Krank durch Chemikalien – Der Brief zu Pfingsten

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Manfred B. war Landvermesser, ein Beruf an der frischen Luft, der dafür sorgt, dass man kernig und abgehärtet durch Wind und Wetter ist. Eigentlich müsste Manfred B. mit 70 Jahren nun seinen Ruhestand genießen dürfen, doch es kam alles anders. Während seiner Arbeit musste er ein Benzinaggregat im Dienstwagen mit sich führen. Benzin enthält viele hochgiftige Chemikalien, auch solche, die dafür bekannt sind, dass sie Krebserkrankungen auslösen.

Manfred B.

Alter: 75

Beruf: Landvermesser

1998 fing meine Krankheit an. Ich war Landvermesser und hatte in meinem Dienstwagen ein Benzinaggregat, was eigentlich im Fahrgastraum nicht transportiert werden durfte, weil der Benzingeruch wohl nicht gesund ist. Ich bekam immer Halsschmerzen und konnte kaum noch schlucken, sodass ich von meinem Hausarzt ein Attest bekam, dass ich dieses Benzinaggregat im Auto nicht transportieren dürfe, da ich darauf allergisch reagierte. Nachdem das Aggregat trotzdem nicht abgeschafft wurde, wurde ich krankgeschrieben. Seit dieser Zeit bin ich plötzlich auf vielfältige chemische Gerüche überempfindlich und reagiere mit Schwindel, Brechreiz, Brustschmerzen und Atemnot – zudem habe ich nur 3/5tel Lunge und bin dadurch besonders empfindlich. Heute bekomme ich Brust- und Kopfschmerzen mit Schwindel bei den geringsten Gerüchen, bin geschieden und wohne nur noch alleine.

Ich bin nun Rentner und habe mit 58 Jahren meinen Dienst gekündigt und bin vorzeitig im Vorruhestand gewechselt.

Meine Familie musste ich aufgegeben und habe meine zwei Kinder dadurch auch noch verloren. Ich muss Unterhalt zahlen, sodass ich mir keine wichtigen Medikamente oder dringend notwendige Nahrungsergänzungsmittel erlauben kann und bin mit ca. 7.000 Euro verschuldet.

Fehldiagnosen gab es bei mir nicht, weil es für meine Ärzte keine MCS gibt, und die Ärzte, die MCS diagnostisieren können, kann ich nicht bezahlen. Man untersuchte mich, fand nichts, guckte mich komisch an und schickte mich wieder nach Hause. Ich habe schon oft nachgedacht, meinem Leben ein Ende zu machen – 1973 hatte ich einen Lungentumor der mir 2/5tel Lunge kostete – jetzt muss ich wieder ins Krankenhaus nach Essen- Heidhausen in die Ruhrlandklinik, um einen weiteren Tumor an der Lunge entfernen zu lassen. Ich habe vor dem Zweibettzimmer jetzt schon Angst, weil ich nicht weiß, ob mein Bettnachbar Rasierwasser oder sonstige kosmetischen Artikel benutzt und ob sein Besuch parfümiert ist.

Ich war in dem Krankenhaus zu einem Vorgespräch, um die Narkose zu besprechen. Ich wollte gerne die Narkose mit Xenon haben, aber es geht dort nicht – man hat mich nur ausgelacht und gesagt – ich sollen mir keine Sorgen machen, ich würde auch mit der anderen Narkose wieder wach – aber ob ich Nachwirkungen habe, weiß ich erst später. Vielleicht hänge ich dann ganz daneben.

Brief an CSN von Manfred B. zu Pfingsten 2008:

Hallo Silvia,

kann nur wenig schreiben, muss mich wieder hinlegen – bin zu schwach – musste mir vor ca. 5-6 Wochen in obige Klinik einen Lungentumor entfernen lassen. Du kennst ja wie normale Krankenhäuser eingerichtet sind – Furnierholz – Gardinen – desinfiziertes Putzwasser – kann man als MCS Kranker nichts gegen machen – auch das mehrmals tägliche Ansprühen mit Desinfektionsmittel bei Spritzengeben – hat mich so zugedeckt , dass ich anstatt wie andere nach einem Tag Intensivstation, erst am 11.Tag auf ein Zimmer kam – zwischendurch hatte ich, wohl durch die Ansprüherei mit Desinfektionsmittel, eine Herzattacke, was den Aufenthalt auf der Intensivstation noch verlängerte. Ich habe jeden Abend gebetet, morgens nicht mehr aufzuwachen. Ich hoffe, dass so etwas niemand von Euch mitmachen muss – übrigens, ich bin ein lebenslanger Nichtraucher.

So es wird wieder schwummerig und als Alleinstehender muss ich vorsichtig sein und mich schnell wieder legen.

Den Brief kannst Du auch veröffentlichen, wenn es wichtig genug erscheint.

Liebe Grüße an alle,

Manfred Bröcker

8 Kommentare zu “Krank durch Chemikalien – Der Brief zu Pfingsten”

  1. Marina 12. Mai 2008 um 11:17

    Hallo Silvia,

    vielen Dank für diesen Blogeintrag, der einmal mehr zeigt, wie rückschrittlich und unmenschlich unser Gesundheitssystem ist. Man ist doch nur noch eine Nummer. Individuelle gesundheitliche Probleme werden nicht beachtet. Was nützt uns dann noch die hochmoderne Technik und Forschung, wenn dann doch wieder alle über einen Kamm geschoren werden? Wie mit der Xenon Narkose. Da gibt es sie, aber sie kommt bei Patienten der sie benötigen würden nicht an.

    Sehr geehrter Herr Bröcker,

    haben Sie vielen lieben Dank, für Ihre Offenheit. Ich hoffe, dass viele Menschen (vor allem Mediziner und Politiker) Ihre fürchterlichen Erlebnisse lesen, damit sich für uns MCS-Kranke endlich etwas in der medizinischen Versorgung ändert. Es ist höchste Zeit! Denn das was Sie erleben mussten, kann jeden, zu jeder Zeit treffen. Es ist einfach schrecklich, wie Menschen mit MCS diskriminiert werden, selbst in Notsituationen.

    Ich wünsche Ihnen von Herzen ganz viel Kraft und ganz viel Gesundheit.

    Liebe Grüße
    Marina

  2. Henriette 12. Mai 2008 um 11:21

    Lieber Herr Bröcker,

    vielen Dank für Ihren Mut, uns allen Ihre Gesichte zur Verfügung stellen, die Ihnen durch mangelnden Arbeitsschutz und die bekannten gesundheitsschädigenden Auslöser, unnötigerweise widerfahren ist und zu Ihrer MCS-Erkrankung geführt hat.

    Diese Kraft, an die Öffentlichkeit zu gehen, bringt nicht jeder auf. Doch nur so werden die Mißstände öffentlich und bewirken hoffentlich ein baldiges Umdenken bei den Verantwortlichen. Denn die Veröffentlichung von Tatsachen, so wie in Ihrem Fall, trägt dazu bei, dass man auch irgendwann in Deutschland seitens der Entscheidungsträger dazu übergehen muss, den Fakten ins Auge zu schauen und der systematischen Verleugnung von Umwelterkrankungen, beenden muss.

    Dass man als Umweltkranker ein Krankenhaus einerseits kranker verlässt, als man sich dort zur Behandlung eingefunden hat, ist ungeheuerlich. Dass sie gesundheitlich so sehr leiden müssen, tut mir aufrichtig leid.

    Viele Grüsse von Henriette und für Sie persönlich alles Gute.

  3. Clarissa 12. Mai 2008 um 11:43

    Die Wahrheit ist hart, verdammt hart, aber so grausam, das ist mehr als schlimm. Hr. Bröcker tut mir unendlich leid, das was ihm widerfahren ist an Bösartigkeit kaum noch zu toppen.
    Ich hoffe, das mir so etwas alles erspart bleibt, lieber sterbe ich daheim, als dass ich mich im KH zu Tote quälen lassen muss.
    Werter Hr. Bröcker, ich hoffe, dass es ihnen allmählich etwas besser geht und ich weiß nicht, was ich ihnen wünschen kann – vielleicht ein Leben ohne Schmerzen, das wäre auch mein Wunsch.

  4. yol 12. Mai 2008 um 21:31

    Was kann man dazu noch sagen, zu der Verrohung unserer Zeit, die selbst aus Ärzten etwas anderes macht, als das, was sie laut Hippokrateseid geschworen haben. Jeder steht dieser Entwicklung machtlos gegenüber, wir mit MCS spüren das jeden Tag, doch kann es jeden Tag jeden einzelnen Menschen treffen, der nicht die verlangten 100 % + mehr an Leistung bringt, die unsere momentane Gesellschaftsform einfordert. Solange der Mensch dem Leistungssystem voll zur Verfüguing steht, wird er irgendwie noch menschlich behandelt, schafft er das aus egal welchen Gründen nicht mehr, dann wird er auf der ganzen Linie fallen gelassen. So kann ich mir keine zukunftsorientierte Gesellschaftsform vorstellen…

    Lieber Herr Bröckler,

    Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen, dass es Ihnen gesundheitlich besser geht. Alles andere ist schon schlimm genug, lässt sich besser ertragen, wenn die Gesundheit stabiler ist. Ansonsten können wir nur etwas füreinander tun: uns gegenseitig zu stützen, wenn auch auf Distanz.
    Silvia bietet durch ihre Arbeit hier eine überaus wertvolle Plattform, ohne die viele von uns ganz alleine wären.

    Alle Gute für Sie.

  5. X-Faktor 13. Mai 2008 um 12:00

    Was Ihnen passiert ist Herr Bröcker, spiegelt leider die Realität wider, wie in Deutschland mit Geschädigten in Renten- und BG-Gutachten verfahren wird.

    Dass es Ihnen gesundheitlich so schlecht geht und sie solche negativen Erfahrungen durchleben müssen, tut mir aufrichtig leid. Ich wünsche Ihnen gute Besserung und ganz viel Gesundheit.

    Solche Machenschaften haben für die Betroffenen auch weitreichende Folgen in ihr Privatleben.
    Es ist skandalös, war hier bei uns im reichen Deutschland abgeht. Dass die Verantwortlichen dermaßen gewissenlos vorgehen, ist ein Armutszeugnis.

    XXX

  6. Joana 13. Mai 2008 um 22:17

    Man müsste unseren Herrn Gesundheitsminister mit diesen schockierenden Fakten konfrontieren und ihn zu einer Stellungnahme bewegen, damit solche skandalösen Verhältnisse endlich ein Ende finden.

  7. Maria Magdalena 14. Mai 2008 um 21:37

    Sehr geehrter Herr Bröcker,

    ich war erschüttert, als ich über Ihren Leidensweg las. Mein aufrichtiges Mitgefühl!

    Leider erlebe ich fast täglich die Kälte und Gleichgültigkeit unserer Zeit. Besonders im Gesundheitswesen haben die Menschen unter der Tatsache zu leiden, dass Menschlichkeit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft immer mehr in den Hintergrund treten. Nur das Geld zählt und dafür verzichten viele auf ihre Ehre.

    Das ist nicht gerade aufbauend. Zumal ich weiß, dass gerade Nächstenliebe und die Pflege moralischer Werte die wichtigste Voraussetzung für eine hoffnungsvolle Zukunft unserer Gesellschaft sind.

    Ihre Geschichte zeigt die Probleme unserer Zeit schmerzlich auf. Sie macht nachdenklich.

    Ich wünsche Ihnen von Herzen Gesundheit, bessere Tage und gute Freunde!

    Maria Magdalena

  8. Manfred Bröcker 24. April 2020 um 06:12

    Liebe Mitmenschen,
    habe heute nach etwas stöbern meinen und euren Eintrag wiedergefunden. Hab einfach unter Google meinen Namen plus MCS eingegeben und schon war der Bericht von Silvias Seite da.
    Wollte noch nachtragen, dass in der Lungenklinik in Heidhausen eine stark parfümierte Schwester für mich zuständig war. Als ich wieder einmal eine Spritze mit Desinfektionsmittel (zur Säuberung der Einstichstelle) bekam, wurde ich schwindelig und zum Glück kam der Oberarzt gerade herein, der fragte, was ist denn mit Ihnen los. Ich erzählte von meiner MCS und darauf sagte er zur Schwester: „Wenn der Patient das Spray nicht vertragen kann, machen Sie das auf dem Balkon auf ein Läppchen und reiben dann die Stelle ein“. Die Schwester frech: Herr Doktor, ich mach es wie ich es gelernt habe, ansonsten müssen Sie ein neues Lehrbuch schreiben. Der Arzt kam später noch einmal nachsehen wie es mir ginge. Ich erzählte ihm alles und die Schwester wurde ausgetauscht. Durch diese Schadstoff- (Parfüm) Einnatmungen der vorherigen Schwester, bekam ich einen Kollaps. Zum Glück war gerade eine Schwester anwesend, die mich schnell auf die Intensivstation fuhr und ich 4 Tage im Koma gelegt wurde. Als ich entlassen wurde, war mein MCS Pass nicht mehr aufzufinden – einfach weg, als ob er nie vorhanden gewesen wäre. Wer hat den wohl entsorgt? Bestimmt die Schwester, die bei mir Zimmerverbot bekommen hatte. Heute geht es mir wieder besser, sodass ich gelegentlich unter die Leute in die Stadt gehen kann – mit Maske. Habe auch viel mit Eigenbehandlung gemacht, um das Immunsystem zu stärken

    Ich wünsche allen MCS Patienten, dass es für Euch zwischendurch auch einmal erfreuliche Tage, Wochen geben wird. LG Manfred Bröcker – jetzt 83 J. Jung

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