Ausländische Wissenschaftler in der Medizin fragen: „What’s up in Germany“?

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Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, wenn man sich mit Ärzten, Wissenschaftlern oder Organisationsleitern aus dem Bereich der Umweltmedizin aus den USA ganz pauschal über Studien zu Chemikaliensensitivität unterhält, lautet: „What’s up in Germany?“ (Was ist los in Deutschland?).

Der Grund: Bei den wissenschaftlichen Studien, die in den vergangenen 10 Jahren über die Erkrankung Chemikaliensensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity, WHO ICD-10 T78.4) veröffentlicht wurden, fallen die Deutschen aus dem Rahmen. Leider nicht im positiven Sinne.

Unter dem Teppich türmen sich die Fakten
Während auf internationaler Ebene Wissenschaftler davon ausgehen, dass mindestens 15% der Bevölkerung auf Alltagschemikalien wie z.B. Parfüm, frische Farbe, Autoabgase, Putzmittel im Niedrigdosisbereich reagieren, wird in Deutschland die Meinung künstlich am Leben gehalten, Chemikaliensensitivität sei selten, kaum erforscht, nicht existent, nicht diagnostizierbar und vor allem, dass die Krankheit psychisch bedingt sei. Demzufolge bleiben Erkrankte ohne medizinische Hilfe, erhalten keine Unterstützung, obwohl Ihre Gesundheit und Arbeitsfähigkeit in erster Linie von chemikalienfreien Räumlichkeiten und der Akzeptanz und Rücksichtnahme ihres Umfeldes abhängt.

Deutschland hält international Führung für MCS – Psychostudien
Betrachtet man alle seit 1945 veröffentlichten wissenschaftlichen Studien über Chemikaliensensitivität, wird auf einen einzigen Blick klar deutlich, dass die Behauptung, MCS sei eine rein psychisch basierende Erkrankung, nicht gehalten werden kann. Von bisher insgesamt 833 publizierten Studien gingen noch nicht einmal ein Viertel (199 / 24%) von einer psychischen Ursache aus. Von diesen 199 Studien und Veröffentlichungen erschienen alleine 62 in den vergangen acht Jahren, gegenüber 137 in den ganzen 54 Jahren zuvor. Merkwürdig, wo doch die Diagnostik sich in allen Bereichen der Medizin drastisch verbessert hat und Wissenschaftler über Möglichkeiten wie nie zuvor verfügen.

 

Deutschland spitzenmäßig? Eher wohl nicht
Von diesen 62 psycholastigen Studien und Veröffentlichungen in peer review Fachjournalen aus verschiedenen Ländern stammen etwas über 40% (25) aus Deutschland. Nicht schlecht, Herr Specht!

Wundert sich jetzt noch jemand, dass MCS Forschung aus Deutschland im englischsprachigen Raum auf Argwohn stößt und man von ernsthaft forschenden Wissenschaftlern und Medizinern aus den USA gefragt wird: „What’s up in Germany?“

 

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Februar 2008

Literatur: MCS Bibiliographie MCS psychische Ursache Zeitraum 10/99 – 4/2007

11 Kommentare zu “Ausländische Wissenschaftler in der Medizin fragen: „What’s up in Germany“?”

  1. Mary-Lou 14. Februar 2008 um 22:59

    Komisch, dass Deutschland den Anschluss nicht nur bei der Pisa-Studie, sondern auch bei den medizinischen Studien z. B. bzgl. MCS eindeutig verpasst hat.

    Woran das nur liegen mag???

  2. Franz 14. Februar 2008 um 23:49

    Die Doktorväter heutiger Wissenschaftler waren viele Jahre von der internationalen Wissenschaft abgeschnitten. Das mag auch seine Auswirkungen haben.

  3. Spider 17. Februar 2008 um 23:05

    Tja, was soll ich sagen, im Ausland kann Deutschland mit der Nummer, die die Mehrzahl deutscher Umweltmediziner in Bezug auf MCS abzieht, eben leider nicht punkten.

    Ziemlich lächerlich wirkt es, wenn man nach zig Jahren außer der RKI-Studie in Bezug auf MCS nichts vorweisen kann. Wobei man ganz klar sagen muss, brauchbar ist diese, im internationalen Forschungsstand längst unhaltbare RKI-Studie mit Sicherheit nicht.

    Aber was noch schlimmer ist, manche Universitätsprofessoren setzen dem Ganzen noch eins drauf, in dem sie MCS als nicht nachweisbar darstellen. Das ist nicht nur ein schlechter Witz, sondern meiner Meinung nach, unterlassene Hilfeleistung. Denn durch Verleugnung wissenschaftlich erwiesener Tatsachen, werden MCS-Patienten hierzulande falsch behandelt, Antragsteller in Renten- und Schwerbehindertenverfahren um ihre Ansprüche betrogen und MCS-Patienten von Gutachtern diskriminiert und menschenunwürdig behandelt.

    Und wie funktioniert das schlechte Spiel?

    Es kann nur funktionieren, in dem viele Involvierte entsprechend handeln, anders könnte man diese Nummer nicht so erfolgreich und im großen Stil abziehen.

    In einem interessanten Blog-Bericht kann man nachlesen, wie die Spielregeln funktionieren, wie sie funktionieren:

    http://www.csn-deutschland.de/blog/2008/01/01/mutige-aerzte-fehlen-unserem-land/

    Allerdings sind Chemikaliensensible trotz allem nicht machtlos, es wird sich zukünftig einiges verbessern. Daran glaube ich!
    Diejenigen, die in Deutschland dieses miese Spiel so erfolgreich mit Schwerkranken treiben, werden auch einmal eine Pechsträhne im Spiel haben. Da bin ich mir ganz sicher.

  4. Mary-Lou 18. Februar 2008 um 09:18

    Besser als meine Vorredner hätte ich die Angelegenheit nicht kommentieren können.

    Ergänzend möchte ich bemerken, dass Prof. Eikmann im Anschluß an die überaus gelungene Fernsehdokumentation über MCS (Mulitple Chemikaliensensitivität), des ZDF in der Sendung 37° („Ich kann Dich nicht riechen.“), die der ZDF-Doku-Kanal ausstrahlte, auch hier nichts Besseres in der Diskussionsrunde als die RKI-Studie eingefallen ist.

    Wie lange möchte der Mann diese überholte Studie noch anführen?
    Ein Aushängeschild für deutsche Forschungsarbeit und für unsere Universitätskliniken ist dies sicherlich nicht.

    Dieses Verhalten trägt dazu bei, dass man Deutschland im Ausland belächelt und eben denkt, „What’s up in Germany?”, was ich nicht gerade als erstrebenswert ansehe.

    http://www.csn-deutschland.de/forum/showthread.php?id=6118
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/425434?inPopup=true

  5. Janik 26. Februar 2008 um 08:12

    Die RKI Studienleiter gestanden Mägel im Aufbau und der Durchführung der RKI Studie zu. Die Studie hat keine nenneswerten Erkenntnisse gebracht, außer daß sie gezeigt hat, daß man den Anschluß an die internationale Wissenschaft verpasst hat. Ihn aufzuholen zu wollen würde von den deutschen Wissenschaftlern verlangen, sich mit den Studien aus dem Ausland konstruktiv auseinanderzusetzen und nicht mehr wie Prof. Eikmann im Fernsehen zu sagen, ja, es gäbe immer mal wieder solche Studien. Aus diesem Tenor war zu entnehmen, daß ausländische Studien, die MCS irgendwie auch nur ansatzweise belegen, unerwünscht und nicht beachtenswert sind. Auf Dauer kommt damit jedoch keiner weit.

  6. Analytiker 6. März 2008 um 16:21

    Was ich im CSN-Forum über die Umweltklinik der Uniklinik Gießen gelesen habe, ist schon extrem. Eine Umweltklinik ist das in Gießen bestimmt nicht.

    Um so mehr verdeutlichen diese Tatsachen, was von der RKI-Studie zu halten ist, denn daran war Prof. Eikmann von der „Umweltklinik Gießen“ maßgeblich daran beteiligt.

    http://www.csn-deutschland.de/forum/showthread.php?id=6174

  7. X-Faktor 18. März 2008 um 23:41

    Deutsche MCS-Studien haben eindeutig den Anschluss an die internationale Wissenschaft verpasst. Nicht nur dass man schwerkranke Menschen um ihre gerechtfertigten Ansprüche betrügt, nein, im Ausland belächelt man die deutsche Forschungstätigkeit, mit der Konsequenz des nachhaltigen Ansehensverlusts.

    Gibt es in Deutschland eine reale praktizierende und forschende Umweltmedizin? Ich glaube eher nicht, denn ich empfinde es als extrem peinlich, nach so vielen Jahren die Ergebnisse der RKI-Studie in den Himmel zu preisen und neue ausländische Studienergebnisse als Bagatelle abzutun.

    Als erstrebenswert sehe ich die Misere nicht gerade an, aber mich fragt ja niemand.

    XXX

  8. Lucca 25. März 2008 um 20:46

    Die deutsche universitäre Umweltmedizin hat versagt, sie arbeitet gegen die Menschen die sie diagnostizieren und therapieren soll. Studien die sie veröffentlicht, sind kaum mehr als eine Farce. Es fällt langsam auf und das ist gut so!

  9. T-Rex 29. März 2008 um 22:32

    Du triffst den Nagel auf den Kopf Lucca.
    Diese „Heldentaten“ sollten von den Chemikaliensensiblen
    nicht mehr länger still schweigend einkassiert werden, sondern
    geoutet. Geht an die Öffentlichkeit Leute, Ihr seid die Opfer
    nicht die Täter.

  10. Terminator 8. August 2008 um 20:59

    Ehrlich gesagt kann ich nur mit dem Kopf schütteln, völlig unverständlich ist mir, wie man ein derartiges Trugbild in der Öffentlichkeit verbreitet und die armen MCS Kranken hilflos ihrem Schicksal überlässt, anstatt ihnen bei ihrer äußerst schwerwiegenden Umweltkrankheit angemessen zu helfen.

    Erschwerend kommt hinzu, dass man viele ahnungslose Menschen opfert, da man es hinnimmt, das unzählige MCS Neuerkrankungen hinzu kommen, durch dieses ignorante Getue und Gehabe, das dem Stand der Wissenschaft mit Null und Nichte Stand hält.

    Da hat Deutschland bei vielen anerkannten ausländischen Wissenschaftlern seinen Namen weg, einfach unglaublich.

  11. Groppo 27. Oktober 2008 um 15:05

    Diese Frage stelle ich mir auch andauernd. Gerade bei den vielen interessanten ausländischen Studienergebnissen zu MCS, dieses gesamten aufschlussreichen CSN-Blogs. Da wäre es meiner Ansicht nach das Normalste von der Welt, wenn sich Deutsche Ärzte den MCS Studien annehmen und die neusten Forschungsergebnisse in die praktizierende Umweltmedizin mit einbeziehen würden, damit uns endlich Hilfe zuteil wird. Aber nichts dergleichen, nur ganz wenige Umweltärzte nehmen uns ernst und versuchen auch, uns tatsächlich zu helfen.

    Groppo

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