Eine politisch unerwünschte Erkrankung

MCS, reaktive Erkrankung der oberen Atemwege, Asthma, Chemikalienunverträg- lichkeit, hypersensitive Atemwegserkrank- ung… es gibt so viele Ausdrücke, um eine behindernde, politisch unerwünschte Erkrank- ung zu beschreiben. Vor 2004 hatte ich mit Ausnahme von Asthma noch nie irgend eine dieser Bezeichnungen gehört, doch später sollte ich sie alle in etliche amtliche Schriftstücke geschrieben bekommen, um meine neue Erkrankung mit einem Namen zu versehen.

25 Jahre Lehrerin

Im Herbst 2004, nach einer erfolgreichen fünfundzwanzigjährigen Karriere, in der ich unterrichtet, beraten, betreut und mit einem Oberschulamt in Süd-Kalifornien Lehrpläne geschrieben habe, als ich an meine Stelle als Lehrerin zurück kehrte, um 204 Schüler pro Jahr zu unterweisen, bekam ich jedes Mal, wenn ich mein Klassenzimmer betrat, ein heftiges Brennen im Gesicht, am Hals, in den Augen und in den Ohren.

Ein Meer von brennenden Gesichtern

Am Ende jeder Unterrichtseinheit brannte es nicht nur bei mir und nicht nur meine Haut war rot angelaufen, sondern ich sah auf ein Meer von ebenfalls hoch rot brennenden Gesichtern. Ich hatte nie derart starke Körperschmerzen erlebt. Was geschah mit uns? Meine Schüler legten vor Erschöpfung ihre Köpfe auf den Tischen ab, Eltern schrieben mir Emails, dass ihre Kinder in meinem Unterrichtsraum Migräne hätten, Schüler begaben sich nach meinem Unterricht zur Unfallstation und niemand von uns hatte für diese seltsamen neuen Symptome einen Namen.

Umzug in ein anderes Gebäude

Binnen zweier Monate konnte ich wegen der extremen Schmerzen kaum noch aus den Augen sehen, ich ging jeden Abend um Sechs ins Bett. Wenn ich das Klassenzimmer betrat, bekam ich Nesselfieber im Brustbereich. Die Bücher, die ich auf meinem Pult anfasste, verursachten Bläschen an meinen Fingern. Meine Ermattung war überwältigend. Ich dachte, das wäre mein Ende. Schließlich, nachdem die Bezeugungen der Schüler angehört wurden, verlegte der Schuldirektor uns alle in ein anderes Gebäude. Doch für mich als jene, die sich jeden Tag so viele Stunden in dem Raum aufhielt, war dies zu spät. Fünf Ärzte erlaubten mir nicht, an den Arbeitsplatz zurück zu kehren, und nicht ein einziger hatte für das, was mit meinem Körper vorging, eine Bezeichnung. Ich war ratlos und hatte Schmerzen.

Sie haben multiple Chemikalien-Sensitivität

Dann endlich fragte ich meinen Hausarzt, „Was ist mit mir los?“. Widerwillig sagte er: „Es tut mir Leid, Ihnen dies sagen zu müssen, aber sie sind an multipler Chemikalien-Sensitivität erkrankt.“ Ich wusste weder, was das war, noch kannte ich die Folgen dieser Diagnose, doch dies wurde mir schnell klar. Sie bedeutete das Ende meiner Lebensweise, wie ich sie bisher kannte. Das heftige Brennen weitete sich aus, und ich spürte es nicht nur in den Klassenzimmern, sondern ab da brannte es in Lebensmittelgeschäften, Einkaufszentren und ich fing sogar an, auf Kleidung und Körperpflegemittel der Mitmenschen zu reagieren. Ich hatte jedes Mal heftige Schmerzen, wenn mir eine chemische Substanz in die Quere kam oder wenn ich mich in ein Gebäude mit Schimmelbefall oder Wasserschaden begab.

Ein neuer Name für die gleiche Krankheit

Ich wurde zu einem Toxikologen überwiesen, der mir nach ausgiebigen Blutuntersuchungen erzählte, ich hätte Chemikalienunverträglichkeit, ein weiterer neuer Namen für meine Erkrankung. Er sagte, diese Bezeichnung wäre politisch korrekter, doch er verfügte über sehr wenige Behandlungsmöglichkeiten, um mir gegen diese chronische Erkrankung zu helfen. Warum wurde der Name der Diagnose geändert?

Noch ein neuer Name für die gleiche Diagnose

Dann ging es zu einem anderen Lungen-Spezialisten, der einen Methacholin-Provokationstest im Krankenhaus machte, welcher meine Atmung weitgehend lähmte. Danach lautete meine neue Diagnose, reaktive Erkrankung der oberen Atemwege, wieder eine neue Bezeichnung für das gleiche Reagieren auf chemische Substanzen.

Ist „Multiple Chemikalien-Sensitivität“ ein unanständiges Wort?

Als ich die Anerkennung meiner Behinderung durch die Sozialversicherung beantragte, schaute ich in die Gesetzestexte und die Bezeichnung MCS war nirgends zu finden. Es sah so aus, als ob sie ein unanständiges Wort wäre. Meine Symptome hatten sich nicht geändert oder abgeschwächt, doch ich gewann schnell den Eindruck, dass ich eine politisch unerwünschte Krankheit hatte.

Warum viele Namen für ein und dieselbe Krankheit?

  • Warum eiern all diese Fachleute um die ursprüngliche Diagnose „Chemikalien-Sensitivität“ herum?
  • Fürchten sie, der chemischen Industrie zu nahe zu treten?
  • Hat ihnen irgendeine Regierungsstelle gesagt, sie dürften diese Bezeichnung nicht verwenden?

Ich habe mir diese Erkrankung nicht ausgesucht und es fiel mir anfänglich nicht leicht zu verstehen, warum diese Fachleute darauf achteten, diese Diagnose in ihren offiziellen Dokumentationen nicht zu erwähnen. „Es ist, was es ist“, sagte ich, „ich reagiere auf viele Chemikalien“. Es erschien mir wie eine Verfügung von „oben“, welche die Verwendung des Begriffes „Chemikalie“ nicht zulassen würde.

Warum lieber Krebs als Multiple Chemikalien-Sensitivität?

Wie viele andere mit dieser Erkrankung, habe ich seit 2004 viele tausend Dollar für Behandlungen ausgegeben, für die keine Krankenkasse aufkommt. Anstatt nicht so teurer einzukaufen, um Geld zu sparen, musste ich um zu Überleben teurere Sachen kaufen, die keine Chemikalien enthalten. Wenn man von einer Behindertenrente lebt, ist dies extrem schwierig. Es gibt keine Stiftung, die allen chemisch Verletzten hilft. Tatsächlich haben manche Kinder mit MCS gesagt: „Ich wünschte, ich hätte Krebs, dann würde meine Krankheit wenigsten anerkannt. Ich bekäme von Stiftungen Unterstützung“. Warum muss sich irgendein Kind wünschen, anstatt dieser Krankheit Krebs zu haben?

Medizinische Behandlung verweigert

Das schlimmste an dieser politisch unerwünschten Krankheit ist, dass mir und meinen Mitbehinderten die tatsächlichen Behandlungsmöglichkeiten verwehrt werden, die helfen könnten, unsere Lebensqualität zu verbessern. Ich kann es nicht ertragen zu hören, dass sich ein weiterer Mensch das Leben nahm, weil er sich die Behandlung nicht leisten konnte, oder weil keine schadstofffreie Unterkunft zugestanden wurde, oder weil jemand zu Hause festsitzt, da die Versicherung keine Behandlung bezahlt, oder weil jemand wegen dieser Erkrankung schikaniert worden ist.

Die Zeit des Schweigens ist vorbei

Ich fordere unsere Gemeinschaft heraus, sich gegen die Diskriminierung durch Verleugnung zu erheben und verlange adäquate medizinische Versorgung, die erforderlich ist, um unsere Lebensqualität zu verbessern. Trotz unseres erheblich reduzierten Einkommens bezahlen wir unsere Krankenversicherungsbeiträge und wir müssen die Behandlungen bekommen, die unsere Ärzte zur Verbesserung unseres Lebens verschreiben. Unsereins braucht etwas anderes als andere Kranke. Den meisten von uns helfen keine Medikamente und wir sollten dafür sorgen, dass die Versicherungsmanager, die gerade ihre dritte Ferienwohnung bauen, während wir uns abmühen, über die Runden zu kommen, unsere Stimmen hören. Es ist für sie an der Zeit zuzuhören und in unserem Sinne zu handeln.

Rechte müssen auch für Chemikaliensensible gelten

Es ist an der Zeit, gegen jede weitere Verleugnung juristisch vorzugehen, um dadurch die Botschaft zu verbreiten, dass die Diskriminierung unserer politisch unerwünschten Erkrankung vorüber ist. Unsere Behinderung wird nicht länger unterdrückt und geleugnet. Jede andere Erkrankung wird behandelt und so sollte es auch mit unserer sein. Niemand von uns hat sich diese unvorstellbare Veränderung der Lebensweise ausgesucht und nun ist es an der Zeit sich weiter zu entwickeln, um damit voranzukommen, den gleichen Zugang zum Gesundheitssystem zu verlangen, wie alle anderen Behinderungen.

Autor: Christi Howarth für CSN, 19. Oktober 2010

Übersetzung: BrunO

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7 Kommentare zu “Eine politisch unerwünschte Erkrankung”

  1. Franzi 23. Oktober 2010 um 13:53

    Christi, das ist total auf den Punkt gebracht und es zeigt haargenau die Ursache auf: Denn wenn „die da oben“ es WIRKLICH gewollt hätten – sie haben doch alle Möglichkeiten dazu.

    Unanständig ist der Umgang mit MCS seitens derjenigen, die bewußt rumeiern bei der Diagnose.

    Alles müsste umgekehrt sein: Ärzte vom Kaliber Binz, Anerkennung von MCS plus daraus sich ergebenden Folgen plus finanzieller Wiedergutmachung flächendeckend in Deutschland.

    Das Geld ist da und diejenigen, die darauf sitzen, sollten es herausrücken, um endlich Gerechtigkeit walten zu lassen wie bei anderen „chemieindustriefreundlichen“ Krankheiten auch. Ist doch das Mindeste, finde ich.

  2. Kira 24. Oktober 2010 um 10:11

    Danke Christi für deinen Blogbeitrag :0)

    Keiner von uns hat sich diese Erkrankung freiwillig ausgesucht und JA ES IST EINE POLITISCH UNERWÜNSCHTE ERKRANKUNG – AUCH HIER IN DEUTSCHLAND.
    Warum?
    Weil die etablierten Parteien und Politiker, ihren Wahlauftrag, das Volk zu vertreten, schon lange nicht mehr wahrnehmen. Stattdessen sind sie zu politischen Dienern der Chemie-, Pharma- und anderen Lobbyisten verkommen.
    Die Kette der Lobbbyistenpolitik ist lang.

    Laßt uns aufschreien, unser Pures Entsetzen über die immer wieder praktizierten vielfältigen Arten von Verunglimpfungen schwerst toxisch erkrankter Menschen zum Ausdruck bringen, denn wir sind davon betroffen. Hier werden immer noch Klischees bedient und Vorurteile geschürt, die in keiner Weise berechtigt sind.

    MENSCHENRECHTE:
    1. RESPEKTIERUNGSPFLICHT: Der Staat ist verpflichtet, Verletzungen der Rechte zu unterlassen.
    2. SCHUTZPFLICHT: Der Staat hat die Rechte vor Übergriffen von seiten Dritter zu schützen.
    3. GEWÄHRLEISTUNGSPFLICHT: Der Staat hat für die volle Verwirklichung der Menschenrechte Sorge zu tragen, wo dies noch nicht gegeben ist.

    In meinen Augen ist es das verwerflichste überhaupt sich so an schwer erkrankten Menschen zu vergehen – nur aus Profitgier;0(

  3. Mia 24. Oktober 2010 um 14:14

    Ich habe die gleichen Erfahrungen gemacht, nur dass ich in den eigenen 4-Wänden toxisch verletzt wurde. Im Anschluß an eine supergute umweltmedizinische Behandlung damals in Bayern mußt ich mit der Diagnose u.a. „Multiple Chemikalien Sensitivität“ zur ersten Begutachtung zur Amtsärztin meines Heimatortes. Ich war guten Mutes, jetzt Hilfe zu bekommen. Statt dessen wurde Frau Dr. G… böse wegen der Diagnose und beleidigte mich deswegen aufs Schärfste. In meiner Personalakte fand ich später u.a. den Eintrag: „Frau …. ist sich der Ursache Ihrer Erkrankungen nicht bewußt.“ Und das obwohl ich seitenlange Laborbefunde über die Gifte in Luft und Möbeln unseres Wohnhauses vorlegen konnte. Ihre Reaktion sollte mich einschüchtern und die Wahrheit über die mißlungene Schädlingsbekämpfung in unserem Haus (auf Empfehlung des Gesundheitsamtes) verschleiern. So gehen Behörden mit ihren Lehrkräften um, wenn diese ohne eigene Schuld schwer erkranken. Jeder alkoholkranke Kollege bekommt Hilfen und Heilungsmöglichkeiten; Chemikalienerkrankte werden einfach im Stich gelassen und totgeschwiegen.
    Mia

  4. PappaJo 24. Oktober 2010 um 16:32

    @Mia
    Jeder alkoholkranke…
    Ist das denn nicht auch eine Vorstufe von MCS? Mein Arzt meinte das gehöre aber zusammen, diese Süchte. Dazu zählt auch Nikotin und natürlich weitere Drogen. Das ist die „langsame“ Karriereleiter von MCS.

    MCS wird nicht anerkannt werden solang wir Politiker ohne Rückrad habe und diejenigen sich mit einem basierendem System aus Flüssigkeit gefüllten Blasen stützen. So kann man sich wohl einfacher durch die Karriere schlingern. Da geht das auch nur um Geld und Macht und vor allem wird keiner an seinem eigenen Ast sägen. Das ist wie überall, mit so der einen oder anderen Meinung wird man schnell zum Aussenseiter und muß gegen die geschmierten (aber nicht mit Öl-Schröder ist schon weg) anstinken.

    Es ist an der Zeit das wir Politiker bekommen die aus einem ganz anderen Kaliber sind. Die die das Land regieren, sollten es auch regieren und nicht die Handlanger der Industrie sein. Das ist wie der Unterschied zwischen einer Selbstständigkeit als Unternehmer und Franchise.

    Eben ein anderes Kaliber….

  5. Clarissa 26. Oktober 2010 um 09:13

    Achtung es folgt eine ironische Betrachtung.

    @Mia,@PappaJo vielleicht sollten wir Alkohol oder Drogen nehmen, denn dann wären wir ja „anständige“ Kranke und hätten Anspruch auf Behandlung. Wenn dann hinterher immer noch dieses lästige MCS vorhanden ist, dann sind das halt die Spätfolgen des Alkohol oder Drogen Missbrauches.

    So einfach könnte es sein, man muss nur genug Fantasie entwickeln um die Tatsachen zu verschleiern, wie das geht machen uns ja Regierungen und Globalplayer laufend vor.

  6. cherry 1. November 2010 um 19:17

    nicht nur ärzte handeln so, sondern auch die arbeitgeber (öffentlicher dienst). mir wurde verboten, mit meinen kollegen/kolleginen über die krankheit zu reden. als ich mich dann nicht daran gehalten habe, wurde mir „empfohlen“, aus dem arbeitsleben auszuscheiden.

  7. Gerhard Becker 3. November 2010 um 01:01

    Ich sehe es auch so, dass der offizielle Umgang mit MCS politische, besser:Wirtschaftspolitische Hintergründe hat.

    Diese Krankheit stellt letztlich eine einzige Anklage und zugleich Absage an dem typisch westlichen, konsum- und profitorientierten Lebenstil dar, der im erheblichen Maße durch den alltäglichen Verbrauch und Einsatz von Chemieprodukten im privaten und öffentlichen Leben gekennzeichent ist. Dieses Leben und die Profitmaximierung der chemischen Industrie wären nicht länger mehr möglich, würden die Menschen plötzlich auf Chemikalien im privaten Bereich, würden Chemikalien nicht mehr massenhaft in der Landwirtschaft und Pharmazie, im Bauwesen, in der Lebensmittelindustrie, würde Plastik nicht so dominant für Trinkbehälter und Lebensmittelverpackungen und Bekleidungsindustrie verwendet werden. Die Wirtschaftskraft Deutschlands müsste als Gesundheitsrisiko und Krankheitsursache anerkannt werden. Dass kommt einem revolutionären Verhalten gleich, einem extremen politischen Verhalten. Und deshalb sperrt man diese politisch nicht gewollten Kranken lieber in geschlossenen Anstalten weg, wie man es in Diktaturen mit politisch Andersdenkenden tat und tut. Es ist schlimmster gesundheitspolitischer Rassismus. Diese unliebsame Rasse braucht man nicht massenhaft aktiv zu töten, man braucht sie einfach durch Verweigerung von Hilfe nur ihren Schicksal zu überlassen. Sie sterben von allein. So dass Kalkül derer, die die Hilfe bewusst veweigern. Es ist verschleierter Völkermord!

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