Des Pfizers neue Kleider

Bittere Pillen

Aus Pressemitteilungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG  vom 24.11.2009 aus Anlass der Bewertung dreier Antidepressiva:

Nutzen des Antidepressivums Reboxetin ist nicht belegt

In seinem Anfang Juni 2009 veröffentlichten Vorbericht hatte das IQWiG lediglich die Bewertungsergebnisse von Bupropion XL uneingeschränkt präsentieren können. Für Mirtazapin hatte es die Aussagen unter einen Vorbehalt stellen müssen, weil nicht auszuschließen war, dass Studiendaten, die der Hersteller Essex Pharma nicht zur Verfügung gestellt hatte, das Ergebnis maßgeblich beeinflussen könnten. Bei Reboxetin verzichtete das IQWiG völlig auf eine Auswertung der bis dahin öffentlich zugänglichen Studiendaten. Denn es war offenkundig, dass der Hersteller, die Firma Pfizer, knapp zwei Drittel aller bislang in Studien erhobenen Daten unter Verschluss hielt und eine Auswertung der verfügbaren Daten allein ein verzerrtes Bild ergeben hätte. Trotz mehrfacher Anfragen hatte sich Pfizer bis dahin geweigert, dem IQWiG eine Liste aller publizierten und unpublizierten Daten zur Verfügung zu stellen. 

Hersteller liefern Daten erst auf öffentlichen Druck hin

Nach Erscheinen des Vorberichts entschlossen sich jedoch die Firmen Pfizer und Essex Pharma, die unveröffentlichten Daten und Informationen über Studien zugänglich zu machen. Erst jetzt war eine Bewertung aller drei Wirkstoffe auf vollständiger Datenbasis möglich. 

Die Analyse der vollständigen Daten zeigt, dass die Entscheidung des IQWiG richtig war, auf eine Bewertung von Reboxetin ausschließlich auf Basis der publizierten Daten zu verzichten. Denn die Zusammenfassung der Ergebnisse der veröffentlichten und nicht veröffentlichten Studien belegt keinen Nutzen von Reboxetin, während die Daten aus den veröffentlichten Studien einen Nutzen suggerieren. 

Von den ebenfalls untersuchten Antidepressiva Bupropion XL und Mirtazapin können Menschen mit Depressionen laut IQWiG aber profitieren. 

Zum Wirkstoff Reboxetin standen dem IQWiG bei der Erstellung des Abschlussberichts insgesamt 17 Studien zur Verfügung. Wie deren Auswertung zeigt, gibt es darin weder für die Akuttherapie noch für die Rückfallprävention einen Beleg für einen Nutzen. Weder sprachen die Patientinnen und Patienten besser auf die Therapie an als bei einem Scheinmedikament noch konnten sie ihren Alltag besser bewältigen. 

Reboxetin: Belege für Schaden, nicht aber für Nutzen

Dem fehlenden Nachweis eines Nutzens von Reboxetin stehen Belege für einen Schaden gegenüber: Sowohl im Vergleich zu Placebo als auch im Vergleich mit dem Wirkstoff Fluoxetin, einem weiteren Antidepressivum aus der Klasse der Selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmer (SSRI), brachen Patientinnen und Patienten die Therapie häufiger wegen unerwünschter Nebenwirkungen ab.  

Pflicht zur Veröffentlichung von Studienergebnissen gesetzlich regeln

Wie der Prozess der Erstellung dieses Berichts zeigt, führt mangelnde Kooperationsbereitschaft der Hersteller zu begrenzt aussagekräftigen Nutzenbewertungen und verzögert die Erstellung der Bewertungen erheblich. „Verschweigen von Studiendaten ist kein Kavaliersdelikt“, sagt IQWiG-Leiter Peter Sawicki. „Die Studiensponsoren nehmen Patienten und Ärzten die Möglichkeit, sich informiert über verschiedene Therapieoptionen zu entscheiden. Wie das Beispiel Reboxetin zeigt, kann das Verschweigen von Studiendaten dazu führen, dass Patienten ein Medikament bekommen, für das es keinen Nutzenbeleg gibt, das aber einen Schaden verursachen kann.“ Zudem werde nicht nur die Arbeit des Instituts selbst behindert, sondern auch die des G-BA .“Denn dem G-BA fehlt dann die verlässliche wissenschaftliche Basis, die er für seine Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit von Medikamenten braucht“, so der Institutsleiter. 

Reboxetin wurde im Dezember 1997 in Deutschland zugelassen. Die deutsche Zulassungsbehörde hatte seinerzeit jedoch nicht alle Studien berücksichtigen können, die das IQWiG ausgewertet hat. Denn der IQWiG-Bericht bezieht auch Studien ein, die nach 1997 abgeschlossen wurden. Für die USA hat der Hersteller Pfizer ebenfalls eine Zulassung beantragt, die aber 2001 offenbar nicht erteilt wurde. 

Kein Kavaliersdelikt

Dass Ergebnisse von Studien nur teilweise veröffentlich werden, ist seit mehr als 20 Jahren als „Publikations-Bias“ (engl. für Verzerrung, Schieflage) bekannt. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere sogenannte negative Studien, in denen beispielsweise das eigene Arzneimittel nicht das erhoffte Ergebnis gebracht oder sich sogar als wirkungslos erwiesen hat, erst Jahre später oder gar nicht veröffentlicht werden. Das hat zur Folge, dass Patienten und Ärzte allein auf Basis der veröffentlichten Berichte ein geschöntes Bild der Effekte erhalten. 

Diese Tendenz gilt nach wie vor als eine der wichtigsten und tückischsten Fehlerquellen in der Medizin. „Irreführung durch Verschweigen ist kein Kavaliersdelikt“, sagt Sawicki: „Ohne vollständige Information können Patienten im Extremfall sogar nutzlose oder gar schädliche Behandlungen erhalten.“ So haben andere Wissenschaftler bereits für mehrere Wirkstoffe zur Behandlung von Depressionen gezeigt, dass die Wirkung in der publizierten Literatur ausnahmslos überschätzt wurde – um bis zu 70 Prozent (im Mittel etwa 30%). Für einige Wirkstoffe ist sogar fraglich, ob überhaupt noch ein Nutzen nachweisbar ist, wenn man alle Studien einbezieht. 

Lediglich ein Drittel der Daten zu Reboxetin öffentlich zugänglich

Bei dem jetzt abgeschlossenen Projekt ging es darum, den Nutzen der drei Wirkstoffe Reboxetin, Mirtazapin und Bupropion XL bei der Behandlung und Vorbeugung der Depression zu bewerten. Die jetzt vorliegenden vollständigen Daten zu Reboxetin zeigen, dass in den 17 für die Nutzenbewertung geeigneten Studien etwa 5100 Patienten behandelt wurden. Hinreichend transparent publizierte Daten lagen lediglich von etwa 1600 Patienten vor. Demnach fehlen in der öffentlich zugänglichen Literatur die Ergebnisse von etwa 2/3 der Patienten. Dabei suggerieren die veröffentlichten Ergebnisse einen Nutzen, der sich bei Betrachtung aller Daten jedoch nicht belegen lässt. 

Mit dem Verschweigen von Daten verstoßen Hersteller auch gegen Absprachen, die mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studien geschlossen wurden: Sie stellen sich freiwillig und uneigennützig für die Experimente zur Verfügung und gehen dabei Risiken ein, weil sie durch ihre Teilnahme und die Veröffentlichung der Ergebnisse anderen Erkrankten helfen wollen. Dies ist die Voraussetzung für ihre Einwilligung, an Medikamentenstudien teilzunehmen: „Wer Ergebnisse einer Studie geheim hält, hintergeht die teilnehmenden Patientinnen und Patienten und stellt die Rechtmäßigkeit ihrer Einwilligung zur Studienteilnahme in Frage“, sagt Sawicki. 

 

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 18. Dezember 2009

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Psychiatrisierung bei MCS ein Irrweg Teil I – XII

2 Kommentare zu “Des Pfizers neue Kleider”

  1. Analytiker 18. Dezember 2009 um 11:02

    Gut dass das Vorgehen von Pfizer publik wird. Aber dies ist bestimmt nur die Spitze des Eisbergs. Sicher läuft das Prozedere vielfach mach gleichem Schema ab. Studienergebnisse werden zurückgehalten, die Pharmaindustrie macht somit satte Gewinne auf unsere Kosten…

  2. Maria Magdalena 19. Dezember 2009 um 01:41

    Vielen Dank, Karlheinz,

    für diesen sachlichen und sehr aktuellen Bericht. Es wird immer wieder deutlich, dass die Zurückhaltung von Studien-Daten seitens der Pharma-Hersteller gängige Praxis ist.

    Eine Strategie zur Vertuschung von Fakten, die der Vermarktung von Pharma-Produkten im Wege ständen. Vermarktung, aber um welchen Preis? Patienten sind keine Versuchskaninchen!

    Wir brauchen zweifellos viel mehr Kontrolle und entsprechende Gesetze zur Qualitätssicherung der medikamentösen Therapien, denn Gewinne sind nur dann akzeptabel, wenn die Patienten ausreichend vor Schäden durch Medikamente geschützt sind.

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