Mitmachen bei Occupy Wallstreet und Occupy Worldwide auch als Couchpotato

Von der Couch aus über Occupy informieren, mitreden, unterstützen, mitentscheiden

Die Occupy Bewegung startete in New York auf der Wallstreet und breitet seitdem überall auf der Welt aus. Menschen weltweit sind unzufrieden und empört über die Macht der Banken, Großkonzerne, Lobbyisten und wie diese ihre Machtstellung missbrauchen. Das Zeichen der Zeit ist angekommen.

Politiker merken, dass hinter der anfänglich von ihnen belächelten Bewegung sehr viel Potential steckt.

Auch die Kirche erkennt dies. Der Bischof von London gab sich weltlich und unterhielt sich mit den Occupydemonstranten im Camp neben der St. Pauls Kathedrale bei einem gemeinsamen Morgentee. Das Camp in Düsseldorf neben der Martin-Luther-Kirche erhält Strom von der Kirche und der Pfarrer sitzt abends mit den Menschen, die sich dort zusammenfinden, im Diskussionszelt und trägt seine kreativen Ideen vor.

Wer steht hinter Occupy? 99%

Menschen. Menschen aller Altersgruppen, Gesell- schaftschichten und aller Couleur. Toleranz, Akzeptanz und friedliches Miteinander sind ihre Devisen. Wenn auch nicht jeder die gleichen Ziele verfolgt – den einen ist das kollabierende Finanzsystem die größte Sorge, anderen die Umwelt oder die enorme Macht der Großkonzerne – so gibt es doch gemeinsame Nenner: Man redet miteinander, diskutiert, hört zu. Den ganzen Tag über, bis in die frühen Morgenstunden, finden sich Interessierte in den Occupy Camps ein, um vorbeizuschauen, dabei zu sein oder mit zu diskutieren.

Ein weiterer Nenner scheint Kreativität zu sein. Schier unerschöpflich sind die Ideen der Menschen, die Teil von Occupy sind. Ob es die Demonstrationsplakate und Flyer sind oder die Aktionen, sie sind jenseits der Vorstellungskraft dessen, was Zieladressaten für möglich gehalten hätten. Gerade das Kreative und Unkonventionelle schafft Aufmerksamkeit und bringt die Message voran. Keine Chance für in starre Verwaltungsstrukturen gepresste Entscheidungsträger. In normalen Zeitungen und im Fernsehen werden Informationen oft in ihrem Gehalt beschnitten oder Aussagen verfälscht. Also werden Occupy Aktivisten selber aktiv und stellen ihre eigenen Zeitungen ins Netz oder drucken sie sogar:“ The Occupied Wallstreet Journal“.

Gedruckt wird das Blatt auf Gewerkschaftsdruckmaschinen. Es wird kostenlos verteilt und finanziert sich aus Spenden. Die Erstauflage lag bei 20.000, die zweite bei 50.000 und liegt jetzt bei 250.000.

Occupy Camps und Demonstrationen bis in den letzten Winkel

Wie viele Occupy Camps es gibt, weiß wahrscheinlich niemand genau, denn es kommen täglich neue hinzu. Wer auf Facebook oder Twitter nachschaut, bekommt einen kleinen Eindruck. Über eine Google Search mit dem Begriff Occupy erfährt man, dass die Occupy Bewegung bis in den letzten Winkel der Welt vorgedrungen ist. Deren täglichen Zusammenkünfte „Assembelas“ kann man im Internet anschauen, viele lassen Webcams laufen und speisen sie als Livestreams ein oder als Videos auf Youtube. Chats, Blogs, Newsticker und, und, und… ermöglichen Kontakt vom letzten Winkel in den letzen Winkel.

Menschen campieren aus Protest  im Freien

Durch das Campieren im Freien und „Besetzen“ von öffentlichen Plätzen haben sich die Menschen, die daran teilnehmen, ins Blickfeld gerückt und verknüpfen damit die Möglichkeit, täglich mit vielen Passanten in Kontakt treten zu können. Das funktioniert. Die Occupy Camps erhalten aus der Bevölkerung viel Unterstützung.

Occupy Wallstreet gab Anfang November bekannt, dass über 500.000 Dollar an Spenden eingegangen seien. Täglich bringen Mitbürger Nahrungsmittel, Kleidung, Material für das Erstellen von Plakaten oder was ein Camp sonst noch so braucht vorbei. Die Düsseldorfer Occupy Gruppe äußerte, dass sie eine Toi-Toilette bräuchten. Kaum stand es in der Zeitung, gab es zwei solcher Toiletten, die als Spenden am Platzrand aufgestellt wurden. Ein anderer Unterstützer brachte ein iPhone vorbei, damit das Occupy Camp erreichbar ist und nach außen kommunizieren kann.

Zu arm, zu krank, zu beschäftigt zum mitmachen? Kein Problem

Die Occupy Camps erhalten viel Sympathie, wie sich unschwer erkennen lässt, und es würden sich noch viel mehr Mitmenschen daran beteiligen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.

Ein Kommentator zu einem Blogartikel über die Occupy – Bewegung brachte es auf den Punkt. Er ließ seinem Missmut über einen vorangegangenen Kommentar freien Lauf. Sein Vorgänger hatte geschrieben, dass die Leute bereits bequemer würden und der Zulauf zu den Demonstrationen weniger. Er war richtig sauer darüber und es klang durch, dass er es als Verrat an der Sache sah. Die Antwort darauf: Ich würde mitmachen, aber ich lebe weit von der nächsten Stadt entfernt. Hier gibt es keine Demo und kein Occupy Camp. Für Fahrten zu einer Samstagsdemonstration habe ich kein Geld, aber ich würde gerne mitmachen. Also was soll ich tun?!

Sicher ist es das Sinnvollste, wenn man sich aktiv beteiligt, aber wie man sieht, ist nicht jeder ist dazu in der Lage. Dennoch kann jeder, der Occupy unterstützen möchte, dabei sein, sogar von Zuhause aus von seiner Couch. Aber wie? Mit einer Guy Fawkes Maske aufs Sofa setzen? Nein!

Man beginnt damit, sich über die Hintergründe zu informieren und sich selbst kritische Gedanken zu machen. Wenn man Occupy verstanden hat und es begrüßt, sollte man mit Mitmenschen darüber reden. Schon ist man mittendrin in vielen spannenden Unterhaltungen und erweitert gegenseitig den Horizont. Auch das kann man online, wenn man nur von Zuhause aus aktiv sein kann.

Ein Occupy Camp unterstützen kann man, in dem man anfragt, was gebraucht wird oder im Internet auf der Webseite oder dem Facebook des Camps nachliest. In New York bekamen die Occupy Wall Street Camper z.B. Pizzas gespendet, in dem Menschen, die unterstützen wollten, dem Pizzaladen per Internet Auftrag erteilten. Etwas per Post schicken, per Internet oder von einer Wunschliste bei einem bestimmten Laden, das kann jeder, ob er im Büro oder auf der Couch sitzt und schon hat man einen Beitrag geleistet um diejenigen zu unterstützen, die Unbequemlichkeiten und Wettereinflüsse in Kauf nehmen, um Aufmerksamkeit über Missstände zu erregen, damit sie geändert werden.

Signale setzen

Die Banken sind Kernthema bei Occupy. Die Bankenkrise brachte zutage, dass die Millionen von Menschen von Banken um ihr hart verdientes Hab und Gut gebracht wurden. Banken, die solche ruinösen Praktiken durchführten, verdienen es nicht, dass man ihnen Geld und Vertrauen schenkt. Wer Occupy befürwortet und unterstützen möchte, kann alleine dadurch sein Signal setzen, indem er sein Geld zu einer anderen Bank wechselt, wenn er es auf einer Bank hat, die durch zweifelhafte Praktiken und Spekulationen auffiel. Für den 5. November rief das Internetkollektiv Anonymous zur „Operation Cashback“ auf. Bereits im Vorfeld hatten Bürger das Potential einer solchen Aktion erkannt und über 650.000 Menschen hatten sich Geld bar auszahlen lassen oder zu einer besseren Bank gewechselt.

Occupy von der Couch aus unterstützen

Eine Frau, die durch Chemikalien erkrankte und, weil sie hypersensibel auf Chemikalien reagiert, nicht am normalen Leben teilnehmen kann, war sehr traurig, zur Passivität gezwungen zu sein. Sie gründete die Facebookgruppe „Occupy at Home“ und reicht seitdem mit anderen Chemikaliensensiblen und Interessierten Informationen weiter. Einen Blog hat sie auch gestartet. Auf „Occupy at Home“ erläutert sie „von ihrer Couch“, wie man von Zuhause aus mithelfen kann. Das Schöne dabei, ihr Couchpotato-Aktivismus all das kostet sie keinen Cent, nur ihre eigne Energie und Kreativität.

Solche Beiträge zur Occupy Bewegung sind nicht weniger wertvoll als andere solidarische Unterstützungen, denn Kommunikation mit anderen und aktive gegenseitige Hilfe war etwas, was in den Hintergrund gedrängt wurde, und es möglich machte, dass die Interessen der Allgemeinheit in Vergessenheit gerieten und Machtstrukturen entstehen ließen, die ungesund sind.

Ob die Occupy Camps den Winter überstehen, indem die Menschen dort Kälte und Schnee trotzen, weiß niemand einzuschätzen. Selbst wenn nicht, es ist etwas in Bewegung geraten, was nicht nur spannend ist, es ist vom zwischenmenschlichen Aspekt her etwas passiert, dass schon jetzt Änderung in der Denkweise vieler gebracht hat, wie der Ausspruch eine Herrn im Anzug verdeutlicht: „Um gegen Korruption und Missstände zu sein, muss ich nicht arbeitslos oder arm sein.“

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 5. November 2011

 

Kinder auf dem Land bekommen doppelte Ladung Pestizide ab

Kinder in ländlichen Regionen erhalten eine „doppelten Dosis“ des Pestizids Chlorpyrifos aus der Nahrung und durch die Drift von benachbarten Feldern

Während Schüler im ganzen Land beginnen, sich im neuen Schuljahr zurechtzufinden, fordern Mediziner und Angehörige aus Gesundheitsberufen von der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA das Verbot des neurotoxischen Pestizids Chlorpyrifos. Das Pestizid wird in den USA und auch in Deutschland flächendeckend im Agrarbereich eingesetzt. Im häuslichen Bereich ist das Pestizid in den USA seit rund zehn Jahren verboten. (Anm. d. Übersetzers: In Deutschland gibt es keine Reglementierung.)

Über zwei Dutzend Angehörige aus Gesundheitsberufen schickten am 6. Oktober 2011 der EPA einen Brief mit den neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, in denen die gesundheitlichen Auswirkungen von Chlorpyrifos, darunter Verringerung des IQs und erhöhtes Risiko für ADHS und Lernstörungen bei Kindern, aufgeführt werden.

„Die EPA sollte die Wissenschaft zur Kenntnis nehmen und dieses Gehirngift vollständig vom Markt nehmen“, sagte Dr. David Carpenter, MD, Direktor des Instituts für Gesundheit & Umwelt, University Albany. „Chlorpyrifos ist eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern und gehört nicht in unsere Häuser, auf unsere Bauernhöfe, oder auf unsere Cafeteria-Tabletts.“

Die jüngsten Studien zeigen, dass Exposition gegenüber Chlorpyrifos im Mutterleib und in der frühen Kindheit, sowie während der kritischen Entwicklungs- „Fenster“, sich dauerhaft auf das Gehirn auswirken kann. Die Forscher sagen aktuell, dass rund 25% aller US-Kinder einige IQs Punkte niedriger liegen als normal, wegen des Verzehrs von Lebensmitteln, das mit Chlorpyrifos und ähnlichen Pestiziden behandelt wurde.

„Obst und Gemüse sind wichtig für die Gesundheit von Kindern, aber es sollte nicht mit Chlorpyrifos angebaut werden“, sagte Ted Schettler, MD, MPH, wissenschaftlicher Direktor des Science and Environmental Health Network, einer der Unterzeichner des Briefes an die EPA. „Kinder in ländlichen Gemeinden bekommen eine doppelte Dosis des Gehirngiftes ab. Sie sind Chlorpyrifos durch benachbarte Feldern ausgesetzt, und wieder, wenn das Pestizid auf ihrem Essen ist. “

In den USA wurde der Einsatz von Chlorpyrifos in Häusern vor über zehn Jahren wegen seiner möglichen Schädlichkeit für Kinder verboten. Aber über zehn Millionen Pound Chlorpyrifos werden immer noch auf landwirtschaftlichen Feldern jedes Jahr benutzt. Air Monitoring, Human Biomonitoring und Vergiftungsdaten bestätigen die umfangreiche Exposition der Menschen gegenüber Chlorpyrifos aufgrund der weiteren Verwendung in der Landwirtschaft. Nach Angaben der Centers for Disease Control trägt die überwiegende Mehrheit von uns Abbauprodukte des chemischen Stoffs in unserem Körper – darunter auch Kinder.

Kinder, die in landwirtschaftlichen Regionen leben, sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Neben der Exposition aus der Nahrung, atmen sie auch Partikel ein, die durch Abdrift von nahe gelegenen Bauernhöfen in ihre Klassenzimmern und Häuser gelangen. Bauernkinder sind Chlorpyrifos in noch größerem Umfang ausgesetzt, weil ihre Eltern manchmal Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln am Ende des Tages nach Hause bringen, die an ihrer Kleidung und ihren Schuhen haften.

„Chlorpyrifos-Drift ist eine ernsthafte Bedrohungen für Gemeinden wie meine“, sagte Luis Medellin von der lokalen Organisation „El Quinto Sol de America“. Luis wuchs im kalifornischen San Joaquin Valley auf, in Häusern die direkt neben Bauernhöfen lagen, die Chlorpyrifos benutzten. „Die zugrundeliegende Realität zeigen, dass dieses Gehirngift nicht risikolos genutzt werden kann und deshalb auf den Feldern nicht verwendet werden sollte.“

Im Alter von 17 Jahren begann Luis mittels des „Drift-Catchers“ von PAN, dem Pestizid Aktions-Netzwerks, die chemische Drift aus den benachbarten Zitrus-Plantagen zu erfassen. Es wurde festgestellt, dass die Mehrzahl der Proben Chlorpyrifos enthielt. Anwohner sammelten ebenfalls ihren Urin, um ihn auf Chlorpyrifos zu testen und alle, außer einem, hatten Werte, die über dem lagen, was EPA für „akzeptabel“ hält.

In ihrem Brief an EPA fordern die Gesundheitsexperten, dass die EPA alle Verwendungen von Chlorpyrifos verbietet. In ihrem Schreiben steht:

„Wir fordern die EPA auf jetzt zu handeln aufgrund der Evidenz der wissenschaftlichen Beweise, dass Chlorpyrifos der Gesundheit von Kindern und Föten schadet. Es ist an der Zeit, dass die EPA Maßnahmen ergreift, um die öffentliche Gesundheit zu schützen und für ein gesundes Erbe für unsere Kinder und für zukünftige Generationen sorgt. Wir appellieren an die EPA, um alle Anwendungen des Pestizids Chlorpyrifos zu stoppen.

Andere Briefe mit einer ähnlichen Betreff wurden der EPA von Gesundheits- und Umweltorganisationen aus ganz Amerika übersandt, darunter eine Petition, die von mehr als 6.000 besorgten Bürgern aus dem ganzen Land unterzeichnet war.

Autor: PAN, Toxic Brain Chemical Must Be Banned: Health Professionals Demand EPA Take Action, October 5, 2011

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

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Familie krank, Tochter tot, durch Schimmel?

Neues Haus wurde zum Alptraum durch Schimmelbelastung

Ein kleiner Ort am Rande des Hochwaldes. Der Ort ist hoch gelegen und für saubere Luft bekannt. Eine fünfköpfige Familie hatte 2005 ein neues Haus dort bezogen und sich wohlgefühlt. Nach und nach wurden alle krank. Die Tochter starb mit 18 Jahren Anfang 2011. Es stellte sich heraus, dass das Wohnhaus hoch mit Schimmelpilzen belastet ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, ob sie die Ursache für den Tod der jungen Frau sind.

Das Haus der Familie aus Herborn bei Idar-Oberstein muss noch über Jahre abbezahlt werden. Wohnen kann die Familie nicht mehr darin. Es besteht Lebensgefahr. Gutachten hatten sofortigen Auszug und Sanierung empfohlen.

Ein Ort hält zu erkrankter Familie

Der Gemeinderat, der Bürgermeister, Nachbarn und Familien aus dem kleinen Ort gründeten einen „Freundeskreis“ und starteten zusammen mit dem Förderverein Lützelsoon „Hilfe für Kinder in Not“ einen Spendenaufruf, um der in Not geratenen Familie zu helfen. In das Haus kann die Familie nicht mehr zurück, was ein vorgerichtliches Gutachten bestätigte. Sofortiger Auszug sei angeraten. Durch die Mithilfe des Fördervereins kam die Familie in einer Ferienwohnung unter. Die Kosten dafür kann die Familie laut Bericht aus der Nahezeitung nicht aufbringen, weil sie das Schimmelpilz-belastete Haus weiter abzahlen muss.

Hilferuf:

Wer die Not befindliche Herborner Familie unterstützen möchte, kann eine Spende an den Förderverein Lützelsoon – Kinder in Not und deren Familien e.V., KSK Birkenfeld, Kennwort „Julia“, Kontonummer 420 700, Bankleitzahl 562 500 30 richten.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 28.10.2011

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Fukushima: Freisetzung von radioaktivem Xenon und Cäsium

Studie schätzt Freisetzung von radioaktivem Xenon-133 und Cäsium-137 im Fukushima ab

Das Open Access Journal „Atmospheric Chemistry and Physics“ veröffentlichte Oktober 2011 eine Studie welche versucht, die beim SuperGAU in Fukushima freigesetzte Menge an Radioaktivität für zwei Radionuklide rechnerisch zu bestimmen. Sie wurde als Diskussionspapier veröffentlicht, harrt also noch einer Prüfung (review) durch andere Wissenschaftler (peers), die nicht an ihr beteiligt waren.

Wir veröffentlichen das übersetzte Abstract dieser Studie und haben es zur besseren Lesbarkeit umformatiert. Das Diskussionspapier kann frei (open access) von Atmospheric Chemistry and Physics herunter geladen werden.

Freisetzung von Xenon-133 und Cäsium-137 aus der atomaren Energieerzeugungsanlage Fukushima Dai-ichi: Bestimmung von Quellterm [Menge und Art], atmosphärische Verteilung und Ablagerung

von A. Stohl et al.

Am 11. März 2011 ereignete sich etwa 130 Kilometer vor der pazifischen Küste von Japans Hauptinsel Honshu ein Erdbeben, dem ein heftiger Tsunami folgte. Der dadurch verursachte Stromausfall in der Atomkraftanlage Fukushima Dai-ichi (FD-NPP) führte zu einer Katastrophe, welche die Freisetzung von großen Mengen Radioaktivität in die Atmosphäre zur Folge hatte. In dieser Studie bestimmen wir die Emission von zwei Isotopen, dem Edelgas Xenon-133 (133Xe) und dem aerosolgebundenen Cäsium-137 (137Cs), die sehr verschiedene Charakteristiken bei der Freisetzung, aber auch in ihrem Verhalten in der Atmosphäre, aufweisen.

Um die Emissionen von Radionukliden als eine Funktion von Wert und Zeit bis zum 20. April zu bestimmen, stellten wir eine erste Schätzung an, die auf Brennstoff-Inventarien und dokumentierten Unfall-Ereignissen vor Ort beruhte. Diese erste Abschätzung wurde danach durch inversive Modellierung [Rückschlüsse aus bekannten korrelierenden Daten] verbessert, welche diese erste Schätzung mit den Ergebnissen eines atmosphärischen Transport-Modells, FLEXPART und den Messdaten mehrerer Dutzend Stationen in Japan, Nordamerika und anderen Regionen kombinierte. Wir verwendeten sowohl gemessene atmosphärische Aktivitäts-Konzentrationen, als auch für 137Cs Messungen des gesamten Fallouts.

Was 133Xe angeht, stellen wir eine gesamte Freisetzung von 16,7 (Ungenauigkeitsbereich 13,4–20,0) EBq [Exa/Trillion = 10^18 Becquerel] fest, was historisch gesehen die größte Freisetzung von radioaktivem Edelgas bedeutet, die nicht in Zusammenhang mit Atombombentests steht. Es spricht sehr vieles dafür, dass die erste große Freisetzung von 133Xe sehr früh stattfand, möglicherweise unmittelbar nach dem Erdbeben und der Notabschaltung am 11. März um 06:00 Uhr UTC [Weltzeit]. Das gesamte Edelgas-Inventar der Reaktoreinheiten 1-3 wurde zwischen dem 11. und 15. März 2011 in die Atmosphäre frei gesetzt.

Für 137Cs ergaben die Ergebnisse der Modellierung eine Gesamtemission von 35,5 (23,3–50,1) PBq [Peta/Billiarde = 10^15 Becquerel] oder etwa 42% der geschätzten Freisetzung von Chernobyl. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die 137Cs-Emissionen am 14.-15. März ihren Höchstwert hatten, dass sie aber insgesamt von 12. bis zum 19 März hoch waren, bis sie plötzlich um Größenordnungen abnahmen, genau als man damit anfing, das Lagerbecken für Brennelemente von Einheit 4 mit Wasser zu besprengen. Dies zeigt, dass die Emissionen nicht nur aus den beschädigten Reaktorkernen, sondern auch aus dem Lagerbecken von Einheit 4 kamen und bestätigt, dass das Besprengen eine wirksame Gegenmaßnahme war.

Wir untersuchen auch die wichtigsten Verteilungs- und Niederschlagsmuster der radioaktiven Wolke, sowohl regional für Japan, aber auch für die gesamte nördliche Hemisphäre. Während es auf dem ersten Blick günstig aussah, dass die meiste Zeit westliche Winde vorherrschten, als sich der Unfall ereignete, ergibt sich aus unserer detaillierten Analyse ein anderes Bild. Genau während und nach der Periode der stärksten 137Cs Emissionen am 14. und 15. März und auch wie nach einer anderen Periode mit starken Emission am 19. März, advehierte die radioaktive Wolke zur östlichen Honshu Insel, wo der Fallout eine große Fraktion von 137Cs auf der Oberfläche des Landes ablegte.

Die Wolke verteilte sich auch sehr schnell über der gesamten nördlichen Hemisphäre, wo sie als erstes am 15. März Nordamerika und am 22. März Europa erreichte. Allgemein passten simulierte und beobachtete Konzentrationen von 133Xe und 137Cs sowohl in Japan als auch an entfernten Orten gut zusammen. Insgesamt schätzen wir, dass 6,4 TBq [Tera/Billion = 10^12 Becquerel] 137Cs oder 19% des gesamten Fallouts bis zum 20. April über dem japanischen Festland nieder gingen, währen der Rest größtenteils über dem nordpazifischen Ozean herunter kam. Lediglich 0,7 TBq oder 2% des gesamten Fallouts gingen über anderem Festland als Japan nieder. 1)

Was bedeutet diese Studie?

Als erstes sollte man nicht viel auf die veröffentlichten Zahlen dieser Studie geben, solange sie noch nicht peer reviewed ist. Ein wenig erstaunt hat mich, dass im Zeitalter von Internet und sozialen Medien die Autoren das Projekt Safecast nicht kennen, dem man z.B. auf Twitter bequem folgen kann und das nicht mal das einzige seiner Art ist.

Auf Seite 41 des Papieres beklagen Sie:

„Obgleich wir Messdaten aus einer Vielzahl von Quellen gesammelt haben, ist fast keine von ihnen öffentlich zugänglich und es gibt wahrscheinlich mehr brauchbare Datensätze, die uns nicht zugänglich waren. Institutionen, die relevante Messdaten produziert haben, sollten diese frei zugänglich machen. Es sollte eine zentrale Datenablage eingerichtet werden, wo diese Daten vorgehalten, überprüft, in ein gängiges Datenformat konvertiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Dies würde beachtliche Verbesserungen der zukünftigen Quellterme erlauben.“

Safecast wurde als crowd sourced (massengestützte) Initiative gegründet, um nicht auf die nur spärlich geflossen Informationen von TEPCO und den japanischen Behörden angewiesen zu sein. Selbst wenn die Wissenschaftler dieser Mob-Initiative misstrauen, die derzeit auf über eine Million „Mess-Stationen“ zurückgreifen kann und zu diesen Zweck Strahlenmessgeräte unters Volk gebracht hat, hätten die doch deren Daten auf Plausibilität prüfen können, sofern die angewendete Methodik wirklich was taugt. (2)

Dass nur zwei Radionukleide untersucht worden sind, verleiht dieser Studie keine große Aussagekraft und die insgesamt freigesetzte Radioaktivitätsmenge und über das Ausmaß des Schadens. Sie kann aber als Modell oder Impuls für andere ausführlichere Studien dienen. Vielleicht wurde gezeigt, daß solche Studien machbar und dass Computermodelle brauchbar sind.

Bei den untersuchten Radionukliden handelt es sich nicht einmal um die langlebigsten. Xenon-133, das vom Körper kaum aufgenommen wird, hat eine Halbwertszeit von 5,25 Tagen und für Cäsium-137 beträgt diese immerhin über 30 Jahre, was aber abgesehen von der biologischen Schädlichkeit noch das kleinere Übel wäre, wenn man z.B. an Plutonium-239 mit einer Halbwertszeit von über 24 Tausend Jahren und an dessen Giftigkeit denkt.

Die allein durch diese beiden Nuklide frei gesetzte Strahlungsmenge ist jedoch erschreckend, wobei sich mir bei Cäsium-137 ein Verständnisproblem auftut. Es wurden insgesamt s.o. 35,5 PBq freigesetzt. Doch am Ende des Abstracts (und auch in den Conclusions, S. 41) wird gesagt, daß über Japan bis zum 20. April 19% bzw. 6,4 TBq und über anderen Gebieten 2% bzw. 0.7 TBq niedergingen. Rechne ich diese 21% bzw. 7.1 TBq auf 100% hoch, sind dies ca. 33,8 TBq oder nicht ganz 10% der insgesamt freigesetzten Menge von 35,5 PBq.

Heißt dies, dass 90% des Cäsium-137 über dem nordpazifischen  Ozean verteilt wurde? – Dann hätte man besser die Meeresbelastung durch diesen Unfall untersuchen sollen. Durch das zur Kühlung eingesetzte Meerwasser ist in den ersten Tagen sicher einiges in die Ozean entsorgt worden. War diese „Notkühlung“ womöglich nicht nur ein Notbehelf, sondern bewusstes Kalkül bei der Planung der Anlage?

Besonders danken muss man den Autoren für die Darstellung des Unglücksverlaufs anhand ihrer Erkenntnisse (Anhang S. 42 ff).

Diese Passage haben wir wieder übersetzt:

A1 Block 1

Am 11. März, um 14:00 Uhr UTC (kaum 8 Stunden nach dem Stromausfall in der Anlage) wurde in der Turbinenhalle erhöhte Strahlung beobachtet, was darauf hindeutet, dass zumindest Edelgase anfingen, in die Umwelt zu entweichen. Gleichzeitig baute sich im Reaktorgebäude Druck auf und die Druckausgleichsventile sollen am 12. März zwischen 00:15 und 01:17 Uhr geöffnet gewesen sein, wahrscheinlich um große Mengen abzulassen. Nach den Berichten war die Entgasungsaktion am 12. März um 05:30 Uhr abgeschlossen. Wir nehmen an, dass bis dahin ein großer Teil der Freisetzungen stattgefunden hat. Um 06:36 ereignete sich in Block 1 die Wasserstoffexplosion (welche die erste war), offenbar weil während der Entgasung Wasserstoff in zahlreiche Gebäudeteile eindrang oder aufgrund von Lecks. Der Druck im Reaktorgebäude sank um 09:00 Uhr ab, deshalb wir vermuten, dass die Freisetzung zu dieser Zeit größtenteils vorüber war. Es ist davon auszugehen, dass die Emissionen in geringerem Umfang aufgrund zahlreicher Lecks weiter gehen werden und ab einem gewissen Zeitpunkt dürften sie wahrscheinlich auch von den abgebrannten Brennstäben herrühren, die nach der Explosion direkt der Umwelt ausgesetzt waren. Am 14. März wurde von einem zweiten Maximum des Drucks berichtet, was möglicherweise auf einen zweiten, niedrigeren Höchstwert der Emissionen hindeutet.

A2 Block 2

Block 2 ist von neuerer Bauart als Block 1 und konnte den Stromausfall ein wenig länger überstehen. Die erste Entgasung fand laut Berichten für diesen Block am 13. März um 02:00 Uhr UTC mit ungewissem Erfolg statt, und die erste bestätigte Zeit, zu der die Ausgleichsventile geöffnet wurden, ist 09:00 Uhr UTC am 14. März. Strahlungsmessungen in Nass- und Trockenbrunnen (Reaktorsegmente unter dem Druckkessel, innerhalb des Reaktorgebäudes) schossen eine Stunde später in die Höhe, was wohl eine Kernschmelze bedeutet, und auch MELCOR-Berechnungen [Computersimulation für Unfälle von Atomkraftwerken] ergeben für diesen Zeitpunkt das Schmelzen der Brennstäbe und auch die Freisetzung von Edelgasen spricht dafür. Demnach denken wir, dass zu dieser Zeit die Edelgase mehr oder weniger vollständig abgelassen worden waren. Um 15:00 Uhr UTC wurde eine weitere Entgasung des Trockenbereiches durchgeführt und eine Wasserstoffexplosion hat wahrscheinlich den wasserführenden Bereich um 21:14 Uhr beschädigt. Man kann von großen Freisetzungen ausgehen. Am 15. März um 21:00 Uhr UTC, herrschte in Trocken- und Nassbrunnen Außendruck, was auf das Fehlen jeglicher wirksamer Barrieren hinweist. Zu dieser Zeit dürfte die gesamte Freisetzung stattgefunden haben, doch ähnlich wie bei Block 1 kann die Freisetzung mit niedrigeren Werten weiter gehen. Zwischen dem 26. März und dem 19. April wurde von einem sekundären Temperaturanstieg im RPV [reactor pressure vessel/Reaktor-Druckbehälter] berichtet, der möglicherweise mit etwas erhöhten Freisetzungen verbunden war.

A3 Block 3

Die erste Entgasungsaktion im Nassbrunnen von Block 3 wurde entsprechend den Berichten am 11. März um 23:41 Uhr UTC durchgeführt. Dabei wurden sicher Edelgase abgelassen. Etwa 24 Stunden später, nachdem von einer Erhöhung des Drucks in der Kondensationskammer [ringförmiger Wasserbehälter unter dem Druckkessel] berichtet wurde, gab es laut Bericht eine zweite Entgasung von ca. 20 Minuten. Schließlich wurde am 13. März um 20:20 berichtet, dass die Ausgleichsventile offen wären und MELCOR [s.o.] ergab ungefähr für diese Zeit das Versagen des Reaktordruckbehälters. Sechs Stunden später, am 14. März um 02:00 Uhr UTC, ereignete sich eine sehr heftige Wasserstoffexplosion, welche den oberen Teil des Reaktorgebäudes schwer beschädigte und Trümmer verstreute. Der Report gibt das Ende der Entgasung mit 03:00 Uhr UTC an. Damit fand sicher eine große Freisetzung ihren Abschluss. Jedoch werden bis zum 20. März zahlreiche Öffnungs- und Schließarbeiten der Ventile berichtet, was sporadische Erhöhungen über den verringerten Freisetzwerten verursacht haben könnte, die ähnlich wie bei Block 1 verlaufen sollten. Schließlich wurde zwischen dem 1. und 24. April eine weitere Zunahme der Druckkessel-Temperaturen berichtet.

A4 Block 4

Wenige Informationen wurden über das Lagerbecken für abgebrannte Brennstäbe von Block 4 veröffentlicht (das aufgrund seines großen Inventars das gefährlichste war). Dessen Wassertemperatur wurde am 13. März um 19:00 Uhr UTC mit 84° C angegeben. Bei solchen Temperaturen ist eine gewisse Freisetzung von Radionukliden bereits wahrscheinlich. Am 14. März kam es um 21:00 Uhr UTC in Block 4 zu einer größren Wasserstoffexplosion. Diese könnte oder könnte auch nicht von den abgebrannten Brennstäben verursacht worden sein. Laut Berichten wurde am 19. März um 23:21 Uhr UTC damit begonnen, über dem Becken Wasser zu versprühen. Ohne weitere Informationen zu besitzen können wir für die Freisetzung lediglich einen Anteil der gleichen Größenordnung wie für die Reaktorkerne annehmen, weniger als 1% des Cäsium-Inventars, von dem man annimmt, dass es hauptsächlich zwischen der Wasserstoffexplosion und dem Besprengen mit Wasser freigesetzt worden ist.

Nach den Wasserstoffexplosionen war ich nicht der einzige, der sich fragte, ob die Lagerbecken für abgebrannte Brennstäbe in den oberen Stockwerken der Reaktorgebäude und die Druckbehälter selber, diese intakt überstanden haben. Solche Fragen wurden zu diesem Zeitpunkt in den Leistungsschutz-bewehrten Profimedien nicht gestellt und wir alle hofften, dass eine oder mehrere Kernschmelzen, die nach den obigen Schilderungen längst stattgefunden hatten und von denen die Behörden und Betreiber wissen mussten, noch zu verhindern sind. Bezeichnend ist auch, dass es zu Block 4 mit dem größten Gefahrenpotential die wenigsten Informationen gibt.

Wie perfekt TEPCO und die japanischen Behörden alles verschleiert und verharmlost haben und wie die Medien, die aus Chernobyl wohl etwas gelernt hatten, mitgespielt haben, weiß man nun also, selbst wenn die Studie von den Peers verworfen werden sollte.

Betont werden muss auch, dass es nicht der Tsunami war, sondern dass bereits das vorausgegangene Erdbeben zu Kernschmelzen geführt hat, weil der Strom für die Kühlung ausfiel. Und sind teilweise baugleiche AKWs bei uns erdbebensicher? (3)

Der Größenwahn nicht des Menschen an sich, sondern jener, die ohne Rücksicht auf Mensch und Natur ihre Geschäfte machen, glaubt, absolut alles managen zu können und jedes Risiko eingehen zu dürfen. Inzwischen gibt es darauf eine Antwort: #OWS!

Autor: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 26.10.2011

Ressourcen:

  1. Stohl, A., Seibert, P., Wotawa, G., Arnold, D., Burkhart, J. F., Eckhardt, S., Tapia, C., Vargas, A., and Yasunari, T. J.: Xenon-133 and caesium-137 releases into the atmosphere from the Fukushima Dai-ichi nuclear power plant: determination of the source term, atmospheric dispersion, and deposition, Atmos. Chem. Phys. Discuss., 11, 28319-28394, doi:10.5194/acpd-11-28319-2011, 2011. Freigegeben unter CC: by
  2. Crowdsourcing Japan’s radiation levels
  3. Fukushima-Reaktoren in unserer Nachbarschaft: Baugleiche AKWs laufen weiter

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Die Umweltkrankheit MCS lässt sich nicht ewig vertuschen

Chemikaliensensible existieren, Tendenz steigend

Sie sollen nicht existent sein, die Umwelterkrankten mit MCS – Multiple Chemical Sensitivity. Menschen, die auf minimale Konzentrationen von Chemikalien im Alltag reagieren in einem Land, das Chemikalien in die ganze Welt exportiert und damit fette Gewinne erwirtschaftet, das passt nicht. Also wird dafür gesorgt, dass Chemikaliensensible nicht existieren. Zumindest nicht auf dem Papier.

Wer MCS hat und seine Erkrankung als Schwerbehinderung anerkannt bekommen möchte, erfährt schnell, dass MCS unerwünscht ist. Das Versorgungsamt dreht und windet sich wie ein Aal, nur damit MCS nicht als Behinderung akzeptiert wird. Denn, wenn MCS häufiger als Behinderung auftaucht, könnten die Erkrankten Forderungen durchsetzen und zwar auch solche, die ihre Krankheit in der Öffentlichkeit sichtbar macht. Ergo, dass MCS als Behinderung anerkannt wird, muss meist erst rechtlich erstritten werden.

In der Bevölkerung ist MCS – Multiple Chemical Sensitivity nicht mehr ganz unbekannt, aber die Konsequenzen, die diese Erkrankung für die Menschen hat, die darunter leiden, kennt kaum jemand. Es wird versucht, MCS als Bagatelle darzustellen oder als Marotte, als psychische Störung, usw. Eben alles Mögliche, außer einer ernstzunehmenden Erkrankung, die rund 15% der Bevölkerung betrifft und sie einschränkt in allen Lebenslagen.

Thommy’s Blogfrage der Woche:

  • Lässt sich MCS auf Ewig vertuschen?
  • Was können MCS Kranke unternehmen, damit die Allgemeinheit von ihnen erfährt?
  • Wie lässt sich Druck aufbauen, damit MCS als Behinderung im Einzelfall anerkannt wird und das ohne Rechtsstreit?
  • Wie kann dem Klischee „MCS – Multiple Chemical Sensitivity sei psychisch“ die Existenz entzogen werden?
  • Habt Ihr Ideen, wie MCS der Öffentlichkeit als das vermittelt werden kann, was es ist, nämlich eine einschränkende Behinderung?
  • Wie kann die Allgemeinheit effektiver und zeitnah über MCS informiert werden?

Fibromyalgie durch Gifte in Textilien?

Fibromyalgie unter Arbeiterinnen in der Textilindustrie stärker verbreitet

Fibromyalgie (FM) ist eine durch chronische Schmerzen, Müdigkeit, verringerte Schlafqualität und multiple Tender-Points charakterisierte Erkrankung. Ein Wissenschaftlerteam aus der Türkei führte eine umfangreiche Studie durch, um festzustellen, wie häufig Fibromyalgie bei Arbeiterinnen in der Textilindustrie vorkommt. In der Allgemeinbevölkerung stellte eine im Vorfeld durchgeführte Erhebung fest, dass rund 3,6% der türkischen Bevölkerung unter Fibromyalgie leiden.

Bei den Arbeiter/innen in der Textilindustrie lag die Häufigkeit fast doppelt so hoch. Als Ursache könnte der hohe Einsatz von toxischen Chemikalien in der Textilindustrie verantwortlich sein.

Fibromyalgie – Schmerzen über Schmerzen

Schmerzen und Symptome, die durch Fibromyalgie eintreten, können so stark sein, dass sie zu Arbeitsunfähigkeit führen und den Aktionsradius des Erkrankten auf seine eigenen vier Wände schrumpfen lassen.

Die Studienteilnehmer der türkischen Studie, die unter Fibromyalgie litten, hatten allesamt Schmerzen am ganzen Körper. 12,5% von ihnen klagten über Gelenkschmerzen. 14,6% wiesen Raynaud-Syndrom auf, was zu schlecht durchbluteten, weiß/blau verfärbten, ständig kalten Händen und Füssen führt. Insgesamt wiesen 41,6% des Studienkollektivs Schlafstörungen auf, 87,5% hatten Kopfschmerzen und 52% litten unter Reizdarm.

Frauen leiden häufiger unter Fibromyalgie als Männer

Die Teilnehmer der in zwei Stufen durchgeführten Feldstudie, waren zum größten Teil weiblich. Wie aus anderen internationalen Studien bekannt, leiden vor allem Frauen unter Fibromyalgie. Unter Männern ist die Erkrankung weniger verbreitet.

Die Textilarbeiterinnen (523) und Textilarbeiter (132) aus vier Fabriken wurden im Rahmen der Studie, an der drei verschiedene Universitätskliniken beteiligt waren, gebeten, einen umfangreichen Fragebogen auszufüllen. Stellte sich heraus, dass ein Proband unter starken Schmerzen litt und weitere für Fibromyalgie kennzeichnende Symptome aufwies, wurde er von einem erfahrenen Rheumatologen gründlich untersucht. Bei den Patienten, die 11 von 18 Tenderpoints nach den ACR 1990 FM Einstufungskriterien aufwiesen, wurde Fibromyalgie diagnostiziert. Anschließend wurden weitere detaillierte klinische und Laboruntersuchungen durchgeführt.

Fibromyalgie bei Arbeitern in der Textilindustrie verbreitet

Die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie sind hart. Erst in letzter Zeit wird dieser Industriezweig durch Reportagen in den Medien gründlicher durchleuchtet. Die Arbeiter im Textilbereich sind vielen Chemikalien ausgesetzt, von denen man weiß, dass sie der Gesundheit erheblich schaden können. Es wäre eine interessante Aufgabe für künftige Wissenschaftler, eine internationale Erhebung im Bereich der Textilindustrie durchzuführen, um zu ermitteln, ob Arbeiter in anderen Ländern wie Indien, Bangladesch, Vietnam, ebenfalls vermehrt unter Fibromyalgie leiden und welche weiteren Erkrankungen besonders oft und über dem Bevölkerungsdurchschnitt vorkommen. Laboranalytische Untersuchungen auf Chemikalien im Körper der Textilarbeiter/innen wären sicherlich geeignet, manchen Umkehrschluss zu ziehen.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 20. Oktober 2011

Literatur:

Cobankara V, Unal UO, Kaya A, Bozkurt AI, Ozturk MA., The prevalence of fibromyalgia among textile workers in the city of Denizli in Turkey, Int J Rheum Dis. 2011 Oct;14(4).

Weiterführende Informationen:

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Junge Frau mit schwerer Umwelterkrankung benötigt dringend Hilfe!

Die 35 jährige Wienerin, die an einer Multiple Chemical Sensitivity – MCS leidet, ausgelöst durch ein Chemiewerk in ihrer Wohngegend, braucht aus umweltmedizinischer Sicht umgehend einen Umzug in eine schadstoffarme Gegend, bevorzugt in Wien-Umgebung.

Ämter und Behörden fühlen sich allesamt nicht zuständig und überlassen diese liebenswerte junge Frau einfach ihrem Schicksal…

Das Immunsystem, Organe und Schleimhäute der ehemaligen Musik­studentin, welche mittlerweile komplett berufsunfähig ist, wurden nahezu irreparabel geschädigt, was zu chronischen Leiden mit ständigen Schmerzen führt. Schwerstreaktionen wie Schwächezustände, Entzündungen des Magen- und Darmtraktes, extreme Schmerzen der Muskel und Gelenke, Unverträglichkeiten auf nahezu alle Lebensmittel, dazu ständige Blockierungen der Halswirbelsäule gehören zu ihrem wahren Martyrium, welches sie täglich zu ertragen versucht. Nicht, dass Verena es nicht versucht hätte, eine geeignete Unterkunft für sich zu finden, doch es scheiterte jedes Mal an der Unverträglichkeit der Häuser.

So sucht Verena auf diesem Wege dringend Menschen wie Bauexperten, Baumeister, Bauträger, Immobilienfirmen, Makler, die ihr bei der lebens­notwendigen Verwirklichung und Umsetzung eines schadstoffarmen ökologischen Bauprojekts helfen möchten und können. Es ist die einzige Möglichkeit, Verena so zu helfen, ihren Jahrzehnte langen Leidensweg zu beenden.

Jede Form der Hilfe wird gerne und dankbar angenommen.

Die österreichische Organisation MCS-Info hat eigens eine E-Mail Adresse für Verena eingerichtet. Kontaktieren Sie Verena unter: verena @ mcs-info.at

Gerne können Sie Anfragen oder Hilfshinweise auch an CSN richten, Verenas Fall ist CSN seit Jahren bekannt.

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Tag beim Kieferchirurgen und der Mund-Kiefer-Gesichtsklinik der Charité

Patientin mit MCS – Multiple Chemical Sensitivity berichtet:

Nach monatelangen Schriftwechseln und Telefonaten habe ich endlich einen Kieferchirurgen gefunden, der sich bereit erklärt hat, sich meine schmerzenden Zähne (müssen gezogen werden) anzusehen.

Morgens für 7 Uhr ein Taxi bestellt, Nichtraucher und ohne Duft, ich komme raus und sehe, wie der Taxifahrer sich im Auto eine Zigarette anzündet, er selber hatte jede Menge Duft an sich, aber ich musst ja zu dem Termin hin. Also Sauerstoffflasche aufgedreht und das Fenster aufgemacht, nach einer dreiviertel Stunde endlich am Ziel.

In der Praxis echt nette Menschen und viel Verständnis. Nach einer Röntgenaufnahme und Beratung mit Kollegen wurde entschieden, dass das Risiko selbst einer Lokalbetäubung zu hoch ist.

Ich wurde an die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie der Charité überwiesen.

Wieder ein Taxi bestellt, Glück gehabt, das roch nach nichts, außer nach einem Becher frischem Kaffee. Danke, lieber Taxifahrer, du warst mein erster Lichtblick an diesem Tag.

In der Charité in Haus 2 zur Anmeldung, Nummer ziehen und warten, Aufruf, Termin zu einer Vorbesprechung frühestens am 31.10. 2011 heute war ja schon der 13.10.2011. Sind ja nur 18 Tage.

Also wurde ich an die Rettungsstelle im Nachbarhaus verwiesen. Mit Sauerstoff, Handtasche, Jacke, Fußmarsch zur Rettungsstelle. Dort anmelden, 10€ zahlen und warten, endlich kommt ein Zahnarzt, der liest sich erst einmal den MCS-Ausweis durch und die MCS Arztinfo, danach werde ich herein gebeten, er will mehr über meine Probleme (Zähne) und MCS erfahren. Kein Problem, er versteht sehr schnell, wie problematisch alles ist, und obwohl es in erster Linie um die Zähne geht, darf man auf keinen Fall die MCS außen vor lassen. Alles dreht sich erst einmal um die Multiple Chemical Sensitivity und dann um die eigentliche Diagnose.

Er ruft noch einen Kollegen an, er hätte einen sehr interessanten Fall, der Kollege wollte zuerst nicht, aber er kam dann doch. Er hat Augen gemacht, eine Patientin mit MCS (WHO ICD-10 T78.4) hatte er noch nie, aber auch er verstand sehr schnell, dass MCS vorhanden ist und fast alles einschränkt.

Man macht gleich noch EKG und Blutabnahme, danach interne Überweisung in die MKG-Klinik, wieder zur Anmeldung, Nummer ziehen, Papiere abgeben. Nach viel Murren und Maulen, (oh nein, die Sprechstunde ist brechend voll und dann auch noch so etwas). Ich soll mich ab 13.00 Uhr vor Sprechzimmer 4 einfinden.

Wieder einmal eine Wartezone, ca. 40 Minuten und man ruft mich herein, der Zahnarzt spricht mit mir und verweist mich an die Anästhesisten weiter. Dicke Akte greifen und wieder in ein anderes Haus traben, Nummer ziehen, nach Aufruf in die Anmeldung, Fragebogen und Datenerfassung, mit der Bitte den Fragebogen auszufüllen wieder in die Wartezone entlassen. Ca. 20 Minuten später kommt der Anästhesist und holt mich zum Gespräch ab. Bestimmt eine halbe Stunde redet er mit mir, dann kommt er aufgrund meiner Allergien und der MCS zu dem Entschluss, dass er mich so nicht behandeln kann. Er will erst mit den Allergologen abklären, was geht, was evtl. noch geht und was gar nicht geht. Er verweist mich zurück an die MKG Klinik.

Wieder zur Anmeldung, Akte abgeben und darum bitten, dass ich noch einmal beim Zahnarzt vorgestellt werde.

Ich bin mittlerweile trotz MCS Maske und guten 500L Sauerstoff völlig am Ende, ich kann mir nichts mehr merken, bin völlig Matsch im Kopf.

Der Zahnarzt versteht nicht, dass ich als schwerkranker Mensch nicht permanent in ärztlicher Betreuung bin, er versteht es einfach nicht, dass jeder Arztbesuch ein gesundheitliches Risiko darstellt und man mir da auch nicht helfen kann.

Er ist auch der Meinung, dass es ja wohl Fachärzte dafür geben müsste. Als ich ihn bat, mir nur einen einzigen zu benennen, das übliche ratlose Gesicht.

Er erzählte mir, dass ich Allergietests machen soll. Ich kann mir nichts mehr merken und bitte ihn, mir alles aufzuschreiben und mir innerhalb der Charité etwas zu benennen.

Das war es für heute, nach ca. 6 Stunden in der Charité bin ich fix und fertig und stehe wieder ganz am Anfang. Jetzt noch ein Taxi (Nichtraucher und ohne Duft besorgen) es ist innerhalb von 2 Minuten da.

Toll, es ist ein alter Daimler, der ist schon so alt, da riecht nichts mehr, der Fahrer selber auch ohne, toll, der 2. Lichtblick an diesem Tag.

Es ist ca. 16.00 Uhr, ich bin endlich wieder zuhause. Ich habe Durst und Hunger. 2 Stunden später gegen 18.00 Uhr setzen Krämpfe ein, die Beine, die Brust, der Rücken, das Herz tut weh, EKG ist aber okay, der Kopf dröhnt, alles stinkt nach den ganzen Duftstoffen aus der Klinik.

Ich nehme 3 gr Magnesium, die Krämpfe werden immer stärker, jetzt kommt Chinin ran, es reicht immer noch nicht! Jetzt kommen 5 gr Magnesiumcitrat in einem Glas Wasser aufgelöst und in kleinen Schlucken über 2 Stunden getrunken, mittlerweile waren einige so heftige Kämpfe, das wieder einmal einige Muskelfasern gerissen sind, um 1.00 Uhr lassen endlich die Krämpfe nach und ich kann versuchen zu schlafen.

Um 3.30 Uhr werde ich wieder unsanft geweckt, ich laufe aus, die Schließmuskel spielen nicht mit, das recht Bein tut weh, die Bandscheiben der LWS haben keinen Halt mehr.

Jetzt gegen 13.00 Uhr am14.10.2011 tut zwar noch alles weh, aber das Gehirn funktioniert wieder halbwegs, die Krämpfe sind weg, nur noch Schmerzen in den Beinen und im gesamten Rücken.

Einen Termin bei meinen Hausarzt erst am 27.10. die Allergologen sind permanent besetzt, muss ich am Montag wieder probieren.

Wenn ich dann alle Untersuchungen zusammen habe, geht das ganze Theater wieder von vorne los.

So, das war ein Tag im Leben und Leiden einer MCS Kranken, der Zähne gezogen werden müssen.

Update: 15.10.2011. Es geht noch immer schlecht. Ich habe Krämpfe in den Beinen und kann kaum laufen.

Autor: Clarissa von Maus, Berlin, 14.10.2011

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Pestizide belasten Gewässer stärker als gedacht

Liste der zu kontrollierenden Chemikalien sollte zügig aktualisiert werden

Leipzig – Pestizide sind ein größeres Problem als lange angenommen. Das geht aus einer Studie hervor, für Daten zu 500 organischen Substanzen in den Einzugsgebieten von vier großen europäischen Flüssen ausgewertet wurden. Dabei zeigte sich, dass 38 Prozent dieser Chemikalien in Konzentrationen vorkommen, bei denen Wirkungen auf Organismen nicht auszuschließen sind. Dieses Ergebnis zeige klar, dass die Verschmutzung mit organischen Chemikalien ein europaweites Problem sei, schreiben Wissenschaftler im Fachmagazin „Science of the Total Environment“. Die meisten der Substanzen, die in der in der Studie als Risiko für die Umwelt eingestuft wurden, waren Pestizide, deren Mehrzahl sich nicht auf der europäischen Liste prioritärer Stoffe findet, welche regelmäßig überwacht werden müssen. Deshalb sei eine Überarbeitung der Chemikalienliste, die die EU-Wasserrahmenrichtlinie den nationalen Behörden zur Beobachtung vorschreibt, dringend notwendig.

Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie ist es, dass Oberflächengewässer und Grundwasserkörper bis 2015 einen guten ökologischen und chemischen Zustand erreichen sollen. Der chemische Zustand wird anhand einer Liste bewertet, auf der 33 sogenannte prioritäre Schadstoffe aufgeführt sind. Da insgesamt über 14 Millionen Chemikalien auf dem Markt sind und davon über 100 000 im industriellen Maßstab produziert werden, müssen sich die Behörden bei ihren Kontrollen auf eine überschaubare Anzahl an Schadstoffe beschränken. Europaweit arbeiten Wissenschaftler daher an Methoden, um herauszufinden, welche Stoffe das sein sollten.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistet jetzt eine Studie, die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zusammen mit Kollegen in Frankreich, der Slowakei, Belgien und Spanien erstellt haben. Dazu werteten sie eine Datenbank aus, die im Rahmen des EU-Forschungsprojektes MODELKEY entstanden ist und die fünf Millionen Einträge zu physiko-chemischen Daten enthält. Der Schwerpunkt der Arbeit lag dabei auf den organischen Schadstoffen, die bei über 750.000 Wasseranalysen in den Einzugsgebieten der Flüsse Elbe (Tschechien/Deutschland), Donau (10 Europäische Anrainerstaaten), Schelde (Belgien), und des Llobregat (Spanien) registriert wurden. Der Europäischen Kommission zufolge handelt es sich dabei um die erste Studie, die ein System entwickelt hat, das organische Schadstoffe nach Bewertungskriterien und Handlungsbedarf klassifiziert.

Eine der am häufigsten registrierten Verbindungen war Diethylhexylphthalat (DEHP), ein Weichmacher aus der Chemieproduktion, der die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann und daher ab 2015 in der EU verboten ist. Daneben folgen mit Bisphenol A (BPA) ein weiterer Weichmacher, der ebenfalls als fortpflanzungsschädigend gilt, sowie mit Diclofenac und Ibuprofen zwei Arzneistoffe, die häufig in Schmerzmitteln eingesetzt werden.

Insgesamt stuften die Wissenschaftler 73 Verbindungen als potenzielle prioritäre Schadstoffe ein. Rund zwei Drittel davon sind Pestizide, also so genannte Pflanzenschutzmittel, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, um die Kulturen vor Krankheiten, Schädlingen oder Unkräutern zu schützen. Die problematischsten Pestizide waren dabei Diazinon, das in Deutschland und Österreich bereits nicht mehr zugelassen ist, und die in Mitteleuropa erlaubten Stoffe Azoxystrobin und Terbuthylazin. „Beide Pestizide stehen nicht auf der Liste der 33 prioritären Schadstoffe, die die Behörden EU-weit kontrollieren müssen“, erklärt der UFZ-Forscher Dr. C. Peter von der Ohe. „Terbuthylazin ist strukturell sehr ähnlich den beiden prioritären Stoffen Simazin und Atrazin, die längst nicht mehr zugelassen sind. Dies ist ein Beispiel wie kleine Änderungen der chemischen Struktur zu einer scheinbaren Verbesserung des chemischen Zustands führen, ohne dass die Gefährdung für aquatische Ökosysteme tatsächlich abnimmt.“ Die Wissenschaftler halten daher die regelmäßige Überarbeitung der Liste prioritärer Stoffe für sehr wichtig. Die Mehrzahl der aktuell problematischen Stoffe ist nicht gelistet, während eine ganze Reihe der überwachten Chemikalien längst verboten und nicht mehr im Gebrauch ist. „Überrascht waren wir auch, dass Substanzen, die bisher als harmlos eingestuft wurden wie HHCB, das als synthetischer Moschus-Duftstoff in Körperpflegemitteln eingesetzt wird, in der Umwelt in bedenklichen Konzentrationen vorkommen“, ergänzt Dr. Werner Brack vom UFZ, der die Europäische Kommission in verschiedenen Gremien und Projekten bei der Überarbeitung der Schadstoffliste berät. „Aus unserer Sicht sollte bei der Weiterentwicklung der Wasserrahmenrichtlinie darauf geachtet werden, dass in Zukunft nicht nur das Vorkommen von chemischen Stoffen beobachtet wird, sondern auch deren Wirkungen registriert werden“, schlägt Brack vor.

Bei aller Kritik, dass die Wasserbehörden in Europa zurzeit den Pestiziden zu wenig Aufmerksamkeit widmen und die prioritäre Schadstoffliste überarbeitet werden sollte, zeigt die Studie nach Meinung der Wissenschaftler auch erste Erfolge der Wasserrahmenrichtlinie. Ein Drittel der von der EU vor einigen Jahren als prioritär eingestuften Schadstoffe stellen inzwischen keine Gefahr mehr für die untersuchten Flüsse dar.

Am 12./13. Oktober 2011 fand in Dresden eine Konferenz zum Integrierten Wasserressourcenmanagement (IWRM) statt. Etwa 400 Wissenschaftler und Mitarbeiter von Politik, Verwaltung, Unternehmen und der Entwicklungszusammenarbeit aus über 50 Ländern widmen sich in über 100 Vorträgen, Diskussionen und zahlreichen Posterbeiträgen der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wasser. Behandelt werden aktuelle Fragen des Wassersektors wie z.B.: Wie kann die Wasserbewirtschaftung in Zeiten des Klimawandels nachhaltig geplant werden? Welche Technologien tragen zu einer effizienten und sparsamen Nutzung von Wasser bei? Wie kann deutsches Know-how in Schwellen- und Entwicklungsländern genutzt werden? Wie kann ein flexibles und integratives Wasserressourcen-Management konzipiert werden? Die Konferenz wird vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) organisiert, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und von der International Water Association (IWA) sowie dem Global Water Systems Project (GWSP) unterstützt.

Autor: Helmholtz Gesellschaft für Umweltforschung, Pestizide belasten Gewässer stärker als gedacht, 13. Oktober 2011

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Frau mit Fibromyalgie erhielt Hilfe über Twitter

Umwelterkrankte muss nicht länger auf der Straße leben

Die 57-jährige wusste sich nicht mehr zu helfen. Zwischen Krankenhausaufenthalten lebte sie in ihrem Auto. Ihre gesamte Existenz war durch die Krankheit zerstört worden. Blair Miller leidet unter Fibromyalgie, einer Umweltkrankheit, die starke Schmerzen verursacht. Erkrankte bezeichnen die Schmerzen ähnlich Zahnschmerzen, nur dass sie meist den ganzen Körper betreffen. Als Blair keinen Ausweg mehr sah, griff sie zu ihrem Handy und sendete auf dem Sozialen Netzwerk Twitter eine Nachricht an ihre Follower. Innerhalb weniger Stunden halfen ihr rund 20 Menschen, ohne sie jemals im Leben zuvor getroffen zu haben.

Twitter Community half innerhalb weniger Stunden

Als Blair Miller sich am 26. September vor einer weiteren Nacht im Auto fürchtete, und vor Schmerzen nicht mehr weiter wusste, teilte sie dies über Twitter mit. Was in den nächsten Stunden passierte, kann die Frau, die unter schwerer Fibromyalgie leidet, noch immer nicht fassen. Plötzlich meldeten sich Menschen von überall her bei ihr und wurden sofort aktiv. Blair erhielt Bonuspunkte für Hotelübernachtungen, Gutscheine für Lebensmitteleinkäufe in Supermärkten der Umgebung und Benzingutscheine. Einige der Menschen aus der Twitter Community riefen bei Hilfsorganisationen an, um Blair zu helfen eine längerfristige Unterkunft zu bekommen. Es wurde ein Blog für die Umwelterkrankte gestartet und man begann dort über sie zu berichten. Als dann ein PayPal Konto für sie eröffnet wurde, gingen innerhalb weniger Stunden einige Hundert Dollar ein.

Gegenüber der Zeitung „Sun-Sentinel“ sagte Blair Miller, dass sie ihr Vertrauen in Alles wiedererlangte, als sie plötzlich einen Platz zu Schlafen hatte. Sie habe diesen Hilferuf gestartet, weil sie einfach nicht mehr weitergewusst hätte. Noch immer käme ihr alles was in Zwischenzeit geschehen sei, um ihr zu helfen, wie ein Wunder vor.

Soziale Netzwerke, ein Sprachrohr in die Welt

Durch Soziale Netzwerke hat sich viel verändert in der Welt. Menschen, die zuvor keine Lobby hatten oder für deren Schicksal sich keine Zeitung und kein Fernsehen interessiert, können über Twitter, Facebook, Google+ und andere Social Networks viele Mitmenschen erreichen. Revolutionen fanden ihren Ursprung und den Schlüssel zum Erfolg in der Nutzung Sozialer Netzwerke. Es spielt keine Rolle mehr, wo man wohnt und welchen sozialen Status man besitzt, jeder kann andere erreichen und eine Community aufbauen. Insbesondere für Umwelterkrankte, die in vielen Fällen kaum noch soziale Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände pflegen können, sind Soziale Netzwerke eine Chance, wie das Beispiel von Blair eindrucksvoll beschreibt. Ein PC, ein Notebook oder ein Handy und eine Internetverbindung, mehr braucht man nicht, um aktiv zu werden und sich der Welt mitzuteilen. Außer vielleicht noch einer kleinen Portion Mut.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 09.10.2011

Literatur: Sun-Sentinel, Homeless Boca Raton woman turns to Twitter for help, 08.10.2011

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