Interview Teil II – MCS Kranke werden vergessen, verschwiegen, ignoriert

Die Situation der Chemikaliensensiblen ist bereits fünf nach Zwölf

 

Die Spanierin Eva Caballé ist chemikaliensensibel und leidet zusätzlich unter CFS, chronischer Erschöpfung. Eva kann seit Jahren das Haus nicht verlassen, die meiste Zeit ist sie ans Bett gefesselt. Doch sie gibt nicht auf, sie ist eine international aktive

MCS Aktivistin, Buchautorin und Autorin des Blog No Fun. In einem Interview mit Salvador López Arnal berichtet sie über die Situation der MCS-Kranken in Spanien, die sich nicht wesentlich von der Misere unterscheidet, denen deutsche Chemikaliensensible ausgesetzt sind. Im Teil I des Interviews erläuterte Eva was MCS ist, wie verbreitet MCS ist, wo die Krankheit anerkannt ist. Im heutigen Teil II des Interviews berichtet Eva über die Ursachen von MCS, was Erkrankte tun können, um sich zu stabilisieren und warum bestimmte Personen die Krankheit mit Nachdruck in Richtung psychisch bedingt schieben wollen.

Interview Salvador López Arnal mit Eva Caballé, November 2009, Teil II:

Wer Teil I verpasst hat: Interview TEIL I 

EVA-CABALLELópez-Arnal:  Und kennen wir die Ursachen? Sie haben gesagt, MCS hängt mit Umweltfaktoren zusammen, was bedeutet dies genau? 

Eva Caballé: Studien sagen, die Ursachen sind Gifte in der Umwelt, denen wir ausgesetzt sind. Es gibt zwei Wege, MCS zu entwickeln. Eine einmalige Exposition in hoher Dosis oder mehrere Expositionen niedriger Dosen über Jahre. 

Giftige Substanzen gibt es in der Luft, die wir atmen, im Wasser, das wir trinken (in der Plastikflasche, wenn wir Wasser aus dem Handel trinken), in der Kleidung, die wir tragen (Formaldehyd, Farbstoffe, Pestizid-rückstände), in den Reinigungsmitteln, in der Kosmetik, in der Nahrung, die wir essen (Pestizide, Zusatzstoffe und künstliche Farben, die in den USA für viele Jahre verboten waren, weil sie Krebs hervorrufen), oder z.B. in Zahnfüllungen aus Amalgam (die Quecksilber enthalten). 

Über die Jahre akkumuliert unser Körper all diese chemischen Stoffe, die unkontrolliert in unserer Umwelt zirkulieren, Substanzen, von denen wir nicht vergessen sollten, dass sie gar nicht so viele Jahre in Gebrauch waren. Wenn die toxische Belastung nicht mehr tragbar ist, werden wir irgendwann krank, was je nach unserer genetischen Disposition mit MCS enden kann, während andere auch nicht ungeschoren davon kommen. Sie bekommen Krebs, Asthma, Allergien, Autoimmunerkrankungen und irgendwelche anderen umweltbedingten Krankheiten. 

Sogar Ärzte beklagen, dass es für die Erforschung von MCS keine Mittel gibt, dass niemand MCS-Studien finanzieren will, da Studien normalerweise von pharmazeutischen Firmen finanziert werden, damit sie ein Medikament entwickeln können, von dem sie profitieren wollen. Weil MCS-Patienten aber keine Medikamente vertragen, sind wir für sie uninteressant. 

LA: Doch welchen Sinn macht es, all das zu wissen und keine Maßnahmen zu ergreifen? Warum benutzen wir diese Produkte weiter, obwohl wir von ihrer Giftigkeit und dem hohen Risiko wissen, das mit ihrem Gebrauch verbunden ist? Die Situation, die Sie beschreiben, ist nicht bestens. Warum bringen wir in das giftige Chaos keine Ordnung? 

EC: Das ist eine gute Frage. Es macht keinen Sinn, keine Maßnahmen zu ergreifen und diese Produkte weiter zu benutzen. Wenn die Gesundheitsbehörden nichts unternehmen, dann besteht noch die Möglichkeit, den Gebrauch dieser Produkte zu stoppen, und es wird an uns liegen, diese Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen. 

Auf den Etiketten von Weichspülern, Kosmetik, Parfüms oder Lufterfrischern steht nicht „Achtung, dieses Produkt ist giftig und es wird sich in Ihrem Körper solange ansammeln, bis es Multiple Chemical Sensitivity bei Ihnen auslöst“. Niemand hat mich gewarnt. Darum versuche ich alles, was ich gelernt habe, seitdem ich vor vier Jahren krank wurde, anderen mitzuteilen, damit die Menschen wissen, was uns nicht erzählt wird. 

Wenn es beispielsweise schon schwierig ist, das Rauchen zu regulieren, wird dies alles noch schwieriger sein, da wir hier nicht von einem einzelnen Produkt sprechen. Das Problem ist noch größer. Hat denn jeder vergessen, dass in den 60’er Jahren medizinische Forschungsberichte unterdrückt oder verändert wurden, Berichte die zeigten, dass Tabak Krebs hervorruft? Was gerade passiert, ist nicht neu. Die Macht ist nicht in den Händen der Politiker. Sie ist in den Händen multinationaler Konzerne. 

LA: Beschreiben Sie kurz das Leben einer Person mit MCS. Welche Maßnahmen muss sie ergreifen. Welcher Behandlung muss sie sich unterziehen? 

EC: Die Behandlung beruht im Wesentlichen auf einem Grundsatz: Kontrolle der Umgebung. 

Kontrolle der Umgebung bedeutet in wenigen Worten, jegliche Exposition durch chemische Substanzen so gut es geht grundsätzlich zu vermeiden. Die wichtigsten Details sind: 

  • Ökologische Kleidung, nichtverarbeitete Lebensmittel (normalerweise wird empfohlen Molkereiprodukte und Gluten zu meiden) 
  • Das Wasser filtern, das Trinkwasser wie auch das Wasser zum Kochen und Duschen
  • Alle Kosmetik und Reinigungsmittel durch ökologische ersetzten, die keine Duftstoffe enthalten. Logischerweise muss man aufhören, Parfüm, Lufterfrischer, Weichspüler und dergleichen zu benutzen. 
  • Tragen Sie ökologische Kleidung, die keine Farbstoffe oder Gifte enthält. 
  • Schaffen Sie einen Luftfilter an. 
  • Kaufen Sie Möbel und Matratzen, die aus ökologischem Material hergestellt und nicht mit Chemie behandelt wurden. Wenn sie renovieren, benutzen Sie ökologische Wandfarbe. 
  • Vermeiden oder minimieren sie die Exposition durch elektromagnetische Felder.
  •  Benutzen Sie eine Kohlefilter-Atemmaske, wenn Sie raus gehen oder in Situationen mit hoher Giftstoffkonzentration. 
  • Versuchen Sie in einer Gegend, die so wenig wie möglich schadstoffbelastet ist, in einem aus ungiftigen Materialien gebauten Haus zu wohnen. 

Wie Sie sehen können, ist die Kontrolle der Umgebung mit hohem finanziellem Aufwand verbunden, für den wir keine Unterstützung bekommen und der letzte Punkt, (in einer geeigneten Wohnung zu leben), ist meistens nicht zu verwirklichen. 

Neben Kontrolle der Umgebung, die auch Gesunden gut tut, gibt es auf die Person abgestimmte Behandlungen. Diese umfassen Nahrungsergänzungsmittel, Sauna, Sauerstofftherapie usw. Jeder Mensch mit MCS ist anderes und einige haben auch andere, zusätzliche Erkrankungen. Deshalb bedarf es vieler Tests, um das Beste für die jeweilige Situation zu ermitteln. In Spanien wird nichts davon vom öffentlichen Gesundheitssystem geleistet. 

Jene von uns mit schwerer MCS können die Wohnung kaum verlassen. Unser Leben ist auf die Wohnung beschränkt, sie wird unser Gefängnis, in welchem die meisten von uns nicht mal die Hausarbeit selber erledigen können. In manchen Fällen verbringen wir die meiste Zeit des Tages im Bett und müssen uns wegen fast allem auf Familienmitglieder verlassen. Der Kontakt mit der Außenwelt ist auf Telefongespräche reduziert, sofern man die Kraft dafür hat, oder gelegentliche Besuche von Menschen, die bereit sind, wegen uns die Art, wie sie ihre Wäsche waschen und ihren Körper pflegen, zu ändern. Natürlich gibt es das Internet für jene von uns, die keine ernsthaften kognitiven oder Probleme mit Elektrosensitivität haben. 

LA: Welche Unterstützung bekommt eine Person mit MCS von der Regierung? Es scheint doch nicht möglich zu sein, dass derart kranke Menschen arbeiten können. Wie richten Sie ihren Haushalt ein, wenn die Familie keine Zeit dafür hat? 

EC: Wir erhalten keine Hilfe, wenn wir MCS haben. Selbst die Atemmasken, ohne die wir nicht überleben können, müssen wir selber zahlen. Dies ist das ökonomische Drama, das sich parallel zu dieser Krankheit abspielt. Wenn man schwere MCS hat, kann man nicht arbeiten. Wenn man eine mildere Form von MCS hat, ist es nicht möglich zu arbeiten, weil kein Chef bereit ist, den Arbeitsplatz so anzupassen, damit eine Person mit MCS die Arbeit fortsetzen könnte. In wenigen Fällen werden manche als behindert anerkannt, aber gewöhnlich ist es erforderlich zu klagen. Wir müssen uns daran erinnern, dass jüngere Menschen krank werden, die nicht lange genug gearbeitet haben, um einen Rentenanspruch zu erwerben. Wie sieht deren Zukunft aus? Ich sage immer, ich bin erstaunt, dass es nicht mehr Depressionen unter Leuten mit MCS gibt. Wer wäre denn in einer derart harten Situation nicht deprimiert? 

Man kann versuchen, als behindert anerkannt zu werden, aber die Geldbeträge, die man bekommt, sind sehr gering und hängen vom anerkannten Schweregrad ab. 

In meinem Fall bin ich glücklich, meinen Mann und die Hilfe meiner Mutter zu haben. Da ich derart heftig erkrankt bin, kann ich nichts im Haushalt machen, nicht mal für mich kochen. Selbst wenn ich das Geld hätte, jemanden dafür zu bezahlen, dass er herkommt und mir im Haushalt hilft, wäre das nicht möglich. Nur um überhaupt herkommen zu können, musste meine Mutter ihre Wasch- und Reinigungsgewohnheiten ändern, genauso wie sie vorher duschen muss. 

LA: Warum hören wir so wenig über Multiple Chemical Sensitivity? Was steckt hinter allem? Was steckt hinter dem Schweigen? 

EC: Ja, hinter dem Schweigen ist etwas versteckt: Das Interesse der chemischen und pharmazeutischen Industrie, nicht publik werden zu lassen, dass ihre Produkte schlimme neue Erkrankungen wie MCS verursachen. In jüngster Zeit wurde bewiesen, dass MCS nicht psychisch bedingt ist und dass die Studien der Vergangenheit, die dies behaupteten, manipuliert worden sind, um die Interessen der chemischen und pharmazeutischen Industrie zu schützen. 

Unglücklicherweise ist es für die Regierung sehr einfach, uns zu ignorieren, da die meisten von uns unter Hausarrest leben und wir nicht die Kraft haben, uns selber zu organisieren. Dies ist eindeutig ein Machtmissbrauch. Nur unsere Familien, Freunde und Nachbarn wissen, dass es uns gibt und wie schwer unser alltägliches Leben ist. 

Aber wir sind viele und werden trotz der Widrigkeit unserer Situation täglich mehr. Von zu Hause aus kämpfen wir über das Internet für unsere Rechte, versuchen MCS sichtbar zu machen und Informationen untereinander auszutauschen, da unsere Regierung uns nicht hilft. 

LA: Sie sprechen von manipulierten Studien, die „bewiesen“, dass MCS eine psychologische Erkrankung sei, um die Interessen großer Firmen zu wahren. Sind diese durch den Glanz des Geldes geblendet? Können Sie uns ein Beispiel beschreiben? 

EC: Im September 2008 veröffentlichte das Journal of Nutritional & Environmental Medicine eine Studie von Goudsmit und Howes, die hieß, „Ist Multiple Chemical Sensitivity eine erlernte Reaktion? Eine kritische Evaluation von Provokationsstudien“. Diese Studie ergab, dass MCS keine psychische Erkrankung ist und dass ihre Entstehung mit chemischen Substanzen zusammen hängt. Ich habe den Artikel ins Spanische übersetzt, mit dem MCS America diese Studie würdigte. 

In der Vergangenheit haben ein paar wenige schlecht entworfene Studien den Schluss nahe gelegt, MCS wäre eine psychische Erkrankung, die auf schon vorher bestehenden Erwartungen und Auffassungen beruht. Die pharmazeutische und chemische Industrie hat sich bemüht, jeden an diesen Satz glauben zu lassen, denn auf diese Weise sind ihre chemischen Produkte nicht mehr die verantwortlichen und der Einsatz von profitablen psychiatrischen Medikamenten wird mit der Begründung eines Mangels an Medikamenten gefördert, mit welchen den psychischen Auswirkungen der Umweltverschmutzung begegnet werden könnte. Da die meisten Chemie- und Pharmafirmen denselben Leuten gehören, wurde diese Position trickreich und mit aller Macht mittels Publikationen, die von diesen Firmen kontrolliert wurden, durchgedrückt. Glücklicherweise wurden diese manipulierten Studien von Goudsmit und Howes durch zusätzliche wissenschaftlich anerkannte Kriterien überprüft. Auf diese Weise erwiesen sich Studien, die eine psychologische Basis von MCS behaupteten, als sehr irreführend und mit zahlreichen methodischen Mängeln und Fehlern behaftet. Es kam heraus, dass MCS eher mit der Exposition durch chemische Substanzen als mit Angst, psychosomatischen Störungen und Depressionen zusammenhängt.  

Interview von Salvador López Arnal mit Eva Caballé, November 2009

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 11. November 2009

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Fortsetzung folgt…

3 Kommentare zu “Interview Teil II – MCS Kranke werden vergessen, verschwiegen, ignoriert”

  1. Marina 14. November 2009 um 16:06

    Liebe Eva,

    Dein Interview ist einfach super. Du hast die Tatsachen auf den Tisch gebracht, wie es um uns MCS-Erkrankte steht. Schön, dass Du so aktiv um Aufklärung bemüht bist obwohl es Dir so schlecht geht. Ich freue mich sehr, dass Du auch von der Situation in Deutschland berichtest. Ich wünsche Dir viel Gesundheit und grüße Dich recht herzlich

    Marina

  2. Michael Muth 14. November 2009 um 21:16

    Hello Eva,

    this is by far the best interview which I have read for a long time about MCS. It is easy to understand and brings things to the spot. My respect for the fact that you call those which do nothing, want everything to hint and conceal.
    I have myself a MCS-ill wife and know how infinitely difficult it is for her to have to live with it.
    Since one is also true and should be mentioned:
    MCS is one of the most expensive illnesses of the world, because everything must be gained.

    Well, I wish you all the best, many „gentle days“ in which the symptoms leave you in peace.

    I’ll be glad to read your articles and blogs.

    Never give up,

    Michael

  3. Eva Caballé 16. November 2009 um 14:50

    Dear Marina, thanks a lot for your kind words and for your good wishes. I’m really happy that you’ve liked the interview. I tried to explain as well as I could the real dimension of MCS and of course exposing that it’s an international and very grave problem. Kind regards.

    Hello Michael, thank you very much for your comment. I’m really impressed that you qualified the interview as the best about MCS that you have read for a long time. I agree with you, MCS is the most expensive illnesses and paradoxically we are the most abandoned patients of the world! Your wife is lucky to have you by her side, as lucky as I have with my supportive husband David. Thanks for all your good wishes. All the best for you and your wife!

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