Italien: Historischer Schuldspruch im Eternit Asbest Prozess
In Italien wurde im Eternit-Prozess um die tödlichen Folgen von Asbest ein historisches Urteil gefällt.
Die Chefs des multinationalen Konzernes Eternit haben das Leben ihrer Arbeiter in Gefahr gebracht und Umweltverbrechen begangen. Dennoch bezweifelten viele Menschen, dass sie für ihre Verbrechen verurteilt würden. Doch genau das geschah am 13. Februar 2012 in Turin, in Norditalien. Die beiden Top-Führungskräfte von Eternit wurden zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem das Verfahren 2009 eröffnet worden war. Die Richter sprachen Stephan Schmidheiny, den früheren Eigentümer von Eternit und Louis de Cartier de Marchienne, früherer Chef des italienischen Firmenzweiges schuldig [fr], für ungefähr 3.000 asbestbedingte Todesfälle verantwortlich zu sein, insbesondere in Casale Monferrato und Umgebung. Sie wurden außerdem dazu verurteilt die Opfer, deren Familien und Verbände mit mehreren Zehn-Millionen Euro zu entschädigen, welche an etwa 6.000 Kläger gehen. Das Urteil wurde von vielen hundert Angehörigen und Asbestopfern und auch von Vertretern ausländischer Opferverbände begrüßt.
Das Online-Portal Swissinfo liefert ein paar zusätzliche Details [fr] zum Urteil:
Ils devront notamment verser 25 millions d’euros à la commune de Casale Monferrato, 20 millions à la région Piémont et 15 millions à l’Inail, la caisse nationale italienne d’assurance en cas d’accidents. M. de Cartier devra également verser 4 millions d’euros à la commune de Cavagnolo.
Messieurs Schmidheiny et de Cartier devront en outre verser entre 70.000 et 100.000 euros à huit associations, dont des syndicats et l’association écologiste, WWF. Les victimes de l’amiante et leurs familles recevront quant à elles des indemnités s’élevant pour la plupart entre 30.000 et 35.000 euros, selon la liste lue par le président du tribunal.
Sie müssen 25 Millionen Euro an die Gemeinde von Casale Monferrato zahlen, 20 Millionen Euro an die Region Piedmont und 15 Millionen Euro an INAIL, der staatlichen italienischen Unfallversicherung. Herr de Cartier wird außerdem 4 Millionen Euro an die Stadtverwaltung von Cavagnolo zahlen müssen.
Herr Schmidheiny und Herr de Cartier müssen des Weiteren zwischen 70.000 und 100.000 Euro an acht Verbände zahlen, dazu gehören Handels-Gewerkschaften, Umweltorganisationen und der WWF. Die Asbestopfer und ihre Familien erhalten Entschädigungen, die für die meisten zwischen 30.000 und 35.000 Euro betragen werden, wie aus der vom Präsident des Gerichtshofes vorgelesenen Liste hervorgeht.
Die Webseite Sanità in Cifre erklärt [it], warum dieses Verfahren als „Prozess des Jahrhunderts“ angesehen wurde:
La sentenza di Torino su Eternit interviene su quello che qualcuno ha definito „il processo del secolo”, per l’impressionante quantità di vittime coinvolte: oltre 2.200 decessi dovuti all’amianto, 700 malati di asbestosi, oltre 6.000 costituzioni di parte civile e una platea di legali composta da 150 avvocati.
Bei dem Urteil gegen das Unternehmen Eternit handelt es sich aufgrund der erschreckend großen Zahl der Opfer tatsächlich um etwas, das manche den „Prozess des Jahrhunderts“ genannt haben: mehr als 2.200 asbestbedingte Tote, 700 Patienten mit Asbestose, mehr als 6.000 Kläger und eine juristische Armada von 150 Rechtsanwälten.
Die Familien der Asbestopfer haben einen Blog Asbestos in the Dock (Asbest auf der Anklagebank) und eine Facebook-Seite eingerichtet. Nach ihrer Ansicht beschränken sich Bedeutung und internationale Folgen dieses Gerichtsverfahrens nicht auf Italien:
Auch Staatsanwälte anderer Länder könnten das turiner Verfahren als Präzedenzfall studieren, um eigene Strafverfahren gegen die Chefs von nationalen Eternit-Tochterunternehmen einzuleiten.
Nach Ansicht von Fachleuten wird dieses Produkt noch für lange Zeit Todesopfer kosten. Die Webseite Sanità in Cifre zeigt, wie groß dieses Risiko [it] in Europe aber auch in der übrigen Welt ist.
La triste contabilità delle vittime in Italia raggiungerà un picco tra il 2015 e il 2018, mentre in Europa occidentale le proiezioni si attestano su 500.000 morti nei primi 30 anni del 2000. E, secondo l’Organizzazione mondiale della Sanità, nel mondo muiono ogni anno 107.000 persone per cancro al polmone, mesotelioma o asbetosi dovuti a esposizione ad amianto, mentre sono oltre 125 milioni gli esposti ai rischi sui luoghi di lavoro.
Die traurigen Opferzahlen werden in Italien zwischen 2015 und 2018 ihren Höhepunkt erreichen, während in Westeuropa die voraussichtliche Todesrate in den ersten 30 Jahren nach 2000 eine halbe Million erreichen wird. Und, nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sterben weltweit jedes Jahr 107.000 Menschen wegen Asbest an Lungenkrebs, Mesotheliom oder Asbestose, während über 125 Millionen weitere Menschen an ihrem Arbeitsplatz gefährdet sind.
In einem Interview [it] mit Christian Elia, beschreiben Niccolò Bruna und Andrea Prandstraller, Mitautoren der Dokumentation „Polvere – Il grande processo all’amianto“ (Staub: Der große Asbestprozeß) für das vom italienischen Kriegsarzt Gino Strada gegründete monatliche Online-Magazin der NGO Emergency das Ausmaß der Asbestbelastung, die Wut und Not der Bewohner von Casale Monferrato [it]:
L’amianto, bandito in Europa, è estratto e lavorato in molti grandissimi paesi del mondo: Russia, Cina, Brasile, India, Thailandia…Mentre i Paesi Europei sono alle prese con costosissimi e quasi impossibili sforzi di decontaminazione il 75 percento della popolazione mondiale usa l’amianto-cemento ed è esposta ai suoi rischi. Perciò il problema amianto è oggi più attuale che mai.
Obwohl Asbest in ganz Europa verboten ist, wird es in vielen großen Ländern abgebaut und verarbeitet: Russland, China, Brasilien, Indien, Thailand… Während sich die Europäer mit teureren und nahezu unmöglichen Dekontaminations-Bemühungen herumschlagen, benutzt 75 Prozent der Weltbevölkerung immer noch Asbest-Zement und ist dessen Risiken ausgesetzt. Deshalb ist das Asbest-Problem jetzt wichtiger als je zuvor.
Dies erklärt die Anwesenheit zahlreicher Delegationen von ausländischen Opferverbänden bei der Urteilsverkündung in Turin. In einer am selben Tag herausgegebenen Stellungsnahme [fr] von ANDEVA [fr] (nationaler Schutzverband für Asbestopfer) heißt es:
Ce jugement était très attendu. Par les victimes italiennes d’abord qui n’ont pu toutes pénétrer dans la salle d’audience dont beaucoup ont suivi la lecture intégrale du jugement à la télévision et à la radio. Mais aussi pour les victimes et les veuves venues apporter leur solidarité du Brésil, des Etats Unis, de Belgique, d’Angleterre, de Suisse, de France, qui ont pu l’entendre en direct en traduction simultanée. Avec l’Andeva, une délégation de 160 victimes et veuves était venue à Turin de toutes les régions de France (Bourgogne, Rhône Alpes, Martigues, Dunkerque, Paris). Parmi eux des anciens d’usines françaises d’Eternit.
Das Urteil stieß auf großes Interesse. Zu aller erst bei den italienischen Opfern, die nicht im Gerichtssaal sein konnten und von denen viele die komplette Urteilsverkündung in Radio und Fernsehen verfolgt hatten. Aber auch bei den Opfern und Witwen, die aus Brasilien, den USA, Belgien, England, der Schweiz und Frankreich gekommen waren, um ihre Solidarität zu Ausdruck zu bringen und die es als Simultanübersetzung selber hören konnten. Zur ANDEVA-Delegation gehörten 160 Opfer und Witwen, die aus allen Regionen Frankreichs (Burgund, Rhône-Alpes, Martigues, Dunkirk und Paris) nach Turin gereist waren. Ebenfalls anwesend waren ein paar ehemalige französische Eternit-Arbeiter.
Unglücklicherweise kann es selbst bei den schlimmsten Tragödien den Opfern sehr unterschiedlich ergehen. Im Falle dieser tödlichen Stäube werden die Opfer [it] in den Städten Rubiera [it] (Reggio Emilia) und Bagnoli [YouTube] (Neapel) überhaupt keine Entschädigung erhalten, weil die Verbrechen verjährt waren. Obwohl genauso kontaminiert wie andere die Geld bekommen, sind die noch lebenden Opfer auf sich selber angewiesen, um ihre Familien zu ernähren und die Natur für zukünftige Generationen zu erhalten.
Um einen Eindruck zu vermitteln, wie viele Menschen nicht berücksichtigt wurden, schrieb Valerie Wilson im Blog Suite 101:
Der Präsident der Provinz Neapel, Luigi Cesaro, zählte die Todesbilanz der Fabrik in Bagnoli auf:
- 134 Tote durch Lungenkrebs
- 9 Tote durch Kehlkopfkrebs
- 258 Tote durch Asbestose
- 65 Tote durch Mesotheliom
außerdem leiden immer noch 100 Arbeiter an den obigen Erkrankungen.
Antonio Iaccarino, der Sohn von zwei in Bagnoli kontaminierten Patienten schrieb auf der Facebook-Seite Sentenza Processo Eternit [it]:
I miei genitori sono entrambi malati, sono stati lavoratori di Bagnoli e hanno lavorato dal 1960 al 1984…i loro amici del lavoro con i quali condividevano 3 turni si contano sulle dita di una solo mano, io forse sono un pò più fortunato di altri che hanno avuto i propri cari all’Eternit ma la vita dei miei genitori di sicuro non è stata, per motivi di salute, tutta rosa e fiori…
Meine Eltern sind beide krank, sie arbeiteten von 1960 bis 1984 in Bagnoli… die [noch lebenden] Arbeitskollegen aus ihrer Schicht kann man an einer Hand abzählen, vielleicht war ich besser dran als andere, deren nächste Angehörige bei Eternit arbeiteten, doch das Leben meiner Eltern war in gesundheitlicher Hinsicht sicher alles andere als ein Honigschlecken…
Autor: Abdoulaye Bah
Englische Übersetzung: Jenny Sin
Deutsche Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network
Der französische Original-Artikel „Italie : condamnation historique dans le procès Eternit sur l’amiante“ wurde am 17. Februar 2012 von GlobalVoices veröffentlicht, die englische Übersetzung „Italy: Historic ‘Guilty‘ Verdict in the Eternit Asbestos Trial“ am 25. Februar 2012 und steht unter der Creative Commons Lizenz: By (Namensnennung). Für diese Übersetzung gilt Creative Commons: By-NC-SA (Namensnennung, nicht kommerzielle Verwendung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen).
Copyright Artikelfoto: LHOON, Creative Commons: By-SA (Namensnennung und Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
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