Psychotherapie – Die Rolle von Erwartungen

Psychotherapie = Placebo

Häufig genügt es, Hoffnung zu wecken, um Verbesserungen zu bewirken. Luborsky [1] fand in mehreren Studien, dass „die beste Basis für die Voraussage späterer Verbesserungen – die in den ersten Sitzungen geäußerte [Erwartung] schneller positiver Ergebnisse ist“. ([2], S. 107)

Lazarus [3] behandelte Patienten, die eine Hypnose wollten, statt dessen mit einer Standardentspannungstechnik. Die Patienten zeigten eine größere subjektive und objektive Verbesserung, wenn er wo immer möglich statt der Worts „Entspannung“ den Begriff „Hypnose“ gebrauchte.

Die Einstellungen und Erwartungen von Therapeut und Patient können großen Einfluss haben. Um diesen Effekt zu nutzen und Erwartungen zu koordinieren, kann man die Therapie mit einem „role-induction interview“ (ein Gespräch, in dem die gegenseitigen Erwartungen besprochen werden) beginnen. In mehreren Studien verbesserte dies das Ergebnis. In einer Studie über die Behandlung benachteiligter Menschen, die in Regel weniger mit der Kultur der Psychotherapie vertraut sind, verbesserten sich zwei Drittel, wenn Therapeut und Patient eine solche Vorbereitung erfahren hatten. Wenn nur der Patient oder der Therapeut entsprechend vorbereitet wurde, sank die Quote auf die Hälfte und bei Fehlen der Maßnahme auf ein Drittel. Bei McHugh gehört ein solches Gespräch zur handwerklichen Standardvorgehensweise. ([2], S. 45, [4])

Wer ist für Placebos empfänglich?

Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass die Empfänglichkeit für Placebobehandlungen stark von Aspekten der unmittelbaren Situation abhängt, und weniger von dauerhaften Persönlichkeitsmerkmalen (z.B. im Sinne der Big Five). In einer Studie von Frank ([2], S.144) wurde ein Teil der psychoneurotischen Patienten mit Placebos behandelt. Im Mittel ergab sich eine deutliche Verbesserung. Bei einigen hatte sich drei Jahre später ein Rückfall eingestellt, worauf hin die Behandlung wiederholt wurde. Die mittlere Verbesserung war wieder so groß wie beim ersten Mal, es gab jedoch keinen nennenswerten Zusammenhang zwischen der aktuellen Empfänglichkeit der Patienten für die Placebobehandlung (d.h. dem Ausmaß der erreichten Verbesserung) und der von vor drei Jahren.

Es gibt aber wohl einen Zusammenhang mit dem, was in der Literatur „locus of control“ (Kontrollüberzeugung) genannt wird. Menschen, die meinen, ihr Schicksal hänge vorwiegend von ihnen selbst ab, sprechen deutlich schlechter auf Placebobehandlungen an, als Menschen, die sich eher von durch von ihnen nicht kontrollierbare äußere Einflüsse bestimmt fühlen. ([2], S. 170)

Die Studie des National Institute of Mental Health (NIMH)

(„Nationales Institut für geistige Gesundheit“, öffentl. US-Einrichtung)

Eine weitere Möglichkeit, ein Analogon für eine Placebogruppe zu konstruieren, verfolgte die bekannteste, ambitionierteste und wichtigste Studie zur Effektivität von Psychotherapie, eine NIMH-Studie über die Wirksamkeit verschiedener Behandlungsansätze bei Depressionen [5]. Der Hauptzweck bestand in einem Vergleich von interpersonaler Therapie und kognitiver Verhaltenstherapie. Als Vergleichsgruppen dienten eine Gruppe, die mit trizyklischen Antidepressiva behandelt wurde und eine weitere, die stattdessen ein Placebo bekam. 239 Patienten wurden nach einem Zufallsverfahren auf diese vier Gruppen aufgeteilt. 28 Therapeuten nahmen teil. Nach einer 16-wöchigen Behandlungszeit hatte sich der Zustand der Teilnehmer aller Gruppen nach allen der angelegten Kriterien verbessert. Dabei verbesserte sich die Medikamentengruppe am schnellsten. Bei Nachuntersuchungen nach 6, 12 und 18 Monaten wurden kaum Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt: „Obwohl es eine signifikante Verbesserung zwischen der Zeit vor und nach der Behandlung gab, fanden sich überraschend geringe Unterschiede zwischen den Behandlungsregimen bei Beendigung.“

Das Fehlen von Unterschieden lag dabei weniger an einem schlechten Abschneiden der Therapiegruppen, als an dem guten Ergebnis der Placebogruppe. Die Mitglieder der Placebogruppe hatten im Übrigen die niedrigste Rückfallquote.

Es gab jedoch deutliche Unterschiede in der Wirksamkeit in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung. Bei schwer Erkrankten war die medikamentöse Behandlung klar besser und das Placebo klar schlechter. Die Psychotherapien lagen etwa in der Mitte dazwischen. Weniger schwer Erkrankte sprachen auf alle Behandlungen gleich gut an, inklusive Placebos. Die relative Vorteilhaftigkeit medikamentöser Behandlung bei schweren Depressionen fand sich auch in vielen anderen Studien.

Die gefundenen Unterschiede gehen vermutlich auf die höhere Anfangswirksamkeit der Psychotherapien und insbesondere des Antidepressivums zurück. Bei den Patienten, die die Behandlung beendet hatten, waren die Unterschiede der Placebogruppe zu den anderen Gruppen praktisch vernachlässigbar. Je mehr Frühabbrecher einbezogen wurden, desto schlechter war die Placebogruppe im Vergleich.

Die Erfolgsquote nach der Behandlung lag bei den Therapiegruppen zwischen 51 und 70%. Die Quote war dabei von dem verwandten Kriterium für „Erfolg“ abhängig. Bei der Placebogruppe lag sie etwas niedriger, bei 29 bzw. 51%. Die erreichten Durchschnittswerte für den Zustand der Patienten nach der Behandlung unterschieden sich in der Placebogruppe jedoch praktisch nicht von den Therapiegruppen.([5],S. 201 ff., [6])

Weitere Metastudien

Lambert und Bergins Zusammenfassung verschiedener Metastudien [7] ergab ebenfalls keinen nennenswerten Vorteil von Psychotherapie gegenüber Placebos bei nicht zu schweren Fällen: dem typischen Psychotherapiepatienten geht es in 79% der Fälle besser als jemandem ohne Behandlung, bei Placebobehandelten lag die Quote bei 66%.[5]

Die „optimistische“ Sicht

Verfechter der These, Psychotherapien seien besser als Placebos, interpretieren derartige Ergebnisse jedoch „optimistischer“. Ihrer Ansicht nach zeigen sie, dass echte Therapien deutlich besser wirksam sind als Placebobehandlungen oder allgemeine unterstützende Maßnahmen. (Einige Details zu diesen Interpretationsfragen lest ihr im nächsten Beitrag.) So kommt Lambert auch zu dem Schluss, dass Psychotherapie bei 75% der Fälle hilfreich ist. 75% „gesunden“ sogar wieder, dies aber erst nach 55 Sitzungen. Nach 20 Sitzungen kam er auf eine Wirksamkeit von 50% (Wir erinnern uns: bei der NIMH Studie von oben erreichte die Placebogruppe je nach Kriterium für „Gesundung“ eine Wirksamkeit von 29 bzw. 51% nach durchschnittlich 16,2 Sitzungen und unterschied sich im Mittelwert der Verbesserung nicht von „echten“Therapien.).

Die von Lambert beobachtete höhere Wirksamkeit bei langer Behandlungsdauer könnte auch auf einen Regressionseffekt zurückzuführen sein (s. Teil 2). Denn die durchschnittliche Dauer derartiger Krankheitsepisoden (Depressionen und Angsterkrankungen) beträgt nach Schätzungen aufgrund epidemiologischer Daten [8] [9] etwa zwischen ein und zwei Jahren. Wenn man bedenkt, dass die Betroffenen erst nach einer gewissen Zeit um professionelle Hilfe nachsuchen und diese meist erst nach einer gewissen Wartezeit auch erhalten, spricht hier viel für einen signifikanten Regressionseffekt. Das erklärt auch zumindest teilweise die immer wieder gefundene höhere Wirksamkeit von Langzeittherapien gegenüber kürzer dauernden Interventionen (jüngst z.B. wieder in).

Die offizielle Sicht der von den US NIMH geförderten Initiative Therapyadvisor für evidenzbasierte Therapien ist:. Darstellung Demnach liegt die Wirksamkeit von Therapien bei 75%, von Placebos bei 40% und ganz ohne Behandlung ist man bei ca. 18% Verbesserung (über die empirischen Grundlagen dieser Statistik findet man dort leider keine nachvollziehbaren Hinweise).

Die Qualifikation der Therapeuten spielt kaum eine Rolle…

Darüber hinaus spielt auch die Erfahrung und Ausbildung des Therapeuten praktisch keine Rolle: professionelles Training hat nur einen geringen Einfluss auf die Behandlungsergebnisse.

Smith, Glass und Miller [11] fanden in ihrer Übersichtsuntersuchung, dass Therapeuten mit Ph.D. oder M.D. bzw. ohne weiterführende Titel vergleichbare Ergebnisse produzierten. Eine andere umfassende Studie [12] fand ebenfalls keine derartigen Zusammenhänge. Professionell ausgebildete Therapeuten und Paraprofessionelle bzw. Laientherapeuten erzielten vergleichbare Erfolge. Weitere Studien von Hattie et.al. [13] sowie die Metaanalyse von Reinecker et.al. [14] erhärten das Ergebnis.

Es gibt jedoch Therapeuten, die systematisch erfolgreicher sind als andere, d.h. „bessere“ und „schlechtere“. Dies hat jedoch wenig mit der Ausbildung zu tun.

…aber das Vertrauen

Abschließend sei noch eine Studie zitiert, die erkennen lässt, wie die Reaktion auf ein Placebo von dem Vertrauen in den behandelnden Arzt abhängt ([2], S. 145,[10]). Dabei gab man einem Teil der Patienten („Psychoneurotiker“) Pillen-Placebos als Behandlung und sagte ihnen ausdrücklich, worum es sich dabei handelte. Die genauen Instruktionen lauteten: „Vielen Leuten mit ihrer Erkrankung wurde mit etwas geholfen, was man manchmal Zuckerpillen nennt, und wir glauben, dass auch Ihnen eine sogenannte Zuckerpille helfen könnte. Wissen Sie, was eine Zuckerpille ist? Eine Zuckerpille ist eine Pille, in der überhaupt kein Medikament drin ist. Ich denke, diese Pille wird Ihnen helfen, wie sie schon so vielen anderen geholfen hat. Wollen Sie diese Pille ausprobieren?“

Den Patienten wurde gesagt, sie sollten die Pille dreimal täglich über eine Woche nehmen. Danach würde dann eine endgültige Empfehlung für eine Behandlung gegeben. Von den vierzehn Patienten, die wiederkamen (der fünfzehnte wurde von dem Spott seines Ehepartners über die inaktive Pille davon abgebracht) berichteten alle über Verbesserungen.

Das mag zum Teil auf das Versprechen einer speziellen Behandlung nach einer Woche zurückzuführen sein. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die, die sich sicher waren, ein Placebo bzw. ein Medikament zu nehmen, über eine größere Verbesserung berichteten, als die, die Zweifel hatten. Die, die sich in der einen oder anderen Richtung sicher waren, knüpften ihre Sicherheit an ihre Überzeugung, dass der Arzt ihnen damit helfen wollte. Ähnliche Ergebnisse existieren auch für klassisch medizinische und chirurgische Behandlungen.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 21. Juli 2009

Teil I, II, III und IV sowie weitere Artikel zum Thema:

Literatur:

[1] Luborski, L. (1976). Helping Alliances in Psychotherapy in: Claghorn J. L., Successful Psychotherapy, S. 92-118. Brunner/Mazel.

[2] Frank, JB, Frank J. (1991). Persuasion and Healing: a Comparative Study of Psychotherapy, Johns Hopkins Univesity Press.

[3] Lazarus, A.A. (1973). „Hypnosis“ as a Factor in Behavior Therapy, Int. J. Exp. Hypn. 21:25-31.

[4] Jacobs et. al. (1972). Preparation for treatment of the disadvantaged patient: Effects on disposition and outcome, Amer. J. Orthopsychiatry 42:666-74.

[5] Horwitz, Allen V. (2002), Creating Mental Illness, University of Chicago Press.

[6] Elkin et. al. (1989). NIMH Treatment of Depression Collaborative Research Program: General Effectiveness of Treatment, Archives of General Psychiatry 46:971-82.

[7] Lambert & Bergin (1994). The Effectiveness of Psychotherapy, in Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 4th ed., ed. Bergin & Garfield, 143-190, John Wiley & Sons.

[8] Shepherd & Gruenberg (1957). The Age of Neuroses, Millbank Memorial Fund Quarterly 35: 258-65.

[9] Ingram & Smith, Mood Disorders, in: Maddux & Winstead (ed.) (2008). Psychopathology, Routledge/Taylor &Francis.

[10] Park & Covi (1965). Non-blind Placebo Trial: An Exploration of Neurotic Patients – Responses to Placebo when its inert Content is Disclosed, Archives of General Psychiatry 12:336-45.

[11] Smith, Glass, Miller (1980). The Benefits of Psychotherapy, Jons Hopkins University Press.

[12] Berman, Norton (1985). Does Professional Training Make a Therapist More Effective?, Psychological Bulletin 98:401-7.

[13] Hattie, J. A., et al. (1984): Comparative effectiveness of professional and paraprofessional helpers. Psychological Bulletin, Vol. 95, 534-541.

[14] Hans Reinecker in: Jürgen Margraf, Silvia Schneider (Hg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie: 1: Grundlagen, Diagnostik, Verfahren, Rahmenbedingungen, Springer, 2008, S. 95.

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