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Nahtoderfahrung durch eine Zahnspange

An manche Ursachen der Umweltkrankheit MCS haben Sie noch nie gedacht

Invisalign – Zahnspange

Teil II der Serie „Ursachen von Multiple Chemical Sensitivity

Ich möchte die Geschichte meiner beinahe tödlichen Erfahrung mit dem Tragen von Invisalign Zahnspangen erzählen. Damals war ich 54 Jahre alt und war immer aktiv und fit. Außer Östrogen nahm ich keinerlei Medikamente ein. Ich bin gegenüber Chemikalien und Medikamenten überempfindlich. Ich mag nur eine aus einer Million sein, bei der es zu solchen heftigen Reaktionen kommt, aber selbst wenn ich nur einer einzigen anderen Person helfe, fühle ich mich besser.

Mein Zahnarzt sagte mir, die Behandlung mit Invisalign würde bei mir zwei Jahre dauern, da meine Zähne dermaßen schief stünden. Ich fing damit im November 2007 an. Mein Zahnarzt war stolz auf mich, denn er wusste, dass ich mich sehr diszipliniert verhielt und die Teile in der erforderlichen Zeit trug. Er sagt, die meisten Leute schummeln und tragen sie nicht so viele Stunden wie ihnen gesagt wurde.

Anfang 2008 begann ich mich schlecht und müde zu fühlen und mir tat alles weh. Ich ging zum Rheumatologen, weil ich dachte, ich hätte Fibromyalgie. Ich wusste, meine Mutter hatte dies. Es wurden Blutuntersuchungen gemacht und festgestellt, dass ich eine leicht verminderte Schilddrüsenfunktion hätte. Dieser Arzt schickte mich zu einem Endokrinologen. Ich vertrug keines der Medikamente, die er mir gab. Er erzählte mir, ich wäre eine sehr interessante Patientin, da meine Schilddrüsenwerte rauf und runter gehen.

Er schickte mich zum Rheumatologen zurück um abzuklären, ob ich vielleicht ein Autoimmunproblem hätte.

Inzwischen ging es mir noch schlechter. Ich schaffte kaum etwas. Ich war schwach und sau empfindlich und alles tat weh. Ich musste vom Sitzen ganz langsam aufstehen. Meine Haare fielen in beängstigendem Maße aus und waren stumpf und schlapp. Auch meine Augenbrauen fielen aus. Ich sah schlechter, meine Fingernägel bekamen Riefen und rollten sich ein. Ich konnte Hitze nicht ertragen. Ich hatte mehrere akute Anfälle, bei denen ich im wahrsten Sinne des Wortes dachte, ich würde sterben. Ich fühlte mich so, als ob meine Lebenskraft vollständig zur Neige gehen würde.

Im April 2009 habe ich die Ärzte völlig verblüfft. Anfang Oktober 2009 war ich noch völlig verängstigt. Ich hatte auch noch Probleme mit meiner Verdauung, musste ständig aufstossen, hatte Gase und schlimme Schmerzen in meinem Magen. Außerdem fühlte sich mein Hals ständig so an, als ob er sich zuziehen würde und ich hatte keinen Appetit mehr.

Ich entschied mich, einen Gastrointestinal-Spezialisten aufzusuchen. Er ordnete eine endoskopische und kolonoskopische Untersuchung an, deren ersten Teil ich im November 2009 hinter mich brachte. Die Befunde waren negativ.

Schließlich war ich mit meiner Zahnspangen-Behandlung in der letzten Oktoberwoche 2009 fertig.

Nur zwei Wochen nachdem ich mit den Spangen fertig war, fing ich an, mich besser zu fühlen. In der dritten Novemberwoche glänzten meine Haare wieder und waren so wie immer. Ich hatte Kraft, meine Magengeschichten verschwanden. Meine Fingernägel wuchsen schneller und sahen normal aus. Ich meldete mich bei einem Gymnastikstudio an und nach ein paar Wochen fühlte ich mich 10 Jahre jünger. Plötzlich fühlte ich mich besser als vor der Invisalign-Behandlung.

Ich war enttäuscht, dass niemand darauf gekommen ist, was mit mir los war. Ich fing an, darüber nachzudenken, was in den letzten zwei Jahren mein Leben verändert hat. INVISALIGN !!!! Ich begann zu recherchieren und bekam heraus, dass manche Leute leicht toxische Reaktionen hatten. Ich wusste, dass ich auf der richtigen Spur war. Ich fand heraus, dass manche Polyurethansorten Zyanide enthalten und dass sich beim Abbau die chemische Zusammensetzung ändert.

Es gab Empfehlungen, nach denen alle Zahnärzte eine Blutuntersuchung vornehmen sollten um festzustellen, ob der Patient ein Problem mit der zahnärztlichen Anwendung von Kunststoffen hat. Alle Leute, denen ich nicht egal bin, sagen mir, ich solle den Hersteller des Produktes verklagen, doch alles was ich wirklich erreichen möchte ist, die Leute aufzuwecken, damit alle Patienten versuchen, für all die verschiedenen Zahnbehandlungsmethoden eine Art Verträglichkeitstest zu bekommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Erzählen Sie diese Geschichte bitte allen Ihren Bekannten.

Jollie Place

Sehr interessant wäre auch zu erfahren, was Ihrer Ansicht nach Ihre eigene MCS-Erkrankung ausgelöst hat.Lassen Sie es uns durch einem Kommentar im Anschluss des Blogartikels wissen.

Autor: Jollie Place für EiR The Environmental Illness Resource Blog, 31. Januar 2010

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network 2011

Quelle des Originalartikels: Urgent Health Issues Regarding Invisalign Braces

Copyright: The Environmental Illness Resource 2010

Teil 1: Ursachen von Multiple Chemical Sensitivity

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Ursachen von Multiple Chemical Sensitivity

An manche Ursache von MCS haben Sie noch nie gedacht

Es wird geschätzt, dass bis zu 15 Prozent der Bevölkerung in den USA und in anderen industrialisierten Nationen an Multiple Chemical Sensitivity (MCS) leiden (1), trotzdem mangelt es an Untersuchungen, warum Menschen diese Hypersensitivität gegenüber Chemikalien entwickeln. Derzeit gibt es hauptsächlich Tierversuche und Studien mit wenigen Probanden, bei denen MCS diagnostiziert wurde.

Nach der führenden Theorie entwickelt sich eine Hypersensitivität für chemische Stimuli in einem Bereich des Gehirns, der als das limbische System bekannt ist und eine Vielzahl von Funktionen steuert, dazu gehören Gefühle, Verhalten, Langzeitgedächtnis und das olfaktorische System (unser Geruchssinn). Tierversuche haben gezeigt, dass sowohl hohe, akute Expositionen als auch niedrige Dauerbelastungen mit bestimmten organischen Chemikalien zu einer Hypersensitivität des limbischen Systems gegenüber späteren geringfügigen Expositionen mit der gleichen oder einer ähnlichen Chemikalie führen können. (2) Die bisher vielleicht umfassendste Theorie zur Pathophysiologie von MCS wurde von Martin Pall entwickelt, emeritierter Professor für Biochemie und medizinische Grundlagenforschung an der Washington State University. Nach Ansicht von Pall sind die Symptome Folge eines Triggers (chemische Erstexposition), der bewirkt, dass sich der Körper in einem Kreislauf verfängt, welcher mit erhöhten Stickoxid Werten, einer erhöhten Produktion von freien Radikalen (oxidativer Stress) und chronischen Entzündungen verbunden ist, und wiederum mit einer ausgeprägten Sensitivität von Gehirn und zentralem Nervensystem gegenüber „normalen“ Stimuli (mittels NMDA-Rezeptor). (3)

Die gesamte aktuelle biomedizinische Forschung deutet darauf hin, daß exzessive chemische Belastungen, die das Entgiftungsvermögen des Körpers überfordern, bei dafür anfälligen Individuen zur Erkrankung an MCS führen können. Das trifft ungeachtet dessen zu, ob die Belastung akut und offensichtlich oder eher schleichend ist und als Niedrig-Exposition über einen verlängerten Zeitraum stattfindet.

Manche, die an MCS erkrankt sind, wissen ziemlich genau, wodurch ihre Erkrankung ausgelöst wurde. Akute Expositionen mit solchen Sachen wie Organophosphat- und Organochlor-Pestiziden, Formaldehyd oder verschiedenste stark wirksame industrielle Lösungsmittel sind eindeutige Beispiele.

MCS und das Golfkriegssyndrom haben vieles gemeinsam und dies überrascht kaum, weil das militärische Personal während der Operation „Desert Storm“ im Jahre 1991 einer hochgradig toxischen Umgebung ausgesetzt war.

In vielen Fällen beleibt der initiale Auslöser einer MCS-Erkrankung jedoch ein Geheimnis. Aus diesem Grunde habe ich beschlossen, nun auf ein paar Quellen chemischer Belastungen hinweisen, von denen Sie vielleicht nicht gedacht hätten, dass sie das Potential haben MCS auszulösen:

  1. Schimmelpilz – Wenn Menschen in Gebäuden mit Wasserschäden leben oder arbeiten und anschließend an MCS erkranken, kann Schimmel der erste Verdächtige sein. Dr. med. Lisa Nagy, eine führende Umweltärztin, hat ihre eigene Erkrankung auf Schimmel als Folge eines Wasserschadens in ihrer Wohnung zurück geführt. Schimmel und Mykotoxine (Schimmel- und Pilzgifte) in wassergeschädigten Gebäuden und deren biologische Wirkung sind gut erforscht. Es wurde festgestellt, dass sie die Produktion von Autoantikörpern auslösen, welche das Gehirn und das zentrale Nervensystem angreifen, periphere Neuropathien verursachen und zahlreiche neuropathologische Folgen haben, einschließlich veränderter Durchblutung und elektrischer Aktivität des Gehirns. (4)
  2. Kohlenmonoxid – Da es sich um ein farb- und geruchloses Gas handelt, kann eine Belastung mit Kohlenmonoxid (CO) über längere Zeit unentdeckt bleiben. Darum ist es wichtig, zu Hause CO-Detektoren einzubauen und Installationen wie gasbefeuerte Boiler regelmäßig warten zu lassen. Nach Pall ist CO-Belastung ein sehr wahrscheinlicher Auslöser für jene Abfolge pathophysiologischer Veränderungen, die zu MCS führen können und er hebt hervor, dass die Symptome einer CO-Vergiftung denen von MCS sehr sehr ähneln. (5)
  3. Candida Hefepilz Überwucherung – Oberflächlich betrachtet könnte ein übermäßiges intestinales Wachstum des Candida Hefepilzes die am wenigsten augenfällige Quelle einer toxisch chemischen Belastung sein, welche zu MCS führen kann. Doch bei vielen MCS-Kranken spricht einiges dafür, dass sie gleichzeitig an einer Störung ihrer Mikroflora im Darmtrakt leiden, die es der Hefe ermöglicht hat, sich weit auszubreiten. In Anbetracht der chemischen Gifte, die solche Hefen wie Candida sp. produzieren, da sie die Kohlenhydrate der Nahrung, die wir zu uns nehmen, fermentieren, leuchtet es in der Tat ein, dass sie in der Lage sind, wenn diese Toxine aus dem Darm in den Kreislauf absorbiert werden, das Gehirn zu vergiften und dass sie letztendlich zur Entstehung vom MCS beitragen könnten. Diese Mikroorganismen erzeugen Ethanol (Trinkalkohol), Acetaldehyd (ein chemisch Verwandter von Formaldehyd) und eine Menge andere Mykotoxine, die längst als neurotoxisch anerkannt sind.
  4. Zahnbehandlung – Viele MCS-Kranke erwähnen zahnärztliche Behandlungen als Auslöser ihrer Erkrankung. Amalgamfüllungen enthalten Quecksilber, ein bekanntes Neurotoxin und immer mehr Menschen beklagen, dass sie an chemischen Sensitivitäten erkrankt sind, nachdem sie sich neueren Methoden der Zahnkorrektur, wie Invisalign unterzogen haben. (siehe Teil 2)

Sicherlich gibt es noch viele andere versteckte Quellen toxischer Chemikalien, die eine MCS-Erkrankung bei jenen auslösen können, die auf Grund genetischer Eigenschaften und andere Faktoren dafür anfällig sind. Schließlich ist unsere Umwelt im 21. Jahrhundert mit solchen Chemikalien gut gesättigt.

Wenn Sie weitere Vorschläge haben, teilen Sie uns diese bitte unten im Kommentarformular mit. Sehr interessant wäre auch zu erfahren, was Ihrer Ansicht nach Ihre eigene MCS-Erkrankung ausgelöst hat.

Autor:

Matthew Hogg BSc (Hons) (Bachelor of Science mit Ehrenauszeichnung) für EiR The Environmental Illness Resource Blog, 08. August 2011

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

Quelle des Originalartikels: Causes of Multiple Chemical Sensitivity: Some You May Not Have Thought About

Copyright: The Environmental Illness Resource 2011

Referenzen:

  1. Caress SM and Steinemann AC (2004), Prevalence of Multiple Chemical Sensitivities: A Population-Based Study in the Southeastern United States, American Journal of Public Health 94(5): 746–7
  2. Gilbert ME (2001), Does the kindling model of epilepsy contribute to our understanding of multiple chemical sensitivity? Annals of the New York Academy of Sciences 933:68-9
  3. Pall ML, The NO! OH NOO! Theory and Suggestions For Treatment, EIR
  4. Lisa Nagy, Neurological and Immunological Problems associated with Mold and Mycotoxin Exposure, EIR
  5. Pall ML (2002), NMDA sensitization and stimulation by peroxynitrite, nitric oxide, and organic solvents as the mechanism of chemical sensitivity in multiple chemical sensitivity, FASEB Journal 16(11):1407-17

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Radioaktivität: Die Macht der Fahrlässigkeit

Ganze Wohnviertel radioaktiv verstrahlt

Es war September 1987, als der wahrgewordene Alptraum die brasilianische Stadt Goiânia heimsuchte. Bis heute wird versucht, dieses Schicksal, das dort mehreren Menschen das Leben kostete und hunderten weiteren Menschen ein unendlich großes Leid verschaffte, möglichst zu verschweigen. Es ereignete sich im Armenviertel der Stadt und kaum jemand hat hier in Europa wirklich je etwas davon erfahren. Die Auswirkungen dieses Unglücks sind bis heute aktuell und brisant.

Diebstahl für das blanke Überleben

Zwei jungen Männer, Wagner Mota und Roberto Santos Alves, grade einmal 19 und etwas über 20 Jahre jung, waren wie so oft auf einem Streifzug durch das nächtliche Viertel unterwegs. Auf der Suche nach Gegenständen, die sie zu Geld machen könnten. Sie hatten sich auf das Sammeln von Altmetall und Papierresten spezialisiert, um dies bei einem Schrotthändler gegen Geld einzutauschen. Manche mögen diese beiden jungen Männer als Diebe bezeichnen, doch das macht ihr Schicksal nicht einfacher. Sie waren verzweifelt und zu Hause warteten ihre Familien auf ein Stück Lebenskraft. Die Nahrungsmittel und das Trinkwasser waren knapp und fast unerschwinglich.

Strahlender Sondermüll

Es war ein wunderschöner Abend des 13. September 1987, als die Beiden in das verlassene Goiânische Institut für Radiotherapie eindrangen. Dieses Institut war eine verlassene Privatklinik in der Stadt, dort entwendeten sie mit einer Schubkarre ein seit zwei Jahren ausgedientes Strahlentherapiegerät, weil sie das Metall für wertvoll hielten und nicht wussten, was es für ein Gerät war. Beide hatten so ein Gerät niemals zuvor gesehen, denn eigentlich müssen diese Geräte als Sondermüll entsorgt werden und kaum ein Armer bekommt so etwas jemals zu Gesicht, da sich diese Menschen kostenaufwendige Therapien nicht leisten können. Die Entsorgung dieses Gerätes hätte eigentlich durch die 4 ärztlichen Leiter der Privatklinik stattfinden müssen, diese hatten das Gerät jedoch sich selbst überlassen, vermutlich aufgrund der hohen Entsorgungskosten. Wagner und Roberto schoben das Gerät mit Hilfe ihrer Schubkarre in Robertos Hinterhof und fingen an, es nach und nach auseinander zu bauen.

Leuchtendes Pulver

Es gelang ihnen nicht, das Gerät vollständig ganz klein zu hauen und in Einzelstücke auseinander zu nehmen. Nach fast zwei Wochen, nachdem sie das Gerät entdeckten und mitnahmen, versagten ihre Kräfte immer mehr und sie wurden krank. Sie verkauften das Gerät am 25. September kurzerhand komplett, an den Schrotthändler Desair Ferreira, um daraus wie üblich Profit zu schlagen. Der Schrotthändler fing an das Gerät eigenhändig mit seinem eigenem Werkszeug weiter auseinander zu bauen. Er entdeckte in dem Gerät einen Bleibehälter, diesen schlug er mit einem Meißel auf und entdeckte darin ein Pulver, das in der Dämmerung wunderschön leuchtete. So etwas Schönes hatte er vorher noch nie gesehen, er rief seine Frau, seine Nachbarn und alle herbei. Von diesem herrlich leuchtenden Pulver waren alle sehr begeistert, wie Kinder die ganz besondere Süßigkeiten entdeckten, wollten nun alle etwas von dem leuchtendem Pulver haben, das aussah wie Salz und fast wie von selbst auf der Haut kleben blieb.

Spaß, so kostbar wie ein Diamant

Sie rieben sich damit ein, malten sich Herzchen auf die Backen, Sterne auf die Stirn, sie zeichneten Zeichen auf die Wände, sie tanzten, lachten, waren fröhlich wie schon so lange nicht mehr in ihrem armen trostlosem Leben, das vom schweren Alltag der brasilianischen Slums gezeichnet war. Endlich hatten sie etwas, was niemand zuvor jemals gesehen hatte, etwas das ihnen vielleicht ein bisschen Glück bringt, etwas wie ein kostbarer Diamant. Das musste gefeiert werden. Es wurde aus den letzten Habgütern ein Abendessen organisiert, dieser Abend sollte der schönste Abend ihres Lebens werden.

Rätselhafte Erkrankung im Slum

Plötzlich wurden alle Menschen krank. Maria Gabriela Ferreira, die Frau des Schrotthändlers, bemerkte, dass diese Erkrankung aller Freunde gleichzeitig auftrat. Sie führte es zuerst auf ein gemeinsames Getränk des Abends zurück. Alle litten unter Erbrechen, Durchfall, Fieber, Hautausschläge und vieles mehr. Man dachte an eine Lebensmittelvergiftung, oder an eine neuartige Tropenkrankheit, an Allergien, an alles Mögliche, nur nicht an das Eine, das Undenkbare. Die konsultierten Ärzte tappten im Dunkeln, sie waren völlig ratlos, fanden keine Viren und keine Bakterien, keine Anzeichen einer Immunreaktion. Diese plötzliche Erkrankung war ein großes Rätsel.

Das schöne Pulver in Verdacht

Am 28. September verdächtigte die Frau des Schrotthändlers, Maria Gabriela Ferreira, das schöne Pulver als Krankheitsursache. Sie brachte den Bleibehälter, worin sich das Pulver befand, in ein Krankenhaus. Der diensthabende Arzt vermutete sofort korrekterweise, dass es sich bei dem Pulver um radioaktives Cäsium-137 handeln könnte. Er brachte den Behälter außerhalb des Krankenhauses in den Garten. Maria hatte den Behälter zum Glück während des Transportes in das Krankenhaus nicht geöffnet, sie transportierte den Behälter in einer Plastiktüte im Bus und hatte ihn auch im Krankenhaus nicht geöffnet, was vielen Menschen das Leben rettete. Aus dem Behälter waren bis dahin ca. 90% der Radioaktivität entwichen. Laut offiziellen Angaben war die Strahlung im Bus nicht gesundheitsgefährdend.

Ganze Viertel verstrahlt

Einen Tag später, am 29. September 1987, wurde durch den Spezialisten Walter Mendes mittels eines Szintillationszählers die Verstrahlung der Familie Ferreiras und deren Wohnumgebung festgestellt. Das gesamte Viertel war betroffen. Die Radioaktivität war über mehrere Wohnbezirke verschleppt worden, ganze Straßenzüge und Plätze waren kontaminiert. Zuerst hieß es, die Strahlenwerte seien nicht gravierend. Die Regierung wurde beschuldigt, der Zivilbevölkerung alarmierende Daten vorzuenthalten, um den Unfall zu vertuschen. Vor allem auch zu vertuschen, dass die Klinik das Gerät nicht sorgfaltsmäßig entsorgte.

Tote und schwer Verletzte – alles unter Kontrolle

Die fast 2.000 Menschen der unmittelbaren Umgebung wurden in das naheliegende Olympiastadion gebracht und dort versorgt. In der Zwischenzeit erlitten zahlreiche Personen zum Teil so hohe Strahlendosen, dass vier Personen in unmittelbarer Zeit starben und 28 Personen strahlungsbedingte Hautverbrennungen erlitten. Die am schwersten verstrahlten Opfer, darunter auch Kinder, wurden in einem der Krankenhäuser der Stadt in einem leer geräumten Flügel separiert abgeliefert, sie blieben dort zunächst ganz auf sich allein gestellt. Ärzte und Pfleger wagten sich nicht zu ihnen, wegen der hohen Strahlung, die von diesen kontraminierten Patienten ausgingen. Die Behörden, die viel zu lange versucht hatten den Vorfall möglichst vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, versuchten sich in Beschwichtigung. Man habe die Lage unter Kontrolle, alles sei in Ordnung, es gebe keinerlei Strahlungsgefahr.

Verstrahlte Menschen und Tiere, kontaminierte Häuser und Plätze

Insgesamt wurden in den darauffolgenden Wochen 112.800 Personen untersucht, 249 wurden als kontraminiert ermittelt. Von den Häusern der Umgebung wurden 85 Häuser als kontaminiert ermittelt, davon waren 41 Häuser massiv kontaminiert und wurden letztendlich komplett abgerissen. Die Tiere der Familien mussten getötet werden, der Boden von Gärten und öffentlichen Parkanlagen abgetragen, Grundstücke zubetoniert. Das Leben war noch schlechter geworden, als es in diesem Alptraum sowieso schon war. Vierzehn stark verstrahlte Patienten wurden schließlich nach Rio de Janeiro ins dortige Marinehospital geflogen, wo ein internationales Spezialisten-Team, das auf Strahlenschäden durch Kriegsverletzungen spezialisiert ist, auf sie wartete. Vier Patienten kehrten schon kurze Zeit später in schweren Bleisärgen zurück, sie waren an den Folgen der Kontamination verstorben. Darunter auch die kleine Tochter der Familie des Schrotthändlers, Leide Ferreira. Sie verstarb am 23. Oktober, nur wenige Wochen nach dem Unglück. Leide war das allererste Todesopfer dieser schweren Tragödie. Sie wurde nur 6 Jahre alt.

Qualvoller Strahlentod

Wenige Stunden nach ihr verstarben ihre Mutter, Maria Gabriela Ferreira (38), die Frau des Schrotthändlers. Sie starb ebenso qualvoll an inneren Blutungen und multiplem Organversagen, wie ihre kleine Tochter Leide. Kurz darauf starben auch die zwei jungen Gesellen des Schrotthändlers, Admilson und Israel, die beiden wurden nur 18 und 22 Jahre alt. Ihr Tod war ebenfalls aufgrund der Strahlenkrankheit furchtbar qualvoll.

Ausschreitungen auf Beerdigungen

Die Beerdigungen verliefen ebenso schrecklich, so als wenn das alles was geschehen war, nicht schon genug des Alptraumes war. Mitten in der Trauer kam es auf dem Friedhof zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen tausende Menschen aus Wut, Verunsicherung und Angst vor weiterer Verseuchung, gegen die Beerdigung und die Familie demonstrierten. Sie warfen Steine, schlugen mit Knüppel auf die Särge und den Trauerzug. Die Spezialsärge bestanden jedoch aus einem Bleimantel, so dass keine Radioaktivität ausweichen konnte, sie wogen bis zu 700 kg und mussten mit Hilfe eines Krans in die vorbereiteten Betongruben versenkt werden und vollständig einbetoniert werden.

Fahrlässigkeit verursachte jahrzehntelange, andauernde Folgen

Noch heute leiden die Menschen, die in diesem Gebiet wohnen, unter den gesundheitlichen Folgen der Strahlenbelastung, nur weil ein unverantwortlich arbeitendes medizinisches Personal aus der Privatklinik sich nicht um die Entsorgung des hochgefährlichen Strahlentherapiegerätes kümmerte und dies der unwissenden Zivilbevölkerung zum Verhängnis wurde.

Nichts kann dieses Schicksal rechtfertigen. Auch nicht das Argument, dass das Gerät von zwei jungen Männern aus ihrer Armut heraus, aus einem leer stehenden Abrissgebäude gestohlen wurde. Ein solches Gerät gehört, genau wie andere Gefahrgüter, sachgemäß entsorgt. Die vier Ärzte, die verantwortlich für das Gerät waren, wurden von der Stadt verklagt.

Autor: Chris B. für CSN – Chemical Sensitivity Network, 5. August 2011

Informationsquellen, Dokumentationen: „Cesio 137“ – „Goiânia 1987“

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Hamburger Klinikum kann ab sofort MCS-Patienten und Umweltkranke aufnehmen

Schadstoffkontrollierte Krankenzimmer

Endlich gibt es in Deutschland ein Krankenhaus, das über speziell eingerichtete schadstoff- und allergenkontrollierte Krankenzimmer verfügt. Jahrelang haben vor allem an MCS Erkrankte um Krankenzimmer gebeten, die den besonderen Bedürfnissen dieser Patientengruppe wenigstens annähernd gerecht werden. Jetzt gibt es drei „Umweltbetten“, für ganz Deutschland. Wenngleich dies zu wenig ist und die Klinik im Norden von Deutschland nicht für jeden der Erkrankten erreichbar, ist es ein großer Fortschritt.

Umweltkontrollierte Krankenzimmer in Hamburger Klinikum

Im März 2011 hatte ein Hamburger Klinikum angekündigt, dass man im fertiggestellten Klinikneubau zwei Krankenzimmer einrichte, die für die besonderen Bedürfnissen von Umweltkranken und Multiallergikern geeignet wären. Bis die Klinik signalisieren konnte, dass die mit viel Sorgfalt ausgebauten Zimmer Patienten aufnehmen können, vergingen weitere vier Monate. Die beiden Umweltkrankenzimmer sind ein Hoffnungsschimmer für Chemikaliensensible aus ganz Deutschland. Leichte bis mittelschwere Fälle können sich in der Hamburger Klinik Operationen, medizinischen Eingriffen und spezieller Diagnostik unterziehen.

Umweltkranke können nun ins Krankenhaus

Seit Mitte Juli 2011 ist das Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg (DKH) in der Lage die drei Betten der beiden „Umweltzimmer“ mit MCS-, Umweltpatienten und Multiallergikern belegen zu können. Der Umweltzimmerbereich gehört zur Abteilung der Inneren Medizin in dem seit Februar geöffneten herkömmlich erbauten Regelklinikum mit 360 Betten.

Nähere Einzelheiten:

Hamburger Krankenhaus bietet Zimmer für Patienten mit MCS und Umweltkrankheiten

Kriterien zur Aufnahme im Umwelt-Krankenzimmer

Das DKH ist ein Klinikum, das viele verschiedene Fachbereiche abdeckt und an dem auch Operationen durchgeführt werden. Es handelt sich nicht um eine Umweltklinik und es werden keine umweltmedizinischen Therapien oder Behandlungen durchgeführt, sondern schulmedizinische Interventionen, die auf die jeweilige medizinische Indikation hin ausgerichtet werden. Das Klinikpersonal, mit dem die Umweltpatienten in Kontakt kommen, ist speziell geschult, vermeidet es Duftstoffe zu benutzen und ist bestrebt, den umweltkranken Patienten im Rahmen des Machbaren zu helfen.

Ärztliche Krankenhauseinweisung erforderlich

Zur Aufnahme in den „Umweltzimmern“ benötigt der Patient eine hausärztliche Krankenhauseinweisung. Der Patient oder der einweisende Arzt ruft in der Zentrale des DKH unter Tel: 040-79020-0 an und lässt sich zum Bettenmangement durchstellen. Dort wird der Einweisungsgrund genannt und erklärt, dass ein MCS-, Umweltpatient oder Multiallergiker eine Unterbringung in den „Umweltzimmern“ wünscht. Für die Aufnahme muss der Patient einen ärztlichen Nachweis vorlegen, der ihn als MCS- und Umweltpatient/Multiallergiker ausweist, z. B. ein MCS-Pass oder ärztlicher Befund. In den „Umweltzimmern“ sollen nur Patienten mit umweltbezogenen Erkrankungen als Nebendiagnose aufgenommen werden.

Belegung der Umwelt-Krankenzimmer

Da das DKH mit der Versorgung von MCS-, Umweltpatienten und Multiallergikern Neuland betritt, sollten gerade die Patienten der ersten Wochen dies bedenken, falls am Anfang nicht gleich alles reibungslos funktioniert. Um diese Anfangsphase so unproblematisch wie möglich zu gestalten, ist höchste Kooperation von allen Beteiligten gefragt. Die Hamburger SHG MCS & CFS hält es von daher auch in der Anfangsphase für sinnvoll, wenn nicht die empfindlichsten MCS-Patienten als erstes aufgenommen werden, so lange bis Erfahrungsberichte vorliegen. Diese Vorgehensweise ermöglicht, dass unvorhersehbare Probleme beseitigt werden können. Die Mitarbeiter des DKH sind motiviert, den Umweltpatienten den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten und bitten ausdrücklich um Anregungen und Verbesserungsvorschläge.

Umweltbetten müssen ausgelastet sein

Der Erfolg des Projektes hängt u.a. von der Belegung der Betten ab. Die Hamburger SHG für MCS & CFS teilt deshalb mit, dass für ein dauerhaftes Belegen der Betten mit Umweltpatienten eine ausreichende Nachfrage notwendig ist. Selbsthilfegruppen für MCS und CFS Kranke, Organisationen für Allergiker und Ärzteverbände sind daher aufgerufen ihre Mitgliedern über die Hamburger Umweltzimmer im Agaplesion Diakonieklinikum und die medizinischen Möglichkeiten des Klinikums zu informieren.

Selbsthilfegruppe unterstützt bei Fragen

Die Hamburger SHG Umweltkrankheiten MCS & CFS bietet an, Fragen zu den „Umweltzimmern“ von akut krankenhausbedürftigen MCS- und Umweltpatienten/ Multiallergikern oder bereits aufgenommener Patienten zu beantworten. Es sei darauf hingewiesen, dass die Organisatoren der Selbsthilfegruppe ebenfalls erkrankt sind und aufgrund der eigenen begrenzten Leistungsfähigkeit Anfragen vornehmlich unter der Faxnummer 040-63975226 oder per E-Mail unter shg-umweltkrankheiten-hh@gmx.de entgegennehmen. In sehr dringenden Fällen kann die Selbsthilfegruppe auch telefonisch unter 040-6300936 erreicht werden.

Kooperativ dem Pilotprojekt zum Erfolg verhelfen

Die Hamburger Umwelt-Krankenzimmer sind die Ersten ihrer Art in Deutschland, das bedeutet, in der Anlaufphase ist höchste Kooperation eines der wichtigsten Kriterien um dem Pilotprojekt zum Erfolg zu verhelfen. Die SHG Umweltkrankheiten MCS & CFS – Hamburg ist sehr auf die Erfahrungen von Patienten der „Umweltzimmer“ angewiesen, um deren Verbesserungsvorschläge und Eindrücke mit dem DKH zu besprechen und bittet nach dem Aufenthalt in den „Umweltzimmern“ um Rückmeldung. Konstruktives Feedback von Patientenseite wird mithelfen, dass dieses Projekt für Umweltkranken aus ganz Deutschland im Falle der Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthaltes eine Perspektive wird.

Patienteninformation: Patienteninfo für MCS- und Umweltkranke / Multiallergiker

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 23.07.2011

Literatur:

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Verflucht, ich akzeptiere nicht, dass mein Leben gelaufen ist!

Lasst mich doch leben!

Patrick ist 19, auf dem Kleiderschrank liegt seine American Football-Ausrüstung, in der Ecke seines Zimmers steht seine E-Gitarre und auf dem Regal liegen die genialen Texte, die er schrieb. Seine Songs haben Aussage, keine abgewandelten, banalen Coverversionen von irgendwelchen abgedroschenen Songs, die irgendwann in den Charts oben waren. Nix da, Patricks Musik geht zur Sache und lässt unmissverständlich durchblicken, dass der Songschreiber kein Weichei ist, sondern selbstbewusst und dass er etwas auf dem Kasten hat. Als Patrick die Songs und die Musik dazu niederschrieb, ging er aufs Gymnasium, was kein Problem darstellte, weil ihm die Lehrinhalte eher zufielen. Ein Klacks und schließlich gibt es auch noch ein Leben neben der Schule. Seine Kumpels waren genauso drauf. Das Leben ist da, um gelebt zu werden! War da um gelebt zu werden, denn die American Football-Ausrüstung, die Gitarre, die angefangenen CD-Aufnahmen und die Songbücher im Regal sind unübersehbar angestaubt.

Das war mal

Wenn Patrick in seinem Zimmer auf dem Bett liegt, kommt es ihm vor, als sei es vor Jahrzehnten gewesen, als er das letzte Mal mit den Kumpels aus seiner Band auf der Bühne stand. Manchmal hat er noch diese Flashes, er sieht die Gesichter der Mädels vor der Bühne, glühend, ehrfürchtig hochschauend und von ihrer verdammt guten Musik ergriffen. Wenn diese Flashes kommen, dreht Patrick sich um, er will sich nicht mehr an das, was war, an das Leben erinnern, ohne augenblicklich wieder so leben zu können. Am liebsten würde Patrick dann schreien, richtig laut schreien, damit alle es hören können:

„Mein Körper und meine Schmerzen halten mich gefangen, lassen nicht zu, das ich so leben kann wie die anderen. Ein kaputter Körper macht mich zum Krüppel. Er zwingt mich, immer wieder Dinge nicht zu tun, die ich gerne tun möchte. Aber ich will leben.“

Ursachen und Auswirkungen

Patrick ist durch Chemikalien erkrankt und sein Körper hat eine extreme Form von Chemikalien-Sensitivität (MCS) entwickelt. Manche Chemikalien sind dazu imstande, den Körper zu sensibilisieren. In der Medizin ist dies von einigen Chemikalien gut bekannt, Formaldehyd, Isocyanate und auch einige Pestizide sind dazu in der Lage. Was bei Patrick alles eine Rolle spielte, dass er jetzt so da hängt, weiß man nicht, aber man kann es erahnen. Sein Vater war Chemiker und hatte 30 Jahre mit Chemikalien Kontakt, die in der Lage sind, Gene zu schädigen. Was bei jahrelanger Arbeit aufsummiert und welchen Effekt die zahllosen, oft nicht gerade harmlosen Chemiecocktails hatten, denen Patricks Vater ausgesetzt war, das vermag niemand präzise zu definieren. Fakt ist, dass der Vater von Patrick wegen toxisch bedingter Gesundheitsschäden nicht mehr arbeiten kann und schwer krank ist. Dann ist da das Haus, in dem sie leben. Siebenmal hatten sie Hochwasser. Der Schimmel an den Wänden wurde großflächig mit Chlor abgewaschen. Eine hochgiftige Chemikalie. Von den Holzschutzmitteln im Haus ganz abgesehen, auch sie hatten mit Gewissheit Part am Zustand, in dem Patrick sich jetzt befindet.

Andere haben wenigstens gelebt

Das Durchschnittsalter bei Menschen, die chemikaliensensibel sind, liegt bei 35-45 Jahren gemäß Studien. Es gibt auch Erkrankte, die wesentlich älter sind und welche, die noch Kleinkind sind, aber die Mehrzahl der Erkrankten hatte ein Leben vor MCS. Bei Patrick ist es anders:

„Entschuldigt, ich will keinem weh tun, aber die anderen MCS-Kranken durften ihr Leben vorher leben (Jugend, Schule, Ausbildung, Reisen, Freunde, Partnerschaft etc.) und erleben, aber mir ist alles von Anfang an verwehrt. Die schönste Zeit des Lebens, meine Jugend ist mir nicht vergönnt, im Gegenteil, ich gehe durch die Hölle, aber das interessiert niemanden, weil man mir nicht glaubt.

Ciao Buddy

Nachdem Patrick völlig zusammenbrach, war das Mitgefühl der Kumpels und Mitschüler erst groß. Sie kamen ihn auch besuchen und versorgten ihn mit Infos aus der Schule. Das gab ihm die Möglichkeit, seine Schule eine Zeitlang weiterzumachen. Als das nicht mehr ging, versuchte er es über die Fernschule per Internet. War, denn auch das ist vorbei. Es kommt keiner mehr, es ruft auch keiner mehr an. Wenn Patrick ganz kurz keine dieser unerträglichen Schmerzen hat, dann realisiert er, dass er für die anderen, bis auf zwei, so eingestaubt ist wie seine Gitarre ist. Auch für seine damalige Freundin, mit der er ein Leben aufbauen wollte. Sie lebt ihr Leben ohne ihn, mit wem auch immer. Dieses Realisieren schmerzt auf einer anderen Ebene als die unerträglichen körperlichen Schmerzen und Patrick ist wütend deswegen:

„Ich lasse nicht zu, es kann und darf nicht sein, dass ich da draußen vergessen werde, nicht existiere. Es darf nicht sein, das mein Kampf umsonst ist.“

„All das, was ich erreicht habe, lasse ich mir nicht zerstören.“

„Ich habe mich damit abgefunden, dass ich wohl immer allein bleiben und leben werde. Für diese Art Erkrankung zeigt niemand Verständnis, im Gegenteil, man wird umgehend ausgegrenzt. Wie bitteschön soll ich da jemanden kennenlernen, die es wirklich ernst meint? Welches Mädchen, welche junge Frau ist bereit solch ein Opfer zu bringen und wie soll ich sie finden, wenn ich ein Leben in der Isolation leben muss? Vergiss es. Dies gilt auch für andere Freundschaften.“

„Obwohl ich immer wieder bei verschiedenen Personen, die mir früher hinsichtlich Freundschaft was bedeutet haben, nachhakte. Bis auf zwei Freunde ist keiner mehr übrig – ich habe immer alles gegeben und nun… einfach fallengelassen, da man ja nicht mithalten kann und all das andere denen zu nervig und zu kompliziert erscheint.“

Wenigstens mal raus gehen

Bei allem Unglück verloren Patrick und seine Eltern auch noch ihre treueste Weggefährtin. Patricks Mutter hat einen neuen Hund angeschafft, damit ihr Sohn etwas Leben im Haus hat und Trost durch das liebe Tier findet. Die Entscheidung war gut, denn der Hund liebt Patrick sehr und er ihn:

„So gerne würde ich mal für ein paar Stunden einfach nur in die Natur, mit unserem Hund zum Training oder einfach nur mit ihm richtig spielen, noch nicht einmal das ist mir vergönnt.“

Oder einfach in die Saiten hauen und den Frust raus lassen

Wenn Patrick früher einmal Frust hatte, dann war das nicht zu überhören. Er griff seine Gitarre und ließ bildlich gesehen die Fetzen fliegen und sang, dass die Wände bebten. Das kam nicht oft vor, aber wenn, dann wusste jeder im Haus nach zwei Minuten Bescheid. Musik ist eben Leben und sich ausdrücken, raus lassen was auf der Seele drückt. Aber selbst dass, den Frust, die Wut und die Enttäuschung raus lassen, ist für Patrick nicht möglich:

„Gitarre spielen und Singen bedeutet mir so viel, aber auch das lässt mein verfluchter Körper nicht zu. Die Muskelschwäche und Schmerzen bremsen mich immer wieder aus. Vom Sport ganz zu schweigen – Mein Traum vom American Football ist vorbei.“

MCS bedeutet im schwersten Stadium ein „Leben“ in völlige Isolation

Patrick gehört zu den MCS Kranken, denen ein Leben außerhalb der eigenen vier Wände nicht möglich ist. Nicht zu verwechseln, dass diese Menschen nicht unter anderen sein wollen, im Gegenteil der Wunsch und Drang mit anderen etwas zu unternehmen besteht jeden Tag rund um die Uhr. Es ist kein psychisches Problem oder Menschenscheu, der Körper geht auf die Barrikaden, wenn er Chemikalien ausgesetzt ist und das ist man, wenn man seine vier Wände verlässt, zwangsläufig. Autoabgase, Heizungsabgase, parfümierte Mitmenschen, Häuser, aus denen der Weichspülermief wabert. Alles Chemiecocktails, die einem schwer chemikaliensensiblen Menschen kaum eine Chance lassen, sich länger darin zu bewegen.

Extreme Schmerzen, Krampfanfälle, Atembeschwerden, Kollaps, Bewusstlosigkeit, dass kann ein kurzer Kontakt mit der Außenwelt zur Folge haben. Gleiches gilt für Besuch. Kommt jemand zu Besuch, kann die Freude darüber bei jemandem, der so schwer wie Patrick betroffen ist, schnell in ein Desaster münden. Das Deo nicht weggelassen oder Rückstände aus der chemischen Reinigung in der Jacke, Weichspüler, der nicht raus zu waschen war und Dinge die der Besuch selbst nicht wahrnahm. Völliger Schwachsinn? Mitnichten, wer sich die Mühe macht und die Inhaltsstoffe solcher „Alltagsprodukte“ anschaut, ist im Stande, den Umkehrschluss zu ziehen und erkennt, dass die Reaktionen eine nachvollziehbare Konsequenz darstellen bei einem Menschen, dessen Körper hypersensibilisiert ist. Aber wer macht sich diese Mühe? Nicht einmal die meisten Ärzte. Teils aus Unkenntnis, weil sie nie etwas von der Erkrankung gehört haben, teils aus Ignoranz und schlichtem Zeitmangel. Und wenn Ärzte sich nicht schlaumachen und die Krankheit aus Bequemlichkeit als Marotte deklarieren, wie sollen ganz normale Mitmenschen sie dann verstehen?

Patricks Meinung über MCS:

„MCS ist die schlimmste Krankheit, die es gibt, manchmal wünsche ich mir, ich wäre querschnittsgelähmt. Ich weiß das klingt hart, aber da wäre ich nicht so isoliert, alleingelassen, unglaubwürdig und hätte keine Schmerzen. Ich könnte trotz diesem Handikap fast überall hin, reisen, Konzerte besuchen, Freunde treffen, meine Ausbildung evtl. machen und, und, und.“

Die ganze Familie ruiniert

Patricks Eltern sind bereit, alles für ihren Sohn zu tun, damit er sein Leben zurückbekommt. Aber MCS ist zu komplex, dass man die Krankheit mit Schulmedizin und ein paar Naturheilmitteln, etc. bekämpfen kann. Es muss als Erstes ein cleanes Wohnumfeld her. Patrick, als auch sein Vater, bräuchten Wohnraum, der so weitgehend wie möglich chemie- und schimmelfrei ist. Aber wie realisiert man das? Das Haus, in dem sie ihre Wohnung haben, gehört den Großeltern, wegen der Erkrankung von Patricks Vater ist finanziell kein Sprung mehr zu machen.

Hilfe durch Behörden? Nein

Eigentlich wäre Patrick ein Fall für die Behörden, um Hilfe zu erhalten. Aber weil er keinen Schulabschluss hat, gibt es auch keine finanzielle Unterstützung, keine Grundsicherung; das ist für den jungen Mann entwürdigend. Seine Mutter sagt:

„Wir kriegen von nirgendwoher Hilfe, ganz im Gegenteil. Wir werden schikaniert von den Behörden und man stellt Forderungen an Patrick, die er nicht erfüllen kann. Jeder, der bis drei zählen kann, muss das einsehen. Aber niemand macht sich die Mühe, das Elend anzuschauen, stattdessen bekommt man Beschlüsse, die jeglicher Menschlichkeit entbehren. Ja, und quasi existiert Patrick nur auf dem Ausweis. Die Krankheit meiner beiden Männer hat uns ruiniert und die, die es wissen und ändern könnten, schauen einfach zu!“

„Viele fragen mich, wie kann das gehen, diese totale Isolation seit über 2 Jahren. Sie sagen zu mir: „da würde ich verrückt,…. also ich würde durchdrehen,…das stelle ich mir schlimm vor, und, und…“ Sie fragen auch: „Woher nimmt Patrick, woher nehmt ihr die Kraft?“

Die Antwort von Patricks Mutter: „Man kann so leben, Ihr seht es ja an Patrick und an uns. Irgendwie sind wir wohl Kämpfernaturen und was wollen wir tun außer tapfer und mutig zu sein und einen starken Willen zum überleben hochzuhalten? Der Kampf um die Gerechtigkeit macht einen zusätzlich stark.“ Das ist, was Patricks Mutter nach außen sagt, aber in ihrem Inneren denkt sie oft, wie lange spielt der Körper, sprich, der Herzmuskel da noch mit? Jeden Tag steht sie rund um die Uhr ihren „Mann“. Jeder Tag ist eigentlich ein Überlebenskampf. Für Patrick, als auch für seinen Vater.

Wunsch: Eine menschliche Entscheidung

Das, was Patrick und seine Eltern seit März 2009 zuteilwurde, ist erschütternd. Seine Eltern hatten mit ihm zusammen einen Antrag zur Feststellung seines Behinderungsgrades gestellt. Jetzt soll ein Gerichtsbeschluss dazu führen, dass der 19 -jährige Mann, der den ganzen Tag unter unerträglichen Schmerzen und Reaktionen leidet, in ein chemikaliengeschwängertes Krankenhaus soll. Man sei dort auf Notfälle eingerichtet.

  • Was, wenn er dort, wie vom Medizinischen her zu erwarten, völlig kollabiert? Wer trägt dann dafür die Verantwortung?
  • Wer zahlt den Aufenthalt in einer Umweltklinik im Ausland, weil es in Deutschland keine gibt?
  • Kann man ihn mit Reanimierung und dem normalen Notfallprocedere wieder auf die Beine stellen?
  • Was, wenn nicht?

In Deutschland gibt es bekanntermaßen keine einzige Klinik, die Umweltbedingungen vorweisen kann, die einem schwer Chemikaliensensiblen auch nur annähernd entgegenkämen.

Bisher statt Hilfe nur Kosten verursacht

Der Verwaltungsaufwand, der bislang betrieben wurde, um Patrick, einem 19-Jahrigen mit ungebrochenem Lebenswillen, jegliche Hilfe zu verweigern, hat jetzt schon Unsummen gekostet. Rechtmäßig besteht die Möglichkeit Schwerkranke, die das Haus nicht verlassen können, in den eigenen vier Wänden zu begutachten. Für Patrick wäre es ein Akt von Menschlichkeit, dies zuzulassen. Damit wäre das untragbare Risiko für den jungen Mann, der nichts weiter möchte als dass seine Behinderung festgestellt wird, genommen. Seine Behinderung und seine Erkrankung ist feststellbar und nirgendwo besser als in seinem eigenen Zuhause, wo jeder sich mit eigenen Augen überzeugen kann, was die Krankheit vom Erkrankten und seiner Familie abfordert.

Autoren: Silvia K. Müller und Kira, CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. Juli 2011

Anm.: Patricks Unterlagen liegen CSN vollständig vor.

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Wissenschaftlerin über die Gefahren durch gefährlichen Schimmelpilz in Geschirrspülern

Viele Geschirrspülmaschinen beherbergen einen gefährlichen Pilz

Ein gefährlicher Pilz leistet uns ausgerechnet in jenen Haushaltsgeräten Gesellschaft, die dazu da sind, Geschirr zu reinigen und von Keimen zu befreien. Das schlimmste ist, dieser zählebige Pilz ist nahezu unzerstörbar. Die Mikrobiologin Nina Cimerman gibt dem Gastgeber Bruce Gellerman über den schwarzen Pilzbefall Auskunft, welcher die Gummierungen der meisten Geschirrspüler weltweit befallen hat.

Transkript eines Radio-Features:

GELLERMAN: Geschirrspüler sind dazu, da unser Geschirr zu säubern, aber es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass von dem, den wir besitzen, eine Gefahr für unsere Gesundheit ausgeht. Nach einer neuen Untersuchung waren die meisten Geschirrspüler aus 101 Ländern mit einem schwarzen Pilz oder anderen Fungien infiziert, die Menschen krank machen können. Nicht nur das, wie die Mikrobiologin Prof. Nina Cimerman von der Universität in Ljubljana berichtet, sind diese Mikroorganismen nahezu unzerstörbar.

CIMERMAN: Das fing alles mit meinem Geschirrspüler zu Hause an. Als ich einmal hinein sah, entdeckte ich darin etwas ziemlich schwarzes und schleimiges und beschloss, eine Probe davon zu nehmen, da ich mich für diese speziellen Mikroorganismen besonders interessiere. Ich untersuche sie normalerweise in hochsalinaren Umgebungen und in Gletschern der Arktis und das, was ich in meinem Geschirrspüler sah, kam mir bekannt vor. Darum entnahm ich eine Probe und nahm sie mit ins Labor, und dann untersuchten wir sie und stellten fest, dass wir diesen wirklich pathogenen schwarzen Pilz vor uns haben, bzw. dass ich den in meinem Geschirrspüler habe.

GELLERMAN: Fungien dieser Art kommen in Gletschern vor?

CIMERMAN: Ja, in Gletschern und wie ich bereits sagte, in der Arktis und in hypersalinen Umgebungen. Sie alle leben unter extremen Bedingungen. Ich sollte sagen, unter all den extremen Bedingungen ist der Geschirrspüler die aller extremste. Und als wir unsere Geschirrspüler-Studie durchführten, fanden wir heraus, dass es sich in Geschirrspülern überwiegend um den gefährlichsten Genotyp handelt, nämlich um Genotyp A.

GELLERMAN: Dieser Pilz – was kann der bei uns anrichten?

CIMERMAN: Nun, das hängt davon ab, wie er in unseren Körper gelangt. Wenn er z.B. über eine Schnittwunde herein kommt, also wenn Sie sich an einem kaputten Glas schneiden, das Sie aus dem Geschirrspüler heraus nehmen – würde er auf diese Art in Ihre Nervenbahn gelangen und sich über das Nervensystem verteilen, um schließlich im Hirn anzukommen, wo er Hirntumore verursacht. Der andere Weg in den Körper zu gelangen geht über die Nahrungsaufnahme, das ist möglich, weil er am gespülten Geschirr und Besteck haftet – die Magensäure kann ihm nichts anhaben. Der dritte Weg, in den Körper zu kommen, ist die Atemluft. So kann er in die Lunge gelangen. Das ist für Leute, die Mukoviszidose haben, besonders problematisch. Wir wissen, dass zwei von drei slowenischen Geschirrspülern, die wir mit Hilfe unserer studentischen Bevölkerung untersucht haben, infiziert sind. Was Geschirrspüler weltweit angeht, – wir haben Proben aus allen Kontinenten – ist es mehr als die Hälfte.

GELLERMAN: So besteht also aufgrund Ihrer Untersuchungen eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, daß mein Geschirrspüler tödlich ist – er versucht mich umzubringen.

CIMERMAN: (Lacht) Nun ja, ich neige dazu, dies zu bejahen, ja. Wenn Sie sehr gesund sind, haben sie sehr gute Aussichten, dass nichts passieren wird. Wenn Sie jedoch zu einer entsprechenden Gruppe gehören, z.B. ältere Menschen, Menschen mit geschwächtem Immunsystem, oder Säuglinge, oder kleine Kinder, die kein sehr leistungsfähiges Immunsystem haben, ja dann sind sie besonders gefährdet.

GELLERMAN: Wie kommen diese Pilze nun aber in meinen Geschirrspüler?

CIMERMAN: Wie dem auch sei, wir haben mit diesen Studien in der Tat heraus gefunden, dass sie über die Wasserleitung in den Geschirrspüler kommen. Und mit jedem Spülvorgang führen wir etwa 70 Liter Wasser zu. So ist dies ein guter Anreicherungsprozess. So kommen sie da hin, haben die richtige Temperatur, welche die Konkurrenz abtötet, haben die richtige Nahrung, und natürlich kommen sie sehr zahlreich, da es hier um 70 Liter Wasser geht.

GELLERMAN: Wenn diese Pilze also derart zäh sind und unter solchen extremen Bedingungen leben können, wie kann ich sie los werden?

CIMERMAN: Nun, das ist eine gute Frage und ich wünschte, ich wüsste, wie ich sie beantworten soll. Und nun wäre es natürlich sehr gut, irgend eine Stellungnahme von den Herstellern dieser Geräte zu haben – bisher hat mich niemand kontaktiert – ich meine jemand, der versuchen könnte, das Problem zu lösen. Ich vermute, eine Möglichkeit sie loszuwerden, – falls wir sie wirklich loswerden können – bestünde darin, wenn es z.B. Geschirrspüler mit einer regelmäßigen Prozedur gäbe, in welcher der Geschirrspüler gründlich aufgeheizt wird. Nämlich sehr heiß – sagen wir 100 Grad.

GELLERMAN: Sie meinen 100 Grad Celsius!

CIMERMAN: Ja. Und es müsste auch möglich sein, die Dichtungen abzumachen oder zu ersetzen, denn die schwarzen Gummidichtungen sind gute Nahrung für sie – sie mögen sie wirklich.

GELLERMAN: Sie fressen die Gummidichtungen in meinem Geschirrspüler.

CIMERMAN: Ja, und sie verstecken sich in den Gummidichtungen, sie nutzen sie als Schutz, sie machen solche kleinen Löcher und bevölkern diese Gummidichtungen – und so können sie sich auch dem Hitzeschock entziehen, dem wir sie ausgesetzt haben.

GELLERMAN: Wie wäre es z.B. mit Bleichmittel? [MMS?] Das soll alles abtöten, nicht?

CIMERMAN: Nun, wir haben leider keine Bleichmittel direkt auf diese Pilze oder die Gummidichtungen angewendet. Sie wissen doch, Bleichmittel und Nahrung – das ist keine so gute Kombination.

GELLERMAN: Sagen Sie, benutzen Sie ihren Geschirrspüler immer noch?

CIMERMAN: Nun ja, gewissermaßen… die letzte Zeit mache ich das öfter von Hand, zugegebenermaßen. Aber manchmal, wenn ich keine Lust habe, benutze ich ihn. Und bis jetzt haben wir überlebt.

GELLERMAN: Aus Ljubljana in Slowenien sprach Professor Nina Cimerman mit uns, nochmals herzlichen Dank.

CIMERMAN: Ich danke Ihnen!

Ein Feature von Living on Earth, Sendetermin war die 24. Woche im Juni 2011

© Copyright World Media Foundation

CSN dankt Living on Earth für die Genehmigung dieses Feature übersetzen zu dürfen.

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 27.06.2011

Das Feature nachhören

Pressemeldung zur Studie von EurekAlert!

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Umweltkrankheiten sind kein unerklärbares Mysterium

Krankheitsfaktor Schadstoffe in Innenräumen findet mehr Beachtung

Das Bewusstsein zur Erfassung der Wichtigkeit von unbelasteter Nahrung, schadstofffreien Produkten im Alltag und gesunder Wohnumgebung und unbelasteter Umwelt wächst weltweit. Besonders bemerkenswert sind Bestrebungen, die in jüngster Zeit in Norwegen zu beobachten sind. In diesem skandinavischen Land bemüht man sich, insbesondere Kinder besser vor Schadstoffen und Allergenen zu schützen. Einer der aktivsten Wegbereiter ist Kjell Aas, ein Professor im Ruhestand, der den norwegischen Allergie- und Asthma Verband mit seinem profunden Wissen unterstützt. Der Wissenschaftler ist bestrebt, Unwissenheit über Umwelt- und schadstoffbedingte Krankheiten aus dem Weg zu räumen. Auf allgemein verständliche Weise klärt er Behörden und die Bevölkerung auf.

Umweltkrankheiten sind kein Mysterium, sondern wissenschaftlich erklärbar

Für viele Mitmenschen ist es immer noch schwierig zu verstehen, dass verschmutzte Luft auch gesundheitliche Beschwerden und Symptome außerhalb der Atemwege verursachen kann. Die Forschung hat uns zwar bis heute nur bruchstückhafte Erklärungen geliefert, aber es gibt einige völlig nachvollziehbare Erklärungsmodelle und solide wissenschaftliche Erkenntnisse, denen Kjell Aas zu Allgemeinwissen verhelfen möchte.

Der Wissenschaftler Kjell Aas erläutert: „Die medizinische Wissenschaft hat es noch nicht geschafft, alle biochemischen Mechanismen hinter einer Krankheit zu erforschen. Das gilt ebenfalls für die sogenannten Umweltkrankheiten, z. B. Hyperaktivität, Migräne, Multiple Chemikalien Sensitivität (MCS). Was aber auf keinem Fall bedeutet, dass diese Umweltkrankheiten etwas Geheimnisvolles oder Unerklärbares sind oder gar, dass sie psychisch bedingt sind. Das kann durch eine oder mehrere biochemische Reaktionen erklärt werden. Sowohl die körperlichen als auch geistigen Funktionen und Tätigkeiten werden durch mehr oder weniger komplexe chemische Prozesse geregelt, deren Reaktionen abhängig von der Dosis und individuellen Toleranzschwellen sind.

Individuelle Biochemie gibt den Takt vor

Vom wissenschaftlichen Aspekt her, sagt Kjell Aas, müsse man verinnerlichen, dass unsere interne Biochemie sich auf die reibungslose Funktion einer Vielzahl von Zellen mit spezifischen betreibenden Rezeptoren und Signalanlagen, Tausenden von Enzymen und Co-Enzymen stützt. In diesen biochemischen Prozessen können hemmende und stimulierende Mechanismen und integrierte „Verstärker-Systeme“ zu erheblicher Wirkungsverstärkung führen.

Kjell Aas erklärt es für medizinische Laien so: „Jeder Mensch ist individuell und jeder von uns besitzt seine eigene individuelle Biochemie. Ein paar Milligramm Kokain können die Persönlichkeit und das emotionales Leben ändern“, sagt der Wissenschaftler und führt fort: „oder man denke an Alkohol, er kann die gleiche Wirkung haben, aber wie jeder weiß, ist die Toleranzschwelle bei jedem individuell verschieden.“

Die Luft, die wir tagtäglich atmen

Der Wissenschaftler erinnert in seinen veranschaulichenden Ausführungen daran, dass Erwachsene 12 bis 15 kg Luft pro Tag verbrauchen und dass die Luft, die wir einatmen, gasförmige Chemikalien in mehr oder weniger hoher Konzentration enthält. Einige dieser Gase verbinden sich mit anderen, wodurch sie schädlicher werden. Dazu gehören Ozon und weitere Gase, die zu Oxidationsprozessen führen.

Darüber hinaus enthält die Luft, die wir tagtäglich ohne Unterlass einatmen, Partikel. Wir atmen jede Stunde des Tages Millionen von Feinstoffpartikeln ein. Dazu gehören chemische Substanzen, die mit dem Feinstaub in der Lage sind, unsere Atemwege so leicht wie Gase zu passieren und vollständig in Blut, Lymphe und Gewebeflüssigkeit überzugehen, gibt der Wissenschaftler zu bedenken.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Besonderes Augenmerk möchte Kjell Aas auf Kinder richten und die derzeitigen Gegebenheiten für sie verbessern. Er begründet dies damit, dass Kinder ganz wenig vertragen und schnell krank werden können von Chemikalien. „Wir haben in unserem Körper verschiedene Zellen, erläutert der Wissenschaftler, „ welche alle auf chemischen Stoffen basieren, deshalb muss die Chemie stimmen, damit die Zellen richtig funktionieren und der Körper nicht krank wird.“

Der Norweger vertieft seine Erklärung und sagt: „Wenn ein unerwünschter chemischer Stoff eingeatmet wird, kommt das chemische Gleichgewicht und damit die Zellen durcheinander und wir werden krank. Die Zellen werden von diesen unerwünschten Chemikalien blockiert und können wichtige Botenstoffe nicht aussenden, die für unsere Gesundheit aber wichtig sind“.

Wer genauer über diese Aussagen von Kjell Aas nachzudenken beginnt, dem wird bewusst, dass wir als Konsequenz Kinder, deren Körper sich noch in Aufbau und Entwicklung befindet, besonders schützen müssen. Genau dieses Verständnis ist es, dass Kjell Aas in uns allen wecken möchte und dass wir alle beginnen entsprechend zu handeln. Der Norweger fordert daher abschließend, dass wir uns nachfolgenden wichtigen Aspekt wirklich verinnerlichen sollten:

„Die Luft in Räumen, die für Kinder akzeptabel ist, ist es auch für Erwachsene, aber eine Raumluft die für Erwachsene akzeptabel ist, kann Kinder schon krank machen.“

Autoren:

  • Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 1. Juli, 2011
  • Alena Jula, Just Nature, Norwegen

Literatur: Kjell Aas, Inneklima, Norwegen, Frühjahr 2011

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Asbest ist verboten, die Zahl der Opfer wächst trotzdem noch lange weiter

Das krebserregende Mineral lauert in Nachtspeicheröfen und vielen Produkten

Von 1980 bis 2004 starben in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt rund 11.000 Menschen an einer Asbest-bedingten Erkrankung. Die Zahl der jährlichen Opfer hat schon seit längerer Zeit die Tausender-Marke überschritten. Die Berufsgenossenschaften rechnen bei Asbest – bedingten Erkrankungen erst etwa ab dem Jahr 2015 mit dem Rückgang dieser Zahlen. Bis dahin werden nach Schätzungen bis zu 20.000 Todesopfer durch Asbest zu beklagen sein. Seit fast 2 Jahrzehnten ist die Herstellung und Verwendung asbesthaltiger Produkte in Deutschland verboten.

Asbest, das unvergängliche Mineral

Die Bezeichnung „Asbest“ kommt vom griechischen Wort „Asbestos“, was so viel wie unauslöschlich oder auch unvergänglich zu Deutsch heißt und im Gesamten eine Gruppe von feinfaserigen und natürlich vorkommenden Mineralien betitelt. Große Gruppenvertreter sind zum Beispiel die Amphibolasbeste oder auch der Serpentinasbest.

Asbeste

Amphibolasbest sind dunkle oder braune Asbeste, die man auch als Hornblende betitelt. Allgemein gehören zu dieser Asbestsorte fünf Vertreter:

  • Krokydolith (weitere Bezeichnung Riebeckite, Blauasbest, Kapasbest)
  • Aktinolith (weitere Bezeichnung Actonolith)
  • Tremolith
  • Anthophyllith
  • Amosit (weitere Bezeichnung Grunerit, Braunasbest)

Amosit – Braunasbest

Vorsicht ist bei der Betitelung „Amosit“ gegeben, weil dieser Begriff bzw. dessen Synonym „Braunasbest“, auch oftmals allgemein für alle Amphibolasbeste genutzt wird. Amphibolasbeste gelten als Magnesiasilikate, die neben dem Magnesium auch Calcium, Eisen und Natrium enthalten. Man findet diese Asbestarten vor allem in älteren Hitzeschutzverkleidungen, Brandschutzplatten, Bremsbelägen, Klebstoffen, Dichtungsmassen, Pflanzgefäßen, Wellplatten, Rohre und andere Asbestfaserprodukten aber auch in Bodenbelägen, Anstrichen, Kitten und Spritzmassen. Amphibolasbeste gelten als äußerst giftig und können zu sehr ernsten Gesundheitsschäden und selbst zu Krebs führen.

Serpentinasbest – Weißasbest

Serpentinasbest ist eine weiße oder hellgraue Asbestart, die auch als „Chrysotilasbest“ oder „Weißasbest“ betitelt wird. Diese Asbestsorte machte einmal 94% der Weltasbestproduktion aus. Im Gegensatz zu Amphibolasbest verfügt der Serpentinasbest über eine bessere Beständigkeit gegen Laugen, jedoch zeigt er sich als unbeständig gegenüber Säuren. Die Verwendung war aber nicht weniger vielfältig, als die seiner Verwandten, so findet man diesen Asbest auch in diversen alten Elektrogeräten, Nachtspeicheröfen, Asbestzementprodukten, Klebstoffen, Fußbodenbelägen und vielem mehr. Wie auch die Amphibolasbeste ist auch der Serpentinasbest äußerst giftig. Es besteht auch hier die Gefahr ernster Gesundheitsschäden bei längerer Exposition durch Einatmen und auch dieser Asbest erzeugt Krebserkrankungen.

Feinste Fasern bergen große Gefahr

Typisch für alle Asbestarten ist die leichte Zerfaserbarkeit und Spaltbarkeit zu feinsten Fasern, die über die Atemluft in den Organismus gelangen können. Wie angedeutet können diese Fasern beim Menschen Krebs auslösen und tun dies oftmals im Bereich der Atemwege und im Brust- und Bauchraum. Die ersten Krankheitserscheinungen treten jedoch in aller Regel nicht sofort auf. Noch nicht einmal Atemwegsreizungen müssen unabdinglich sofort auftreten. Zumeist merken die Geschädigten erst Jahre, nicht selten Jahrzehnte später, dass sie ernsthaft erkrankt sind. Die Gefahrenstoffverordnung stuft Asbest als besonders gefährlichen, krebserregenden Gefahrenstoff ein. Eben aus diesem Grunde wurde für alle Asbestsorten, die eben genannt wurden, die TRK (Technische Richtkonzentration) ausgesetzt wodurch Arbeitnehmer mit diesem Stoff nicht mehr in Kontakt kommen dürfen. Ausnahme in Bezug auf den Kontakt zu Arbeitnehmern stellen Sanierungsarbeiten dar, hier gilt ein TRK-Wert von 50.000 Fasern/m3 und eine Auslöseschwelle von 12.500 Fasern/m3. Die aktuellen Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) für den Umgang mit Asbest (Asbest Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten) finden Sie in der TRGS 519.

Eine kostenpflichtige Onlineversion zur TRGS ist hier zu finden: Umwelt-Online

Asbestverbot

In Deutschland sind z.B. Produkte aus Asbestzement seit dem 1.1.1992 verboten. Das europaweite Verbot in Bezug auf Asbest gilt seit dem 1.1.2005, was allerdings nicht heißt, dass heute bereits alle Gefahren gebannt sind. Große Mengen asbesthaltiger Baustoffe sind noch immer verbaut. Besonders kritisch sind Baustoffe, die nicht auf den ersten Blick mit dem Gefahrstoff Asbest in Verbindung gebracht werden. Hierzu zählen insbesondere asbesthaltige Fußbodenbeläge oder asbesthaltige Klebstoffe.

Ein Material mit fast unendlich vielen Einsatzmöglichkeiten

Früher wurde Asbest aufgrund seiner Eigenschaften, z.B. der nicht vorhandenen Brennbarkeit, oftmals im Bereich des Brandschutzes genutzt, aber auch für eine Reihe anderer Produkte. Grob kann man schreiben, dass zwei Produktgruppen aus Asbest hergestellt wurden; zum einen der Weichasbest, den man oft für Produkte wie Spritzasbest, Asbestpappen und Asbestpapier nutzte und den Hartasbest (Asbestzement), der für Produkte wie Asbestzementplatten, Bremsbeläge und asbesthaltige Dachplatten genutzt wurde. Bei schwachgebundenen asbesthaltigen Produkten (Weichasbest) beträgt der Asbestanteil in der Regel über 60%. Das heißt hier liegt ein sehr hoher Asbestgehalt vor, der auch nicht fest gebunden ist, und somit geht hiervon eine höhere gesundheitliche Gefahr aus wie bei Hartasbestprodukten, welche in der Regel einen Asbestgehalt von um die 20% aufweisen.

Altlast Nachtspeicheröfen

Produkte aus Asbest findet man aber auch immer noch in alten Geräten wie zum Beispiel ältere Nachtspeicheröfen sowie elektronischen Schalteinrichtungen. Die überwiegende Zahl der vor 1977 hergestellten Nachtspeicheröfen enthalten asbesthaltige Bauteile, teilweise wurde Asbest auch noch bis 1984 verwendet. Ob Ihr Nachtspeicherofen asbesthaltige Materialien enthält, können Sie mit Hilfe der Typen- und Fabrikationsnummer vom Hersteller erfahren. Manchmal bieten die Energielieferanten oder Abfallämter Auskunft zu möglichen Asbestgehalten in Nachtspeicheröfen. Ein gutes Beispiel gibt hier das Abfall- und Wirtschaftsamt im Landkreis Wittmund im Internet.

Hier werden einige Fabrikate aufgezählt die Asbest enthalten oder eben auch nicht:

Abfallwirtschaft – Info für Haushalte

Gesetz regelt Außerbetriebnahme von Nachspeicheröfen

Seit dem Jahr 2009 sind Nachtspeicheröfen auch in der in Deutschland gültigen Energieeinsparverordnung (EnEv) berücksichtigt, und nicht nur berücksichtigt, sondern direkt auch deren Außerbetriebnahme geregelt. So findet sich in § 10a folgende Angabe:

Außerbetriebnahme von elektrischen Speicherheizsystemen

(1)

1- In Wohngebäuden mit mehr als 5 Wohneinheiten dürfen Eigentümer elektrische Speicherheizsysteme nach Maßgaben des § 10 Abs. 2 nicht mehr betreiben, wenn die Raumwärme in den Gebäuden ausschließlich durch elektrische Speicherheizsysteme erzeugt wird.

2- Auf Nichtwohngebäude, die nach ihrer Zweckbestimmung jährlich mindestens 4 Monate und auf Innentemperaturen von mind. 19°C beheizt werden, ist Satz 1 entsprechend anzuwenden, wenn mehr als 500 m2 Nutzfläche mit elektrischen Speicherheizsystemen beheizt werden.

3- Auf elektrische Speicherheizsysteme mit nicht mehr als 20 W Heizleistung pro m2 Nutzfläche einer Wohnungs-, Betriebs- oder sonstigen Nutzungseinheit sind die Sätze 1 und 2 nicht anzuwenden.

(2)

1- Vor dem 1. 1. 1990 eingebaute oder aufgestellte elektrische Speicherheizsysteme dürfen nach dem 31.12.1019 nicht mehr betrieben werden.

2- Nach dem 31.12.1989 eingebaute oder aufgestellte elektrische Speicherheizsysteme dürfen nach Ablauf von 30 Jahren nach dem Einbau oder Aufstellen nicht mehr betrieben werden.

3- Wurden die elektrischen Speicherheizsysteme nach dem 31.12.1998 in wesentlichen Bauteilen erneuert, dürfen sie nach Ablauf von 30 Jahren nach Erneuerung nicht mehr betrieben werden. Werden mehrere Heizaggregate in einem Gebäude betrieben, ist bei Anwendung der Sätze 1, 2. oder 3 insg. auf das 2. älteste Heizaggregat abzustellen.

Ausnahmeregelungen

Somit hat sich in vielen Bereichen der Einsatz und die Gefahr, welche von Nachspeicheröfen ausgeht, erledigt, wenn hier nicht auch noch ein 3. Absatz wäre, der einige Ausnahmen schildert, wie zum Beispiel, dass der gesamte 1. Abs. nicht anzuwenden ist, wenn öffentlich rechtliche Pflichten entgegen stehen und einiges anderes mehr.

Asbest, ein Problem, das noch lange existieren wird

Zusammengefasst kann und muss festgestellt werden, dass wir auch in der Gegenwart, nach beinahe 20 Jahren des Asbestverbots, noch immer eine ganze Menge an asbesthaltigen Produkten in unserem Alltag vorfinden und es kann mitnichten begonnen werden, diesen Fakt lapidar in die Geschichte einzuordnen und als für die heutige Zeit übertrieben abzukanzeln. Demnach möchte ich diesen kurzen Text zum Thema Asbest auch nutzen, um Ihnen abschließend den Rat auf den Weg zu geben, sich bei jeglichem Verdacht in Bezug auf ein Asbestprodukt direkt an einen Fachmann zu wenden. Bitte nur und ausschließlich einen für den Umgang mit Asbest ausgebildeten Fachmann. Machen Sie keine Experimente, reißen Sie diesen akuten Gefahrenstoff nicht in unbedachter Eigenregie ab und schonen Sie ihre Gesundheit. Es gibt ausgebildete Fachleute, die wissen, wie man sich solcher Probleme entledigt.

Autor: Ing. Gerhard Holzmann, Juni 2011

Sachverständigenbüro Holzmann-Bauberatung

Tel.: 08293-965648

www.Baubegriffe.com

Facebook: Baugutachter

Weitere interessanter CSN Blogs zum Thema:
Der Stoff aus dem die Schulen sind – Teil IV – „Gebaut für alle Ewigkeit: Deutschlands Asbest Schulen“

Weitere Blogs des Bausachverständigen Gerhard Holzmann:

Subject: so wird heute betrogen…

VORSICHT FALLE:

Umweltkranke wurden unfreiwillig Darsteller in einem Werbefilm

Es sollte ein anspruchsvoller TV Beitrag über Elektrosensitivität werden, produziert für das ZDF und ARTE. Aufklärungsarbeit über die Umweltkrankheit Elektrosensitivität geht seit Jahren nur schleppend voran. Wer auf Handystrahlung reagiert, hat im Prinzip keine Lobby. Um Unterstützung zu leisten, erklärten sich zwei elektrosensible Personen bereit, als Fallbeispiele bei den Dreharbeiten in einer Umweltklinik für einen vermeintlichen TV Beitrag mitzuwirken. Kurz darauf mussten die beiden ahnungslosen Umweltkranken feststellen, dass ihre Hilfsbereitschaft missbraucht wurde. Statt in einem anspruchsvollen Fernsehbeitrag bei ARTE und im ZDF, sind sie in einem Werbefilm für ein dubioses Produkt zum Abhalten von Handystrahlung auf YouTube, auf deutscher und englischer Sprache zu sehen. Die Webseite des Vertriebs für das Produkt nutzt den Film ebenfalls. Auf schriftliche Mitteilung, dass man nicht einverstanden sei mit der Verwendung ihrer Interviews, reagierte man einfach nicht.

Elektrosensible als Werbe-Darsteller für einen „eFilter“?

Die beiden Umwelterkrankten fühlen sich betrogen. Der Film war in Süddeutschland in der Spezialklinik Neukirchen gedreht worden. Wer hegt da Zweifel, wenn eine Umweltklinik als Drehort dient und der Klinikleiter einer der Interviewpartner ist? Nie hätte sich die Wissenschaftsjournalistin als Fallbeispiel in einem Werbefilm zur Verfügung gestellt. Zumal der Commercial dem Verkauf eines Plastikplättchens für 19.95€ dient, das angeblich schädliche Handystrahlung abhalten soll. Als die Autorin des Buches „Käufliche Wissenschaft: Experten im Dienst von Industrie und Politik“ letztendlich misstrauisch wurde, war es zu spät. Der professionell gedrehte Film war im Kasten und ist nun auf Deutsch (Vollversion & Kurzversion) und in einer „US-Version“ für jeden im Internet zu sehen.

Umwelterkrankte unwissentlich Darsteller in Werbefilm

Zitat E-Mail Text:

Subject: so wird heute betrogen…(1)

Die E-Mail der Umwelterkrankten – Date: Tue, 21 Jun 2011 05:12:04 EDT

Liebe Leute,

ein Patient aus Wien und ich wurden von einem angeblichen Fernsehteam reingelegt:

Wir haben in einem Interview über unsere Elektrosensibilität berichtet, angeblich für eine Reportage für ZDF und Arte. Weil wir misstrauisch geworden sind, haben wir schriftlich ausdrücklich mitgeteilt, dass wir keine Erlaubnis zur Veröffentlichung für Werbezwecke erteilen und die Aufnahmen dafür nicht verwendet werden dürfen.

Nun sind wir für efilter in youtube aufgetaucht. Vermutlich steckt ein großer Konzern dahinter, dem wir nicht beikommen können.

Auf jeden Fall distanzieren wir uns ausdrücklich von dieser Plakette, die Esmog ohnehin nicht verhindert, was der Mitpatient mit Messungen herausgefunden hat.

xxx

Wissenschaftsjournalistin

Wissenschaftlich erwiesen oder plumpe Bauernfängerei?

Der „eFilter“ für den die beiden Umwelterkrankten zu ahnungslosen Darstellern in einem reinen Werbefilm wurden, ist ein simpler Plastikaufkleber mit einem Zeichen drauf, der angeblich Elektrosmog filtern soll, wenn er auf das Handy geklebt wird.(2)

Der Hersteller wirbt damit, dass es sich um ein „Präventives Gesundheitsprodukt“ handle. In seiner Funktionsweise soll der „eFilter“ als „Transformer“ dienen und „Longitu- dinalwellen / Skalar-Wellen“ abhalten, deren tatsächliches Vorhandensein wissenschaftlich jedoch als keineswegs erwiesen gilt.

Der wissenschaftliche Nachweis für das Plättchen sei mittels Dunkelfeld-Mikroskopie, Vegatest und Bioresonanz erbracht worden, heißt es. In der seriösen Wissenschaft besitzen die angeführten Methoden keinerlei Relevanz.

Das Geschäft mit der Angst

Auf der Vertriebs-Webseite prangt einem in übergroßen, giftgrünen Lettern entgegen: „WHO warnt: Handys können Hirntumore verursachen! Am rechten Webseitenrand wird damit geworben, dass das Produkt aus der Zeitschrift „Stern“ bekannt sei. Dass „Scheibes“ in seiner Stern-Kolumne den „eFilter“ eher als Kuriosität darstellt, scheint nicht zu stören, ganz nach dem Motto „Es steht jeden Tag einer auf, der…“ und den von Scheibes als „stylischen runden Aufkleber mit eingebautem Mikrochip“ kauft, von dem im Boulevardblatt 2009 berichtet wurde.(3)

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 21. Juni 2011

Literatur:

  1. E-Mail: „Subject: so wird man heute betrogen..“, 21.06.2011
  2. Esowatch, eFilter, 14. Sept. 2010
  3. Stern, Scheibes Kolumne, Gefährliche Handy-Strahlung, 27.11.2009

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Driftet die deutsche Umweltmedizin in die Esoterik ab?

Die deutsche Umweltmedizin spaltete sich von jeher in zwei Lager. Die universitäre Umweltmedizin und die von niedergelassenen Umweltmedizinern betriebene Umweltmedizin. Seit einer Weile scheint sich eine weitere neue Strömung breitzumachen, die der Esoterik stark zugewandt ist. Einige Umweltmediziner kooperieren jetzt mit Wunderheilern und/oder esoterisch ausgerichteten Heilpraktikern und wenden selbst esoterische „Diagnose- und Behandlungsmethoden“ an.

Als „Detox-Experiment“ in Brasilien werden Pauschalreisen für Umweltkranke angeboten, Kontakt mit einem Wunderheiler inklusive. Umweltmediziner setzen sich mit Moderator Fliege (ehem. Pfarrer Fliege) auf die Couch und sprechen über die Möglichkeiten, mit „Dunkelfeld“ und „Ozontherapie“ Umweltkrankheiten zu heilen, was dann über Videochannel übertragen wird. Vereine, mit Umweltmedizinern im Vorstand, werben für teure esoterische Gerätschaften, mit denen man „Wasser energetisieren“ kann und solche, die elektromagnetische Strahlung abhalten sollen.

Das alles geschieht in einer Zeit, in der Wissenschaftler wie Martin Pall den Mechanismus der Umweltkrankheiten MCS, CFS und FMS aufdecken und konkrete Erfolge von eigens entwickelten Therapien mit Studien belegen.

Thommy’s Blogfrage der Woche:

  • Was haltet Ihr von der neuen Tendenz, dass einige deutsche Umweltmediziner in die esoterische Richtung abdriften?
  • Ist es von Nachteil oder von Vorteil, wenn Umweltärzte sich Diagnose- und Behandlungsmethoden zuwenden, die sich abseits des Mainstreams befinden und auch in der gestandenen Umweltmedizin /Medizin keine Anerkennung besitzen, sondern augenscheinlich nur der schnellen materiellen Bereicherung dienen?
  • Schadet oder nutzt es, wenn Vorstandsmitglieder oder Präsidenten umweltmedizinischer Verbände und Vereine sich Wunderheilern, „Detox-Experimenten“ und der Esoterik zuwenden?
  • Verlieren Umweltkranke an Glaubwürdigkeit, wenn sich diese Esoterik-Strömung weiter breitmacht und publik wird?
  • Wie wirkt sich diese Esoterik-Tendenz auf Gerichtsverfahren aus und auf die Akzeptanz der Umwelterkrankten in der Allgemeinbevölkerung, wenn breitflächig bekannt wird, dass man Umweltkrankheiten angeblich durch Wunderheiler, „Detox-Experimente“ oder durch Amulette, Energetisierer, Dunkelfeld-Ozonbehandlung, etc. „heilen“ kann?
  • Oder findet Ihr, man sollte sich wundersamen „Dingen“ und „Mächten“ öffnen, für die es „diesseits und jenseits des Universums keine Erklärungen“ gibt?
  • Und, was haltet Ihr davon, dass diese “Wunderbehandlungen“ meist Unsummen kosten?