Archiv der Kategorie ‘Umweltmedizin‘

Norwegischer Allergie und Asthma Verband bittet darum, keine Parfüms zu benutzen

Präventionsmaßnahmen für die Gesundheit sind gut für uns alle!

Immer mehr Menschen wenden sich an den norwegischen Asthma und Allergie Verband (NAAF) und beklagen, dass sie krank werden durch Parfüm ihrer Mitmen- schen. Es riecht überall danach und die Parfüms übertönen oft alles.

Gleichzeitig mit dem Umsatzanstieg von „gutem Duft“ leiden immer mehr Kinder unter Allergien. Rund 1,5 Millionen Menschen kämpfen in Norwegen mit irgendeiner Form von Allergie oder Überempfindlichkeit. Verstärkt wird das Problem der Duftstoffe, weil sie Chemikalien enthalten.

Steigende Tendenz bei Verkaufszahlen für Parfüms und Duftstoffe

Während der norwegische Allergie und Asthma Verband immer mehr Beschwerden registriert, steigen gleichzeitig die Verkaufszahlen von „gutem Duft“. Zahlen aus KLF zeigen, dass Männer und Frauen in den letzten Jahren zunehmend mehr Geld aus- gegeben haben für den Kauf von Parfüm und anderer duftender Kosmetik.

Parallel dazu benutzen wir immer mehr verschiedene Anti-Allergiemedikamente. Der Verbrauch an Medikamenten stieg in den vergangenen fünf Jahren um 25 %.

Duftstoffe sind lästig, oder machen krank

NAAF sagt, dass diejenigen, die sich zunehmend wegen ihrer Beschwerden bei ihnen melden, sich in zwei Gruppen unterteilen lassen:

  • Einige sagen, dass es einfach lästig geworden sei mit der Beduftung, es rieche überall und alles.
  • Andere werden krank von Duftstoffen oder bekommen schwere allergische Reaktionen und Asthmaanfälle.

Beschwerden auf Duftstoffe auch ohne vorherbestehende Krankheit oder Allergien

Fakt ist, starke Gerüche können tränende Augen und Nase, Juckreiz, Ekzeme, Kopfschmerzen und Asthma-Anfälle verursachen. Man muss allerdings keine allergischen oder asthmatischen Beschwerden haben, um Kopfschmerzen, Übelkeit oder andere Beschwerden zu bekommen, wenn ein Kollege oder eine Verkäuferin sich mit Parfüm überschüttet hat. Kinder seien durch Duftstoffe besonders gefährdet, sagt NAAF.

Freiheitseinschränkung wegen Duftstoffen

Das, was „Guter Duft“ für viele ist, zerstört einen Großteil des täglichen Lebens für immer mehr Mitmenschen. NAAF will daher jetzt „Guten Duft“ aus Öffentlichen Gebäu- den weghaben.

Die meisten Menschen verstehen nicht, dass auch viele Alltagsprodukte Parfüm enthalten. Duftstoffe stecken überall drin, von Haarpflegeprodukten, Cremes, Kos- metika, Deodorants, in Waschmitteln, Weichspülern, usw.

Neue Volkskrankheit?

Der Verbrauch an duftenden Produkten ist recht drastisch gestiegen in den letzten Jahren, gleichzeitig aber auch die Anzahl der Menschen, die unter Parfümallergie leiden. „Dies ist in vielerlei Hinsicht eine neue Volkskrankheit“, sagte NAAF Generalsekretär Geir Endregard.

Fair sein und duftfreie Alternativen benutzen

Es gibt neutrale Alternativen zu den bedufteten Produkten. In Apotheken bekommt man auch unparfümierte Deodorants und Kosmetika und die Nachfrage für diese Art Produkte hat stark zugenommen. NAAF möchte die Bevölkerung dazu bringen, dass sie aufhören, Parfüm und parfümierte Produkten zu benutzen. Die Menschen sollen verstehen, dass deren Parfüm ein direktes Problem sein kann für viele Leute.

Barrierefreiheit im Gesundheitssystem angestrebt

„Darüber hinaus müssen Gesundheitsbehörden sicherstellen, dass Angehörige in den Gesundheitsberufen die Kompetenz haben, diejenigen, die durch Parfüm und Duftstoffen tatsächlich krank werden, richtig zu behandeln, und wir müssen auch daran arbeiten, dass Parfüm aus der Öffentlichkeit verschwindet, so dass diejenigen, die darunter leiden, auch am öffentlichen Leben teilhaben können“, sagt NAAF Generalsekretär Geir Endregard.

NAAF – Neuer Strategieplan 2010-2013

Um den Anstieg von Krankheiten zu reduzieren, hat NAAF folgende Zielsetzung:

  • Rauchen und die Verwendung von Duftstoffen in öffentlichen Räumen ganz verbieten
  • Probleme bezüglich der Innenraumluft in den Innenräumen norwegischer Gebäude lösen, als Erstes in den Schulen und Kindergärten
  • Reduzierung der allgemeinen Luftverschmutzung
  • Gefährliche Stoffe und Allergene in Kosmetikprodukten entfernen

NAAF’s Generalsekretär Geir Endregard meint, dass es sehr wichtig sei, Rauchverbot auch in Privathaushalten durchzusetzen. Es seien immer noch zu viele Kinder Passiv- rauch ausgesetzt. Dort, wo Eltern keine Verantwortung übernehmen, muss das Gesetz angreifen.

Kindergesundheit sei viel wichtiger als persönliche Freiheit!

Autor: Alena für CSN – Chemical Sensitivity Network, Norwegen, 9. Dezember 2010

Photo: NAAF Generalsekretär Geir Endregard / NAAF

Weitere CSN Artikel über MCS und Duftstoffallergien in Norwegen:

Warnung eines bedeutenden Forschers – Über die Risiken, mit denen BPA unser Leben bedroht

Interview Elizabeth Kolbert, Yale Environment 360 mit Prof. Frederick vom Saal

Die synthetische Chemikalie BPA – die man in allem findet, von Plastikflaschen bis zu Kassenzetteln – ist eine hochwirksame, die Wirkung von Östrogenen nachahmende chemische Verbindung. In einem Interview mit Yale Environment 360 kritisiert der Biologe Frederick vom Saal US-Firmen und die US-Regierung auf das Heftigste, weil sie viele mit BPA verbundene Gesundheitsrisiken vertuschen oder ignorieren.

Die Chemikalie Bisphenol A, oder BPA, war die letzte Zeit sehr oft in den Nachrichten. BPA ist Grundbaustein für Polycarbonat-Kunststoff – ein harter, klarer Kunststoff, aus dem häufig Wasserflaschen hergestellt werden – und man findet es in allem, von der Innenbeschichtung von Konservendosen, über Thermopapier für Registrierkassen, bis zum Zahnfüllmaterial, mit dem man die Zähne von Kindern behandelt. Diese Chemikalie ahmt die Wirkung von Östrogen nach und Studien mit Labortieren haben eine Belastung mit BPA, selbst in sehr geringen Dosen, mit einer Vielzahl von Gesundheitsproblemen in Zusammenhang gebracht, vom erhöhten Risiko für Prostata-Krebs, über Herzerkrankungen, bis zur Schädigung des Fortpflanzungs- systems.

Frederick vom Saal, ein Biologe aus der Forschungsgruppe Endokrine Disruptoren an der Universität von Missouri, ist einer der weltweit führenden Forscher, die sich mit den die Gesundheit beeinträchtigenden Auswirkungen von BPA auf Menschen und Tiere befassen. Darüber hinaus ist er einer der erklärtesten Kritiker von US-Wirtschaft und Behörden, welche die sich verschlimmernden Hauptfolgen der BPA-Belastung für die menschliche Gesundheit herunterspielen und verschleiern. Vom Saal ist wütend, denn obwohl BPA einem anderen synthetischen Hormon sehr ähnelt, nämlich DES oder Diethylstilbestrol, das in den 40’er und 50’er Jahren bei tausenden von Frauen eine Unzahl von Gesundheitsproblemen verursachte, fangen die für die Regulierung zuständigen Bundesbehörden erst jetzt an, die von BPA ausgehende Gefahr ernst zu nehmen.

In einem Interview mit Elizabeth Kolbert, einer Mitarbeiterin von Yale Environment 360, ließ vom Saal an der US-amerikanischen Chemieindustrie kein gutes Haar, da sie versucht, die Forschung, die Gefahren von BPA aufzeigt, zu unterdrücken und ihn und andere Forscher bedroht. Den Regulierern der US-Umweltschutzbehörde steht vom Saal genau so kritisch gegenüber, von denen sagt er, dass sie sich auf veraltete Studien stützten, die oft von der Industrie finanziert wurden, um die Behauptungen aufrecht zu erhalten, dass BPA sicher sei.

Vom Saal ist felsenfest davon überzeugt, dass BPA so bald wie möglich aus allen Produkten entfernt werden sollte, so wie es in Japan vor einem Jahrzehnt getan wurde. Obgleich die amerikanische Aufsichtsbehörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) bereits zu einem früheren Zeitpunkt diesen Jahres bekannt gab, dass die gesundheitlichen Folgen von BPA „Anlass zu vielen Sorgen“ geben, bleibt diese Chemikalien weiterhin unreguliert. Vom Saal beharrt darauf, dass das Regulierungssystem versagt hat, die amerikanischen Verbraucher zu schützen und fügt hinzu, „Es ist eine Lüge. Es ist Betrug. Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass diese Angelegenheit immer so weiter geht.“

Yale Environment 360: Jeder hat von BPA gehört, doch ich glaube kaum, dass die Leute wissen, was das ist. Was ist es?

Frederick vom Saal: Bisphenol A ist von Erdöl abgeleitet. Man verwendet dafür Benzol, diese Art von chemischem Grundbaustein, den Firmen wie Exxon herstellen und den sie an Firmen wie Dow Chemical verkaufen. Und das sind jene, die mit Hilfe einer vom Menschen erdachten chemischen Reaktion aus diesem Benzol die Chemikalie Bisphenol A machen. Und das ist eine äußerst reaktive Chemikalie, die so gestaltet ist, dass jeder Biochemiker sie ansehen und sagen würde, „Diese Chemikalie wird als Östrogen-nachahmende hormonale Chemikalie agieren.“

e360: Zu dieser Chemikalie geforscht hat ursprünglich…

vom Saal: Charles Edward Dodds. Er war ein britischer Chemiker, einer der führenden Chemiker der 30’er und 40’er Jahre, und er bekam den Nobelpreis für die Synthetisierung einer Chemikalie – manche würden ihn gerne exhumieren und ihm den Preis wieder wegnehmen – die DES heißt, Diethylstilbestrol (PDF Deutsch, S. 100), die an Millionen Frauen verabreicht wurde und die das Leben vieler von ihnen zerstört hat. Sie suchten nach einem synthetischen, oral aktiven Östrogen. Bisphenol A wird größtenteils resorbiert, in Gegensatz zu den natürlichen Hormonen, die im Magen sofort abgebaut werden. Und DES wird hochgradig resorbiert. DES ähnelt BPA sowohl strukturell als auch funktionell sehr stark. Es gibt zahlreiche andere noch anspruchsvollere Molekulararbeiten des 21. Jahrhunderts die zeigen, dass BPA tatsächlich genau so wirksam und in einigen Fällen sogar wirksamer als DES ist.

e360: Und warum können wir BPA nicht z.B. zur Geburtenkontrolle benutzen?

vom Saal: Aus dem gleichen Grund, weshalb wir DES nicht einsetzen können. Es ist eine krebsauslösende Chemikalie. Wenn Föten ihr ausgesetzt werden, wissen wir mittlerweile, dass eine Zunahme des Körpergewichtes damit verbunden ist. Des weiteren Fettleibigkeit, Diabetes, Herzerkrankung, Immunstörungen einschließlich Asthma und Allergie, Schädigung des gesamten Fortpflanzungssystems, einschließlich Gebärmutterfibromen, Eierstockzysten bei Frauen, Brustkrebs.

Bei Männern, geringe Spermiendichte, Prostatakrebs, Missbildungen der Harnwege, deshalb können Männer, wenn sie älter werden, nicht normal urinieren – der häufigste Grund, weshalb Männer einen Arzt aufsuchen. Wir sprechen über Milliarden von Dollar an Behandlungskosten. Und aus neurobiologischer Sicht, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung [AHDS/wird leider oft diagnostiziert, um gesunde Kinder chemisch ruhig zu stellen], manche Lernbehinderung und Störung des sozialen Verhaltens. Es bewirkt, dass das Gehirn junger Tiere wie das einer altersschwachen, erwachsenen, alten Person aussieht und spielt bei Gedächtnisverlust eine Rolle. Viele der weltweiten Epidemien hängen mit diesen Chemikalien zusammen – Diabetes, Fettleibigkeit, neurologische Verhaltensstörungen, Störung der Fortpflanzung, Abnahme der Fruchtbarkeit und vorgezogene Pubertät bei Mädchen.

e360: Nun gibt es also diese Östrogen nachahmende Chemikalie. Warum wird diese in so vielen Produkten eingesetzt?

vom Saal: Die Vorstellung, ein Chemiker würde Biologie studieren, ist neu. Chemiker, die sich mit der Synthetisierung von Stoffen befassen, würden auf das Molekül schauen und das Östrogen nicht erkennen, klar. Sie würden nicht wissen, dass jemand darüber publiziert hat, dass man bei BPA davon ausgeht, dass es sich um einen hormonellen Wirkstoff handelt.

e360: Aber warum ist es überall drin?

vom Saal: Nun, es ist ein Molekül, aus dem man, indem man es aneinander hängt, die harten und klaren Gläser meiner Brille macht. Es ist ein fantastisch aussehendes Produkt. Problematisch wird es, wenn man es in heißes Material taucht, legen Sie es in eine Wanne mit einer etwas alkalischen Umgebung, dann brechen die Molekülbindungen auf. Wenn es die Gestalt einer Molekülkette hat, seine polymere Form, dann sind diese Moleküle hormonal nicht aktiv. Wenn man sie aber aus der Kette brechen und sie frei sind, hat man ein Hormon.

e360: Aber sagen wir doch einfach, wir nehmen das BPA aus dieser Chemikalie. Warum nicht einfach herausnehmen?

vom Saal: Stellen Sie sich Polycarbonat als Stahlkette vor. Und was Sie fragen ist – was passiert, wenn ich den Stahl weglasse? Sie haben keine Stahlkette. Sie können die Kette aus etwas anderem herstellen, aber sie wird nicht diese Eigenschaften besitzen. Nun, man stellt tatsächlich andere Polymermischungen her, die hart und klar sind. Dafür hat man lange Zeit gebraucht. In den 50’er Jahren, als man dies tat, war man euphorisch. Man hatte etwas hergestellt, von dem man dachte, dass es auf den ersten Blick wie Glas aussieht. Nun, wie jeder weiß, der etwas aus Polycarbonat besitzt, kann man nach dem hundertsten Waschen oder so, nicht mehr durch gucken. Das Wasser beginnt einzudringen, baut es ab; es löst sich auf. Und unter extremen Bedingungen, sie können Polycarbonat nehmen und es in eine Salzlösung stecken und erhitzen, und innerhalb von 20 oder 30 Tagen, löst es sich fast vollständig auf.

e360: Nun, wie haben sie es als problematischen Stoff identifiziert?

vom Saal: Wir untersuchten Östrogene und deren Wirkungen auf Föten, da wir wissen, dass das Internationale Krebsregister [jetzt IACR/International Association of Cancer Registries das natürliche menschliche Hormon Östradiol als Karzinogen der Klasse I aufführt. Das Brustkrebsrisiko während des gesamten Lebens beschreibt man am besten mit der Zeit des Lebens, während der man dem eigenen natürlichen Hormon Östradiol ausgesetzt war. Man braucht es zur Fortpflanzung. Aber Menschen lebten ursprünglich keine 50 oder 60 Jahre. Das hatte die Evolution so nicht vorgesehen, und – hoppla, sie sind [Östradiol] genau so lange ausgesetzt und deshalb spielt es bei der Entstehung von Krebserkrankungen in unserem Körper eine Rolle. Und all die anderen Östrogene tragen zu der Östrogenbelastung bei, da ihr Körper nicht weiß, ob DES Östradiol oder eine dieser zahlreichen anderen Chemikalien ist, die den Körper täuschen können, zu denken, er habe Östrogene vor sich. Bisphenol A ist auf einer Liste jener Chemikalien, von denen ziemlich eindeutig nachgewiesen wurde, dass sie die Wirkungsweise des natürlichen Hormons Östrogen imitieren.

Zu Bisphenol A wird gebetsmühlenartig wiederholt, „Auch wenn es sich um ein Östrogen handelt, ist es so schwach, dass wir uns deswegen keine Sorgen machen müssen.“ Aber das ist so wie zu behaupten, Arnold Schwarzenegger ist im Vergleich zu Supermann schwach. Weil Östradiol unter einem ppt [1/1000000000000] wirkt? Das ist ein derart erstaunlich kleiner Tropfen in einem Schwimmbecken von Olympiagröße, und der verursacht Brustkrebs. Damit liegen wir zwischen zehn und hundert bis tausend Millionen mal niedriger als das, worüber auch immer sich Toxikologen Gedanken machen. Was wir machten, war anhand menschlicher Brustkrebszellen östrogene Chemikalien auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Und Bisphenol A ging wie eine Rakete ab. Wir sagten, „Heiliger Bimbam! Was zum Kuckuck hat jemals jemand dazu veranlasst zu denken, es wäre schwach?“

Und wir machten einen Versuch und wir begannen mit einer 25.000 fach geringeren Dosis als jemals jemand untersucht hat. Dazu gab es im Wesentlichen eine Studie des NIH [National Institut of Health/US-Gesundheitsbehörde]. Niemand hat jemals eine gründliche Untersuchung über die Belastung während den fötalen und den neonatalen Stadien und der Kindheit durchgeführt, wenn Entwicklungen stattfinden, wenn Östrogene die Programmierung beschädigen, die festlegt, wie ihr Körper für den Rest des Lebens funktionieren wird. Genau das geschah mit den DES-Babys. Mit 20 bekamen sie Krebserkrankungen, die niemand zuvor beobachtet hatte. Das Problem ist, man sieht sie nicht sofort. Nun, wenn man ihren Uterus untersucht, so hat er die Form einer Sanduhr; die Eileiter sind völlig zerstört. Und dann im Alter von 50, haben sie über dreimal häufiger Brustkrebs. Es dauerte 50 Jahre, bis man es sehen konnte. Das ist die Handschrift endokriner Disruption.

Wir publizierten dies, und die chemische Industrie war hinter uns her, drohte uns. Alle Hersteller riefen uns an, drohten uns.

e360: Von welchem Jahr sprechen Sie?

vom Saal: 1996. Dann schickte Dow Chemical jemanden vorbei und meinte, „Können wir uns auf ein für beide Seiten nützliches Ergebnis einigen, bei dem Sie diese Arbeit nicht veröffentlichen?“ – die längst angenommen war. Wenige Wochen später hatte ich einen Anruf von jemandem der sagte, „Ob ich mir dessen bewusst wäre, dass die Chemiehersteller eine millionenschwere Kampagne vorbereiten, wie gut BPA für Babys wäre“, wozu sie sich eine Seite von Dutch Boy Paints* [Farbenhersteller] borgten, auf dieser wurde damit geworben, man würde Babys glücklich machen, obwohl bekannt ist, dass Blei Kleinkinder tötet. Was man also tut, ist, dass man jene Bevölkerungsgruppe zur Zielgruppe des Produktes macht, die durch dieses tatsächlich ernsthaft geschädigt wird. Diese Leute sind wirklich krank. Ich meine, jemand der so etwas tun würde, ist aus meiner Sicht ein Soziopath.

*[Übersetzer: Heute enthalten diese Farben hoffentlich kein Blei mehr. Warum linkt man dann aber unter Sicherheitshinweise (Safety Education) zur den Bleiwarnungen der EPA?]

e360: Doch nun sind wir 14 Jahre und wie viele Studien weiter?

vom Saal: OK, über 1.000. Und was wir haben, ist eine Regulierungsbehörde nach der anderen Regulierungsbehörde, die an Jahrzehnte veraltete Verfahren gebunden ist. Und unfähig, wie sie behaupten, aufgrund ihrer Regeln, die Existenz buchstäblich jeglicher moderner Wissenschaft anzuerkennen. Es ist so, als ob man Polio bekommt, und nun müssen wir Sie in eine eiserne Lunge stecken, denn unsere gesetzlichen Regelungen erlaubt keinerlei moderne Herangehensweise, um es zu behandeln. Aber, genau so ist unser Regelwerk für Chemie.

Keine der Regulierungsbehörden, die alle stark unter dem Einfluss der chemischen Industrie standen, wusste überhaupt, wie sie vorgehen sollten. Und womit anfangen? Im Handel gibt es 100.000 Chemikalien. Davon fällt tatsächlich nur eine kleine Anzahl unter ihre gesetzliche Regulierungsbefugnis, dank des Toxic Substance Control Act [Kontrollgesetz für toxische Substanzen] von 1970, fallen 62.000 Chemikalien, darunter BPA, unter den Bestandsschutz, d.h. sie werden von gesetzlichen Regelungen überhaupt nicht erfasst. Darum gibt es keine Vorschriften für BPA.

Doch im Januar 2010 tat die FDA (US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde) etwas bemerkenswertes – sie drehten ihre Position, wonach BPA sicher wäre, um 180 Grad, und teilten mit, wir stimmen unserer wissenschaftlichen Beratungsbehörde zu [Advisory Committees], dass es Gründe gibt, sich wegen Prostatakrebs, vorzeitiger Pubertät und einer Reihe anderer Dinge Sorgen zu machen. Dies war ein großer Durchbruch. Nun haben wir neuerdings eine Regierungsbehörde, welche akzeptiert hat, dass man diese Chemikalie vermeiden sollte. Doch sie sagen, „Es tut uns leid, aber wir haben nicht die Befugnis, dies zu bewerkstelligen. Wir haben nicht einmal die Befugnis, zur Chemischen Industrie hin zu gehen und zu sagen, ‚Was ist da drin?‘. Wir können dies nicht mal feststellen.“ Es ist eine Chemikalie, die unter den Bestandsschutz fällt.

e360: Was könnte (die FDA) tun?

vom Saal: Was die FDA sagte ist folgendes, „Wir arbeiten mit dem Kongress daran, zu versuchen, das Gesetzt geändert zu bekommen.“ Doch die Regelungen, die wir ausführen zu ändern, würde fünf bis zehn Jahre dauern, wenn die Industrie mitspielen würde. Und dies ist eine extrem unkooperative Industrie. Es geht um ein Produkt, das annähernd 10 Milliarden Dollar pro Jahr einbringt. Solches Geld lässt sich natürlich niemand entgehen.

Und 100 Prozent der von der chemischen Industrie finanzierten Studien sagen, diese Chemikalie ist absolut sicher. Haben sie das schon mal gehört? Bei jeder Chemikalie, bei jedem Arzneimittel, das Sie sich ansehen, brauchen sie nur auf das Geld achten und es wird ihnen sagen, was bei der Studie herauskommen wird. Unabhängige Wissenschaftler stellen Gefahren fest. Leute, die entweder offen oder verdeckt für die Interessen der chemischen Industrie arbeiten, stellen nur Unbedenklichkeit fest. Keines der Industrie- oder Firmenlabore genießt irgendeinen besonderen Ruf in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Und ihre Arbeiten sind pathetisch, da sie völlig veraltet sind und Techniken benutzen, die niemand in einer Laboruntersuchung benutzen würde und die 40, 50 Jahre alt sind.

e360: Können sie mal eine der Laboruntersuchungen beschreiben, die Ihr Labor durchgeführt hat?

vom Saal: Das erste Ergebnis, das wir hatten, war, dass BPA eine krankhafte Prostata bei einem Mausfötus hervorrief. Und dann publizierten wir in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ [renommierte Zeitschrift der Amerikanischen Wissenschaftsakademie] wie man eine sehr hochentwickelte Technik wirklich verwenden kann, indem man das Organ heraus nimmt, es zerschneidet und in einen Computer einscannt. Man kann sagen, wie viele dorsale Kanäle es da gibt und wie die Beschaffenheit dieser Kanäle ist. Dann nehmen wir diese Kanäle, die aus dem Harnleiter kommen und färben sie mit speziellen Farben ein, damit wir genau feststellen können, welche Arten von Zellen es darin gibt und ob sie sich teilen oder nicht. Und was wir fanden waren Stammzellen – das schlimmste, was passieren kann, denn dies sind jene Zellen, die sich zu erwachsenen Zellen wandeln und zu Krebszellen werden – und sie sind das Ziel von Bisphenol A. Und sie wachsen anormal; die Kanäle sind alle stark missbildet.

Wir verfütterten auch BPA in einer [kleineren] Dosis an eine trächtige Maus, die sich um das Tausendfache von der unterschied, die irgend eine Wirkung hervorrufen kann, und dann nahmen wir ihre männlichen Nachkommen und stellten fest, dass es bei der Entwicklung der Prostata Anomalitäten gab. Eine andere Forschergruppe griff dies auf und behandelte Ratten mit Bisphenol A. Und im Erwachsenenalter entwickelten diese Prostatakrebs im Frühstadium. Und diese Gruppe war in der Lage, dies auf eine Veränderung in der Programmierung jener Gene zurück zu führen, welche bei Menschen, die Prostatakrebs bekommen, eine Rolle spielen.

e360: Nun also ganz praxisnah – als Mutter, die alle ihre drei Söhne als Säuglinge mit Plastikfläschchen gefüttert hat – wie besorgt müssen wir Eltern alle sein, und was können die Leute praktisch tun, um diese allgegenwärtige Chemikalie zu vermeiden?

vom Saal: Was wir wissen ist, dass Östradiol und Östrogene Risikofaktoren für Krankheiten sind. Und das bedeutet, wenn sie 100 Menschen untersuchen, wissen sie, dass sieben oder acht erkranken können, oder zehn, oder mehr. Und das andere ist, dass wir wissen, dass es unter Frauen hundert verschiedene Abstufungen gibt, wie Frauen beispielsweise auf orale Empfängnisverhütungsmittel ansprechen. Was man nicht sagen kann ist, die Tatsache, dass Sie mit ihren Kindern so umgegangen sind, würde zwangsläufig bedeuten, dass sie all diese Erkrankungen bekommen werden. Aber es erhöht ihr Risiko für zahlreiche Anomalitäten, was Sie im Auge behalten sollten. Doch alle diese Krankheiten, von denen wir sprechen, haben multifaktorielle Ursachen, und wenn BPA dazu kommt, spielt der ganze Rest des individuellen Lebensstiles eine Rolle. Ich meine damit, bei unseren Versuchstieren führte es zu Fettleibigkeit ohne erhöhte Nahrungsaufnahme. Das heißt, wenn man BPA ausgesetzt war und Symptome von Fettleibigkeit aufweist, würden Sie gerne Gegenmaßnahmen ergreifen und müssten erkennen, dass es nichts bringt, diese Person nur das essen zu lassen, was auch Sie essen – wegen dieser Chemikalie, von der wir feststellen, dass es umprogrammierte Gene in den Fettzellen sind, die anders funktionieren. Und die platzieren mehr Fett in ihre Fettzellen. Ihre Fettzellen sind im Vergleich zu normalen Fettzellen groß. Sie lagern dort einfach mehr Lipide ein. Und die Person kann nichts daran ändern. Aber Sie können dennoch die Ernährung dieser Person kontrollieren und nicht zulassen, dass es so weit kommt. Eines von den Dingen, die ich getan habe ist, meine Frau und ich haben in unserem Haushalt vor allem jede Art von Polycarbonat-Kunststoff verbannt.

e360: Das bedeutet, jegliche Art von diesen Hartkunststoff-Flaschen?

vom Saal: Hart und durchsichtig, wo nicht BPA frei drauf steht. Sie enthalten andere Chemikalien, denen sich auszusetzen ich nicht empfehlen würde. Und das Wasser in ihnen ist nicht rein, noch ist es überwacht. Das Beste, was Sie für Ihre Versorgung mit Wasser tun können ist, ein gutes Haushalts-Filtersystem zu kaufen und Leitungswasser zu benutzen, das durch einen Umkehr-Osmose, Kohlefilter gelaufen ist. In innerhalb weniger Monate kommen sie im Vergleich zum Kauf von Trinkwasser in Flaschen finanziell besser weg. OK, die andere Sache ist, dass ich jegliches Wasser, welches ich abfülle, in einen Edelstahlbehälter fülle.

e360: Und einmal las ich, Sie hätten gesagt, sie trinken nur Bier aus Flaschen; wir sollten nicht aus Getränkedosen trinken.

vom Saal: Mit ein paar sehr wenigen Ausnahmen gibt es in den Vereinigten Staat keine Dosenprodukte, die kein BPA enthalten. Darum benutzen wir zu Hause keine Produkte in Dosen. Als die Japaner die Beschichtung ihrer Dosen wechselten – von der die NAMPA (National Association of Metal Packagers Association), der Nationalverband der Herstellervereinigungen von Metallverpackungen behauptet, das Leben auf der Erde wäre zu Ende, wenn wir ihnen BPA wegnehmen. Nun, raten Sie mal was geschah? Die Japaner taten es. In Japan findet man kein Polycarbonat.

Es gibt zigtausende von Alternativen zu Babyfläschchen [mit BPA]**, und es gibt längst Alternativen für Konservendosen. Deshalb ist das, was [US-Senatorin Diane]** Feinstein mit dem BPA-Gesetz vorhat, der Konservenindustrie einen begrenzten Zeitraum für die Umstellung einzuräumen.

Das andere Ding ist, wenn man die Beschichtung der Konserven umstellt, wechselt man am besten zu etwas, das nicht diesen traditionellen Regulierungsbehörden-Blödsinn mit veralteten Untersuchungsmethoden passiert hat. Man sollte lieber die Fachleute auf diesem Gebiet zusammenrufen und sagen, „Wie kann ich feststellen, ob dies eine endokrin disruptive Aktivität besitzt?“ Andere Leute aus dieser Gemeinschaft können Ihnen das sagen. Aber sie werden es nie der US-EPA entlocken.

e360: All das wirft ziemlich beunruhigende Fragen auf, inwieweit wir wirklich allem oder den Chemikalien, die wir gebrauchen, trauen können. Doch Ihre Geschichte deutet darauf hin, dass wir, selbst wenn wir sehr eindeutige Belege haben, dass etwas schädlich ist, die Sachen nicht los werden können. Inwieweit sollten wird diesem System überhaupt noch trauen? Gar nicht?

vom Saal: Niemandem. Das System ist so sehr versteinert, dass es die Vorstellung absolut pervertiert, es wäre mit irgendeinem rationalen Prozess beschäftigt, um die gesundheitlichen Auswirkungen von Chemikalien zu untersuchen. Ein paar Leute von uns aus der Endocrine Society, Repräsentanten einer große medizinischen Gesellschaft, sagten zum Leiter des [EPA]**-Büros für Chemikaliensicherheit, „Ihre Mitarbeiter haben über 100 Millionen Dollar ausgegeben; Sie haben keinen glaubwürdigen Bestand an Untersuchungen, Sie haben nichts zustande gebracht außer mit nicht ausgeschriebenen Verträgen viel Geld zu verschwenden, die Ihnen keine Daten einbrachten. Und die Vertragslabore, die Sie für sich arbeiten lassen, liefern Ihnen Müll und sind derart außerhalb akzeptabler Leistungsgrenzen. Und Sie erklären die Daten für brauchbar.“

Und er wies dies zurück. Er drehte durch. Wir sagten ihm, „Sie wissen nicht, was Sie tun. Und solange Sie keine Endokrinologen beteiligen, die wissen, wie man hormonaktive Chemikalien untersucht, werden sie nicht weiter kommen.“ Und er wollte das nicht hören. Und er erzählt weiterhin überall allen Leuten, dass sie dieses wunderbare Programm hätten. Es ist eine Lüge; es ist Betrug; es ist absolut nicht hinnehmbar, dass diese Angelegenheit immer so weiter geht.

e360: Nun, wahrscheinlich bekommen Sie dies öfter zu hören, aber die Leuten werden sagen, „Oh, Sie sind einfach nur ein Panikmacher.“ Was sagen Sie zu diesen Leuten?

vom Saal: Prüfen Sie die Daten! Als Wissenschaftler denke ich, wenn sie von dem abweichen, was die Daten hergeben, verlieren Sie Ihre Glaubwürdigkeit und sind erledigt. Einer der Gründe, warum man mich auf diesem Fachgebiet für glaubwürdig hält ist, dass ich nie mehr gemacht habe, als zu erklären. Wenn ich jene Liste vortrage, welche Folgen BPA hat, ist jeder Punkt stapelweise mit Publikationen verschiedener Labore belegt. Und das ist der Vorgang, wissenschaftliche Ergebnisse zu validieren. Wenn diese Studien nur einmal an einem Ort durchgeführt worden wären und sie niemand wiederholen konnte, würde ich sie nicht in die Liste der Schäden aufnehmen, welche diese Chemikalie hervorrufen kann. Es ist die in den größten Mengen verbreitete endokrin-disruptive kommerzielle Chemikalie. Wir wissen nicht, in welchen Produkten sie überall drin ist. Wir wissen, dass sie bei Tieren umfangreiche Schäden anrichtet. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Studien am Menschen, welche den gleichen Zusammenhang zwischen der Gegenwart von Bisphenol A und jenen Schäden feststellen, die sich im Tierversuch ergaben.

Das beunruhigt mich. Ich denke nicht, dass dies Panikmache ist. Es ist mit Ausnahme von Dioxin eine Chemikalie, über die wir mehr wissen als über jeden anderen chemischen Stoff. Im Augenblick ist es die am meisten untersuchte Chemikalie der Welt. NIH [National Institutes of Health]** [die US-Gesundheitsbehörde] hat ein Budget von 30 Millionen Dollar für Studien die gerade über diese Chemikalie durchgeführt werden. Glauben Sie, dass die Bundesbehörden in Europa, der Vereinigten Staaten, Kanada und Japan, alle der Untersuchung dieser Chemikalie höchste Priorität einräumen würden, wenn es nur ein paar wenige Panikmacher gäbe, die behaupten, BPA wäre ein Problem?

** Einfügungen von der Redaktion des Originals

Autorin: Elizabeth Kolbert für Yale Environment 360, 24.11.2010

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

Wir danken der Yale University für die Erlaubnis, dieses Interview übersetzen zu dürfen!

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  1. Die Quittung für BPA
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Grüne Chemie – Die Zukunft braucht neue Lehrpläne

Neues Zeitalter, neue Lehrpläne

Viele Amerikaner denken über ihr Verhältnis zu Chemikalien nach, fragen, wo sie in Mensch und Umwelt bleiben, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. Mittlerweile lehren Universitäten ihre Studenten, genau solche Fragen zu stellen. Ingrid Lobet berichtet, was sich an der kalifornischen Universität in Berkeley tat.

GELLERMAN: Seit mehr als 60 Jahren versprach die Chemiefirma DuPont: „Bessere Dinge für ein besseres Leben dank Chemie.“ Nun, heute sollte der Slogan so lauten: „Eine bessere Chemie für ein besseres Leben.“

Überall in unserem Land versuchen Chemiker in Laboren neue chemische Formeln zu entwickeln, um Produkte sicherer zu machen. Und an vielen Universitäten lernen die Studenten, wie das geht. Man nennt es Grüne Chemie. Ingrid Lobet von Living on Earth berichtet über die Veränderungen an einer der einflussreichsten chemischen Fakultäten der USA, an der Universität von Kalifornien in Berkeley.

Living on Earth Interview:

LOBET: Michael Wilson steht vor einer Garage, zwei Blöcke vom Campus der UC Berkeley (University of California, Berkeley) entfernt.

WILSON: Wir besuchen gerade eine normale Autoreparaturwerkstatt. Es gibt ungefähr sechs oder acht Mechaniker, die hier an Fahrzeugen auf hydraulischen Hebebühnen arbeiten, und wie man sieht, ist dies eine Prozedur, bei der ziemlich viele Lösungsmittel zur Anwendung kommen.

LOBET: Wilson ist jetzt Professor für Öffentliche Gesundheit, aber vor acht Jahren war er Sanitäter bei der Feuerwehr, der in Berkeley Umweltmedizin studierte, um zu promovieren, als er vom Fall eines verletzten Arbeiters erfuhr.

WILSON: Es war ein junger Mann, ein 24-jähriger Auto- mechaniker, mit sehr weit voran geschrittenen Symptomen einer neurologischen Erkrankung. Er hatte den Tastsinn und die motorischen Funktionen in seinen Extremitäten verloren. Seine Hände hatten keine Kraft mehr, er saß im Rollstuhl.

LOBET: Das Gesundheitsministerium ahnte, was mit diesem jungen Mann geschah.

WILSON: Er verbrauchte jeden Tag ungefähr acht bis zehn Behälter eines handelsüblichen Lösungsmittels zur Reinigung von Bremsanlagen, das Hexan und Aceton enthielt. Und diese chemische Zusammensetzung verursacht Nervenschäden.

LOBET: Wilson interessierte, ob es sich um einen Einzelfall handelte, deshalb begann er, Autowerkstätten zu besuchen. Allein in Gebiet um die Berkeley Bucht fand er 14 weitere Mechaniker mit ähnlichen neurologischen Schäden. Sie sprühten die Autos mit dem reinigenden Lösungsmittel ein und arbeiteten daran, während die Dämpfe, wie Wilson bemerkt, in ihren Atembereich aufstiegen.

LOBET: Dieser toxische Bremsreiniger war nicht etwas, das es schon seit Jahren gab und das der Aufmerksamkeit des kalifornischen Gesetzgebers entglitten war. Es war ein neues Produkt. Die kalifornischen Behörden hatten die Hersteller gebeten, einen Teil des Hexans aus dem Reiniger heraus zu nehmen, da es sich in Ozon umwandeln kann, welches die Lungen der Menschen angreift und Asthma verschlimmert. Das taten sie und ersetzen es durch Aceton.

WILSON: Wie kommt es, dass ein bekanntes neurotoxisches Lösungsmittel im gesamten Bundesstaat Kalifornien von Arbeitern völlig unkontrolliert eingesetzt wird?

LOBET: An der Uni, so sagt Wilson, fand er sich in der heiklen Situation wieder, jene Disziplin verändern zu wollen, in die er sich gerade begeben hatte.

WILSON: Typischerweise befasste sich unser Fach damit, das Ausmaß des Schadens festzustellen, und in mir erwachte das Interesse an den sich daraus ergebenden Fragen wie:

  • Warum lassen wir es überhaupt zu diesen Gesundheitsgefahren in Beruf und Umwelt kommen?
  • Haben wir nicht die Begabung und die Ressourcen, von vorneherein sicherere Chemikalien und Produkte herzustellen?

LOBET: Diese Fragen führten Wilson in die Fachrichtung der Grünen Chemie. In den 90’er Jahren von Paul Anastas und John Warner eingeführt, handelt es sich um ein sich neu entwickelndes Fachgebiet, das untersucht, wo sich Chemikalien in Mensch und Umwelt ansammeln und das für sicherere Substanzen eintritt. Als nächstes fing Wilson an, mit der Fakultät für Chemie zu verhandeln.

WILSON: Wir stellten fest, dass sich hier auf dem Campus von Berkeley an der Ausbildung von Chemikern in den vergangenen 30 bis 40 Jahren nicht wirklich viel geändert hat.

LOBET: Nicht viel später traf Wilson einen neuen Chemie-Doktoranten, der an die Universität gekommen war. Marty Mulvihill und Mike Wilson hatte etwas gemeinsam – nennen wir es eine Herangehensweise im Sinne des Gemeinwohls.

MULVIHILL: Während meiner Zeit hier legte ich sehr großen Wert darauf, nicht nur zu forschen, sondern auf die Menschen in meinem Umfeld zuzugehen und darüber nachzudenken, wie gerade Chemiker die Gesellschaft beeinflussen können. [Gedanken] wie: Wir nehmen sehr viele Ressourcen von der Gesellschaft, Chemie ist eine sehr ressourcenintensive Angelegenheit. [Fragen] wie: Auf welche Art geben wir etwas zurück?

LOBET: Mit dieser Art gesellschaftlicher Orientierung war es selbstverständlich, dass Mulvihill als erstes damit anfing, eine Zusammenarbeit mit anderen Chemie-Doktoranten zu organisieren, als er nach Berkeley kam.

MULVIHILL: Der Name dieser Gruppe war tatsächlich „Chemiker für den Frieden„, der sich für einen Ort wie Berkeley als zu kontrovers heraus stellte. Genauer gesagt denkt man, in Berkeley gehe es besonders aktivistisch zu, doch wenn sie sich den Fachbereich Chemie ansehen, so ist dort alles, was einen politischen Anschein hat, nicht besonders akzeptiert.

So ließen wir eine Menge Werbetassen (Beispiel) [für unser Anliegen] herstellen, die Leute fanden es gut dass, wir da waren, aber wir konnten nicht wirklich Fuß fassen.

LOBET: Mulvihill dämmerte, dass er zu Wissenschaftlern wissenschaftlich sprechen musste. Er und eine Kerngruppe weiterer Doktoranten organisierten deshalb ihre eigene Seminarreihe.

Von Dow Chemical bekamen sie finanzielle Unterstützung und engagierte Chefdenker der Grünen Chemie: John Warner, Paul Anastas und Terry Collins. Mulvihill erzählt, dass die Chemische Fakultät ihnen zuerst nicht mal einen Versammlungsraum überlassen wollte, aber allmählich setzten sich die Studenten durch.

MULVIHILL: Ich kann mich noch an den Abend erinnern, als es geschah. Der Dekan war gerade herein gekommen. Ich glaube, es war sein erstes, oder vielleicht sein zweites Jahr. Das Doktoranten-Seminar lief und John Warner, einer der Väter, einer der Typen, die das erste Buch der Grünen Chemie geschrieben hatten, hatte sich bereit erklärt, vorbei zu kommen und einen Vortrag zu halten. Und der Dekan tauchte tatsächlich zu diesem Vortrag auf. Er erschien nicht nur zum Vortrag, sondern er kam auch zum anschließenden Dinner mit, und es war lustig zu beobachten, wie der Dekan und John Warner, genauer, wie Dekan Rich Mathies und John Warner miteinander kommunizierten und mit einem Mal wurde mir klar, dass das Ganze nun größer ist als ich.

LOBET: Um die Bedeutung dessen, was in Berkeley und an anderen Universität im Land geschah. wirklich verstehen zu können, muss man wissen, wie fern den meisten Chemikern Gesundheitsfragen lagen. Für dieses Wissenschaftsgebiet ist die Toxikologie zuständig: die Untersuchung der Nebenwirkungen chemischer Substanzen auf Lebewesen, und auch die von Naturkräften und biologischen Stoffen.

MULVIHILL: Eine traditionelle Ausbildung zum Chemiker vermittelt nicht viel über das, was mit dem Zeug passiert. Man lernt viel darüber, wie man es herstellt, und wie man es billig und wirksam macht – das gehört alles zur traditionellen wissenschaftlichen Ausbildung. Wo die Stoffe landen, wie sie sich möglicherweise auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt auswirken, genau das gehörte traditioneller Weise nicht zur Chemieausbildung.

NARAYAN: Wir arbeiten die ganze Zeit mit diesen Chemikalien, aber wir wissen nicht unbedingt, wie giftig sie sind. Oder wenn sie giftig sind, [wissen wir nicht,] wie sie wirken und warum sie für Menschen schädlich sind.

LOBET: Hier ist Alison Narayan, ein weitere Studentin, welche die von Studenten durch- geführten Seminarreihen organisiert. Narayan ist im fünften Jahr der Organischen Chemie und entwickelt völlig neue Stoffe.

NARAYAN: In der Tat ist unsere Ausbildung auf die Reaktionsfähigkeit der Chemikalien ausgerichtet und darauf, neue Reaktionen und neue Herstellungsver- fahren zu entwickeln, und nicht notwendigerweise darauf, etwa das Verhalten oder die Toxizität dieser Materialien zu untersuchen.

LOBET: Narayan sagt, sie war überrascht, dass es in ihrer Chemieausbildung keinen Toxikologie-Unterricht gab. Und der Wissenschaftler für Umweltmedizin Michael Wilson meint, ihm erscheine es ebenfalls seltsam.

WILSON: Fakt ist, dass man in den Vereinigten Staaten den Grad eines Bachelors, eines Masters und eines Doktors der Chemie an allen Universitäten und Colleges erwerben kann und nie ein Grundverständnis dafür nachweisen muss, wie sich Chemikalien auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt auswirken. Und sind wir also überrascht, dass giftige Materialien ihren Weg in Verbraucherprodukte finden, die überall auf dem Markt erhältlich sind? Wir sollten es wahrscheinlich nicht sein.

LOBET: Und Wilson sagt, Chemiker sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die der Toxikologie nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. Erstaunlicherweise sind selbst Fachleute für Öffentliche Gesundheit oft nicht darin ausgebildet.

WILSON: Nun sehen wir eine Veränderung in der Disziplin der Öffentlichen Gesundheit, welche den Gedanken der Grünen Chemie aufgreift, während bis jetzt unsere Aufgabe hauptsächliche darin bestand, das Ausmaß des Problems festzustellen, zu bewerten und zu beschreiben. Es ist für uns in der Öffentlichen Gesundheit und der Umweltmedizin schlichtweg nicht mehr länger möglich, den Schaden zu begrenzen [wörtlich: die Sauerei am Ende der Leitung wegzuputzen]. Wir müssen Chemikalien, wir müssen Produkte so konzipieren, dass sie nicht im menschlichen Blut und in der Muttermilch und in Sondermülldeponien und im Grundwasser zum Vorschein kommen.

LOBET: Die ersten deutlichen Hinweise auf Veränderungen, die in Berkeley über die von Studenten organisierten Seminare hinaus stattfanden, machten sich letzten Sommer bemerkbar. Zum ersten Mal bot die Universität seine Einführungsver- anstaltung mit der Wahlmöglichkeit an, eine eigenständige grüne Laborübung zu belegen.

LOBET: Heute machen Swetha Akella und Michael Poon, Studenten im zweiten Jahr, ein Praktikum in einem der neuen Labors.

POON: Was sie [Akella] zurzeit versucht, ist die Konzentration von Farbstoffen in Getränken festzustellen um zu sehen, wie viel wir davon aufnehmen. Red 40 [roter Azofarbstoff] kommt in vielen Verbraucherprodukten vor. Da die Konzentrationen des Farbstoffes sehr gering sind, muss man das Wasser aufkochen und das erhöht den Anteil der Farbstoffe in den Proben. Hier habe ich Sunkist und Hawaiian Punch.

AKELLA: Ich denke, das was mich wirklich anspricht ist die Anwendbarkeit, denn oft macht man Laborarbeiten, bei denen man vielleicht irgendeine Konzentration findet, die man wahrscheinlich hinterher vergisst. Doch wenn man z.B. im Sonnenschutzmittel-Labor oder in diesem Labor hier arbeitet, überlegt man es sich wirklich das nächste Mal, wenn man Sonnenschutz aufträgt oder man beschließt, das nächste Mal ein Selters zu trinken.

LOBET: Poon weist darauf hin, dass es nicht nur um das geht, womit man sich im Labor befasst.

POON: Ich denke, es ist wirklich wichtig darüber nachzudenken, wozu das eigene Handeln führt. Wohin fließt es, wenn Du etwas in den Ausguss gießt? Denke darüber nach und über das, was erforderlich ist, es wieder sauber aufzubereiten, damit dieses Wasser wieder benutzt werden kann.

LOBET: Eine Auswertung der Befragung von Studenten, die dieses erste Grüne Labor im Sommer belegt hatten, wies viel Begeisterung [bei den Studenten] nach. Chantelle Khambholja war eine dieser Studienanfängerinnen.

KHAMBHOLJA: Nun, in unserer ersten Laborübung ging es um Biotreibstoffe. In unserer ersten Übung befassten wir uns damit und untersuchten die Wirkung von Biotreibstoffen auf das Keimen von Saaten, um deren Ökotoxizität zu messen. In der zweiten Übung synthetisierten wir tatsächlich unser eigenes Biodiesel, was großartig war, und in der dritten Laborübung maßen wir die erzeugte Energiemenge, wenn man es verbrannte.

LOBET: In diesem Herbst hat die Chemische Fakultät alle Labore für die Laborübungen der Studienanfänger in grüne Labors umgewandelt. Die Berkeley Chemie-Dozentin Michelle Douskey beaufsichtigt die Übungsgruppenleiter für die Einführungskurse. Sie sagt, die traditionellen Chemie-Curricula stützen sich zu sehr auf gemerktes Wissen. Sie versucht dies zu ändern. Die neue Ausrichtung auf grüne Chemie, sagt sie, wird den Lehrstoff für die Studenten, die solche Fragen bereits stellen, relevanter machen.

DOUSKEY: Die Studenten interessieren sich sehr für Körperpflegemittel. Was ist in ihrer Wasserflasche? Gibt es in meiner wirklich alten Wohnung Blei in der Anstrichfarbe? Und all das sind chemische Probleme.

LOBET: Ein typischer Lehrplan oder ein Text, sagt Douskey, befasst sich vielleicht in einer Fragestellung mit jemandem, der sich wegen Blei im Trinkwasser Sorgen macht, um dann zur nächsten zu wechseln.

DOUSKEY: Wenn wir z.B. Blei in Farben untersuchen, können wir dies aus verschiedenen Blickrichtungen tun. Wir können Blei während des Semesters immer wieder aufgreifen. Bleibt es in der Farbe oder nicht. Wo hin gelangt es, wenn es in den Staub übergeht? Dann gibt es z.B. diesen ganzen Chemie-Unterrichtsstoff, wie man überhaupt Blei in Farben nachweist. Auf diese Art beziehen wir Themen mit ein wie, dass z.B. Licht mit Materialien interagiert und dass wir gewisse Instrumente haben, die uns helfen, diese Vorgänge genau zu messen. Darum kommt es mir so vor, als ob die Grüne Chemie dabei wäre uns zu gestatten, eine etwas vollständigere Geschichte zu erzählen. Es war wohl so, dass wir früher die Geschichte [einer Substanz] nur zum Teil erzählt haben, nämlich, „na gut, man muss nicht wissen, woher das kommt“.

LOBET: Die Idee, die ganze Geschichte zu lehren, war seit über einem Jahrzehnt Schwerpunkt an der University of Oregon. Als in der Grünen Chemie führend, schulte sie Chemie-Lehrkörper aus dem ganzen Land in einwöchigen Workshops. Das verleiht Julie Haack, der stellvertretenden Dekanin der Universität von Oregon, einen geschärften Blick für die Veränderungen in Berkeley.

HAACK: Ich denke, die Veränderungen, die in Berkeley vor sich gehen, sind eine unglaubliche Validierung dieses Ansatzes.

LOBET: Eine Validierung wegen Berkeleys Bedeutung und Reichweite. Jedes Jahr werden 24 Hundertschaften neuer Studenten ihre wichtigsten Grundlagen über Chemie lernen … Grüne.

HAACK: Ich denke die Wirkung ist enorm. Es handelt sich um die zukünftigen Entscheidungsträger unserer Gesellschaft und was wir gesehen haben ist, sobald die Studenten mit den Werkzeugen der Grünen Chemie ausgerüstet sind, werden sie tatsächlich in die Lage versetzt, sich an den Lösungen zu beteiligen, mehr nachhaltige Produkte und Verfahren zu entwickeln.

LOBET: Sofern die Chemikerin Alison Narayan ein Indikator ist, wird die Veränderung umfassend sein, vom alltäglichen bis zum grundlegenden.

NARAYAN: So werde ich angeregt darüber nachzudenken, wie ich als Chemikerin arbeite, beispielsweise um die Menge des Abfalles, den man verursacht, zu reduzieren. Tatsächlich hatten wir gestern Abend in unserer Forschungsgruppe eine Diskussion über die Wiederverwendung von Reagenzgläsern. So benutzen wir sehr viele Reagenzgläser und üblicherweise werfen wir sie einfach weg, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Deshalb ertappe ich mich in meiner Freizeit dabei, wie ich darüber nachdenke, was man sonst noch damit anfangen könnte. Oder wenn ich am Abzug stehe und warte, bis die Reaktionen abgelaufen sind, oder wenn ich im Bus zu meinem Labor sitze. Woraus könnte man dies oder jenes noch machen, anstatt die gebräuchliche Ausgangschemikalie auf Erdölbasis zu verwenden. So wirkt es, es färbt auf meine Gedanken über die Dinge ab und auf das, was ich mir erträume.

LOBET: Berkeley hat nun ein Zentrum für Grüne Chemie eröffnet. Im Frühjahr ist ein neuer Studiengang geplant. Und man wird einen neuen Schwerpunkt „Grüne Chemie“ anbieten, den Studenten wählen können, und dieser wird in ihren Abschlussurkunden wie ein Nebenfach eingetragen. Alle diese Veränderungen sind der Wahrnehmung der chemischen Industrie nicht entgangen, sagt Mike Wilson.

WILSON: Es sind Diskussionen, die den innersten Kern des Chemiegeschäftes erschüttern, die Dinge, die wir schreiben und die wir lehren, haben einen enormen Einfluss, was einige der größten Industriegruppen und die größten Firmen der Welt angeht. Und sicherlich haben sie ein Interesse daran, das, was wir hier machen, zu beeinflussen und deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein, denn wir wollen natürlich, dass diese Firmen den Gedanken der Grünen Chemie aufnehmen, nicht um sich grün zu waschen, sondern als grundlegendes Element ihres Firmenzwecks. Doch wir müssen auch in der Art, wie wir unsere Arbeit durchführen, unabhängig sein, deshalb gibt es eine innere Spannung, mit der wir fast täglich zu tun haben.

LOBET: Diese Spannung könnte in Berkeley stärker sein, wo sich die Veränderungen in der Chemieausbildung auf die Chemikalienpolitik in ganz Kalifornien auswirken. Doch der Wechsel zur Grünen Chemie scheint an allen Universitäten im Land deutlich stattzufinden. Noch einmal Julie Haack von der University of Oregon.

HAACK: Es ist unser Ziel, dass die Grüne Chemie zu dem wird, wie man Chemie lehrt. Und sehr bald wird die Grüne Chemie verschwinden und zum Grundprinzip der Chemie werden.

LOBET: Die Professoren in Berkeley sagen, das Ziel besteht darin, nicht nur die nächsten Generation von Chemiker hervorzubringen, sondern auch Schriftsteller, Politiker und Rechtsanwälte, welche die Folgen davon verstehen können, wie etwas hergestellt wird.

Autorin: Ingrid Lobet für Living on Earth

Photos: Berkeley University

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity

Diese von „Living on Earth“ produzierte Sendung wurde Mitte November 2010 an viele US-Radiostationen verteilt und gesendet. Sie kann im Original nachgelesen oder nachgehört werden.

Wir danken Eileen und LOE für die Erlaubnis, das Transskript zu übersetzen!


Kleine persönliche Nachbemerkung des Übersetzers BrunO:

Der vielleicht zu mühselig anmutende Weg der Evolution, inklusive der Überzeugung der Widersacher, scheint mir langfristig der wirksamste zu sein. Wie dieses Beispiel zeigt, geht die Entwicklung manchmal gar nicht so langsam voran und Chemie ist immerhin very big business. Vielleicht ist aber Deutschland für so etwas zu knöchern, zu konservativ. Mich hat dieses Radiofeature sehr stark an die Bewegung der Postautistischen Ökonomie, an PAECON, erinnert. Im Jahre 2000 waren Ökonomie- studenten an der Sorbonne (Paris) mit der Art, wie sie ausgebildet werden, unzufrieden und kritisierten die Ökonomie, welche gerade die Welt besonders nachdrücklich globalisierte, als autistisch. Auch daraus entstand eine Bewegung, welche die Lehre an den Unis von innen heraus umstülpt. Irgendwann wird es hoffentlich genug Ökonomen geben, die sich neben der reinen Geldökonomie auch dafür interessieren, wie sich das auf die Menschen auswirkt. Ökonomie heißt nämlich nicht, nur mit Geld, sondern mit allen Ressourcen sinnvoll zu haushalten.

Ein richtiger Weihnachtsmann trägt kein Parfüm

Allergie und Asthma Verband appelliert an alle Weihnachtsmänner

Der norwegische Allergie und Asthma Verband (NAAF) hat sich in diesem Jahr für die Advents- und Weihnachtszeit eine besondere Kampagne für Weihnachtsmänner einfallen lassen. Kinder, die unter Allergien oder Asthma leiden, haben es in dieser Zeit nämlich sehr schwer. Nicht einmal einem Weihnachtsmann können sie ihre Wünsche anvertrauen, weil die meisten Weihnachtsmänner heutzutage nicht nach Wald und frischer Luft riechen, sondern nach irgendeinem Trendparfüm, nach Weichspüler oder einem Aftershave. Deshalb hat NAAF viele Tausend Kärtchen drucken lassen. Sie werden in ganz Norwegen verteilt. NAAF wünscht sich richtige, nostalgische Weihnachtsmänner, die alle Kinder lieben und von Kindern ebenfalls geliebt werden können, auch von solchen Kindern, die auf Duftstoffe allergisch reagieren oder mit Asthmaanfällen auf Aftershaves und Weichspüler.

Also liebe Weihnachtsmänner,

nehmt Euch ein Beispiel an den Kollegen in Norwegen:

Lasst Parfüms, Aftershaves, Weichspüler, duftende Waschmittel, stark riechendes Deo, etc. weg und zeigt den Kindern, die das ganze Jahr über auf ihre Gesundheit achten müssen, dass Ihr sie genauso gerne habt wie all die anderen Kinder, die Euch ihre Wünsche anvertrauen. Bringt den Geruch von frischer, klarer Winterluft von draußen mit herein und keine Parfümwolke. Denn:

Ein richtiger Weihnachtsmann trägt kein Parfüm, weil er ALLE Kinder liebt!

Autor:

Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 28.11.2010

Literatur:

NAAF, Frisk Jul for alle, November 2010

Weitere CSN Artikel zu den Themen Weihnachten, Duftstoffe:

Umweltmedizin: Wie viel an Diagnostik ist nötig bei Umweltkrankheiten und MCS?

Es gibt Patienten mit Umweltkrankheiten und Chemikalien-Sensitivität (MCS), die für Diagnostik zur Definition ihrer Krankheit viele Tausend Euro ausgegeben haben. Eine ganze Reihe von Umweltpatienten hat ungelogen ein halbes Vermögen nur in Diagnostik investiert. Beträge, die jenseits der zehntausend Eurogrenze liegen, sind nicht selten. Manche ließen sogar wissen, dass sie mehr als zwanzig-, dreißig- oder vierzigtausend Euro für Diagnostik ausgegeben haben. Jetzt sind sie verarmt, denn das Meiste an umweltmedizinischer Labordiagnostik muss selbst bezahlt werden, weil so gut wie keine Krankenkasse die Kosten dafür trägt. Niemand war strategisch mit ihnen herangegangen, um das vorhandene Budget für Diagnostik, Therapie, spezielle Ernährung, Hilfsmittel und Umgestaltung des Lebensumfeldes so nutzbringend wie möglich aufzuteilen.

Umweltmedizinische Diagnostik ist wichtig, kann aber zu Verarmung führen

Diagnostik ist wichtig und sinnvoll, aber wenn es ausufert und am Ende nur Berge von Laborbogen auf dem Tisch liegen, dann ist Kritik angebracht. Vor allem, wenn dieser Exzess an umweltmedizinischer Diagnostik statt in eine gezielte Behandlung nur in Verarmung mündete. Wenn dadurch sogar das Geld für eine Therapie oder unabdingbare eine Sanierung des Wohnumfeldes fehlt, ist das mehr als traurig. Ist nichts mehr übrig, um sich biologisch zu ernähren, was bei Umweltkranken zur Stabilisierung zwingend notwendig ist, sind große Zweifel an der Kompetenz der Herangehensweise angemessen.

Diagnostik ist ein lukratives Business

Ärzte verdienen an Diagnostik oft nicht schlecht, indem sie einen Bonus von den Labors erhalten. Auch Patientenberater an Kliniken und in Umweltpraxen verdienen nicht selten gut mit – man teilt sich den Kuchen.

Thommy’s MCS Blogfrage der Woche:

  • Wie viel habt Ihr für umweltmedizinische Diagnostik ausgegeben?
  • Wurde Euch erläutert, warum bestimmte Diagnostik notwendig ist und zu was sie letztendlich dient? (z.B. zur Einleitung einer bestimmten Therapie, als Beweisführung, etc.)
  • Wurden Euch die Laborwerte hinterher verständlich erläutert?
  • Hat die Diagnostik dazu geführt, dass Eure MCS oder andere Umweltkrankheiten diagnostiziert und auch in einem Arztbericht attestiert wurden?
  • Hat Eure umweltmedizinische Diagnostik dazu geführt, dass Ihr gezielte Behandlung erhalten habt?
  • Wurde Eure EU-Rente oder BG-Rente durch Ergebnisse der umweltmedizinischen Diagnostik genehmigt?
  • Hat ausufernde Labordiagnostik Euch verarmt, ohne dass sie großartigen Nutzen für Euch hatte?
  • Wer hat Euch davon überzeugt, Berge an Labordiagnostik durchführen zu lassen? Ein Umweltarzt, ein Patientenberater, eine Selbsthilfegruppe, oder war es Euer eigener Wunsch?

CSN Artikel zum Thema MCS Diagnostik:

Studie untersuchte Nutzen von Copingstrategien bei MCS

Schwedische Wissenschaftler veröffentlichten Ergebnisse einer Studie, die den Nutzen von Copingstrategien (Strategien zur Krankheitsbewältigung) bei Menschen mit Chemikalienintoleranz untersuchte und die soziale Unterstützung, die sie erhalten.

Chemikalienintoleranz (CI), gemeinhin als Multiple Chemical Sensitivity (MCS) bezeichnet, führt bei Erkrankten dazu, dass künstliche Chemikalien in der Umwelt nicht vertragen werden, insbesondere keine synthetischen Duftstoffe in Parfums, Colognes, Deodorants und Produkten zur Wäschepflege. Selbst bei Kontakt gegenüber winzigen Konzentrationen entwickeln die Betroffen eine Vielzahl von Symptomen, die von Atembeschwerden bis Ausschläge, Depressionen und neurologische Erkrankungen reichen. Trotz der großen Anzahl betroffener Personen (schätzungsweise 5-15% in den entwickelten Ländern) und deren Leiden und Behinderungen durch CI, ist die Erkrankung derzeit nur von einer Handvoll Regierungen als eine echte medizinische Erkrankung anerkannt und medizinische Versorgung ist dringend vonnöten. Als Ergebnis dessen werden die Betroffenen allzu oft mit der Bewältigung ihrer Krankheit und den dadurch entstehenden Einschränkungen im Leben mit wenig oder keiner Hilfe alleine gelassen.

Vor diesem Hintergrund haben Wissenschaftler von der Abteilung für öffentliche Gesundheit und Klinische Medizin an der Universität Umeå in Schweden Fragebögen entwickelt, die von insgesamt 182 Betroffenen mit Chemikalienintoleranz ausgefüllt wurden. Diese Fragebögen dienten dazu festzustellen, welche Herangehensweise Betroffene verwendeten, um mit ihrer Krankheit fertig zu werden, welche soziale Unterstützung sie erhielten, sowie ihre Ansichten darüber, ob es in ihrer persönliche Verantwortung lag, ihre Gesundheit zu verbessern oder in der Verantwortung der Gesellschaft.

An der Studie nahmen insgesamt 59 Personen mit leichter, 92 mit mittlerer und 31 mit schwerer Chemikalienintoleranz teil. Es wurden Nutzen und Wirksamkeit von sechs problembasierten und sechs emotionsbasierten Bewältigungsstrategien bewertet, wie auch emotionale, instrumentelle und informative Unterstützung, die ihnen von verschiedenen Quellen und der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wurden, als auch ihre eigene Verantwortung für Verbesserungen.

Die am häufigsten verwendeten und wirksame Bewältigungsstrategien waren Vermeidung von Umgebungen mit stechenden Gerüchen und die, andere Leute zu bitten, sich in ihrer Verwendung von riechenden / stechenden Gerüchen zu beschränken. Diese Strategien werden als problemkonzentriert angesehen. Darüber hinaus waren Akzeptanz der Situation und Setzen anderer Prioritäten eine häufig als hilfreich angesehene emotionsbasierte Strategie, von denen Patienten mit CI berichteten, dass hilfreich seien.

Das Bild, das sich aus dieser Studie ergibt, sieht so aus, dass die beste Chance für die Wiederherstellung eines besseren Gesundheitsniveaus und glücklich mit dem eigenen Leben zu sein, wenn man von Chemikalienintoleranz heimgesucht wurde, darin besteht, dass die Betroffenen sowohl problemorientierte und als auch emotionsorientierte Bewältigungsstrategien nutzen. Es besteht die Notwendigkeit, Eigeninitiative zu zeigen, um die Dinge zu vermeiden, die Symptome auslösen, andererseits ist es auch wichtig, ein Gefühl der Akzeptanz zu entwickeln und Prioritäten im eigenen Leben neu zu bewerten.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass schwerere Chemikalienintoleranz durch eine vermehrte Nutzung von Problem-fokussierten Strategien gekennzeichnet war, was den Erwartungen entsprach. Bei Menschen mit schweren CI kann selbst die kleinste Menge eines Stoffes, auf sie sensibilisiert sind, unangenehme und sogar lebensbedrohliche Symptome auslösen. Die Menge einer Substanz, die benötigt wird, um Symptome auszulösen, ist oft unter dem Niveau, auf dem ein Betroffener sie durch seinen Geruchssinn erkennen kann.

Neben Informationen über Bewältigungsstrategien in Zusammenhang mit CI fand man durch die Studie heraus, dass die den Betroffenen angebotene Hilfe überwiegend emotionaler Natur war, anstatt praktisch und informativ, und dass sie meistens von den jeweiligen Partnern oder anderen Familienmitgliedern zur Verfügung gestellt wurde. Darin spiegelt sich sowohl das Fehlen von Informationen und medizinischer Versorgung wieder, die für Chemikalienintolerante zur Verfügung steht, als auch ein mangelndes Verständnis gegenüber der Erkrankung sowohl von Ärzten und oft auch von den Freunden einer betroffenen Person.

Abschließend berichteten die Wissenschaftler, dass bei den schwerer CI Betroffenen das Gefühl stärker ausgeprägt war, dass die Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen habe für die Verbesserung der Lebensqualität der von Chemikalienintoleranz Betroffenen. Nicht überraschend, angesichts der Tatsache, dass diese Personen ihr Leben, durch ihre Krankheit bedingt, häufig auf ihre Häuser beschränken müssen und sogar in ein neues Haus oder in eine Gegend mit besserer Luft ziehen müssen. Selbst diejenigen, die nicht auf ihr Haus beschränkt leben müssen, können oft keine öffentlichen Gebäude betreten. Ironischer weise betrifft dies auch Krankenhäuser, weil Chemikalien, die in Reinigungsmitteln und anderen Produkten verwendet werden, ihre Krankheit verschlimmern.

Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass diese Studienergebnisse dazu verwendet werden können, Ärzten und anderen Gesundheitsdienstleistern zu helfen, geeignete Bewältigungsstrategien einzelnen CI-Kranken zu empfehlen und auch dahingehend, dass das Gesundheitssystem eine bessere soziale Unterstützung für die Betroffenen bieten müsse. Sie fassten sich jedoch kurz in Bezug auf die Angelegenheiten, die Gesellschaften hinsichtlich der Verantwortung gegenüber CI Betroffene zu tragen haben.

Autor:

Matthew Hogg BSc (Hons), STUDY INVESTIGATES COPING STRATEGIES OF THOSE AFFECTED BY MULTIPLE CHEMICAL SENSITIVITY, EIR, 19. November 2010

Vielen Dank an EIR – The Environmental Illness Resource für die Genehmigung den Artikel übersetzen zu dürfen!

Übersetzung: Sivia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Literatur:

Nordin M Andersson L and Nordin S (2010) Coping strategies, social support and responsibility in chemical intolerance Journal of Clinical Nursing 19(15-16):2162-73

Weitere CSN Artikel zum Thema:

Serie – Psychiatrisierung bei MCS ein Irrweg Teil I – XII

Dr. William Rea als Experte für Opfer des BP Ölunfalls anerkannt

Dr. William J. Rea, Gründer und Direktor des Environmental Health Center-Dallas (EHC-D) und weltweit anerkannter Spezialist für die Behandlung von chemikalieninduzierten Gesundheitsschäden, wurde in letzter Zeit in mehreren Artikeln über die gesundheitlichen Auswirkungen der BP Ölkatastrophe bei Aufräumarbeitern und Anwohnern besonders herausgestellt.

Die neueste Veröffentlichung, „BP schuld an Vergiftung“ durch Dahr Jamail von Al Jazeera, geht näher darauf ein, wie die 1.900.000 Gallonen giftiger chemischer Dispergiermittel, die zum Zersetzen des Öls, das durch die Explosion einer BP-Tiefsee-Bohrinsel im Golf von Mexiko letzten Sommer freigesetzt wurde, eine breite Palette beeinträchtigender Symptome bei Betroffenen auslöste, die diesen Chemikalien ausgesetzt waren.

Öl-Unfall am Golf von Mexiko/ Photo: NASA

Der Artikel führt an, „Aufnahmewege für die Dispergiermittel sind Einatmen, Verschlucken, Haut- und Augenkontakt. Zu gesundheitlichen Auswirkungen gehören Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen, Schmerzen in der Brust, Schädigung der Atmungsorgane, Hautreizungen, Bluthochdruck, Depression des zentralen Nervensystem (ZNS), neurotoxische Wirkungen, Herzrhythmusstörungen und Herz-Kreislauf-Schäden. Die Chemikalien sind auch teratogen, mutagen und krebserregend.“

Worüber auch in den anderen Artikeln berichtet wurde, ist das Auftreten von „Schadstoff- induziertem Toleranzverlust“ (TILT) – ein anderer Name für Chemical Sensitivity. Eine behindernde Erkrankung, die das Leben für die Betroffenen sehr schwierig macht, weil sie auf sehr geringe Konzentrationen von Chemikalien, Schimmelpilzen und anderen Substanzen reagieren. Weil die Verwendung von Chemikalien in unserer Kultur so allgegenwärtig ist und tief in unser Alltagsleben verwoben ist, kann der Umgang mit der Krankheit ein lebenslanger Kampf sein.

Dr. Rea ist ein Experte für Chemical Sensitivity, der viele Tausende Patienten mit dieser Erkrankung behandelt hat, einschließlich solcher Patienten, die giftigen Chemikalien aus Erdöl-und Dispergiermittel ausgesetzt waren, seit er sein Behandlungszentrum 1974 eröffnet hat. Hinsichtlich der Opfer der BP Ölkatastrophe erklärt Dr. Rea seinen Behandlungsansatz:

„Wir versuchen zunächst die Symptome der Menschen zu beseitigen, und das ist organspezifisch „, erklärt Rea in seiner Klinik, die als eines der ältesten und am weitesten fortgeschrittenen Zentren der Welt gilt für die Bewältigung von Gesundheitsproblemen, die durch die Umwelt entstanden sind. „Wir versuchen, ihre toxische Belastung zu reduzieren, indem wir ihnen Nährstoffe intravenös und oral verabreichen, Sauna durchführen und sie in Unterkünften unterbringen, die so gering wie möglich mit Schadstoffen belastet sind. Wir geben ihnen Bio-Lebensmittel zum Essen und leiten sie an, unbelastetes Wasser zu trinken.“

Rea hat viele Menschen aus der Golfregion behandelt, die krank gemacht wurden durch BP’s giftige Chemikalien.

„Ich habe im Moment mehrere Bedenken wegen der Menschen in der Golfregion, die von diesen Chemikalien betroffen sind“, sagte er. „Erstens, sie sind alle müde und nicht in der Lage zu arbeiten. Wenn alle Muskeln müde und erschöpft sind, ist es schwer zu funktionieren. Die Menschen dort bekommen „benebelte“ Gehirne von den Chemikalien, andere haben Herzprobleme deswegen. Andere haben Broncho- spasmen und Asthma davon. Andere sind aufgedunsen und werden schläfrig nach dem Essen, bekommen Durchfall, Verstopfung, Reizdarmsyndrom und andere Magen-Darmprobleme. “

Dr. Rea betont, dass es wichtig ist, die Patienten aus dem Belastungsbereich heraus- zuholen, damit die Behandlung effektiv sein kann.

In Ricki Ott‘s Artikel „BP, Regierungen, Bagatellisierung von öffentlichen Gesund- heitsrisiken durch Öl-und Dispergiermittel“, der von der Huffington Post im Juli vergangenen Jahres herausgegeben wurde, erinnerte sie uns daran, dass Dr. Rea auch bereits einige der kranken Exxon Valdez Aufräumarbeiter behandelt hat.

Planet Thrive ist stolz darauf, dass Dr. Rea Betroffenen der Tragödie, die durch den BP Ölunfall ausgelöst wurde, in einer kostenlosen Kolumne auf der Planet Thrive Plattform Rede und Antwort steht. Auch Fragen von Menschen, die durch andere Arten von Chemikalienexposition krank wurden, sind willkommen.

Literatur:

Planet Thrive, Dr. William Rea recognized as expert for BP Oil Spill victims, November 10, 2010

Vielen Dank an Julie Genser von Planet Thrive für die Erlaubnis, diesen Artikel übersetzen zu dürften!

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Weitere CSN Artikel zum Thema BP-Ölkatastrophe und damit verbundene Gesund- heitsschäden:

Betrug in der Umweltmedizin?

Das Forschungszentrum für Duftstoff- und Chemikaliensensitivität in Dänemark – ein Hoax

Die MCS-Kranken in Dänemark und auch in anderen Ländern sind über das Forschungszentrum für Parfüm- und Chemikalienempfindlichkeit, das 2006 von Dänischen Umweltministerium eingerichtet wurde, verärgert und entrüstet. Seine Hauptaufgabe bestand darin, Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen MCS und Chemikalien durchzuführen. Für diese Entrüstung gibt es einen guten Grund, seitdem offensichtlich ist, dass der Zweck des Forschungszentrums darin besteht, keine wirklichen Erkenntnisse über MCS zu Tage zu fördern, am allerwenigsten welche über den Zusammenhang zwischen Belastungen durch chemische Substanzen und MCS.

Im Gegenteil, der Zweck des Forschungszentrums besteht darin, falsche und arglistige Forschungsarbeiten über MCS anzufertigen.

Das Zentrum ist ein politisches Instrument nach dem Bauplan einer Dreistufenrakete:

A. Die Umwelt entlasten, d.h. „beweisen“, dass MCS nicht von Belastungen durch chemische Substanzen in der Umwelt verursacht wird.

B. „Beweisen“, dass MCS von psychologischen Faktoren abhängt, um die Psychiatrisierung von MCS hinzubekommen.

C. Erreichen, dass MCS-Kranke ein Fall für die Psychiatrie werden (une liaison psychiatrique – die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft), damit die Psychiatrie Behandlungen für MCS-Kranke entwickeln kann: „Mindfullness“ [(Achtsamkeit)], d.h. kognitive Psychotherapie, vielleicht in schweren Fällen auch Elektroschock (ECT) und die Pharmazeutische Industrie, die vermutlich schon in den Startlöchern hockt, kann bald psychoaktive Medikamente für MCS-Kranke entwickeln.

Und wie hat das Forschungszentrum für Duftstoff- und Chemikaliensensitivität dies erreicht?

Nun, dazu muss man dessen Studie und Publikation verstehen: „Körpergefühl und Symptomwahrnehmung von Individuen mit Umweltunverträglichkeit“ von Sine Skovbjerg, Robert Zachariae, Alice Rasmussen, Jeanne Duus Johansen, und Jesper Elberling, veröffentlicht in Environmental Health and Preventive Medicine, DOI: 10.1007/s12199-009-0120-y – sie liefert den Kern des Betrugs.

1. DIE CHEMIKALIEN LOSWERDEN

Teil 1: „Lasst uns den Namen ändern“

Um damit anzufangen, stimmte das Forschungszentrum zu, die Bezeichnung „IEI“ anstatt „MCS“ zu verwenden. Das war nicht schlecht gedacht. Auf dem Treffen mit dem Vorstand von MCS-Dänemark, am 18. Mai 2010, erklärten sie, sie hätten diese Bezeichnung verwendet, weil sie umfassender ist als der Terminus MCS. Anders wären sie auch nicht in der Lage gewesen, den Artikel in einem internationalen Journal veröffentlicht zu bekommen. Das ist natürlich Bullshit. Der wahre Grund ist auf Seite 2 von Sine Skovbjergs Doktorarbeit „Multiple Chemical Sensitivity – psychologische Faktoren, Patienten-Strategien und Praktiken der medizinischen Versorgung“ zu finden: „Die Bezeichnung ‚MCS‘ hat man dafür kritisiert, sich auf unbewiesene Annahmen über die Kausalität zu stützen und die Bezeichnung ‚Idiopathische Umweltintoleranz‘ IEI wurde stattdessen als Ersatz empfohlen.“

Das Forschungszentrum wollte offenbar die Vorstellung eines kausalen Zusammenhanges zwischen MCS und Belastungen durch Chemikalien ausklam- mern. Um dieses Ziel zu erreichen, gingen die Forscher so weit, die Fehlinformation zu liefern, bei ihren MCS-Fällen wäre von einem Arzt „IEI“ diagnostiziert worden. Das war selbstredend eine Lüge – alle Fälle hatten die ärztliche Diagnose „MCS“.

Als der Vorstand von MCS-Dänemark sie mit Fragen konfrontierte, weshalb sie geschrieben hätten, die Kranken wären ärztlich mit „IEI“ diagnostiziert worden, obgleich sie alle tatsächlich mit MCS diagnostiziert wurden, übergaben sie als Antwort einen Artikel: „International Programme on Chemical Safety / World Health Organization (IPCS/WHO), Conclusions and Recommendations of a Workshop on Multiple Chemical Sensitivities (MCS)“, Geneva, Switzerland. Regul Toxicol Pharmacol 1996; 188-189. (Internationales Programm zur chemischen Sicherheit / Weltgesund- heitsorganisation (IPCS/WHO), Ergebnisse und Empfehlungen eines Workshops zu Multiple Chemical Sensitivity (MCS)). Nach Auskunft des Forschungszentrums beschreibt dieser Artikel die Gründe für die Verwendung der Bezeichnung ‚IEI‘. Nun verweist das Forschungszentrum auch auf seiner Homepage auf diesen Artikel.

Der Artikel hatte jedoch einen Haken, den das Forschungszentrum auf seiner Homepage zu erwähnen „vergaß“. MCS-Dänemark fand heraus, dass dieser Artikel überhaupt nicht von der WHO ist, obwohl es auf dem ersten Blick so erscheinen mag. Genauso wenig wird verraten, wer die Bezeichnung MCS kritisierte und stattdessen IEI empfohlen hat. Dies erschließt sich jedoch alles, wenn man den IPCS/WHO Artikel so unter die Lupe nimmt, wie es Ann McCambell tat. Die hinter dem Artikel verborgene Wahrheit ist, dass die „WHO“ einer der Sponsoren des Workshops „International Programme on Chemical Safety (IPCS)“ zu MCS war, der im Februar 1996 in Deutschland abgehalten wurde. In diesem Workshop überwogen Teilnehmer mit Verbindungen zur Industrie und es gab keine Vertreter aus Umwelt-, Gewerkschafts- oder Verbrauchergruppen. Anstelle von Nichtregierungs-Teilnehmern gab es Einzelpersonen, die bei BASF, Bayer, Monsanto und Coca Cola angestellt waren. „Vertreten“ waren Einzelpersonen aus der chemischen und der pharmazeutischen Industrie, was oft dasselbe ist. Zu Beispiel: „Monsanto, bekannt als Hersteller von Roundup und anderen Herbiziden, ist Tochtergesellschaft und in Vollbesitz eines pharmazeutischen Unternehmens namens Pharmacia. BASF stellt pharmazeutische Produkte und Pestizide her und Bayer, berühmt als Hersteller von Aspirin, stellt das populäre neurotoxische Pyrethroid-Insektizid Tempo (mit dem aktiven Bestandteil Cyfluthrin) her.“

Auf dieser Veranstaltung beschloss man zu versuchen, MCS durch IEI zu ersetzen.

„Neben der Entfernung des Wortes ‚chemisch‘ aus dem Namen entschieden sich die Workshop-Teilnehmer für den Ausdruck ‚idiopathisch‘ als Ergänzung, weil sie offenbar der Ansicht waren, er bedeute eher, die Erkrankung existiere „ausschließlich im Kopf der Betroffenen“, als dass die Ätiologie (Ursache) unbekannt wäre. Aber viele ‚reale‘ Erkrankungen werden ebenfalls als ‚idiopathisch‘ angesehen, wie etwa idiopathische Epilepsie (Epilepsie die nicht Trauma, Operation, Infektion oder andere eindeutige Ursachen hat). Doch selbst zu unterstellen, MCS habe keine bekannte Ursache, hilft der Industrie allemal. Sie möchte nicht für ihre Produkte, die MCS verursachen, verantwortlich gemacht werden oder dafür, dass sie bei jenen Menschen Symptome hervorrufen, die durch sie sensibilisiert sind.“

Was das Forschungszentrum für Duftstoff- und Chemikaliensensitivität auf seiner Homepage ‚zufällig‘ zu erwähnen ‚vergaß‘ und was MCS-Dänemark durch das Treffen am 18. Mai 2010 über den nicht von der WHO stammenden Artikel heraus bekam, läuft jedoch genau auf das Gegenteil hinaus. „Die WHO ließ den Workshop-Teilnehmern nach der Veranstaltung [1996] eine Stellungnahme zukommen, die versuchte, die Behauptungen zu unterbinden, die WHO würde den Namenswechsel von MCS zu IEI unterstützen. Darin hieß es: „Ein Workshop-Bericht mit Ergebnissen und Empfehlungen an die WHO spiegelt die Meinungen der eingeladenen Experten wieder und ist nicht notwendigerweise eine Entscheidung oder Grundsatzerklärung der WHO“. Weiter wird festgestellt: „Was ‚MCS‘ betrifft, hat die WHO weder eine Richtlinie oder wissenschaftliche Meinung angenommen, noch ihr zugestimmt.“(World Health Organization. Note to invited participants in the MCS Workshop, February 21-23, 1996, Berlin, Germany 6/7/96.)“ (1) (2) Wie Ann McCampbell feststellt: „wird trotz dieser expliziten Widerspruchserklärung weiterhin behauptet, die Weltgesundheitsorganisation würde die Bezeichnung IEI unterstützen“. (1)

So steht außer Zweifel, dass die Begründung des Forschungszentrums zum Gebrauch der Bezeichnung ‚IEI‘ nichts mit der WHO zu tun hat, sondern der chemische Industrie geschuldet ist. Das Forschungszentrum ‚vergaß‘ jedoch, sowohl auf seine Homepage, als auch gegenüber MCS-Dänemark, die Öffentlichkeit über die Erklärung der WHO zu informieren. Folglich ist die Bezeichnung IEI der Manipula- tionstrick der chemischen Industrie – eine verlogene Bezeichnung, welche die Tatsache unterschlägt, dass MCS von chemischen Substanzen hervorgerufen wird. Kein seriöser MCS-Forscher benutzt diese betrügerische Bezeichnung für MCS. Der Begriff ‚IEI‘ wird nur von Wissenschaftlern, die unter dem Einfluss der chemischen und pharmazeutischen Industrien stehen, teilweise von der Psychiatrie und vom Forschungszentrum für Duftstoff- und Chemikaliensensitivität benutzt, da sie damit „vorführen“ wollen, dass MCS nichts mit Chemikalien zu tun hat und dass psychologische Faktoren und individuelle Hirnfunktionsstörungen bei der Ätiologie von MCS einen Rolle spielen.

2. DIE CHEMIKALIEN LOSWERDEN

Teil 2: „Wir wissen nicht, was eine Vergiftung ist“

Zeitgleich mit diesen Augenwischereien fügte das Forschungszentrum seine wissenschaftlichen Vorurteile und erkenntnistheoretischen Gründe für seine Forsch- ung zu MCS auf seiner Homepage ein. Dort wird beschrieben, dass MCS keine Vergiftungserkrankung sein kann. Damit wird die Lüge, dass MCS nichts mit Chemikalien zu tun hätte, zum zweiten Mal gelogen.

Sie erklären: „Manche Erkrankte, die an Duftstoff- und Chemikaliensensitivität leiden, erfahren ihre Erkrankung als eine Art Vergiftung. Duftstoff- und Chemikaliensensitivität kann nicht mit toxikologischen Mechanismen erklärt werden. Ein toxikologischer Mechanismus ist durch eine sogenannte Expositions-Wirkungs-Beziehung gekenn- zeichnet (d.h. mit steigender Belastung steigt die Wirkung und das Risiko), es deutet jedoch nichts darauf hin, dass Duftstoff- und Chemikaliensensitivität häufiger bei Personen auftritt, die z.B. beruflich höheren chemischen Belastungen ausgesetzt sind.“ (mcsvidencenter.dk)

Diese fundamental vorgefasste wissenschaftliche Meinung bzw. dieser erkenntnis- theoretische Textabschnitt aus dem Ansatz des Forschungszentrums zu MCS, geht von einem falschen Verständnis von Vergiftung aus, da diese Definition von Vergiftung nur akute Vergiftung bedeutet.

Folglich ignoriert das Forschungszentrum die Tatsache, dass in vielen neueren Forschungsarbeiten diese Definition von Vergiftung zugunsten eines neuen Paradigmas aufgegeben worden ist, insbesondere wenn es um Umwelter- krankungen geht, d.h. um medizinische Krankheitsbilder, die von Umweltfaktoren ausgelöst werden. Nach diesem neuen Paradigma muss Vergiftung nicht zwingend von einer auslösenden Dosis abhängen, bei deren Erhöhung Wirkung und Risiko zunehmen, sondern niedrige Dosen können bei andauernder Belastung genau so giftig sein.

Ein Vertreter des letztgenannten Ansatzes ist der anerkannte Französische Krebsspezialist Professor Belpomme, Präsident des renommierten Französischen Krebs-Forschungsinstitutes ARTAC in Paris (Association pour la Recherche Thérapeutique Anti-Cancéreuse/Forschungsgesellschaft für Krebs-Behandlung). Neben der Erforschung von Krebs, befasst sich ARTAC nun auch mit Elektro-Hyper-Sensitivität (EHS), woran viele MCS-Kranke ebenfalls leiden. 2009 hat ARTAC mit Hilfe von Hirnscans bei EHS-Kranken Hypoperfusion (verminderte Durchblutung) im Gehirn nachgewiesen, wenn diese elektromagnetischen Feldern/Strahlungen (EMF/EMR) ausgesetzt waren.

Belpomme erläutert in seinem Buch „Avant qu’il ne soit trop tard“ (Bevor es zu spät ist), dass nun eindeutig gezeigt wurde, dass niedrige Dosen toxischer Substanzen chronische Erkrankungen verursachen können. Darum, so sagt er, irren diese Ärzte und Wissenschaftler, wie z.B. jene am Forschungszentrum nicht nur, indem sie behaupten, MCS-Kranke werden von niedrigen Dosen chemischer Substanzen krank, die völlig ungiftig seien, sondern sie machen einen doppelten Fehler. Zuerst machen sie einen wissenschaftlichen Fehler, da wir heute wissen, dass niedrige Dosen physikalisch/chemischer Belastung/Strahlung chronischen Erkrankungen (wie z.B. Krebs) auslösen können und zum zweiten begehen sie aus epidemologischer Sicht einen Fehler mit fatalen Folgen für die öffentliche Gesundheit. Denn das Warten auf den endgültigen Beweis für einen Vergiftungsmechanismus (z.B. für MCS und EHS) bedeutet dasselbe wie sich auf etwas vorzubereiten, das noch schlimmer als der aktuelle Zustand ist. Das gilt sowohl für die menschlichen, als auch für die ökonomischen Folgen.

So gesehen sind die Manipulationen des Forschungszentrums nicht weniger als ein Skandal. Mit vollkommen unqualifizierten Begründungen glauben sie zu wissen, dass MCS nichts mit Vergiftung zu tun hat. Beispielsweise sagte Jesper Elberling einer MCS-Kranken, ihre Symptome würden damit zusammenhängen, „dass ihr Hirnsensor kaputt wäre, was zu Überreaktionen und dazu führe, dass sie glaube, die Gerüche wären giftig, obwohl sie es nicht seien.“

Doch Elberling und Skovbjerg machen fatale wie auch wissenschaftliche Fehler, da die Regel der dosisabhängigen Expositions-Wirkungs-Beziehung nur für akute, nicht aber für chronische Vergiftung zutrifft. Genau so wenig befassen sie sich weder mit den in Fragen kommenden chemischen Substanzen, noch mit den fortgesetzten Belastungen, die nach Auskunft von MCS-Kranken überaus typisch für ihre (von niedrigen Dosen verursachte) Erkrankung sind.

Wie man sieht, interessieren sich Elberling und Skovbjerg weder für die Dauer der Belastung durch chemische Substanzen (Zeitfaktor) noch für den Zustand des Organismus (chronische Erkrankung).

Belpomme schreibt: „Es ist offensichtlich, dass in Zeiten von Umweltverschmutzung durch chemische Substanzen die Mehrzahl der durch diese hervorgerufenen Erkrankungen nicht auf eine akute Vergiftung zurück gehen. In diesem Fall macht nicht die Dosis das Gift, sondern die Fortdauer [der Belastung]. Dieses Konzept ist relativ neu und trifft nicht nur auf chemische Substanzen, sondern auch auf Strahlung zu. Unsere gesetzlichen (auf der dosisabhängigen Expositions-Wirkung basierenden) Regelungen schützen uns in der Tat vor akuten Vergiftungen, aber sie schützen uns nicht vor chronischen Erkrankungen, die durch Dauerbelastungen mit niedrigen Dosen verursacht werden. Bei anhaltender Belastung muss man deshalb den Zeitfaktor stärker als die aktuelle Dosis in Betracht ziehen. Je länger eine Exposition dauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, eine chronische Erkrankung zu entwickeln, das trifft insbesondere auf Krebs zu.“ (S.73) (3)

Nahezu alle MCS-Erkrankten erklären ganz eindeutig, dass sich ihre MCS mit der Zeit aufgrund wiederholter niedriger Belastungen durch unterschiedliche chemische Substanzen verschlimmert hat. Viele Forscher (wie z.B. Martin Pall) betonen, dass eine große Zahl dieser chemischen Substanzen extrem neurotoxisch sind (giftig für das Nervensystem) und eine Menge andere chemische Substanzen sind dafür bekannt, weitere toxische Wirkungen auf den Organismus zu haben. Aus diesen Gründen ist es unglaublich unqualifiziert und amateurhaft, wenn das Forschungs- zentrum von der Grundannahme ausgeht, die Ursache für MCS könne kein toxikologischer Mechanismus sein.

Mit Hilfe dieser zwei arglistigen Methoden [Namensänderung und Toxizität leugnen] schließt das Forschungszentrum den Umweltfaktor – das chemische Indiz – von vornerein aus. Doch das genügt offenbar nicht. Nun muss bewiesen werden, dass MCS etwas mit psychologischen Faktoren zu tun hat.

Und wie wurde das bewerkstelligt?

3. DIE CHEMIKALIEN LOS WERDEN

Teil 3: „Einfach falsch übersetzen“

Nun, um damit anzufangen, haben sie die Forschungsarbeit und den Fragebogentest von Eva Millqvist manipuliert: „A Short Chemical Sensitivity Scale for Assessment of Airway Sensory Hyper Reactivity“ (Kurzskala für Chemikaliensensitivität zur Bewertung sensorischer Atemweghyperreaktivität), von Steven Nordin, Eva Millqvist, Olle Löwhagen und Mats Bende, International Archives of Occupational and Environmental Health (2004) 77: 249-254, DOI: 10.1007/s00420-004-0504-7. Diese Arbeit enthält einen validierten Fragebogen um SHR (sensorische Hyperreaktivität, eine Begleiterkrankung von MCS) zu quantifizieren. Wer unter SHR leidet, zeigt bei Belastung durch chemische Substanzen in erster Linie Symptome der Atemwege.

Das Forschungszentrum wählte diesen Fragebogen und verschickte ihn an viele MCS-Kranke und an nicht von MCS betroffene Personen. Es gab jedoch eine kleine Ungereimtheit darin, da sie sieben der elf Fragen absichtlich falsch ins Dänische übersetzten. Während die ursprünglichen Fragen des validitierten CSS-SHR Tests (Chemical Sensitivity Scale for Sensory Hyperreactivity), der in Kombination mit dem Capsaicin-Test (Chilitest) SHR diagnostizieren kann, die Verhaltens- und gefühlsmäßigen Reaktionen von Menschen auf Belastungen mit chemischen Substanzen abfragen („riechende/stechende Substanzen“), verbog sie das Forsch- ungs zentrum in der dänischen Übersetzung zu Fragen nach den Verhaltens- und gefühlsmäßigen Reaktionen auf Gerüche („Düfte und chemische Gerüche“). Schlau!

Nahezu nicht wahrnehmbar wurden die Fragen zu den Reaktionen der Menschen auf Gerüche umgemodelt, doch Gerüche und Chemikalien sind keine gleichbedeutenden Begriffe. Und wenn die Leute nur die vorgelegten Fragen beantworten können, werden die Antworten natürlich nur die Reaktionen der Leute auf Gerüche zurückliefern.

4. NUN IST SO GUT WIE ALLES GEBACKEN

MCS wird individualisiert und psychiatrisiert

Endlich wurde alles passend gedeichselt, um diese Ergebnisse mit einer Reihe psychiatrischer Tests verknüpften zu können, damit man ein Forschungsergebnis bekommt, nach dem MCS-Kranke eine idiosynkratische Wahrnehmung von Gerüchen haben und deshalb ein erhöhtes, ungesundes Maß an Aufmerksamkeit auf körperliche Symptome richten, und außerdem sind sie oft traurig. Hokuspokus, MCS ist nun eine Angelegenheit des Individuums. Es liegt am MCS-Kranken selbst, dem unterstellt wird, dass er ungiftigen Gerüchen ein erhöhtes, ungesundes Maß an Aufmerksamkeit (‚enhanced internal information’/gesteigerte innere Information) schenkt und unter Einbeziehung psychiatrischer Tests deutet das Ergebnis darauf hin, dass die Symptomatik der MCS-Kranken von psycho-pathologischer Natur ist, aber es sei nicht bekannt, inwieweit Psychopathologie und individuelle Anfälligkeit für Unverträglichkeitsreaktionen an der Entstehung von MCS beteiligt oder nur verstärkende Faktoren sind. „Wahrscheinlich ist die Ätiologie von IEI multifaktoriell, und wie bei somatoformen Erkrankungen spricht vieles dafür, dass man die Komplexität von IEI am besten unter bio-psycho-sozialen Gesichtspunkten beleuchtet. (S.38)

Somit ist entschieden, dass es sich bei MCS und eine somatoforme Erkrankung handelt und – Hokuspokus – jetzt ist MCS psychiatrisiert.

Somit sieht das Rezept für diese unverdauliche Speise im Kochbuch folgendermaßen aus:

„Lügen und Manipulationen als Vorbereitung für betrügerische Forschung und für Scheinforschung“

Die Zutaten:

  • Fehlerhafte und veraltete Definition von Vergiftung
  • Neuer (alter) von der chemischen Industrie erfundener Name (IEI)
  • Gefälschte medizinische Diagnosen (IEI) (und Toxikologie und Umweltmedizin fallen unter den Tisch)

Zusätzlich hinzufügen:

  • Durch Falschübersetzung gefälschte Fragebögen, damit chemische Substanzen zu Gerüchen werden, sowie ‚Somatisierung‘. Ooops! Es sollte heißen: die Diagnose ‚körperliches Schmerzsyndrom‘.

Endlich ist die Speise serviert: Wir haben nun eine psychiatrische Erkrankung auf dem Tisch, d.h. eine Mischung aus körperlicher Erkrankung (Fehler im Gehirn: ‚der Hirnsensor ist kaputt‘) und vielleicht etwas genetisches (individuelle Anfälligkeit) und psychiatrische Krankheit (Depression, Angst).

Und wohin führt dieses große Zauberkunststück?

5. DER ZAUBER IST GEGLÜCKT

MCS fällt in die Zuständigkeit der Psychiatrie und muss psychiatrisch behandelt werden

Nun, es führt uns zu der mächtigen psychiatrischen Bewegung, die bereit steht, Patienten und insbesondere Geld zu empfangen. MCS heißt nun in der Sonderausgabe zu funktionellen Störungen des Dänischen Ärztewochenblattes ‚bedeutungsvoll‘ Geruchssensitivität (Ugeskrift for Læger no. 24, 14 June 2010). Lassen Sie sich das nicht entgehen. Nun ist MCS eine funktionelle Störung. Die Falschheit ist fertig, denn das war es, worum es immer ging, nicht wahr?

Nun stellen MCS-Kranke für die Gesellschaft, die chemische Industrie und die Versicherungsgesellschaften keine Gefahr mehr dar. Aber natürlich ist es selbstverständlich, dass sie behandelt werden müssen, da sie uns leidtun, weil einige Leute denken, sie würden nur simulieren. Deshalb brauchen sie wie es aussieht eine psychiatrische Behandlung: Kognitive Psychotherapie und vielleicht in schweren Fällen Elektroschock. Und passen Sie auf, als nächstes kommt natürlich, dass die nette Pharmaindustrie ein paar psychoaktive Medikamente fertig hat, damit die armen MCS-Kranken neben ihren Depressionen und ihrer Angst ihren „kaputten Hirnsensor“ repariert bekommen.

Daraus kann man folgern, dass das Forschungszentrum für Duftstoff- und Chemikaliensensitivität zur mächtigen Psychiatrisierungskampagne gehört, die gerade weltweit stattfindet.

In den USA war schon seit längerer Zeit eine Überprüfung des DSM Diagnose-Systems auf dem Weg (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen)). Das DSM ist das [von der American Psychiatric Association herausgegebene] Gegenstück zum internationalen ICD-10. Darin hat man verstanden, dass jene, die an den ’neuen‘ Erkrankungen leiden, nicht damit einverstanden sind, wenn ihre Krankheiten als „somatoforme Erkrankungen“ d.h. als Geisteskrankheiten klassifiziert werden. Dazu gehören: Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), Fibromyalgia (FMS) und nun MCS (und bald EHS/Elektrosensibilität – die man nur noch nicht entdeckt hat). Was soll man also stattdessen tun? Nun, natürlich haben sie neue ‚würdige‘ Namen wie das „körperliche Schmerzsyndrom“ erfunden (Bodily Distress Syndrome), da Psychiater phantasievolle Namen mögen, für welche sie nicht die Spur einer Begründung haben. Es ist reine Wortmagie. (4) Für wie dumm halten die uns? Es geht natürlich immer um das gleiche.

Wie Evelyn Pringle schreibt, ist es immer dasselbe, wenn die Psychiatrie versucht, Diagnosenamen und medikamentöse Behandlung für neue Zielgruppen zu erweitern. Sie zitiert den Toxikologie-Experten Prof. Dr. Lawrence Plumlee, Präsident der Chemical Sensitivities Disorders Association (Gesellschaft für Chemikalien- sensitivität- Erkrankungen) und Herausgeber von „The Environmental Physician“ der American Academy of Environmental Medicine:

„Es handelt sich um das Bestreben der Psychiatrie, körperliche Erkrankungen zu psychiatrisieren und zu versuchen, die Beschwerden der Patienten durch verschreiben psychiatrischer Medikamente zu unterdrücken. Doch die Erfahrung lehrt, dass psychiatrische Verfahren und Medikamente den Zustand der Patienten verschlechtern. Psychiatrische Diagnosen und Medikamente auf neurotoxische Erkrankungen anzuwenden hilft den Chemiefirmen in zweifacher Hinsicht. Es täuscht manche Leute, damit sie denken, vergiftete Menschen wären verrückt, wodurch die Vergifter jeglicher Verantwortung entkommen und zweitens kann man so mehr Chemikalien (psychiatrische Medikamente) verkaufen, mit denen jene behandelt werden, die nicht mehr Chemie in ihrem Körper, sondern Entgiftung dringend nötig hätten.“ (5)

Behalten Sie es im Gedächtnis: Das ist es, wogegen wir sind.

Autor: Eva Theilgaard Jacobsen, MSc (Master of Science) für Psychologie, Fachärztin für Psychotherapie, Oktober 2010

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivty Network

EMM Blog: The Research Center for Fragrance and Chemical Sensitivity in Denmark – A Hoax

Referenzen:

  1. Ann McCambell: „Multiple Chemical Sensitivity Under Siege“ Chair Multiple Chemical Sensitivities Task Force of New Mexico
  2. World Health Organization: „Note to invited participants in the MCS workshop „21-23 February 1996, Berlin, Germany 6/7/96.
  3. Dominique Belpomme: „Avant qu’il ne soit trop tard“. Fayard 2007.
  4. Kroenke, Sharpe, Sykes: „Revising the Classification of Somatoform Disorders: Key Questions and Preliminary Recommendations“, Psychosomatics 48:4, July-August 2007.
  5. Evelyn Pringle: „Tracking the American Epidemic of Mental Illness“, June, 22, 2010

Über das Forschungszentrum:

Es gehört zur Vorgehensweise und Methodik des Forschungszentrums, dass seine Öffentlichkeitsarbeit mehrdeutig ist. Schließlich ist eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen eine Journalistin. International heißt das Forschungszentrum „Dänisches Forschungszentrum für chemische Sensitivität“, doch für das heimische Publikum heißt das Zentrum „Dänisches Forschungszentrum für Duftstoff- und Chemikaliensensitivität „. Dafür gibt es einen Grund. MCS-Betroffene haben dem Dänischen Forschungsministerium mittlerweile Hinweise zum richtigen Verständnis des arglistigen Aufsatzes „Körpergefühl und Symptomwahrnehmung von IEI-Erkrankten im Blickpunkt“ geliefert und diesen als betrügerische Forschung reklamiert. In erster Linie weil das Forschungszentrum Eva Millqvists Forschung verfälscht, indem „riechende/stechende Substanzen“, z.B. Chemikalien absichtlich mit „Düfte und chemische Gerüche“ ins Dänische übersetzt wurden. Diese Übersetzung des validierten CSS-SHR Tests (Chemical Sensitivity Scale for Sensory Hyperreactivity/Chemische Sensitivitätsskala für sensorische Hyperreaktivität) von Millqvist wurde als Fragebogen an viele Menschen, darunter MCS-Kranke, verschickt. Dadurch hat das Forschungszentrum betrügerische Daten produziert, indem Reaktionen von Menschen auf chemische Substanzen zu Reaktionen auf Düfte/Gerüche gemacht wurden. Auf diese Art und Weise versuchten sie, den ursächlichen Zusammenhang von chemischen Substanzen in der Umwelt und MCS aufzulösen. Dies bereitete den Weg, MCS zu individualisieren und zu psychiatrisieren. Deshalb können dänische Psychiater MCS nun als „funktionale Störung“ (mit unbekannter Ursache) diagnostizieren, Ärzte können MCS-Kranke zur psychiatrischen Behandlung und Diagnose überweisen und den MCS-Kranken werden Behindertenrente und Entschädigungszahlungen von Versicherungen verweigert. Auf internationaler Ebene jedoch versucht das Forschungszentrum als Einrichtung seriöser Forscher zu erscheinen. Doch fragen sie diese mal nach dem Artikel von Martin Pall in [Ballantyne, Maars & Syvertsen’s „General and Applied Toxicology“] und sie werden die Antwort erhalten, dass dieser nach ihrer Ansicht zu schwer zu verstehen wäre. Wäre alles nicht so tragisch, wäre das Ganze ziemlich unterhaltsam. Sie sind ein Haufen von Amateuren mit einer Krankenschwester als Chefin. So weit ist es mit Dänemark nach 10 Jahren unter einer rechtslastigen Regierung gekommen. (Das Forschungszentrum wurde von der Regierung gegründet und wird von ihr finanziert.)

Fortsetzungsserie: „Dänisches MCS-Forschungscenter im internationalen Blickfeld“

Neuer Trailer zum kommenden Film über Multiple Chemical Sensitivity wurde in Spanien auf einer MCS-Konferenz gezeigt

Vor zwei Wochen stellte ich Euch den ersten Trailer zum Kurzfilm „los pajaros de la Mina“ („Die Vögel aus der Kohlenmine“) vor. Es ist der erste Film, der in Spanien über Multiple Chemical Sensitivity gedreht wurde. Von MCS-Kranken rund um die Welt wurde der Film sehr gut angenommen.

Heute möchte ich Euch den neuen, ausdrucksstarken Trailer für den kommenden Film vorstellen. Dieser neue Trailer hatte sein Debüt vergangene Woche auf der MCS Konferenz, die von ASQUIFYDE organisiert wurde und an der Universität Alicante in Spanien stattfand. Während der dreitägigen Konferenz waren viele Ärzte, Juristen und andere Experten anwesend und sprachen über MCS, Gifte, die Situation in Spanien usw. Es war wirklich toll und wir konnten die Vorträge und Diskussionen über Internet verfolgen.

Auf der Konferenz wurde auch ein „Leitfaden für Umweltkontrolle“ (No Fun Blog ist ein Teil davon) zusammen mit meinem Video „MCS: Die Bedeutung von Reduzierung toxischer Belastung“ präsentiert. Laut Francisca Gutierrez, Präsidentin von ASQUIFYDE, machte das Video großen Eindruck auf die Konferenzteilnehmer (Medizinstudenten, Presse und andere Personen aus dem Umwelt- und Gesundheitsbereich).

Als Abschluss der Konferenz wurde der neue Trailer gezeigt. Der Drehbuchautor und die Hauptdarstellerin des Film, Mariam Felipe, waren zugegen, um das Projekt zu erklären und darüber zu berichten, wie die Idee für den Film durch mein Interview auf Carne Cruda (rohes Fleisch) vor einem Jahr zustande kam. Und dann zeigten sie diesen unglaublichen neuen Trailer.

Trailer II – Film „Die Vögel aus der Kohlenmine“

Die Premiere des Films wird am 10. Dezember im Kino “Teatro Principal de Pontevedra” stattfinden.

Der Filmproduzent, Victor Moreno, lässt Euch wissen, dass sie eine Version mit englischen Untertiteln fertigen werden, und dank Silvia K. Müller, Präsidentin des CSN, noch eine weitere Version mit deutschen Untertiteln.

Ich bin sicher, dass dieser Film eine Menge Preise gewinnen wird!!

Autor: Eva Caballé, No Fun Blog, 10. November 2010

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Weitere Artikel von Eva Caballé:

Bedenkliche Chemie in Duftstoffen

Es wurde nachgewiesen, dass parfümierte Produkte zahlreiche nicht deklarierte Chemikalien abgeben

Der angenehme Duft frischer Wäsche könnte einen unangenehmen Beigeschmack haben. Weit verbreitete Produkte, auch solche die behaupten, „grün“ zu sein, geben zahlreiche Chemikalien ab, die nicht auf den Etiketten stehen. Darunter sind einige, die als toxisch eingestuft werden.

Eine von der Universität Washington geleitete Studie ergab, dass 25 häufig genutzte parfümierte Produkte durchschnittlich jeweils 17 chemische Substanzen abgeben. Von den 133 nachgewiesenen Chemikalien ist fast ein Viertel nach mindestens einem Bundesgesetz als toxisch oder schädlich eingestuft. Nur eine der freigesetzten Substanzen war auf einem Warenetikett angegeben und nur zwei sind irgendwo veröffentlicht worden. Der Bericht erschien am 26. Oktober 2010 im Journal „Environmental Impact Assessment Review“ (etwa: Abschätzung von Umweltfolgen im Überblick).

„Wir haben Produkte analysiert, die am Häufigsten verkauft werden, und ungefähr die Hälfte davon sollte ökologisch, organisch oder natürlich sein“, sagte die leitende Autorin Anne Steinemann, eine Professorin für Bau- und Umweltingenieurwesen und Public Affairs (Öffentliche Angelegenheiten) an der University of Washington. „Überraschenderweise unterschieden sich die Emissionen schädlicher Chemikalien aus „grünen“ Erzeugnissen nicht wesentlich von denen anderer Produkte.“ Mehr als ein Drittel der Erzeugnisse gab mindestens eine Chemikalie ab, welche die amerikanische Umweltschutzbehörde (EPA) als möglicherweise krebserzeugend einstuft und für welche sie keinen sicheren Grenzwert festsetzt.

Die Hersteller sind nicht verpflichtet, bei Reinigungsartikeln, Lufterfrischern oder Wäschepflegeprodukten irgendwelche Inhaltsstoffe preiszugeben, allesamt Produkte, die von der Product Safety Commission (Verbraucherschutz Kommission) überwacht werden. Weder diese, noch Körperpflegemittel, die von der Food and Drug Administration (Behörde für Nahrungsmittel und Medikamente) überwacht werden, erfordern die Angabe der Inhaltsstoffe, welche in den Duftstoffen zur Anwendung kommen, obwohl ein einziger „Duftstoff“ in einem Produkt ein Gemisch aus bis zu mehreren Hundert Zutaten sein kann, sagte Steinemann.

Aus diesem Grunde haben Steinemann und ihre Kollegen wie Detektive nach Chemikalien gesucht um herauszufinden, welche Stoffe parfümierten Produkte abgeben, die üblicherweise in Wohnungen, öffentlichen Räumen und an Arbeitsstätten verwendet werden.

Die Studie untersuchte Lufterfrischer in Form von Sprays, Feststoffen und Ölen, Wäschepflegemittel wie Waschmittel, Weichspüler und Trockner-Tücher [gegen Knittern und mit Duft], Körperpflegemittel wie Seifen, Händedesinfektion, Lotionen, Deos und Shampoos, sowie Reinigungsmittel, zu denen Desinfektionsmittel, Allzweckreiniger-Sprays und Spülmittel gehörten. Es handelte sich stets um weit verbreitete Marken, von denen mehr als die Hälfte zu den am meisten verkauften in ihrer Warengruppe gehörten.

Die Forscher platzierten von jedem Produkt eine Probe bei Raumtemperatur in einem geschlossenen Glasbehälter und untersuchten danach die eingeschlossene Umgebungsluft auf flüchtige organische Substanzen, winzige Moleküle, die aus der Oberfläche eines Produktes verdampfen. Sie maßen chemische Konzentrationen von 100 Mikrogramm pro Kubikmeter (dem kleinsten gemessenen Wert) bis zu mehr als 1.6 Millionen Mikrogramm [0.0016 Milligramm] pro Kubikmeter [etwa 0,83ppb bis 1,3ppt].

Die am häufigsten abgegebenen Stoffe waren Limonen, eine nach Citrus riechende Substanz; Alpha-Pinen und Beta-Pinen, Substanzen mit Kiefernduft; Ethanol und Aceton, Lösungsmittel die in Nagellackentferner vorkommen.

Alle Produkte gaben mindestens einen chemischen Stoff ab, der als toxisch oder schädlich eingestuft ist. Elf Produkte gaben mindestens einen Stoff ab, der laut EPA im Verdacht steht, Krebs hervorzurufen. Dazu zählten Acetaldehyd, 1,4-Dioxan, Formaldehyd und Methylchlorid. Die einzige überhaupt auf einem Produktetikett angegebene Chemikalie war Ethanol und die einzige weitere Substanz, welche in einem chemischen Sicherheitsbericht bzw. in einem Sicherheitsdatenblatt vorkam, war 2-Butoxyethanol.

„Die Produkte gaben zusammen über 420 Chemikalien ab, aber nahezu keine wurde irgendwo den Verbraucher offen gelegt“, sagte Steinemann.

Da über die Zusammensetzung der Produkte Verschwiegenheit herrscht, war es unmöglich festzustellen, ob eine Chemikalie der Grundsubstanz eines Produktes oder dem ihm hinzugefügten Duftstoff oder beidem entstammt. [Dies dient vordergründig dem Wettbewerbsschutz und ist gesetzlich entsprechend geregelt.]

Die Ergebnistabellen enthielten neben den aufgelisteten Artikeln alle von jedem einzelnen Produkt abgegebenen Chemikalien, sowie deren Konzentrationen, führen jedoch keine Markennamen der Produkte auf.

„Wir möchten bei niemandem den Eindruck erwecken, man wäre vor Schaden sicher, indem man Produkt „B“ kauft, weil wir Produkt „A“ erwähnen“, sagte Steinemann. „Potentiell schädliche Chemikalien fanden wir in allen parfümierten Produkten, die wir getestet haben.“

Die Studie belegt die Anwesenheit verschiedener Chemikalien, maßt sich aber keine Aussagen über die möglichen Gesundheitsfolgen an. 2009 ergaben zwei in allen Bundesstaaten durchgeführte Erhebungen von Steinemann und einer Kollegin, dass ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Lufterfrischer berichteten und ungefähr 10 Prozent klagten über gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Wäschepflegeprodukte, deren Abluft nach Draußen abgeführt wurde. Asthmatiker klagten ungefähr doppelt so häufig darüber, wie der Durchschnitt.

Nach dem Gesetz zur Auszeichnung von Haushaltsprodukten, welches derzeit einer Prüfung durch den US-Senat unterzogen wird, sollten die Hersteller die Inhaltsstoffe von Lufterfrischern, Seifen, Waschmitteln und anderen Verbrauchsgütern angeben. Steinemann sagt, ihr Augenmerk richtet sich auf Duftstoffmischungen, die im Entwurf des neuen Auszeichungsgesetzes aufgeführt sind.

Grund ist das Potential an unerwünschten Expositionen oder das, was sie „Düfte aus zweiter Hand“ nennt.

Als das, was Verbraucher die solche Chemikalien vermeiden wollen, in der Zwischenzeit tun sollten, schlägt Steinemann einfachere Möglichkeiten vor, z.B. mit Essig und Natron zu reinigen, zum Lüften Fenster zu öffnen [statt Air Freshener] und duftfreie Produkte benutzen.

„In den vergangenen zwei Jahren habe ich mehr als 1.000 Mails, SMS und Anrufe von Menschen bekommen, die etwa folgenden Inhalt hatten: ‚Ich danke Ihnen, dass Sie diese Untersuchungen durchführen, diese Produkte machen mich krank und nun beginne ich zu verstehen weshalb'“, sagte Steinemann.

Steinemann ist zurzeit Gastprofessor für Bau- und Umweltingenieurwesen an der Stanford University. Mitautoren sind Ian MacGregor und Sydney Gordon vom Battelle Memorial Institute in Columbus, Ohio, Lisa Gallagher, Amy Davis und Daniel Ribeiro von der University of Washington und Lance Wallace von der amerikanischen Umweltschutzbehörde im Ruhestand. Die Untersuchung wurde teilweise durch die Stadtwerke von Seattle finanziert.

Literatur:

Übersetzung: Vielen Dank an BrunO!

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