vor allem wegen seines unermüdlichen und furchtlosen Einsatzes für Arbeiter, die durch Chemikalien an ihrem Arbeitsplatz erkrankten, ein heftiger Dorn im Auge. Immer wieder hatten KV und Ärztekammer Angriffe gestartet, was nicht zuletzt zum Leid der Erkrankten mit beitrug. Dr.Binz ließ sich nicht beirren und stellte sich weiter vor seine Patienten, die meist so krank waren, dass sie sich nicht selbst verteidigen konnten. Über 600 seiner Patienten wurden für sie teils strapaziöser Verhören unterzogen, um Beweise gegen den Arzt zu sammeln.

Rechtsanwalt überzeugt von der Unschuld seines Mandanten

Gegenüber der Trierer Zeitung 16vor erklärte Rechtsanwalt Hülsmann, dass man das Verfahren hätte durchziehen können und dass er überzeugt sei, dass Dr. Binz freigesprochen worden wäre. Der Rechtsanwalt von Dr. Binz teilte mit, dass der nun geschlossene Vergleich die beste Lösung gewesen sei, da sich das Verfahren noch über viele Jahre hingezogen hätte und darunter auch die Praxis von Dr. Binz gelitten hätte, weil die Prozesstage während der Praxiszeit gewesen wären. Auch das Alter von Dr. Binz und dessen angeschlagener Gesundheitszustand habe bei der letztendlichen Entscheidung eine Rolle gespielt. Keinesfalls sei der Vergleich jedoch als Schuldeingeständnis zu sehen, das wurde auch vom Gericht bestätigt. Die Staatsanwaltschaft hatte im Juni 2010 bereits auf Einstellung des Verfahrens plädiert. Dr.Binz war im vergangenen Jahr zu einem Vergleich noch nicht bereit gewesen, weil er die Annahme vertrat, dass dies als Schuldeingeständnis seinerseits angesehen würde.

Verfahren beendet, finale Niederlage für die KV

Die 234-seitige Anklageschrift gegen Dr. Binz wegen Abrechnungsbetrugs ist nun geschlossen. Der Arzt hat von den 184 000 €, die er bereits vorab zahlen musste, bereits 100 000 € von der KV Trier zurückerhalten. Ein weiterer Bescheid, durch den Dr. Binz hätte 67 000€ zahlen müssen, wurde durch die Einstellung ebenfalls hinfällig.

Für die KV Trier ist der Prozessausgang als finale Niederlange in ihrem erbitterten Kampf gegen den ihr unliebsamen Arzt zu werten. Selbst als sich schon abgezeichnet hatte, dass Dr.Binz kein grob vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln beim Abrechnen von Leistungen nachzuweisen war, hat man weiter auf Vernichtung des Standeskollegen gesetzt.

Ein Arzt mit Rückgrat

Den Nervenkrieg, den Dr. Binz und seine Frau in den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere in den letzten sechs Jahren durchlebten, kann kaum jemand nachempfinden. Es zeugt von großer menschlicher Stärke, dass Dr. Binz und seine Frau nie an Aufgeben dachten. Beide waren vielmehr in erster Linie stets in Sorge um die Patienten, zu deren Nachteil Patientenakten über Jahre beschlagnahmt blieben und die man belastenden Verhören unterzog.

Beim Verhör der CSN-Präsidentin im Rahmen der Ermittlungen gegen Dr. Binz, meinte ein hinzukommender Kommissar: „Ach nein, gegen den Binz wird wegen Abrechnungsbetrug ermittelt, ausgerechnet gegen diesen Arzt?! Versuchen die es jetzt auf diese Tour? Ich habe Dr. Binz im Rahmen einer Strafanzeige vor Jahren aufgesucht. Ich wollte damals einfach wissen, was ist das für ein Mensch, der sich nicht duckt vor einem mächtigen Großkonzern, dem seine Mitarbeiter egal sind. Dr. Binz ist ein ehrlicher Mann, ich bin froh, ihn kennengelernt zu haben. Von seiner Sorte bräuchten wir mehr Ärzte, dann würde manches anders aussehen. Wenn der betrogen hat, fress ich einen Besen“.

Der „Besen“ muss nicht „gefressen“ werden und wer die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf Gesundheitsschäden durch Gifte am Arbeitsplatz in den letzten Jahren verfolgte, sieht das bestätigt, wofür der Trierer Arzt seit Jahrzehnten mit vollem Einsatz eintrat.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 18. Mai 2011

Weitere CSN Artikel über das Verfahren gegen Dr. Binz:

Umweltmediziner schließt Vergleich mit Kassenärztlicher Vereinigung

Dr. Peter Binz erwägt Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in siebenstelliger Höhe

Seit 2005 lief ein Verfahren gegen den Trierer Umweltmediziner Dr. Peter Binz. Die Kassenärztliche Vereinigung Trier bezichtigte ihn in einer Strafanzeige des Abrech- nungsbetrugs. Eine Praxis- und Hausdurchsuchung, Ermittlungen ohne Ende, Vernehmungen von Hunderten von Patienten aus ganz Deutschland, sowie zermürbende Schriftwechsel über sechs Jahre hinweg folgten. Im Mai 2010 wurde Anklage gegen den Arzt erhoben.

Die Kollegen aus der Umweltmedizin und vor allem die Patienten von Dr. Binz erklärten sich solidarisch mit dem über die Grenzen von Deutschland hinaus bekannten Arzt. In der Erstausgabe der CSN Zeitung Perspektiven wurde im Herbst 2006 detailliert berichtet. Die Zeitung enthielt Statements der Ehefrau von Dr. Binz, des Steuerberaters der Praxis und Solidaritätsbekundungen von Umweltorganisationen, Kollegen und Patienten. Zur Erinnerung und nochmaligem Nachlesen:

PERSPEKTIVEN – CSN Zeitung für Chemikaliengeschädigte und Umweltmedizin, Ausgabe 1, Herbst 2006 (pdf)

Anfang April 2011 wurde die Angelegenheit vor Gericht verhandelt und mit einem Vergleich beendet. Vorerst zumindest, denn Dr. Binz erwägt die Geltendmachung von Schadenersatz und Schmerzensgeld im siebenstelligen Bereich gegen die Kassenärztliche Vereinigung.

Näheres in einer Pressemitteilung der Anwaltskanzlei Dr. Hülsmann, Trier:

TRIER, den 11.04.2011

Betreffend die Verfahren gegen Herrn Dr. med. Peter Binz (70) , Liebfrauenstr. 4 a, 54290 Trier

  1. Strafverfahren vor dem Landgericht Trier wegen angeblichen Betruges (Az.: 8002 Js 31385/05; Anklageschrift vom 17.05.2010)
  2. Verfahren vor dem Sozialgericht Mainz (Az.: S 2 KA 33/07) Kläger: Dr. Peter Binz ./. Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz; Streitwert: 183.966,19 €
  3. Widerspruchsverfahren des Dr. Binz gegen den „Regress“ der Kassenärztlichen Vereinigung Trier über ca. 67.129,90 €

Aufgrund einer Strafanzeige der Kassenärztlichen Vereinigung Trier, die im Jahre 2005 seitens des Vorstandsvorsitzenden Dr. Karl-Heinz Müller, in die Wege geleitet wurde, erfolgte ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Trier, das in eine Anklage vom 17.05.2010 einmündete wegen Verdachts des Betruges. In dieser Anklageschrift wird ausgeführt, Dr. Peter Binz habe gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung in einer Vielzahl von Fällen zu Unrecht abgerechnet, obwohl er den Leistungsinhalt von Abrechnungsziffern nicht erfüllt habe.

Die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft erfolgte vor 11 Monaten; über die Eröffnung es Hauptverfahrens beim Landgericht -Große Strafkammer- ist trotz Ablauf dieses ungewöhnlich langen Zeitraums immer noch nicht entschieden worden.

Parallel zu diesem Strafverfahren hat Herr Dr. Peter Binz unter dem Datum des 14.02.2007 Klage gegen einen „Regress“ der Kassenärztlichen Vereinigung erhoben, mit dem Antrag, den Regressbeschluss der Kassenärztlichen Vereinigung vom 17.07.2006 aufzuheben.

Innerhalb dieses Verfahrens erfolgte am 06. April 2001 vor dem Sozialgericht Mainz eine mündliche Verhandlung, die 2 ¼ Stunden andauerte.

Das Gericht, vertreten durch den Vorsitzenden, Vizepräsidenten des Sozialgericht Mainz, Herrn Höllein, hat innerhalb dieser mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, es müsse Herrn Dr. Binz Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. Dazu habe jedoch das Gericht in den erteilten Bescheiden der Kassenärztlichen Vereinigung kein Wort gefunden (Telefon-Nr. des Vorsitzenden Höllein: 06131-1 41 52 80).

Es werde zwar innerhalb der Schriftsätze der Kassenärztlichen Vereinigung „irgendwo zum Ausdruck gebracht“, dass Dr. Binz ein „grobes Verschulden“ anzulasten sei. Aber begründet sei dies an keiner Stelle. Und dies wäre die wichtigste Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung gewesen.

Auch die anderen Gesichtspunkte, die bei einer Honorarberichtigung eine zentrale Rolle spielen, hätten von der Kassenärztlichen Vereinigung dargelegt werden müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen.

Das Sozialgericht hätte also voraussichtlich dem Klageantrag des Dr. Binz entsprochen; nur zur Abkürzung der beiden anhängigen Verfahren (eines davon ist noch im Verwaltungsverfahren anhängig) und angesichts des hohen Alters von 70 Jahren des Dr. Binz, seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung, der schwersten Belastungen durch die obig benannten 3 Verfahren und der jahrzehntelangen Verfolgung seitens der Kassenärztlichen Vereinigung wurde ein Vergleich dahingehend geschlossen, dass die Kassenärztliche Vereinigung den überwiegenden Teil der von Dr. Binz bereits erbrachten Zahlungen zurückerstattet.

Es handelt sich dabei um einen Betrag von mehr als 100.000 Euro.

Damit ist auch ein weiteres Regressverfahren der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz gegen Dr. Binz in einer Höhe von 67.129,90 € mit erledigt.

Dr. Binz braucht also diesen Betrag nicht an die Kassenärztliche Vereinigung zu zahlen (Telefon-Nr. der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz, Hauptverwaltung Mainz: 06131-32 60, Herr Burkhard Lamby).

Der vorbenannte Herr Lamby von der Kassenärztlichen Vereinigung hat in einem beigefügten Schreiben vom 08.04.2011 dazu festgestellt:

„Sobald mir der Vergleich vorliegt, werde ich unmittelbar die entsprechende Auszahlung an Ihren Mandanten veranlassen.

Mit Blick auf die zuletzt geschlossene Ratenzahlung kann ich Ihnen mitteilen, dass wir die geplanten Verrechnungen ab der zweiten Rate bereits gestoppt haben.“

– –

Anhängig ist allerdings immer noch das Strafverfahren vor der Großen Strafkammer 802 Js 31385/05 mit einer Anklageschrift über 234 Seiten.

Nachdem das Sozialgericht Mainz die obig dargelegten Feststellung getroffen hat, haben wir uns daher mit Schriftsatz vom 08.04.2011 an die Große Strafkammer gewandt und in diesem Schriftsatz zentral ausgeführt, dass es bereits an einer vorsätzlichen Vermögensschädigung des Dr. Binz gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung fehle, also an der subjektiven Tatseite.

Mit der gerichtlich erklärten Bereitschaft der Kassenärztlichen Vereinigung, den überwiegenden Teil des von ihr bereits verein- nahmten Betrages an Dr. Binz zurückzuzahlen, hat sie selbst eingeräumt, dass der von ihr seinerzeit behauptete Schaden nicht gegeben ist.

Darüber hinaus steht durch die mündlich erfolgten Feststellungen des Sozialgerichts Mainz fest, dass weder ein Vorsatz noch eine grobe Fahrlässigkeit des angeschuldigten Dr. Binz hinsichtlich seiner Vorgehensweise festzustellen ist.

Sobald das Landgericht über die Zulassung oder Nichtzulassung der Anklageschrift vom 17.05.2010 entschieden haben wird, werden wir Ihnen weitere Mitteilung machen.

Dr. Binz erwägt die Geltendmachung von Schadenersatz und Schmerzensgeld im 7-stelligen Bereich gegen die Kassenärztliche Vereinigung.

Dr. Hülsmann, RA

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 12. April 2011

Literatur:

Dr. Hülsmann, Rechtsanwälte, Pressemitteilung betreffend die Verfahren gegen Herrn Dr. med. Peter Binz, 11.04.2011

Weitere CSN Artikel zum Fall Binz:

Stadtrat verbietet Parfum und Duftstoffe am Arbeitsplatz

Gesundheit hat Vorrang

Der Stadtrat von Portland hat am 23. Februar 2011 in einer Sitzung beschlossen, dass Parfüm und Duftstoffe an Arbeitsplätzen in der Stadt, die sich im US Bundesstaat Oregon befindet, unerwünscht sind. Zukünftig soll auf Parfum, Aftershave, Deo, Haarspray und ähnliche parfümierte Produkte auf der Arbeit verzichtet werden. Der Stadtrat möchte, dass jeder frei atmen kann und sich am Arbeitsplatz gut und nicht krank fühlt. Es sei eine Sache des gesunden Menschenverstandes, sagten die Stadtoberhäupter gegenüber der Presse. Noch will der Stadtrat kein rigoroses Verbot aussprechen, sondern appelliert, dass jeder Mitbürger die neue Regelung von sich aus befolgt. Rund zwei Millionen Menschen leben im Großraum Portland und sind von der neuen Regelung direkt oder indirekt betroffen. Wenn Angestellte gesundheitliche Beschwerden erleiden, weil ein Kollege die Regelung nicht befolgt, soll er beim Vorgesetzten um Hilfe bitten. Die Gesundheit aller habe Vorrang, ließen die Stadtväter verlauten. (1)

Folgt dem Rauchverbot ein Duftstoffverbot?

Experten erwarten dem Vernehmen nach, dass es in absehbarer Zeit zunehmend Städte, Regionen, Ministerien und Behörden geben wird, die Duftstoffverbote verhängen und Arbeitsanweisungen mit der Bitte um Einschränkung von Duftstoffen herausgeben. Es geht dabei nicht um die Geruchsbelästigung durch eine Vielzahl verschiedener Parfüms in einem Raum, wenn gleich diese störend wirken kann. Sie halten Parfums und parfümierte Produkte wegen der darin enthaltenen Chemikalien und Allergenen für genauso gesundheitsbedenklich wie Passivrauch. Gerichtsprozesse, bei denen Arbeitnehmer bei Gericht Recht erhielten, weil ihre Gesundheit durch Duftstoffe am Arbeitsplätz in Mitleidenschaft gezogen wurde, deuten darauf hin, dass die Einschätzung der Experten realistisch ist.

Duftstoff- und Parfumverbot, notfalls per Gericht

In den USA und in Kanada gibt es bereits Städte, Behörden, Schulen und Universitäten, die Angestellte und Besucher darum bitten, in Gebäuden und bei Veranstaltungen auf Parfums und parfümierte Produkte zu verzichten. Auch Ministerien gehen dazu über, Duftstoffverbote zum Wohle der Gesundheit zu verhängen, bspw. Die Centers of Disease Control and Prevention (2) und das Ministerium für Gesundheit in Gergoria (3) und das Zentralbüro für Volkszählung in den USA. (4)

Duftstoffverbote – In Europa noch nicht angekommen

In Mitteleuropa folgt man den neuen Tendenzen zum Wohle der Gesundheit erst zögerlich, hier ist eher ein Anstieg der Verwendung von Duftstoffen im öffentlichen, wie auch privaten Bereich zu verzeichnen und die Duftstoffindustrie ist dabei, mit Nachdruck neue Märkte zu forcieren.

In Skandinavien scheint stärkeres Bewusstsein zum Schutze der Gesundheit zu herrschen. Schweden führte 2008 ein Duftstoffverbot im Gesundheitsbereich ein, der alle Kliniken, Arztpraxen und Gesundheitsbehörden betrifft. (5)

In Norwegen ist man aktuell sehr bestrebt, Duftstoffverbote und Arbeitsanweisungen einzuführen, um Allergiker, Asthmatiker und Chemikaliensensible zu schützen. Der norwegische Allergie- und Asthmaverband NAAF arbeitet intensiv daran, die Bevölkerung und Entscheidungsträger für die Problematik zu sensibilisieren. (6) Insbesondere aus öffentlichen Gebäuden, aus dem Gesundheitsbereich, Schulen und aus Schulbusen möchte der NAAF Duftstoffe völlig verbannen.

In Deutschland haben Duftstoffverbote bislang kaum Fuß gefasst. Lediglich ein paar wenige Praxen von Ärzten und Umweltmedizinern, als auch einige wenige kleinere Firmen gehen diesen Weg, um Allergikern, Asthmatikern und Chemikaliensensiblen den Zutritt in ihre Räumlichkeiten und bei Veranstaltungen zu ermöglichen.

Sind Parfum- und Duftstoffverbote sinnvoll oder Panikmache?

Hersteller von Parfüms und parfümierten Produkten geben dem Konsumenten nahezu keinerlei Auskunft, mit welchen Inhaltsstoffen er konfrontiert wird, wenn er sie verwendet oder ihnen in Innenräumen ausgesetzt ist.

Die amerikanische Wissenschaftlerin Ann Steinemann untersuchte 2010 an der University of Washington eine Auswahl von 25 parfümierten Produkten. Sie wählte solche aus, die in jedem Supermarkt in den Regalen stehen und am Häufigsten verkauft werden. “Die Produkte gaben zusammen über 420 Chemikalien ab, aber nahezu keine wurde irgendwo dem Verbraucher offen gelegt”, teilte die Wissenschaftlerin in einer Pressemitteilung mit. (7,8)

Dass Parfüms und Duftstoffe u.a. Kopfschmerzen, Asthmaanfälle, Allergien und Ekzeme hervorrufen können, ist in der Medizin hinreichend bekannt. Über die tatsächlichen Auslöser, die verantwortlich sind, ist der Verbraucher jedoch immer noch wenig informiert. Insbesondere die Tatsache, dass „Düfte“ durch Verwendung verschiedenster Chemikalien komponiert werden, wurde bislang nicht zur Kenntnis genommen.

Der Mehrheit der Konsumenten ist unbekannt, dass durch eine nicht unerhebliche Anzahl der chemischen Inhaltsstoffe in Parfüms und parfümierten Produkten, Krankheiten, u.a. Krebs, Nervenschäden, Allergien, Asthma, Kontaktallergien, Fortpflanzungsstörungen verursacht werden können. Von Panikmache zu sprechen ist also unangemessen. Ganz im Gegenteil, die bereits bekannten Fakten drängen zu besserer Information über die Risiken und zu genauer Deklaration, inklusive Warnhinweisen auf den Produktverpackungen.

Mein Parfum brauche ich (doch nicht)

„Das ist eine Einschränkung meiner persönlichen Freiheit!“ oder „wo kommen wir da hin, wenn ich nicht einmal mein Parfum benutzen darf, wo und wann ich will?“, sind Ausrufe empörter Duftliebhaber. Sind sie gerechtfertigt?

Intensive, sachliche Aufklärung der Konsumenten über die Gesundheitsgefahren, die Chemikalien und Allergene bergen, die sich in Parfums und Duftstoffen befinden, sollte in der Lage sein, heftige Diskussionen zu erübrigen.

Kampagnen, durchgeführt von verantwortlichen Behörden in Zusammenarbeit mit der Medizin, sollten im Stande sein zu überzeugen, dass Argumente „ein Parfüm- und Duftstoffverbot beeinträchtige die persönliche Entfaltungsmöglichkeit von Mitmenschen die „Düfte lieben“ unangebracht sind, weil sie sich über die Gesundheit anderer hinwegsetzen.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 25. Februar 2011

Literatur:

  1. Koin6, Portland City Council adopts rule discouraging of fragrances on workplace, 23. 02.2011
  2. Department of Health and Human Services, Indoor Environmental Quality Policy, 22.06.2009
  3. Silvia K. Müller, Ministerium für Gesundheit ordnet an, CSN, 26. Okt. 2010
  4. Silvia K. Müller, Zentralbüro für Volkszählung untersagt Duftstoffe am Arbeitsplatz, CSN, 21. April 2009
  5. Silvia K. Müller, Duftstoffe verboten in Krankenhäusern und Arztpraxen in Schweden, CSN, 6. Okt. 2008
  6. Alena J., Norwegischer Allergie- und Asthmaverband bittet darum, keine Parfums zu benutzen, CSN, 9.12.2010
  7. University of Washington, Hannah Hickey, Release: Scented consumer products shown to emit many unlisted chemicals, Oct. 26, 2010
  8. Steinemann AC, et al., Fragranced consumer products: Chemicals emitted, ingredients unlisted, Environ Impact Asses Rev (2010), doi:10.1016/j.eiar.2010.08.002

Krebs bei Lehrerin wurde nicht als Berufskrankheit anerkannt

Mit am 17. Februar 2011 in öffentlicher Sitzung verkündeten Urteilen hat die 23. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch Einzelrichter die Klagen einer 25 Jahre am Berufsbildungszentrum Grevenbroich beschäftigten 52-jährigen Berufsschullehrerin und ihres 17-jährigen Sohnes (23 K 7945/08) sowie eines 59-jährigen Witwers einer über 30 Jahre am selben BBZ beschäftigten weiteren Berufsschullehrerin, die ebenfalls an Brustkrebs erkrankt und an auftretenden Metastasen im Jahr 2009 im Alter von 55 Jahren verstorben ist (23 K 2989/09), abgewiesen.

Zur Begründung führte der Richter im Wesentlichen aus: Bauschadstoffe, wie eine etwaige Belastung aus dem PVC-Fußboden, kämen als Ursachen einer Berufskrankheit im Sinne von § 31 Abs. 3 Beamtenversorgungsgesetz nicht in Betracht, weil Beamte solchen Gefahren nicht „nach der Art ihrer dienstlichen Verrichtung besonders ausgesetzt“ seien. Die Beschaffenheit der Diensträume sowie des Dienstgebäudes sei insoweit unbeachtlich.

In Bezug auf den von der Klägerseite angeführten Schadstoff Benzol, der aus den aus Weich-PVC bestehenden Lebensmittelattrappen ausgegast sei, die von beiden Berufsschullehrerinnen bei der Ausbildung von Bäckereifachverkäuferinnen verwendet worden seien, reiche die Erkenntnislage auf der Grundlage des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens eines Krebs-Spezialisten nicht aus, um einen hinreichenden Ursachenzusammenhang zwischen der Einwirkung von Benzol und der Erkrankung an Brustkrebs festzustellen.

Die Klage des 17-jährigen Sohnes wegen einer geltend gemachten Vorschädigung während der Schwangerschaft wies das Gericht schon im Hinblick darauf ab, dass der Antrag auf Anerkennung als Berufsunfall nicht innerhalb der Gesetzesfrist von 10 Jahren ab der Geburt gestellt worden sei.

Gegen die Urteile können die Kläger Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster beantragen.

Literatur:

Verwaltungsgericht Düsseldorf, Brustkrebs von Berufsschullehrerinnen nicht als Berufserkrankung anerkannt, 17. Januar 2011

CSN-Artikel zum Thema Schadstoffe in Schulen:

CSN Forum:

Ein umfangreicher Thread zum Thema Schadstoffe in Schulen

Konzern handelt präventiv: Schluss mit BPA in Kassenzetteln

Demnächst nur noch Bisphenol-A-frei

Der französische Warenhauskonzern Carrefour gab in einer Pressemitteilung am 25. Januar 2011 bekannt, dass man zukünftig Bisphenol-A (BPA) freie Kassenzettel einsetzen werde. Die Umweltorganisation: „Le Réseau Santé Environnement – RES“ begrüßte diese Entscheidung und sieht Chancen, dass der gesamte Einzelhandel nachzieht. Insbesondere Kassiererinnen im Einzelhandel hätten durch einen solchen Wandel einen erheblich gesünderen Arbeitsplatz. Die in Kritik geratene Chemikalie BPA verhält sich im Körper wie Östrogen. Durch wissenschaftliche Studien hat sich der Verdacht erhärtet, dass Bisphenol-A u.a. Entwicklungs- und Verhaltensstörungen, Krebs, Unfruchtbarkeit, als auch Genschäden auslösen kann.

Prävention zum Schutz der Mitarbeiter

Die Carrefour Konzernverwaltung hat ihren rund 1600 Filialen aufgetragen, bis Februar 2011 zu BPA-freien Kassenzetteln überzugehen. Auch die „Système U“ Warenhäuser werden dieser Zielvorgabe folgen. Es ist keine neue Gesetzgebung, die zu dieser Entscheidung geführt hat, vielmehr sehen die Verantwortlichen der Konzernleitungen darin eine Präventionsmaßnahme, die vor allem dem Arbeitsschutz der Angestellten in den Warenhäusern zugutekommt. Carrefour und „Système U“ begründen ihre Entscheidung als Vorsorgemaßnahme.

Hoffentlich zieht der ganze Einzelhandel mit

Die Umweltorganisation RES ist sehr zufrieden mit der vorbildlichen Entscheidung der beiden Konzerne und äußerte die Hoffnung, dass sich diese Entwicklung auf den ganzen Einzelhandel auswirken möge. Eigentlich sei es die Aufgabe des Staates, sagte der Sprecher von Res, diese BPA Quelle ein für allemal zu beseitigen. Doch wie in Deutschland, lassen auch in Frankreich Gesetze zum Schutz der Bevölkerung vor BPA noch auf sich warten.

Verbraucherschutz statt Schutz der BPA-Lobby

RES fordert insbesondere alle relevanten Bereiche, den Einzelhandel und die Nahrungsmittelproduktion auf, die Chemikalie BPA, die sich auf das Hormonsystem auswirkt, in Produkten des täglichen Bedarfs zu ersetzen. Die Umweltorganisation appelliert mit Nachdruck an die Wirtschaftsakteure, Informationen über ihre Praktiken bereitzustellen, und zur Aufklärung über Bisphenol-A beizutragen, damit die Konsumenten sich informieren können und dadurch die Möglichkeiten erhalten, Produkte entsprechend auszuwählen.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 28. Januar 2011

Literatur:

Weitere CSN Artikel zu BPA:

Grüne Chemie – Die Zukunft braucht neue Lehrpläne

Neues Zeitalter, neue Lehrpläne

Viele Amerikaner denken über ihr Verhältnis zu Chemikalien nach, fragen, wo sie in Mensch und Umwelt bleiben, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Mittlerweile lehren Universitäten ihre Studenten, genau solche Fragen zu stellen. Ingrid Lobet berichtet, was sich an der kalifornischen Universität in Berkeley tat.

GELLERMAN: Seit mehr als 60 Jahren versprach die Chemiefirma DuPont: „Bessere Dinge für ein besseres Leben dank Chemie.“ Nun, heute sollte der Slogan so lauten: „Eine bessere Chemie für ein besseres Leben.“

Überall in unserem Land versuchen Chemiker in Laboren neue chemische Formeln zu entwickeln, um Produkte sicherer zu machen. Und an vielen Universitäten lernen die Studenten, wie das geht. Man nennt es Grüne Chemie. Ingrid Lobet von Living on Earth berichtet über die Veränderungen an einer der einflussreichsten chemischen Fakultäten der USA, an der Universität von Kalifornien in Berkeley.

Living on Earth Interview:

LOBET: Michael Wilson steht vor einer Garage, zwei Blöcke vom Campus der UC Berkeley (University of California, Berkeley) entfernt.

WILSON: Wir besuchen gerade eine normale Autoreparaturwerkstatt. Es gibt ungefähr sechs oder acht Mechaniker, die hier an Fahrzeugen auf hydraulischen Hebebühnen arbeiten, und wie man sieht, ist dies eine Prozedur, bei der ziemlich viele Lösungsmittel zur Anwendung kommen.

LOBET: Wilson ist jetzt Professor für Öffentliche Gesundheit, aber vor acht Jahren war er Sanitäter bei der Feuerwehr, der in Berkeley Umweltmedizin studierte, um zu promovieren, als er vom Fall eines verletzten Arbeiters erfuhr.

WILSON: Es war ein junger Mann, ein 24-jähriger Auto- mechaniker, mit sehr weit voran geschrittenen Symptomen einer neurologischen Erkrankung. Er hatte den Tastsinn und die motorischen Funktionen in seinen Extremitäten verloren. Seine Hände hatten keine Kraft mehr, er saß im Rollstuhl.

LOBET: Das Gesundheitsministerium ahnte, was mit diesem jungen Mann geschah.

WILSON: Er verbrauchte jeden Tag ungefähr acht bis zehn Behälter eines handelsüblichen Lösungsmittels zur Reinigung von Bremsanlagen, das Hexan und Aceton enthielt. Und diese chemische Zusammensetzung verursacht Nervenschäden.

LOBET: Wilson interessierte, ob es sich um einen Einzelfall handelte, deshalb begann er, Autowerkstätten zu besuchen. Allein in Gebiet um die Berkeley Bucht fand er 14 weitere Mechaniker mit ähnlichen neurologischen Schäden. Sie sprühten die Autos mit dem reinigenden Lösungsmittel ein und arbeiteten daran, während die Dämpfe, wie Wilson bemerkt, in ihren Atembereich aufstiegen.

LOBET: Dieser toxische Bremsreiniger war nicht etwas, das es schon seit Jahren gab und das der Aufmerksamkeit des kalifornischen Gesetzgebers entglitten war. Es war ein neues Produkt. Die kalifornischen Behörden hatten die Hersteller gebeten, einen Teil des Hexans aus dem Reiniger heraus zu nehmen, da es sich in Ozon umwandeln kann, welches die Lungen der Menschen angreift und Asthma verschlimmert. Das taten sie und ersetzen es durch Aceton.

WILSON: Wie kommt es, dass ein bekanntes neurotoxisches Lösungsmittel im gesamten Bundesstaat Kalifornien von Arbeitern völlig unkontrolliert eingesetzt wird?

LOBET: An der Uni, so sagt Wilson, fand er sich in der heiklen Situation wieder, jene Disziplin verändern zu wollen, in die er sich gerade begeben hatte.

WILSON: Typischerweise befasste sich unser Fach damit, das Ausmaß des Schadens festzustellen, und in mir erwachte das Interesse an den sich daraus ergebenden Fragen wie:

  • Warum lassen wir es überhaupt zu diesen Gesundheitsgefahren in Beruf und Umwelt kommen?
  • Haben wir nicht die Begabung und die Ressourcen, von vorneherein sicherere Chemikalien und Produkte herzustellen?

LOBET: Diese Fragen führten Wilson in die Fachrichtung der Grünen Chemie. In den 90’er Jahren von Paul Anastas und John Warner eingeführt, handelt es sich um ein sich neu entwickelndes Fachgebiet, das untersucht, wo sich Chemikalien in Mensch und Umwelt ansammeln und das für sicherere Substanzen eintritt. Als nächstes fing Wilson an, mit der Fakultät für Chemie zu verhandeln.

WILSON: Wir stellten fest, dass sich hier auf dem Campus von Berkeley an der Ausbildung von Chemikern in den vergangenen 30 bis 40 Jahren nicht wirklich viel geändert hat.

LOBET: Nicht viel später traf Wilson einen neuen Chemie-Doktoranten, der an die Universität gekommen war. Marty Mulvihill und Mike Wilson hatte etwas gemeinsam – nennen wir es eine Herangehensweise im Sinne des Gemeinwohls.

MULVIHILL: Während meiner Zeit hier legte ich sehr großen Wert darauf, nicht nur zu forschen, sondern auf die Menschen in meinem Umfeld zuzugehen und darüber nachzudenken, wie gerade Chemiker die Gesellschaft beeinflussen können. [Gedanken] wie: Wir nehmen sehr viele Ressourcen von der Gesellschaft, Chemie ist eine sehr ressourcenintensive Angelegenheit. [Fragen] wie: Auf welche Art geben wir etwas zurück?

LOBET: Mit dieser Art gesellschaftlicher Orientierung war es selbstverständlich, dass Mulvihill als erstes damit anfing, eine Zusammenarbeit mit anderen Chemie-Doktoranten zu organisieren, als er nach Berkeley kam.

MULVIHILL: Der Name dieser Gruppe war tatsächlich „Chemiker für den Frieden„, der sich für einen Ort wie Berkeley als zu kontrovers heraus stellte. Genauer gesagt denkt man, in Berkeley gehe es besonders aktivistisch zu, doch wenn sie sich den Fachbereich Chemie ansehen, so ist dort alles, was einen politischen Anschein hat, nicht besonders akzeptiert.

So ließen wir eine Menge Werbetassen (Beispiel) [für unser Anliegen] herstellen, die Leute fanden es gut dass, wir da waren, aber wir konnten nicht wirklich Fuß fassen.

LOBET: Mulvihill dämmerte, dass er zu Wissenschaftlern wissenschaftlich sprechen musste. Er und eine Kerngruppe weiterer Doktoranten organisierten deshalb ihre eigene Seminarreihe.

Von Dow Chemical bekamen sie finanzielle Unterstützung und engagierte Chefdenker der Grünen Chemie: John Warner, Paul Anastas und Terry Collins. Mulvihill erzählt, dass die Chemische Fakultät ihnen zuerst nicht mal einen Versammlungsraum überlassen wollte, aber allmählich setzten sich die Studenten durch.

MULVIHILL: Ich kann mich noch an den Abend erinnern, als es geschah. Der Dekan war gerade herein gekommen. Ich glaube, es war sein erstes, oder vielleicht sein zweites Jahr. Das Doktoranten-Seminar lief und John Warner, einer der Väter, einer der Typen, die das erste Buch der Grünen Chemie geschrieben hatten, hatte sich bereit erklärt, vorbei zu kommen und einen Vortrag zu halten. Und der Dekan tauchte tatsächlich zu diesem Vortrag auf. Er erschien nicht nur zum Vortrag, sondern er kam auch zum anschließenden Dinner mit, und es war lustig zu beobachten, wie der Dekan und John Warner, genauer, wie Dekan Rich Mathies und John Warner miteinander kommunizierten und mit einem Mal wurde mir klar, dass das Ganze nun größer ist als ich.

LOBET: Um die Bedeutung dessen, was in Berkeley und an anderen Universität im Land geschah. wirklich verstehen zu können, muss man wissen, wie fern den meisten Chemikern Gesundheitsfragen lagen. Für dieses Wissenschaftsgebiet ist die Toxikologie zuständig: die Untersuchung der Nebenwirkungen chemischer Substanzen auf Lebewesen, und auch die von Naturkräften und biologischen Stoffen.

MULVIHILL: Eine traditionelle Ausbildung zum Chemiker vermittelt nicht viel über das, was mit dem Zeug passiert. Man lernt viel darüber, wie man es herstellt, und wie man es billig und wirksam macht – das gehört alles zur traditionellen wissenschaftlichen Ausbildung. Wo die Stoffe landen, wie sie sich möglicherweise auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auswirken, genau das gehörte traditioneller Weise nicht zur Chemieausbildung.

NARAYAN: Wir arbeiten die ganze Zeit mit diesen Chemikalien, aber wir wissen nicht unbedingt, wie giftig sie sind. Oder wenn sie giftig sind, [wissen wir nicht,] wie sie wirken und warum sie für Menschen schädlich sind.

LOBET: Hier ist Alison Narayan, ein weitere Studentin, welche die von Studenten durch- geführten Seminarreihen organisiert. Narayan ist im fünften Jahr der Organischen Chemie und entwickelt völlig neue Stoffe.

NARAYAN: In der Tat ist unsere Ausbildung auf die Reaktionsfähigkeit der Chemikalien ausgerichtet und darauf, neue Reaktionen und neue Herstellungsver- fahren zu entwickeln, und nicht notwendigerweise darauf, etwa das Verhalten oder die Toxizität dieser Materialien zu untersuchen.

LOBET: Narayan sagt, sie war überrascht, dass es in ihrer Chemieausbildung keinen Toxikologie-Unterricht gab. Und der Wissenschaftler für Umweltmedizin Michael Wilson meint, ihm erscheine es ebenfalls seltsam.

WILSON: Fakt ist, dass man in den Vereinigten Staaten den Grad eines Bachelors, eines Masters und eines Doktors der Chemie an allen Universitäten und Colleges erwerben kann und nie ein Grundverständnis dafür nachweisen muss, wie sich Chemikalien auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt auswirken. Und sind wir also überrascht, dass giftige Materialien ihren Weg in Verbraucherprodukte finden, die überall auf dem Markt erhältlich sind? Wir sollten es wahrscheinlich nicht sein.

LOBET: Und Wilson sagt, Chemiker sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die der Toxikologie nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. Erstaunlicherweise sind selbst Fachleute für Öffentliche Gesundheit oft nicht darin ausgebildet.

WILSON: Nun sehen wir eine Veränderung in der Disziplin der Öffentlichen Gesundheit, welche den Gedanken der Grünen Chemie aufgreift, während bis jetzt unsere Aufgabe hauptsächliche darin bestand, das Ausmaß des Problems festzustellen, zu bewerten und zu beschreiben. Es ist für uns in der Öffentlichen Gesundheit und der Umweltmedizin schlichtweg nicht mehr länger möglich, den Schaden zu begrenzen [wörtlich: die Sauerei am Ende der Leitung wegzuputzen]. Wir müssen Chemikalien, wir müssen Produkte so konzipieren, dass sie nicht im menschlichen Blut und in der Muttermilch und in Sondermülldeponien und im Grundwasser zum Vorschein kommen.

LOBET: Die ersten deutlichen Hinweise auf Veränderungen, die in Berkeley über die von Studenten organisierten Seminare hinaus stattfanden, machten sich letzten Sommer bemerkbar. Zum ersten Mal bot die Universität seine Einführungsver- anstaltung mit der Wahlmöglichkeit an, eine eigenständige grüne Laborübung zu belegen.

LOBET: Heute machen Swetha Akella und Michael Poon, Studenten im zweiten Jahr, ein Praktikum in einem der neuen Labors.

POON: Was sie [Akella] zurzeit versucht, ist die Konzentration von Farbstoffen in Getränken festzustellen um zu sehen, wie viel wir davon aufnehmen. Red 40 [roter Azofarbstoff] kommt in vielen Verbraucherprodukten vor. Da die Konzentrationen des Farbstoffes sehr gering sind, muss man das Wasser aufkochen und das erhöht den Anteil der Farbstoffe in den Proben. Hier habe ich Sunkist und Hawaiian Punch.

AKELLA: Ich denke, das was mich wirklich anspricht ist die Anwendbarkeit, denn oft macht man Laborarbeiten, bei denen man vielleicht irgendeine Konzentration findet, die man wahrscheinlich hinterher vergisst. Doch wenn man z.B. im Sonnenschutzmittel-Labor oder in diesem Labor hier arbeitet, überlegt man es sich wirklich das nächste Mal, wenn man Sonnenschutz aufträgt oder man beschließt, das nächste Mal ein Selters zu trinken.

LOBET: Poon weist darauf hin, dass es nicht nur um das geht, womit man sich im Labor befasst.

POON: Ich denke, es ist wirklich wichtig darüber nachzudenken, wozu das eigene Handeln führt. Wohin fließt es, wenn Du etwas in den Ausguss gießt? Denke darüber nach und über das, was erforderlich ist, es wieder sauber aufzubereiten, damit dieses Wasser wieder benutzt werden kann.

LOBET: Eine Auswertung der Befragung von Studenten, die dieses erste Grüne Labor im Sommer belegt hatten, wies viel Begeisterung [bei den Studenten] nach. Chantelle Khambholja war eine dieser Studienanfängerinnen.

KHAMBHOLJA: Nun, in unserer ersten Laborübung ging es um Biotreibstoffe. In unserer ersten Übung befassten wir uns damit und untersuchten die Wirkung von Biotreibstoffen auf das Keimen von Saaten, um deren Ökotoxizität zu messen. In der zweiten Übung synthetisierten wir tatsächlich unser eigenes Biodiesel, was großartig war, und in der dritten Laborübung maßen wir die erzeugte Energiemenge, wenn man es verbrannte.

LOBET: In diesem Herbst hat die Chemische Fakultät alle Labore für die Laborübungen der Studienanfänger in grüne Labors umgewandelt. Die Berkeley Chemie-Dozentin Michelle Douskey beaufsichtigt die Übungsgruppenleiter für die Einführungskurse. Sie sagt, die traditionellen Chemie-Curricula stützen sich zu sehr auf gemerktes Wissen. Sie versucht dies zu ändern. Die neue Ausrichtung auf grüne Chemie, sagt sie, wird den Lehrstoff für die Studenten, die solche Fragen bereits stellen, relevanter machen.

DOUSKEY: Die Studenten interessieren sich sehr für Körperpflegemittel. Was ist in ihrer Wasserflasche? Gibt es in meiner wirklich alten Wohnung Blei in der Anstrichfarbe? Und all das sind chemische Probleme.

LOBET: Ein typischer Lehrplan oder ein Text, sagt Douskey, befasst sich vielleicht in einer Fragestellung mit jemandem, der sich wegen Blei im Trinkwasser Sorgen macht, um dann zur nächsten zu wechseln.

DOUSKEY: Wenn wir z.B. Blei in Farben untersuchen, können wir dies aus verschiedenen Blickrichtungen tun. Wir können Blei während des Semesters immer wieder aufgreifen. Bleibt es in der Farbe oder nicht. Wo hin gelangt es, wenn es in den Staub übergeht? Dann gibt es z.B. diesen ganzen Chemie-Unterrichtsstoff, wie man überhaupt Blei in Farben nachweist. Auf diese Art beziehen wir Themen mit ein wie, dass z.B. Licht mit Materialien interagiert und dass wir gewisse Instrumente haben, die uns helfen, diese Vorgänge genau zu messen. Darum kommt es mir so vor, als ob die Grüne Chemie dabei wäre uns zu gestatten, eine etwas vollständigere Geschichte zu erzählen. Es war wohl so, dass wir früher die Geschichte [einer Substanz] nur zum Teil erzählt haben, nämlich, „na gut, man muss nicht wissen, woher das kommt“.

LOBET: Die Idee, die ganze Geschichte zu lehren, war seit über einem Jahrzehnt Schwerpunkt an der University of Oregon. Als in der Grünen Chemie führend, schulte sie Chemie-Lehrkörper aus dem ganzen Land in einwöchigen Workshops. Das verleiht Julie Haack, der stellvertretenden Dekanin der Universität von Oregon, einen geschärften Blick für die Veränderungen in Berkeley.

HAACK: Ich denke, die Veränderungen, die in Berkeley vor sich gehen, sind eine unglaubliche Validierung dieses Ansatzes.

LOBET: Eine Validierung wegen Berkeleys Bedeutung und Reichweite. Jedes Jahr werden 24 Hundertschaften neuer Studenten ihre wichtigsten Grundlagen über Chemie lernen … Grüne.

HAACK: Ich denke die Wirkung ist enorm. Es handelt sich um die zukünftigen Entscheidungsträger unserer Gesellschaft und was wir gesehen haben ist, sobald die Studenten mit den Werkzeugen der Grünen Chemie ausgerüstet sind, werden sie tatsächlich in die Lage versetzt, sich an den Lösungen zu beteiligen, mehr nachhaltige Produkte und Verfahren zu entwickeln.

LOBET: Sofern die Chemikerin Alison Narayan ein Indikator ist, wird die Veränderung umfassend sein, vom alltäglichen bis zum grundlegenden.

NARAYAN: So werde ich angeregt darüber nachzudenken, wie ich als Chemikerin arbeite, beispielsweise um die Menge des Abfalles, den man verursacht, zu reduzieren. Tatsächlich hatten wir gestern Abend in unserer Forschungsgruppe eine Diskussion über die Wiederverwendung von Reagenzgläsern. So benutzen wir sehr viele Reagenzgläser und üblicherweise werfen wir sie einfach weg, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Deshalb ertappe ich mich in meiner Freizeit dabei, wie ich darüber nachdenke, was man sonst noch damit anfangen könnte. Oder wenn ich am Abzug stehe und warte, bis die Reaktionen abgelaufen sind, oder wenn ich im Bus zu meinem Labor sitze. Woraus könnte man dies oder jenes noch machen, anstatt die gebräuchliche Ausgangschemikalie auf Erdölbasis zu verwenden. So wirkt es, es färbt auf meine Gedanken über die Dinge ab und auf das, was ich mir erträume.

LOBET: Berkeley hat nun ein Zentrum für Grüne Chemie eröffnet. Im Frühjahr ist ein neuer Studiengang geplant. Und man wird einen neuen Schwerpunkt „Grüne Chemie“ anbieten, den Studenten wählen können, und dieser wird in ihren Abschlussurkunden wie ein Nebenfach eingetragen. Alle diese Veränderungen sind der Wahrnehmung der chemischen Industrie nicht entgangen, sagt Mike Wilson.

WILSON: Es sind Diskussionen, die den innersten Kern des Chemiegeschäftes erschüttern, die Dinge, die wir schreiben und die wir lehren, haben einen enormen Einfluss, was einige der größten Industriegruppen und die größten Firmen der Welt angeht. Und sicherlich haben sie ein Interesse daran, das, was wir hier machen, zu beeinflussen und deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein, denn wir wollen natürlich, dass diese Firmen den Gedanken der Grünen Chemie aufnehmen, nicht um sich grün zu waschen, sondern als grundlegendes Element ihres Firmenzwecks. Doch wir müssen auch in der Art, wie wir unsere Arbeit durchführen, unabhängig sein, deshalb gibt es eine innere Spannung, mit der wir fast täglich zu tun haben.

LOBET: Diese Spannung könnte in Berkeley stärker sein, wo sich die Veränderungen in der Chemieausbildung auf die Chemikalienpolitik in ganz Kalifornien auswirken. Doch der Wechsel zur Grünen Chemie scheint an allen Universitäten im Land deutlich stattzufinden. Noch einmal Julie Haack von der University of Oregon.

HAACK: Es ist unser Ziel, dass die Grüne Chemie zu dem wird, wie man Chemie lehrt. Und sehr bald wird die Grüne Chemie verschwinden und zum Grundprinzip der Chemie werden.

LOBET: Die Professoren in Berkeley sagen, das Ziel besteht darin, nicht nur die nächsten Generation von Chemiker hervorzubringen, sondern auch Schriftsteller, Politiker und Rechtsanwälte, welche die Folgen davon verstehen können, wie etwas hergestellt wird.

Autorin: Ingrid Lobet für Living on Earth

Photos: Berkeley University

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity

Diese von „Living on Earth“ produzierte Sendung wurde Mitte November 2010 an viele US-Radiostationen verteilt und gesendet. Sie kann im Original nachgelesen oder nachgehört werden.

Wir danken Eileen und LOE für die Erlaubnis, das Transskript zu übersetzen!


Kleine persönliche Nachbemerkung des Übersetzers BrunO:

Der vielleicht zu mühselig anmutende Weg der Evolution, inklusive der Überzeugung der Widersacher, scheint mir langfristig der wirksamste zu sein. Wie dieses Beispiel zeigt, geht die Entwicklung manchmal gar nicht so langsam voran und Chemie ist immerhin very big business. Vielleicht ist aber Deutschland für so etwas zu knöchern, zu konservativ. Mich hat dieses Radiofeature sehr stark an die Bewegung der Postautistischen Ökonomie, an PAECON, erinnert. Im Jahre 2000 waren Ökonomie- studenten an der Sorbonne (Paris) mit der Art, wie sie ausgebildet werden, unzufrieden und kritisierten die Ökonomie, welche gerade die Welt besonders nachdrücklich globalisierte, als autistisch. Auch daraus entstand eine Bewegung, welche die Lehre an den Unis von innen heraus umstülpt. Irgendwann wird es hoffentlich genug Ökonomen geben, die sich neben der reinen Geldökonomie auch dafür interessieren, wie sich das auf die Menschen auswirkt. Ökonomie heißt nämlich nicht, nur mit Geld, sondern mit allen Ressourcen sinnvoll zu haushalten.

Dr. William Rea als Experte für Opfer des BP Ölunfalls anerkannt

Dr. William J. Rea, Gründer und Direktor des Environmental Health Center-Dallas (EHC-D) und weltweit anerkannter Spezialist für die Behandlung von chemikalieninduzierten Gesundheitsschäden, wurde in letzter Zeit in mehreren Artikeln über die gesundheitlichen Auswirkungen der BP Ölkatastrophe bei Aufräumarbeitern und Anwohnern besonders herausgestellt.

Die neueste Veröffentlichung, „BP schuld an Vergiftung“ durch Dahr Jamail von Al Jazeera, geht näher darauf ein, wie die 1.900.000 Gallonen giftiger chemischer Dispergiermittel, die zum Zersetzen des Öls, das durch die Explosion einer BP-Tiefsee-Bohrinsel im Golf von Mexiko letzten Sommer freigesetzt wurde, eine breite Palette beeinträchtigender Symptome bei Betroffenen auslöste, die diesen Chemikalien ausgesetzt waren.

Öl-Unfall am Golf von Mexiko/ Photo: NASA

Der Artikel führt an, „Aufnahmewege für die Dispergiermittel sind Einatmen, Verschlucken, Haut- und Augenkontakt. Zu gesundheitlichen Auswirkungen gehören Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen, Schmerzen in der Brust, Schädigung der Atmungsorgane, Hautreizungen, Bluthochdruck, Depression des zentralen Nervensystem (ZNS), neurotoxische Wirkungen, Herzrhythmusstörungen und Herz-Kreislauf-Schäden. Die Chemikalien sind auch teratogen, mutagen und krebserregend.“

Worüber auch in den anderen Artikeln berichtet wurde, ist das Auftreten von „Schadstoff- induziertem Toleranzverlust“ (TILT) – ein anderer Name für Chemical Sensitivity. Eine behindernde Erkrankung, die das Leben für die Betroffenen sehr schwierig macht, weil sie auf sehr geringe Konzentrationen von Chemikalien, Schimmelpilzen und anderen Substanzen reagieren. Weil die Verwendung von Chemikalien in unserer Kultur so allgegenwärtig ist und tief in unser Alltagsleben verwoben ist, kann der Umgang mit der Krankheit ein lebenslanger Kampf sein.

Dr. Rea ist ein Experte für Chemical Sensitivity, der viele Tausende Patienten mit dieser Erkrankung behandelt hat, einschließlich solcher Patienten, die giftigen Chemikalien aus Erdöl-und Dispergiermittel ausgesetzt waren, seit er sein Behandlungszentrum 1974 eröffnet hat. Hinsichtlich der Opfer der BP Ölkatastrophe erklärt Dr. Rea seinen Behandlungsansatz:

„Wir versuchen zunächst die Symptome der Menschen zu beseitigen, und das ist organspezifisch „, erklärt Rea in seiner Klinik, die als eines der ältesten und am weitesten fortgeschrittenen Zentren der Welt gilt für die Bewältigung von Gesundheitsproblemen, die durch die Umwelt entstanden sind. „Wir versuchen, ihre toxische Belastung zu reduzieren, indem wir ihnen Nährstoffe intravenös und oral verabreichen, Sauna durchführen und sie in Unterkünften unterbringen, die so gering wie möglich mit Schadstoffen belastet sind. Wir geben ihnen Bio-Lebensmittel zum Essen und leiten sie an, unbelastetes Wasser zu trinken.“

Rea hat viele Menschen aus der Golfregion behandelt, die krank gemacht wurden durch BP’s giftige Chemikalien.

„Ich habe im Moment mehrere Bedenken wegen der Menschen in der Golfregion, die von diesen Chemikalien betroffen sind“, sagte er. „Erstens, sie sind alle müde und nicht in der Lage zu arbeiten. Wenn alle Muskeln müde und erschöpft sind, ist es schwer zu funktionieren. Die Menschen dort bekommen „benebelte“ Gehirne von den Chemikalien, andere haben Herzprobleme deswegen. Andere haben Broncho- spasmen und Asthma davon. Andere sind aufgedunsen und werden schläfrig nach dem Essen, bekommen Durchfall, Verstopfung, Reizdarmsyndrom und andere Magen-Darmprobleme. “

Dr. Rea betont, dass es wichtig ist, die Patienten aus dem Belastungsbereich heraus- zuholen, damit die Behandlung effektiv sein kann.

In Ricki Ott‘s Artikel „BP, Regierungen, Bagatellisierung von öffentlichen Gesund- heitsrisiken durch Öl-und Dispergiermittel“, der von der Huffington Post im Juli vergangenen Jahres herausgegeben wurde, erinnerte sie uns daran, dass Dr. Rea auch bereits einige der kranken Exxon Valdez Aufräumarbeiter behandelt hat.

Planet Thrive ist stolz darauf, dass Dr. Rea Betroffenen der Tragödie, die durch den BP Ölunfall ausgelöst wurde, in einer kostenlosen Kolumne auf der Planet Thrive Plattform Rede und Antwort steht. Auch Fragen von Menschen, die durch andere Arten von Chemikalienexposition krank wurden, sind willkommen.

Literatur:

Planet Thrive, Dr. William Rea recognized as expert for BP Oil Spill victims, November 10, 2010

Vielen Dank an Julie Genser von Planet Thrive für die Erlaubnis, diesen Artikel übersetzen zu dürften!

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Weitere CSN Artikel zum Thema BP-Ölkatastrophe und damit verbundene Gesund- heitsschäden:

Die Quittung für BPA

Das Rezept für eine hohe BPA-Belastung: Gemüsekonserven, Zigaretten und ein Job an der Kasse

Schwangere die jeden Tag Gemüse aus Konserven essen, haben nach einer am 8. Oktober 2010 veröffentlichten Studie erhöhte Bisphenol-A Werte, eine Chemikalie mit östrogen-ähnlicher Wirkung, die in Lebensmittelverpackungen und anderen Verbrau- cher-Produkten vorkommt.

Über 90 Prozent der Schwangeren hatten nachweisbare Werte von Bisphenol-A und in der Studie wurden einen Reihe von Quellen für die Chemikalie festgestellt. Schwangere die Tabakrauch ausgesetzt waren oder als Kassiererinnen arbeiteten wiesen ebenfalls überdurchschnittliche Werte in ihrem Körper auf.

Bisphenol-A, oder BPA ist eine Chemikalie welche die Wirkung von Östrogenen imitiert und für die innere Beschichtung von Lebensmittelkonserven und Getränke- dosen, für Plastikartikel aus Polycarbonat und für Kassenquittungen verwendet wird. Labortiere, die als Fötus niedrigen BPA-Belastungen ausgesetzt waren, entwickelten Prostata- und Brustdrüsenkrebs, Fettleibigkeit und Fortpflanzungsprobleme. Bei Menschen wurde BPA mit Herzerkrankungen und Diabetes in Zusammenhang gebracht.

Vor wenigen Jahren hatten sich Mütter stark gemacht, um ihre Kinder vor BPA zu schützen, indem sie auf Händler und Hersteller öffentlichen Druck ausübten, BPA-freie Babyfläschchen anzubieten. Doch die neue Studie zeigt, dass Schwangere immer noch unwissentlich ihre Kinder belasten, während diese als Fötus heranwachsen, eine Phase, in der sie noch mehr geschädigt werden können.

„Dies zeigt wirklich sehr deutlich, dass es während der Schwangerschaft viele Quellen der Belastung mit BPA gibt“, sagte Joe Braun, Forschungsstipendiat der Harvard School of Public Health und Hauptautor der Studie, die von Wissenschaftlern aus sieben Einrichtungen durchgeführt wurde. „Dies zeigt einige Quellen auf, die veränderbar sind, das heißt, die Frauen können sogar ihre Belastung durch sie verringern.“

Die Forscher untersuchten Urinproben von 386 Schwangeren aus der Umgebung von Cincinnati, die zwischen 2003 und 2006 Kinder zur Welt brachten. Eine Frau wurde herausgenommen, da ihre BPA-Werte außergewöhnlich hoch waren – 1000-mal höher als der Mittelwert der Gruppe.

In der 16. und der 26. Woche ihrer Schwangerschaft hatten mehr als 90 Prozent der Frauen BPA in ihrem Urin, währen bei 87 Prozent messbare Werte vorlagen, als ihre Kinder geboren wurden.

Der offensichtlichste Zusammenhang ergab sich zu Gemüse aus Konserven

Nach der im wissenschaftlichen Journal Environmental Health Perspectives veröffentlichten Studie hatten jene die mindestens einmal am Tag Gemüse aus Konserven verzehrten 44 Prozent mehr BPA in ihrem Urin als diejenigen, die kein Gemüse aus Konserven verzehrten.

Beim Verzehr von Obst aus Konserven, frischen Früchten und Gemüse oder frischem und gefrorenem Fisch unterschieden sich die BPA-Werte nicht.

Tracey Woodruff, Leiterin des Forschungsprogrammes zu Fortpflanzungsgesundheit und Umwelt der Universität von Kalifornien in San Francisco betonte, dass Gemüse und Obst für die Ernährung von Schwangeren eine große Rolle spielen. Sie sagte jedoch, der neue Forschungsbericht lege nahe, dass es besser sei, sich für frische Produkte anstatt für solche aus Konserven zu entscheiden.

Frauen geringerer Bildung hatten höhere BPA-Werte und die Forscher vermuteten, dass dies etwas mit dem Verzehr von mehr Gemüse aus Konserven zu tun haben könnte. Ein schwächerer Zusammenhang bestand zum Einkommen, mit geringfügig höheren BPA-Werten bei Frauen die weniger als 20.000 Dollar im Jahr verdienen.

Frauen die angaben, dass sie teilweise Vegetarier wären, hatten höhere BPA-Werte als Frauen die strenge Vegetarier oder Nichtvegetarier waren. Dies konnten die Autoren nicht erklären, wie sie sagten, lagen hierfür zu wenig Daten vor, da nur fünf der Frauen strenge Vegetarier waren. Die Wahl von Produkten aus biologischem Landbau ergab keinen Unterschied bei den BPA-Werten.

Die Forschung hat lange angenommen, dass die BPA-Belastung überwiegend von Lebensmitteln und Getränken ausgeht, die mit dieser Chemikalie kontaminiert werden, wenn sie sich aus den Konserven und den Hartplastikflaschen löst. Doch die neuen Daten lassen darüber hinaus die Bedeutung von anderen Quellen erahnen.

Entscheidend war die Berufstätigkeit:

Frauen die Kassiererinnen waren hatten die höchsten Werte, Arbeiterinnen in der Produktion und Lehrerinnen hingegen die niedrigsten. Schwangere Kassiererinnen hatten im Durchschnitt 55 Prozent mehr BPA in ihrem Urin als schwangere Lehrerinnen.

BPA ist in vielen Kassenbons enthalten und kann über die Haut aufgenommen oder verschluckt werden. Das Tragen von Handschuhen kann die Belastung verringern. Einige Firmen setzen die Chemikalie nicht mehr ein. Appleton Papers, der größte Hersteller von Thermopapier in Nordamerika erklärte, dass BPA seit 2006 nicht mehr verwendet wird. [Anm. der Redaktion: Am 08.10.2010 geändert]

Erhöhte Werte wurden auch bei Frauen gefunden, die Zigaretten rauchten oder passiv Rauch einatmeten und bei Frauen, die einer Belastung mit Phthalaten ausgesetzt waren, eine Chemikalie aus Vinylprodukten. BPA wird zur Herstellung mancher Zigarettenfilter und phthalathaltiger Lebensmittelverpackungen eingesetzt.

Eine der Stärken dieser Studie besteht darin, dass die Wissenschaftler das Blut oder den Urin der Frauen auf Substanzen testeten, die als Biomarker für Tabakrauch und Phthalate bekannt sind. Diese führen zu verlässlicheren Ergebnissen als die Daten zu Lebensmittelkonserven, die durch Befragung erhoben wurden.

Es wurden keine Daten erfasst, in welchem Umfang die Frauen Plastikgegenstände, abgepackte Lebensmittel und Trinkwasser aus Flaschen benutzen, oder sich Zahnbehandlungen unterzogen. Alle dabei zum Einsatz kommenden Materialien können BPA enthalten.

„Es ist immer noch wenig darüber bekannt, welchen Anteil die unterschiedlichen BPA-Quellen an den gemessenen BPA-Urinwerten haben“, schrieben die Autoren. Hauptforschungsleiter war Bruce Lanphear, der früher am medizinischen Zentrum der Kinderklinik von Cincinnati war und nun an der Simon Fraser University in British Columbia ist.

Bei amerikanischen Kindern stammt 99 Prozent ihres BPAs aus der Nahrung, für Erwachsene wurden jedoch keine vergleichbaren Studien durchgeführt, sagte Braun [Autor s.o.]. Mehr Forschung ist nötig, sagte er, um anderen Quellen zu identifizieren und zu quantifizieren, damit Frauen Wege finden können, die Belastung ihrer Föten zu verringern.

Woodruff, die nicht an der Studie teilnahm, appellierte an die Gesetzgeber, den Gebrauch von BPA in so verbreiteten Dingen wie Kassenquittungen und Lebensmittelkonserven einzuschränken. Sie sagte, die Chemikalie wäre so allgegen- wärtig, dass sie wie die Luftverschmutzung für die Menschen, nicht zu umgehen wäre. „Wenn wir diesbezüglich [Belastung der Föten] nicht alles unternehmen, können wir die Belastung der empfindlichsten Bevölkerungsgruppe kaum vermeiden“, sagte Braun.

„Man kann BPA nicht vermeiden, solange man es nicht los wird“, sagte Woodruff. „Es ist vor allem das Versagen der bestehenden Gesetze, Chemikalien denen man unfreiwillig ausgesetzt ist und die unserer Gesundheit schaden können, angemessen zu regulieren.“

Autor: Marla Cone, Chefredakteurin von Environmental Health News

Übersetzung: BrunO für CSN

Bildmaterial: Bild I: srs001, Bild II Pete Myers

Der Original Artikel wurde am 08. Oktober 2010 veröffentlicht.

Ganz herzlichen Dank an Enviromental Health News für die Genehmigung den Artikel übersetzen zu dürfen.

Weitere CSN Artikel zum Thema BPA:

Die Hinweise werden immer eindeutiger, dass BP toxische Dispergiermittel versprüht

Belege für das Gift im Golf

Ein privater Auftragnehmer in einem Carolina Skiff (Bootstyp) mit einem Dispergentienbehälter, 10. August, 9:30 vormittags, südlich vom Hafen von Pass Christian (Photo: Don Tillman)

Shirley und Don Tillman, Bewohner von Pass Christian, Mississippi, hatten Shrimpboote, ein Austernboot und einige Ausflugsboote. Sie verbrachten viel Zeit auf dem Golf von Mexiko, bevor sie für das Vessels Of Opportunity Programm (VOO/Arbeitsprogramm für Fischer) arbeiteten, um nach Öl Ausschau zu halten und zu versuchen, es zu beseit- igen.

Don entschied sich beim VOO-Programm mitzuarbeiten, um seinem Bruder beizu- springen, der aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht in der Lage war. So arbeitete Don auf dem Boot und Shirley beschloss, ihm die meisten Tage an Bord zu helfen.

„Wir lieben den Golf, wir leben hier und als diese Ölkatastrophe geschah, wollten wir alles, wozu wir in der Lage sind, tun, um zu helfen, ihn wieder zu sauber zu bekommen“, erklärte Shirley dem online Magazin Truthout [die Wahrheit (truth) muss raus].

Nicht lange, nachdem sie im Juni anfingen, im Rahmen der BP-Bemühungen zur Schadensbegrenzung zu arbeiten, wurden sie jedoch von dem, was sie sahen, beunruhigt. „Es dauerte nicht lange, bis wir verstanden, dass bei der ganzen Sache etwas sehr, sehr verkehrt lief“, sagte Shirley zu Truthout. „Aus diesem Grunde fing ich damals an, über das, was wir erlebten, Tagebuch zu führen und eine Menge Fotos aufzunehmen. Wir konnten unser Wissen, was man unserem Golf antut, nicht verschweigen.“

Shirley hielt fest, was sie sahen und fertigte hunderte von Fotos an. Die Tillmans bestätigen beide mit dem was sie schrieben und fotografierten, was Truthout zuvor berichtet hatte: BP hat ausländische Vertragspartner angeheuert, um mit nicht registrierten Booten, meist vom Typ Carolina Skiff, Corexit Dispergiermittel auf das von VOO-Arbeitern lokalisierte Öl zu sprühen.

Shirley lieferte Truthout Auszüge des Tagebuches, das sie über die mit ihrem Mann gemeinsam auf See gemachten Erfahrungen führte, als sie für das VOO-Programm arbeiteten, bevor sie wie die meisten anderen VOO-Arbeiter in Mississippi entlassen wurden, weil der Staat Mississippi zusammen mit der US-Küstenwache bekannt gab, in ihrem Gebiet wäre kein rückgewinnbares Öl mehr vorhanden.

„Am ersten Tag, als ich mit war, bemerkte ich eine Menge Schaum auf dem Wasser“, heißt es in ihrem Eintrag vom 26. Juni. „Mein Mann sagte, er habe schon sehr viel davon gesehen. Zu dieser Zeit hielten wir gerade nach ‚Öl‘ Ausschau. Wir sollten in Gruppen von normalerweise fünf Booten hinaus fahren. Die Küstenwache beaufsichtigte die VOO-Operationen. Es war immer jemand von der Küstenwache auf mindestens einem der Boote. Dessen Job war es, uns sagen, wann wir aus dem Hafen wohin und wie schnell fahren sollen. Alle VOO-Boote hatten sie mit Flaggen, sowie mit einem Transponder versehen. Manchmal hatten wir zusätzlich einen oder mehrere Angehörige der Nationalgarde in unserer Gruppe, wie auch gelegentlich einen Mann für Sicherheit, welcher die Luftqualität und die Vorgänge auf dem Boot überwachen sollte. Wenn wir etwas fanden, musste es der Mann von der Küstenwache beim ‚Seepferd‘ melden und die entschieden, was unternommen werden sollte.“

Ihr Tagebuch liefert neben der unmittelbaren Beschreibung, nach welcher die Küstenwache also immer über die Entdeckungen der VOO-Arbeiter Bescheid wusste, zuweilen herzzerreißende Schilderungen, was mit dem maritimen Leben und den anderen Wildtieren am Golf von Mexiko geschieht.

„Bevor wir zur Arbeit gingen, lief ich den Strand entlang“, heißt es in ihrem Eintrag von 4. Juli. „Überall lagen tote Quallen. Einige waren von Schaum umgeben. Eine Möwe hielt sich nahe beim Wasser auf, während das schaumige Zeug weiter an Land spülte. Es gab auch einen Kranich, der wahrscheinlich krank war. An ihm war kein Öl zu erkennen, aber er blieb einfach stehen, egal wie nah ich ihm kam.“

Am Morgen des 5. August beschreibt Shirley, wie sie einen jungen toten Delphin im Wasser treiben sieht. „Als wir auf das VOO-Boot der Wildtierhilfe warteten, das ihn abholen sollte, bemerkten wir in unmittelbarer Nähe eine Delphinschule“, schreibt sie. „Trotz all der Boote, die da waren, entfernten sie sich erst, als das tote Tier aus dem Wasser genommen wurde. Das ging uns allen sehr nahe.“

Am nächsten Tag, am 6. August, muss sie noch mehr Tierverluste aufschreiben. „Gestern Abend berichteten sie in den Nachrichten von einem Fischsterben. Vor der Arbeit ging ich an den Strand beim Hafen. Überall waren Möwen. Wegen dem toten Seegetier. Das einzige, was es am Strand gab, war das, was das zurückfließende Wasser der Tide übrig gelassen hatte. Der Rest des ‚Fischsterbens‘ lag unter Wasser auf dem Grund. Das waren hauptsächlich Flunder und Krabben. Wir sahen an diesem Tag nur zwei tote Flundern, die im Wasser trieben. Ich kann mir nur ungefähr vorstellen, wie viele auf dem Grund lagen… Nach der Arbeit ging ich wieder an den Strand. Das Wasser war weit draußen und die Möwen fraßen die ganzen toten Fische, die zum Vorschein kamen. Man konnte immer noch tote Fische unter dem Wasser sehen, die lagen immer noch auf dem Grund. Treiben tote Fische nicht mehr im Wasser?“

Die Hauptsorge der Tillmans ist der ungebremste Einsatz von giftigen Dispergiermitteln durch, wie sie es nennen, private Vertragspartner, die in nicht registrierten Booten arbeiten [d.h. kein Halter/Verantwortlicher ist feststellbar] und regelmäßig auf den Golf hinaus fahren, wenn sie und andere VOO-Teams von ihrer Tagesarbeit zurück kommen. Häufig schwamm derart viel Dispergiermittel auf dem Wasser, dass ihr Boot eine Spur hinterließ.

„Das erste, was mir auffiel, war die ‚Spur‘, die das Boot im Wasser hinterließ“, heißt es in ihrem Eintrag von 10. Juli. „Man konnte soweit das Auge reicht genau sehen, wo wir gefahren sind. Um 11 Uhr herum waren wir von Ölschlieren und bräunlichen Klumpen umgeben. Wir befanden uns nördlich von Cat- und Ship Island, als uns die Küstenwache anwies, die Ölsperren ins Wasser zu lassen. Wenn man die Dinger wieder rausholt, muss man ‚Schutzausrüstung‘ tragen.“

Ihr Eintrag vom 1. August beschreibt detailliert einen Vorfall, als der Küstenwachmann ihnen nicht gestattete, Öl einzusammeln und seine Vorgehensweise, sogar zu leugnen, dass das, was sie fanden, Öl ist:

„Ab 14 Uhr beobachteten wir immer mehr Ölschlieren. Wir befanden uns nördlich der Ostseite von Cat Island, aber südlich des Inter Coastal Channels. Wie üblich war jemand von der Küstenwache auf einem der Boote unseres Teams. Er meldet sich [per Funk] und redete davon, wir wurden aber nicht angewiesen, die Ölsperren auszulegen, es wäre nur ‚Fischöl‘. Zu Anfang der Ölbeseitigungsarbeiten war alles, wenn es auf dem Wasser schwamm und wie Öl aussah, Öl oder Ölfilm. Später konnten sie manchmal ebenso gut sagen, es wäre einfach nur ‚Fischöl‘. Genauso war es, wenn es sich um dicken braunen oder rostfarbenen Schaum handelte, ursprünglich hieß das ‚Ölmousse‘. Später nannten sie es ‚Algen‘. Dann wurden wir angewiesen Nordwestkurs zu nehmen. Je weiter wir kamen, desto schlimmer wurde das ‚Fischöl‘. Später war der Schaum mit Öl vermischt. Allein um unser Boot herum hatte es mindestens die Ausmaße eines Fußballfeldes. Mein Mann nahm Funkkontakt auf und fragte, ob sie die Ölsperren auslegen können.“ Wieder sagte der Küstenwachmann nein. „Danach sollten wir nach Westen drehen, zurück nach Pass Christian. Ein Ausflugsdampfer hielt eines der Boote unserer Gruppe an und berichtete, dass es überall Öl gab. Die Küstenwache gab die Anweisung, denen zu sagen, dass ihnen die Situation bekannt wäre… Auf dem Rückweg nach Pass Harbor fragte ich meinen Mann, ‚Was machen wir eigentlich genau hier draußen?‘ Er sagte mir, er beginne zu denken, alles wäre nur eine Show. Ich kann mir nur ausmalen, was die Leute auf dem Ausflugsdampfer zu erzählen hatten, als sie an diesen Tag wieder nach Hause kamen. Wahrscheinlich, dass sie eine Menge Öl auf dem Wasser gesehen haben und dass die VOO-Boote dort draußen einfach nur darin herum kurven und überhaupt nichts unternehmen, um es zu beseitigen. Dies ist genau das, was geschah. Danach beschlossen wir anzufangen, so viel zu dokumentieren, wie wir können. Ich glaube, es war schon am nächsten Tag, als Thad Allen [Chef der Küstenwache] im Fernsehen erklärte, sie würden die Maßnahmen aufgrund der Tatsache zurück fahren, dass ’seit ungefähr zwei Wochen kein Öl im Golf gesichtet wurde‘. Hätten wir also am Sonntag Ölsperren herum gezogen und in Pass Harbor einen Stapel verschmutzte ausgeladen, wäre dies später vielleicht ein Problem für ihn.“

Spuren des Dispergiermittels, 26. Juni 2010. (Foto: Shirley Tillman)

Am 5. August beschreibt sie den seltenen Fall, dass es ihnen gestattet wurde, Ölsperren zum Einsammeln von Öl auszulegen. „Wir hatten jemand von der Küstenwache und zwei Sicherheitsleute auf unserem Boot. Wir fuhren westlich von Pass Harbor. Das Wasser sah stellenweise schwarz aus. Viele Blasen, kein Schaum, nur Blasen. Um 8 Uhr 30 herum waren wir von Schlieren und Mousse umgeben und sollten eine Ölsperre auslegen. Je mehr wir die Ölsperre zogen, desto mehr Öl schwamm auf. Der Pass [Christian] Hafen war geschlossen, da sehr viel Öl herein schwemmte. Für den Rest des Nachmittages zogen wird die Ölsperre hin und her.

Verölte Sperre. 5. August 2010. (Foto: Shirley Tillman)

Ölschlieren und Rückstände des Dispergiermittels. 1. August 2010. (Foto: Shirley Tillman)

Bis Anfang August sank die Gesamtzahl der VOO-Boote, die vom Hafen Pass Christian aus im Einsatz waren, wo Shirley und Don arbeiteten, bis auf 26.

Am 8. August schrieb Shirley, „im Hafen erzählte man, dass draußen bei den Inseln Flugzeuge nachts Dispergiermittel auf das Wasser sprühen. Man sprach auch von Skiff-Booten aus Louisiana, mit weißen Tanks an Bord, die ebenfalls [Dispergiermittel] sprühten. Die Skiffs haben wir früher gesehen. Gewöhnlich passten sie uns morgens ab und hielten Kurs auf die Bay St. Louis Brücke. Man sagte uns, sie würden draußen in einem Gebiet am Henderson Point arbeiten. Am Henderson Point gibt es ein county-eigenes Gelände [etwa: einem Landkreis gehörend] mit einer Bootsanlegestelle und mit Landungsstegen. Nach der Ölkatastrophe war es für die Öffentlichkeit gesperrt und es wurde ein Stützpunkt für BP-Subunternehmer eingerichtet. Es sah immer so aus, als ob diese Boote ihre Arbeitsschicht genau dann beenden würden, wenn wir mit unserer beginnen. Die meisten dieser Skiffs waren Carolina Skiffs“.

Später, am gleichen Morgen, fuhren Shirley und ihr Mann mit einem Angehörigen der Nationalgarde an Bord nach Westen aus dem Hafen, während sich ein Angehöriger der Küstenwache und ein weiteres Mitglied der Nationalgarde auf einem anderen Boot ihres VOO-Teams befanden. Nach einer Stunde Bootsfahrt wechselten sie genau dann wieder Richtung Osten, als Don fünf Carolina Skiffs ausmachte.

„Ich hatte meine Kamera dabei und fing an sie zu fotografieren“, schreibt Shirley. „Als ich so nah, wie es möglich war, heranzoomte, sah ich, dass sie etwas auf das Wasser sprühten. Davon habe ich kein Foto. Ich war zu sehr damit beschäftigt, dies meinem Mann und dem Typen von der Küstenwache auf dem anderen Boot zu erzählen. Die Skiffs hatten nach Norden gedreht und sich verteilt und führen südlich der Eisenbahnbrücke im Zickzack. Die Küstenwache meldete den Vorfall und schickte eines unserer Boote los, den Skiffs zu folgen. Die Skiffs verschwanden sofort. Als ich die Boote sprühen sah, wehte der Wind zu unserem Boot. Innerhalb weniger Minuten, bekam ich eine trockene Nase. Später passierte das gleiche mit meinen Hals und mit meinen Augen. Ein Helikopter der Küstenwache stand zusammen mit einem Küstenwachboot in Bereitschaft. Den Helikopter sahen wir etwa 20 Minuten später, doch das Boot der Küstenwache habe ich nie gesehen.“

Nach der Rückkehr in den Hafen von Pass Christian berichtete ihr Team von den Aktivitäten der Skiffs, Dispergiermittel zu versprühen. Sie wurde von Parson’s, der Vertragsgesellschaft die ihr Team leitete, gebeten, ihre Fotos vorzulegen.

Ihr Eintrag vom nächsten Tag, dem 9. August lautet:

„Ich nahm die Bilder (8×10’/20×25 cm) mit zu Parson’s. Kurz darauf rief mein Mann an und erzählte, die Küstenwache möchte, dass ich ihnen von den Bildern eine CD mache. Ich nahm die CD und übergab sie der Küstenwache. Im Beisein anderer wurde mir gesagt, dass der Vorfall untersucht worden ist und die fraglichen Boote am Henderson Point lokalisiert wurden. Er sagte, dass diese Boote als Skimmerboote [Abschöpfboote] am VOO-Programm teilnehmen, doch dies wurde bisher noch nicht bestätigt. Er berichtete, dass er die Leute gefragt hätte, ob sie etwas auf das Wasser sprühen. Sie erzählten ihm, wenn ich sie irgendwas sprühen sah, dann haben sie wahrscheinlich gerade ihre Tanks ausgespült. Er fragte auch mich, ‚Denken Sie nicht, dass sie einen Atemschutz getragen hätten, wenn sie Dispergentien sprühen?‘ Ich antwortete, ‚Sie würden das annehmen, mich aber überrascht hier überhaupt nichts mehr.‘ Danach sind wir praktisch gegangen. Nun wusste ich, alles, was sie wirklich wollten, war, genau zu sehen, was ich fotografiert hatte. Natürlich fragt sich, ‚wozu ein Abschöpfboot seine Tanks ausspülen muss?‘ Warum sollte es, wenn es Öl aufgenommen hat, dieses wieder zurück schütten? Was hat es ausgespült, wenn es kein Öl aufgesaugt hat? Ich weiß, was ich gesehen habe, und ich weiß, was ich danach spürte. Ich weiß auch, dass man auf einem der Bilder, die ich gemacht habe, einen Helikopter über diesen Booten sehen kann. BP hat Späher, die nach Öl suchen. Kann es sein, dass der Helikopter ihnen gezeigt hat, wo sie nachbessern müssen, bevor sie Feierabend machen können? Eines habe ich von dem Typen der Küstenwache an diesem Tag gelernt, offensichtlich besitzen diese sogenannten Skimmerboote auch die Fähigkeit zu sprühen!“

Die Neugier der Tillmans ließ sie weitere Nachforschungen anstellen. Grund waren die Ungereimtheiten, welche sie im Handeln der Küstenwache erkannten, wenn es um Dispergiermittel ging, die Vertragspartner [von BP] von den Carolina Skiffs versprühten.

„Mein Mann kam nach Hause und erzählte, dass sie die ‚Skiffs‘ heute wieder gesehen hätten“, heißt es in Shirleys Eintrag vom 10. August. „Er machte Fotos von ihnen und von einer Hebevorrichtung. Diese Vorrichtung wechselt in der Meerenge seine Standorte und ist vermutlich eine Dekontamin- ierungsstation. Einige Kapitäne haben jedoch berichtet, dass man ihnen sagte, als sie hinfuhren, sie wäre gerade nicht in Betrieb. Nachdem ich zwei Tage lang über die Skiffs mit den Tanks und die Küstenwache nachgedacht habe, gelang es mir nicht, das Ganze irgendwie zu verstehen. Die Küstenwache leitet angeblich das VOO-Programm, weiß aber nichts über die Skiffs an dem so nahe beim Pass [Christian] Hafen gelegenen Standort. Sie sagen uns nicht nur jeden Handschlag, den wir machen sollen, sie sind auch dabei, wenn wir sie tun. Unsere Boote sind beflaggt und haben Transponder an Bord. Diese Boote haben keine Flaggen und wir haben weder Transponder noch Angehörige der Küstenwache auf ihnen gesehen, die ihnen sagen, was zu tun ist.“

Diesen Nachmittag fuhren sie zum Henderson Point Stützpunkt. Obwohl er bewacht war, schockierte sie, was sie sahen:

„Dort waren wahrscheinlich mehr Boote als zu dem Zeitpunkt im gesamten Pass [Christian] VOO-Programm waren“, heißt es in ihrem Eintrag. „Es gab nur ein paar wenige richtige Ölabfangboote. Alle waren offenbar in Louisiana registriert. Nahezu alle Skiffs hatten weiße Tanks an Bord. Ein paar wenige der Tanks sahen so aus, als ob irgendwann mal etwas in ihnen gewesen wäre, doch es war etwas anderes als die ölige, klebrige Scheiße, mit der wir zu tun hatten. Wenn unser Boot etwas ab bekam, war es nahezu unmöglich, es wieder weg zu bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie das wieder aus den Tanks heraus bekommen und dass die Tanks danach noch so aussehen wie sie es tun. Nahe bei den Booten stand auch ein Auto der Dienststelle des County Sheriffs von Harrison und ein paar große Plastikbehälter auf gelben Untersätzen.

Kreuzung Canal Road und I-10, in Gulfport, Mississippi, auf dem als PB-Stützpunkt genutzten Areal, 14. August 2010. (Foto: Shirley Tillman)

Am 13. August wurde das Boot von Shirley und Don außer Dienst genommen. Das hat sie sehr beunruhigt. Am nächsten Tag besuchten sie immer noch sehr betroffen den BP-Stützpunkt im Hancock County [Grafschaft/Landkreis].

„Sie hatten den Ort geräumt“, schreibt sie. „Trotzdem war wie vorher eine Wache und ein Sheriff-Auto da. Wir fuhren zum Stützpunkt in Gulfport. Anscheinend ist dies ein Hauptlagerplatz von BP. Dort gab es alle möglichen Bootstypen, einschließlich der Skiffs mit den Tanks. Die Dienststelle des Sheriffs war ebenfalls vertreten und auch jene großen Plastiktanks auf dem gelben Paletten.“

Andere, sehr ähnliche Berichte gibt es über andere BP-Stützpunkte am Golf von Mexiko. Die Tanks werden eindeutig zum Transport und zur Lagerung des Corexit Dispergier- mittels verwendet. Die Carolina Skiffs werden eindeutig dazu eingesetzt, es auf das Öl zu sprühen.

Kreuzung Canal Road und I-10, in Gulfport, auf dem als PB-Stützpunkt genutzten Areal. (Foto: Shirley Tillman)

Corexitbehälter, 1. September 2010. (Foto: Shirley Tillman)

Ihr Eintrag vom 16. August führt ihre Entdeckung weiter aus:

„Während der nächsten paar Tage begab ich mich weiterhin zum Henderson Point und zum Gulfport Stützpunkt. In Henderson Point waren wieder ein paar Boote, aber keines von den Skiffs mit den Tanks und keiner der großen Plastikbehälter. In Gulfport war alles wie zuvor, mit allem Drum und Dran. Am 25. August bekam ich eine Email mit einem Link zu einem Artikel über Dispergiermittel. Ich hatte ein Foto der Tanks mit der Aufschrift ‚Nalco Corexit EC9005A‘, in denen Dispergiermittel geliefert werden. Sie fassten 330 Gallons (ca. 1.249 Liter), waren groß, aus Kunststoff, weiße Tanks auf einer gelben Palette. Dies waren dieselben Tanks, die ich auf dem Henderson Point und dem Gulfport Stützpunkt gesehen habe. Es gelang mir, den Namen des Herstellers der Tanks heraus zu bekommen, ich verglich [den Schriftzug] auf einem Foto von mir mit dem Foto im Artikel. Es war der gleiche Hersteller. Im Internet suchte ich nach dieser Firma und fand die 330 Gallon Tanks. Sie wurden folgendermaßen beworben: ‚Der einzige Hersteller in der Industrie, welcher transportierbare Tanks anbietet, die von den Vereinten Nationen und vom US-Verkehrsministerium für den Transport gefährlicher Güter zertifiziert sind‘.“

Toter Flunder vom Fischsterben. 6. August 2010. (Foto: Shirley Tillman)

Shirley und Don wurden wie zehntausende anderer VOO-Arbeiter und Golfbewohner mit mehr Fragen als Antworten zurück gelassen.

„Wenn man bei der Arbeit auf den Booten eine Ölsperre zurück an Bord zieht, muss man nicht nur [Einweg] Tyvek-Schutzanzüge, Schutzbrillen und Schutzhandschuhe tragen, sowie die Ärmel des Anzugs über den Handschuhen als auch die Hosenbeine über den Stiefeln mit Klebeband umwickeln.“ Shirley fragt, „Warum soll es für die Leute sicher sein, in das gleiche Wasser zu steigen, aus dem all dieses gefährliche Zeug heraus kam?“

Was die Küstenwache betrifft, fragt sie:

„Wie kann man von den Skiff-Booten im VOO-Programm nichts wissen, wenn man für das VOO-Programm verantwortlich ist? Die Küstenwache leitete angeblich das VOO-Programm, aber sie taten so, als ob sie von den Carolina Skiffs nichts wussten. Diese Boote waren weder in der Task Force noch in der Strike Force. Jedes VOO-Boot hatte eine Flagge. Wir hatten alle Transponder. Das waren die Vorschriften des VOO-Programmes und der Küstenwache. Doch diese Skiffs hatten keine Flaggen und wir sahen nie Transponder auf ihnen, noch war jemand von der Küstenwache auf ihnen und angeblich hatte jede Gruppe wenigstens einen von der Küstenwache in der Gruppe. Manchmal hatten wir zwei, aber die Skiffs hatten nie welche.“

Die lokalen Medien in Pass Christian und Gulfport, Mississippi berichten nun, dass BP hofft, bis zum 19. September das VOO-Programm beenden zu können.

Shirley ist skeptisch. „Warum soll jeder seine Kinder hierher bringen und sie in das Wasser stecken, in das Millionen Gallonen toxischer Chemikalien geschüttet wurde, mal vom Öl ganz abgesehen?“ Sie fragt, „Warum sollte man Tiere aus dem Meer essen wollen, die in dem Wasser mit all diesen Verschmutzungen gelebt haben und darin umgekommen sind?“

Truthout hat bereits früher über andere Fischer in dem Gebiet berichtet, über James „Catfish“ Miller und Mark Stewart, die erzählten, Augenzeugen gewesen zu sein, als Vertragspartner aus Carolina Skiffs ebenfalls Dispergiermittel versprühten.

Indes behaupten lokale und Regierungsbehörden weiterhin, dass Dispergiermittel nur südlich der dem Mississippi vorgelagerten Inseln angewendet wurden und dass die Carolina Skiffs und die großen Tanks, die sie geladen haben, nur zum „Einsammeln“ von Öl benutzt würden.

„Warum sollten diese 330 Gallonen fassenden Gefahrgutbehälter an zwei verschiedenen Einsatzstellen gleich bei den Tank-Skiffs vorhanden sein, wenn Dispergiermittel nur südlich der Inseln versprüht wurden?“, fragt Shirley. „Warum sollten die Tanks der Skiffs so sauber sein, wenn sie wirklich Öl eingesammelt hätten?“

Die Tillmans und tausende andere Fischer und Bewohner am Golf von Mexiko sind aufgrund der komplizenhaften Verstrickung der lokalen und staatlichen Verwaltung und der Bundesregierung in das, was sie als massive Vertuschung der Ölkatastrophe ansehen, sehr besorgt. Man setzt toxische Dispergiermittel ein, um das ganze Öl, das gefunden wird, zu versenken.

Dr. Riki Ott, eine Toxikologin und Meeresbiologin, ist Überlebende der Exxon Valdez Ölkatastrophe in Alaska von 1989. Neulich schickte sie einen offenen Brief an die US-Umweltschutzbehörde in dem sehr viel von dieser Besorgnis zum Ausdruck kam.

Das fortgesetzte Leugnen dieses Problems durch die Regierung kann Shirley weder täuschen noch aufhalten.

„Ich weiß, was ich gesehen habe“, sagte sie zu Truthout. „Ich weiß, was man mir erzählt hat. Ich weiß, wie es mir erging. Ich weiß, was ich dokumentiert habe. Ich weiß auch, dass ich hunderte von Fotos aufgenommen habe, um zu belegen, was ich erzähle.“

Autor: Dahr Jamail für t r u t h o u t , 13.09.2010

Übersetzung: BrunO für CSN-Deutschland

Dieser Bericht erschien im Original auf t r u t h o u t und steht wie diese Übersetzung unter einer Creative Commons Lizenz: Namensnennung-Nicht-kommerziell 3.0 Vereinigte Staaten von Amerika

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Die CESP – INSERM Studie wurde am 25. August 2010 in der medizinischen Fach- zeitschrift Occupational Environmental Medicine veröffentlicht.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 30. August 2010.

Literatur:

Villeneuve S, Cyr D, Lynge E, Orsi L, Sabroe S, Merletti F, Gorini G, Morales-Suarez-Varela M, Ahrens W, Baumgardt-Elms C, Kaerlev L, Eriksson M, Hardell L, Févotte J, Guénel P., Occupation and occupational exposure to endocrine disrupting chemicals in male breast cancer: a case-control study in Europe, CESP – INSERM (National Institute of Health and Medical Research), Villejuif, France, Occup Environ Med., Aug 25, 2010.

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