
MCS – Ein Fremdwort für die meisten Ärzte und Kliniken?
Was ich mir nie hatte vorstellen können, wurde am 17.9.2010 zur bitteren Erfahrung…
Gegen 18.00 Uhr bekam ich plötzlich und ohne Vorankündigung heftige Schmerzen in der Brust, kalte Schweißausbrüche, mir wurde schwindelig, meine Arme waren schwer wie Blei, taten unheimlich weh. Ich bekam Luftnot und Panik…
Da bei mir der PC lief, gab ich das Stichwort “Symptome bei Herzinfarkt” ein, sah auf dem Bildschirm das, was ich gerade verspürte.
Völlig verwirrt rief ich 110 an, hatte die Polizei am Apparat, schilderte meine Probleme und die Tatsache, dass ich völlig allein im Haus war. Der Polizist fragte mich, ob ich in der Lage sei 112 anzurufen – war ich!
Eine Männerstimme fragte meine Beschwerden ab, es wurde mir mit ruhiger Stimme erklärt, dass schon während dieses Telefongesprächs der Notarzt und Rettungswagen unterwegs sei.
Der Notarzt trifft ein
Ich lag auf meinem Sofa, sprach vor Schmerzen mit mir selbst, dann hörte ich die Sirene, wenig später standen Männer vor meiner Tür. Ich schaffte es noch selbst die Haustür zu öffnen, dann war ich diesen Herren ausgeliefert, aber auch etwas erleichtert.
Es wurde sofort ein EKG gemacht, der Notarzt sagte mir, ich hätte einen Herzinfarkt, er würde mich ins Krankenhaus bringen.
Oh nein, dachte ich, ins Krankenhaus…
Ich erzählte dem Notarzt kurz von meiner Chemikalienunverträglichkeit. Dieser schaute mich an, meinte, da müsse ich jetzt durch…
Per Rettungswagen ins Krankenhaus
Im Rettungswagen wurde ein erneutes EKG geschrieben, der aufnehmenden Klinik per Fax übermittelt.
Mit Blaulicht ging es zur Klinik, ich wurde in Empfang genommen, alles ging sehr schnell, ich sah nur die Decken der Flure…
Ein Kardiologe stellte sich mir vor, ein netter Mann, er beruhigte mich, er scherzte sogar etwas mit mir, stellte fest, dass wir gleich alt waren.
Auf dem Op-Tisch
Wohin ich genau gebracht wurde weiß ich nicht, ich befand mich ziemlich bald auf einem OP-Tisch, wurde für den notwendigen Eingriff vorbereitet.
Ich fühlte mich völlig ausgeliefert, hatte keinen eigenen Willen mehr…
Nach örtlicher Betäubung wurde durch die Leiste mittels Herzkatheder ein sogen. Stent gelegt. Laienhaft gesagt wurde eine Leitung des Herzens geweitet und – wie ich es mir vorstelle – eine Art Hülse eingesetzt. Der Kardiologe arbeitete sehr konzentriert, zeigte mir auf einem Bildschirm seine Arbeit. Als er fertig war, sagte er mir, er hätte mein Herz repariert.
Intensivastation
Bis 18.9. in den Abendstunden lag ich verkabelt mit einem weiteren Patienten in einem Zimmer auf der Intensivstation, dann wurde ich auf eine Überwachungsstation, angeschlossen an einem Monitor, verlegt. Wiederholt wurde ein EKG geschrieben, Blutdruck gemessen – ich unterlag der totalen Überwachung.
Es war wohl eher Zufall, dass ich allein im Zimmer war, aufstehen durfte ich nicht!
Auf Station nahm man Rücksicht auf MCS
Am 20.9. entschieden die Ärzte, mich auf eine “normale” Station zu verlegen.
Bis dahin ging es mir relativ gut, ich erzählte pausenlos von meiner Chemikalienunverträglichkeit. Zunächst ziemlich ungläubig wurde dann aber doch so gut es ging Rücksicht auf mich genommen. Das Fenster blieb geöffnet, die Reinigungskraft sollte mein Zimmer nicht wischen, an der Tür hing ein Hinweisschild, fremde Personen sollten sich vor Betreten im Stationszimmer melden.
Das Personal war einparfümiert, keine Frage – doch irgendwie hatte ich das Gefühl, ernst genommen zu werden. Unangenehm war dieser ständige Geruch nach diesem typischen Desinfektionsmittel der Hände. Klinikeigene Mittel, die in der Waschecke standen, wurden entfernt. Zu meiner Überraschung rochen Bettwäsche und Handtücher nicht nach parfümiertem Waschmittel.
Zum Waschen benutzte ich zunächst klares Wasser, bekam neutral riechende Einmalwaschtücher. Später benutzte ich meine eigenen Sachen, die mir meine Ehefrau ins Krankenhaus brachte. Ich wurde nur mit dem, was ich am Körper trug, ins Krankenhaus eingeliefert, hatte keine Zeit irgendetwas mitzunehmen.
Verlegung in einen Container
In den Abendstunden des 20.9.2010 erfolgte die Verlegung. Meine neue Station befand sich aufgrund von Erweiterungsbauten des Krankenhauses in Containern.
Eine fürchterliche Luft schlug mir entgegen, ich wurde in ein sehr enges 3-Bett-Zimmer geschoben. Das war kein Krankenzimmer, das war ein Aufbewahrungsort für Menschen, die sich nicht wehren konnten.
Zwischenzeitlich war meine Ehefrau eingetroffen, auch sie bemerkte diese grauenhafte Luft. Mein Kopf zog sich zusammen, ein Kratzen im Hals stellte sich ein, ich bekam Panik – hier sollte ich bleiben?
Ich sprach die Stationsschwester an, verwies auf meine Akte, in der sich MCS-Informationen befanden. Ich bekam einen einfachen Mundschutz, meine MCS-Maske lag sinnigerweise zu Hause. Mit diesem Mundschutz lag ich im Bett, meine Ehefrau hatte zu diesem Zeitpunkt die Klinik bereits verlassen.
210/120 psychisch?
Routinemäßig wurde mein Blutdruck überprüft – die Mitarbeiterin war erschrocken, lag dieser doch bei 210/120. Ein gerade anwesender Arzt wurde gerufen.
Dieser hörte sich meine Probleme und meine Hinweise auf MCS zwar an, meinte aber, das sei wohl psychischer Natur, wollte mir ein Medikament verabreichen, mich nicht von der Station nehmen.
Trotz oder gerade wegen meines angeschlagenen Zustands platzte mir der Kragen.
Ich warf ihm ärztliches Fehlverhalten vor, fragte ihn, ob er als derzeit anwesender Arzt die Verantwortung für einen Blutdruck von 210/120 nach einem Herzinfarkt übernehmen könne. Ich verweigerte ein Medikament, verlangte von ihm nichts weiter als frische Luft. Ich drohte damit, das Krankenhaus sofort zu verlassen.
Bevor dieser Arzt sich dann doch zu einem Telefon begab, meinte er, ich könne jederzeit gehen, das Krankenhaus sei schließlich kein Gefängnis. Nach seinem Telefonat kam er zu mir zurück, erklärte mir kurz und knapp, ich würde sofort zurückverlegt werden. Als ich noch etwas sagen wollte, würgte er mich mit den Worten, er hätte jetzt keine Zeit mehr, müsse in die ZNA (Zentrale Notaufnahme), dort hätte er noch weitere Patienten, ab.
Bessere Luft verbessert Blutdruck auf 150/80
Kurze Zeit später wurde ich auf die Station, von der ich kam, zurückverlegt, wurde in eine Ecke eines großen Patientenzimmers vors Fenster geschoben. Zu diesem Zeitpunkt lag mein Blutdruck bei 190/100 – ca, gegen 04:00 Uhr morgens bei 150/80.
Die folgenden Zeit ließ man mich in Ruhe – wurde EKG gemacht setzte ich meine Maske auf. Dem Oberarzt der Station berichtete ich während seiner Visite sehr genau von diesem Vorfall. Einen MCS-Patienten hatte er vorher noch nicht, jetzt sei seiner Meinung nach ja wieder alles in Ordnung…
Meine Werte waren gut, eine Röntgenuntersuchung der Lunge, eine Ultraschalluntersuchung des Herzens fiel nicht negativ aus, am 22.9.2010 konnte ich das Krankenhaus verlassen.
Entlassung und REHA
Im Krankenhausbericht steht von diesem Vorfall nichts!
Meinem Hausarzt aber berichtete ich sehr genau, was am 20.9. dort vorfiel – er meinte lediglich, die hätten mir das Leben gerettet.
Der Sozialdienst des Krankenhauses, der ebenso keine Ahnung von MCS hatte beantragte bei meiner Krankenkasse eine REHA.
Meine Krankenkasse schlug eine Klinik an der Ostsee vor, ich bekam die Telefonnummer der dortigen Chefärztin. In einem Telefongespräch erklärte mir die Chefärztin, ihre Klinik sei für die REHA eines MCS-Betroffenen völlig ungeeignet!
Die Mitarbeiterin meiner Krankenkasse meinte, sie könne mir keine Alternative zu dieser Klinik bieten.
Was sie mir verschwieg:
Gemäß § 9 SGB IX und § 33 SGB I haben Versicherte bei der Durchführung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ein Wunsch- und Wahlrecht.
Ich habe also nicht nur einen Anspruch auf eine REHA, ich darf mir die Klinik selbst aussuchen.
Im Internet fand ich, dass Krankenkasse diesen Wunsch gern entweder ablehnen oder aber eine Zuzahlung fordern:
“Ein Rehabilitationsträger (z.B. der Gesetzlichen Krankenversicherung) ist auch nicht berechtigt, Ihren Wunsch nur unter der Bedingung nachzukommen, dass Sie eventuell entstehende Mehrkosten als Differenz zum Pflegesatz einer vom Rehabilitationsträger bevorzugten Einrichtung selber zahlen. Eine solche Zuzahlungspflicht sieht das Gesetz nicht vor! Es gilt das Sachleistungsprinzip, d.h. Sie haben gegenüber dem Kostenträger einen gesetzlichen Anspruch auf die Rehabilitationsleistung und nicht nur auf Kostenerstattung. Üben Sie also Ihr Wunschrecht aktiv aus!”
Gibt es eine MCS-gerechte REHA Klinik?
- Ich habe also ein Wahlrecht – welche Klinik aber kann ich wählen?
- Welche Klinik führt eine REHA nach Herzinfarkt bei gleichzeitiger MCS durch?
- Wo ist diese Klinik, die auf die Bedürfnisse derer die an MCS erkrankt sind, Rücksicht nimmt?
Ich fürchte, ich werde keine REHA durchführen können.
Autor: Manfred Flor für CSN – Chemical Sensitivity Network, Hamburg 26.09.2010
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