Keine Angst vor der Angst
Angst ist ein sehr brauchbares, einschüchterndes Zwangsinstrument, um Menschen zum Schweigen zu bringen und sie zu kontrollieren. Eine stumme Drohung erinnert subtil daran, dass man alles verlieren kann, was man hat. Jammere nicht, mach keinen Krach, denn das könnte dein Leben noch schlimmer machen und es in einen Alptraum verwandeln. Sie erschrecken die Massen so, dass sie keinen Aufstand wagen. Sie zensieren und verfälschen die Realität.
Doch Angst ist ein zweischneidiges Schwert, wenn sie an Menschen angewendet wird, die wenig zu verlieren haben. Wenn dein Tag daraus besteht, ums Überleben kämpfen, wenn du in einer parallelen Realität lebst, die sich niemand in deiner Nähe auch nur vorstellen kann, verlierst du die Angst vor dieser abstrakten Angst, die sie in dir wecken wollen.
Die rauhe und zermürbende Realität ist stärker. In Anbetracht einer Gegenwart, die uns überwältigt und keinen Raum für irgendetwas anderes lässt, verschwindet, was möglich wäre oder kommen könnte. Das Hier und Jetzt ist alles, was zählt und die Angst vor der Angst ist einfach lächerlich gegen die wirklichen Probleme, die dich unermüdlich am Laufen halten, um weiterzumachen und nur zu überleben. Wenn jeden Tag ein wahrer Kampf ist, der deine physische und mentale Stärke testet, dann ist die Angst vor der Angst nichts anderes als eine Täuschung, eine lächerliche Drohung gegenüber den unbestreitbaren Hindernissen der Unterwelt, in die du verdammt wurdest zu leben.
Manchmal wagst du es, dich aus dem Fenster zu lehnen, in einem riskanten Spiel, um zu sehen, wie die vermeintlich glücklichen Menschen leben, und du bist beeindruckt zu sehen, dass eine unwirkliche Angst sie lähmt, welche sie lethargisch macht und gefühllos leben lässt. Es ist fast tragisch anzusehen, wie sie auf Zehenspitzen durch ihr Leben gehen, angstvoll, narkotisiert und kontrolliert, und sogar ohne sich dessen bewusst zu sein.
Diejenigen unter uns, die jeden Tag extreme Situationen erleben, wie diejenigen unter uns, die von Multiple Chemical Sensitivity betroffen sind; diejenigen unter uns, die über Nacht zu Bürgern zweiter Klasse wurden, ohne Rechte, aber immer noch mit allen Verantwortungen; diejenigen von uns, die zu Nomaden wurden, weil eine vergiftete und sterbende Welt unsere Gesundheit, unser Leben, unsere Träume stiehlt…wir haben keine Angst vor der Angst, weil es keinen Platz mehr gibt für Feigheit, wenn mit einer Realität konfrontiert ist, die jede Angst übersteigt, von der sie wollen, die sie in uns züchten wollen, um uns einzuschüchtern, zu dominieren und einfach, um uns zu vernichten. Was wir befürchtet haben, ist wahr geworden. Wir haben nichts mehr, vor dem wir noch Angst haben müssten.
Autor: Eva Caballé, No Fun, erschienen in der Kunstzeitung Delirio, 12. September 2011
Photo: David Palma
Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network
Environmental Medicine Matters: No Fear of Fear
Weitere Artikel von Eva Caballé, die in der Kunst- und Kulturzeitung Deliro erschienen:
- Die nackte Wahrheit über MCS
- Schreie aus der Stille
- Metamorphose aus dem Leben mit Multiple Chemical Sensitivity
- MANIFEST: Wir wissen, dass sie uns anlügen
- Eva Caballé: Träume die töten
- Ohne Maske
- Umweltkrankheiten: Hinschauen oder wegsehen?
Danke, den Inhalt kann ich nur voll umfänglich bestätigen. Nicht einmal vor dem Tod müssen wir Angst haben, denn das heißt für uns: Keine Schmerzen, keine Sorgen, kein Leid mehr was man uns zufügen kann.
Aber es stimmt wirklich, uns kann man keine Angst mehr einjagen, wir sind schon barfuß durch die Hölle und zurück marschiert und leben immer noch.
Ich kann Eva und auch Clarissa (Kommentar im Blog) nur bestätigen.
Vor was sollte mannoch Angst haben, wenn man MCS von seiner härtesten Seite erlebt hat?
Es gibt nichts mehr wovor wir Angst haben müssen und ich wundere mich deshalb immer wieder, wenn MCS Kranke sagen:
„Ja, ich kann da nichts sagen oder mich engagieren, wer weiß was dann passiert?…“
Ich engagiere mich seit über 18 Jahren für MCS und mir passierte nie etwas, außer ein paar widerlicher Schmierkampagnen aus dem Kreis einiger „MCS Selbsthilfegruppen“. Von anderer Seite (Industrie, Behörden, etc.) gab es weder Angriffe, noch sonst etwas, was dazu geeignet wäre den Kampf um Akzeptanz von MCS Kranken aufzuzgeben.
Auch wenn es hier nicht so richtig hin passt, ein Freund von mir brachte irgendwann folgenden Spruch:
Alle Menschen werden als Original geboren jedoch sterben leider die meisten als billige Kopie.
Ihr seid alle als Originale geboren worden, überlegt mal selber was ihr heute seid.