Hommage an Lukanga Mukara

Wie klug Du bist, mein Kind! Du fragst, ob es noch andere Menschen auf der Welt gibt. Was Du noch nicht wissen kannst ist, dass Du eine sehr seltsame Frage stellst. Früher haben wir sie falsch beantwortet und heute tun wir dies nicht mehr, obwohl wir sie immer noch gleich beantworten. Es gibt keine anderen Menschen!

Es gibt ein anderes Dorf mit ein paar Menschen, die Du nicht kennst. Sie sind so wie Du und ich. Es gab mal einen großen Streit und damit wir uns nicht weiter streiten müssen, sind ein paar Leute weg gegangen und haben nicht weit von hier, aber weiter als Du laufen kannst, ein neues Dorf gebaut. Vielleicht haben die sich auch gestritten und es gibt irgendwo noch so ein neues Dorf, das wissen wir nicht. Es gibt aber nur solche Menschen wie wir.

Worüber gestritten wurde, weiß niemand mehr. Das ist schon sehr lange her.

Die anderen Menschen haben wir nie gesehen. Doch es gab mal einen von uns, der ist weit gereist. Der hat sie aber auch nicht gesehen. Er war nur in ihrer Welt, in der er keinen von ihnen traf. Er erzählte, dass alles was er sah, wie für Menschen gemacht war. Ob diese Menschen das alles selber hergestellt hatten, konnte er niemanden fragen. Auch kam es ihm so vor, als ob vieles in Unordnung oder vielleicht sogar kaputt war.

Leider starb er nach seinen langen Erzählungen. Er hatte diese seltene Krankheit, bei der das Blut immer weißer wird und die wir nicht heilen können. Es ist sicher von seiner Reise krank geworden. Deshalb ist es besser, wir bleiben in unserer Welt. Uns geht es doch gut.

Er berichtete von riesigen Dörfern und Hütten, die bis in den Himmel ragten. Es gab sogar Wege in ihnen, über die man hinauf gelangen konnte. Wir können uns sowas gar nicht vorstellen.

Nun fragst Du, ob diese Geschichten überhaupt wahr sind, ob es diese andere Welt gibt und ob dort einmal Menschen gelebt haben. Das wissen wir natürlich nicht, doch wir haben über eine lange Zeit sehr viele Veränderungen hier in unserer Welt beobachtet, die etwas mit diesen Menschen zu tun haben könnten.

Bevor Du geboren wurdest sahen wir öfter riesige Vögel am Himmel. Die flogen höher als alle anderen Vögel und manche zogen langen, weißen Rauch hinter sich her. Sie flogen so, wie der große, weiße Vogel vom Bach dort drüben gerade fliegt. Siehst Du? Er bewegt seine Flügel nicht, er gleitet durch den niederen Himmel, als ob dieser ihn tragen würde. Wie Du siehst, muss er aber ab und zu seine Flügel auf und ab schwingen, während jene großen, schwarzen Vögel dies nie taten. Wir haben ihnen immer hinterher gesehen, solange wir sie sehen konnten. Sie haben ihre Flügel nie geschwungen.

Diese Vögel gibt es schon lange nicht mehr. Sie sind ausgestorben. Unser Reisender erzählte sogar, dass diese Vögel in Wirklichkeit fliegende Hütten dieser Menschen gewesen wären. Kannst Du Dir vielleicht vorstellen, wie Hütten fliegen können?

Über die Jahre hat sich auch der Himmel, in dem diese Vögel zu Hause waren, verändert. Es gab immer mehr Wolken und es regnete zu viel, so dass wir oft nur von den Bäumen und nichts vom Boden zu essen hatten. Das wird jetzt wieder besser.

Unser Reisender hat erzählt, diese Menschen hätten ihre ganze Welt in Besitz genommen. Das hat niemand von uns verstanden. Zum einen wissen wir nicht, wie man so etwas macht und zum anderen wissen wir nicht, wo zu es gut sein soll, wenn jedes Ding uns oder einem von uns gehören würde. Es wäre ja auch nicht gut, weil man dann damit machen könnte, was man will. Vielleicht sind diese Menschen deshalb alle gestorben, weil sie alles was ihnen gehörte so sehr durcheinander gebracht haben, dass kein einziger mehr leben konnte. Du siehst ja, was der Regen macht. Wenn der Regen einem von uns gehören würde, würde es nicht mehr für alle regnen. Vielleicht würde es gar nicht mehr regnen.

Nicht nur diese bewegungslos fliegenden Vögel sind ausgestorben. Früher gab es viel mehr Tiere, nicht nur Vögel oder große, sondern auch ganz kleine im Wasser und unter jedem Stein. Auch das wird jetzt wieder besser.

Einmal sind wir beinahe selber ausgestorben. Damals kam eine große Hummel, die ganz böse brummte. Normale Hummeln tun niemanden was und sind nicht so riesig. Diese Hummel flog fast über unsere Köpfe, wenn keine Bäume dazwischen gewesen wären. Sie pisste auf uns und viele wurden davon krank und starben. Auch die Bäume. Diese Hummel kam aber nur ein Mal. Sie ist längst selber gestorben, weil sie so viel Gift in sich hatte. Um das zu sagen, muss man nichts vom Heilen verstehen.

Unser Reisender hat uns sehr viel erzählt. Das konnte gar nicht alles weitererzählt werden. Es haben ihm zu wenige von uns zugehört, um sich das alles zu merken. Ich war leider nicht dabei, weil ich damals ungefähr so alt wie Du war und man mir das alles nur beigebracht hat, um es weiter zu erzählen. Ich kann Dir aber eine ganz lustige Geschichte erzählen, obwohl die Geschichte unseres Reisenden eher eine traurige Geschichte ist.

Du weißt, wir setzen uns auf große Steine oder auf ein Stück alten Baum. Wir machen diese Stücke sogar hohl, damit sie leichter sind. In fast jeder Hütte gibt es eins davon, weil nicht jeder gerne auf dem Boden sitzt. Besonders wir Ältere nicht.

Unser Reisender sah ganz viele Stücke, die waren schon so ausgehöhlt, dass man von ihren fast nichts mehr sehen konnte. Sie hatten aber die Form eines sitzenden Menschen. Genauer, sie sahen aus, wie der Abdruck eines sitzenden Menschen. Bei manchen war sogar der Platz für die Arschbacken ausgehöhlt. So wie wenn Du Dich mit Deinem Hintern auf den feuchten Sand am Bach setzt. Dann kann man dort eine Zeit lang die Form Deiner Arschbacken sehen. Haha! Unser Reisender hatte zuerst Bedenken, sich auf so ein Stück zu setzen. Er dachte, es müsste sofort zusammenbrechen. Doch irgendwann war er sehr müde und setzte sich. Das Stück hielt. Ein andres zerbrach tatsächlich. Hahaha! Die meisten waren aber sehr stabil, obwohl sie aus fast nichts bestanden.

Wenn diese Geschichte für Dich nicht lustig genug ist, erzähle ich Dir eine andere.

Obwohl nirgends etwas zu essen wuchs, fand er genug zu essen. Es hatte aber immer sehr harte Schalen, die er zerschlagen musste. Die Splitter waren viel schärfen als die Splitter unserer härtesten Steine. Irgendwann fand er heraus, dass die Schalen aus zwei Teilen bestanden und er ein Teil davon nur drehen brauchte. Er konnte sie sogar wieder zu machen. Ist das nicht lustig? – Er meinte, er hätte dort lange leben können. Die Dinge die er sah waren so gemacht, dass man mit ihnen viel einfacher Leben konnte als wir das tun. Doch er spürte, dass er nicht mehr die gleiche Kraft wie zu Beginn seiner Reise hatte. Er ahnte schon, dass er irgendwann sehr krank werden würde. Deshalb kam er zurück, um uns berichten zu können, was er alles gesehen hatte. Menschen hatte er aber keine gesehen. Keinen einzigen, nicht mal einen toten. Doch da in dieser anderen Welt alles für Menschen gemacht war, muss es dort einmal Menschen gegeben haben.

Autor: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 30. Juli 2011

Anregungen für diese Geschichte waren:

2 Kommentare zu “Hommage an Lukanga Mukara”

  1. Croft 31. Juli 2011 um 18:41

    Coole Shortstory,

    erinnert mich irgendwie an die „Die Enkel der Raketenbauer“

    Croft

  2. Clarissa 1. August 2011 um 08:01

    Absolut genial, ja so könnten unsere Nachkommen evtl. mal über uns reden. Wenn wir weiter so machen dann könnte diese Fiktion Wahrheit werden. Nur eines hat der Reisende vergessen – ihnen zu erklären das man sich von Orten wo es das Zeichen für Radioaktivität gibt fernhalten muss und das für unendlich viel Sommer lang.

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