Archiv der Kategorie ‘Krank durch den Beruf‘

Seit 25 Jahren krank durch Holzschutzmittel

Der Marathon fand statt, aber anders als geplant

1977 (16 Jahre alt) begann ich eine Lehre in einer Holzgroßhandlung. Ich war bis zu dem Zeitpunkt gesund, keinerlei Problem. Ich war sehr sportlich und habe immer Fußball gespielt. Etwa ein Jahr später bekam ich in unregelmäßigen Abständen immer wieder einseitige Taubheitsgefühle, vom Fuß beginnend, über die Hand, den Rücken ins Gesicht, Mund und den Rest vom Kopf. Dabei konnte ich nicht mehr sprechen. Die Sprachfähigkeit stellte sich erst wieder ein, wenn dieses taube Gefühl im Kopf weg war. Naja, in dem Alter denkt man sich bei manchen Dingen nicht viel, zumal dann wieder alles in Ordnung war wie immer.

Krankenhaus statt Marathon

Dies ging bis 1985. Ich hatte geplant, meinen ersten Marathon zu laufen. Stattdessen lag ich dann acht Wochen im Krankenhaus. Was war passiert? Ich hatte wieder mal so eine Taubheitsattacke. Ich lies mich nach Hause fahren und war dermaßen müde, dass ich mich nicht mehr wach halten konnte. Als ich aufwachte, war mir nur schlecht. Ich dachte, das geht wieder weg. Am nächsten Tag ging ich wieder arbeiten, irgendwie ging es mir nicht besser und ich bin nach zwei Stunden wieder nach Hause. Am nächsten Tag ging ich zum Arzt und wurde für den Rest der Woche krankgeschrieben.

Eine Abwärtsspirale begann

Montags war mir immer noch schlecht. Wieder zum Arzt, noch eine Woche krankgeschrieben. Sonntagabend, ich hatte schon zwei Kilo abgenommen, mir ging es immer schlechter und ich fing an zu zittern. Ich hielt es nicht mehr aus und sagte meiner Mutter, sie sollte den Notarzt rufen. Ich lag inzwischen im Bett und zitterte wie Espenlaub. Der Arzt kam und mein Blutzuckerwert war auf 25 abgesackt. Er hängte mich an einen Tropf und mir ging es schlagartig wieder gut. Dann traf der Krankenwagen ein und ich kam ins Krankenhaus, acht Wochen. Mir ging es schon am anderen Morgen nach der Einlieferung wieder schlecht. Mir wird schwindlig in Fahrstühlen und ich bekam nach dem Frühstück immer Herzrasen. Ohne einen Befund wurde ich wieder entlassen. 3 Tage war ich dann noch in der Mayo – Klinik in Wiesbaden, am letzten Tag beim Psychologen. Psychosomatische Ursache die Diagnose! Ich war stinksauer und konnte es nicht fassen. Mir geht es nur schlecht und alle sagen, ich bin gesund.

Oberstes Ziel: Funktionieren

Zwei Wochen war ich noch krankgeschrieben, dann ging ich wieder arbeiten, obwohl es mir noch immer schlecht ging. Inzwischen fühlte ich mich jeden Tag wie unter Strom, hatte jeden Tag Kopfschmerzen, Probleme mit dem Neonlicht in der Firma, und das alles über Jahre hinweg. Das war der Horror. Laufen konnte ich nicht mal mehr 6 Kilometer, egal was ich versuchte. Bis 1989 habe ich in dem Holzgroßhandel noch ausgehalten, dann habe ich gekündigt und war für sechs Monate bei einem Lieferanten. Weniger Stress, mehr Gehalt, aber mir ging es nicht besser. Dann habe ich dort aufgegeben. Ich hatte kurz vorher ein sehr gutes Angebot bei Beiersdorf im Außendienst abgelehnt, weil es mir schlecht ging, was aber niemand wusste. Ich habe immer versucht, irgendwie normal zu funktionieren.

Kranke unerwünscht

1990 habe ich noch einen Versuch bei Portas gestartet, wo ich dann in der Probezeit entlassen wurde, weil ich mich hatte krankschreiben lassen – ich konnte nicht mehr. Die haben gesehen, was los war und haben mich natürlich gleich entlassen. Ich hatte mich dann selbständig gemacht mit einem Schreiner, den ich vom Großhandel kannte. Wir haben zusammen gearbeitet, vier Monate. Da hatte ich noch eine private Krankenversicherung. Mein Hausarzt wollte eine Behandlung auf Verdacht durchführen und ich sollte eine Kostenbeteiligung bei der Versicherung beantragen. Die warfen mir vor, ich hätte eine Krankheit nicht angegeben und habe mir den Vertrag gekündigt. Es wurde ja nie etwas diagnostiziert!

Der Amtsarzt sagt: Sie sind gesund!

Ich meldete mich beim Arbeitsamt. Damals war das noch nicht so ein Stress und Druck wie heute. Sechs Jahre war ich bei denen. Ich hatte meine Ruhe, aber mir ging es nicht besser. Inzwischen hatte ich noch Magen – Darmprobleme und sehr oft Sodbrennen. Mir wurde bei einer Untersuchung die Wirbelsäule punktiert, ohne Ergebnis. Inzwischen nervte mich das Arbeitsamt. Ich sagte, dass ich schon seit Jahren krank wäre. Ich musste zum Amtsarzt, der sagte, ich sei gesund. Die wollten mich zum Spargelstechen schicken und ich sagte, ich kann nicht. Ich musste einen Schrieb unterschreiben, dass ich krank wäre und dann haben sie mich rausgeworfen! Zum Sozialamt wollte ich nicht gehen, da ich ja auch keine Krankheit nachweisen konnte. Voll arbeiten ging auch nicht, also, wieder selbständig, um irgendwie über die Runden zu kommen.

Wieviel kann/muss man aushalten?

Zum Glück hatte ich mir den Dachboden bei meinen Eltern ausgebaut und musste zu der Zeit noch keine Miete bezahlen. Keine Krankenversicherung und keine Rentenversicherung, dafür reichte es nicht. Das habe ich bis 2008 so gemacht. Niemand wusste die ganzen Jahre, wie es mir wirklich geht. Einem Arzt sagte ich mal, dass ich es nicht mehr aushalten würde. Der gab mir Psychopharmaka, abends eine Tablette, sagte er. In der Nacht flog ich wie ein Vogel durch Hochhausschluchten. Ich wachte morgens auf, hatte die verschiedensten Töne in den Ohren, ich war total zugedröhnt. Ich musste auf Toiletten, wurde beim Aufstehen ohnmächtig und knallte mit dem Kopf auf den Nachttisch. Als ich wieder aufwachte, schleppte ich mich auf die Toilette, wo ich wieder ohnmächtig wurde und auf den Boden fiel. Ich weiß nicht, wie lange ich da gelegen hatte. Ich schleppte mich wieder ins Bett, hatte Tränen in den Augen und fragte mich, wie lange das noch so weiter gehen soll. Dem Arzt sagte ich, dass ich die Tabletten nicht mehr nehmen würde. Ich hatte später irgendwann doch die Anleitung gelesen, da stand: man sollte morgens die Tablette nehmen!!

Das Vertrauen in Ärzte schwand dahin

Bei fünf Ärzten war ich in der Zeit bis 2009. 2001 habe ich selbst festgestellt, dass ich keinen Kaffee, keinen Tee (von beidem stand ich immer unter Strom), keine Farbstoffe und Konservierungsstoffe vertrage. Den Arzt hat das wenig interessiert. Ein gebrochenes Schultergelenk wurde bei mir nach einem Sturz auch nicht erkannt, erst nach drei Monaten. Seit 1980 hatte ich erhöhten Blutdruck, erst seit einem halben Jahr bekomme ich dafür Tabletten, wie auch für meine Magenprobleme Säureblocker. Oft habe ich mir gewünscht, morgens einfach nicht mehr aufzuwachen, weil ich nicht wusste, wie ich den nächsten Tag überstehen sollte.

Die Taubheitsattacken kommen von Nahrungsmittel die ich anscheinend nicht vertrage. Allen Ärzten hatte ich meinen Verdacht auf eine Schadstoffbelastung geschildert, niemand ist dem nachgegangen! Alle Ärzte habe ich der Ärztekammer gemeldet, niemand ist sich einer Schuld bewusst, alles wurde abgewiegelt.

Heilpraktikerin kam Vergiftung auf die Spur

2007 bin ich durch Zufall durch meine Freundin zu einer Heilpraktikerin gekommen, die sich seit über 30 Jahren mit Schadstoffen und Allergien befasst. Die stellte mir sofort ganz gezielte Fragen, sodass ich fragen musste, woher sie weiß, wie es mir geht und welche Probleme ich habe. Der erste Mensch, der mich verstanden hatte, aber zu spät, sie konnte nichts mehr tun. Das war ein Schock für mich. Ich hatte immer gehofft, dass mir irgendwann irgendjemand helfen könnte. Sie erklärte mir jedoch diese negativen Dinge nicht. Die Diagnosen habe ich mir selbst im Internet übersetzt und es dauerte über ein Jahr, bis ich das alles verstanden hatte.

Krank? Dann ist man nichts mehr wert

Dass es zu spät sei, das hatte ich meiner damaligen Freundin, die ich schon über 20 Jahre kannte samt Familie, aber nur 9 Monate mit ihr zusammen war, nicht gesagt. Ich wollte sie damit nicht belasten. Sie hatte damals den Ausbruch der Krankheit noch miterlebt und mich im Krankenhaus besucht. Damals ging ich wegen der Krankheit keine Beziehung mit ihr ein und ich hatte sie dann über 20 Jahre nicht mehr gesehen. Man könnte sage, dass sie die Liebe meines Lebens war, bis zu diesem Zeitpunkt. Als sie erfuhr, dass ich nicht regelmäßig arbeitete, was ja für mich schon seit Jahren normal war, sagte sie, ihr würde das gar nicht gefallen und ihr Ex wäre ja bald mit seiner Ausbildung fertig. Außerdem musste ich mir vor einer Feier sagen lassen, ich solle mich mit dem Essen zurück halten, sie hätte keine Lust wegen mir früher nach Hause zu fahren. Das war ein starkes Stück!

Schnödes „Good bye“ per E-Mail

Drei Wochen später wurde ich per Email vor die Tür gesetzt, sie ist wieder mit meinem Vorgänger zusammen, den sie abserviert hatte, weil er arbeitslos wurde. So viel zu Toleranz und Beistand bei Krankheit (wie mies kann man denn sein, sie war nur wegen meiner Visitenkarte mit mir zusammen war). Ich hatte vorher noch ihre komplette Küche umgebaut und eine neue zu meinem Einkaufspreis eingebaut, Rasen gemäht, Hecken geschnitten, Wurzeln ausgegraben, ohne Rücksicht auf mich. Alles ohne ein Danke. Diesen miesen Abschuss habe ich bis heute nicht verkraftet. Ich kann so viel Hinterhältigkeit immer noch nicht fassen. Noch nie habe ich mich im Leben so gedemütigt und wie Dreck behandelt gefühlt.

Rundum fertig

Inzwischen legte ich meinem Hausarzt die Diagnosen der Heilpraktikerin vor und drohte ihm mit den Medien. Diagnose der Heilpraktikerin: Reduzierter Allgemeinzustand als Folge von Schadstoffbelastung, periphere Durchblutungsstörungen, MCS, multiple Nahrungsmittelempfindlichkeiten – und Allergien, vegetative Dystonie infolge endogener – und exogener Stressbelastung, lymphatische – allergische Diathese, Vitamin B12 Mangel.

Ich habe bei einigen Lebensmitteln wahre „Erdbeben“ in mir, bis zu Durchfällen über den ganzen Tag, habe mit Licht vor allem beim Einkaufen Probleme, meine Kopfhaut fühlt sich irgendwie wie Leder an und ist durch anfassen mit kalten Fingern nicht richtig kälteempfindlich. Ich fühle mich leer vor allem im Kopf und habe das Gefühl, dass in meinem Kopf ein Stein ist statt ein Gehirn. Sehstörungen, ich vergesse manchmal Worte beim Sprechen oder Dinge die ich tun wollte, kann mich nicht mehr von richtig von Anstrengungen erholen, bin schnell gereizt oder genervt, schaffe es immer noch nicht mehr als 7 Kilometer zu laufen, was ich auch ganz aufgegeben habe.

Bei den Taubheitsattacken sehe manchmal auf einem Auge gar nichts mehr und habe bis zu drei Tagen Migräne. Öfters habe ich Kopfschmerzen, ich habe oft Ohrensausen, häufig ist mir so hundeelend, dass ich glaube ich sterbe. Ich weiß seit 25 Jahren nicht mehr wie es ist, wenn man sich gut und normal fühlt. Ich fühle es gibt in meinem Gehirn keine Endorphine mehr oder nur noch sehr wenige, fühle mich antriebslos, Schilddrüsenunterfunktion (auch nicht erkannt, oder nichts dagegen unternommen). Drei Seiten mit Lebensmitteln hatte die Heilpraktikerin mir ausgedruckt, die ich mehr oder weniger vertrage. Manchmal reagiert mein Körper auch schon auf Dinge die ich immer vertragen habe.

ARGE – Das Grauen nimmt seinen Lauf

Juli 2008 habe ich ganz aufgegeben und mich bei einer ARGE angemeldet, ALGII. Das wollte ich so lange wie möglich vermeiden. Wer dort schon mal war, weiß warum – das ist das Grauen. Menschenunwürdig und man ist rechtlos. Mein Antrag wurde über vier Monate bearbeitet und dann mit dem Hinweis abgelehnt, wenn ich einen Verwertungsausschluss für meine Lebensversicherung beigefügt hätte, wäre er genehmigt worden! Woher sollte ich das wissen? Bis heute klage ich dagegen, schon mit dem zweiten Anwalt. Mein aktueller Rentenbescheid beläuft sich auf 359€. Erst Anfang Dezember 2008 bekam ich Leistungen, aber nur einen Teil, weil mir ein durchschnittlicher Umsatz vom Vorjahr abgerechnet wurde, den ich gar nicht mehr hatte. Außerdem ging es wieder zum Amtsarzt.

Gehen Sie mal zum Umweltarzt

Ich legte dem Amtsarzt ein Schreiben von mir und die Diagnose der Heilpraktikerin vor. Er sagte mir, er würde mir ja alles glauben, aber Heilpraktiker seien nicht anerkannt, ich solle zu einem Facharzt für Umweltmedizin gehen. Mein Hausarzt wollte noch mal mit dem Amtsarzt telefonieren, was er vergas. Ich hakte nach und er besprach mit ihm, dass ich für drei Stunden täglich arbeitsfähig sei, damit mich das Kreisamt (ARGE) nicht mehr „piesacken“ würde. Ich könnte noch zu einem Umweltarzt gehen, aber für mich würde sich sowieso nichts mehr ändern. Auf Deutsch: Sieh zu wie du klar kommst.

Also suchte ich so einen Umweltarzt und bei mir im Ort war so eine Ärztin. Bei meinem Termin war ich gerade mal zehn Minuten bei der guten Frau. Sie fragte, was sie da jetzt noch tun sollte. Ich habe mich dann einfach verabschiedet und bin gegangen. Wollen Ärzte Patienten eigentlich noch helfen oder kassieren die nur die Krankenkassen und die Privatpatienten ab???

Und wieder ausgetrickst

Meinen Hausarzt sagte ich, dass ich eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung hätte. Dafür würde es nicht reichen, sagte er mir. Acht Monate später meldete sich meine Versicherung, der Neue, der die Vertretung übernommen hatte. Er kam vorbei und ich schilderte ihm mein Fall. Da ich mehr als 50% arbeitsunfähig sei, hätte ich die Versicherung in Anspruch nehmen können, jetzt war es zu spät, da ich sie gekündigt hatte, weil ich sie nicht mehr bezahlen konnte. Toll!!

Na, dann werden Sie doch Heilpraktiker

Ich suchte mir einen neuen Hausarzt, legte dem alles vor. Der fragte was ich arbeite. Ich: „seit 1990 bin ich nicht mehr angestellt, ich beziehe ALG II“. Er meinte, ich hätte sicher einiges drauf um arbeiten zu können. Ich sagte ihm, er hätte keine Ahnung was ich die Jahre mitgemacht hätte. Er dann, ich könnte ja einen dreimonatigen Lehrgang machen, um Heilpraktiker zu werden. Was für ein Schwachsinn. So etwas muss man sich noch zu alledem anhören. Man kommt vom Regen in die Traufe.

ARGE Sachbearbeiter war MCS kein Fremdwort

Vor Wochen musste ich zu meinem Fallmanager bei der ARGE, der mich vermitteln wollte. Dem legte ich auch wieder alles vor. Wie ich das langsam leid bin, jedem alles wieder neu zu erklären. Aber der verstand mich sogar und kannte MCS. Ich erklärte ihm, es wäre wohl sinnlos irgendwo zu arbeiten, wenn man sich nicht gut fühlt und die Hälfte der Zeit deshalb nicht arbeiten kann, bzw. das Haus nicht verlassen kann. Jetzt muss ich wieder zum Amtsarzt, weil die Einstufung nur für ein Jahr gilt. Ich muss also bis zur Rente jedes Jahr dort hin und von 359€ leben. Wer macht solche Gesetze??? Ist ein Mensch der krank ist gar nichts mehr wert??? Er würde mich nicht vermitteln und ich solle jeden Monat drei Proforma-Bewerbungen schreiben. Ich dachte, ich spinne!

Ausgemustert wie ein kaputter Roboter – Ist das OK?

Noch nie im Leben hatte ich Schulden. Durch die ARGE ist das jetzt der Fall. Mir wurde von meinem Sachbearbeiter der ARGE gesagt, dass meine Eltern ja meine Vermieter seien, die würden mir sicher Mietaufschub gewähren!! Wo anders wäre mir schon die Wohnung gekündigt worden und ich würde auf der Straße stehen.

Ich war mein Leben lang im Verein und war im Motorradclub. Das kann ich mir alles nicht mehr leisten. Ich überlege schon, ob ich mich nicht wieder bei der ARGE abmelde und mein Gewerbe wieder anmelde, ohne Kranken- und Rentenversicherung. Es ist nur noch demütigend und menschenverachtend. Ich gebe zu, man denkt, wenn man so etwas erlebt, darüber nach, ob man so weiter leben möchte. Ich weiß nicht, wie ich das Ganze alles bis heute ausgehalten habe.

Ich wünsche mir Toleranz und Anerkennung meiner Krankheit. Ich war Formaldehyd, Lösungsmitteln, Kunststoffen, Farben, Lacken, Holzschutzmitteln (auch Xyladecor) und Leimen fast 13 Jahre lang ausgesetzt. Zusätzlich hatte ich das Ganze noch in meiner Wohnung, die ich zusätzlich nach Ausbruch der Krankheit auch noch ausgebaut habe. Aber ein Mensch ist in Deutschland nur noch etwas wert, wenn er gesund ist und Arbeit hat. Ich verweigere jede Wahl, da ein Politiker nicht mehr für mich wählbar ist und es niemanden mehr um die Menschen geht, sondern nur noch um Geld und Macht!

Autor: Michael Hundsdorf für CSN-Chemical Sensitivity Network, Mai 2010

Weitere Artikel zum Thema Holzschutzmittel und krank durch den Beruf:

Die Kehrseite der Medaille – oder mit welchen Mitteln in Deutschland Umweltkrankheiten vertuscht werden sollen

Zermürbungstaktik gegen Umweltmediziner – keine Lösung mit Erfolgsaussicht für ein wachsendes Problem

Weltweit boomt die Solidarität hinsichtlich schwer toxisch geschädigten Menschen dank Internet.

Deshalb möchte ich den MCS-Aufklärungsmonat Mai zum Anlass nehmen, mich bei all denen zu bedanken, die bisher ihre Solidarität zu uns Betroffenen immer wieder bekundet haben, uns mit Rat und Hilfe tatkräftig zur Seite stehen, uns Mut machen unsere Rechte durchzusetzen und für uns da sind, wenn wir Hilfe brauchen. Ohne ihr tatkräftiges Engagement wären wir hier in Deutschland mit Sicherheit nicht so weit gekommen, wie wir jetzt sind.

Dass aber diese Solidarität auch nach hinten los gehen kann, wird einfach verschwiegen, zumal wenn man in die Mühlen der deutschen Justiz gerät.

Einen guten Einblick lieferte ein Artikel in der Trierer Zeitung 16vor:

Die haben mein ganzes Vermögen vernichtet

21. April 2010

Im Dezember 2005 leitete die Staatsanwaltschaft Trier auf Betreiben der Kassenärztlichen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren gegen den Neurologen Dr. Peter Binz ein. Die KV wirft dem bundesweit bekannten Mediziner Abrechnungsbetrug vor. Ob sich diese Vorwürfe inzwischen erhärten ließen, ist ungewiss und auch nicht zu erfahren. Denn bis dato wurde keine Anklage erhoben – und das, obwohl die Ermittler mehrere Hundert Patienten vernommen haben. Noch im ersten Halbjahr werde das Ermittlungsverfahren abgeschlossen, erwartet nun der Leitende

TRIER. Wer in die Mühlen der Justiz gerät, braucht in aller Regel starke Nerven und auch ein langer Atem wäre von Vorteil. Nerven sind gewissermaßen das Metier des Trierer Mediziners Dr. Peter Binz, für seinen langen Atem ist der Neurologe und Psychiater hinreichend bekannt – und bei manchen Behörden und auch einigen seiner Kollegen durchaus berüchtigt.

Vor fast viereinhalb Jahren leitete die Staatsanwaltschaft Trier gegen Dr. Binz ein Ermittlungsverfahren ein. Es bestand der Verdacht des Abrechnungsbetrugs, geäußert wurde er vom Trierer Regionalzentrum der Kassenärztlichen Vereinigung und deren damaligem Chef Dr. Carl-Heinz Müller. Der stieg zwischenzeitlich zum Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) auf, derweil die Ermittlungen gegen Dr.Binz noch andauern. Immerhin geht der Leitende Oberstaatsanwalt Dr. Jürgen Brauer nun davon aus, “dass das Ermittlungsverfahren noch im 1. Halbjahr abgeschlossen werden kann”. Bis Ende Juni soll also feststehen, ob gegen den Arzt Anklage erhoben oder ob das Verfahren eingestellt wird.

Patientenakten lagern noch immer im alten Präsidium.

Die Ermittlungen gestalteten “sich äußerst schwierig und zeitaufwändig, weil umfangreiches Beweismaterial auszuwerten ist und 500 bis 600 Patienten vernommen werden mussten”, erklärte Brauer auf Anfrage gegenüber 16vor. Dr. Binz spricht sogar von 620 Patienten, die in allen Teilen der Republik vernommen worden seien. Dass dies nicht ohne Folgen für die tägliche Arbeit der Praxis bleibt, versteht sich von selbst. Zumal noch immer mehr als 600 bei einer Durchsuchungsaktion im Juni 2006 beschlagnahmte Patientenakten im ehemaligen Polizeipräsidium lagern. Meldet sich ein Patient zur Sprechstunde an, muss das Praxisteam die jeweils benötigte Akte eigens anfordern.

Dr. Binz hat sich in den vergangenen rund drei Jahrzehnten bundesweit einen Namen gemacht – und manchen Vertreter von Kassen, Kammern und Berufsgenossenschaften auch gegen sich aufgebracht. Früh widmete er sich dem Thema Gesundheitsgefährdung am Arbeitsplatz. Hat er bei einem seiner Patienten den Verdacht, dass er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit durch giftige Substanzen gesundheitlich geschädigt wurde, meldet er dies der zuständigen Staatsanwaltschaft – was bislang jedoch in aller Regel folgenlos blieb. Rund 150 Mitarbeiter einer Schuhfabrik hat Dr. Binz behandelt – viele von ihnen seien frühzeitig verstorben, berichtet er. Mit der Zeit wandten sich immer mehr Patienten auch aus anderen Teilen der Republik an den Trierer Mediziner, dem 2007 der Zivilcouragepreis der Solbach-Freise-Stiftung verliehen wurde – für sein “langjähriges, herausragendes und tapferes Engagement für chemikaliengeschädigte Menschen aus allen Lebensbereichen”, wie es in der Begründung hieß. Im vergangenen Jahr war Dr. Binz für den “taz Panter Preis” der Berliner Tageszeitung nominiert.

Zwar hätten einige Patienten wohl auch aufgrund der Vernehmungen nicht mehr seine Praxis aufgesucht, berichtet der 69-Jährige, doch die meisten seien ihm treu geblieben. Den Vorwurf des Abrechnungsbetrugs weist der Mediziner weiterhin entschieden zurück. Der KV wirft Dr. Binz vor, diese habe “das ganze Vermögen meiner Familie vernichtet”. Tatsächlich musste er bei der Kassenärztlichen Vereinigung eine Bareinlage von 180.000 Euro leisten, um für mögliche Regressforderungen gewappnet zu sein. Um diese Summe aufzutreiben, habe er eine Hypothek auf sein Haus aufgenommen, berichtet Dr. Binz. Neben Zinsen kamen zusätzliche Ausgaben für Anwälte und Gutachter hinzu. Inzwischen hat der Mediziner nach eigenen Angaben rund 400.000 Euro Schulden.

Auf die Frage, ob man die Vorwürfe gegen den Nervenarzt aufrecht erhalte und ob Dr. Binz mit der Rückzahlung seiner Bareinlage rechnen könne, erklärte eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung am Dienstag gegenüber 16vor:

“Während laufender Ermittlungsverfahren geben wir grundsätzlich keine Stellungnahme ab”.

Ein Fels in der Brandung

Da kann ich nur sagen „Hut ab vor diesem Mann“. Als Patient habe ich bzw. wir ihn sehr schätzen gelernt und können nur bestätigen, dass ihm das Wohl seiner Patienten zu jeder Zeit sehr am Herzen liegt. Er ist für seine Patienten nach wie vor da – es ist und bleibt seine Lebensaufgabe den Patienten zu helfen, so lange wie er kann! „Ich habe nichts zu verbergen“ so seine eigenen Worte.

Auch seine Frau, seine Familie und seine Mitarbeiterinnen stehen hinter den Patienten – ungeachtet dieser angespannten Situation. Trotz dass die Patientenakten seit 4 ½ Jahren nicht griffbereit sind und ironischweise in einem chemikalienverseuchten ehemaligen Polizeirevier lagern, geht die Praxis weiter und das Telefon für Neuanmeldungen steht nicht still. Es gibt eben immer mehr, statt weniger Menschen, die durch Chemikalien auf ihrem Arbeitsplatz oder in ihrem Wohnumfeld erkrankten. Sie werden sich auch zukünftig nicht in Luft auflösen, ganz gleich wie das Verfahren für Dr. Binz ausgeht.

Die Taktik, Dr. Binz durch überlanges Verfahren zu entmutigen, wird schon deshalb nicht aufgehen, und weil wir ALLE weltweit unsere Solidarität für Dr. Binz kundtun und ihn tatkräftig unterstützen, so wie er es seit Jahren für jeden einzelnen seiner Patienten tut.

Solidarität erweisen dem kompetenden Umweltmediziner aus Trier auch namhafte Umweltmediziner und Organisationen aus anderen Ländern, u.a. den USA, Italien, der Schweiz, Korea und Frankreich. Ein Professor aus Korea schrieb sogar an die deutschen Ministerien. Sie alle bestärken Dr. Binz seit Jahren nicht aufzugeben und beobachten das laufende Verfahren mit wachsendem Argwohn.

Autor: Kira, CSN – Chemical Sensitivity, 06. Mai 2010

Vielen Dank an die Trierer Zeitung „16vor“ für die freundliche Genehmigung den Artikel „Die haben mein ganzes Vermögen vernichtet“ übernehmen zu dürfen.

Weitere Informationen zum Fall Binz:

Umweltmedizin in Deutschland, ganz nach Al Gore: Ihr habt es in der Hand

Auch andere, wie Al Gore, thematisieren, welche verderbliche Rolle Bullshit in unserer Gesellschaft spielt (vgl. a. Prof. Harry G. Frankfurt: Bullshit ist „schlimmer als die Lüge“):

„Wir müssen neue Wege für einen Austausch über unsere Zukunft ohne Manipulation finden. Dazu dürfen wir beispielsweise das Bestreiten und Verzerren wissenschaftlicher Erken-ntnisse nicht länger tolerieren. Wir müssen der dreisten Verwendung falscher, ausschließlich zum Zweck der Verdrehung der Tatsachen angefertigter Studien ein Ende machen.“ Al Gore, „Angriff auf die Vernunft“ (deutsche Ausgabe, S. 21).

Al Gore meint u. a. das Schweigen des Senats zum Golfkrieg und das Desinteresse an dem Thema Klimaerwärmung (nur kurzes Aufflackern nach Katrina). Al Gore analysiert, wie es dazu gekommen ist, dass im US-Fernsehen nur noch Angstmache kommt und die Schicksalsfragen der Nation keine Sendezeit bekommen.

Ich habe im Blog schrittweise an das Thema herangeführt. Bullshit bewirkt, dass die Betroffenen von Umweltkrankheiten alle entscheidenden Themen auslassen. Die höchste „Einschaltquote“ (Googleranking) fand mein Beitrag MCS und Gene. Doch das Thema ist nicht rechtswirksam, denn es ist (noch) nicht Stand der Wissenschaft, so gut die Studie von Schnakenberg auch ist und so groß das Lob von Pall. Gefährlich für die Gegenseite dagegen ist Tatsache, dass seit fast 20 Jahren von höchster Autorität anerkannt ist, dass MCS einen schwere organische Krankheit ist und zwar eine Vergiftung: das alles sagt der T78.4.

Ich habe mich seit 5 Jahren gefragt, wie es kommt, dass keine der Patienten-organisationen das Thema aufgreift, in wieweit das neue Merkblatt zur BK 1317 die Rechtslage verbessert. Als die BK 1317 (tox. Enzephalopathie) eingerichtet wurde, gab es ein ärztliches Merkblatt, auf dem die Erkrankung grob falsch dargestellt war zum Zwecke der Fehldiagnose und Prozesslenkung. Ich konnte an einem Falschzitat nachweisen, dass das Merkblatt willkürlich unwahr war, was auch den Nachweis der Absicht mit einschließt. Zurzeit unternimmt Prof. Triebig, ein Arbeitsmediziner, alles, das neue Merkblatt zu desavouieren und zwar mit Erfolg bei Gericht. Das ist auch kein Wunder. Denn niemand tritt ihm entgegen. Die Betroffenen, die Kläger, die Umweltgutachter, haben es in der Hand (gehabt), die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße zu stellen. Was dazu notwendig ist, ist publiziert. Es fehlt aber die Umsetzung und die liegt in der Hand der Betroffenen.

Die Psychothese war nur die dazu notwendige Angstmache. Was die umweltmedizinischen Gutachter auf den falschen Weg geführt und die Patientenszene in tausend Stücke geschlagen hat, ist der Beginn der MCS-Forschung in Deutschland. Die Anmaßung „Wir wollen das jetzt gründlich erforschen“ hat alle wissenschaftliche Erkenntnis aus 5 Jahrzehnten gewissermaßen annulliert. MCS ist seit langem bekannt und gut erforscht, erst seit dem Jahr 2000 ist es wieder rätselhaft. Die Annullierung des Wissens erfolgt durch Einschüchterung.

Angst und Vernunft

In Kapitel I zeigt Gore, dass Angst soweit gehen kann, dass folgerichtiges Denken aufhört: „Angst ist der Feind der Vernunft“ (S: 35).

Nach Prof. Harry G. Frankfurt gehört Anmaßung (und damit Einschüchterung) wesentlich zur Durchsetzung von Bullshit. Die Patienten werden gütig belehrt oder sie bekommen den Psychoeinlauf. Das führt u. a. dazu, dass Patienten so fit wie möglich beim Gutachter erscheinen. So werden sie arbeitsfähig geschrieben oder bekommen einen zu niedrigen GdB (Grad er Behinderung). Des Weiteren führt es dazu, dass sie ins falsche Thema abgedrängt werden. Die Angst verhindert, „Körperverletzung“ oder „Menschenwürde“ auch nur in den Mund zu nehmen, in der Befürchtung, nicht mehr für voll genommen zu werden. So werden sie gehindert, ihre Rechte zu vertreten.

Gore konkretisiert das Angstthema aus der Sicht des erfahrenen Politikers: Vernunft stützt den Rechtsstaat, Angst unterhöhlt ihn.

Der Königsweg ist der Rechtsstaat

Nur die Orientierung am Rechtsstaat kann die Psychiatrisierung beenden und die wissenschaftliche Anerkennung von MCS auch gesellschaftlich-rechtlich durchsetzen. Der Rechtsstaat ist kein Automat, kein Gott und auch kein gütiger gerechter Herrscher, sondern ein Regelwerk, das Recht definiert. Wird es nicht genutzt, gibt es kein Recht. Deshalb gibt es seit 1 ½ Jahrzehnten für Umweltpatienten kein Recht, auch nicht die Menschenwürde. Ob IEI oder Psycho, beides ist Aberkennung der Menschenrechte und der bürgerlichen Rechte und als solches gesetzwidrig.

Dagegen genügt Überzeugungsarbeit nicht. Denn, was hier geschieht ist so ungeheuerlich, dass es erst mal keiner glaubt. Die Gegenseite arbeitet schnell und effektiv. Jeder Vorteil (etwa die Widerlegung der Psychothese in der RKI-Studie) für die Patienten wird schnell wieder zunichte gemacht. Sie warten immer zwei Jahre, dann wird systematisch demontiert. Die letzten 15 Jahre haben das gezeigt. Sie haben auch gezeigt, dass es der Gegenseite sehr leicht gemacht wird, da Fortschritte nicht rechtlich genutzt wurden. Recht haben genügt nicht, man muss auch Recht bekommen. Die Psychiatrisierung ist schwere vorsätzliche Körperverletzung. Denn es werden schwer Kranke verhöhnt und verunglimpft. Die Psychothese ist auf dem menschlichen Niveau, wie wenn einer die Oma die Treppe runter schubst und sagt: „Mach’ langsam“.

Darum geht es, nicht um wissenschaftliche Fragen. Die sind längst gelöst, wenn man von therapeutischen Strategien absieht. Recht muss erstritten werden. Dafür gibt es die Regeln des Rechtsstaats. Wer diese nicht nutzt, sondern brav wissenschaftlich diskutiert, verliert die Prozesse und hilft Eikmann & Co. bei der Desorientierung.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 6. Mai 2010

Weitere Artikel von Dr. Merz:

Weiterführende Informationen:

REHA – Bringen Sie beim Abholen einen Rollstuhl mit

Es ist schon ein paar Jahre her. Wir hatten noch lokale Selbsthilfegruppen und trafen uns monatlich. Kontakt hielten wir per Telefon, denn Internet hatte kaum einer unserer Mitglieder. Die meisten von ihnen waren durch Chemikalien an ihrem Arbeitsplatz erkrankt. Obwohl es schon rund zehn Jahre her ist, erinnert man sich dennoch an einzelne Personen oder Episoden. Als vergangene Woche eine Frau mit MCS und schweren toxischen Schädigungen einen Artikel für den Blog schickte, indem sie über ihr Ringen mit der DRV wegen einer anberaumten REHA schrieb, kam ein Fall in Erinnerung.

Durch Chemikalien gezeichnet

Es war an einem Treffen unseres „Arbeits-kreises Giftgeschädigter“. Der Mann war noch recht jung, sah jedoch stark vorgealtert aus. Er betrat den Raum in Begleitung seiner Schwester. Sie musste ihn stützen, der junge Mann hatte kein Gleichgewicht mehr. Nach Ende der Vorträge kamen wir ins Gespräch. Die Schwester erzählte. Ihr Bruder war schon vom Versuch zuzuhören völlig erschöpft und kaum im Stande zu reden. Er hatte in einer großen Reifenfabrik gearbeitet. Jetzt war er ein gesundheitliches Wrack. Trotz des erschütternden Gesundheitszustandes machte die Rentenversicherung Stress und wollte nicht zahlen. Die Berufsgenossenschaft verhielt sich nicht kooperativer, sie weigerte sich, einen Zusammenhang zwischen dem desolaten Gesundheitszustand und der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz zu sehen. Obwohl er nicht mehr konnte, wollte der junge Mann nicht zulassen, dass ihm zu allem gesundheitlichen Leid auch noch Ungerechtigkeit durch diese Versicherungen widerfahren sollte.

Hirnschäden durch Lösungsmittel

Seine Schwester erzählte, dass er eine Hirn OP hinter sich habe. Man hatte versucht, den Schwindel und seine Hirnsymptome durch eine aufwendige Operation in den Griff zu bekommen. Es hatte sich dadurch nichts gebessert, eher das Gegenteil war der Fall. Die meiste Zeit war er in seinem Zimmer und schaute Videos an. Der Kontakt zu seinen Freunden war aus zwei Gründen fast völlig erloschen. Der junge Mann war nicht mehr in der Lage, Gesprächen zu folgen und konnte nicht mehr mit dem Auto zu seinen Freunden fahren, die in benachbarten Orten wohnten. Die Freunde, die anfangs noch zu Besuch kamen, waren völlig erschüttert über den Gesundheitszustand des Gleichaltrigen und konnten den Anblick kaum verarbeiten. Als Reaktion blieb es bei wenigen anfänglichen Besuchen, und dann kam keiner mehr.

Krank durch Chemikalien am Arbeitsplatz

Nichtsdestotrotz war die Familie des Mannes bestrebt, dass es ihm wieder besser gehen sollte. Die Schwester erzählte, dass sein Zustand nicht immer gleich sei und sie deshalb Hoffnung habe, dass sich etwas zum Besseren wenden könne. Sie wollte wissen, was die Familie unternehmen könne, damit sich der Gesundheitszustand etwas stabilisieren könne. Ich riet ihr damals als Erstes, das Zimmer des jungen Mannes ganz schadstofffrei zu gestalten und völlig auf Kunststoffe darin zu verzichten, denn durch Kunststoffe, Lösungsmittel und Gummi war er krank geworden.

Die Schwester ließ sich detailliert erklären, wie ein schadstofffreies Zimmer für eine chemikaliensensible Person aussehen solle. Sie hielt daraufhin das Zimmer, in dem sich der zuvor sehr aktive junge Mann fast ausschließlich aufhielt, für gänzlich ungeeignet. Er hatte darin einen Fernseher, Videorecorder und viele Videokassetten, Teppichboden als Bodenbelag, eine normale Schaumstoffmatratze im Bett und eine Vinyltapete an der Wand. Ein Zimmer, das aussah wie das vieler Millionen junger Menschen.

Unterstützung durch die Familie

Die Familie meinte es ernst. Sie wollten den jungen Mann wieder gesünder sehen. Sie setzen ihre ganze Kraft daran. Er bekam zwei Zimmer im ebenerdigen Bereich des Elternhauses hergerichtet. Die Böden wurden gefliest, die Wände mit Naturfarbe gestrichen. Sie besorgten einen guten Luftfilter, eine Bettmatratze aus Naturmaterialien und richteten alles schadstofffrei her.

Nach knapp zwei Monaten rief mich die Schwester an. Der bedrückte Unterton in ihrer Stimme war völlig verschwunden als sie anfing zu erzählen. Es sei kaum zu glauben, aber ihrem Bruder ginge es um Welten besser. Am Samstag habe er sogar alleine mit seinem Auto zu seinen Freunden in den Nachbarort fahren können. Die ganze Familie sei überglücklich, berichtete sie, weil sie eine solche Besserung schon nicht mehr für möglich gehalten hatten. Schwindlig war der junge Mann kaum noch, außer er war bestimmten Chemikalien ausgesetzt. Er hatte gelernt, dies zu erkennen und setze sich ihnen möglichst nicht aus, sondern ging sofort weg, wenn er sie merkte. Seine alte Lebensfreude kam Stück für Stück zurück. Die Schwester rief immer einmal an und berichtete stolz über seine weiteren Fortschritte.

Trotz desolatem Zustand REHA

Dann kam ein Anruf. In völliger Aufregung erzählte die Schwester, dass ihr Bruder ein Schreiben der Rentenversicherung erhalten habe. Er müsse in eine REHA. Sie hatten angerufen und dem Sachbearbeiter bei der BfA erläutert, in welchem Zustand der junge Mann sei und dass er auf schadstofffreie Umgebung und biologische Kost angewiesen sei. Es war nichts zu machen, er sei verpflichtet mitzuwirken, da sonst der Anspruch auf Rente erlöschen würde. Nachfrage bei der angewiesenen REHA-Klinik bestätigte, dass nichts dort dem entsprach, was für den jungen Mann wichtig war. Trotzdem musste er die Kur antreten, man wolle seine Arbeitsfähigkeit feststellen und ihn stabilisieren hieß es.

Rollstuhl mitbringen

Die Stimme der Schwester beim nächsten Anruf klang wie erloschen. Sie berichtete, dass ihr Bruder tatsächlich in dieser REHA gewesen sei. Sie habe ihn am Tag zuvor abgeholt. Knapp vier Wochen war er dort. Wenn sie dort anrief, verweigerte man ihr, mit ihrem Bruder sprechen zu können. Dass sei der Therapie nicht zuträglich, hieß es. Vorgestern habe sie morgens einen Anruf aus der Klinik erhalten. Man sagte ihr, sie könne ihren Bruder abholen kommen und möge bitte einen Rollstuhl mitbringen.

Wut, Schmerz

Die Schwester berichtete, dass sie in Tränen ausgebrochen sei, als sie ihren Bruder in Empfang nahm. Nichts sei von der Verbesserung seines Gesundheitszustandes mehr vorhanden gewesen, er war schlechter als vor den ganzen Maßnahmen, die von der Familie mit großer kräftemäßiger und finanzieller Mühe erbracht worden waren.

Sie hatte ihren Bruder mit Hilfe eines Pflegers ins Auto bringen müssen. Sie fragte den Pfleger, was mit ihrem Bruder in dieser REHA-Kur gemacht worden sei. Der Pfleger zuckte mit den Schultern und schaut nur zu Boden. An diesem Punkt sei in ihr eine Wut hochgekocht und und sie sei dann in das Gebäude gegangen und habe es sich genau angeschaut. Starker chemischer Teppichbodengeruch schlug ihr entgegen. Er sei erst neu verlegt, deshalb würde er noch riechen, sagte ihr der Pfleger. Sie ließ sich das Zimmer zeigen. Teppichboden, Desinfektionsmittelgeruch, Pressspanmöbel, etc.

Der Speisesaal, in dem ihr Bruder seine Mahlzeiten hatte einnehmen müssen, lag mehr als 100 m entfernt. Den Weg dorthin musste er durch einen langen Flur gehen, der mit übel nach Chemikalien und Kleber riechendem Teppichboden ausgelegt war und keine Fenster zum Lüften hatte. Er bat mehrfach sein Essen doch im Zimmer einnehmen zu dürfen, es wurde ihm untersagt.  Mitpatienten hatten sich sogar angeboten ihm das Essen zu bringen, damit das Personal keinen Mehraufwand hätte. Es blieb bei der Anweisung, der junge Mann musste sich für die Mahlzeiten in den Speisesaal begeben, wo er zusätzlich Parfums, After Shave und anderen Duftstoffen ausgesetzt war. Als er den langen Gang wegen Gleichgewichtsstörungen und Schwindel nicht mehr zu Fuß bewältigten konnte, bekam er einen Rollator, kurz später stellte man ihm einen Rollstuhl zur Verfügung.

Unweit des Zimmers des Bruders war das Schwimmbad der REHA-Klinik. Der Chlorgeruch durchströmte den ganzen Bereich. Trotz seiner schweren Reaktionen auf Chlor musste er an der Bewegungstherapie im Schwimmbad mehrmals teilnehmen. Von der Teilnahme wurde er erst freigestellt, als er aufgrund einer Reaktion im Schwimmbecken fast „absoff“.

Die Schwester sagte nach ihrem Bericht mit gepresster Stimmte: „Die haben meinen Bruder nicht gesund gemacht, die haben ihn hingerichtet und jetzt weiß ich auch, warum ich nie mit ihm sprechen durfte. Jede gesundheitliche Verbesserung, die er vor der Kur hatte, ist zerstört.“

Verschlechterung der Gesundheit durch REHA

Dieser Fall ist kein Einzelfall, wenn auch in seiner Tragweite einer der härtesten Fälle ist, die mir berichtet wurden. REHA-Kurgebäude, die auf die Bedürfnisse von MCS-Kranken ausgerichtet sind, gibt es in Deutschland nicht.

Mangelnde Mitwirkung wird Chemikaliensensiblen vorgeworfen, wenn sie bei der Aufforderung, eine REHA antreten zu müssen, nach den Umweltbedingungen dort nachfragen und mitteilen, dass sie sich in solche Räumlichkeiten nicht aufhalten können, wegen ihrer Reaktionen auf Chemikalien.

Einige Chemikaliensensible mussten erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes in Kauf nehmen, weil sie in REHA-Kliniken beordert wurden, in denen weder biologische Kost, noch schadstofffreie Umweltbedingungen zur Verfügung standen und der Geruch von Duftstoffen und Desinfektionsmittel das ganze Gebäude durchzog.

Mancher der chemikaliensensiblen Rentenanwärter versuchte durchzuhalten – oder hielt irgendwie durch, um nicht unterstellt zu bekommen, man habe nicht „mitgewirkt“. Diese an MCS Erkrankten hatten Angst, den Anspruch auf eine Rente zu verwirken. Eine Verbesserung war in keinem einzigen Fall zu vernehmen, im Gegenteil. Dass, was die Erkrankten durch viele Restriktionen und ein schadstoffkontrolliertes Wohnumfeld an Gesundheit zurück gewonnen hatten, war verwirkt.

Endlich? Hoffentlich…

Doch scheint man bei der Rentenversicherung Einsicht zu zeigen und Verständnis aufzubringen. Im nächsten Blog berichtet eine allein erziehende Frau, wie es ihr erging und wie sehr sie kämpfen musste, bis man bei der DRV Verständnis zeigte. Die REHA Maßnahme, der sie sich unter großem Druck beugen sollte, wurde von der DRV letztendlich unter Anerkennung ihrer MCS und Mangel an einer für Chemikaliensensible geeigneten REHA-Klinikeinrichtung zurückgezogen.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 6. April 2010

Weitere CSN-Artikel zum Thema krank durch die Arbeit:

Sind die Erkenntnisse von Paracelsus noch State of the Art im 21. Jahrhundert?

Die Toxikologie basiert auf der Dosis-Wirkungs-Definition des Paracelsus anno domini 1426: „die Dosis macht das Gift“. Dies war ein wichtiger Schritt von der Mystik zur exakten Wissenschaft.

Zur Zeit des Paracelsus war hauptsächlich die tödliche Wirkung interessant. Die Wirkung ließ sich also stets ohne Gutachterstreit feststellen. Außerdem ist die Wirkung zeitnah zur Dosisverabreichung gedacht. Die Dosis-Wirkungs-Definition ist also akut und eindeutig.

Nach Paracelsus ist die Dosis allein Ursache der Erkrankung. Das ist bei akuttoxischen Vergiftungen auch der Fall. Chronische Erkrankungen durch Langzeit-Niedrigdosis-Belastung mit Gemischen lassen sich aber weder aus einzelnen Dosen oder aus Dosissummen verstehen. Deswegen wurde die Website in Informationen über Einzelschadstoffe und den Komplex Chronische Erkrankungen durch chronische Intoxikation getrennt.

Heute

Die Fach- sowie die Laiendiskussion um die Wirkung niedriger Konzentrationen über lange Zeiträume ist geprägt durch den Glauben, solchen Wirkungen seien rätselhaft, soweit man überhaupt von einer toxischen Wirkung sprechen könne.

Symptomvielfalt – Symptommuster

„Wenn ein Patient mit mehr als vier Symptomen zu Ihnen kommt, dann schicken Sie ihn zum Psychiater!“, nach dieser Devise wurde Prof. Heuser, Los Angeles, heute einer der bekanntesten Umweltmediziner, ausgebildet.

Die Definitionen etwa der toxischen Enzephalopathie oder gar des Sick-Building-Syndroms enthalten mehr als zwanzig Symptome, obwohl die WHO sichtlich bemüht war, nur die wichtigsten Hauptsymptome in die Liste aufzunehmen. Gifte erzeugen nur unspezifische Symptome, diese aber in großer Menge. Typisch sind bestimmte Symptommuster. Diese helfen bei der Definition der Erkrankungen und auch bei der Eruierung der Ursache. Letzteres funktioniert sogar bei Gemischen, wie die Golfkriegs-Veteranenstudie bewiesen hat.

Oft müssen Kranke erleben, die einem Bekannten, ja sogar ihrem Hausarzt ihre Beschwerden erläutern, dass sie spontan zur Antwort bekommen: „Das habe ich auch, ha, ha!“ Es sind eben Allerweltssymptome, die jedes für sich genommen auch eine andere Ursache haben kann. Sie vergehen aber nicht und treten massiv gleichzeitig auf. Der Betroffene ist ernsthaft behindert, teilweise oder ganz arbeitsunfähig und im Endstadium nicht mehr ohne fremde Hilfe lebensfähig.

Zeiträume – akut, subakut (subchronisch), chronisch

Bei langen Zeiträumen fällt die Zuordnung schwer. Doch längst ist es üblich, Untersuchungen in akut, subakut (subchronisch) und chronisch zu unterscheiden (subakut bezieht sich auf die Dosis und subchronisch auf den Zeitraum). Besondere Anforderung stellt dabei die Bestimmung der chronischen Wirkdosis. Sie muss nämlich die Forderung erfüllen, die Wirkschwelle bei lebenslanger Exposition darzustellen. Außerdem ist eine solche Versuchsanordnung auch sehr aufwendig.

Hilfsweise hat das Umweltbundesamt vorgeschlagen, die Wirkschwellen verschiedener zeitlicher Qualität auseinander abzuschätzen: einen Faktor 10 für akut/subakut und entsprechend für subchronisch/chronisch. Es gibt aber Beispiele, dass die akute und die chronische Wirkschwelle deutlich weiter als zwei Zehnerpotenzen auseinanderliegen.

Stoffe ubiquitär – Wirkungen auch

Mit dem Jahr 1987 erfolgte die Anerkennung der Tatsache, dass ubiquitäre Stoffe sich so weit in der Umwelt anreichern können, dass die chronische Wirkschwelle erreicht wird. Der Sachverständigenbeirat für Umweltfragen nannte Dioxine, Furane, „einige Pestizide“, PCB, Cadmium, Blei und Nitrat im Trinkwasser. Mit Pestiziden sind vor allem die Organophosphate, Lindan und DDT gemeint.

1987 waren die wichtigsten Umweltkrankheiten wie toxische Enzephalopathie (TE), toxische Polyneuropathie (TPNP), Sick-Building-Syndrom (SBS) und die chemische Sensitivität (MCS) definiert.

Ursache und Wirkung sind ubiquitär verbreitet.

Vorkommen Allergien, MCS

Die Verbreitung war schon weit fortgeschritten: Allergien 30%, MCS 15%. Akute Fälle sind selten, chronische Vergiftungen dagegen sind zahlreich.

Wirkschwelle

Wie stelle ich eine Wirkschwelle bei dreißig und mehr Symptomen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten auftreten, fest? Dazu gibt es das Konzept der Unterscheidung adaptiver und adverser Reaktionen. Soweit hier Laborparameter helfen können, so liegt die Grenze bei der Überschreitung der Referenzwerte.

Soweit diese nicht zur Verfügung stehen, kommt es zu sehr unterschiedlichen Bewertungen. Was etwa die WHO toxische Enzephalopathie, Schweregrad 1, nennt, nennen andere Befindlichkeitsstörungen. Wenn etwa erhöhte Reizbarkeit, Störung bei der Planausführung, Konzentrations- und Merkschwäche gleichzeitig auftreten, so ist die Zusammenarbeit doch schon deutlich behindert. Dieser Zustand ist advers – etwa: toxische Enzephalopathie Schweregrad I.

Komplexität

Die reale Situation wird noch dadurch kompliziert, dass es sich immer um die Wirkung von Gemischen handelt. Aber auch einige besondere Stoffe sind in der Lage, fast jede beliebige Störung im Organismus hervorzurufen: „Dioxin does everything.“, sagte der bekannte amerikanische Toxikologe Safe. Die Bewertung der Dioxine umfasst auch eine 2500-seitige Dokumentation und die Grundfrage bei den Dioxinen war auch nicht, was sie bewirken, sondern welche Wirkweise bei der geringsten Dosis auftritt.

Toxikologische Daten reichen nicht

So etwas kann man mit Hilfe von toxikologischen Daten, gar noch aus dem Tierversuch, nicht mehr bewerten. Die toxikologischen Daten sind Hilfsdaten, unterschätzen aber in der Regel die Wirkschwelle. Sie müssen ergänzt und kombiniert werden mit den Erkenntnissen der Umweltmedizin, respektive der funktionellen Medizin.

Diese Erkenntnis führte auch beim Autor zu der Entscheidung, gutachterliche Arbeit von der Toxikologie auf die Umweltmedizin auszudehnen.

Kausalitätsnachweise

Nachweise zur Kausalität zu erbringen ist grundsätzlich schwieriger als der Nachweis von Ursache und Wirkung im wissenschaftlichen Sinn, denn die Juristen verlangen die Beschränkung nach dem anerkannten Stand der Wissenschaft.

Anerkennungsprozesse dauern einige Zeit. Der Stand der Wissenschaft ist folglich veraltetes Wissen. Dies übersehen Wissenschaftler in der Regel, so dass ihr gutachterlicher Vortag fehl geht. Da der anerkannte Stand der Wissenschaft für die Kausalitätsnachweise zu 90% der Fälle aus den 80er Jahren stammt, kann auch der juristische Nachweis geführt werden.

Autor: Dr. Tino Merz, Gutachter für Umweltfragen

Weitere Artikel von Dr. Merz:

Weiterführende Informationen:

Asbest – das Gift nimmt kein Ende

Verarbeitungs- und Anwendungsverbot von Asbest verhindert Neuerkrankungen nicht

Die Verarbeitung von Asbest, das man früher gerne auch als Wunderfaser bezeichnete, fand in den 60er und 70er Jahren seinen Höhepunkt. In der EU ist die Herstellung und Anwendung von Asbest seit 2005 verboten. Das hochgiftige Mineral ist bei Berufsgenossenschaften zwar als Verursacher von Berufskrankheiten anerkannt, doch viele Betroffene kämpfen um die Anerkennung ihrer Erkrankung. Durch die lange Wirkdauer der mineralischen Fasern ist damit zu rechnen, dass auch zukünftig viele Krankheits- und Todesfälle auf das Konto von Asbest zu verbuchen sein werden. Zwischen Kontakt mit dem giftigen Staub und dem eigentlichen Krankheitsausbruch können mehr als 30 Jahre vergehen.

Asbest löst folgende Erkrankungen aus:

– chronische Atemwegserkrankungen
– Asbestose (Staublunge)
– Rippenfellkrebs
– Bauchfellkrebs
– Kehlkopfkrebs
– Lungenkrebs

Asbest ist ein natürlich vorkommendes Mineral, das aus feinen faserförmigen Silikaten beschaffen ist. Auf Grund seiner einst vielfältigen geschätzten Eigenschaften wie z. B. Feuerfestigkeit, Isolations-fähigkeit, Säurebeständigkeit und Stabilität, wurde Asbest in der Vergangenheit von der Industrie entsprechend häufig verarbeitet. Asbest fand u. a. in der Bau- und Autoindustrie, als Brandschutz, in Elektrogeräten, Heizungen wie auch in Fußbodenbelägen rege Anwendung.

Die Unvergänglichkeit von Asbest birgt großes Risiko für die Gesundheit

Das Risiko an den Folgen einer Asbesterkrankung zu sterben ist hoch. Leider ist das Problem um den zumeist Tod bringenden Staub durch das in Kraft getretene Anwendungsverbot in Deutschland nicht beseitigt. Denn das früher in großen Mengen verbaute giftige Mineral kann auch heute noch seine negative Wirkung freisetzten, z. B. durch Witterungseinflüsse oder im Zuge von Sanierungsarbeiten. Das ARD-Magazin Panorama gibt an, dass bei Sanierungsarbeiten oft geschlampt und, ohne Schutzvorkehrungen zu treffen, leichtsinnig mit kontaminierten Baumaterialien hantiert wird. Das führt dazu, dass auch heute noch immer weitere Asbesterkrankungen entstehen. In den letzten 30 Jahren sind in Deutschland lt. Panorama über 20 000 Menschen an den Folgen einer Asbestbelastung gestorben.

Asbest-Alarm: Schulgebäude sind häufig mit asbesthaltigen Baumaterialien belastet

Immer wieder erreichen uns Meldungen in den Medien über Asbestbelastungen in Deutschlands Schulen. Es ist davon auszugehen, dass der krebserregende Stoff in vielen deutschen Schulgebäuden in den 60er und 70er Jahren verbaut wurde. In Hamburg wurden im vergangenen Jahr viele Schulen und Turnhallen vorübergehend wegen möglicher Asbestgefahr geschlossen. Ganz aktuell gibt die Hamburger Schulbehörde nun Entwarnung und erläutert, der Asbestverdacht hätte sich bei den aufwändigen Untersuchungen nicht erhärtet. In keiner der Proben seien mehr als 500 Asbestfasern pro Kubikmeter Raumluft nachgewiesen worden, somit bestand lt. Aussagen der Behörden, für Schüler und Sportler keine akute Gesundheitsgefahr. Hamburg ist jedoch kein Einzelfall, auch in Berlin mussten fünf asbestverseuchte Schulen geschlossen werden, betroffen sind 2000 Schüler. Die Berliner Schulstadträtin Schultze-Berndt gibt an, dass Schüler und Lehrer in keiner der betreffenden Schulen gesundheitlich gefährdet waren, die Luftmessungen hätten keinen Nachweis auf eine Asbestbelastung erbracht.

Verbraucherschutz – Fehlanzeige: Asbest wird weiter nach Deutschland importiert

Asbest gilt als unvergänglich, dies trifft im wahrsten Sinne des Wortes zu, denn trotz des bestehenden Anwendungs- und Verarbeitungsverbots gelangt Asbest weiterhin zu uns nach Deutschland. Asbest wird in einigen Ländern der Erde, u. a. in Kanada und China, auch heute noch abgebaut, oft ohne jegliche Arbeitsschutzvorkehrungen. Eine vom Bundesumweltministerium erteilte Ausnahmegenehmigung ermöglicht dem Chemiekonzern Dow Chemical aus Stade bei Hamburg den legalen Import von Weißasbest aus Kanada nach Deutschland, wie die kürzlich ausgestrahlte TV-Dokumentation „Die Asbestfalle“ von Inge Altmeier, verdeutlicht. Zu einer Stellungnahme war das Bundesumweltministerium gegenüber dem TV-Team nicht bereit, stattdessen verwies man auf die lokalen Verbraucherschutzämter. Doch wer sich dort tatsächlichen Verbraucherschutz vor Asbest erhofft, wird bitter enttäuscht. Lediglich das Gewerbeaufsichtamt in Bayern sucht nach asbesthaltigen Produkten und wird lt. der TV-Doku immer wieder fündig. In welchen Waren Asbest gefunden wird, muss der unabhängige Kontrolleur aus Datenschutzgründen jedoch hüten wie einen Schatz, er darf die schwarzen Schafe nicht benennen. Diese Vorschriften bringen zum Ausdruck, wie es um den Verbraucherschutz in Deutschland bestellt ist.

Asbest gelangt in unsere Haushalte

Inge Altmeier wurde durch Hinweise eines Arbeitsmediziners auf das Thema Asbest aufmerksam und dadurch animiert, intensiv über das brisante Thema zu recherchieren. In der daraus entstandenen Reportage wurde berichtet, dass theoretisch bereits eine tiefeingeatmete Asbestfaser Krebs auslösen kann. Asbest gelangt durch Importe von Alltagsprodukten in deutsche Haushalte. In neun von zehn untersuchten Thermoskannen, die zumeist in China produziert wurden, konnte Asbest in den am Glaskolben angebrachten Abstandshaltern nachgewiesen werden. Geht nun eine solche asbesthaltige Thermoskanne zu Bruch und werden die giftigen Asbestfasern eingeatmet, besteht beim Verbraucher Gesundheitsgefahr.

Inge Altmeier führt an, dass zunehmend Asbestfasern bei jungen Frauen im Bauchfell nachgewiesen werden. Es besteht die Annahme, dass die Ursache in den heute noch asbestbelasteten Schulgebäuden zu suchen ist.

Wie steht es um die Unversehrtheit unserer Gesundheit?

Umso unverständlicher sind die derzeit in Deutschland schleppend verlaufenden Sanierungsarbeiten in deutschen Schulen anzusehen. Der Fall Hamburg lässt die berechtigte Frage aufkommen, ob die Schulbehörden mit ihrer Entwarnung für die nachgewiesenen Asbestwerte Schülern und Lehrpersonal auch tatsächlich hundertprozentige Unversehrtheit ihrer Gesundheit garantieren können. Auch lässt der derzeitige Trend der Industrie zur verstärkten Verarbeitung von Nanotechnologie in den unterschiedlichsten Produktpalletten die Vermutung aufkommen, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit scheinbar nichts dazu gelernt zu haben scheint. Nanopartikel sind um ein Vielfaches kleiner als Asbestfasern. Die Auswirkung von Nanoteilchen auf unsere Gesundheit lässt per dato viele wissenschaftliche Frage unbeantwortet. Verarbeitete Nanotechnik muss auf den Produkten nicht deklariert werden. Seitens der Behörden und Politiker sollte allerdings im Zweifelsfall immer für die Verbraucher entschieden werden und nicht für die Industrie.

Autor: Maria Herzger, CSN – Chemical Sensitivity, 26. März 2010

Weitere Artikel – Asbest und krank durch die Arbeit:

Vergleich bei Gericht: 100 000$ Entschädigung wegen Parfumallergie und Duftstoffverbot bei Behörden

Drei Jahre kämpfte eine Angestellte einer Planungsbehörde aus Detroit um ihr Recht, jetzt bekam sie 100 000$ vom Gericht zugesprochen. Sie hatte ihren Arbeitgeber, die Stadt Detroit, verklagt, weil das Parfum ihrer Kollegin dafür sorgte, dass sie nicht mehr arbeiten konnte. Die Stadt plädiere auf Nichtzulassung der Klage, das Gericht hielt die Klage jedoch für zulässig und verwies auf einen ähnlich gelagerten, positiv entschiedenen Parallelfall. Im vergangenen Monat kam es zu einem Vergleich. Im Rahmen des Vergleichs erklärte sich die Stadt außerdem bereit, ein Duftstoffverbot bei den städtischen Behörden einzuführen.

Original-Dokument des Vergleichs: Settlement Agreement and full and complete Release of Liability

Kein Entgegenkommen – Klage bei Gericht

Die Klägerin Susan McBride hatte die Stadt Detroit 2007 verklagt, nachdem man ihr keinerlei Entgegenkommen gezeigt hatte. Ihre Kollegin hatte nicht nur ein schweres Parfum benutzt, auf das sie nicht verzichten wollte, sondern zusätzlich noch einen Duftvernebler auf ihrem Schreibtisch aufgestellt. Das unterließ sie nach einigem Drängen, doch auf ihr Parfum wollte sie keinesfalls verzichten.

Susan McBride leidet unter einer Duftstoffallergie und Chemikalien-Sensitivität. Die Duftstoffe ihrer Kollegin schnürten ihr die Kehle zu, sie bekam Atemnot und musste ständig husten. Weder die Kollegin noch die arbeitgebende Behörde waren bereit, Abhilfe zu schaffen. McBride hatte darum gebeten, dass die Kollegin ihr Parfum unterlassen oder man sie in einen anderen Bereich versetzen möge.

Anstellerei oder Recht auf uneingeschränktes Atmen?

McBride wurde in der Zeit bis zur aktuellen Verhandlung von einigen Kritikern angegriffen, sie führten an, die Frau sei nur etwas „überempfindlich“ und missbrauche das Rechtssystem. Das Gericht sah dies anders und verwies darauf, dass die chemikaliensensible Frau eine Behinderung habe und deswegen das Recht auf Atmen als lebensnotwenige Funktion einklagen könne. Viele Arbeitsplätze in den USA sind bereits duftfrei, weil es Menschen gibt, die durch die Duftstoffe anderer gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen werden.

Integration und Barrierefreiheit für Chemikaliensensible und Allergiker

Bei der letzten Verhandlung hatte McBride kundgetan, dass es ihr statt um Geld eher darum ginge, dass betroffene Menschen Unterstützung bekämen und ihnen Kooperation zuteil würde. Sie zitierte in ihrer Bitte ans Gericht eine Regelung des Ministeriums für Information im Bundesstaat Michigan. Dort hatte man von den Angestellten gefordert, starke Düfte zu unterlassen, leichte Parfümierung jedoch erlaubt.

Das aktuelle Ergebnis geht sogar noch weiter und dürfte viele Menschen, die Probleme mit Duftstoffen haben, sehr erfreuen. Die Stadt Detroit unterzeichnete, dass man Hinweise an das Schwarze Brett in den Behörden und Büros der Stadt hängen wird, die auf denen steht:

Unser Ziel ist es, sensibel gegenüber Angestellten mit Parfum- und Chemikalien-Sensitivität zu sein, und wir bitten daher unsere Angestellten, dass sie Abstand davon nehmen, duftende Produkte zu verwenden, einschließlich, aber nicht beschränkt, auf Colognes, After Shave, Lotion’s, Parfums, Deodorants, Body- und Gesichts Lotions, Haarspray und ähnliche Produkte.

Dieser Maßnahme wird zusätzlich Nachdruck verliehen durch einen neuen Passus in der Betriebsordnung, in der die Stadt auch darauf hinweist, dass Duftkerzen, Parfumproben aus Zeitschriften, Raumsprays, Duftstecker für die Steckdose, Reinigungsmittel mit Duftstoffen, etc. zu unterlassen sind.

Entgegenkommen schützt oft schon vor Leid und höheren Forderungen

Die beiderseitige Unterzeichnung des Vergleichs zeigt, dass die Stadt zur Einsicht kam und es so aussieht, als habe man aus dem Prozess eine Menge gelernt. Der Richter hatte auch deutlich genug zu verstehen gegeben, dass die Stadt mit ihrer Haltung und Aussagen nur unzulänglich dargelegt habe, warum man die starke Benutzung von Parfums der Kollegin von McBride nicht einfach untersagt habe. Zum Weitern sei nicht zu verstehen, warum das Unterlassen von Duftstoffen nicht als ein angemessenes Entgegenkommen für einen kranken behinderten Menschen angesehen worden sei.

Auch ein vom Gericht angeführter Parallelfall dürfte zur Einsicht geführt haben

Im Jahr 2005 gewann DJ Eric Weber 10.6 Millionen Dollar durch einen Urteilsspruch gegen ihren Arbeitgeber WYCD (99.5 FM), nachdem sie erklärt hatte, dass sie durch das Parfüm eines Radiokollegen krank gemacht wurde. Die Urteilssumme wurde in diesem Fall jedoch vom Richter auf 814.000 Dollar reduziert, weil die Klägerin den Beweis, dass sie unter einer Parfümallergie leide, nicht ausreichend erbringen konnte.

Anwältin gab Tipps im Umgang mit Parfumproblematik am Arbeitsplatz

Der Rechtsstreit über Duftstoffe am Arbeitsplatz wird in den Medien diskutiert, was auch gute Ansatzpunkte hervorbringt, die dazu beitragen, dass mehr Verständnis für Angestellte entsteht, die von der Problematik betroffen sind. Wie man an einem Arbeitsplatz zum Wohle aller agiert, wenn eine solche Situation eingetreten ist und wie die rechtliche Situation aussieht, stellte ein TV Sender sehr gut heraus.

In der Sendung “Early Show” äußerte sich eine Rechtsanwältin für Arbeitsrecht zum aktuellen Fall und der rechtlichen Vorgehensweise, wenn jemand durch das Parfum eines Kollegen nicht mehr vernünftig arbeiten kann und Symptome bekommt. Die Anwältin sagte in Early Show: „Eine Person hat nicht notwendigerweise das Recht, Parfum zu tragen, aber eine Person hat das Recht, in der Lage zu sein, am Arbeitsplatz atmen zu können. Also wenn ein Arbeitnehmer zur Arbeit kommt und zu seinem Chef oder seiner Chefin sagt, „Ich kann nicht atmen, dieses Parfum löst Beschwerden aus, die meine Fähigkeit, an meinem Arbeitsplatz zu atmen, einschränken,“ und seinem Chef oder seiner Chefin darüber berichtet, dann muss der Chef dieser Person angemessen entgegenkommen.“

Die Arbeitsrechtlerin ergänzte in der TV-Show, dass es wichtig sei, dass ein Chef nicht nur mit den Beteiligten kommuniziert, sondern auch Optionen auskundschaftet. Dieser Hinweis ist sehr wertvoll, denn oft ist es mit ein wenig nachdenken möglich, allen Beteiligten gerecht zu werden und von einem Angestellten gesundheitlichen Schaden abzuwenden, ohne dass der Betriebsablauf leidet.

Ein weiterer Hinweis, der zur Sprache kam, ist sehr wichtig für betroffene Angestellte. Sie müssen Takt wahren und die Anwältin gab hierzu den Rat, dass man nicht sagen solle, dass ein Kollege „stinkt“. Das sei kein angemessener Ansatz. Sie selbst würde zum Chef der Person hingehen und sagen: „Der Geruch beeinträchtigt meine Atemfähigkeit. Er verursacht eine Allergie oder er beeinträchtigt meine Atmung. Es ist ein Eingriff in meine Arbeitsfähigkeit. Können Sie mir entgegenkommen, mir helfen, bitte?“ Das ist in der Tat taktisch wesentlich klüger, als emotional hochzufahren, auch wenn es im einen oder anderen Fall schwerfällt. Wer auf diese diplomatische Weise ohne große Emotionen auf seinen Chef zugeht, wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Unterstützung erfahren.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 15. März 2010

Weitere CSN Artikel zum Thema:

Arbeit und Renovierung im Büro – Resultat: Diagnose MCS

Aktenordner, bedrucktes Papier lösen Gesundheitsbeschwerden aus

Seit 01.09.1983 war ich als Lohn- und Finanzbuchhalterin in einer Spedition mit 28 Std./Wo. angestellt. Ende 92 wurde für die Disposition eine Büroerweiterung vorgenommen. Im Zuge dieser Umbaumaßnahmen wurde dort auch eine Fußbodenheizung eingebaut. Nach einem Wassereinbruch (ca. 98) zeigten sich im Fußboden Blasen, später wurden daraus Löcher und offene Fugen, die aber nicht repariert wurden. Im Oktober 2005 wurde dann die Fußbodenheizung repariert, da sie „zu heiß“ wurde. Ende August 07 kam es aufgrund des undichten Dachs erneut zu einem großen Wassereinbruch in der Dispo. Um die Räume auszutrocknen, hatte die damalige Geschäftsleitung die Fußbodenheizung über Nacht voll aufgedreht. Fenster und Türen hielten sie jedoch geschlossen. Am folgenden Tag gingen wir wie gewohnt zu unserem Büro und sahen dort eine enorme Giftgaswolke. Wir rissen sofort sämtliche Fenster und Türen weit auf. 

An diesem Tag begann unsere Leidensgeschichte. Betroffen sind Herr S. (kaufm. Leiter, geb.1963), Frau H. (Auszubildende, geb.1986) und ich. 

Der Fußboden dieses Büros wurde samt Kleber am 01.10.07 von dem Baubiologen Herrn Dr. Hiltner untersucht. In den Proben fanden sich verschiedene VOC: 2-Ethyl-1-Hexanol, n-Butanol, Isobutanol, 1-Methyl-2-pyrrolidon, Longifolen (Terpene) etc. In der Beurteilung des Baubiologen heißt es:

„In unterschiedlichem Ausmaß sind alle Stoffe schleimhautreizend, leber- oder nierenschädigend und können bei längerer Einwirkung Konzentrationsschwäche und Benommenheit hervorrufen… Generell können die gesundheitlichen Reaktionen insbesondere auf Gemische solcher Stoffe sehr unterschiedlich ausfallen…

Wie sich im Nachhinein herausstellte, hätte auch der damals benutzte Kleber niemals verwendet werden dürfen. Er ist für Fußbodenheizungen nicht geeignet und härtet deshalb unter dem Fußboden nie aus. 

Mein Hausarzt stellte bei mir im November 99 bei einer Routineuntersuchung leicht erhöhte Leberwerte fest: Gamma-GT: 37,6 (Normalwert: bis 36).  Den genauen Auslöser dafür kannten wir damals noch nicht, Alkohol konnten wir aber ausschließen. Die nächste Blutuntersuchung war im April 06: Gamma-GT: 134, GLDH 9,6 (Normalwert: bis 5,1). 

Nun forderte mein Hausarzt eine Abklärung dieser erheblich erhöhten Werte. Nachdem keine weiteren Gesundheitsstörungen festgestellt werden konnten, diagnostizierte der Arzt nach etlichen Laboruntersuchungen eine autoimmune Lebererkrankung. Halbjährliche Kontrollen zeigten, dass die Werte (evtl. auch aufgrund der Einnahme von Mariendistel, etc.) bis Mai 07 auf  63 / 5,4 sanken. 

Zu dieser Zeit hatten meine Kollegen zwar nicht mit erhöhten Leberwerten zu kämpfen, dafür aber klagte vor allem unser Disponent über häufige Kopfschmerzen, Unwohlsein und zahlreiche grippale Infekte. Seine Launen wurden mit der Zeit unerträglich. Eine Alkoholunverträglichkeit kam später dazu. Er kündigte 2003. Sein Nachfolger klagte ebenfalls bald über Kopfschmerzen. Auch sein Verhalten wurde recht bald launisch.

Mein Kollege, Herr S., und ich saßen im angrenzenden Büro, das über ein großes Schiebefenster zur „Dispo“ verfügt. Tagsüber war dieses Fenster häufig und nachts immer geöffnet. Auch wir beide hatten Erkältungen und „Dauerschnupfen“ und litten darüber hinaus auch noch unter Konzentrationsschwäche. 

Der zweite Wassereinbruch am 23.08.07 und die dadurch entstandene enorme „Giftgaswolke“ verschlimmerte unseren Gesundheitszustand erheblich. Zu erhöhten Leberwerten, Kopfschmerzen, Erkältungen und Dauerschnupfen kamen bereits wenige Tage nach der Gaswolke, schon am 27.08.07, neue Symptome hinzu: Juckreiz, Lippen- und Augenbrennen/-tränen, Hautausschlag, Konzentrationsschwächen, Zittern, innere Unruhe, Seh- und Wortfindungsstörungen, Aggressivität. 

Wir versuchten durch das Öffnen der Fenster und sogar durch das zeitweilige Verlassen der Büroräume die Belastung so gering wie möglich zu halten. Die Krankheitszeichen verschlechterten sich jedoch zusehends. 

Wir zogen deshalb am 22.10.07 in eine leer stehende Wohnung im angrenzenden Wohnhaus um, samt unserer EDV und den nötigsten Ordnern. Zu dieser Zeit wussten wir bereits, dass bedrucktes Papier einer der Hauptauslöser unserer Symptome war. Deswegen hatten wir die Drucker auch schon nicht mehr auf unseren Schreibtischen stehen, sondern sie bei geöffnetem Fenster im Bad untergebracht. Durch den Büroalltag kamen aber natürlich trotzdem jeden Tag eine Menge neuer Ausdrucke dazu. Wir arbeiteten mittlerweile überwiegend auch bei offenen Fenstern. Das Arbeiten im Wintermantel war aber unser kleinstes Problem, denn unsere Symptome blieben. Der Umzug hatte leider nichts daran geändert. 

Daraufhin baten wir unseren betriebsärztlichen Dienst (BAD) um Hilfe. Dieser hatte keinerlei Erklärung für unsere „Erscheinungen“. Eine Blutuntersuchung am 11.10.07 ergab bei mir einen Gamma-GT von 92. Bei der Urinuntersuchung wurde Ameisensäure mit 16,7 belegt (Normalwert: bis 15). Der Betriebsarzt deutete dies mit „Formaldehyd im Körper“. Als ich auf meine roten Augen aufmerksam machte, meinte er nur: „die hat doch heut jeder“. 

Vom 8. bis 22.11.07 lies der BAD immerhin Luftschadstoffmessungen in der Firma durchführen (Firma Dräger Safety, Lübeck). Erhöhte Werte wurden u.a. festgestellt für: Cyclohexan, Ethylacetat und Terpene. Man gab uns nur den Rat, zu lüften. 

Im November 07 bekam ich Gürtelrose, Frau H., unsere neue Auszubildende, wurde mehrfach krankgeschrieben, nachdem bei ihr bereits Lähmungserscheinungen auftraten. 

Mein Hausarzt konnte die Fülle der Symptome nicht mehr einordnen und riet mir dringend, den Umweltmediziner Dr. Noppeney in Bayreuth aufzusuchen. Dieser diagnostizierte bei uns drei Büroangestellten am 20.12.07 MCS. Mein Gamma-GT lag nun bei 131. Zur Stärkung der körperlichen Selbstheilungskräfte empfahl er uns zunächst ein Nahrungsergänzungsmittel. Ab dem 08.01.08 versuchten wir uns zusätzlich bei ihm mit Matrix-Regenerations- und Bioresonanztherapie zu entgiften, anfangs wöchentlich. Die Behandlung mit einem ZMR-Gerät (Zell-Milieu-Revitalisierung) kam Ende Januar 08 dazu. An den Behandlungstagen ging es uns besser. Jedoch spätestens am zweiten, dritten Tag danach waren die Symptome wieder da. 

Am 04.01.08 hatten wir die Unfallmeldung an die zuständige Berufsgenossenschaft erstattet. Zahlreiche Telefonate und schriftliche Aufforderung, uns zu helfen, folgten – leider ohne den geringsten Erfolg. 

Bei einer Blutuntersuchung am 16.04.08 hatte ich durch die Behandlung bei Herrn Dr. Noppeney nur noch einen Gamma-GT von 65 (der GLDH war mit 3,3 in Ordnung). Die Symptome hatten sich allerdings noch nicht wesentlich gebessert. Dr. Noppeney sagte nur noch: „Sie müssen da raus!“ 

Doch an ein Aufhören im Büro war zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Nach der Insolvenz der ersten Firma im April 2007 hatten wir unter neuer Leitung im gleichen Gebäude weitergearbeitet. In der neuen Speditionsfirma waren wir drei nun die einzigen kaufmännischen Mitarbeiter. Unser Fehlen hätte das sofortige Aus für die neue Firma bedeutet, an eine Krankschreibung oder gar Kündigung war daher zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Also arbeiteten wir weiter.  

Wirtschaftliche Schwierigkeiten zwangen den neuen Chef am 02.06.08 dennoch dazu, Insolvenzantrag zu stellen, worauf uns Herr Dr. Noppeney am 05.06.08 endlich wegen MCS krankschreiben konnte. Krankengeld erhielten wir ab dem 17.07.08. 

Im Juni und September 08 bekam ich Blasenentzündung, die mit Ciprofloxacin behandelt wurden. Die Werte schnellten wieder nach oben: Gamma-GT 110, GLDH 17,3. 

Zwischenzeitlich hatten Herr S. und ich bei der Berufsgenossenschaft einen Antrag auf Erstattung unserer Krankenkosten gestellt, die sich bis März 08 mittlerweile auf ca. 1.700€ Person beliefen. Nachdem dies abgelehnt worden war, legten Herr S. und ich am 22.08.08 über unsere Anwältin Widerspruch ein. 

Nach Rücksprache mit meiner Sachbearbeiterin bei der IKK (später TK), suchte ich am 03.09.08 Rat beim medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Ich schilderte meine Situation: Meine Symptome waren im Freien stets kaum vorhanden, in geschlossenen Räumen traten die Symptome je nach Umgebung sofort wieder auf. In meiner eigenen Wohnung fühlte ich mich wohl, solange keine Zeitung oder ähnliches im Zimmer lag. In anderen geschlossenen Räumen konnte ich andere auslösende Ursachen nicht immer sofort erkennen. Die Ausdünstungen, auf die ich reagierte, konnten von allem möglichen stammen: von Putzmitteln, Computern, gummibezogenen Sportgeräten, Kleidungsstücken, Teppichen, Druckerzeugnissen aller Art etc. Nachdem ich nicht mehr den Dauerausdünstungen des Büros ausgesetzt war, konnte ich mehr und mehr symptomauslösende Ursachen erkennen und benennen. Den Sachbearbeiter beim MDK machte ich darauf aufmerksam, dass bereits die von mir (in Folien) mitgebrachten Ausdrucke der verschiedenen Messergebnisse Reaktionen auslösten. Meine rot werdenden Augen bei seinem  kurzen Durchblättern waren nicht zu übersehen. 

Das Gutachten des MDK attestiert: „Die Erwerbsfähigkeit im erlernten Beruf ist nach geltenden Richtlinien zumindest erheblich gefährdet…. Durch eine medizinische Reha-Maßnahme ist wahrscheinlich keine Besserung des Erkrankungsbildes MCS zu erzielen… 

Trotzdem wurde ich von der Krankenkasse zwei Wochen später dazu aufgefordert, einen Reha-Antrag zu stellen. Schon das Ausfüllen der Formulare war eine Qual. Die Ablehnung der Reha bekam ich am 20.12.08 mit der Begründung:

„Verdacht auf somatoforme Störung. Wir halten nervenärztlich-psychotherapeutische Diagnostik und Mitbehandlung für ausreichend.“

Obwohl ich wusste, dass diese Begründung falsch war, legte ich dagegen keinen Widerspruch ein, denn ich wollte ja auch gar nicht an einen mir unbekannten Ort, von dem ich nicht sicher wusste, ob die Ausdünstungen dort auch wirklich schadstofffrei wären. Vor einer solchen Situation hatte ich Angst, da eine Kur in diesem Falle absolut kontraproduktiv gewesen wäre. 

Am 25.03.09 reichten wir (Herr S. und ich) nach der Beratung mit unserer Anwältin gegen die Ablehnung auf Erstattung der Krankenkosten Klage gegen die Berufsgenossenschaft beim Sozialgericht Bayreuth ein. Grund: Eintrittspflicht aufgrund Vorliegens eines Arbeitsunfalls; Vorliegens einer Berufskrankheit. 

Mein zwischenzeitlich beim Integrationsamt gestellter Antrag auf Anerkennung einer Behinderung wurde mit Bescheid vom 26.06.09 mit folgender Begründung abgelehnt: 

„Bei der Beurteilung sind wir von folgenden Erwägungen ausgegangen: Die anfangs erheblich erhöhten Leberwerte sind inzwischen deutlich gesunken. Mit weiterer Normalisierung ist zu rechnen. Bei entsprechender Kontaktvermeidung mit den identifizierten Chemikalien sind keine dauerhaften Beeinträchtigungen oder Schädigungsfolgen zu erwarten. Deshalb war diese Gesundheitsstörung mit einem GdB von 10 zu bewerten.“ 

Bei der Antragstellung hatte ich angegeben, auf welche Dinge und an welchen Orten ich Reaktionen zeige. Die vom Integrationsamt geforderte „Kontaktvermeidung“ bedeutet für mich aber eigentlich nichts anderes, als jedes Mal sofort zu flüchten, sobald aufgrund einer schädlichen Ausdünstung die ersten Symptome auftreten. Das ist aber leider nicht immer möglich. 

Gegen den Bescheid vom Integrationsamt legte ich keinen Widerspruch ein, da ein Beratungsgespräch beim VDK  ergab, dass es sinnvoller sei, einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen. Ein Widerspruch gegen das Integrationsamt würde diesen Antrag behindern oder zumindest verschleppen. 

Die TK bat mich am 01.07.09, erneut beim MDK vorzusprechen. Bei dem dort erneut angefertigten Gutachten bescheinigte mir der Gutachter zwar eine Verschlechterung meines Gesundheitszustandes:

„Unverändert bleibt festzustellen, dass die Erwerbsfähigkeit im erlernten Beruf … erheblich gefährdet ist… Gleichzeitig attestierte er mir aber auch: „unverändert kann von einem positiven, vollschichtigen Leistungsvermögen in einem beruflichen Umfeld welches nicht mit den entsprechenden Chemikalien belastet ist, ausgegangen werden.“ Daraufhin wurde ich am 17.07.09 von der TK aufgefordert, mich ab 18.07.09 beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden. 

Allein das Vorsprechen im Arbeitsamt war Horror für mich: Formulare, laufender Drucker des Sachbearbeiters vor meiner Nase, Broschüren usw. Aber wie hätte der Sachbearbeiter reagiert, wenn ich die Flucht ergriffen hätte? Auf meinen Hinweis zu Beginn unseres Gesprächs, das mich vor allem die beim Ausdrucken entstehenden Ausdünstungen krank machen, hatte er vorher nur geantwortet:

„95000 Mitarbeiter der BA arbeiten mit diesen Druckern und wir haben einen technischen Dienst. Mir ist kein einziger Krankheitsfall bekannt.“

Also blieb ich sitzen und wartete auf meine Formulare und weitere Anweisungen. 

Meine ausgefüllten Formulare (schon wieder massiver Kontakt) gab ich bei meiner Sachbearbeiterin ab. Interessanterweise lag ihr innerhalb von wenigen Tagen ein Gutachten des AA-Arztes vor: es war fast wortwörtlich vom MDK übernommen und hatte lediglich im Satzbau kleine Änderungen. 

Seit 05.08.09 bin ich EU-Rentenantragstellerin. Da ich vor 1963 geboren bin, habe ich Hoffnung, dass eine Berufsunfähigkeit zumindest zu einer halben EU-Rente führt.

Einen Verhandlungstermin wegen der Klage gegen die Berufsgenossenschaft gibt es noch nicht. 

Im Moment bin ich arbeitslos und muss mir eine Vollzeitstelle als Gehilfin im gärtnerischen Bereich suchen (aufgrund meiner eigenen Aussage, dass es mir in meinem Garten am besten gehe). 

Es gibt Tage, an denen ich denke, ich wäre gesund. Im Urlaub zum Beispiel, wenn ich keine Wander- oder Landkarte in die Hand nehme. Einfach immer dann, wenn ich es schaffe, „mich fernzuhalten“. Aber jedes noch so kleine bedruckte Blatt Papier in meiner Nähe, und die Symptome kehren sofort wieder zurück. Auch andere normale Alltagssituationen können für mich zu einem Problem werden: beim Einkaufen die Ausdünstungen neuer Kleidung in den Geschäften, beim Arztbesuch eine laufende EDV-Anlage, Patienten blättern in Zeitschriften. 

Die letzten Blutwerte vom 17.07.09: Gamma-GT: 72, GLDH:6,4. 

Der Gesundheitszustand von Herrn S. ist noch schlimmer als mein eigener: beim ihm führen noch mehr Faktoren dazu, dass die Symptome wieder ausbrechen. Weitere Beeinträchtigungen, wie Atemnot und Schweißausbrüche kamen bei ihm dazu.

Frau H. wurde nach insgesamt nur sechs Wochen Krankengeld von ihrer Krankenkasse (AOK) dazu aufgefordert, sich beim Arbeitsamt zu melden, was sie auch tat. Ihre Symptome sind nach wie vor unverändert. 

Ich bedanke mich für CSN Veröffentlichungen, die mir (uns) schon viel dabei geholfen haben, MCS zu verstehen. Jetzt hoffe ich nicht als kleiner Ping-Pong-Ball zwischen den Instanzen zerdrückt zu werden. 

Autor: B. G. für CSN – Chemical Sensitivity Network, 26. Okt. 2009

Volle Rentenleistung aus der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BUZ) bei Fibromyalgie, MCS, SBS, CFS?

Justizia - Recht bekommen

Am 27.03.2009 erließ das OLG Koblenz ein vor Kurzem veröffentlichtes Urteil (Az. 10 U 1367/07, VersR 2009, S. 1249 ff.), das jeder Schmerzpatient und jeder an Fibromyalgie, MCS, SBS oder CFS leidende Patient kennen sollte, wenn er sich privat gegen Berufsunfähigkeit versichert hat.

Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt:

Der Kläger des Verfahrens war von Beruf Anwendungsprogrammierer und litt unter depressiven Störungen sowie Schmerzen im Bereich der linken Gesichtshälfte, des linken Halses, der linken Brust, des linksseitigen Rückens und des linken Beckenbereichs. Vom Versorgungsamt wurde ihm daher wegen einer Depression, eines chronischen Schmerzsyndroms, psychovegetativer Störungen sowie funktioneller Organbeschwerden ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Der mit der beklagten Versicherung geschlossene Vertrag sah vor, dass eine volle Rentenleistung ab einer Berufsunfähigkeit von 75 % erbracht wird und eine Rente entsprechend dem jeweils vorliegenden Grad der Berufsunfähigkeit, wenn mindestens ein Grad von 25 % erreicht wird. Das OLG Koblenz nahm auf der Grundlage des erstellten Sachverständigengutachtens eine Berufsunfähigkeit von mehr als 75 % an und verurteilte die beklagte Versicherung zur Zahlung der vollen BU-Rente.

Die Begründung der Entscheidung:

I. Die Feststellungen des Sachverständigen:

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige stellte fest, dass als medizinisch-diagnostisches Ergebnis seiner Untersuchung von ausschlaggebendem Gewicht sei, dass beim Kläger eine verfestigte somatoforme Schmerzstörung vorliege. Bei dieser handele es sich um eine dauerhafte, für den Kläger und auch den Sachverständigen unerklärliche Schmerzempfindung, vornehmlich im Gesichtsbereich, teilweise aber auch in andere Körperregionen ausstrahlend. Hinzu komme eine – jedoch im Hintergrund stehende- rezidivierende depressive Störung. Die Schmerzstörung sei nachhaltig, dauerhaft und von erheblicher Intensität und bewirke eine dauerhafte erhebliche Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit des Klägers.

Die Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit stelle sich so dar, dass praktisch bei jeder Lebensbetätigung des Klägers mehr oder minder die Schmerzsymptomatik alsbald wieder in den Vordergrund trete und die Aufmerksamkeit des Klägers mit Macht beanspruche. Soweit er an einem Acht-Stunden-Tag schätzungsweise ungefähr bis zu drei Stunden arbeiten könne, müsse er hierbei anders als ein Gesunder Pausen und Unterbrechungen in Anspruch nehmen, wobei es durchaus sein könne, dass eine Pause doppelt so lange wie das Arbeitsintervall sein kann, bis der Kläger zur Weiterarbeit in der Lage sei.

Dieser zeitliche Rahmen von allenfalls drei Stunden Arbeitstätigkeit, die auch nur mit Unterbrechungen zu erreichen sind, galt nach Einschätzung des Sachverständigen für alle vom Kläger als zu seiner Berufsausübung gehörend dargestellten Tätigkeiten. Im Ergebnis gelangte der Sachverständige zu einer Berufsunfähigkeit von 70-80%.

II. Die Feststellungen des Gerichts:

Das OLG Koblenz gelangte auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis, beim Kläger liege eine Berufsunfähigkeit von mehr als 75 % vor, so dass die Voraussetzungen für die volle Versicherungsleistung gegeben seien. Das von der Beklagtenseite vorgelegte Privatgutachten, das lediglich zu einer Berufsunfähigkeit von 20 % gelangte, war aus Sicht des Gerichts nicht nachvollziehbar.

Die Tätigkeit des Klägers als Anwendungsprogrammierer erfordere in allen Arbeitsschritten höchste Konzentration. Es sei daher einleuchtend, dass bei einer Tätigkeit mit derart hohen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit die gesundheitsbedingt erzwungenen Pausen im Hinblick auf den Fortgang der Arbeit besonders störend und verlangsamend wirken, zumal wegen der Konzentrationsstörungen nach jeder Pause ein Überprüfen der letzten Arbeitsergebnisse erforderlich sein dürfte. Damit sei davon auszugehen, dass der Kläger unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen ein sinnvolles Arbeitsergebnis in einem für seine Kunden zumutbaren Zeitrahmen schwerlich wird erreichen können.

Das Gericht kam darüber hinaus zu dem Ergebnis, dem Kläger sei auch eine Umorganisation seines Betriebes nicht zumutbar. Der Kläger müsste einen Aushilfsprogrammierer anstellen, der jedoch „da er die Hauptarbeit im Betrieb erbringen würde“ entsprechend hoch bezahlt werden müsse, was für den Kläger eine erhebliche Einbuße seines Einkommens bedeuten würde, die ihm nicht zumutbar sei.

Bewertung der Entscheidung

Die Bedeutung der Entscheidung wird vor allem durch zwei Faktoren begründet:

Zum einen lag beim Kläger eine ursächlich letztlich nicht erklärbare Schmerzstörung vor. Zum anderen wurde die Berufsunfähigkeit vom OLG damit begründet, dass die gesundheitlichen Beschwerden des Klägers eine dauerhafte erhebliche Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit bewirkten und diesen zu regelmäßigen und auch längeren Pausen zwingen, so dass ein sinnvolles Arbeitsergebnis nicht mehr zu erzielen sei.

Die Entscheidung sollte es Schmerzpatienten und Patienten mit MCS, Fibromyalgie, SBS oder CFS in Zukunft erleichtern, ihre Ansprüche gegenüber privaten Berufsunfähigkeitsversicherungen durchzusetzen.

Autor und Ansprechpartner:

RA Dr. jur. Burkhard Tamm

MedizinR – VersicherungsR – LebensmittelR

Kanzlei Bohl & Coll., Franz-Ludwig-Str. 9, 97072 Würzburg

Tel: 0931- 796 45-0, E-Mail: tamm@ra-bohl.de Internet: www.ra-bohl.de und www.tamm-law.de

Weitere Artikel über Rechtliches auf CSN Blog:

Umweltmedizin: Die Gene – MCS-Risiko – Ursache

Genvarianten werden bei fast allen MCS Patienten gefunden

Seit Anfang der 90er-Jahre ist die Humangenetik in die Umweltdiskussion gekommen. Vor allem hat interessiert, ob genetisch bedingt Unterschiede der Empfindlichkeit existieren (Stichwort: gute und schlechte Entgifter). Die Genanalyse zeigt, dass die Entgiftungskapazitäten individuell sehr unterschiedlich sind (Stichwort: Polymorphismen). Die Toxikologie nennt eine Spreizung der Suszeptibilität von einer Zehnerpotenz. Schaut man in Einzelberichte, erkennt man, dass die Unterschiede in der individuellen Wirkschwelle noch größer sind.

Kuklinski, der schon seit Mitte der 90er Jahre bei seinen Patienten die Genabschnitte (Allele) für die Entgiftungsenzyme bestimmen ließ, berichtet auf einem der Frankfurter Kolloquien Ende der 90er Jahre, von den guten Entgiftern hätte er noch keinen in seiner Praxis gesehen. Das heißt, unsere Grenzwerte schützen nur die Minderheit der guten Entgifter, und das ist verfassungswidrig (wird vertieft, soweit professionelles Interesse besteht).

In der Debatte um das „C“ in MCS wurde gefragt, ob MCS – Patienten statistisch gesehen ein schwächeres Detox-System aufweisen. Die Antwort ist ja. Pall hat Genstudien von MCS-Patienten gesammelt. In verschiedenen Studien wurden verschiedene Allele getestet. Natürlich wurde prompt argumentiert, das sei kein Beweis für das „C“. Pall sagt dazu, das zwar einzelne Polymorphismen bei Genen, die für die Entgiftungsenzyme zuständig sind, den Rückschluss auf Chemikalienverursachung nicht erlauben, aber alle Ergebnisse zusammen den Zweifel an der Verursachung durch Chemikalien verbieten.

In dem Zusammenhang fällt auch ein Schlaglicht auf die deutsche Forschung. Pall streicht die Studie von Schnakenberg als besonders hilfreich heraus. Es gibt aber noch eine zweite Studie aus Deutschland. Diese ist von Wiesmüller mit nur 1/9 des Aufwandes der Schnakenbergstudie (lt. Pall, nicht von mir) und sie findet keinen Zusammenhang. Es liegt also nicht am handwerklichen und/oder wissenschaftlichen Können in Deutschland, sondern um gewollten Pfusch. Jeder, der etwas von Epidemiologie versteht, weiß, dass Signifikanz verschwindet, wenn die Probantenzahl klein ist – man kann das vorher abschätzen. So machte Triebig seine Malerstudie, Wiesmüller seine MCS-Gen-Studie und auch die Erlanger Fakestudie benutzte statistische Verdünnung: immer nur ein paar Probanten pro Schadstoff.

Pfusch ist die Grundlage der negativen Ergebnisse der deutschen MCS-Forschung, die einen Umweltbezug verneint. Das einzig wissenschaftliche dieser Forschung ist die Abschätzung, welche gezielten Mängel ein negatives Ergebnis bezüglich der Ursache sichern.

Autor: Dr. Tino Merz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 8. Oktober 2009

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