Verantwortliche aus Politik und Wissenschaft erfüllen längst überfällige Forderung

Chemikaliensensitivität soll besser erforscht werden

Wissenschaftler, Fachleute aus dem Gesundheitswesens und vor allem Menschen mit Chemikalien-Sensitivität haben einen Sieg erzielt, der Jahre brauchte, um ihn zu gewinnen.

In wenigen Worten: hochrangige Politiker sagen jetzt, dass Chemikalienintoleranz / Chemikalien-Sensitivität ernsthafte Untersuchung braucht.

Die kürzlich abgeschlossene „National Conversation (Nationales Gespräch) über öffentliche Gesundheit und Chemikalienbelastung“, das von mehreren Regierungs- behörden gesponsert wurde, gab im Oktober 2011 ein detailliertes Statement ab, das die zweijährige Beratung unter Hunderten von Experten zusammenfasste. Das Statement, in Kürze gesagt, fordert intensivierte Arbeit, um Chemikalien und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit zu verstehen.

Ich denke, dieses Statement wird die Gesundheitspolitik beeinflussen, neue Forschungen und klinische Untersuchungen voranzutreiben. Fortschritte in der Wissenschaft, Diagnostik und Behandlung von chemikalieninduzierten Krankheiten waren quälend langsam. Ich freue mich deshalb, diese neue Entwicklung zu sehen.

Die „National Conversation“, in ihrer abschließenden Erklärung, forderte verstärkte Untersuchung von:

  • Gesundheitlichen Auswirkungen von Chemikalien, einschließlich Niedrigdosis-, Mehrfach-und kumulierten Expositionen
  • Individuelle Suszeptibilität (Empfindlichkeit), darunter das Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt
  • Vulnerabilität der Gesellschaft und unverhältnismäßige Auswirkungen vergangener Expositionen
  • Effektivität von Interventionen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung

Für mich war eine der wichtigsten Empfehlungen in diesem Statement diejenige, die sich für Humanstudien in Forschungseinheiten aussprach, die kontrollierte Umwelt- bedingungen aufweisen. Sie besagte: „Studien zu Variationen der Suszeptibilität, wie sie sich durch Chemikalien-Sensitivität / Intoleranz äußert, einschließlich klinischer Studien in für diesen Zweck geeigneten Einrichtungen werden benötigt.“

Diese Empfehlung für Forschungseinrichtungen tauchte erstmalig in einem Bericht des Bundesstaates New Jersey auf, für den ich im Jahr 1989 als Co-Autorin zusammen mit Nicholas A. Ashford, Ph.D., JD, Professor am Massachusetts Institute of Technology, beauftragt worden war, sowie in den nachfolgenden Auflagen unseres Buches Chemical Exposures: Low Levels und High Stakes.

Hier ist ein Auszug aus den Empfehlungen des Statements der „National Conversation“, Kapitel 3: Erreichen eines umfassenderes wissenschaftliches Verständnis über Chemikalien und deren Auswirkungen auf die Gesundheit“:

„Empfehlung 3.5: Verbesserung des Verständnisses individueller Suszeptibilität gegenüber Chemikalienexpositionen.“

„Diejenigen, die anstreben, die Öffentlichkeit vor schädlichen Auswirkungen von Chemikalien zu schützen, brauchen ein besseres Verständnis hinsichtlich der Unterschiede in der individuellen Empfindlichkeit, um in der Prävention und bei Bemühungen um medizinische Behandlung helfen zu können, Prioritäten zu setzen. Einige Personen in bestimmten Bevölkerungsgruppen (z.B. sich entwickelnde Föten, Kinder, Schwangere, ältere Menschen, Behinderte, Personen mit chronischen Krankheiten, Personen mit früherer, erhöhter Empfindlichkeit gegenüber Chemikalien) weisen eine einzigartige Suszeptibilität gegenüber Chemikalienexpositionen auf. Ein Teil dieser Variabilität in der Empfindlichkeit kann im Zusammenhang mit genetischen Abweichungen stehen, erworbenen epigenetischen Veränderungen, Auswirkungen auf die Gesundheit aus früheren Expositionen oder durch Stressoren, die nicht mit Chemikalien in Zusammenhang stehen. Um das Verständnis hinsichtlich dieser Abweichungen zu verbessern, sollten fördernde Behörden weiterhin die Erforschung hinsichtlich der Mechanismen von Abweichungen und der jeweiligen individuellen Empfindlichkeit unterstützen und sich mit der Rolle solcher Schwankungen bei der beobachteten Belastung bei umweltbedingten Krankheiten beschäftigen. Studien von Suszeptibilitätsvarianten, wie sie durch Chemikalien-Sensitivität / Chemikalienintoleranz manifestiert sind, einschließlich klinischer Studien, die in für diesen Zweck geeigneten Einrichtungen durchgeführt werden, sind erforderlich. Bevölkerungsbasierte Studien von exponierten Gruppen können zusätzliche Erkenntnisse liefern.“

„Ferner sollte die Bundesregierung eine bestehende Arbeitsgruppe unterstützen oder eine interdisziplinäre Gruppe berufen, die aus Wissenschaftlern und Klinikern aus Bundesbehörden, NGOs / öffentliche Interessengruppen, Industrie, akademischen Institutionen und Vertretern betroffener Patientengruppen besteht, um eine Forschungsagenda zu Chemical Sensitivity / Chemikalienintoleranz zu erstellen.“

Das „Nationale Gespräch“ war ein zwei Jahre lang dauernder gemeinschaftlicher Prozess, der im Juni 2011 eine Aktionsagenda mit neuen Wegen hervorbrachte, um die Öffentlichkeit vor schädlichen Chemikalienexpositionen zu schützen. Im Oktober 2011 gab die Leitung ihre abschließenden Empfehlungen bei einer Sitzung zur Umsetzungsstrategie in Washington DC, die von der American Public Health Association (APHA) veranstaltet wurde.

Ich hatte den Vorsitz in der Untergruppe für individuelle Suszeptibilität bei dieser „National Conversation“ und arbeitete als Mitglied in der größeren Arbeitsgruppe für wissenschaftliches Verständnis, eine von sechs Arbeitsgruppen, die gebildet worden waren, um die verschiedenen Aspekte der Exposition gegenüber den zahlreichen chemischen Stoffen zu erfassen. Die Arbeitsgruppe gab einen Volltext des Aktionsprogramms heraus.

Die Centers for Disease Control and Prevention und die Agentur für Toxic Substances and Disease Registry unterstützen die „National Conversation“ als Teil ihrer Aufgabe, die öffentliche Gesundheit zu fördern. Dutzende von staatlichen Behörden, Non-Profit- und Industrie-Experten und Tausende von Mitgliedern aus der Öffentlichkeit wurden an der Erarbeitung der Empfehlungen beteiligt.

Autor:

Prof. Dr. Claudia S. Miller, M.D., of the University of Texas School of Medicine

Der Artikel wurde im Original erstmalig am 17. Februar 2012 auf der Webseite von Prof. C.S. Miller publiziert: Leaders Issue a Long Overdue Call for Research into Chemical Intolerance

Herzlichen Dank an Prof. Miller für die freundliche Genehmigung diesen Artikel übersetzen und auf CSN veröffentlichen zu dürfen.

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivty Network

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3 Kommentare zu “Verantwortliche aus Politik und Wissenschaft erfüllen längst überfällige Forderung”

  1. PappaJo 4. März 2012 um 13:29

    Na das hört sich mal gut an aber es wird wohl noch sehr, sehr lang dauern bis das erste Ergebniss fest steht. Und vor allem bis das bei unseren Politikern, die ja ihre Ohren in dem Gebiet auf Durchzug stehen haben, ankommt. Aber es ist mal ein Anfang.

    Andererseits kann man in dem Fall darauf schliessen, das wenn sowas in die Forschung geht bereits überdurchschnittlich viele Menschen daran erkrankt sind! Das bedeutet hier wird mal wieder um 5 nach 12 die Arbeit(Forschung) aufgenommen.

    Es ist ja nicht so das wenn Ergebnisse fest stehen, keiner mehr an MCS erkranken wird, sondern es werden demnächst immer mehr sein und auch nach der Feststellung und evtl. Ergreifung von Präventionen.

    Mir fällt gerade dazu der Fall in Haltern ein.
    Es wurde in den Nachrichten berichtet, das zwei junge Männer um die 20 nachdem sie an einem KFZ Arbeiten durchgeführt hatten, am nächsten Morgen beide Tot in Ihrem Bett aufgefunden wurden. Keine Anzeichen von Gewalt, toxikologisch auch kein Befund. Also ich könnte meinen Ar… verwetten das die beiden MCS hatten und ganz einfach an den Folgen der Intoxikation von geringen Mengen, an einem Schock gestorben sind. Ich denke in dem Fall wird man toxikologisch auch keine verdächtigen Mengen finden. Die Mediziner suchen einfach an der falschen Stelle.

    Da ich damals selbst geschraubt habe, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Ich hatte damals wohl Glück, da ich noch nicht so schwer erkrankt war. Aber es war immer der Zwang da, mit den chemikalien zu hantieren. Schon komisch….

  2. Silvia 4. März 2012 um 14:31

    Es muss nicht unbedingt sehr lange dauern. In den USA wird mehr Geld für Forschung, auch unabhängige Forschung ausgegeben als bei uns. Sobald eine Studie oder ein Projekt startet erfahrt Ihr davon.

  3. Silvia 14. März 2012 um 16:11

    Ein erster Workshop zur individuellen Suszeptibilität ist anberaumt:

    Workshop on Individual Susceptibility, April 18-19, 2012

    Register today for the upcoming National Academy of Sciences „Biological Factors that Underlie Individual Susceptibility to Environmental Stressors, and Their Implications for Decision-Making“ workshop on April 18-19, 2012. Claudia Miller, who will discuss Human Variability in Chemical Susceptibility (Intolerance/Sensitivity), Research Findings to Date and Their Implications for Future Study Design, and Nick Ashford are among the speakers.

    Click http://www.niehs.nih.gov/news/newsletter/2012/3/science-susceptibility/index.htm to view information on the NIEHS-sponsored workshop, part of a series on the Emerging Science For Environmental Health Decisions. Sign up to attend or participate by webcast.

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