MCS-Erkrankte – die Leprakranken unserer Tage

In vergangenen Zeiten wurden Leprakranke aus der Gesellschaft verstoßen

Heute sind es Umwelterkrankte mit MCS, die man verstößt

Viele, die an schwerer MCS leiden, machen die Erfahrung, dass ehemalige Kollegen, Freunde, Bekannte und Familienmitglieder allmählich aus ihren Leben verschwinden. Diese Kontaktpersonen glauben, dass der Mensch mit MCS für den Umgang zu anstrengend geworden ist. In unserer modernen und geschäftigen Welt sind viele nicht mehr in der Lage, die dafür erforderliche Mühe auf sich zu nehmen, häufig sind ihnen sogar die Kompromisse, um mit einem MCS-Kranken Kontakt aufzunehmen zu viel. Es hat in der Gesellschaft keine besondere Bedeutung mehr, jene mit solchen schweren Behinderungen, wie sie MCS-Kranke haben, zu akzeptieren und ihnen zu helfen.

An einer derart sozial behindernden Erkrankung wie MCS zu erkranken, erfordert enorme Willenskraft, wenn man als integere, psychisch gesunde Person überleben will. Jene, die an MCS erkrankt sind, leben ein Leben, das aufgrund dieser Erkrankung durch große Verluste gekennzeichnet ist. Verlust von Gesundheit, Arbeitsfähigkeit, Identität, Wohlstand, Unterkunft, Freiheit, soziale Kontakte, Freunde, Familienmitglieder und in einigen Fällen sogar der Verlust des Lebenspartners. All dies gehört zu den schlimmen Erfahrungen, die man als MCS-Kranker macht.

Wenn jemand an einer anderen schwerer Erkrankung leidet, wie z.B. Krebs, Herzerkrankungen, steht eine große Armee an Gesundheitsberufen bereit, um dem in seiner Gesundheit Beeinträchtigten medizinisch zu helfen und ihn zu unterstützen. Menschen mit solchen herkömmlichen Diagnosen finden Sympathie, Verständnis und professionelle Behandlung. Wenn jemand psychische Probleme bekommen hat, weil er an so einer schweren Erkrankung leidet, wird widerspruchslos verstanden und akzeptiert, dass ein Mensch, bei dem eine derart ernsthafte Erkrankung diagnostiziert wurde, deshalb auch sekundär psychisch erkranken kann.

MCS – Eine Erkrankung mit geringen Ansehen

Wenn man jedoch MCS bekommt, sieht alles etwas anders aus. Man entdeckt schnell, daß dies eine der schlimmsten Krankheiten ist, die man haben kann. Am besten ist es, man trifft auf Mediziner, die unvoreingenommen sind, aber von dieser Erkrankung keine Ahnung haben. Am schlimmsten ist es, wenn Kranke an misstrauische, voreingenommene und wertende Ärzte geraten, die unser eins mangels wissenschaftlicher Kenntnis als geisteskrank ansehen. In Dänemark gibt es – ähnlich wie in vielen Ländern – kein einziges Krankenhaus, das MCS-Kranke aufnimmt, untersucht und medizinische Behandlung zukommen lässt. Es gibt keine Ärzte, die von MCS etwas verstehen. Die einzigen aus den Gesundheitsberufen, die sich in Dänemark für MCS interessieren, sind eine Gruppe von Psychiatern, die beschlossen haben, dass MCS eine funktionelle Störung ist. Deshalb stellen sie schnell eine psychiatrische Diagnose, welche die Kranken für den Rest ihres Lebens nicht mehr los werden.

Wenn MCS-Kranke aufgrund der persönlichen Folgen von MCS – eine Erkrankung, die buchstäblich das eigene Leben zerstört – psychische Probleme bekommen, gibt es für keine der resultierenden psychischen Schädigungen ein vergleichbares Verständ- nis, wie bei anderen schweren Erkrankungen. Als MCS-Erkrankter darf man es sich offenbar nicht erlauben, infolge dieser schweren Erkrankung psychische Probleme zu bekommen.

Wenn jemand als schwer MCS-Erkrankter Anzeichen von Depression oder anderem seelischem Ungleichgewicht an den Tag legt, wird man als geisteskrank diffamiert. Auf diese Weise braucht sich die Gesellschaft nicht mit Chemikalien und Pestiziden auseinander zu setzen, welche MCS-Kranke sehr krank machen.

Früher wurden Leprakranke auf die andere Seite der Stadtmauer verbannt. Heute folgen MCS-Kranke mehr oder weniger freiwillig ihren Fußspuren, da Menschen mit MCS die chemischen Expositionen, die in modernen Gesellschaften üblich sind, nicht aushalten können.

  • Wie lange muss dieser Wahnsinn noch weitergehen?
  • Wie lange kann die Gesellschaft weiterhin die Existenz der schwer an MCS Erkrankten ignorieren und das Problem nicht wahrnehmen, indem man behauptet, es habe nichts mit dem erhöhten Verbrauch von Chemikalien und Pestiziden zu tun und wäre nur etwas, das sich im Kopf der Umwelterkrankten abspielt?
  • Wieviel Prozent der Bevölkerung müssen erst an MCS erkranken, bevor die Gesellschaft das Problem mit den Chemikalien ernst nimmt und Maßnahmen veranlasst?

Autor: Bodil Nielsen, Dänemark, 3. Oktober 2010

Photo: Bodil Nielsen

Übersetzung: BrunO für CSN

Dänischer Originalartikel: MCS-ramte: Nutidens spedalske

Englische Übersetzung: MCS Sufferers – The Lepers of Today

Fortsetzungsserie: „Dänisches MCS-Forschungscenter im internationalen Blickfeld“

11 Kommentare zu “MCS-Erkrankte – die Leprakranken unserer Tage”

  1. tohwanga 4. Oktober 2010 um 08:59

    Liebe Bodil,

    vielen Dank für deine Zeilen. Ein Blog-Beitrag der mir aus tiefster Seele spricht!

    Es wird noch lange dauern bis die ahnungslos gehaltene Welt sehen will. Bis endlich anerkannt wird, das dieser übermäßig Chemikalien-Gebrauch ALLE Menschen schädigt.

    Leider, werden noch sehr viele Menschen, insbesonder Kinder, erkranken müssen, bis Politiker/Ärzte/Pharma- und ChemieLobby und unsere Mitmenschen MCS als Existent sehen wollen.

  2. Kira 4. Oktober 2010 um 10:55

    Liebe Bodil,
    danke für deinen Blogbeitrag.
    Zitat: „daß dies eine der schlimmsten Krankheiten ist, die man haben kann“ – ich will hier behaupten, es ist die schlimmste Krankheit überhaupt.
    MCS macht dich zum Gefangenen deines Körpers und die Umwelt verhält sich nihilistisch. Man schaut lieber weg, hört nicht zu – es betrifft einen JA noch nicht.
    Hinzu kommt, dass diese alltägliche Gewalt oft den Blick für das Wichtigste verstellt – die inneren und äußeren Verletzungen der Opfer, die diese neben der schweren Erkrankung häufig für ihr ganzen Leben beschädigen.
    Direkte, indirekte und institutionelle Diskriminierung sind an der Tagesordnung, ebenso Machtmißbrauch. Gewalt hat viele Gesichter.

    Aber leider werden es immer mehr, unsere Solidarität wächst von Tag zu Tag – dank Internet!!
    Man fängt an uns zuzuhören – natürlich ist das noch nicht das Gelbe vom Ei, aber immerhin! Wir halten nicht mehr länger den Mund, sondern decken auf.
    Gemeinsam sind wir stark, wir brauchen keine Gewalt,weil wir nicht darauf angewiesen sind, andere zu unterdrücken, um sich selbst gut zu fühlen.

  3. Maria 4. Oktober 2010 um 11:25

    Liebe Bodil,

    herzlichen Dank für Deinen aussagekräftigen Artikel, der die zwangsläufig entstehenden Lebensumstände von MCS-Kranken bestens veranschaulicht.

    Viele dieser leidvollen Begebenheiten müssten sich so nicht abspielen, wäre die Gesellschaft bereit, Rücksicht zu nehmen. Doch leider ist diese einst häufig an den Tag gelegte Eigenschaft, bei den meisten Konsum- und Spaß-orientierten Menschen der heutigen Zeit, verloren gegangen. Keiner möchte mehr auf etwas verzichten, nichts an seinen eingespielten Lebensgewohnheiten ändern. So kommt es zwangsläufig zu Brüchen von Freundschaften, da man als MCS-Kranker nicht mehr dazugehört und aus mangelnder Akzeptanz somit in Vergessenheit gerät.

    Doch was geschieht, wenn genau diejenigen, die uns vergessen, eines Tages selbst an Multipler Chemikalien Sensitivität – MCS erkranken?

    Dann ist das sicher etwas anderes…

  4. PappaJo 4. Oktober 2010 um 11:51

    Das mit der Lepra ist mir schon recht früh klar geworden, der Vergleich. Den brachte ich auch hin und wieder als Vergleich an. Aber auch hier wurde nicht zugehört.

    Vor die Stadtmauer gern aber dann bitte in ein eigenes Dorf oder Siedlung. Für uns wäre es wohl sinnvoller als ständig um sich rum die zu haben, die ohne Sinn und Verstand den Chemiewahn weiter leben, weil sie es nicht besser Wissen.

    Wenn plötzlich die Umwelt und das „normale“ Leben Dein Allergen ist, wie soll man sich dann noch entspannt bewegen. Egal wo man hin geht, man rechnet immer mit Expositionen, die auch fast immer eintreten. Genauso wie die darauf folgenden Reaktionen!

    Die Umwelt ist für uns wie ein Dschungel, in dem wir ohne alles und nackt ausgesetzt werden. Ohne Schutz und immer auf der Flucht.

    Ich sehe es mittlerweile als Freiheitsberaubung an, das ich mich nicht frei entfalten kann.

    Gilt das hier nicht mehr für MCS-Kranke???

    GG Art 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
    (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

    GG Art 2
    (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
    (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

    Papier ist auch hier sehhhhhhr geduldig!!!

  5. Clarissa 4. Oktober 2010 um 14:01

    @PappaJo, genau das waren auch meine Gedanken, also brauche ich mich nicht zu wiederholen.

    Mein Dank geht an die fleissigen Übersetzer und natürlich an die Autorin dieses Artikels.

    DANKE, Clarissa

  6. Seelchen 4. Oktober 2010 um 19:51

    Liebe Bodil!
    Vielen Dank für deinen Blogartikel,der genauso sich jeden Tag abspielt.
    Gerade habe ich mit einer sehr jungen Frau erleben müssen,wie sie schwer an MCS erkrankt in die Psychiatrie eingewiesen wurde und das noch mit richterl.Beschluss;so dass sie alleine nicht mehr raus kann.
    Es tut unendlich weh und ist dermaßen traurig,dass auch ich weiterhin nicht aufgeben und kämpfen werde für eine „Lepra-Station“ für uns alle,wo wir ohne Diskriminierungen leben können!!!
    Alles Liebe von Seelchen

  7. PappaJo 5. Oktober 2010 um 13:58

    @Seelchen
    Wie ist das denn möglich???
    Das ist ja ein Skandal!
    Hat sie denn keine Familie mehr, seit MCS?
    Wieso holt sie denn niemand aus der Folterstation raus? Die machen sie doch da noch mehr kaputt!!!

  8. Kira 6. Oktober 2010 um 22:57

    @Seelchen,
    Zitat“ in die Psychiatrie eingewiesen wurde und das noch mit richterl.Beschluss;so dass sie alleine nicht mehr raus kann.“
    Auch ich stelle hier die Frage, wie ist sowas möglich – kannst du das evt. detalierter darstellen?
    Oder erzählen wie es dazu gekommen ist?

    Gruß Kira

  9. Seelchen 7. Oktober 2010 um 14:20

    AN PappaJoe und Kira:

    Ich habe vor einen Blog darüber zu schreiben,wenn ich das Einverständnis von der jungen Frau dazu habe.
    Das so etwas möglich ist,habe ich nun erfahren und ein Betroffener sagte mir auch,dass wir vorsichtig sein sollten,wenn wir noch in eine Stadt gehen und etwas abbekommen und dann schwindlig oder torkelig werden und verwirrt reden und alleine sind,denn wenn uns jemand dann beobachtet,könnte es genauso sein,dass die Polizei geholt wird und dann so etwas passiert…
    Weiteres dann demnächst…

  10. gitte 8. Oktober 2010 um 09:57

    ja, wir haben keine grundrechte mehr und den meisten ist das noch nicht einmal klar. wir werden wirklich als aussätzige behandelt und es gehört enorme willenskraft dazu, den kopf nicht hängen zu lassen, vorausgesetzt, man hat eine bleibe, in der man sich erholen kann. doch die meisten mscler haben selbst das nicht.

    was mich auch so angreift ist die tatsache, dass es eine grosse gruppe menschen gibt, die definitiv msc haben, es aber nicht begreifen!!! sie laufen nachwievor von arzt zu arzt mit ihren difusen problemen und schlucken ihre depri pillen und verlieren immer mehr an selbstwert, weil keiner versteht, was mit ihnen los ist. sie werden halt psychiatrisiert oder operiert…doch leider scheint ihr gehirn schon so geschädigt zu sein, dass sie auf die hinweise, dass sie chemikalienintolerant sind, gar nicht mehr reagieren. in meiner nachbarschaft sind zwei frauen, die sowohl die hüften, als die knie operieren liessen, beide haben starke allergien und beide benutzen hemmungslose duftstoffe. auf meine hinweise reagieren sie absolut null. sie wollen es nicht wahrhaben und bleiben lieber potente kunden der pharmas.

    danke bodil, für den artikel, ich werde ihn weiterleiten an zig leute, die meist gar nicht interessiert sind und auch mich lieber in der isolation lassen. gitte

  11. Franzi 9. Oktober 2010 um 09:52

    @ Gitte
    Deinen Worten kann ich mich nur anschließen, ist meine Nachbarschaft womöglich auch deine? ;)

    Die (auch hier dergestalt) Operierten sind auch schon in einem Alter, wo die rapide verschleißende Gesundheit gern darauf geschoben wird. Sie sind beratungsresistent, wenn es darum geht, dass sie selber sehen wie bei denjenigen, die es richtig machen, sich eher langfristige gesundheitliche Verbesserungen erreichen lassen, während sie auf „Fachleute“ vertrauen, denen vor allem ihr Geldbeutel wichtig ist.

    Da denk ich nur: Gleich und gleich gesellt sich gern….

    Kann mer mache nix, muss mer gucke zu

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