Was an Psychotherapien hilft

Was hilft an Psychotherapie? Hilft sie wirklich?

Es sei nochmals kurz an die Methodik der Psychotherapieforschung erinnert, Gruppen, die mit Psychotherapie behandelt werden, mit solchen zu vergleichen, die nicht behandelt werden (in der Praxis am ehesten wohl Wartegruppen). Derartige nicht behandelte Gruppen erhalten auch keine Placebobehandlung.

Der Anteil von positiven Ergebnissen bei Mitgliedern von Psychotherapiegruppen, der über den bei solchen unbehandelten Gruppen gefundenen hinausgeht, reflektiert Effekte, die auf allgemeine Faktoren sozialer Unterstützung zurückgehen, die allen Therapieformen gemein sind [4]. Dazu zählen z.B. Empathie, Wärme und Ermutigung. Jackson [1] zählt zu den Qualitäten, die man für effektives seelisches Heilen braucht: „eine respektvolle, interessierte Weise des Zuhörens; spürbare Vertrauenswürdigkeit; eine einfühlsame und mitfühlende Reaktion auf das leidende Gegenüber; die Fähigkeit Hoffnung zu erwecken und aufrecht zu erhalten sowie eine besonnene Reaktion auf angsteinflössende Krankheitsbilder.“

Jerome Franks Ergebnisse

Jerome Frank von der Johns Hopkins Medical School fand, dass demoralisierte Menschen, die um Psychotherapie nachsuchen, dies aus denselben Gründen tun, aus denen sie sich traditionell an Personen wandten, die sie für weiser oder für ihnen überlegene Experten im Umgang mit den Problemen des Lebens hielten, und von denen sie Bestätigung, Hoffnung und Unterstützung erwarteten. Menschen glauben, dass Psychotherapeuten ihnen diese Hilfe geben können, wie sie dies traditionell von Priestern, Rabbis und Geistlichen geglaubt hatten. [2]

Im Detail

Diese Beobachtungen unterstützen die Auffassung, dass die psycho-therapeutische Wirkung im Wesentlichen auf allgemeinen Charakteristiken unterstützenden Sozialverhaltens beruht. Das erklärt auch, warum so viele Menschen derartige Krankheitsepisoden ohne professionelle Hilfe überwinden können.

Jerome Franks wichtigstes Ergebnis war vielleicht, dass es nicht darauf ankam, ob die den Patienten gemachten Vorschläge („suggestions“) besser, wahrer oder besser wissenschaftlich etabliert waren als irgendwelche andere. Was auf die Patienten heilsam wirkte, war das, was auf sie einen überzeugenden Eindruck machte und plausibel erschien, nicht was ihnen gegenüber als faktisch wahr bewiesen werden konnte. Traditionelle Heiler in vergangenen oder anderen Kulturen waren offensichtlich in der Lage, ähnliche Heilungserfolge wie Psychotherapeuten zu erreichen. Und zwar mit Ideen und Praktiken, die heutzutage niemals akzeptiert werden würden.

Drei wichtige Faktoren

Jerome Frank identifizierte schließlich drei wichtige Faktoren für den Erfolg einer Therapie, die sie auch mit traditionellen Heilern gemein haben ([3], S. 201ff.):

  1. Psychotherapeuten betonen in ihrem Verhalten gewisse Statusattribute und ihr Verhaltensstil, ihre Kleidung und ihre Titel helfen den Patienten, sie als jemanden zu sehen, der mit der Macht und der Autorität, sie zu heilen, ausgestattet ist. Das Tragen von weißen Kitteln, das Aufhängen von Diplomurkunden an Bürowänden, und das Tragen von Titeln wie „Doktor“ oder „Professor“ spielen eine Rolle bei der Erzeugung des nötigen Vertrauens in die Autorität des Therapeuten und das Psychotherapieprogramm, das er oder sie verschreibt.
  2. Effektive Psychotherapie beinhaltet gewöhnlich ein Bemühen, ein gewisses Maß an emotionaler Erregung in dem Patienten zu erzeugen. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Menschen in derartigen Zuständen leichter dazu gebracht werden können, ihre ihr Verhalten bestimmenden Grundannahmen zu ändern.
  3. Schließlich machen effektive Therapeuten ihren Patienten Vorschläge, wie sie handeln und auf die Umstände reagieren könnten.

Die Kraft des Mythos

Ein wichtiger Bestandteil einer Psychotherapie ist nach Frank ([2], S. 42) ein Schema oder ein Mythos, der eine plausible Erklärung für die Symptome des Patienten liefert, und ein Ritual oder eine Prozedur vorschreibt, um dieselben zu beseitigen.

Frank verwendet den Begriff „Mythos“ zur Charakterisierung psychothera-peutischer Theorien, weil solche Theorien in wenigstens zwei Gesichtspunkten Mythen ähneln:

  • Sie liefern die Vorstellung fesselnde Formulierungen sich wiederholender und wichtiger menschlicher Erfahrungen
  • Sie können nicht empirisch bewiesen werden

Man nimmt gemeinhin (oft fälschlicherweise) den Erfolg des abgeleiteten Heilverfahrens als Beweis für den Wahrheitsgehalt des zugrunde liegenden Mythos. Fehlschläge werden wegerklärt. Soweit bekannt hat sich noch keine therapeutische Schule wieder aufgelöst, weil empirische Ergebnisse die Verfechter von ihrem Irrtum überzeugt haben. Freud, ein großer Mythenmacher, hatte buchstäblich recht, als er die von ihm eingeführten Instinkte als „unsere Mythologie“ bezeichnete.

Die rationalen Grundlagen und Prozeduren erlangen ihre Plausibilität durch ihre Verbindung mit der dominanten Weltanschauung der jeweiligen Kultur. Im Mittelalter bezogen therapeutisch wirksame Symbole ihre Kraft aus ihrer Verbindung mit dem christlichen Glauben. Die Heilungsriten von Ureinwohnern aus nichtwestlichen Gesellschaften stützen sich auf die Kosmologie ihrer spezifischen Kultur. Psychotherapien, die auf mystischen oder religiösen Doktrinen beruhen, haben für die Anhänger dieser Doktrinen nie an Anziehungskraft verloren.

Darüber hinaus erhöhen die ästhetischen und dramatischen Qualitäten einiger Konzepte, besonders jener aus Freuds und Jungs Tradition, ihre Effektivität. Die farbenfrohen Metaphern und Bilder dieser Formen der Psychoanalyse implizieren, dass der Patient keine unbedeutende Kreatur ist, sondern das Schlachtfeld für titanische Kräfte oder aber ein Repositum für die akkumulierten Mythen und die Weisheit aller Zeitalter. In gewisser Weise verbinden diese Konzepte das Individuum mit überpersönlichen Kräften und spiegeln somit die Ideen, die in kultischen Gemeinschaften und religiösen Formen des Heilens wichtig sind. ([2], S. 210 )

In den heutigen Vereinigten Staaten (und anderswo) scheint der Glaube an die Wissenschaft die dominierende Quelle heilender Kräfte zu sein.

Autoritäten

Einige Psychotherapieschulen suchen Plausibilität durch Verknüpfung ihrer Theorien mit angesehenen Figuren der Szene zu erlangen in der Vergangenheit Freud, Jung, Adler und ihre Schüler, in jüngerer Zeit z.B. Skinner, Rogers und Erickson. Die letzten beiden repräsentieren Richtungen, die ihre Plausibilität auf die Schriften existentialistischer Philosophen gründen. Vielleicht verliert die Wissenschaft ja zumindest teilweise an Begründungsmacht.

Philosophien

Religiös basierte Psychotherapien beinhalten Rituale, um die wohlmeinende Intervention übernatürlicher Kräfte zu erlangen. Die Grundlagen der meisten säkularen amerikanischen Therapien beinhalten eine optimistische Philosophie der menschlichen Natur. Diese Therapien haben das Ziel, die Personen in die Lage zu versetzen, ihre sie behindernden und destruktiven Emotionen und Verhaltensweisen zu überwinden und dadurch ein volleres, befriedigenderes und sozial konstruktives Leben zu führen.

In der Psychoanalyse erfolgt die Erlösung durch den Glauben an die befreiende Kraft der Wahrheit. Die Wahrheit war Freuds Gott. Von der Psychoanalyse, als der wissenschaftlichen Suche nach der Wahrheit, nimmt man an, dass sie die Menschen in die Lage versetzt, die rationale Kontrolle über die Impulse des Unbewussten zu erlangen, und sich dadurch von dem Übel zu befreien.

Existentialistische Philosophien betonen die Sinnlosigkeit des Daseins und sind von daher eher pessimistisch. Sie schaffen es jedoch, diesen Ausblick ins Heroische zu wenden und sehen die Therapie als einen Prozess, der den Menschen in die Lage versetzt, dem Leben Sinn und Bedeutung abzuringen. ([2], S. 42 ff.)

Und schließlich gibt es noch die Auffassung von psychischen Erkrankungen als Ergebnis biochemischer Fehlfunktionen des Gehirns. Hier besteht das heilende Ritual in der Nutzbarmachung der Kraft der Wissenschaft in der materialisierten Form von Pillen oder Spritzen. Wie in einem früheren Beitrag erwähnt wurde, ist der Beitrag der aktiven Inhaltsstoffe in den meisten Fällen vermutlich zu vernachlässigen.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 31. August 2009

Serie: Psychiatrisierung bei MCS ein Irrweg Teil I – VIII

Literatur

  1. Jackson (1999). Care of the Psyche: A History of Psychological Healing, Yale University Press.
  2. Frank, JB, Frank J. (1991). Persuasion and Healing: a Comparative Study of Psychotherapy, Johns Hopkins University Press.
  3. McHugh, Paul R. (2005), Try to Remember, Dana Press.
  4. Horwitz, Allen V. (2002), Creating Mental Illness, University of Chicago Press.

3 Kommentare zu “Was an Psychotherapien hilft”

  1. Clarissa 1. September 2009 um 07:13

    Mein besondere Dank geht an Karlheinz, diese Serie ist hervorragend gemacht. Ich denke mal da viele von den selbst ernannten Experten „mit den Ohren schlackern werden“ bei soviel fundiertem Wissen. Deine Infos stellen deren ganzes Wissen und ihre Ausbildung auf den Kopf bzw in Frage. Hoffentlich stellen sie sich jetzt auch mal Fragen.

    Nochmals Danke an Karlheinz und CSN für diese Serie.

    LG Clarissa

  2. yolande 7. September 2009 um 13:39

    @Karlheinz

    Schliesse mich Clarissa an. Es zeugt von fundiertem Wissen, solche Beiträge zu verfassen.

    @ Clarissa

    Ob sich die Experten in Frage stellen? Ob sie sich überhaupt Fragen stellen oder Fragen stellen dürfen? Wo würden sie landen? Wäre dann ihr Job noch zu erfüllen? Aus meiner Sicht zu allen Fragen: Nein!

    Noch etwas: Damit die Psychoexperten ihren Dienst am Menschen erfüllen können, müssen sie eine genügend hohe Anzahl von „Gläubigen“ haben.

    Ich kann das sagen, weil ich erstens seit einigen Jahrzehnten ehrenamtlich mit der „Psycho-Szene“ vertraut bin und zweitens tatsächlich nur an mich selbst glaube. Diese Einstellung macht unangreifbar auch für nicht beweisbare Therapien, erfordert aber eine enorme eigene Stärke weil es keinerlei Anker gibt.

  3. Martin 12. November 2011 um 19:05

    Ich kann den Wunsch, einen Übeltäter zum Beschimpfen zu haben, verstehen. Wenn man leidet und immer wieder mit seinen Ansprüchen enttäuscht wird, entsteht Ärger über die Unfähigkeit anderer.
    Ich möchte aber aus eigener Erfahrung berichten: auch wenn die Medizin und Psychotherapie nicht alles heilen können, sie können zumindest lindern.
    Wer ständig von chemischen Stoffen angegriffen wird und sich dann auch noch von Helfern unverstanden fühlt, hat vielleicht schon vorher gegen viele Windmühlen gekämpft, sich gekränkt gefühlt und sich oft verteidigen müssen.
    In einer Psychotherapie kann ich lernen, meinen Frieden zu schließen. Ich kann lernen, mit meinen Kräften besser umzugehen und Kämpfe auf ein sinnvolles Maß beschränken und anders zu führen.
    Ich erwarte nicht, dass dies jedem so helfen muss wie mir. Aber ich erwarte, dass sinnvolle Hilfsmöglichkeiten nicht als Feinde dagestellt werden. Und ich wünsche jedem, dass er auch nach vielen Enttäuschungen noch Mut fassen kann, Hilfe, wie z.B. psychotherapeutische, wenigstens zu probieren. Für mich hat es sich gelohnt.

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