Seit wann machen Krankheiten vor dem Alter halt?

Umweltkrankheiten – Der alltägliche Wahnsinn

FORTSETZUNGSGESCHICHTE

Das Telefon klingelte.

Tim hörte, wie Carla ihre Oma am Hörer begrüßte und sah, wie sie gleichzeitig die Augen verdrehte, als sie ihren Besuch für den nächsten Tag, am Samstag, ankündigte. Die Oma war nicht gern gesehen. Sie glaubte nicht an MCS, hielt die Symptome für psychisch bedingt und reagierte auf alle Bemühungen von Clara und Tim, ihr die Krankheit zu erklären, gereizt, besserwis- serisch und ablehnend. „…und komme bitte nicht mit Parfüm, Weichspüler oder sonst was für Duftstoffen“, mahnte Carla, wohl wissend, dass sich ihre Großmutter nur selten daran hielt.

„Oma, Oma, Oma kommt“, freute sich hüpfend Joel. Von Oma erhielt er immer ein kleines Geschenk. Carla und Tim gaben sich alle Mühe, den Jungen aus dem Spannungsfeld herauszuhalten.

„Das kann ja heiter werden“, stöhnte Tim. Carla umarmte ihn: „Für einen Tag müssen wir sie wohl erdulden.“

„Ja erdulden. Das ist schlimm, wenn man so über den Besuch eines der Großeltern denkt und fühlt. Aber es ist wirklich kaum zum Aushalten.“

„Überraschung“ am frühen Morgen

Oma war Frühaufsteher. In ihren Augen standen fleißige Leute immer früh auf, auch am Wochenende. Nur Faulpelze blieben lange im Bett liegen. Und so klingelte es auch um 7.00 Uhr. Schlaftrunkend schwankte Tim zur Wechselsprechanlage. „Hallo!“

„Hier ist die Oma. Lass mich mal rein.“

„Muss das sein“, murmelte er genervt. Natürlich hatte er vorher den Hörer wieder aufgelegt. Dann ließ er Oma rein. Sie strahlte. „Keine Sorge, ich bin duftfrei“, und während sie ihren Mantel ablegte, fragte sie halbfordernd:“Ihr seid doch schon auf?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht steht nur ein Geist vor dir“, frotzelte Tim, um Selbstbeherrschung ringend. „Aber duftfrei bist du nicht“, konnte sich Tim nicht zurückhalten zu bemerken.

„Quatsch. Ich habe nicht mit Weichspüler die Wäsche gespült, habe kein duftendes Waschpulver verwendet und mich auch mit neutraler Seife gewaschen.“

Trotzdem riechst du nach Duftstoffen. Mit was hast du dich eingecremt?“

„Na, auch neutral. Mit Nivea.“

„Duftfreie Nivea?“

„Na, mit ganz normaler Nivea-Creme eben. Die riecht doch kaum.“

Hab Dich doch nicht so

„Stimmt. Sie stinkt nicht so wie dein aufdringliches Parfüm, aber duftfrei ist sie deshalb noch lange nicht. Also Oma – unmöglich. Du weißt, wie krank Carla ist.“

„Die soll sich nicht so haben. Das bisschen wird sie wohl aushalten. So eine junge Frau?“

„Seit wann machen Krankheiten vor dem Alter halt?“

„Was hat sie denn? Hat sie eine schwere Infektion? Hat sie Rheuma oder ist sie Herzkrank? Fehlt ihr ein Bein? Sie ist organisch gesund, man konnte doch bei ihr nichts finden. Also ist es nicht organisch, sondern nur funktionell, oder psychosomatisch, wie man heute sagt.“

Von wegen psychisch

„Du irrst dich. Durch Gehirnscann weiß man inzwischen, dass es nicht psycho- somatisch ist.“

„Gehirn was? Ist auch egal. Die meisten Nerven sind doch im Gehirn oder? Na siehste, also doch nervlich oder funktionell.“

Tim winkte resignierend ab. Es hat keinen Zweck.

Oma öffnete die Stubentür. Tim konnte gerade noch „Vorsicht“ rufen, als die Oma schon auf Carla zueilte. „Oma, Oma“, kam ihr der rennende Urenkel zuvor und umklammerte sie, so dass sie Mühe hatte sich auf den Beinen zu halten. Oma lachte vergnügt, steckte den Jungen Schokoriegel zu, die der Kleine sofort aus der Verpackung befreite und in seinen Mund stopfte.

„Joel, warte, du weißt doch gar nicht, ob sie aus den Bioladen…“

Doch Joel kaute schon genüsslich den Schokoriegel.

„Oma – wo hast du den Schokoriegel gekauft?“, fragte Carla mit durchdringenden Blick.

„In einem reinen Süßwarenladen. Glaub mir, die haben dort nur beste Qualität. Dort wird Schokolade noch mit Kakaobutter hergestellt. Nur beste Zutaten und…“

Bio-Mist?

„Oma! Stell dich bitte nicht so an. Du weißt ganz genau was ich meine.“

„Ach du mit deinem Bio- Mist. Das ich auch nichts anderes. Denkst du, das ist gesünder? Im Fernsehen haben sie gesagt, dass die Biosachen dieselben Nähr- stoffe haben.“

„Erstens stimmt das nicht ganz. Die Vitalstoffe sind höher. Und zweitens – dass ist für uns wichtig – enthalten sie keine Pestizide, Fungizide und Kunstdünger.“

„Die sind doch bis zur Ernte schon lange abgebaut.“

„Erzähl nicht solchen Unsinn, Oma, und vor allem plapper nicht alles nach, was du von den Lobbys der konventionellen Landwirtschaft hörst. Schließlich hat Greenpeace Rückstände von diesen Zeugs in Obst, Gemüse und Gewürzen schon mehrfach gefunden. Auch Ökotest. Und wir vertragen das nicht Oma. Ist das nun mal klar?!“

Wir leben heute noch

Wir vertragen das nicht“, äffte die Oma kopfschüttelnd nach. „Weißt du, was wir während und nach dem Krieg essen mussten? Und wir leben heute noch.“

„Das ist etwas ganz anderes, Oma, und wir haben schon hundertmal darüber gesprochen. Ich habe weder Zeit noch Nerven, dir alles noch einmal zu erklären, zumal du sowieso auf deiner Meinung beharrst.“

„Na und. Das darf ich wohl mit meinen dreiundachtzig Jahren, oder? Muss ich dich da erst um Erlaubnis bitten?“

„Nein, nein, nein – denk was du willst. Aber wir tun es auch und müssen oder wollen so leben, wie es uns gut tut.“

Plötzlich schrie Joel wie am Spieß. Er saß am Boden mit seinem Plüschhund und schlug wütend auf ihn ein. Immer und immer wieder.

„Joel! Was ist los?!“, fragte Carla…

Fortsetzung folgt.

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitivity Network, Dezember 2010

FORTSETZUNGSGESCHICHTE:

Teil I: …und komme bitte nicht mit Parfüm

Teil II: MCS als Fiktion hinzustellen ist einfach, mit MCS zu leben ist schwer

Teil III: Die Problematik MCS ist der Regierung schon öfter unterbreitet worden

Teil IV: Umweltkrankheiten: Ich will mein altes Leben wieder

Teil V: Die Folgen sind bitter

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