Archiv der Kategorie ‘Psyche, psychisch‘

Des Pfizers neue Kleider

Bittere Pillen

Aus Pressemitteilungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG  vom 24.11.2009 aus Anlass der Bewertung dreier Antidepressiva:

Nutzen des Antidepressivums Reboxetin ist nicht belegt

In seinem Anfang Juni 2009 veröffentlichten Vorbericht hatte das IQWiG lediglich die Bewertungsergebnisse von Bupropion XL uneingeschränkt präsentieren können. Für Mirtazapin hatte es die Aussagen unter einen Vorbehalt stellen müssen, weil nicht auszuschließen war, dass Studiendaten, die der Hersteller Essex Pharma nicht zur Verfügung gestellt hatte, das Ergebnis maßgeblich beeinflussen könnten. Bei Reboxetin verzichtete das IQWiG völlig auf eine Auswertung der bis dahin öffentlich zugänglichen Studiendaten. Denn es war offenkundig, dass der Hersteller, die Firma Pfizer, knapp zwei Drittel aller bislang in Studien erhobenen Daten unter Verschluss hielt und eine Auswertung der verfügbaren Daten allein ein verzerrtes Bild ergeben hätte. Trotz mehrfacher Anfragen hatte sich Pfizer bis dahin geweigert, dem IQWiG eine Liste aller publizierten und unpublizierten Daten zur Verfügung zu stellen. 

Hersteller liefern Daten erst auf öffentlichen Druck hin

Nach Erscheinen des Vorberichts entschlossen sich jedoch die Firmen Pfizer und Essex Pharma, die unveröffentlichten Daten und Informationen über Studien zugänglich zu machen. Erst jetzt war eine Bewertung aller drei Wirkstoffe auf vollständiger Datenbasis möglich. 

Die Analyse der vollständigen Daten zeigt, dass die Entscheidung des IQWiG richtig war, auf eine Bewertung von Reboxetin ausschließlich auf Basis der publizierten Daten zu verzichten. Denn die Zusammenfassung der Ergebnisse der veröffentlichten und nicht veröffentlichten Studien belegt keinen Nutzen von Reboxetin, während die Daten aus den veröffentlichten Studien einen Nutzen suggerieren. 

Von den ebenfalls untersuchten Antidepressiva Bupropion XL und Mirtazapin können Menschen mit Depressionen laut IQWiG aber profitieren. 

Zum Wirkstoff Reboxetin standen dem IQWiG bei der Erstellung des Abschlussberichts insgesamt 17 Studien zur Verfügung. Wie deren Auswertung zeigt, gibt es darin weder für die Akuttherapie noch für die Rückfallprävention einen Beleg für einen Nutzen. Weder sprachen die Patientinnen und Patienten besser auf die Therapie an als bei einem Scheinmedikament noch konnten sie ihren Alltag besser bewältigen. 

Reboxetin: Belege für Schaden, nicht aber für Nutzen

Dem fehlenden Nachweis eines Nutzens von Reboxetin stehen Belege für einen Schaden gegenüber: Sowohl im Vergleich zu Placebo als auch im Vergleich mit dem Wirkstoff Fluoxetin, einem weiteren Antidepressivum aus der Klasse der Selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmer (SSRI), brachen Patientinnen und Patienten die Therapie häufiger wegen unerwünschter Nebenwirkungen ab.  

Pflicht zur Veröffentlichung von Studienergebnissen gesetzlich regeln

Wie der Prozess der Erstellung dieses Berichts zeigt, führt mangelnde Kooperationsbereitschaft der Hersteller zu begrenzt aussagekräftigen Nutzenbewertungen und verzögert die Erstellung der Bewertungen erheblich. „Verschweigen von Studiendaten ist kein Kavaliersdelikt“, sagt IQWiG-Leiter Peter Sawicki. „Die Studiensponsoren nehmen Patienten und Ärzten die Möglichkeit, sich informiert über verschiedene Therapieoptionen zu entscheiden. Wie das Beispiel Reboxetin zeigt, kann das Verschweigen von Studiendaten dazu führen, dass Patienten ein Medikament bekommen, für das es keinen Nutzenbeleg gibt, das aber einen Schaden verursachen kann.“ Zudem werde nicht nur die Arbeit des Instituts selbst behindert, sondern auch die des G-BA .“Denn dem G-BA fehlt dann die verlässliche wissenschaftliche Basis, die er für seine Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit von Medikamenten braucht“, so der Institutsleiter. 

Reboxetin wurde im Dezember 1997 in Deutschland zugelassen. Die deutsche Zulassungsbehörde hatte seinerzeit jedoch nicht alle Studien berücksichtigen können, die das IQWiG ausgewertet hat. Denn der IQWiG-Bericht bezieht auch Studien ein, die nach 1997 abgeschlossen wurden. Für die USA hat der Hersteller Pfizer ebenfalls eine Zulassung beantragt, die aber 2001 offenbar nicht erteilt wurde. 

Kein Kavaliersdelikt

Dass Ergebnisse von Studien nur teilweise veröffentlich werden, ist seit mehr als 20 Jahren als „Publikations-Bias“ (engl. für Verzerrung, Schieflage) bekannt. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere sogenannte negative Studien, in denen beispielsweise das eigene Arzneimittel nicht das erhoffte Ergebnis gebracht oder sich sogar als wirkungslos erwiesen hat, erst Jahre später oder gar nicht veröffentlicht werden. Das hat zur Folge, dass Patienten und Ärzte allein auf Basis der veröffentlichten Berichte ein geschöntes Bild der Effekte erhalten. 

Diese Tendenz gilt nach wie vor als eine der wichtigsten und tückischsten Fehlerquellen in der Medizin. „Irreführung durch Verschweigen ist kein Kavaliersdelikt“, sagt Sawicki: „Ohne vollständige Information können Patienten im Extremfall sogar nutzlose oder gar schädliche Behandlungen erhalten.“ So haben andere Wissenschaftler bereits für mehrere Wirkstoffe zur Behandlung von Depressionen gezeigt, dass die Wirkung in der publizierten Literatur ausnahmslos überschätzt wurde – um bis zu 70 Prozent (im Mittel etwa 30%). Für einige Wirkstoffe ist sogar fraglich, ob überhaupt noch ein Nutzen nachweisbar ist, wenn man alle Studien einbezieht. 

Lediglich ein Drittel der Daten zu Reboxetin öffentlich zugänglich

Bei dem jetzt abgeschlossenen Projekt ging es darum, den Nutzen der drei Wirkstoffe Reboxetin, Mirtazapin und Bupropion XL bei der Behandlung und Vorbeugung der Depression zu bewerten. Die jetzt vorliegenden vollständigen Daten zu Reboxetin zeigen, dass in den 17 für die Nutzenbewertung geeigneten Studien etwa 5100 Patienten behandelt wurden. Hinreichend transparent publizierte Daten lagen lediglich von etwa 1600 Patienten vor. Demnach fehlen in der öffentlich zugänglichen Literatur die Ergebnisse von etwa 2/3 der Patienten. Dabei suggerieren die veröffentlichten Ergebnisse einen Nutzen, der sich bei Betrachtung aller Daten jedoch nicht belegen lässt. 

Mit dem Verschweigen von Daten verstoßen Hersteller auch gegen Absprachen, die mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studien geschlossen wurden: Sie stellen sich freiwillig und uneigennützig für die Experimente zur Verfügung und gehen dabei Risiken ein, weil sie durch ihre Teilnahme und die Veröffentlichung der Ergebnisse anderen Erkrankten helfen wollen. Dies ist die Voraussetzung für ihre Einwilligung, an Medikamentenstudien teilzunehmen: „Wer Ergebnisse einer Studie geheim hält, hintergeht die teilnehmenden Patientinnen und Patienten und stellt die Rechtmäßigkeit ihrer Einwilligung zur Studienteilnahme in Frage“, sagt Sawicki. 

 

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 18. Dezember 2009

Auch interessant:

 

Psychiatrisierung bei MCS ein Irrweg Teil I – XII

Notizen aus der schönen neuen Welt

Zwischen 1996 und 2005 erhöhte sich die Rate der mit Antidepressiva behandelten Menschen in den Vereinigten Staaten von 5,84% auf 10,12% der Bevölkerung. Zu den vermuteten Gründen zählt man eine Verbreiterung des Konzepts der Bedürftigkeit für eine Behandlung hinsichtlich der seelischen Gesundheit. [1]

Psychopharmaka haben Nebenwirkungen und werden häufig unnötig verschrieben 

Die Anzahl der Leute, die neu mit Depression diagnostiziert werden, ging jedoch in den 11 Jahren von 1993 bis 2004 zurück. Dennoch verdoppelte sich in dieser Zeit die Anzahl der Rezepte über Antidepressiva von 2,8 auf 5,6 pro Patient. 

Der dramatische Anstieg in der Zahl der Rezepte über Antidepressiva ist auf eine jährlich ansteigende Zahl von Menschen zurückzuführen, die langfristig Antidepressiva nehmen. [2] 

Suizidgefahr bei Kindern nach Antidepressiva 

Behördliche Warnungen im Oktober 2003 über eine erhöhte Suizidgefahr bei Kindern, die Antidepressiva nehmen, hat zu unbeabsichtigten und anhaltenden Veränderungen in der Diagnose und der Behandlung von Depressionen bei Kindern und Erwachsenen geführt.  Unmittelbar nach dieser Mitteilung trat eine hiermit nicht beabsichtigte Abnahme in der Zahl der neu diagnostizierten Fälle ein. 

Depressionen immer häufiger diagnostiziert

Zwischen 1999 und 2004 stieg die Zahl der diagnostizierten depressiven Episoden in allen Altersgruppen stetig an. Nach 2004 fiel die Zahl der Diagnosen bei Kindern deutlich. Dieser Abfall nach der behördlichen Warnung dauert an, so dass die Quote der neuen Fälle pro 1000 Versicherten auf den Wert von 1999 zurückging. Bei Fortschreibung des vorher bestehenden Trends hätte die Quote bei jungen Erwachsenen 2007 bei 15,6 und bei Erwachsenen bei 20,3 von 1000 liegen müssen. Die tatsächlich beobachteten Quoten waren jedoch 9,6 bzw. 12,4 pro 1000. 

Es gibt ein gewisses Überspringen auf andere Altersgruppen. Die Hausärzte diagnostizierten 44% weniger Depressionen bei Kindern, 37% weniger bei jungen Erwachsenen und 29% weniger bei Erwachsenen. [3] 

Wenn es ein Medikament gibt, wird eine Krankheit diagnostiziert 

Anm. des Autors: Die Studie legt die Vermutung nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von Medikamenten und der diagnostischen Praxis gibt. Dies stützt indirekt die eigenwillige These, dass deutlich mehr MCS-Fälle diagnostiziert werden würden, gäbe es eine behördlich empfohlene Pille gegen MCS. Da Antidepressiva in den meisten Fällen keine pharmakologische Wirkung auf die Depression haben, sollte die Erfindung eines solchen Medikaments die Pharmaindustrie eigentlich vor keine größeren Schwierigkeiten stellen. 

In Spanien suchte man jüngst nach den Gründen für den gestiegenen Psychopharmakagebrauch. Dort nehmen 24% der Frauen Antidepressiva und 30% Tranquilizer. 

Psychopharmaka werden oft in Zusammenhang mit familien- und arbeitsplatz-bezogenen Problemen genommen. Daher untersuchte man, ob es wirklich eine Verbindung zwischen dem Psychopharmakakonsum und tatsächlich in irgendeiner Hinsicht dysfunktionalen Familien gibt.

Obwohl man vermuten sollte, dass ein Zusammenhang zwischen Psychopharmakakonsum und familiären Konflikten besteht, fand die Studie mit 121 Frauen keinen derartigen Zusammenhang. [4] 

Depressionen sind nicht leicht zu diagnostizieren

Eine Metaanalyse von mehr als 50.000 Patienten hat gezeigt, dass Allgemeinärzte große Schwierigkeiten haben, zwischen Menschen mit und ohne Depression zu unterscheiden. Die Anzahl der falsch als nicht depressiv bzw. depressiv diagnostizierten Patienten ist ausgesprochen substanziell. Die Ärzte identifizieren bei der Erstuntersuchung deutlich mehr Leute falsch positiv oder falsch negativ als richtig positiv 

Zur Illustration stelle man sich einen typischen Allgemeinarzt in einer ländlichen Praxis vor, der versucht, Depressionen zu erkennen, und in fünf Tagen 100 Patienten sieht. Wenn alle Patienten mit Depression auf einmal kämen, würden sie die Praxis für einen halben Tag füllen (also etwa den Mittwoch). Der Arzt würde jedoch nur die Hälfte der Depressionen erkennen. An den anderen vier Tagen sieht der Arzt Patienten mit anderen Beschwerden. Davon würde er ein Fünftel als depressiv diagnostizieren. Dass entspräche fast der Anzahl, die er an einem ganzen normalen Arbeitstag sieht. 

Falsch diagnostizierte Fälle sind häufiger als richtig diagnostizierte

Konkret kommen auf 100 Patienten, die der Allgemeinarzt zum ersten Mal sieht, durchschnittlich 10 korrekt als depressiv diagnostizierte Patienten, 15 fälschlich als depressiv diagnostizierte und 10 nicht erkannte Fälle von Depression. 

Damit kommen auf eine richtige Diagnose 2,5 falsche Diagnosen. [5] 

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 27. November 2009 

Referenzen:

[1] Mark Olfson, Steven C. Marcus, National Patterns in Antidepressant Medication Treatment, Arch Gen Psychiatry 2009; 66[8]:848-856.

[2] Michael Moore et. al., Explaining the rise in antidepressant prescribing: a descriptive study using the general practice research database, British Medical Journal  2009;339:b3999.

[3] Anne M. Libby et.al., Persisting Decline in Depression Treatment After FDA Warnings, Arch Gen Psychiatry. 2009;66 [6]:633-639.

[4] Sonsoles Pérez Cuadrado et.al., Consumo de psicofármacos y disfunción familiar,  Atención Primaria; 41(3):153-157 marzo de 2009.

[5] Alex J Mitchell et.al., Clinical diagnosis of depression in primary care: a meta-analysis, The Lancet, Volume 374, Issue 9690, Pages 609-619, 22 August 2009

Auch interessant, die von Karlheinz geschriebene Serie:

Psychiatrisierung bei MCS ein Irrweg Teil I – XII

Interview Teil II – MCS Kranke werden vergessen, verschwiegen, ignoriert

Die Situation der Chemikaliensensiblen ist bereits fünf nach Zwölf

 

Die Spanierin Eva Caballé ist chemikaliensensibel und leidet zusätzlich unter CFS, chronischer Erschöpfung. Eva kann seit Jahren das Haus nicht verlassen, die meiste Zeit ist sie ans Bett gefesselt. Doch sie gibt nicht auf, sie ist eine international aktive

MCS Aktivistin, Buchautorin und Autorin des Blog No Fun. In einem Interview mit Salvador López Arnal berichtet sie über die Situation der MCS-Kranken in Spanien, die sich nicht wesentlich von der Misere unterscheidet, denen deutsche Chemikaliensensible ausgesetzt sind. Im Teil I des Interviews erläuterte Eva was MCS ist, wie verbreitet MCS ist, wo die Krankheit anerkannt ist. Im heutigen Teil II des Interviews berichtet Eva über die Ursachen von MCS, was Erkrankte tun können, um sich zu stabilisieren und warum bestimmte Personen die Krankheit mit Nachdruck in Richtung psychisch bedingt schieben wollen.

Interview Salvador López Arnal mit Eva Caballé, November 2009, Teil II:

Wer Teil I verpasst hat: Interview TEIL I 

EVA-CABALLELópez-Arnal:  Und kennen wir die Ursachen? Sie haben gesagt, MCS hängt mit Umweltfaktoren zusammen, was bedeutet dies genau? 

Eva Caballé: Studien sagen, die Ursachen sind Gifte in der Umwelt, denen wir ausgesetzt sind. Es gibt zwei Wege, MCS zu entwickeln. Eine einmalige Exposition in hoher Dosis oder mehrere Expositionen niedriger Dosen über Jahre. 

Giftige Substanzen gibt es in der Luft, die wir atmen, im Wasser, das wir trinken (in der Plastikflasche, wenn wir Wasser aus dem Handel trinken), in der Kleidung, die wir tragen (Formaldehyd, Farbstoffe, Pestizid-rückstände), in den Reinigungsmitteln, in der Kosmetik, in der Nahrung, die wir essen (Pestizide, Zusatzstoffe und künstliche Farben, die in den USA für viele Jahre verboten waren, weil sie Krebs hervorrufen), oder z.B. in Zahnfüllungen aus Amalgam (die Quecksilber enthalten). 

Über die Jahre akkumuliert unser Körper all diese chemischen Stoffe, die unkontrolliert in unserer Umwelt zirkulieren, Substanzen, von denen wir nicht vergessen sollten, dass sie gar nicht so viele Jahre in Gebrauch waren. Wenn die toxische Belastung nicht mehr tragbar ist, werden wir irgendwann krank, was je nach unserer genetischen Disposition mit MCS enden kann, während andere auch nicht ungeschoren davon kommen. Sie bekommen Krebs, Asthma, Allergien, Autoimmunerkrankungen und irgendwelche anderen umweltbedingten Krankheiten. 

Sogar Ärzte beklagen, dass es für die Erforschung von MCS keine Mittel gibt, dass niemand MCS-Studien finanzieren will, da Studien normalerweise von pharmazeutischen Firmen finanziert werden, damit sie ein Medikament entwickeln können, von dem sie profitieren wollen. Weil MCS-Patienten aber keine Medikamente vertragen, sind wir für sie uninteressant. 

LA: Doch welchen Sinn macht es, all das zu wissen und keine Maßnahmen zu ergreifen? Warum benutzen wir diese Produkte weiter, obwohl wir von ihrer Giftigkeit und dem hohen Risiko wissen, das mit ihrem Gebrauch verbunden ist? Die Situation, die Sie beschreiben, ist nicht bestens. Warum bringen wir in das giftige Chaos keine Ordnung? 

EC: Das ist eine gute Frage. Es macht keinen Sinn, keine Maßnahmen zu ergreifen und diese Produkte weiter zu benutzen. Wenn die Gesundheitsbehörden nichts unternehmen, dann besteht noch die Möglichkeit, den Gebrauch dieser Produkte zu stoppen, und es wird an uns liegen, diese Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen. 

Auf den Etiketten von Weichspülern, Kosmetik, Parfüms oder Lufterfrischern steht nicht „Achtung, dieses Produkt ist giftig und es wird sich in Ihrem Körper solange ansammeln, bis es Multiple Chemical Sensitivity bei Ihnen auslöst“. Niemand hat mich gewarnt. Darum versuche ich alles, was ich gelernt habe, seitdem ich vor vier Jahren krank wurde, anderen mitzuteilen, damit die Menschen wissen, was uns nicht erzählt wird. 

Wenn es beispielsweise schon schwierig ist, das Rauchen zu regulieren, wird dies alles noch schwieriger sein, da wir hier nicht von einem einzelnen Produkt sprechen. Das Problem ist noch größer. Hat denn jeder vergessen, dass in den 60’er Jahren medizinische Forschungsberichte unterdrückt oder verändert wurden, Berichte die zeigten, dass Tabak Krebs hervorruft? Was gerade passiert, ist nicht neu. Die Macht ist nicht in den Händen der Politiker. Sie ist in den Händen multinationaler Konzerne. 

LA: Beschreiben Sie kurz das Leben einer Person mit MCS. Welche Maßnahmen muss sie ergreifen. Welcher Behandlung muss sie sich unterziehen? 

EC: Die Behandlung beruht im Wesentlichen auf einem Grundsatz: Kontrolle der Umgebung. 

Kontrolle der Umgebung bedeutet in wenigen Worten, jegliche Exposition durch chemische Substanzen so gut es geht grundsätzlich zu vermeiden. Die wichtigsten Details sind: 

  • Ökologische Kleidung, nichtverarbeitete Lebensmittel (normalerweise wird empfohlen Molkereiprodukte und Gluten zu meiden) 
  • Das Wasser filtern, das Trinkwasser wie auch das Wasser zum Kochen und Duschen
  • Alle Kosmetik und Reinigungsmittel durch ökologische ersetzten, die keine Duftstoffe enthalten. Logischerweise muss man aufhören, Parfüm, Lufterfrischer, Weichspüler und dergleichen zu benutzen. 
  • Tragen Sie ökologische Kleidung, die keine Farbstoffe oder Gifte enthält. 
  • Schaffen Sie einen Luftfilter an. 
  • Kaufen Sie Möbel und Matratzen, die aus ökologischem Material hergestellt und nicht mit Chemie behandelt wurden. Wenn sie renovieren, benutzen Sie ökologische Wandfarbe. 
  • Vermeiden oder minimieren sie die Exposition durch elektromagnetische Felder.
  •  Benutzen Sie eine Kohlefilter-Atemmaske, wenn Sie raus gehen oder in Situationen mit hoher Giftstoffkonzentration. 
  • Versuchen Sie in einer Gegend, die so wenig wie möglich schadstoffbelastet ist, in einem aus ungiftigen Materialien gebauten Haus zu wohnen. 

Wie Sie sehen können, ist die Kontrolle der Umgebung mit hohem finanziellem Aufwand verbunden, für den wir keine Unterstützung bekommen und der letzte Punkt, (in einer geeigneten Wohnung zu leben), ist meistens nicht zu verwirklichen. 

Neben Kontrolle der Umgebung, die auch Gesunden gut tut, gibt es auf die Person abgestimmte Behandlungen. Diese umfassen Nahrungsergänzungsmittel, Sauna, Sauerstofftherapie usw. Jeder Mensch mit MCS ist anderes und einige haben auch andere, zusätzliche Erkrankungen. Deshalb bedarf es vieler Tests, um das Beste für die jeweilige Situation zu ermitteln. In Spanien wird nichts davon vom öffentlichen Gesundheitssystem geleistet. 

Jene von uns mit schwerer MCS können die Wohnung kaum verlassen. Unser Leben ist auf die Wohnung beschränkt, sie wird unser Gefängnis, in welchem die meisten von uns nicht mal die Hausarbeit selber erledigen können. In manchen Fällen verbringen wir die meiste Zeit des Tages im Bett und müssen uns wegen fast allem auf Familienmitglieder verlassen. Der Kontakt mit der Außenwelt ist auf Telefongespräche reduziert, sofern man die Kraft dafür hat, oder gelegentliche Besuche von Menschen, die bereit sind, wegen uns die Art, wie sie ihre Wäsche waschen und ihren Körper pflegen, zu ändern. Natürlich gibt es das Internet für jene von uns, die keine ernsthaften kognitiven oder Probleme mit Elektrosensitivität haben. 

LA: Welche Unterstützung bekommt eine Person mit MCS von der Regierung? Es scheint doch nicht möglich zu sein, dass derart kranke Menschen arbeiten können. Wie richten Sie ihren Haushalt ein, wenn die Familie keine Zeit dafür hat? 

EC: Wir erhalten keine Hilfe, wenn wir MCS haben. Selbst die Atemmasken, ohne die wir nicht überleben können, müssen wir selber zahlen. Dies ist das ökonomische Drama, das sich parallel zu dieser Krankheit abspielt. Wenn man schwere MCS hat, kann man nicht arbeiten. Wenn man eine mildere Form von MCS hat, ist es nicht möglich zu arbeiten, weil kein Chef bereit ist, den Arbeitsplatz so anzupassen, damit eine Person mit MCS die Arbeit fortsetzen könnte. In wenigen Fällen werden manche als behindert anerkannt, aber gewöhnlich ist es erforderlich zu klagen. Wir müssen uns daran erinnern, dass jüngere Menschen krank werden, die nicht lange genug gearbeitet haben, um einen Rentenanspruch zu erwerben. Wie sieht deren Zukunft aus? Ich sage immer, ich bin erstaunt, dass es nicht mehr Depressionen unter Leuten mit MCS gibt. Wer wäre denn in einer derart harten Situation nicht deprimiert? 

Man kann versuchen, als behindert anerkannt zu werden, aber die Geldbeträge, die man bekommt, sind sehr gering und hängen vom anerkannten Schweregrad ab. 

In meinem Fall bin ich glücklich, meinen Mann und die Hilfe meiner Mutter zu haben. Da ich derart heftig erkrankt bin, kann ich nichts im Haushalt machen, nicht mal für mich kochen. Selbst wenn ich das Geld hätte, jemanden dafür zu bezahlen, dass er herkommt und mir im Haushalt hilft, wäre das nicht möglich. Nur um überhaupt herkommen zu können, musste meine Mutter ihre Wasch- und Reinigungsgewohnheiten ändern, genauso wie sie vorher duschen muss. 

LA: Warum hören wir so wenig über Multiple Chemical Sensitivity? Was steckt hinter allem? Was steckt hinter dem Schweigen? 

EC: Ja, hinter dem Schweigen ist etwas versteckt: Das Interesse der chemischen und pharmazeutischen Industrie, nicht publik werden zu lassen, dass ihre Produkte schlimme neue Erkrankungen wie MCS verursachen. In jüngster Zeit wurde bewiesen, dass MCS nicht psychisch bedingt ist und dass die Studien der Vergangenheit, die dies behaupteten, manipuliert worden sind, um die Interessen der chemischen und pharmazeutischen Industrie zu schützen. 

Unglücklicherweise ist es für die Regierung sehr einfach, uns zu ignorieren, da die meisten von uns unter Hausarrest leben und wir nicht die Kraft haben, uns selber zu organisieren. Dies ist eindeutig ein Machtmissbrauch. Nur unsere Familien, Freunde und Nachbarn wissen, dass es uns gibt und wie schwer unser alltägliches Leben ist. 

Aber wir sind viele und werden trotz der Widrigkeit unserer Situation täglich mehr. Von zu Hause aus kämpfen wir über das Internet für unsere Rechte, versuchen MCS sichtbar zu machen und Informationen untereinander auszutauschen, da unsere Regierung uns nicht hilft. 

LA: Sie sprechen von manipulierten Studien, die „bewiesen“, dass MCS eine psychologische Erkrankung sei, um die Interessen großer Firmen zu wahren. Sind diese durch den Glanz des Geldes geblendet? Können Sie uns ein Beispiel beschreiben? 

EC: Im September 2008 veröffentlichte das Journal of Nutritional & Environmental Medicine eine Studie von Goudsmit und Howes, die hieß, „Ist Multiple Chemical Sensitivity eine erlernte Reaktion? Eine kritische Evaluation von Provokationsstudien“. Diese Studie ergab, dass MCS keine psychische Erkrankung ist und dass ihre Entstehung mit chemischen Substanzen zusammen hängt. Ich habe den Artikel ins Spanische übersetzt, mit dem MCS America diese Studie würdigte. 

In der Vergangenheit haben ein paar wenige schlecht entworfene Studien den Schluss nahe gelegt, MCS wäre eine psychische Erkrankung, die auf schon vorher bestehenden Erwartungen und Auffassungen beruht. Die pharmazeutische und chemische Industrie hat sich bemüht, jeden an diesen Satz glauben zu lassen, denn auf diese Weise sind ihre chemischen Produkte nicht mehr die verantwortlichen und der Einsatz von profitablen psychiatrischen Medikamenten wird mit der Begründung eines Mangels an Medikamenten gefördert, mit welchen den psychischen Auswirkungen der Umweltverschmutzung begegnet werden könnte. Da die meisten Chemie- und Pharmafirmen denselben Leuten gehören, wurde diese Position trickreich und mit aller Macht mittels Publikationen, die von diesen Firmen kontrolliert wurden, durchgedrückt. Glücklicherweise wurden diese manipulierten Studien von Goudsmit und Howes durch zusätzliche wissenschaftlich anerkannte Kriterien überprüft. Auf diese Weise erwiesen sich Studien, die eine psychologische Basis von MCS behaupteten, als sehr irreführend und mit zahlreichen methodischen Mängeln und Fehlern behaftet. Es kam heraus, dass MCS eher mit der Exposition durch chemische Substanzen als mit Angst, psychosomatischen Störungen und Depressionen zusammenhängt.  

Interview von Salvador López Arnal mit Eva Caballé, November 2009

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 11. November 2009

***

Fortsetzung folgt…

Ist MCS lebensgefährlich?

Kann MCS lebensgefährlich sein?

Direkt nicht.  Aber MCS – Multiple Chemical Sensitivity (ICD-10 T78.4)  ist eine allgemeine Schwächung des Organismus, birgt die Gefahr der Anaphylaxie und des Suizids.

Eine allgemeine Schwächung des Organismus dürfte zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen. Die nächste Generation wird vielleicht eine allgemein gesunkene Lebenserwartung feststellen. In Sachen toxischer Risiken hinkt die Gesellschaft stets Jahrzehnte hinterher. Rekordverdächtig ist etwa das HCB-Verbot: zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis (Porphyrie, 1956) und Verbot (1978) lagen „nur“ 22 Jahre. Unbestritten ist, dass die Morbidität steigt. Die Rate der Frührentner steigt und das durchschnittliche Eintrittsalter dafür sinkt.

Tödliche Folgen von Reaktionen sind in Einzelfällen bekannt. Die statistische Relevanz ist unklar.

Der Zusammenhang zwischen Chemikalien und Suiziden ist seit der berühmten Boehringerstudie bekannt. Prof. Manz, ein Arbeitsmediziner, hatte bei den Beschäftigten mit Pestizidkontakt (2,4,5-T-Säure, als Vietnamgift „Agent Orange“ bekannt und enthielt Dioxin ) eine signifikant erhöhte Suizidrate nachgewiesen. Es wäre ja auch verwunderlich, wenn Nervenschäden zu keiner Schwächung der Psyche führen würden.

Zitat aus dem SPIEGEL von 1991 (32/1991):

„Die Firmenleitung und die Berufsgenossenschaft boykottierten anfangs die Untersuchung, so daß Manz über Friedhöfe, Sterberegister und 400 Interviews dem Tod auf die Spur kommen mußte. Erst kurz vor Abschluß seiner Untersuchung erhielt er von Boehringer eine Personalliste.

Die in der Bundesrepublik einzigartige Studie, die im Herbst vom Hamburger Senat veröffentlicht wird, zeigt, daß Arbeiter, die 20 Jahre bei Boehringer beschäftigt waren, doppelt so häufig an Krebs erkranken wie andere Deutsche. Besonders diejenigen, die in Harri Garbrechts T-Säure-Abteilung den hohen Dioxin-Mengen ausgesetzt waren, zeigen eine „deutliche Übersterblichkeit“ von 240 Prozent.

Die Selbstmordrate ist um 62 Prozent überhöht.“

Falsche wissenschaftliche Darstellung kann tödlich sein

Angesichts dieser Tatsache erscheint die Psychothese in einem anderen Licht. Sie ist nicht nur wissenschaftlich abwegig und bei genauer Betrachtung eine absichtliche Vertauschung von Ursache und Wirkung, sondern in zweifacher Weise für den Tod durch Suizid verantwortlich. Angelika S. hat sich erst das Leben genommen, als sie keinen Ort mehr gefunden hat, den sie vertragen hat. Diese Phantomdebatte über angeblich psychische Verursachung von MCS hat dazu geführt, dass in Deutschland, ja in Europa, keine Klinik existiert, die solche Patienten aufnehmen kann. Wenn man obendrein Schwerstkranke auch noch als „Psycho“ beschimpft, sie als unglaubwürdig hinstellt, ihnen also auch noch die menschliche Würde und vor allem ihre verfassungsmäßigen Rechte nimmt, so ist man obendrein auch direkt verantwortlich für solche lebensbeendenden Folgen. Ein Mensch, der sein Leben erst dann beendet, nachdem alle Bemühungen über Internet fehlgeschlagen sind, ist bestimmt eine starke Persönlichkeit. Eine psychische Schwäche ist hier nicht zu erkennen.

Rechtliche Würdigung

Man kann zunächst konstatieren, dass eine solche Art Medizin zu betreiben, den Patienten schädigt. Zum einen ist dies unterlassene Hilfeleistung, und zum anderen ist es psychische Verletzung. Der Hippokratische Eid verbietet das. Darüber hinaus ist es fahrlässig, die Möglichkeit einer organischen Schädigung außer acht zu lassen, wenn man dem Patienten sonst nicht helfen kann.  Das gilt ganz besonders dann, wenn auf Ebene höchster Autorität MCS als organische Schädigung anerkannt ist.

Wenn im Weiteren, nämlich in einer anhaltenden Diskussion über mehr als ein Jahrzehnt, sowohl die Gefahr der Anaphylaxie als auch die Gefahr des Suizids und obendrein andere schwere Organschädigungen in der Folge von MCS  (Rea, Chemical Sensitivity, Volume 3, ca. 900 Seiten) ignoriert werden, so nimmt man diese Schäden billigend in Kauf. Dies ist grob fahrlässig, wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich.

Es ergibt sich also, dass solche Aktivitäten einen Bruch des Hippokratischen Eids darstellen, unterlassene Hilfeleistung und Körperverletzung. Da es sich um hartnäckiges Vertreten einer fragwürdigen Auffassung von Wissenschaft handelt, sind diese Aktivisten auch persönlich für die Folgen verantwortlich.

Da es Tote gegeben hat, ist es an der Zeit darüber nachzudenken, diese Tatbestände auch in einem rechtlichen Verfahren wirksam werden zu lassen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass stetige moralische Empörung diesem Tun nicht einmal Grenzen setzen kann. So ist es sinnvoller, die Energie in rechtlich wirksame Aktivitäten fließen zu lassen. Die Hauptschwierigkeit wird nicht sein, den Nachweis zu führen, denn wir besitzen alles Schwarz auf Weiß. Die Hauptschwierigkeit wird sein, ein Gericht zu finden, das die Klage überhaupt annimmt.

Von dieser Stelle ergeht die Aufforderung, darüber eine Diskussion zu beginnen und zwar eine ernsthafte.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger Umweltfragen für CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. November 2009

Vorhergehende Blogs zur Serie und zum Thema:

Weiterführende Informationen:

Franzi, umweltkrank – Gezielt mittellos gemacht und sich selbst überlassen

Umweltkranke erhalten eine Stimme

 

Franzi litt über Jahrzehnte an MCS (Multiple Chemikalien Sensitivität), ohne es zu wissen. Sie hatte schwere, teils lebensbedrohliche Beschwerden. Statt sie ernst zu nehmen, versuchten Ärzte, sie mit Mitteln zu behandeln, die sie nicht vertrug. „Ich habe seit drei Jahrzehnten schwere Allergien bis hin zum langanhaltenden anaphylaktischen Schock mit Koma auf Medikamente, bes. Schmerz- und Kreislaufmittel, sowie später Penicilline. Es kam immer mehr dazu. Ich bekam sie auch leider oft verschrieben und erlebte jedes Mal eine böse Überraschung, bevor ich das ganze Ausmaß kannte, während ich aber die meiste Zeit noch nicht auf Alltagschemikalien reagierte und auch noch nichts von MCS wusste.

Oft habe ich dabei aber an den Reaktionen der Ärzte erfahren müssen, dass sie offenbar meinten, ich würde die allergischen Reaktionen „willentlich“ hervorrufen. Sie waren sauer auf mich und beschimpften mich mitunter heftig. Deshalb vermied ich es meist, überhaupt noch zum Arzt zu gehen.“

 „Versteckte“ Informationen statt korrekte Diagnose

Irgendwann erfuhr Franzi dann doch von ihrer Krankheit. „Die erste „versteckte“ Information erhielt ich, als ich mich bereits acht Jahre mit schwersten Reaktionen herumplagte, von denen meine damalige „Noch-Allergologin“, wo in der Praxis Jahrzehnte zuvor eine damals auch MCS-Kranke mit denselben Worten abgewiesen wurde (was ich aus dem Wartezimmer mit Entsetzen beobachtete), auch nur meinte: „Sowas gibt’s gar nicht – also kannte sie das sehr wohl.“ 

Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Weitere Hinweise bekam Franzi von einer Frau, die auf Pestizide in Wolle reagierte. Sie suchte selbst monatelang, und fand schließlich die  Adressen von Umweltmedizinern und eines deutschen Krankenhauses, das auch MCS-Fälle aufnimmt. Dorthin wollte sie sich einweisen lassen. „Zuvor wurde ich zum ambulanten Vorgespräch bestellt, wo ich auch hingefahren wurde von Freunden, die sich ganz auf meine Bedürfnisse eingestellt hatten. Aus dem Vorgespräch, das sich u. a. auf meine umweltrelevanten Eintragungen bezüglich meiner persönlichen Belastungen im umfangreichen Fragebogen stützte, ergaben sich für mich gravierende Mängel bei bestimmten Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen, die ich dann aufgeschrieben bekam und mir besorgen konnte – dachte ich wenigstens. Sehr schnell stieß ich auf Probleme dabei, weil meist Zusatzstoffe drin sind, und das sollte nicht sein.“ Fakt ist: Man kann solche Mittel ohne Zusatzstoffe (oft ist es nur Farbstoff und Aroma) herstellen. Aber da jede Firma ein anderes, für sich typisches Produkt auf den Markt werfen muss… 

„Zur stationären Aufnahme kam es aber nicht mehr. Ich bekam einen Einweisungsschein für das Fachkrankenhaus von meinem Lungenarzt, den ich zur Krankenkasse zur Genehmigung brachte. Sie genehmigten die Einweisung aber nicht, sondern übten in massivster Form Psychoterror auf mich aus durch psychologische Untersuchungen, die dann natürlich Falschdiagnosen zur Folge hatten.“

Krankheit eindeutig als körperlich nachweisbar belegt

Franzi nahm dann Kontakt zu verschiedenen Umweltmedizinern auf. Hier wurde ihre Krankheit eindeutig als körperlich nachweisbar belegt.  „Dort wurde mit mir ein LTT auf einige Chemikalien sowie ein Test auf Nahrungsmittel- und Konservierungsmittel-Unverträglichkeiten gemacht, wo dann auch prompt eine Unmenge von Unverträglichkeiten zutage traten. Als ich diese Dinge dann aus meiner Ernährung komplett strich, hatte ich auch das allererste Mal nach 50 Jahren Fehlernährung keinerlei ernährungsbedingte Symptome mehr.“ Krankenkassen ist das natürlich egal. 

Trotz umweltmedizinischer Behandlung verschlechterte sich Franzis Erkrankung. Sie begann, auf kleine Mengen Duftstoffe, auf die Druckerfarbe in Zeitungen usw. deutlich zu reagieren. Insgesamt ging es ihr dennoch besser, weil sie unverträgliche Substanzen so gut es ging mied. 

Erfahrungen im Krankenhaus 

Später hatte Franzi einen Unfall. „Ein freilaufender Hund schoss von mir aus gesehen hinter mir quer über den Radweg, wo ich gerade mit meinem Rad vom Einkaufen nach Hause fuhr, und rannte mich mitsamt Fahrrad um. Ich fiel aufs Pflaster und war sofort bewusstlos. Soviel zu den Möglichkeiten, was passieren kann.

Im Krankenhaus wollte das Notaufnahmepersonal meine Papiere haben. Ich gab sie ihnen. Das Papier, auf dem die im Notfall zu verständigenden Personen mit Adresse sowie Telefonnummer(n) verzeichnet sind, wollten sie ausdrücklich nicht haben, obwohl ich es ihnen hinhielt: „Das brauchen wir nicht.“ MCS-Kranke legen sich Papiere zurecht, wo drauf steht, was sie nicht vertragen, welche Mittel sie nicht bekommen dürfen usw. Es zeigt sich: Vollkommen nutzlos.

Im Krankenhaus ging es dann weiter. Franzi musste zweieinhalb Tage bleiben, und konnte während der ganzen Zeit ausschließlich im leeren Aufenthaltsraum sitzen, weil im restlichen Gebäude so viele Duftstoffe und Chemikalien waren, dass der Aufenthalt unmöglich wurde. Da Franzi einige Mittel sowie verträgliches Essen, das es im Krankenhaus nicht gab, braucht, wollte sie jemanden anrufen, der ihr ihre Sachen bringen könnte. Handy hatte sie nicht. Und dem Krankenhauspersonal passte es nicht, dass sie das Krankenhaus nicht vertrug.  „Deshalb waren sie ärgerlich über mich und ich musste jemand anrufen können, mir diese lebensnotwendigen Dinge von mir zu Hause zu holen und zu bringen. Ich bekam aber kein eigenes Telefon und durfte über das Diensttelefon nur ganz kurz anrufen. Das haben sie mir mit deutlichem Unwillen gewährt!“ 

 Wem wird wohl geglaubt?

„Die Untersuchungen im Krankenhaus waren sehr nachlässig durchgeführt worden und mit falschen Ergebnissen, wie sich später dann herausstellte. Außer diesen Lügen standen im Entlassungsbericht angebliche Aussagen von mir, die tatsächlich genau gegenteilig waren. Ärzte lügen und verkehren Patientenantworten ins Gegenteil, was sie dann schriftlich dokumentieren. Frage: Wem wird wohl geglaubt?“ 

„Solch eine Erfahrung mit dem Krankenhaus in Verbindung mit einem Unfall wird wohl leider eher die Regel sein. Nach der Ausnahme sucht so mancher sicher leider vergeblich.“

 Weniger als 100 Euro im Monat und keine medizinische Versorgung

Franzi hat also keinen Zugang zur medizinischen Versorgung. Die Krankenkasse zahlt keines der Mittel, die sie braucht. „Das allerschlimmste ist: Alles ist selber zu bezahlen, aus dem eigenen Portemonnaie, und das bei Hartz IV. Hätte ich jetzt auch Geld zum Leben, dann wäre alles gut. „Doch wie lässt sich in einem „Gesundheits“-System das Unrecht von Grund auf ändern, das schamlos geübt wird, um Betroffene in den allermeisten Fällen offiziell und privat zu diskriminieren, mittellos zu machen, sich selbst zu überlassen etc.? Meine Erfahrung (…) beinhaltete im tatsächlichen damaligen ausführlichen Ablauf bewusste Versuche gleichzeitig auf mehreren höheren Ebenen, das an mir begangene Unrecht so weit wie möglich zu vergrößern. “ Abzüglich des Geldes für ihre Mittel muss Franzi von weniger als 100 Euro im Monat leben. Obwohl sie viele Nahrungsmittelunverträglichkeiten hat, muss sie an der Tafel essen. 

 Minitropfen auf den heißen Stein

„Die BAgIS gewährt ja nur aufwendige Ernährungskosten-Zusatzpauschale wegen Diabetes, die ich auch vollumfänglich bekomme, aber das ist ein Minitropfen auf den heißen Stein. Diese MCS-relevanten Nahrungsergänzungsmittel sowie der Eigenanteil der zahnärztlichen besonderen Maßnahmen uvm. sind natürlich ungleich viel teurer, was mir ja niemand bezahlt. Nähme ich die Sachen nicht, wäre ich wohl im Handumdrehen bettlägerig. Und daran habe ich die nächsten Jahre zu knapsen….mal sehen, wieviel EUROs nächsten Monat übrig bleiben oder ob überhaupt“  Würde man Franzi den Ernährungszuschlag streichen, könnte sie gleich sterben. Das Geld, was sie bekommt, genügt jedenfalls schon nicht mehr zum Überleben. 

Autor: Amalie, CSN – Chemical Sensitivity Network, 5. November 2009

Weitere Artikel über die Situation Umwelterkrankter:

Neues zur Umwelterkrankung MCS: Die Erde ist eine Scheibe!

Die Erde ist eine Scheibe

 

Wir wissen heute, daß die Erde keine Scheibe ist. Trotzdem muß man dies scheinbar immer wieder neu beweisen. Thomas S. Kuhn ein amerikanischer Wissenschaftstheoretiker hat gezeigt, daß die Wissenschaft keinen geraden Weg vom Aberglauben zum überprüfbaren Wissen geht. Es bilden sich herrschende Lehren. Deren Paradigmen beanspruchen selbst dann noch ihre Gültigkeit, wenn neue Paradigmen die Wirklichkeit längst besser erklären. Damit es zum Fortschritt kommt, muß eine wissenschaftliche Revolution stattfinden. Diese Revolutionen sind nicht gesitteter als die politischen. Auch Wissenschaftler haben Interessen und Eitelkeiten, sind zu Lügen und Intrigen imstande.

Thomas Kuhn fiel mir wieder ein, als Night Jumper den neusten Canary Report weiter twitterte. Darin las ich einen schönen Satz:

There is a long history of false psychogenic claims in medicine, where such diseases as asthma, autism, Parkinson’s disease, ulcers, multiple sclerosis, lupus, interstitial cystitis, migraine and ulcerative colitis have been claimed to be generated by a psychological mechanism.

Diese Feststellung von Professor Pall, Emeritus für Biochemie und Medizinische Grundlagenforschung an der Washington State University lautet auf Deutsch:

Falschbehauptungen über psychische Ursachen haben in der Medizin eine lange Geschichte. Es wurde behauptet, die Entstehung von Erkrankungen wie Asthma, Autismus, Parkinson, Magengeschwüre, Multiples Sklerose, Lupus, chronische Blasenentzündung, Migräne und chronische Darmentzündung wären auf psychische Mechanismen zurück zu führen.

Diese Krankheiten kann man inzwischen zum Nutzen der Patienten besser erklären. Beispielhaft erwähnt Professor Pall, daß im Jahre 2005 Robin Warren und Barry Marshall den Nobel-Preis für den Nachweis bekamen, daß Magengeschwüre auf bakterielle Infektionen und nicht auf psychische Ursachen zurückzuführen sind.

Der Canary Report berichtet noch mehr ermutigendes. Er gewährt vorab Einblick in ein von Prof. Pall verfaßtes Kapitel einer Referenz-Publikation für Toxikologie.

Der Inhalt kann an anderer Stelle kompetenter als von mir erläutert werden. Ich fasse grob zusammen:

Multiple Chemikalien Sensibilität ist weiter verbreitet als Diabetes. Das belegen epidemologische Studien aus den Vereinigten Staaten, aus Kanada, Deutschland, Schweden und Dänemark. MCS ist auf Exposition durch insgesamt sieben Chemikalien-Klassen zurückzuführen. U.a. Pestizide und organische Lösungsmittel. Dies wurde, wie es so schön heißt, am Tiermodell bewiesen. Die biochemischen Vorgänge sind erforscht. Man kann sowohl die Entstehung von MCS als auch die Reaktionen MCS-Kranker auf biochemischer Ebene beschreiben. Wer sich damit auseinander setzen will, muß sich mit NMDA-Rezeptoren und mit dem NO/ONOO-Kreislauf befassen.

Zu finden in:

General and Applied Toxicology, 3rd Edition
Bryan Ballantyne (Editor), Dr Timothy C. Marrs (Editor), Tore Syversen (Editor)
ISBN: 978-0-470-72327-2
Hardcover
3944 pages
October 2009

Eigentlich hab ich nun alles gesagt. Wer anderer Meinung ist, kann sich an die Arbeit machen, die Ergebnisse von Prof. Pall zu widerlegen. Da nun aber schon wieder eine Erkrankte gestorben ist, kann ich mir die folgenden Anmerkungen nicht verkneifen.

Eigentlich sollte es völlig egal sein, wie eine Krankheit zu erklären ist. Ein Kranker erwartet, daß man ihm so gut es geht hilft, selbst wenn man nicht genau weiß, was ihm fehlt.

Wer am lautesten schreit, muß nicht am kränksten sein, dennoch sollte man Patienten ernst nehmen. Außerdem spricht der Körper mit seinen Symptomen eine Sprache die Mediziner verstehen. Man sieht was dem Patient bekommt oder schadet. Selbst wenn die körperlichen Reaktionen psychosomatisch bedingt wären, was bei MCS nicht der Fall ist, darf man diese Reaktionen nicht vorsätzlich hervorrufen.

Wenn keine schulmedizinische Medikation möglich ist, hat sie zu unterbleiben! Im Falle von MCS hilft nur striktes Vermeiden von Stoffen die Reaktionen auslösen, Entgiftung, z.B. mittels Sauna und gesunde Lebensweise. Dabei bleibt mit Diagnose (PDF-Link), Untersuchungen, Rat und Tat immer noch genug Arbeit für den Arzt. Sie können solchen Patienten am besten helfen, indem Sie sich unvoreingenommen aus allen Quellen über Umwelterkrankungen informieren und den Mist vom Ökochonder nicht glauben.

Autor: BrunO Zacke, Ufocomes Blog, 19. Okt. 2009

Herzlichen Dank an BrunO, dass wir diesen Artikel im CSN Blog einstellen durften.

Weitere Blogs zum Thema MCS von BrunO:

Multiple Chemical Sensitivity – eine Krankheit verursacht durch toxische Chemikalienexposition

Prof. Dr. Martin PallEine bedeutender Artikel über MCS – Multiple Chemical Sensitivity wurde am 23. Oktober 2009 von Professor Martin L. Pall als Kapitel XX in einem angesehenen Referenzwerk für  Toxikologen, „General and Applied Toxicology, 3rd Edition“ (John Wiley & Sons) veröffentlicht. Multiple Chemical Sensitivity (MCS) ist auch als Chemical Sensitivity, chemische Intoleranz und toxisch bedingter Toleranzverlust bekannt, wobei der letzte Begriff die Rolle von Chemikalien als Krankheitsauslöser unterstreicht. Pall’s Veröffentlichung mit dem Titel: Multiple Chemical Sensitivity: Toxikologische Fragen und Mechanismen, basiert auf fünf wichtigen Fakten über MCS:    

1. MCS ist eine erstaunlich häufige Krankheit, sogar häufiger als Diabetes. Das stellte sich durch eine Reihe von neun epidemiologischen Studien aus den Vereinigten Staaten und jeweils einer Studie aus Kanada, Deutschland, Schweden und Dänemark heraus. In den Vereinigten Staaten sind schätzungsweise 3,5% der Bevölkerung von schwerer MCS betroffen, eine weitaus höhere Anzahl, mindestens 12% der Bevölkerung, ist mäßig betroffen. MCS ist demnach eine sehr große international auftretende Krankheitsepidemie mit weitreichenden Auswirkungen in Hinsicht auf die öffentliche Gesundheit.  

2. MCS wird durch toxische Chemikalienexposition verursacht. MCS Krankheitsfälle werden durch Exposition gegenüber sieben verschiedenen Chemikalienklassen initiiert. Dazu gehören drei Klassen von Pestiziden und die sehr große Klasse organischer Lösungsmittel und verwandter Verbindungen. Ergänzend führen publizierte Studien Quecksilber, Schwefelwasserstoff und Kohlenmonoxyd als Initiatoren an. Von allen dieser sieben Chemikalienklassen wurde in Tierversuchen gezeigt, dass sie eine gemeinsame Reaktion im Körper hervorrufen, und zwar eine übermäßige Aktivität eines Rezeptors, der als NMDA Rezeptor bekannt ist. Weiterhin haben Tierversuche demonstriert, dass bei den Chemikalien, die einer dieser sieben Klassen angehören, die toxische Wirkung durch Medikamente, die die NMDA-Aktivität vermindern, stark reduziert wird. Weil übermäßige NMDA-Aktivität auch nach anderen Studien an MCS beteiligt ist, haben wir jetzt eine überzeugende, bei allen MCS-Fällen gemeinsame Reaktion, die erklärt, wie derartig verschiedene Chemikalien die Krankheit, die wir MCS nennen, hervorrufen können.  

3. Die Rolle von Chemikalien als Giften bei MCS wurde durch genetische Studien bestätigt. Vier solcher Studien haben gezeigt, dass Gene, die die Geschwindigkeit der Metabolisierung von an MCS beteiligten Chemikalien bestimmen, die Anfälligkeit, an MCS zu erkranken, beeinflussen. Diese vier Studien wurden durch drei Wissenschaftlerteams in drei Ländern, den USA, Kanada und Deutschland publiziert. Sie haben insgesamt sechs Gene ermittelt, die an der Festlegung der Suszeptibilität für MCS beteiligt sind. Jedes dieser sechs Gene hat eine Rolle bei der Festlegung der Metabolisierungsrate von Chemikalien, die mit MCS in Zusammenhang stehen. Die deutschen Studien von Schnakenberg und seinen Kollegen, die vier dieser sechs Gene einbezog, sind hierbei wegen des extrem hohen Grades an statistischer Signifikanz ihrer Studien besonders überzeugend. Es gibt nur eine Interpretation für die Rolle dieser Gene bei der Festlegung der Suszeptibilität für MCS. Und zwar, dass Chemikalien bei der Initiierung von MCS-Krankheitsfällen als Gifte agieren und dass die Verstoffwechselung dieser Chemikalien zu Formen, die dabei entweder weniger aktiv oder stärker aktiv sind als zu Beginn, deswegen die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, ob eine Person an MCS erkranken wird. Es ist daher offensichtlich, dass MCS ein toxikologisches Phänomen ist, bei dem Krankheitsfälle durch eine toxische Reaktion gegenüber Chemikalienexposition verursacht wurden.  

4. Wir haben einen detaillierten und generell gut untermauerten Mechanismus für MCS. Dieser Mechanismus erklärt sowohl die hochgradige Chemikalien-Sensitivität, die das charakteristischste Symptom von MCS ist, als auch viele andere Symptome und Kennzeichen dieser Erkrankung. Dieser Mechanismus beruht auf einem biochemischen Teufelskreis, der auch als NO/ONOO-Zyklus bekannt ist, und mit anderen Mechanismen interagiert, die schon vorher als für MCS mitverantwortlich verdächtigt worden waren, insbesondere neuronale Sensibilisierung und neurogene Entzündung. Diese agieren lokal in den verschiedenen Geweben des Körpers, um eine lokale Sensibilität in Regionen des Gehirns und der peripheren Gewebe zu erzeugen, einschließlich der Lungen, des oberen Respirationstraktes, Regionen der Haut und des Verdauungstraktes. Auf Grund dieser lokalen Beschaffenheit, also weil die betroffenen Gewebe sich von einem Patienten zum anderen unterscheiden, unterscheiden sich verschiedene MCS Patienten von einander auch in ihren Sensibilitätssymptomen. Zusätzlich zu den oben diskutierten Belegen, wird dieser generelle Mechanismus durch verschiedene physiologische Veränderungen unterstützt, die bei MCS und verwandten Krankheiten gefunden werden, bei MCS-Tiermodellen, bei objektiv messbaren Reaktionen von MCS-Patienten gegenüber Chemikalien im Niedrigdosisbereich und bei therapeutischen Reaktionen, die bei MCS und verwandten Krankheiten gefunden werden.   

5. Seit über 20 Jahren haben einige fälschlicherweise behauptet, MCS sei eine psychogene Erkrankung, die nach deren Sicht durch schlecht definierte psychologische Mechanismen erzeugt wird. Diese Sicht ist jedoch vollständig inkompatibel mit den ganzen Beweisen, die zuvor in dieser Veröffentlichung diskutiert wurden.  Obwohl solche Unvereinbarkeit schon mehr als Grund genug ist, diese psychogenen Behauptungen zurückzuweisen, führt der MCS-Toxikologie Artikel acht weitere schwerwiegende Mängel in den psychogenen Argumentationen auf. Es gibt eine lange Historie falscher Psychogenitätsbehauptungen in der Medizin, während der über Krankheiten wie Asthma, Autismus, Parkinson, Magengeschwüre, Multiple Sklerose, Lupus, interstitielle Zystitis, Migräne und Colitis Ulcerosa behauptet wurde, sie würden durch psychologische Mechanismen erzeugt werden. Der Nobelpreis in Physiologie und Medizin im Jahr 2005 wurde Dr. Robin Warren und Barry Marshall verliehen, weil sie zeigten, dass Magengeschwüre durch eine bakterielle Infektion verursacht werden und nicht psychogenen Ursprungs sind. Es ist nunmehr klar, dass MCS eine physiologische, durch Chemikalienexposition hervorgerufene Erkrankung ist, von der fälschlicherweise behauptet wurde, sie sei psychogen.   

Martin L. Pall ist Professor Emeritus für Biochemie und Allgemeinmedizinische Wissenschaft an der Washington State University.   

Kontakt: martin_pall@wsu.edu  Webseite: www.thetenthparadigm.org  

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network 

Weitere Artikel über Prof. Martin Pall und seine Wissenschaft:

Rechtliche Anerkennung bei den Umweltkrankheiten MCS, CFS, TE und FMS

Die richtige Strategie bringt den Erfolg

Die ersten vier Blogs der Serie „MCS – Wissenschaft – Strategie“ sollten feststellen, dass die Erkrankungen MCS – Multiple Chemical Sensitivity, CFS – Chronic Fatique Syndrome, TE – Toxische Enzephalopathie und FMS – Fibromyalgie wissenschaftlich gut erforscht sind, u. a. auch weil sie schon lange bekannt sind. Wer Forschungsbedarf reklamiert, sagt entweder eine Trivialität (Bedarf besteht nämlich immer) oder die Unwahrheit. Denn, die Krankheiten sind diagnostisch definiert, die grundlegenden Pathomechanismen sind erforscht, viele Laborparameter sind bekannt, sowie auch viele therapeutische Ansätze in der Folge. Die Therapie ist allerdings eine Kunst wegen der hohen Komplexibilität und der großen Zahl der Möglichkeiten.

Nachgewiesen sind auch die Ursachen: Toxine (Durch eine große Anzahl epidemilogischer Studien hoher Qualität). Nur CFS kann auch ohne Toxine durch Infektionen oder Stress erzeugt werden.

Der Rechtsbegriff „Stand der Wissenschaft“

Die oben genannten Erkrankungen sind als organische Erkrankungen anerkannt, nämlich durch die höchste Autorität, die WHO. Die Diagnosekriterien und die ICD-10 Klassifizierung markieren den Stand der Wissenschaft, den anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, wie er definiert ist. Dies ist ein Rechtsbegriff, reine Juristerei, nichts womit sich die Wissenschaft beschäftigt. Die genannten Krankheiten sind folglich rechtlich anerkannt. Nur, das weiß offensichtlich keiner und demzufolge sind die rechtlichen Prozessstrategien der Klägerseite stets kontraproduktiv, und deshalb braucht man sich über verlorene Prozesse nicht zu wundern.

Wegen der rechtlichen Wirksamkeit richten sich die erfolgreichen Täuschungsmanöver gegen den Stand der Wissenschaft. Das ist der Sinn all der Verwirrspiele mit unnötigen und untauglichen Studien, abwegigen Thesen wie der Psychothese (nur per Fake plausibel zu machen) und der zähen Blockade fortschrittlicher Testverfahren. Es ist offenbar recht einfach, den bereits erreichten Stand der Wissenschaft wieder zu demontieren. Wären diese Krankheiten wirklich neu und gäbe es nur ein bis zwei Studien, wäre es schwerer, denn das ist überschaubar. Die Entscheidungen zum Stand der Wissenschaft sind schon etwas her (80er Jahre) und die wissenschaftliche Literatur ist immens. Es ist die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre Diskussion, dass viel Wissen leichter zu desavouieren ist, als wenn nur erste Erkenntnisse frisch aus den Labors und Studien auf dem Tisch liegen.

Die Entwicklung wurde verschlafen

Außerdem wurden die wichtigsten Entscheidungen in Deutschland verschlafen. In den 80er Jahren hat (noch) keiner über Umweltkrankheiten diskutiert. Die Grundlagen wurden verschlafen und dann das Problem falsch interpretiert. Nun, das kann ja nichts werden. Der zweite Fehler folgte auf dem Fuß: es ist kontraproduktiv, die Psychothese mit wissenschaftlichen Mitteln zu bekämpfen. Damit hat man sie erst aufgewertet. Und der dritte Fehler, der bis heute anhält, ist, die mangelnde Anerkennung in Seminaren und Kongressen als wissenschaftliches Problem zu behandeln.

Man kann nichts Falscheres machen, als den Stand der Wissenschaft hinter dem aktuellen wissenschaftlichen Diskurs verschwinden zu lassen. Das nutzt die Gegenseite, um notorisch Nachweise zu fordern, die längst geleistet wurden. Dann wird die Diskussion grotesk. Man fängt ad infinitum immer wieder von vorn an. Deshalb ist es so leicht, einen völlig falschen Eindruck vom Stand der Wissenschaft zu lancieren, da dieser falsche Eindruck auch von vielen Betroffenen, Patientenorganisationen und Umweltmedizinern teilweise geteilt wird.

Beispiel: MCS wurde 1948 entdeckt, erforscht, ein Standardwerk zu MCS wurde bandweise 1992, 1994, 1995 und 1997 herausgebracht, alle wurde unversitär auf höchstem wissenschaftlichen Niveau überprüft (MIT) und dann kommt die deutsche Wissenschaft und sagt, wir fangen ganz von vorn an. Wer das für Wissenschaft hält, übersieht das Wesentliche. Wer das wissenschaftlich diskutiert, der hat schon verloren.

Das ist kurz gesagt der Grund der völlig falschen Darstellung dieser Krankheiten in der Öffentlichkeit bis hin die Praxen der Ärzte. Das ist der Boden für weitere grundlegende Fehler. Näheres dazu in den nächsten Blogs.

Kleine Vorschau auf die Themen der nächsten Blogs: „zweierlei Wissenschaft“ – Anmaßung und Einschüchterung,  Objektivierung im Einzelfall.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger für Umweltfragen, 21. Oktober 2009

Vorhergehende Blogs zur Serie und zum Thema:

Weiterführende Informationen:

Fehlinformationen über MCS in TV-Doku

Patienten kommen und gehen  

Fehlinformationen über MCS in TV-Doku

Psychiatrie deckt „Marktnische“ 

Aufklärung ist immer wichtig, wenn es darum geht, Krankheiten möglichst früh zu erkennen oder besser noch zu vermeiden. Das gilt auch für MCS (Multiple Chemikalien Sensitivität). Da den meisten Menschen über diese schwere Krankheit wenig oder nichts bekannt ist, tut möglichst exakte Aufklärung Not. Zeitungsartikel, Radiosendungen und Filme können zu dieser Aufklärung beitragen. Es gab schon mehrfach solche Medienberichte, die helfen konnten, zu informieren, so z.B. die sehr gute Reportagen im ZDF 37 Grad – Ich kann Dich nicht riechen – Wenn Alltagsdüfte krank machen oder der informative SWR Beitrag über Gifte am Arbeitsplatz.   

MCS psychisch? Verbreitung unwahrer „Fakten“ gefährlich für Patienten

Schlimmer als gar keine Aufklärung ist aber die Verbreitung unwahrer „Fakten“.  MCS ist als organische Krankheit bei der WHO gelistet. Das deutsche DIMDI bezog sich auf MCS als organische Erkrankung. Verschiedene Studien u.a. aus den USA zeigten Forschungsansätze, die Ursachen für MCS in Chemikalien und anderen Umwelteinflüssen sehen. Mittlerweile lassen sich die Vorgänge im Körper bei MCS zunehmend besser erklären, so z.B. schwere Entzündungen oder neurologische Beschwerden. Um lebensgefährliche Folgen zu vermeiden, müssen die Erkrankten auch Alltagschemikalien, die die Beschwerden auslösen, meiden. 

Nimmt man für MCS allerdings eine psychische Ursache an, was wissenschaftlich nicht belegbar ist, hieße das auch, man könnte MCS mit Psychotherapie oder Medikamenten behandeln. Das hieße, man müsste den Patienten nicht die Chemikalien meiden lassen, sondern ihn an die normale Umgebung gewöhnen. Das mag bei einer psychischen Krankheit gehen. Setzt man einen MCS-Kranken aber den Chemikalien aus, riskiert man lebensgefährliche Reaktionen oder langfristige Schäden. Der Patient leidet immer darunter, wenn man ihn chemischen Stoffen aussetzt. 

Fehldarstellung in Medien – Es passiert immer wieder

Man erlebt immer wieder, dass in Fernsehsendungen oder Zeitungsartikeln MCS nicht als körperliche Krankheit dargestellt wird. Meistens geschieht das durch universitäre Umweltmediziner oder Arbeitsmediziner, die MCS als mehr oder weniger komplett psychisch  bedingte Krankheit einstufen. Der Grund dafür ist klar. Werden Menschen in Beruf krank, brauchen sie Rente, wenn man sie als arbeitsunfähig diagnostiziert. Wird ihre Krankheit als Berufskrankheit anerkannt, ist das noch deutlich teurer. Dann müssten Berufsgenossenschaften zahlen. Es gibt also ein starkes Interesse bestimmter Gruppen, dass MCS in der Öffentlichkeit als psychisch/psychosomatische Krankheit wahrgenommen wird. 

Marktnische Umweltkranke

In der Bundesrepublik gibt es Umweltambulanzen, die über Ausschlussdiagnostik meist zu einer psychischen Diagnose der MCS Erkrankung gelangen. Eine Versorgung mit Umweltkliniken, die in der Lage wären die MCS als körperliche Erkrankung zu behandeln gibt es nicht. 

Es gibt aber auch Ärzte, die eine alternative Marktnische entdeckt haben. Beispielsweise kann sich ein psychiatrisches Fachkrankenhaus auch mal nebenbei zusätzlich auf Umweltmedizin spezialisieren. Stolze sechs Betten stehen im Fachkrankenhaus Nordfriesland in Bredstedt (Riddorf) für Umweltkranke zur Verfügung. Viele Patienten berichteten, dass sie in der Fachklinik nicht bleiben konnten. So wäre zum Beispiel im Haus geraucht worden und man hätte es schwer gehabt, verträgliches Essen zu finden. Schlechte Innenraumluft, u.a. weil kein Duftstoffverbot besteht, soll auch ein Problem gewesen sein. Das kann die Autorin nicht belegen. Es waren nur persönliche Berichte von Patienten in CSN Forum.

 Psychiater Dr. Mai ist leitender Arzt in Bredstedt

Dr. med. Christoph Mai, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, leitender Arzt der Fachkliniken Nordfriesland trat mit zwei TV Dokus an die Öffentlichkeit. 

RTL regional sendete am 02.04.2008 einen Film über MCS. Dort betrieb der Psychiater erstaunliche MCS-Ursachenforschung:

Zitat: „Menschen, die in ihrem Leben extrem intensive Traumata erleiden mussten, wie man sie vielleicht in einer Kriegssituation erleiden muss, aber auch als Opfer einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit, haben ein vielfach erhöhtes Risiko an MCS zu erkranken…“ 

Dafür gibt es keine Studie, keinen wissenschaftlichen Beleg, der das einwandfrei festhält. Dennoch macht Dr. Mai diese Aussage vor laufender Kamera. Also doch psychische Ursachen, muss der Zuschauer denken? 

MCS ist eine relativ neue Krankheit. Weder 1918 noch 1945 wurden MCS-Epidemien festgestellt obwohl in dieser Zeit bestimmt viele traumatisierte Menschen Europa bevölkerten. Stattdessen stiegen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Zahlen der MCS-Kranken rasant an, sofern jemals Statistiken geführt wurden. Die meisten MCS Kranken werden allerdings nicht als solche diagnostiziert. MCS Kranke aus der Unterschicht mit dieser Diagnose haben Seltenheitswert. Menschen aus der Mittelschicht, die mehr Zugang zu Informationen und/oder gut ausgebildeten Ärzten haben, gibt es weitaus häufiger. 

Man geht in Deutschland von ca. 400.000 schwer an MCS Erkrankten aus. Die wenigsten jedoch erfahren jemals, was sie haben. Meist landen diese Kranken mit anderen Diagnosen in der Psychiatrie. Da kann man mehr dran verdienen als an Menschen, die Chemikalien meiden müssen. Diagnostizierte MCS Patienten kriegen keinen Cent von der Krankenkasse und keinen Mehrbedarf bewilligt. Sie verarmen, leiden und sterben früher, weil man ihnen kein Geld für nötige Hilfsmittel zahlt. 

Wie sieht die „Behandlung“ in Bredstedt aus?

Am 15.10.2009 kam der leitende Facharzt der Fachklinik Nordfriesland in einer zweiten TV Doku zu Wort: In dem Film „Wenn Düfte krank machen“, der am 15.10.2009 im SWR gesendet wurde berichtet Dr. Mai über die MCS-Therapie in den Fachkliniken. 

Originalzitat des Psychiaters: „Die beiden wesentlichen Eckpfeiler sind die Balance zwischen Rückzug und sich wieder etwas zutrauen. Wir vermitteln unseren Patienten, dass sie insbesondere in ihrer Wohnung, und da insbesondere im Schlafzimmer, eine ganz reizarme Umgebung schaffen. Wir vermitteln ihnen aber auch, dass sie sich wieder daran gewöhnen sollen, die übliche Umgebung mit Parfum und mit anderen Reizen auszuhalten.“ 

Also, die typische Verhaltenstherapie. Nur, dass das bei einer organischen Krankheit nicht hilft. Dazu gibt’s noch ein paar Vitamininfusionen und schon soll alles wieder gut sein. Dass viele Erkrankten hochdosierte Vitamine und andere Infusionen gar nicht vertragen, wird gnädig verschwiegen. 

„Die Umweltklinik hat mir mein Leben wiedergegeben“ erzählt ein kranker Mann in dem SWR-Film. Er müsse da immer wieder hingehen, um seine Gesundheit zu erhalten, wisse nicht, was er ohne die Klinik tun solle. 

„Wir vermitteln ihnen aber auch, dass sie sich wieder daran gewöhnen sollen, die übliche Umgebung mit Parfum und mit anderen Reizen auszuhalten.“ vermittelt der Psychiater dem TV Publikum. Gerade das ist aber bei MCS nicht möglich. Man kann MCS Reaktionen nicht abkonditionieren, wie man einem Mensch die Angst vor Spinnen oder Höhe abkonditioniert. 

Es gibt Menschen, die sich von einer schweren MCS Krankheitsphase wieder erholt haben. Menschen die zeitweise gar nicht mehr ihr Haus verlassen konnten und das heute wieder können. Die Voraussetzung für eine solche Krankheitsentwicklung ist aber ein absoluter Expositionsstopp. Eine verträgliche Wohnung, verträgliche Nahrung. Das ermöglicht dem Körper Regeneration. Wenn Menschen sich selber mit Stoffen exponieren, die bei ihnen Reaktionen auslösen, wird sich ihr Krankheitszustand verschlechtern. 

Schlimm ist es für chemikaliensensitive Menschen, wenn sie nach TV Dokus immer wieder neue Aufklärungsarbeit leisten müssen bei Angehörigen, Freunden, Kollegen. Die glauben nämlich einem Weißkittelträger immer gerne die psychischen Ursachen und die mögliche Psychotherapie. 

Autor: Amalie, CSN  – Chemical Sensitivity Network, 19. Oktober 2009 

Quellen: 

Umwelterkrankte: Mona’s Fall – Kein Geld zum Überleben

Mona hält es wegen ihrer schweren Chemikalien-Sensitivität fast nur draussen aus 

Mona ist schwer chemikaliensensibel. Sie muss auf dem Land leben und ist völlig von ihrer Umgebung isoliert. Arbeiten kann sie nicht mehr. Sie lebt vom kleinen Einkommen ihres Mannes. Weil sein Geschäft im Winter nicht gut genug läuft, musste er eine Unterstützung beantragen. Da sein Betrieb aber nun nicht „saniert“ ist, sollen sowohl Mona als auch ihr Mann von Hartz4 leben. Das hieße, in eine billige Wohnung in die Stadt zu ziehen. Das ist unmöglich für Mona. Wegen ihrer Erkrankung muss sie in natürlicher Umgebung leben. Außerdem verweigert ihr die Krankenkasse lebensnotwendige Hilfsmittel. Mona benötigt aufgrund ihrer Erkrankung Sauerstoff, verschiedene Medikamente und Hilfsmittel. Obwohl MCS eine schwere Erkrankung ist, gibt es von den Krankenkassen keinen Cent. Ebenso bekommen MCS-Kranke keinen Zuschuss für verträgliche Lebensmittel. 

Sauerstoff zum Atmen

„Ich habe seit Jahren Probleme, die Sauerstoff-Flasche bezahlt zu bekommen von der Krankenkasse. Vor 5 Jahren auf Rezept vom damaligen Hausarzt wegen hyperreagibler Bronchien verschrieben…abgelehnt…vor 4 Jahren wegen MCS und Folgekrankheiten verschrieben…abgelehnt und nun ist mein seit 3 Jahren gewählter Hausarzt gar nicht mehr in der Lage, solch ein Rezept auszufüllen…auch Massagen wegen meiner Muskel-Spasmen darf er angeblich nicht aufschreiben. 

Die Sauerstoff-Flasche, die Große, (weil günstiger), kostet jede Füllung 98 Euro!!! Und Sauerstoff ist bei mir das Einzigste!! was in Notfällen hilft, was sogar den Blutdruck nachweisbar herunterbringt auf Dauer und die Symptome bei den Anfällen in der Nacht abschwächt.“ 

Der Sauerstoff wäre also dringend nötig. Dem Arzt, selbst wenn er auf der Seite des Patienten steht, sind die Hände gebunden. 

Arbeiten trotz schwerer MCS?

„Mein Mann kann uns nicht mehr beide durchbringen… er ist selbstständig mit einem Haus und Garten-Service und hat im Winter kaum Arbeit. Beim Harz 4 Amt sagten sie, ich solle mitarbeiten und als ich der Sachbearbeiterin schilderte, dass ich das mit Sicherheit nicht kann, sollte ich zum Gesundheitsamt. 

Daraufhin mailte ich ihr, dass sie mal bitte in den CSN Blog schauen möge, und es kam seit einem halben Jahr keine Aufforderung mehr. Ich sagte ihr auch, dass ich überhaupt nicht zum Gesundheitsamt kann, weil ich in keiner Stadt mehr atmen kann nach 10 Jahren Isolation hier im Wald. (Hab’s öfters ausprobiert..) 

So bekam mein Mann 307 Euro für uns beide dazu AG 2 für 1 Jahr. Das reichte auch leider nicht, aber… Nun soll er in 2 Monaten am Jahresende, seine selbstständige Fa. aufgeben, weil er sich nicht „saniert“ hat und wir beide voll Harz4 beantragen. Dazu müssen wir die noch relativ verträgliche und billige Wohnung (2,50/qm) aufgeben und in die Stadt in eine 70 qm Wohnung ziehen, was ja sowieso nicht geht. Und das Auto weg und alle Arbeitsgeräte meines Mannes. 

Leben, überleben – Aber wie?

Da wir das nicht können, sind wir wieder auf uns selbst angewiesen, aber wie?? Nahrung: Bio..Kleidung: nur Bio..Schuhe : nur pflanzengegerbt…Sauerstoff… Nahrungsergänzung und Hilfen …Wasser…. 

So ist das in diesem Land, und so geht es fast allen mit schwerer MCS, und da die vielen Sorgen nicht gut für die Seele sind, werden wir immer mehr krank. Daran sollte mal gedacht werden und nicht, dass wir von vorneherein „Psychos“ sind, sondern dass die Sorgen um den Lebensunterhalt uns sehr belasten und auch unsre Partner, was sich auf die Dauer auch nicht positiv auswirkt.“ 

So werden Menschen also immer kränker gemacht

MCS-Kranke könnten in passender Umgebung ein relativ normales Leben führen. Gäbe es z.B. ein Wohnprojekt mit verträglichen Wohnungen und von der Kasse bezahlten Hilfsmitteln, in dem in einem Haus mit verschiedenen Wohnungen jeweils MCS-Kranke leben, wäre das Problem der Isolation beseitigt und die meisten Gesundheitsprobleme auch. In so einem Umfeld könnte man auch Weiterbildungen ermöglichen, sodass die Kranken z.B. durch Telearbeit am Erwerbsleben teilhaben können. So ein Projekt würde aber Geld kosten. Die Kranken selbst bzw. ihre Angehörigen können das nicht bezahlen. Und keiner würde daran verdienen. Deshalb lässt man die Kranken lieber weiter leiden oder versucht, sie zu psychiatrisieren, damit man in der Psychiatrie wieder Pharma-Geld an ihnen verdienen kann.  

Autoren: Amalie und Mona für CSN – Chemical Sensitivity Network, 18. Oktober 2009

Weitere MCS-Fälle dargestellt von Amalie: