Jugendliche häufig an Chemikaliensensitivität erkrankt

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Chemikaliensensitivität bei Kindern und Jugendlichen ist ein Thema, das kaum Erwähnung findet in der Öffentlichkeit. Doch sie existieren, die Kinder und Jugendlichen, die auf Alltagschemikalien wie Parfum, Lacke, Zeitungen, Abgase, etc. mit zum Teil schweren körperlichen Symptomen reagieren. Schwedische Wissenschaftler fanden in einer aktuellen Studie heraus, dass Chemikaliensensitivität bei Jugendlichen mit 15,6% fast genauso häufig wie bei Erwachsenen auftritt. Die Folgen sind weitreichend, denn in Schulen und beim Start ins Berufsleben wird kaum Rücksicht auf sie genommen. Zusätzlich sind Kinder und Jugendliche durch ihre Krankheit zwangsläufig sozial ausgegrenzt.

Jugendliche kooperativ gegenüber Wissenschaftlern
Die schwedische Wissenschaftlerin Prof. Eva Millqvist beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit dem Thema Chemikaliensensitivität. Sie konnte in mehreren Studien belegen, dass die Erkrankten körperlich auf minimale Konzentrationen von Alltagschemikalien, wie beispielsweise Parfum, reagieren. Aktuell untersuchte Millqvist und ihr Team eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Gruppe von 401 Teenagern. Sie schickten den Jugendlichen Fragebögen zu und luden anschließend eine Teilgruppe von 85 Teenagern zu einem speziellen Capsaicin Inhalationstest ein. Die Teilnahmebereitschaft der jungen Leute war hoch, 81,3% beantworteten die Fragen bezüglich Sensibilität gegenüber Chemikalien und Lärm, sowie Ängsten und Depressionen.

Chemikaliensensitivität erschreckend häufig bei Jugendlichen
Die von den Wissenschaftlern ermittelte Häufigkeit für eine Chemikaliensensitivität bei Jugendlichen lag bei 15,6%. Eine hohe Zahl, die Konsequenzen nach sich ziehen müsste, denn bisher wird in europäischen Ländern an Schulen kaum ein Augenmerk auf chemikaliensensible Schüler gerichtet oder gar Rücksicht auf sie genommen. In den USA und Kanada hingegen ist man sich der Existenz dieser Problematik durchaus bewusst, und es gibt zahlreiche Schulen und Universitäten, an denen ein striktes Duftstoffverbot besteht und die auf Chemikalien verzichten, wo immer es möglich ist. Sind bei Renovierungsarbeiten doch ausnahmsweise chemikalienhaltige Materialien erforderlich, geben solche Bildungseinrichtungen frühzeitig Warnungen heraus oder sperren die betreffenden Areale. Solches Entgegenkommen und ein chemikalienfreies Umfeld ermöglicht es den kranken jungen Menschen, ihre Intelligenz zu entfalten, in die Gemeinschaft integriert zu sein und einer eigenständigen Zukunft entgegen gehen zu können.

Psyche nebensächlich beteiligt
Millqvist und ihr Team gingen auch der Frage nach, ob die Psyche eine Rolle bei den Chemikaliensensiblen spielt, fanden jedoch nur bei 3,7% der Jugendlichen affektive und Verhaltensänderungen. Wobei nicht beurteilt werden kann, ob die psychische Komponente nicht als Resultat der weitreichenden Restriktionen, denen diese jungen Menschen durch ihre limitierende Erkrankung zwangsläufig unterworfen sind, gelitten hat. Denn statt eine unbeschwerte Jugendzeit unter Gleichaltrigen, Selbstfindung und Ausloten von persönlicher Freiheit erleben zu dürfen, sind chemikaliensensible Jugendliche von vornherein zwangsisoliert, und ihnen sind krankheitsbedingt die Flügel gestutzt. Somit müssen auch psychische Folgeerscheinungen einkalkuliert werden. Sensorische Hypersensibilitäten spielten eine eher untergeordnete Rolle, sie lagen nur bei etwa einem Prozent der Jugendlichen vor, deuten jedoch an, dass Überlappungen bei Umweltkrankheiten existieren.

Jugendlichen eine Zukunft sichern
Die Ergebnisse der aktuellen Millqvist Studie fordern ein zügiges Umdenken, weil Jugendliche mit schwerer Chemikaliensensitivität meist weder Schule, noch Ausbildung oder Studium beenden können und infolgedessen ein Leben lang stark benachteiligt bis ausgegrenzt sein werden. Gesundheitliche Stabilisierung ist selten zu erwarten, da adäquate Behandlung von Chemikaliensensiblen in der Regel nicht angeboten wird und Rücksichtnahme, obwohl die Krankheit beispielsweise in Deutschland als Behinderung anerkannt ist, nicht stattfindet. Somit ist es chemikaliensensiblen Jugendlichen meist nicht möglich, einen Beruf zu ergreifen, womit ihnen auch jeglicher Anspruch auf Leistungen aus Sozialversicherungen fehlt. Wer keine vermögenden Eltern hat, ist verloren und muss nicht selten aufgrund seiner Krankheit ein Leben unterhalb der Armutsgrenze führen. Die Ergebnisse der schwedischen Studie zwingen zu einem raschen Kurswechsel, um jungen Chemikaliensensiblen zu helfen und auch, um schwerwiegende sozioökonomische Folgen zu verhindern.

Autor:
Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, April 2008


Literatur:
Andersson L, Johansson A, Millqvist E, Nordin S, Bende M., Prevalence and risk factors for chemical sensitivity and sensory hyper reactivity in teenagers, Int J Hyg Environ Health. 2008 Apr 8

8 Kommentare zu “Jugendliche häufig an Chemikaliensensitivität erkrankt”

  1. Franz 18. April 2008 um 22:19

    Liebe Silvia Müller,

    haben Sie herzlichen Dank für die Übersetzung dieser Studienergebnisse.

    Ich bin betroffen!

    Bei Erwachsenen ,also Menschen die vor allem im Beruf Schadstoffen ausgesetzt sind, hätte ich diese Zahlen erwartet. Aber dass auch Kinder und Jugendliche zu einem so hohen Prozentsatz chemikaliensensitiv sind, das hätte ich nicht gedacht.

    Ich bin gespannt, wie die Behörden und Politiker das im Norden Europas aufnehmen werden und ob angesichts solcher Zahlen auch Handlungen folgen.

  2. Supergirl 19. April 2008 um 12:43

    Was zählt ein Mensch in der Gesellschaft?

    Diese Frage stelle ich mir oft, seit ich an MCS erkrankt bin. Als Chemikaliensensible schätze ich viele Dinge kritischer ein, als früher als gesunder Mensch. Die Passivität der Verantwortlichen bei uns in Deutschland verwundert mich immer aufs Neue. Es wäre doch sicherlich eine der vielen Aufgaben seitens der Umwelt- und Gesundheitsminister, die Bevölkerung vor den Alltagschemikalien zu warnen bzw. deren schädlichen Auswirkungen auf uns alle zu verringern. Warnungen des UBA werden ignoriert, denn Taten folgten daraufhin bisher nicht.

    Menschliches Wohlbefinden, Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Bevölkerung scheinen den Politikern nicht viel zu bedeuten, es sei, es geht um die eigenen Bedürfnisse, sonst würde man zumindest Kinder und Jugendliche besser schützen und wenigstens ihnen einen integrierten Stand in der Gesellschaft ermöglichen. Uns Erwachsene Chemikaliensensitiven durch Passivität ins Abseits zu drängen ist schon schwer nach zu vollziehen, aber auch unseren Kindern eine auswegslose Zukunft zu zumuten, ist nicht nach zu vollziehen.

    Kein Wunder, dass unsere Sozialsysteme vor dem Kollaps stehen. Es könnte auch anders laufen, wenn endlich Taten folgen würden.

  3. Spider 19. April 2008 um 20:16

    Auch an anderer Stelle im www lassen sich kritische Meldungen zum Thema „Krank durch Chemikalien“ finden, die die schwedischen Studienergebnisse unterstreichen:

    So berichtete das Hamburger Abendblatt bereits im Oktober 2006, auf Grund einer Studie des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dass immer mehr Kinder unter dem schädlichen Einfluss von Chemikalien erkranken. Der BUND warnt „Kinder leiden unter Geburtsdefekten, Allergien, Hormonstörungen, Leukämien und Verhaltensauffälligkeiten, die mit den Giften in Verbindung gebracht werden“, sagte die Autorin Patricia Cameron im Zusammenhang mit dem EU-Chemikalienrecht.

    Als auslösende Chemikalien benennt der BUND Weichmacher, Flammschutzmittel, künstliche Duftstoffe.

    http://www.abendblatt.de/daten/2006/10/06/620849.html

  4. Clarissa 20. April 2008 um 18:42

    Was für ein überraschendes Ergebnis – unsere Kinder werden schon im Mutterleib vergiftet, dann in der Kita, der Schule weiterhin zu Hause überall wo man sich sonst noch so aufhält. Der Einsatz von bedufteten Mitteln wird ja auch von Jahr zu Jahr mehr. – „das brise ist alle- puuh hier stinkst – etc. pp“

  5. Juliane 21. April 2008 um 11:28

    Kinder und Jugendliche, die an MCS erkrankt sind, gibt es auch in der Bundesrepublik.
    Im Februar 2008 wurde in der ZDF Reihe 37 Grad über ein an MCS erkranktes junges Mädchen berichtet.
    http://37grad.zdf.de/ZDFde/inhalt/14/0,1872,1020910_id
    Dispatch:7391448,00.html?dr=1

    Lia ist kein Einzelfall.

    Ich gehe davon aus, dass die schwedischen Zahlen auf die Bundesrepublik übertragbar sind. Aber nur Einzelfälle werden die Diagnose MCS erhalten. Es gehört nämlich nicht zur Ausschlussdiagnostik auf MCS zu untersuchen, wenn Kinder Dauerinfekte, Dauerschnupfen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Krämpfe, ADS/ADHD und sonstige Symptome haben. Häufig schleppen sich Kinder und Jugendliche jahrelang krank durch den Schulalltag und keiner weiß, warum sie kränklich sind.

    Stellt tatsächlich ein Arzt die Diagnose MCS , bescheinigt gar Schulunfähigkeit, tritt der Amtsarzt auf den Plan. Man kann sich schon vorstellen, wie die weitere Diagnostik dann betrieben wird. Mir ist ein einziger Fall eines Jugendlichen bekannt, dessen Umweltmediziner eine Hausbeschulung erreichte. Der junge Mann hat mittlerweile seinen Hauptschulabschluss. Mehr war nicht möglich. Hausbeschulung in der Bundesrepublik ermöglicht keinen hohen Bildungsstandard.

    Eltern, die ihre Kinder fernbeschulen lassen wollen, was wenigstens einen angemessenen Bildungsstandard sichern würde, werden in der Bundesrepublik kriminalisiert. Darüber hat im Januar 2008 gerade die Frankfurter Rundschau berichtet. Die Schulpflicht wird hierzulande notfalls mit Bußgeld und Polizeigewalt durchgesetzt. Dem können Eltern nur durch Republikflucht entgehen. Auch darüber hat die FR berichtet

    Das RKI weiß, wie es um die Gesundheit deutscher Kinder bestellt ist.

    „Die große Kinder- und Jugendstudie, die Gesundheitsministerin Schmidt jetzt vorgestellt hat, gibt zu denken: 21,9 Prozent aller Kinder und Jugendlichen zeigen Hinweise auf psychische Auffälligkeiten. Außerdem leiden immer mehr unter chronischen Erkrankungen wie Fettleibigkeit, Asthma und Allergien.“http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/artikel/552/114438/

    Zahlen über Chemicaliensensitivität der kranken Kinder werden wir aus Berlin nicht erfahren.Das ist in der Bundesrepublik ein Tabuthema.

    Wir dürfen gespannt sein, ob wenigstens die Nachbarn im Norden Konsequensen aus den vorgelegten Studienergebnissen ziehen.

  6. Adele 21. April 2008 um 19:03

    Anstatt die Anerkennung ausländischer MCS-Studien und öffentliche Aufklärung von MCS zu forcieren, und im bereits eingetretenen Krankheitsfall die Einleitung entsprechender individueller Hilfsmaßnahmen zu ergreifen, behauptet man lieber, Chemikaliensenstitivtität MCS) gibt es nicht. Daher wird sich die Situation durch Zunahme von MCS-Erkrankungen zukünftig drastig verschlimmern anstatt verbessern, und das mit ungeahnten Folgen für die Betroffenen und die gesamte Volkswirtschaft.

    Kinder und Jugendliche so im Regen stehen zu lassen, ist ein nie wieder gut zumachender Fehler. Das ganze Leben MCS-kranker Kinder und Jugendlicher könnte in einigermaßen normalen Bahnen verlaufen, käme ihnen die dringend notwendige Hilfe zu teil und würde man dem zunehmenden Beduftungswahnsinn, Pestizideinsatz und sorglosen Chemikalieneinsatz in unserem Zeitalter ein Ende setzen.

  7. Silvia 24. April 2008 um 09:32

    In Italien wurde in den letzten beiden Monaten zwei Familien, in denen die Frau und ein Kind an MCS und schwersten Allergien litt, nach USA zur Behandlung geflogen. Die Gerichte sahen ein, dass es in ihrem Land keine adäquate Hilfe für Hypersensible gibt und veranlassten, dass die Krankenkasse die Kosten übernahm. Beide Familien wurden mit Staatsflugzeugen nach Dallas geflogen. Bravissimo Italia!

  8. Terminator 24. April 2008 um 18:08

    Anstatt hierzulande in unsere Kinder zu investieren, sie aufzubauen, ihre Begabungen zu fördern und ihnen eine gute Schul- und Ausbildung zu garantieren, schaut man lieber zu, wie Kinder und Jugendliche nach und nach durch Umweltfaktoren zu den Frührentnern von morgen werden.

    Das Ignorieren vorhandener Umwelt-Krankheiten macht aus den MCS-Betroffenen leider noch keine Gesunde! Daran sollten die Verantwortlichen denken.

    Unsere Kinder und Jugendlichen werden dem Wohle der Industrie geopfert.

    Dieses ignorante Verhalten auf breiter Linie ist einfach nur erbärmlich.

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