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Umweltmedizin in Deutschland, ganz nach Al Gore: Ihr habt es in der Hand

Auch andere, wie Al Gore, thematisieren, welche verderbliche Rolle Bullshit in unserer Gesellschaft spielt (vgl. a. Prof. Harry G. Frankfurt: Bullshit ist „schlimmer als die Lüge“):

„Wir müssen neue Wege für einen Austausch über unsere Zukunft ohne Manipulation finden. Dazu dürfen wir beispielsweise das Bestreiten und Verzerren wissenschaftlicher Erken-ntnisse nicht länger tolerieren. Wir müssen der dreisten Verwendung falscher, ausschließlich zum Zweck der Verdrehung der Tatsachen angefertigter Studien ein Ende machen.“ Al Gore, „Angriff auf die Vernunft“ (deutsche Ausgabe, S. 21).

Al Gore meint u. a. das Schweigen des Senats zum Golfkrieg und das Desinteresse an dem Thema Klimaerwärmung (nur kurzes Aufflackern nach Katrina). Al Gore analysiert, wie es dazu gekommen ist, dass im US-Fernsehen nur noch Angstmache kommt und die Schicksalsfragen der Nation keine Sendezeit bekommen.

Ich habe im Blog schrittweise an das Thema herangeführt. Bullshit bewirkt, dass die Betroffenen von Umweltkrankheiten alle entscheidenden Themen auslassen. Die höchste „Einschaltquote“ (Googleranking) fand mein Beitrag MCS und Gene. Doch das Thema ist nicht rechtswirksam, denn es ist (noch) nicht Stand der Wissenschaft, so gut die Studie von Schnakenberg auch ist und so groß das Lob von Pall. Gefährlich für die Gegenseite dagegen ist Tatsache, dass seit fast 20 Jahren von höchster Autorität anerkannt ist, dass MCS einen schwere organische Krankheit ist und zwar eine Vergiftung: das alles sagt der T78.4.

Ich habe mich seit 5 Jahren gefragt, wie es kommt, dass keine der Patienten-organisationen das Thema aufgreift, in wieweit das neue Merkblatt zur BK 1317 die Rechtslage verbessert. Als die BK 1317 (tox. Enzephalopathie) eingerichtet wurde, gab es ein ärztliches Merkblatt, auf dem die Erkrankung grob falsch dargestellt war zum Zwecke der Fehldiagnose und Prozesslenkung. Ich konnte an einem Falschzitat nachweisen, dass das Merkblatt willkürlich unwahr war, was auch den Nachweis der Absicht mit einschließt. Zurzeit unternimmt Prof. Triebig, ein Arbeitsmediziner, alles, das neue Merkblatt zu desavouieren und zwar mit Erfolg bei Gericht. Das ist auch kein Wunder. Denn niemand tritt ihm entgegen. Die Betroffenen, die Kläger, die Umweltgutachter, haben es in der Hand (gehabt), die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße zu stellen. Was dazu notwendig ist, ist publiziert. Es fehlt aber die Umsetzung und die liegt in der Hand der Betroffenen.

Die Psychothese war nur die dazu notwendige Angstmache. Was die umweltmedizinischen Gutachter auf den falschen Weg geführt und die Patientenszene in tausend Stücke geschlagen hat, ist der Beginn der MCS-Forschung in Deutschland. Die Anmaßung „Wir wollen das jetzt gründlich erforschen“ hat alle wissenschaftliche Erkenntnis aus 5 Jahrzehnten gewissermaßen annulliert. MCS ist seit langem bekannt und gut erforscht, erst seit dem Jahr 2000 ist es wieder rätselhaft. Die Annullierung des Wissens erfolgt durch Einschüchterung.

Angst und Vernunft

In Kapitel I zeigt Gore, dass Angst soweit gehen kann, dass folgerichtiges Denken aufhört: „Angst ist der Feind der Vernunft“ (S: 35).

Nach Prof. Harry G. Frankfurt gehört Anmaßung (und damit Einschüchterung) wesentlich zur Durchsetzung von Bullshit. Die Patienten werden gütig belehrt oder sie bekommen den Psychoeinlauf. Das führt u. a. dazu, dass Patienten so fit wie möglich beim Gutachter erscheinen. So werden sie arbeitsfähig geschrieben oder bekommen einen zu niedrigen GdB (Grad er Behinderung). Des Weiteren führt es dazu, dass sie ins falsche Thema abgedrängt werden. Die Angst verhindert, „Körperverletzung“ oder „Menschenwürde“ auch nur in den Mund zu nehmen, in der Befürchtung, nicht mehr für voll genommen zu werden. So werden sie gehindert, ihre Rechte zu vertreten.

Gore konkretisiert das Angstthema aus der Sicht des erfahrenen Politikers: Vernunft stützt den Rechtsstaat, Angst unterhöhlt ihn.

Der Königsweg ist der Rechtsstaat

Nur die Orientierung am Rechtsstaat kann die Psychiatrisierung beenden und die wissenschaftliche Anerkennung von MCS auch gesellschaftlich-rechtlich durchsetzen. Der Rechtsstaat ist kein Automat, kein Gott und auch kein gütiger gerechter Herrscher, sondern ein Regelwerk, das Recht definiert. Wird es nicht genutzt, gibt es kein Recht. Deshalb gibt es seit 1 ½ Jahrzehnten für Umweltpatienten kein Recht, auch nicht die Menschenwürde. Ob IEI oder Psycho, beides ist Aberkennung der Menschenrechte und der bürgerlichen Rechte und als solches gesetzwidrig.

Dagegen genügt Überzeugungsarbeit nicht. Denn, was hier geschieht ist so ungeheuerlich, dass es erst mal keiner glaubt. Die Gegenseite arbeitet schnell und effektiv. Jeder Vorteil (etwa die Widerlegung der Psychothese in der RKI-Studie) für die Patienten wird schnell wieder zunichte gemacht. Sie warten immer zwei Jahre, dann wird systematisch demontiert. Die letzten 15 Jahre haben das gezeigt. Sie haben auch gezeigt, dass es der Gegenseite sehr leicht gemacht wird, da Fortschritte nicht rechtlich genutzt wurden. Recht haben genügt nicht, man muss auch Recht bekommen. Die Psychiatrisierung ist schwere vorsätzliche Körperverletzung. Denn es werden schwer Kranke verhöhnt und verunglimpft. Die Psychothese ist auf dem menschlichen Niveau, wie wenn einer die Oma die Treppe runter schubst und sagt: „Mach’ langsam“.

Darum geht es, nicht um wissenschaftliche Fragen. Die sind längst gelöst, wenn man von therapeutischen Strategien absieht. Recht muss erstritten werden. Dafür gibt es die Regeln des Rechtsstaats. Wer diese nicht nutzt, sondern brav wissenschaftlich diskutiert, verliert die Prozesse und hilft Eikmann & Co. bei der Desorientierung.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 6. Mai 2010

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Sind die Erkenntnisse von Paracelsus noch State of the Art im 21. Jahrhundert?

Die Toxikologie basiert auf der Dosis-Wirkungs-Definition des Paracelsus anno domini 1426: „die Dosis macht das Gift“. Dies war ein wichtiger Schritt von der Mystik zur exakten Wissenschaft.

Zur Zeit des Paracelsus war hauptsächlich die tödliche Wirkung interessant. Die Wirkung ließ sich also stets ohne Gutachterstreit feststellen. Außerdem ist die Wirkung zeitnah zur Dosisverabreichung gedacht. Die Dosis-Wirkungs-Definition ist also akut und eindeutig.

Nach Paracelsus ist die Dosis allein Ursache der Erkrankung. Das ist bei akuttoxischen Vergiftungen auch der Fall. Chronische Erkrankungen durch Langzeit-Niedrigdosis-Belastung mit Gemischen lassen sich aber weder aus einzelnen Dosen oder aus Dosissummen verstehen. Deswegen wurde die Website in Informationen über Einzelschadstoffe und den Komplex Chronische Erkrankungen durch chronische Intoxikation getrennt.

Heute

Die Fach- sowie die Laiendiskussion um die Wirkung niedriger Konzentrationen über lange Zeiträume ist geprägt durch den Glauben, solchen Wirkungen seien rätselhaft, soweit man überhaupt von einer toxischen Wirkung sprechen könne.

Symptomvielfalt – Symptommuster

„Wenn ein Patient mit mehr als vier Symptomen zu Ihnen kommt, dann schicken Sie ihn zum Psychiater!“, nach dieser Devise wurde Prof. Heuser, Los Angeles, heute einer der bekanntesten Umweltmediziner, ausgebildet.

Die Definitionen etwa der toxischen Enzephalopathie oder gar des Sick-Building-Syndroms enthalten mehr als zwanzig Symptome, obwohl die WHO sichtlich bemüht war, nur die wichtigsten Hauptsymptome in die Liste aufzunehmen. Gifte erzeugen nur unspezifische Symptome, diese aber in großer Menge. Typisch sind bestimmte Symptommuster. Diese helfen bei der Definition der Erkrankungen und auch bei der Eruierung der Ursache. Letzteres funktioniert sogar bei Gemischen, wie die Golfkriegs-Veteranenstudie bewiesen hat.

Oft müssen Kranke erleben, die einem Bekannten, ja sogar ihrem Hausarzt ihre Beschwerden erläutern, dass sie spontan zur Antwort bekommen: „Das habe ich auch, ha, ha!“ Es sind eben Allerweltssymptome, die jedes für sich genommen auch eine andere Ursache haben kann. Sie vergehen aber nicht und treten massiv gleichzeitig auf. Der Betroffene ist ernsthaft behindert, teilweise oder ganz arbeitsunfähig und im Endstadium nicht mehr ohne fremde Hilfe lebensfähig.

Zeiträume – akut, subakut (subchronisch), chronisch

Bei langen Zeiträumen fällt die Zuordnung schwer. Doch längst ist es üblich, Untersuchungen in akut, subakut (subchronisch) und chronisch zu unterscheiden (subakut bezieht sich auf die Dosis und subchronisch auf den Zeitraum). Besondere Anforderung stellt dabei die Bestimmung der chronischen Wirkdosis. Sie muss nämlich die Forderung erfüllen, die Wirkschwelle bei lebenslanger Exposition darzustellen. Außerdem ist eine solche Versuchsanordnung auch sehr aufwendig.

Hilfsweise hat das Umweltbundesamt vorgeschlagen, die Wirkschwellen verschiedener zeitlicher Qualität auseinander abzuschätzen: einen Faktor 10 für akut/subakut und entsprechend für subchronisch/chronisch. Es gibt aber Beispiele, dass die akute und die chronische Wirkschwelle deutlich weiter als zwei Zehnerpotenzen auseinanderliegen.

Stoffe ubiquitär – Wirkungen auch

Mit dem Jahr 1987 erfolgte die Anerkennung der Tatsache, dass ubiquitäre Stoffe sich so weit in der Umwelt anreichern können, dass die chronische Wirkschwelle erreicht wird. Der Sachverständigenbeirat für Umweltfragen nannte Dioxine, Furane, „einige Pestizide“, PCB, Cadmium, Blei und Nitrat im Trinkwasser. Mit Pestiziden sind vor allem die Organophosphate, Lindan und DDT gemeint.

1987 waren die wichtigsten Umweltkrankheiten wie toxische Enzephalopathie (TE), toxische Polyneuropathie (TPNP), Sick-Building-Syndrom (SBS) und die chemische Sensitivität (MCS) definiert.

Ursache und Wirkung sind ubiquitär verbreitet.

Vorkommen Allergien, MCS

Die Verbreitung war schon weit fortgeschritten: Allergien 30%, MCS 15%. Akute Fälle sind selten, chronische Vergiftungen dagegen sind zahlreich.

Wirkschwelle

Wie stelle ich eine Wirkschwelle bei dreißig und mehr Symptomen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten auftreten, fest? Dazu gibt es das Konzept der Unterscheidung adaptiver und adverser Reaktionen. Soweit hier Laborparameter helfen können, so liegt die Grenze bei der Überschreitung der Referenzwerte.

Soweit diese nicht zur Verfügung stehen, kommt es zu sehr unterschiedlichen Bewertungen. Was etwa die WHO toxische Enzephalopathie, Schweregrad 1, nennt, nennen andere Befindlichkeitsstörungen. Wenn etwa erhöhte Reizbarkeit, Störung bei der Planausführung, Konzentrations- und Merkschwäche gleichzeitig auftreten, so ist die Zusammenarbeit doch schon deutlich behindert. Dieser Zustand ist advers – etwa: toxische Enzephalopathie Schweregrad I.

Komplexität

Die reale Situation wird noch dadurch kompliziert, dass es sich immer um die Wirkung von Gemischen handelt. Aber auch einige besondere Stoffe sind in der Lage, fast jede beliebige Störung im Organismus hervorzurufen: „Dioxin does everything.“, sagte der bekannte amerikanische Toxikologe Safe. Die Bewertung der Dioxine umfasst auch eine 2500-seitige Dokumentation und die Grundfrage bei den Dioxinen war auch nicht, was sie bewirken, sondern welche Wirkweise bei der geringsten Dosis auftritt.

Toxikologische Daten reichen nicht

So etwas kann man mit Hilfe von toxikologischen Daten, gar noch aus dem Tierversuch, nicht mehr bewerten. Die toxikologischen Daten sind Hilfsdaten, unterschätzen aber in der Regel die Wirkschwelle. Sie müssen ergänzt und kombiniert werden mit den Erkenntnissen der Umweltmedizin, respektive der funktionellen Medizin.

Diese Erkenntnis führte auch beim Autor zu der Entscheidung, gutachterliche Arbeit von der Toxikologie auf die Umweltmedizin auszudehnen.

Kausalitätsnachweise

Nachweise zur Kausalität zu erbringen ist grundsätzlich schwieriger als der Nachweis von Ursache und Wirkung im wissenschaftlichen Sinn, denn die Juristen verlangen die Beschränkung nach dem anerkannten Stand der Wissenschaft.

Anerkennungsprozesse dauern einige Zeit. Der Stand der Wissenschaft ist folglich veraltetes Wissen. Dies übersehen Wissenschaftler in der Regel, so dass ihr gutachterlicher Vortag fehl geht. Da der anerkannte Stand der Wissenschaft für die Kausalitätsnachweise zu 90% der Fälle aus den 80er Jahren stammt, kann auch der juristische Nachweis geführt werden.

Autor: Dr. Tino Merz, Gutachter für Umweltfragen

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Weiterführende Informationen:

Pestizide: Pyrethroide bereiten neue Sorgen

Von Blumen abgeleitet, aber nicht harmlos: Pyrethroide geben erneut Anlass zu Sorgen

Von Blumen abgeleitete Chemikalien mag harmlos klingen, aber die jüngste Forschung gibt Anlass, sich wegen Stoffen, die nach dem Vorbild von Chrysanthemen synthetisiert wurden und die in nahezu jeden Haushaltspestizid vorkommen, Sorgen zu machen.

Seit mindestens einem Jahrzehnt waren Pyrethroide für Verbraucher das Insektizid der Wahl, sie ersetzen Organophosphat-Pestizide, die für Mensch und Tier sehr viel giftiger sind. Doch die Hinweise verdichten sich, dass der Wechsel zu Pyrethroiden eine Reihe neuer ökologischer und gesundheitlicher Risiken mit sich brachte.

Nach einer im Februar 2010 veröffentlichten Studie waren in den Vereinigten Staaten rund 70 Prozent der Bevölkerung Pyrethroiden ausgesetzt, die höchste Belastung betraf Kinder. Obwohl die Gesundheitsgefahren für Menschen unbekannt sind, weisen Tierversuche auf eine Schädigung des Nerven- und Immunsystems sowie der Fortpflanzung hin.

Zusätzlich fließen Pyrethroide über Höfe und Gärten ab und verseuchen viele Bäche und Flüsse mit Konzentrationen, welche Kleinlebewesen töten können und die für das Überleben von Fischen und anderen Wasserbewohnern unverzichtbar sind. Sowohl Kalifornien als auch die Amerikanische Umweltschutzbehörde [EPA] unterziehen diese Chemikalien aufgrund von Sicherheitsbedenken einer erneuten Überprüfung.

„Pyrethroide sind selbstverständlich eine sicherere Alternative zu Organophosphaten, aber nur weil sie sicherer sind, heißt das nicht, dass sie sicher sind“, sagt Dana Boyd Barr, Forscherin und Professorin für Umweltmedizin an der Emory University’s Rollins School of Public Health in Atlanta, Georgia. Barr ist die Autorin einer Studien, die zum ersten Mal Daten zur Pyrethroid-Belastung der US-Bevölkerung erhoben hat.

Pyrethroide sind in über 3.500 Erzeugnissen zu finden und werden in Wohnungen, auf Feldfrüchte, in Höfen und Gärten angewendet – beispielsweise handelt es sich um Antiläuse-Shampoos, Innenraum-Vernebler [z.B. f. Zierbrunnen], Sprays gegen Läuse für Haustiere und Bekämpfungsmittel gegen Ameisen, Wespen, Moskitos, Blattläuse und Spinnen. Die Verbraucher können Pyrethroide in Produkten identifizieren, indem sie die Etiketten auf Inhaltstoffe überprüfen, die mit „thrin“ aufhören, wie etwa Bifenthrin, Permethrin und Cypermethrin.

Diese Stoffe sind synthetische Versionen natürlich vorkommender Insektizide, sogenannter Pyrethrine, die man aus Chrysanthemen gewinnt. Chemiker haben die Struktur des Pyrethrin-Moleküls verändert, um die Sonnenbeständigkeit und die Toxizität zu erhöhen. Diese Chemikalien töten Insekten, indem sie grundlegende Nervenfunktionen stören. Insekten und andere Wirbellose reagieren hochempfindlich auf sie, während Vögel und Säugetiere besser in der Lage sind, ihre Wirkung zu bewältigen.

In den neuen Studien wurden 5.046 zwischen 1999 und 2002 gesammelte Urinproben von US-Amerikanischen Erwachsenen und Kindern auf fünf Metabolite von Pyrethroid-Insektiziden untersucht. Metabolite enstehen, wenn der Körper Chemikalien abbaut.

Bei 75 Prozent der Testpersonen von 2001 bis 2002 wurden Spuren von mindestens einem Pyrethroid-Metaboliten gefunden, eine Zunahme bzgl. der 66 Prozent von 1999 bis 2000. Nach der Studie von Barr und Kollegen die am 03. Februar 2010 von Environmental Health Perspectives online veröffentlicht wurde, waren die Konzentrationen bei Kindern über 50 Prozent höher als die bei Adoleszenten und Erwachsenen gefundenen Werte.

Kinder sind Pyrethroiden stärker ausgesetzt weil „sie sehr viel mehr Zeit auf dem Boden herum kriechen und öfter zwischen Hand und Mund interagieren“, so Frau Prof. Barr. „Pyrethroide sammeln sich hauptsächlich im Staub oder auf großen Oberflächen in Wohnungen an, da sie nicht leicht in die Luft verdampfen. Eine Studie von 2008 wies Pyrethroide und deren Metaboliten im angesammelten Staub von Staubsaugern nach, der aus Heimen und Kindertagesstätten in Nord-Carolina und Ohio stammte.

Zusätzlich zum Inhalieren und Aufnehmen von Pyrethroiden, die in Haushalten überdauern, nehmen Menschen Spuren von Pyrethroiden durch ihre Nahrung zu sich, da die Chemikalien auf manches Gemüse, auf Früchte und auf die Getreideernte angewendet werden.

Eine Auswertung der EPA von 2006 ergab, dass die Gefahr einer Belastung durch die Ernährungsweise für die meisten Menschen auf oder unter dem als bedenklich erachtenden Level lag. Aber die Studie kam auch zu dem Schluss, dass Säuglinge und Kleinkinder durch manche Nahrungsmittel hoch belastet werden, besonders durch Bananen, Ananas und Babynahrung aus Hafer (dried-oat).

„Nachdem wir wissen, dass Menschen in großem Maße Pyrethroiden ausgesetzt sind, müssen wir die genauen Gesundheitsfolgen heraus bekommen“, sagt Barr.

Bis jetzt gibt es nicht viele wissenschaftliche Daten, die etwas über eine mögliche Gefährdung der menschlichen Gesundheit aussagen.

Studien mit Labortieren brachten eine Pyrethroid-Belastung mit Schädigungen von Schilddrüse, Leber und Nervensystem, aber auch mit Beeinträchtigung der Verhaltensentwicklung, Veränderungen im Immunsystem und Störung der Fortpflanzungshormone in Zusammenhang, wie die Auswertung der EPA ergab. Diese Tierstudien sind für die Gesundheit des Menschen von Bedeutung, weil Pyrethroide auf Funktionen des Nervensystems bei allen Tieren gleichermaßen einwirken, wie die EPA hervorhebt.

Einige Pyrethroide simulieren das Hormon Östrogen und können Östrogenwerte in Brustkrebszellen erhöhen, und manche stehen im Verdacht, krebserzeugend zu sein. Andere Daten legen nahe, dass Menschen, die diese Chemikalien anwenden, dem Risiko sich verschlimmernder Allergien oder Asthma ausgesetzt sind, obwohl die EPA im letzten Jahr zu dem Schluss kam, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang gibt.

Die Hersteller von Pestiziden erzählen, dass Pyrethroide sicher sind und dass sie für die Landwirtschaft und für die Bekämpfung von Moskitos, die das West-Nil-Fieber und andere Krankheiten übertragen, unverzichtbar sind.

„Pyrethroide sind eine extrem wichtige Kategorie von Insektenvernichtungsmitteln, die hauptsächlich für die Öffentliche Gesundheit und in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen“, so Rex Runyon, ein stellvertretender Vorsitzender von CropLife America, einer Handelsgruppe die Pestizid-Hersteller vertritt, in einer Email. Runyon ergänzt, dass Pyrethroide „keine unzumutbaren Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit des Menschen ausüben“, wenn sie die Anweisungen auf den Etiketten befolgend eingesetzt werden.

Obwohl wenige Daten zu gesundheitlichen Bedenken vorhanden sind, verdichten sich die Hinweise, dass Pyrethroide das Ökosystem der Gewässer schädigen könnten. Studien zu Bächen und Flüssen in Kalifornien, Texas, Illnois legen nahe, dass Pestizide möglicherweise kleine Organismen vernichten, die in den Gewässern leben und die Grundlage der Nahrungskette bilden.

Zusätzlich haben einigen Studien gezeigt, dass Pyrethroide sich auf das Wachstum und die Fortpflanzung von Süßwasserfischen auswirken können.

Eine Studie von 2009 wies Pestizide in Ablagerungen städtischer Wasserläufe in Zentral-Texas nach, wo diese weit verbreitet eingesetzt werden, den Befall von Feuerameisen und Engerlingen zu beherrschen. Für ein kleines Shrimp-ähnliches Schalentier namens Hyalella Azteca sind die Konzentrationen tödlich, eine Tierart, die in Laboren am häufigsten benutzt wird, um die Wirkung von Pestiziden auf für gesunde Flüsse erforderliche Wirbellose zu untersuchen.

„Alle unsere Messstellen waren in nächster Nachbarschaft bewirtschafteter Grünflächen“, sagte Jason Belden, ein Zoologe der Oklahoma State University und Autor einer in der Zeitschrift „Environment Pollution“ veröffentlichten Studie. „Viele Leute folgen nicht den besten Bewirtschaftungsregeln. Sie sind im Umgang mit Pestiziden nicht vorsichtig genug. Wir müssen uns alle dafür einsetzen, Pestizide nur dann anzuwenden, wenn wir sie brauchen.“

Pyrethroide machen nicht nur in Sedimenten, sondern auch in der Strömung Kalifornischer Flüsse in Konzentrationen auf sich aufmerksam, die für Insekten und wasserlebende Wirbellose, die Fischen und anderen Tieren als Nahrung dienen, tödlich sind.

Der Biologe Donald Weston von der University of California, Berkeley, suchte in städtischen Regenwasserabflüssen, in Abflüssen von Kläranlagen und in landwirtschaftlichen Drainagen im Kalifornischen Sacramento – San Joaquin River Delta nach Insektiziden. Im Labor prüfte Weston die Giftigkeit dieser Proben mit dem Shrimp-ähnlichen Hyalella Azteca.

„Praktisch jeder Tropfen der Abflüsse städtischer Gemeinden war aufgrund von Pyrethroiden für Hyalella giftig“, sagte Weston.

Weston und seine Team dokumentierten zum aller ersten Mal Pyrethroide im Wasser, das aus Kläranlagen kommt, was überraschte.

„Über die Hälfte der Abwasserbehandlungsanlagen, die wir beprobten, waren giftig“, berichtete Weston. „Die meisten Leute hätten nicht erwartet, dass Pyrethroide die Anlage passieren. Die Leute denken, sie würden von Schlick auf dem Boden eingefangen – und vermutlich werden dies einige – aber es verbleiben genug, welche die Anlage durchlaufen und das abfließende Wasser vergiften.“

Entwässerungen in der Landwirtschaft waren nach der im Februar 2010 in „Environmental Science and Technology“ veröffentlichten Studie hingegen nur eine gelegentliche Quelle von Pyrethroiden.

„Wenn man von ‚Pestiziden‘ spricht, nehme ich an, dass der Durchschnittsmensch auf der Straße dazu tendiert, an Landwirtschaft zu denken“, sagt Weston. „Sie neigen nicht dazu, Siedlungen in den Vorstädten in Betracht zu ziehen, dabei entpuppten sich die Vorstadt-Siedlungen als eine anhaltende Quelle von Pyrethroid verursachter Giftigkeit.“

Die Studie wies in zwei städtischen Bächen und in einem 30 Kilometer langen Abschnitt des American River Toxizität nach, der für den saubersten Fluss des Deltagebietes gehalten wird.

„Das Wasser ist völlig klar – so klar, als ob es aus der Mischbatterie in Ihrem Badezimmers käme“, sagte Weston. „Aber die letzten 50 oder 60 Kilometer des Flusses sind, wenn man immer tiefer in Sacramento hinein fährt, sehr urban besiedelt. Alle diese Gemeinden leiten ihr Regenwasser in den American River, und das ist genug, um Toxizität hervorzurufen.“

Weston bekundete, der Nachweis der Chemikalie im Wasser selbst – nicht nur in den Sedimenten – ist bedenklich.

„Pyrethroide sind sehr anhaftend und lassen sich nicht in Wasser auflösen, darum finden sich die meisten in den Ablagerungen“, sagt Weston. „Aber es bedarf davon derart wenig im Wasser, um [für Hyalella Azteca] giftig zu sein – nur zwei Teile pro Billion [2 ppt oder 0.002 ppb – z.Vgl. Grenzwert in DE 0.1 ppb pro Pestizid] Der Staat Kalifornien weiß nun, dass man sich nicht nur wegen Sedimentpartikeln Sorgen machen muss, man muss sich um das Wasser ebenfalls sorgen. Und das Wasser bewegt sich viel schneller flussabwärts.“

Die Toxizitätswerte, die Weston feststellte, waren mehr als hoch genug, um eine ganze Menge Insekten und andere Wirbellose zu töten, die für eine gesunde Flussökologie erforderlich sind. Die Forscher haben nicht dokumentiert, dass in den Flüssen Lebewesen starben. Wenn aber die Wasser- und Sedimentproben im Labor für das Schalentier giftig sind, ist es ein Hinweis, dass sie für ähnliche Lebewesen in den Wasserläufen ebenfalls giftig sein dürften.

„Bodenlebende Wirbellose und Wesen wie Steinfliegen (Plecoptera) und Maifliegen (Ephemeroptera) sind im Wesentlichen das untere Ende der Nahrungskette. Die Sorge besteht darin, ob jene Insektizide diese unterste Stufe, von der die Fische abhängig sind, auslöschen“, sagt Weston. „Das hätte nicht nur ökologische Folgen, sondern auch Folgen für Erholung und Wirtschaft.“ Weston fährt fort, dass die Werte in den Flüssen „nicht hoch genug sind, um für einen Fisch giftig zu sein, aber der Fisch sollte natürlich etwas zu fressen haben“.

Als Antwort auf die Besorgnis wegen der Toxizität fing Kaliforniens Department of Pesticide Regulation 2006 damit an, die Richtlinien für Pyrethroide erneut zu prüfen. Der Staat forderte von den Herstellern zusätzliche Daten über die Sicherheit von Pyrethroiden und untersucht mindestens 700 Produkte, die in Haushalten und landwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden.

Als diese Übersicht erstellt wurde, erzählte Mary-Ann Warmerdam, Leiterin der staatlichen Pestizid-Behörde der Los Angeles Times, dass die Bestandsaufnahme des Staates „ein Schuss vor den Bug der Hersteller ist, da wir Gründe haben, uns Sorgen zu machen, und Ihr (die Hersteller) müsst uns die Daten liefern, um entweder die Bedenken auszuräumen, die Produkte zu verändern oder deren Entfernung aus dem Markt in Betracht zu ziehen“.

Weston sagte, Kalifornien möchte nicht zum Einsatz von Organophosphaten wie Chlorpyrifos zurück kehren, die wegen gesundheitlicher Bedenken für den Gebrauch in Haushalten verboten wurden, „aber man möchte den Einsatz von Pyrethroiden kontrollieren, um jene Auswirkungen auf die Umwelt zu minimieren, die wir dokumentieren“.

„Der Staat Kalifornien kann ein Produkt auf Grundlage des Ergebnisses der neuerlichen Überprüfung verbieten“, sagte Weston, „aber ich denke nicht, dass jemand erwartet, dies würde geschehen. Eher wird es weitere Bestimmungen bezüglich der Anwendung von Pyrethroiden geben“.

Auch die EPA unterzieht Pyrethroide im Rahmen ihrer Pestizid-Prüfung für 2010 dieses Jahr einer erneuten Überprüfung. Die EPA überprüft turnusmäßig alle 15 Jahre alle zugelassenen Pestizide. Zu den möglichen Konsequenzen gehört das Verbot von Pyrethroiden in bestimmten Gebieten, die Verschärfung der Bestimmungen oder keine Änderung der Vorschriften. Das Verfahren der EPA wird jedoch weitere sechs bis acht Jahre in Anspruch nehmen.

Außerdem hat in einigen Gegenden ein Insektizid namens Fipronil Pyrethroide bei Einsatz gegen Termiten und Ameisenbefall teilweise verdrängt. Wie Pyrethroide ist Fipronil für Vögel und Säugetiere weniger giftig als andere Insektizide, kann aber immer noch Kleinlebewesen im Wasser umbringen. Mittlerweile gibt es für die Verbraucher einige Alternativen. Barr empfiehlt Produkte, die aus Gemüse und Kräutern extrahiert wurden oder Chrysanthemen um den Garten herum zu pflanzen. Jene natürlichen Pyrethrine, die man im Chrysanthemum Plantsdo fand, sind in der Umwelt nicht so beständig, wie es die synthetischen Varianten sind. Eine andere Möglichkeit, Schädlinge abzutöten, bietet Borsäure.

Weston sagt, die Lösung besteht nicht darin, zu einer anderen Chemikalie zu wechseln. Er glaubt, die Menschen müssen ihren Gebrauch von Pestiziden grundlegend ändern. Viele Leute wenden in ihren Höfen und Gärten dermaßen viel an, dass die Chemikalien in die Wasserläufe geraten.

„Ich denke, es ist ein guter Gedanke, die Belastung durch jegliche Pestizide zu minimieren, nicht nur wegen dem, was wir wissen, sondern wegen dem, was wir nicht wissen“, sagte Weston. „Ich denke nicht, dass viele dieser Produkte nötig sind. Je weniger man sie anwendet, um so besser.“

Originalartikel: Ferris Jabr, Pyrethroides rise concern EHN – Environmental Health News, 26. Feb. 2010

Vielen Dank an Environmental Health News für die freundliche Erlaubnis den Artikel übersetzen und publizieren zu dürfen.

Übersetzung: Vielen Dank an BrunO

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Neue Strategie für die Umweltmedizin

Den Grundbestand der Forschung systematisch erfassen:

Eine unverzichtbare Strategie, um mehr Umweltmedizin in die klinische Praxis und in die Gesundheitspolitik einzubringen

Als Gesellschaft könnten wir Umweltmedizin weitaus besser in die klinische Beratung und in die Empfehlungen für die Politik einfließen lassen

Denken wir z.B. an Formaldehyd: In den frühen 80’er Jahren haben mehrere Studien mit Ratten gezeigt, dass die Einwirkung von Formaldehyd bei ihnen die Wahrscheinlichkeit für nasale Krebserkrankungen erhöhte. Es mussten jedoch weitere zwanzig Jahre beobachtender Forschung am Menschen ins Land gehen, um dieselben gesundheitlichen Folgen für diesen zu bestätigen, damit es endlich zu beschränkenden gesetzlichen Regelungen für Formaldehyd kam.

Bisphenol-A (BPA), der umstrittene Zusatzstoff für Plastik, entpuppt sich als klassisches aktuelles Beispiel des Problems, das die Ärzte des Gesundheitssystems mit Formaldehyd hatten. In diesen Fall gibt es etwa 1 000 Studien zu dessen möglichen Gesundheitsrisiken – aber es wird immer noch nur politisch gestritten, anstatt eindeutig zu entscheiden, ob BPA sicher ist oder nicht.

Umweltmedizinische Experten wissen, dass es einen substantiellen Grundstock an wissenschaftlichen Beweisen gibt, die einen Zusammenhang zwischen Chemikalien in der Umwelt und einem weiten Bereich von Erkrankungen herstellen. Zu diesen zählen Krebs, neurodegenerative Erkrankungen, Autismus, Diabetes und so weiter. Die Fälle von Formaldehyd und BPA belegen jedoch die augenfälligen Barrieren zwischen dem Erwerb von umweltmedizinischem Wissen und der Gesellschaft, die anschließend handeln sollte, um die allgemeine Gesundheit zu schützen. Allein im Falle von Formaldehyd bedeutete dies nichts anderes als zwanzig Jahre unnötige nasale Krebsleiden bei Menschen.

Die Langsamkeit, mit der die umweltmedizinische Forschung das politische Handeln und die Arbeit an den Kliniken beeinflusst, mag teilweise an den Unterschieden zwischen umweltmedizinischer und klinischer Forschung liegen, und mehrere Gruppen arbeiten an dieser Lücke.

Tracey Woodruff, MPH (Master of Public Health), Leiterin des Programms für Reproduktive Medizin an der University of California San Francisco (UCSF) ist sich dieses Problems sehr bewusst. Als eine Ärztin im Gesundheitswesen, die sich mit Fortpflanzungsmedizin befasst, erläutert sie, dass, als ihr die zunehmende Häufigkeit von Endometriose und Unfruchtbarkeit bei ihren Patientinnen auffiel, sie es sich selbst zuerst nicht erklären konnte, warum dies so ist, sondern dass es auch nichts gab, was ihr dabei helfen konnte, die Ursache der von ihr beobachteten Veränderungen zu verstehen.

Woodruff koordiniert nun das Komitee für praktische Ärzte und Ärzte im Gesundheitswesen, das der Auffassung ist, dass ein Großteil des Problems mit den grundsätzlichen Unterschieden zu tun hat, wie umweltmedizinische und klinische Forschung betrieben und dargestellt werden. Das Komitee glaubt, fehlendes Verständnis der Nützlichkeit umweltmedizinischer Daten führe zu einer falschen Wahrnehmung unter Klinikern, nach welcher umweltmedizinische Forschungsergebnisse für die klinische Praxis belanglos seien, da die Daten in der Tat sehr verschieden sind.

Der wichtigste Unterschied ist der Einsatz der randomisiert kontrollierten Studie (RCT) [randomised controlled trial], die als das „Nonplusultra“ wissenschaftlicher Erkenntnis für medizinisch diagnostische Bewertung angesehen wird. Während diese das Hauptprodukt der klinischen Forschung ist und den Inhalt nahezu aller Studien ausmacht, die im Mainstream der medizinischen Literatur veröffentlicht werden, gibt es nahezu keine RCT-Studie aus dem Forschungsbestand der Umweltmedizin. Dafür gibt es einen Hauptgrund: es ist unethisch, Menschen für Forschungszwecke einer Substanz auszusetzen, von der man eine schädigende Wirkung erwartet, deshalb ist eine RCT-Studie für umweltmedizinische Forscher geradezu tabu. Diese Beschränkung ist auch in der Medizin durch das Verbot akzeptiert, Medikamente an schwangeren Frauen zu erproben.

Anstelle von RCTs setzen beobachtende Studien am Menschen eine größere Bedeutung von Vergleichbarkeiten voraus, um zu verstehen, wie die Einwirkung von chemischen Stoffen in der Umwelt die Gesundheit beeinträchtigen könnte. Die Bedeutung von auf Beobachtung beruhenden Evidenzen sollte nicht unterschätzt werden, da es unter ihnen viele Beispiele gibt, die stark genug waren, um ein Eingreifen zu rechtfertigen, wie z.B. die Identifikation der toxikologischen Gefährdung durch Diethylstilbestrol (DES) gezeigt hat. In diesen Falle hatten alarmierte Kliniker genug Daten über die pränatale Exposition durch DES gesammelt, die einen Zusammenhang mit der Zunahme einer seltenen, die Fortpflanzung betreffenden Krebsform bei Frauen nahe legten.

Neben beobachtenden Studien an Menschen sind in vivo Tierversuche und in vitro Experimente eine weitere wichtige Informationsquelle für umweltmedizinische Forscher. Obwohl diese in der pharmazeutischen Industrie in großen Umfang genutzt werden um zu entscheiden, ob es sich lohnt, einen Wirkstoff an Menschen zu testen und natürlich, ob dies für diese sicher ist, hat die Entdeckung toxischer Wirkungen bei Tieren offenbar dann nicht die gleiche Bedeutung, wenn es darum geht, die Schädlichkeit menschengemachter Chemikalien zu bestimmen.

Interessant ist, dass diese nahezu ausschließliche Beachtung von RCT-Studien bedeutet, dass andere Nachweismethoden verworfen und für die medizinische Praxis als bedeutungslos angesehen werden. Aufgrund dieser Wahrnehmung ist Umweltmedizin als Fach offiziell nicht Teil der medizinischen Ausbildung. Infolgedessen tun sich Ärzte mit solchen Dingen schwer oder lehnen wahrscheinlich sogar deren Bedeutung ab. Beispielsweise können sich einer Studie des US-Staates Georgia zufolge die meisten Kinderärzte nicht dazu bequemen, eine Umwelt-Krankengeschichte aufzunehmen, obwohl in über der Hälfte der berichteten Krankengeschichten Patienten ernsthaft durch Umwelteinflüsse geschädigt wurden. Dies verringert die Chancen, daß nichtklinische Studien in den medizinischen Mainstream-Zeitschriften veröffentlicht werden, weshalb Ärzte die Forschungsergebnisse nie zu Gesicht bekommen, was das Problem weiterbestehen lässt. (Übersetzung des Abstract zur Studie im Anhang)

Diese Situation zu ändern ist schwierig. Wenn die Wissenschaft [der Umweltmedizin] von der medizinischen Gemeinschaft für die Gesundheit nicht als relevant angesehen wird, gibt es wenig Argumente zu versuchen, sie in die Ausbildung oder klinische Arbeit hinein zu zwingen; jeder, der schon mal mit medizinisch Lehrenden über die Aufnahme von zusätzlichem Stoff zu den Curricula gesprochen hat, wird wissen, wie schwer es ist, zur Ausbildung von Nachwuchsmedizinern Inhalt hinzu zu fügen. Auch wollen Kliniker in der begrenzten Zeit des Kontakts mit dem Patienten nicht noch mehr zu tun haben.

Bemühungen, um die Umweltmedizin-Forschung zugänglich zu machen

Was ist also zu tun? Für Mark Miller MD (Doctor der Medzin), Leiter des UCSF Pediatric Environmental Health Specialty Unit, (einer Spezialabteilung für Kinder-Umweltmedizin an der Kalifornischen Universität s.o.) und Mitglied der Arbeitsgruppe von Woodruff, besteht der erste Schritt darin, eine Wissenschaft, die manchmal als „seltsam“ angesehen wird, Klinikern zugänglich zu machen: „Der Schlüssel [zum Erfolg] liegt darin, die Materialien so zu sortieren, dass sie für die klinische Gemeinschaft akzeptabel sind – sie müssen den Anforderungen dieser Gemeinschaft gerecht werden, in einer Sprache geschrieben sein, welche die Gemeinschaft versteht und die für die Angelegenheiten von Klinikern eintritt.“

Um dies zu bewerkstelligen versucht Woodruffs Komitee den „GRADE Ansatz zur Erhebung klinischer Eingriffe“ für die Umweltmedizin zu übernehmen. [GRADE (Recommendations Assessment, Development and Evaluation), Bewertung von Empfehlungen, Entwicklung und Erhebung)] Zunehmend weltweit angewendet und von der Cochrane Collaboration, dem British Medical Journal und dem American College of Physicians befürwortet, stützt sich GRADE auf eine genau festgelegte Methodik für Empfehlungen zu klinischen Eingriffen.

Wenn ein ähnliches System für die Umweltmedizin entwickelt werden könnte, insbesondere mit einer anerkannten transparenten Methodik, wäre nach Ansicht von Woodruff ein eindeutiger Schritt nach vorne getan, Umweltmedizin in die medizinische Arbeit einfließen zu lassen. Würde man alles aus der umweltmedizinische Wissenschaft mit Hilfe einer transparenten Methodik sammeln und präsentieren, würden wohl begründete Ansichten mit dazugehörigen Handreichungen für Kliniken und Politik zu einer absolut zuverlässigen Informationsquelle werden, ganz ähnlich der Bedeutung, wie sie die Agency for Research on Cancer Monographs [WHO-Einrichtung für Krebsforschung] und die Rezensionen von Cochrane für klinische Eingriffe haben.

Erste tastende Schritte ein solches System zu errichten, wurden in Großbritannien unternommen. Mark Starr, Chef-Software-Entwickler hinter der Cochrane-Datenbank zur Sortierung [und Bereitstellung] von Rezensionen, aus der später zur Cochrane Bibliothek wurde, entwickelt ein System namens „„Sustainability for Health: an Evidence Base for Action“ (SHEBA) [Nachhaltigkeit für die Gesundheit: Ein Grundbestand an Forschung um zu handeln]. Dessen Zweck besteht darin, umweltmedizinisches Wissen an einem Ort zusammen zu führen, um es dann einem Überprüfungsverfahren im Stile von Cochrane zu unterziehen, um die bedeutendsten und wirksamsten praktischen und administrativen Interventionen zur Minimierung von umweltbedingten gesundheitlichen Schäden zu bestimmen. (Ich bin selber an diesem Projekt beteiligt. Obwohl die Webseite zugänglich ist, befindet sie sich immer noch in der Entwicklung – jeder der mehr Information wünscht, soll sich ermutigt fühlen, mit mir in Kontakt zu treten) [Wenden Sie sich bitte an CSN-Deutschland.]

Um den durch die Umwelt der Gesundheit zugefügten Schaden zu begrenzen, beschreibt es Miller s.o. als wichtigstes Ziel, die Kliniker dazu zu bringen, „die Ursachen der Probleme zu sehen und am Thema Gesundheitspolitik hängen zu bleiben, weil diese Probleme dazu geführt haben, dass zu aller erst sie den Patienten vor sich haben. Die Umweltmedizinische Wissenschaft für die Arbeit der Kliniker und den politischen Lenkern des Gesundheitswesens relevanter zu machen, scheint grundlegender Teil dieses Vorgangs zu ein.

Autor: Paul Whaley, 9. März 2010 für Environmental Health, Research von The Pump Handle

Herzlichen Dank an Paul Whaley für die freundliche Genehmigung diesen Artikel übersetzen zu dürfen!

Paul Whaley ist Herausgeber der Webseite und der monatlichen e-Publikation Health & Environment, die hauptsächlich dazu dienen soll, praktischen Ärzten und Machern der Gesundheitspolitik die Bedeutung der Umwelt als bestimmenden Faktor für die Öffentliche Gesundheit nahe zu legen. (Einige dieser Materialien für Kliniker können Sie hier ansehen.) Er arbeitet auch als Kurator des Environmental Chemicals Stream für (SHEBA), s.o. und ist Communication Manager für die Cancer Prevention and Education Society.

Übersetzung: BrunO für CSN

ANHANG

The environmental history in pediatric practice: a study of pediatricians‘ attitudes, beliefs, and practices

Kilpatrick N, Frumkin H, Trowbridge J, Escoffery C, Geller R, Rubin L, Teague G, Nodvin J.

Department of Behavioral Sciences and Health Education, Rollins School of Public Health, Emory University, Atlanta, Georgia 30322, USA.

Environ Health Perspect. 2002 Aug;110(8):823-7.

Abstract: Wir führten eine Befragung per Post unter praktizierenden Kinderärzten in Georgia durch, um ihr Wissen, ihre Einstellung und ihre Gewohnheiten bezüglich der Aufnahme von umweltbezogenen Krankengeschichten ihrer Patienten zu bewerten. Von 477 der in Frage kommenden Kinderärzte haben 266 (55.8%) geantwortet. Weniger als einer von fünf berichteten, dass sie für die Erstellung umweltbezogener Krankengeschichten ausgebildet wurden. Kinderärzte berichteten, dass sie sehr an die Bedeutung von Umwelteinflüssen für die Gesundheit von Kindern glauben, und 53.5% der Anworter berichteten von Erfahrungen mit einem Patienten, der durch Umweltgifte [Expositionen] ernsthaft erkrankte. Kinderärzte stimmten moderat stark zu, dass die Aufnahme einer Umwelt-Krankengeschichte nützlich ist, um potentiell schädliche Expositionen zu identifizieren und zu helfen, diese zu vermeiden. Anworter berichteten wenig Selbstvertrauen bezüglich der Erstellung [solcher Kranken-] Geschichten, der Diskussion von Umweltexpositionen mit Eltern, und dem Auffinden wissenschaftlicher Informationen über Umweltschadstoffe zur Diagnose und Behandlung. Die Wahrscheinlichkeit der selbstberichteten Aufnahme einer Umwelt-Krankengeschichte hing von der Art der Exposition ab, am meisten wurde nach Information zu Tabakrauch und Haustieren in der Lebensumgebung gesucht, am wenigsten nach Asbest, Quecksilber, Formaldehyd und Radon. Die Kinderärzte bevorzugten Informationsquellen wie die American Academy of Pediatrics (Amerikanische Akademie für Kinderärzte), Newsletter und Patienteninformationen. Kinderärzte zeigen großes Interesse für Kinder-Umweltmedizin, trauen sich aber bei der Aufnahme von Umwelt-Krankengeschichten wenig zu. Es gibt ein beachtliches Potential, die Erstellung von Umwelt-Krankengeschichten zu trainieren und die Häufigkeit der Erstellung solchen Krankengeschichten zu erhöhen.

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Die Störung des Hormonhaushaltes durch Chemikalien

Endocrine Disrupters – Hormonell wirksame Substanzen

Bisphenol A (BPA) war im CSN Blog bereits öfter Thema. Zuletzt ging es darum, welche Probleme diese Substanz Lebensmittel-herstellern macht, selbst wenn sie Willens sind BPA zu vermeiden. In unserem englischsprachigen EMM Blog wurde neulich eine Studie vorgestellt, nach der nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich eine Belastung mit BPA während der Schwangerschaft negativ auf die Fertilität weiblicher Nachkommen auswirkt. Davor wurde mehrfach über die karzinogene und hormonelle Wirkung von BPA berichtet. Vor nicht all zu langer Zeit waren nicht nur bei uns, sondern auch in vielen Medien Berichte zu lesen, daß BPA in Schnullern und anderen Produkten, mit denen Kleinkinder in Kontakt kommen, gefunden wurde. Nicht zuletzt Dank des Filmes „Plastic Planet“ von Werner Boote kommt BPA allmählich auch bei einer breiteren Öffentlichkeit als Thema an.

Während eine Lösung für das Problem BPA noch nicht in Sicht ist, taucht schon das nächste auf. Die Washington Post berichtete am 02.03.2010 über eine von der National Academy of Sciences vorab online veröffentlichte Studie zu Atrazin, die auf erstaunlich viel Resonanz in Blogs und Kommentaren stieß.

Prof. Tyrone Hayes und andere untersuchten die hormonelle Wirkung des weltweit am häufigsten verwendeten Herbizides. Es führte im Labor zur Verweiblichung männlicher Krallenfrösche (Xenopus laevis). Kaulquappen wurden in Wasser mit 2.5 ppb Atrazin großgezogen. 10 Prozent der untersuchten Frösche, die alle männliche Chromosomen aufwiesen, hatten sich zu fortpflanzungsfähigen Weibchen entwickelt, die allerdings nur männliche Nachkommen bekamen. Bei den übrigen 90 Prozent war die Männlichkeit eingeschränkt. Die meisten hatten einen niedrigen Testosteronspiegel und eine geringe Fruchtbarkeit. Sie hatten es schwerer als Männchen aus der nicht exponierten Kontrollgruppe, mit diesen um die Aufmerksamkeit von Weibchen zu buhlen.

Prof. Hayes erklärte der Washington Post, das Problem könnte darin bestehen, daß Atrazin über die Haut der Frösche aufgenommen wird und in männlichen Fröschen ein Gen aktiviert, das normalerweise abgeschaltet sein sollte und das die Produktion eines Enzymes veranlaßt, das Testosteron in Östrogen umwandelt und den Körper des Frosches mit falschen Hormonsignalen überflutet.

Im Abstract der Studie heißt es:

„…Vorausgegangene Studien zeigten, daß Atrazin die larvale Entwicklung von Amphibien negativ beeinflusst. Die vorliegende Studie demonstriert, welche Folgen eine Atrazin-Exposition für die Fortpflanzung erwachsener Amphibien hat. Atrazin exponierte Männchen waren im ausgewachsenen Zustand sowohl entmännlicht (chemisch kastriert) als auch vollständig feminisiert…

…Die vorliegenden Ergebnisse veranschaulichen, welche Rolle Atrazin und andere endokrin wirksame Pestizide möglicherweise beim globalen Rückgang der Amphibienbestände spielen.“

Vielleicht kann diese Studie aufgrund ihrer Datenbasis nicht mehr als Hinweise auf hormonelle Störungen durch Atrazin liefern. Diese sind jedoch besorgniserregend. Die Tiere waren einer geringeren Konzentration ausgesetzt, als dem von der Amerikanischen Umweltschutzagentur, der Environmental Protection Agency (EPA), empfohlenen MCL-Wert (Maximum Contaminant Level). Die EPA hält derzeit 3 ppb (parts per billion – drei Am. Billionstel, bei uns Milliardstel) also 0,003 mg Atrazin pro Liter (~1 Kg) Trinkwasser für gesundheitlich unbedenklich. Sie weist aber darauf hin, dass exzessives Trinken von Wasser mit dieser Konzentration bei manchen Menschen zu Kreislauferkrankungen und Fortpflanzungsproblemen führen kann.

Seit dem 07.10.2009 läuft bei der EPA ein Verfahren zur Neubewertung von Atrazin. In Deutschland ist die Anwendung von Atrazin seit 1991 verboten, Europaweit seit 2004 (PDF). Es gilt ein Grenzwert von 0.1 µg/l, was 0.1 ppb entspricht. Dieser Grenzwert ist 30 Mal kleiner als der Amerikanische. Obwohl Atrazin bei uns nicht mehr angewendet werden darf, ist es im Grundwasser immer noch nachweisbar und übersteigt diesen manchmal.

Nach dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland wurde bei einer Messung im Jahre 2001 im Gebiet zwischen Schwarzwald und Vogesen auf deutscher Seite bei 40 Prozent aller Proben Atrazin nachgewiesen. Bei 4 Prozent war der Grenzwert überschritten. Auch in der Schweiz sollen Grenzwertüberschreitungen hauptsächlich bei Atrazin und dessen Hauptabbauprodukt Desethyl-Atrazin auftreten. Messwerte werden selten angegeben. Doch es gibt Zahlen vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. 2006 (vermtl.) wurde für Atrazin bei 34 Prozent der Proben der Grenzwert (0.1 ppb) überschritten. Der Höchstwert betrug 0.37 ppb. Desethyl-Atrazin wurde bei 52 Prozent der Proben mit maximal 0.60 ppb überschritten.

So sieht es aus, wenn Atrazin seit längerem verboten ist. Die Werte (PDF) aus den USA, wo Atrazin noch nicht verboten ist und häufig eingesetzt wird, sollten zu denken geben. Von 2004 bis 2006 wurden an verschiedenen Messstellen in Wassereinzugsgebieten Höchstwerte in einem Bereich von 49.87 bis 237.5 ppb gemessen. Die Durchschnittswerte schwanken von 2.58 bis 18.56 ppb. 3 ppb war der Wert, den die EPA noch als unbedenklich ansieht und dieser ist dreißigmal höher als der Europäische Grenzwert.

Der Grenzwert für Atrazin in Nahrungsmitteln beträgt in der EU vorläufig 0.1 mg/Kg, also 100 ppb und greift auf den Grenzwert für Getreide einer vorausgegangenen Richtlinie der Kommission zurück.

Messwerte für Atrazin-Rückstände in Lebensmitteln liegen uns nicht vor.

Sicher werden sich weitere chemische Substanzen als endokrin wirksam herausstellen. Diese Eigenschaft war bei deren Entwicklung nicht vorgesehen, weil man nur den Zweck die Anwendung und nicht den Menschen im Blick hatte. Dabei hätte man aus Erfahrungen mit künstlich hergestellten Hormonen lernen können, welche Gefahren von hormonell wirksamen Substanzen ausgehen.

Das künstliche Östrogen Diethylstilboestrol (DES) wurde 1938 erstmals im Labor synthetisiert und seit 1947 zur Prävention von Fehlgeburten verabreicht. Eine solche Wirkung besaß das Medikament aber nicht, da man den niedrigen Östrogenspiegel, der ausgeglichen werden sollte, nicht als Folge einer Fehlgeburt erkannte, sondern für dessen Ursache hielt. DES wurde keiner ausreichenden klinischen Prüfung unterzogen, jedoch weltweit vermarktet und gegen zahlreiche Erkrankungen verschrieben. Zur Behandlung von Memopausen- und Postmemopausensyndromen, gegen Prostatakrebs und unerwünschte Laktation. Es fand weitere Verwendung als Verhütungsmittel („Pille danach“) und als Wachstumsförderer zur Mast von Hühnern, Schafen und Rindern.

Seit 1971 weiß man, dass Frauen, deren Mütter DES eingenommen haben, ein erhöhtes Risiko für das klarzellige Adenokarzinom aufweisen, eine bis dahin äußerst seltene tödliche Krebserkrankung. Seit 1971 weiß man auch, dass es bei diesen Töchtern zu genitalen Missbildungen kommen kann. Noch im gleichen Jahr zog die FDA (Food and Drug Administation), die Behörde für Nahrungs- und Arzneimittel die Zulassung für DES zurück.

Später wurden weitere Auswirkungen von DES festgestellt, welche die Fähigkeit der Töchter zu einer Schwangerschaft bedrohten. Die wichtigste Erkenntnis, die DES gebracht hat, ist sicherlich jene, die bis dahin gültige Lehre von der Plazenta-Barriere widerlegt zu haben. Der Fötus ist nicht gegen solche Einflüsse von Außen geschützt, sondern äußerst verletzbar.

Der genaue Vorgang kann in einer Studie der Europäischen Umweltagentur „Späte Lehren aus frühen Warnungen: Das Vorsorgeprinzip 1896–2000“ (PDF) von 2001 sehr ausführlich mit vielen Quellenangaben nachgelesen werden.

Wenn man aus DES Lehren gezogen hätte, würde man aus Vorsicht immer eine hormonelle Wirkung von chemischen Substanzen in Betracht ziehen und abklären, bevor man sie für unschädlich erklärt. Dann hätte man die Anwendung von BPA und Atrazin unterlassen und nach harmloserem Ersatz gesucht, statt diese Stoffe in derart großen Mengen zu verbreiten, dass sie allgegenwärtig sind.

Wie bereits DES zeigt, müsste das fragliche Konzept von Grenzwerten überdacht werden. Die Wirkungen, welche Substanzen auf die Entwicklung eines Fötus haben können, lassen es nicht zu, einen gesunden Erwachsenen als Maß dessen zugrunde zu legen, was man einem Menschen an gesundheitlicher Belastung zumuten kann.

Endokrin wirksame Substanzen wirken über Generationen, sofern sie die Fortpflanzung nicht unterbinden. Es ist schlimm genug, wenn ein Individuum erkrankt, wie erklärt man das aber jemand, der keine Chance hatte, gesund auf die Welt zu kommen?

Autor: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 4. März 2010

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Diabetes – Bitter, süß oder giftig?

Indigene Völker, Diabetes und die Bürde der Umweltverschmutzung

Diabetes wird heute vielerorts als die Epidemie des 21. Jahrhunderts angesehen. Mit ungefähr 284 Millionen Menschen, bei denen diese Krankheit gegenwärtig diagnostiziert wurde, ist dies bestimmt keine Übertreibung, nicht zuletzt für Indigene Völker.

Nach dem „State of the World’s Indigenous Peoples Report“, dem Bericht über die Lage der Indigenen Weltbevölkerung der Vereinten Nationen, haben mehr als 50% der Indigenen Erwachsenen über 35 Jahre Diabetes Typ 2, und es heißt darin, „diese Zahlen werden voraussichtlich noch steigen“.

Diabetes wird „Lifestyle Krankheit“ genannt, für deren grassierende Ausbreitung man Fettleibigkeit verantwortlich macht, die unserem zunehmenden Verlass auf die westliche Ernährungsweise (auch als Fleisch-Zucker-Diät bekannt) und unserem Verzicht auf regelmäßige körperliche Betätigung geschuldet ist.

Während dies sicher mitverursachende Faktoren sein können, gibt es immer mehr wissenschaftliche Belege, dass zwischen Diabetes und unserer Umwelt ein enger Zusammenhang besteht. Es wurden über ein Dutzend Studien veröffentlicht die langlebige organische Schadstoffe, Persistent Organic Pollutants (POPs), darunter Polychlorierte Biphenyle (PCBs), als Dioxine bekannte krebserzeugende Kohlenwasserstoffe und das tödlichste synthetische Pestizid DDT, in einen Zusammenhang mit höheren Raten der Erkrankung bringen.

„Wenn es die POPs sind, wenn nicht Übergewicht Diabetes verursacht, ist dies wirklich heftig, wenn es stimmt“, meint Dr. David O. Carpenter, Direktor des Institutes für Gesundheit und Umwelt an der Universität von Albany (im Bundesstaat New York).

Einer von vier Indigenen Erwachsenen, die in Kanadischen Reservaten leben, wurde mit Diabetes vom Typ 2 diagnostiziert, der am weitesten verbreiteten Form von Diabetes. Die Prävalenz dieser Erkrankung scheint dermaßen stark zu sein, dass die Zahl der in Kanada neu diagnostizierten Fälle über dem Wachstum der Indigenen Bevölkerung liegen könnte. Es ist nicht mehr ungewöhnlich, Kinder die nicht älter als drei Jahre sind, mit dieser Erkrankung zu finden. Nach der Statistik der Regierung werden 27 Prozent aller Indigenen Menschen in Kanada in den nächsten 10 Jahren an Diabetes vom Typ 2 leiden.

Die Situation der Sandy Lake First Nation in der Sioux Lookout Zone von Nord Ontario entspricht genau diesen Daten. Eine Studie vom März 2009, die von Dr. Stewart Harris mitverfasst wurde stellte fest, dass 26 Prozent der Gemeinschaft an dieser Krankheit leiden, die höchste in Kanada festgestellte Diabetes-Rate. Mit einer Bevölkerung von 2.500 wurde die nördliche Cree Gemeinschaft kürzlich als ein „Epizentrum“ der Epidemie beschrieben.

Es wurde wenig über die Konzentrationen langlebiger organischer Schadstoffe in Sandy Lake geforscht, doch nach Angaben des First Nations Environmental Health Innovation Network (FNEHIN), (Plattform zur Vernetzung von First Nations und Umweltmedizin-Forschung) sind von mehreren Nachbar-Gemeinschaften die ebenfalls hohe Diabetes Raten aufweisen, wie der Kitchenuhmaykoosib Inninuwug First Nation, erhöhte PCB-Werte ihrem Blut bekannt.

Die Mohawk Gemeinschaft von Akwesasne muss sich auf ihre Art mit Diabetes und der Belastung durch POPs auseinandersetzen. Ihr Lebensraum erstreckt sich über die Staatsgrenze zwischen New York und Ontario-Quebec entlang des St. Lawrence Flusses. Über Jahrzehnte leiteten drei Aluminium-Gießereien stromaufwärts des Reservats PCBs in den Fluss und verseuchten Wasser, Boden und Vegetation.

Dr. Carpenter hat sich jahrelang mit erwachsenen Mohawks in Akwesasne wissenschaftlich beschäftigt. Erst kürzlich, im Jahre 2007, war er an einer Studie beteiligt, die den Zusammenhang zwischen Diabetes und Umweltverschmutzung in der Gemeinschaft untersuchte. „Unsere Studie an erwachsenen Mohawks zeigte eine auffällige Erhöhung der Diabetes-Raten in Abhängigkeit von den Blutwerten dreier langlebiger organischer Schadstoffe, DDE, dem Stoffwechselprodukt von DDT, Hexachlorbenzol und PCBs“, so Dr. Carpenter. „Unsere Ergebnisse stimmen sehr gut mit denen von Lee et al überein.“

2006 zeigten Dr. Dae-Hee Lee und ihre Kollegen, dass für Menschen mit der höchsten Belastung durch POPs die Wahrscheinlichkeit an Diabetes zu erkranken ungefähr 38 mal höher ist, als für solche mit der niedrigsten Belastung. Außerdem, „zeigten sie, dass für Personen die zwar übergewichtig waren, aber keine hohen Werte von POPs im Blut aufwiesen, das Risiko an Diabetes zu erkranken nicht erhöht war“, fährt Dr. Carpenter fort. „Wahrscheinlich werden die meisten Leute übergewichtig, weil sie zu viele tierische Fette aufnehmen und genau in denen sind die POPs enthalten.“

Die Aufnahme von POPs über die Nahrung wurde von der Amerikanischen EPA (Environmental Protection Agency) in ihrem Entwurf von 1994 zur Dioxin Neubewertung bestätigt, der offiziell nie veröffentlicht worden ist. Nach diesem Entwurf zur Neubewertung stammt 93 Prozent unserer Dioxinbelastung aus dem Verzehr von Rindfleisch, Milchprodukten, Milch, Geflügel, Schweinefleisch, Fisch und Eiern. Mit anderen Worten, die westliche Ernährungsweise.

Eine im Mai 2001 im Journal für Toxikologie und Umweltmedizin veröffentlichte Studie zog ähnliche Schlüsse aus der Neubewertung der EPA. Zusätzlich zeigte die Studie, dass „Säuglinge sehr viel mehr Dioxine in Relation zum Körpergewicht aufnehmen, als alle älteren Altersgruppen“ und dass Muttermilch doppelt so giftig ist wie Milch aus dem Handel. Außerdem wurde festgestellt, dass Veganer den aller niedrigsten Anteil von POPs in ihrem Körper aufwiesen.

Nach einer Veröffentlichung vom Oktober 2009, des Forschungszentrums für Umweltchemie und Ökotoxikologie der Masaryk University, sind die Weltmeere eine weitere Hauptquelle von POPs, insbesondere DDT. Darüber hinaus wurde in der Abhandlung festgestellt, dass trotz aller Einschränkungen, die der Verwendung von DDT vor über 30 Jahren auferlegt wurden, die Konzentrationen des Giftes weiter zunehmen.

Indigene Völker tragen einen ungleich hohen Anteil dieser globalen Giftlast. Nach dem National Pollutant Release Inventory (NPRI), der staatlichen Erfassung von Schadstoffemissionen von Environment Canada, einer Einrichtung des Kanadischen Umweltministeriums, gibt es in Kanada beispielsweise 212 Indigene Gemeinschaften, die flussabwärts oder in der Nähe von Zellstoff-Fabriken oder anderen Anlagen leben, die Dioxine oder Furane abgeben. Ein erschreckendes Beispiel ist die alte Dryden Pulp Mill in der Nähe von Grassy Narrows. Nach Auskunft des Mercury Disability Boards, dem von den betroffenen Gemeinschaften gebildeten Rat für Quecksilber-Behinderung, der auf gesetzlicher Grundlage über Entschädigungsrenten für Angehörige der Grassy Narrows und Islington Bands entscheidet, leitete dieser Betrieb von 1962 bis 1970 tonnenweise Quecksilber-Abwasser, das zusätzlich Dioxin enthielt, in den English-Wabigoon River.

Vierzig Jahre später stellt der giftige Abfall immer noch eine „ernsthafte Gefahr“ für die Grassy Narrows und die Wabaseemoong First Nations dar, wie das Disability Board erklärt. Zur Dekontamination wurden von der Staats- oder Landesregierung keinerlei offizielle Schritte unternommen.

Die Lage der Tohono O’odham Nation erinnert sehr an die Grassy Narrows: diese Nation im Südwesten Arizonas weist die welthöchste Diabetesrate auf. Stammeseigenen Gesundheitsbeamten zufolge wurde bei fast 70 Prozent der 28.000 Menschen zählenden Bevölkerung diese Erkrankung diagnostiziert. Die O’odham Angehörigen sind die zweitgrößte Indigene Nation in den Vereinigten Staaten.

Lori Riddle gehört zur Aquimel O’odham Gemeinschaft und ist Gründerin der Gila River Alliance for a Clean Environment (GRACE), der Gila River Allianz für eine unbelastete Umwelt.

GRACE dient dem zehnjährigen Kampf gegen eine gefährliche Müllaufbereitungsanlage, die ohne ausreichende Genehmigung für Jahrzehnte auf O’odham-Gebiet in Betrieb war. Die Anlage gehörte der Romic Environmental Technologies Corporation und spuckte ununterbrochen Abwasser in die Luft, bis sie schließlich 2007 geschlossen wurde.

Die Anlage von Romic war nicht der erste Beitrag zur toxischen Belastung der O’odham’s, erklärt Riddle. Sich an ihre Kindheit erinnernd berichtet sie: „Fast ein Jahr lang, immer wenn ein Flugzeug über unseren Köpfen geflogen ist, konnte man den Nebel sehen. Wir dachten nie daran unser Wasser abzudecken. Die Chemikalien bemächtigten sich unser und wurden ein Teil von uns.“

Von den frühen 50’er Jahren bis in die späten Sechzigern sprühten Baumwoll-Farmer im Wassereinzugsgebiet des Gila Rivers routinemäßig DDT auf ihre Pflanzen um sie gegen Baumwollraupen zu schützen. Nach Angabe der Agentur für giftige Substanzen und Erfassung von Erkrankungen, der Agency of Toxic Substances and Disease Registry (ATSDR), versprühten die Farmer jährlich ungefähr 23 Pfund DDT pro Acre, das sind etwa 25.7 Kilogramm pro Hektar.

1969 wurde im Staat Arizona der Einsatz von DDT verboten. Zu dem Zeitpunkt war der Fluss hochgradig kontaminiert. Nach Auskunft der ATSDR wechselten die Farmer danach zu Toxaphen, einem Ersatz für DDT, bis dieses 1990 von der US-Regierung verboten wurde.

Wegen diesen Chemikalien, erklärt Riddle, waren die O’odham gezwungen, ihre traditionelle Ernährung aufzugeben und die westliche anzunehmen. Auch mussten Farmen aufgegeben werden und nötigten die Familien ihre Stammesgemeinschaft zu verlassen. Gesellschaften wie Romic begannen, sich auf ihrem Gebiet nieder zu lassen und trieben die Situation auf die Spitze. „Das hat unserer Lebensqualität einen Tribut abverlangt“, sagt sie. „Ich habe mich in den Schlaf geweint.“

Die O’odham schlagen sich mit dem herum, was Riddle als „Cluster Symptome“ bezeichnet. Das sind Fehlgeburten, Arthritis der Wirbelsäule, Atemprobleme, unerklärliche Hautausschläge und Probleme mit der Produktion roter Blutkörperchen. Dies zusätzlich zu Diabetes, der häufig zu Nierenversagen, Erblindung, Herzerkrankungen und Amputationen führt.

Es werden immer mehr Studien veröffentlicht, die in Nachfolge der wegweisenden „Ranch Hand“ Studie den Zusammenhang zwischen Diabetes und langlebigen organischen Schadstoffen wie DDT belegen. 1998 stellte diese Studie für US Air Force Personal, das während des Vietnamkrieges mit dem Herbizid und Entlaubungsmittel Agent Orange besprüht worden war, eine Zunahme von Diabetes (der eine Insulinkontrolle erfordert) um 166 Prozent fest. Die Studie zeigte auch, dass sich mit höheren Dioxinwerten die Häufigkeit und die Schwere von Typ 2 Diabetes ebenfalls erhöht; die Zeit bis zur Erkrankung verkürzte sich einem ähnlichen Trend folgend.

Dr. Carpenter weist jedoch darauf hin, dass wegen der überall auf Zustimmung stoßenden Meinung, Diabetes sei eine durch die Lebensweise verschuldete Erkrankung, die von der Ernährungsweise und dem Maß an Bewegung abhängt, dem Zusammenhang mit POPs von Regierungen, Nachrichtenagenturen oder irgend einer von den Hunderten an gemeinnützigen Diabetes-Stiftungen weltweit, wenig Beachtung geschenkt wird. „Nicht einmal bei uns, in Medizinerkreisen, ist dies angekommen“, fügt Dr. Carpenter hinzu. „Man braucht viel Zeit um beides zu ändern, die Ansichten der Medizin und die der Öffentlichkeit.“

„Das eine was jeder tun kann ist eindeutig, weniger tierisches Fett zu essen“, empfiehlt Dr. Carpenter. Einige Indigene Gemeinschaften im nördlichen Manitoba und in British Columbia haben damit begonnen dies zu tun, indem sie ihre eigenen Gärten bepflanzen und Gewächshäuser bauen; indem sie ganz traditionell auf ein paar Lebensmitteln zurückgreifen, die sie seit Millenien versorgt haben. Andere wenden sich körperlichen Aktivitäten zu, was nicht nur für die Prävention von Diabetes, sondern für ihre gesamte Gesundheit eine wichtige Rolle spielt.

„Wir müssen also Wege finden, die POPs aus den Tieren herauszubekommen, die wir essen. Das wird nicht einfach sein, angesichts des Ausmaßes, wie verseucht wir die Welt gemacht haben“, ergänzt Dr. Carpenter. Deshalb weist Lori Riddle, die selbst an Diabetes erkrankt ist, auf den Tribal Council (Stammesrat) und auf die US-Bundesregierung hin.

Autor und Copyright:

John „Ahniwanika“ Schertow, Indigenous people, diabetes and the burden of pollution, Winnipeg 02.02.2010

Zum Autor: Ahni  ist ein Verfechter Indigener Rechte und Autor des Blogs Intercontinental Cry

Wir danken Ahni für die Genehmigung den Artikel übernehmen und übersetzen zu dürfen.

Wer den Artikel übernehmen möchte, bitte bei Ahni Kontakt oder CSN anfragen.

Übersetzung: IP: 87.187.136.186 @19.02.2010 00:40:56

US Top-Wissenschaftler – Martin L. Pall – hält elf Vorträge über MCS und Umweltkrankheiten in fünf Europäischen Ländern

Gastbeitrag von Martin L. Pall, Professor Emeritus für Biochemie und Medizinischer Grundlagenforschung, Washington State University und Forschungsleiter der Tenth Paradigm Research Group über seine Vortragsreise quer durch Europa im Frühling:

Ich werde beginnend mit dem 10. April elf Vorträge in fünf europäischen Ländern halten, alle über den NO/ONOO Zyklus. Neun davon wurden so geplant, dass sie sich mit meiner Reise nach Europa decken, darunter einige Konferenzen. Die Vorträge sind folgendermaßen vorgesehen:

Ich werde mit einem ganztägigen Workshop in Berlin beginnen, der von mir und auch Dr. Ohnsorge veranstaltet wird. Meine Präsentation wird simultan ins Deutsche übersetzt. Ich werde nur über Multiple Chemical Sensitivity (MCS) sprechen und über deren Therapie und werde möglicherweise noch andere Themen erörtern, die durch meinen Vortrag in London abgedeckt werden, der anschließend stattfinden wird.

In London werde ich drei 90-minütige Vorträge halten, zusammen insgesamt 4 1/2 Stunden, alle an der Royal Society of Medicine (Königliche Academy für Medizin), einem der der angesehensten Stätten der Welt. Der erste Vortrag wird sich auf die Mechanismen des NO/ONOO Kreislaufs fokussieren und welche Rolle er in der Ätiologie von CFS/ME und auch Fibromyalgie spielt. Der zweite Vortrag wird sich darauf ausrichten, wie dieser gleiche Mechanismus MCS erklärt und auch die drei klassischen neurodegenerativen Erkrankungen: Alzheimer, Parkinson und ALS. Die drei neurodegenerativen Krankheiten werden auch in meinem Buch „Explaining, unexplained illnesses“ (Erklärung, unerklärter Krankheiten) als offensichtliche NO/ONOO-Zyklus Krankheiten diskutiert, aber es gibt erhebliche neue Beweise, dass es weitere Stützpfeiler gibt.

Konkret gibt es zwingende Beweise dafür, dass die vier Besonderheiten, die Bildung von Amyloid-beta-Protein (A-beta) bei Alzheimer, die Bildung von hyperphosphoryliertem Tau-Protein hervorruft, was zu neuro-fibrillären Durcheinander führt (auch Alzheimer), die Entstehung von Lewy-Körperchen (Parkinson) und der Bildung von Neurofilament Komplexen (ALS) werden alle unter dem Einfluss von NO/ONOO-Zyklus-Elementen gebildet, von denen Peroxynitrit das Wichtigste ist, aber einige andere ebenfalls eine Rolle spielen. Was interessant ist, ist, dass sowohl A-beta-Komplexe und Neurofilament Komplexe einwirken, was wiederum NO/ONOO-Zyklus Elemente ansteigen lässt und daher als Gewebe-spezifische Elemente des Zyklus fungiert. Neuere Untersuchungen der A-beta-Komplexe haben den Mechanismus, mit dem dies geschieht, erläutert.

Der dritte Vortrag an der Royal Society of Medicine wird vollständig über Therapie handeln – wie wir den NO/ONOO Zyklus herunterregulieren können.

Dann fliege ich am Morgen des 17. April für eine Präsentation weiter nach Rom, später am Tag dann nach Catania/Sizilien für ein Meeting über MCS. Dieses Meeting wurde ebenfalls so geplant, dass es sich in meine Europareise einfügt und ist die erste Veranstaltung, die bisher in Italien über MCS abgehalten wurde. Dann kehre ich nach Rom zurück für ein zwangloses Treffen mit Leuten am National Institute of Health um die Mechanismen von MCS zu diskutieren. Die Situation in Italien hat sich auf erstaunliche Weise gewandelt, verglichen mit der Situation als ich dort im November 2008 besuchte. Zu dieser Zeit gab ich Vorträge an der medizinischen Fakultät in Brescia in Norditalien und auch in Rom, und mir wurde dort berichtet, dass die Situation bezüglich MCS regelrecht barbarisch sei, mit Ärzten, die zur Rechenschaft gezogen und für die Behandlung ihrer Patienten mit MCS ins Gefängnis geworfen wurden. Vielleicht, aber nur vielleicht, habe ich die Situation in diesem Land innerhalb 1 1/2 Jahren gedreht? Wir können nur hoffen.

Von Rom aus fliege ich nach Paris, um bei einer Veranstaltung über MCS zu sprechen. Dieses Meeting ist die erste Veranstaltung, die jemals über MCS in Frankreich gehalten wurde und auch hier wurde es so eingerichtet, dass sie sich in meine Europareise einfügt. Es folgt ein Vortrag, den ich bei einem umweltmedizinischen Meeting in Aix-en-Provence im vergangenen April gab. Dieser letztere Vortrag war der erste Vortrag, der je beim französischen umweltmedizinischen Kongress gehalten wurde. Eine Veranstaltung, bei der in der Vergangenheit größtenteils umweltbedingte Karzinogenese dominierte. Die Situation in Frankreich hat sich auf andere Art und Weise dramatisch gewandelt. Meine Veröffentlichung auf meiner Webseite über MCS wurde ins Deutsche und Französische übersetzt und die Rückmeldungen aus beiden Ländern waren beeindruckend. Die französische Fachgesellschaft der Allergologen bat um Erlaubnis, ob sie die französische Übersetzung auf ihrer Webseite einstellen dürfe und hat die Erlaubnis auch bekommen. Beide, die französische und die deutsche Übersetzung, wurden auf mehreren Webseiten eingestellt.

Nach dem Paris Meeting gehe ich nach Würzburg für eine weitere Veranstaltung – eine, die bereits geplant war. Ich wurde ausdrücklich gebeten, zwei Vorträge zu halten – einen über Alzheimer, Parkinson und ALS als NO/ONOO-Zyklus Erkrankungen – dies wird sich sehr aus dem Material ergeben, dass ich zu diesem Thema für das London Meeting umrissen habe. Ich wurde auch noch gefragt, einen Vortrag über Therapie zu geben – wie wir den NO/ONOO Zyklus herunterregulieren können.

Nach der Veranstaltung in Würzburg ist Madrid an der Reihe, das letzte Meeting auf meiner Reise. Ich bin mir noch nicht ganz sicher über was ich auf dieser Veranstaltung sprechen werde, aber ich tendiere dazu, über exzessive NMDA Aktivität als ein häufiger „Zielpunkt“ einer großen Anzahl von Umweltchemikalien zu sprechen. Dies ist, in einiger Hinsicht, das wichtigste neue Verständnis, das sich aus meinem kürzlich veröffentlichten großen MCS Review ergab – dass eine große Anzahl von Umwelt-Schadstoffen allesamt einen Anstieg der NMDA Aktivität produzieren und gezeigt haben, dass ihre toxischen Reaktionen größtenteils durch NMDA Antagonisten reduziert werden. Bisher gab es zwei Hauptzielpunkte für Giftstoffe – etwas, was als Genotoxizität für viele Karzinogene genannt wurde – und ein zweiter, endokrine Störung. Somit ist dies ein dritter Hauptzielpunkt, und er ist mit ziemlicher Sicherheit wichtiger als endokrine Störung, in Bezug auf seine Auswirkung auf die menschliche Gesundheit.

Ich hatte eine wundervolle Reise nach Europa im November 2008, die Tour, auf der ich in sechs Ländern sprach, endende damit, dass ich als einziger Nicht-Europäer zu einer besonderen Sitzung über Umweltmedizin im EU-Parlament eingeladen wurde. Aber diese nächste Reise verspricht noch vielversprechender zu werden.

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 7. Feb. 2010

Kontakt:

Martin L. (Marty) Pall

Professor Emeritus für Biochemie und Medizinische Wissenschaften an der Washington State University

503-232-3883

martin_pall@wsu.edu

www.thetenthparadigm.org

Deutschsprachige Webseite: Martin Pall

Weitere CSN Blogs über die Arbeit von Prof. Martin Pall:

Orientteppiche zu Schleuderpreisen – ACHTUNG: Mottengift inklusive!


Auf dem Weg in die City kam ich am exklusiven Teppichladen vorbei. Eigentlich schau ich da schon nicht mehr hin, doch heute lenkte ein riesengroßes, rotes Prozentzeichen für Ausverkauf meinen Blick in die Richtung. Es waren sogar mal Leute drin, was bei diesem Orientteppichladen äußerst selten ist, obwohl die Teppiche vom Aussehen her sehr attraktiv sind – Orientteppiche sind eben out. Wer legt sich solche Staubfänger auch noch in die Wohnung? Und die Zeiten, dass jemand tatsächlich glaubt, das seien Wertanlagen, na ja, die ist längst vorbei. Das kann kein Teppichhändler mehr als Verkaufsargument vorbringen. Doch zurück zum Teppichladen auf dem Weg in die City. Was sehn meine Augen mitten auf einem Stapel Perserteppiche, das Stück für ein paar Tausend Euro?

Eine Flasche Mottengift! Mitten im Verkaufsraum, Käufer und zwei Teppichhändler am reden, eine Sprühflasche Mottengift mit Nervengiften. Mahlzeit, dachte ich, zückte die Kamera, um ein Bild für Euch zu machen und für meine Oma, die immer noch einige dieser Mottenpfiffis herum liegen hat und mir bisher nie glauben wollte, dass die teuren Dinger wegen Mottenfraßgefahr mit gesundheitsgefährlichen Nervengiften ausgerüstet sind. Meistens mit Pyrethroiden wie z.B. Permethrin. Doch ich wollte genau wissen, was im aktuellen Fall in der Sprühflasche, die ich gesehen hatte, an Gift drin ist. Im Internet wurde ich nach weniger als einer Minute in einem Profishop für Kammerjäger fündig.

Inhaltsstoffe: Esbiothrin und Permethrin.

Sicherheitshinweise: „Nicht einatmen. Nur in gut gelüfteten Bereichen verwenden. Berührung mit der Haut vermeiden.

Erste Hilfe Maßnahmen: Bei Unwohlsein Arzt aufsuchen. Symptomatische Behandlung“

Ich bin dann gleich bei meiner Großmutter vorbei,  hab Ihr mein Erlebnis auf dem Weg in die City erzählt und ihr das Bild gezeigt. Die hat die Farbe gewechselt, sag ich Euch, meine Omi, und meinte nur noch: „Oh Thommy!“.

Neues Buch zeigt Ursachen von Umweltkrankheiten und vieler chronischer Krankheiten auf, einschließlich Alzheimer, Parkinson, MS

Rezension zum Buch „Umweltschadstoffe und neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns (Demenzkrankheiten)“ 

Neues Buch H-U. HillViele chronische Krankheiten, die langsam fortschreiten und zu zunehmenden Allge-meinbeschwerden führen, wurden in den letzten Jahren als Folge von andauernden Expositionen der Betroffenen gegenüber Umweltchemikalien beschrieben, darunter das Chronische Erschöpfungssyndrom, die Toxische Enzephalopathie, das Lösungs-mittel- und Holzschutzmittel-Syndrom, die Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS), um nur einige zu nennen. Aber auch die in der Häufigkeit innerhalb der Bevölkerung rasant zunehmenden Demenzerkrankungen wie die Parkinson-Krankheit, die Alzheimer-Krank-heit, die Multiple Sklerose und andere, die irreversibel bis zum Absterben ganzer Hirnregionen verlaufen, werden durch eine zunehmende Zahl von wissenschaftlichen Befunden mit Expositionen gegenüber Umweltchemikalien in Zusammenhang gebracht.   

Die Wissenschaft hat vielfältige Hinweise dafür geliefert, dass als Folge der Wirkungen dieser Chemikalien chronisch entzündliche Krankheitsprozesse im Gehirn ablaufen, die sich selbst verstärken und verselbständigen, und dies auch dann, wenn in den Körperflüssigkeiten die auslösenden Chemikalien mit den gängigen laboranalytischen Methoden schon lange nicht mehr nachweisbar sind. 

Das Buch von H.U. Hill beschreibt ausführlich neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den biochemischen Mechanismen dieser Demenzkrankheiten und kommt zu dem Schluss, dass Umweltchemikalien neben anderen Faktoren als Auslöser dieser irreversibel verlaufenden schweren Krankheiten in Frage kommen. Dies wird sowohl durch epidemiologische Daten als auch durch die biochemischen Mechanismen der Krankheiten belegt. Auffällig ist dabei, dass die Krankheitsmechanismen in wesentlichen Merkmalen mit den von Pall in seinem Buch „Explaining unexplained Illnesses“ (2007) beschriebenen Mechanismen chronischer Multisystem-Erkrankungen, zu denen auch die Multiple Chemikalien Sensitivität (MCS) gehört, übereinstimmen. Dies wird am Beispiel des oxidativen und nitrosativen Stresses, der Aktivierung des NMDA-Rezeptors und des Stickstoffoxid-Peroxynitrit-Zyklus aufgezeigt. 

Das Buch nimmt eine Gegenposition ein zu einem Kausalitätsverständnis von Gutachtern, die Langzeitwirkungen von Chemikalien im Gehirn außer Acht lassen und nur akute toxische Wirkungen von Chemikalien-Expositionen als bewiesen gelten lassen. Leider aber verhalten sich die chronischen Wirkungen von Chemikalien besonders im Gehirn und Nervensystem nicht so, wie dies die kurze Halbwertszeit der Erkenntnis zeitlicher Zusammenhänge bei Gutachtern, Richtern, Vertretern des Gesundheitswesens und Politikern zulässt. 

Vorangestellt ist ein Kapitel, in dem exemplarisch die neurotoxischen Wirkungen einiger wichtiger Chemikalien dargestellt werden. Dabei weisen aktuelle Erkenntnisse über Wirkungen von Insektiziden vom Typ der organischen Phosphorverbindungen (Organophosphate) bereits auf die Mechanismen chronisch-degenerativer Demenz-Erkrankungen hin. Das Buch macht deutlich, dass diese Pestizide und andere Umweltchemikalien für die rasante Zunahme von Demenzkrankheiten in den Industrieländern verantwortlich gemacht werden können. 

Hans-Ulrich Hill: „Umweltschadstoffe und Neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns (Demenzkrankheiten)“, 162 S., 3 Abb., Preis: 19,80 Euro, Shaker-Verlag Aachen, 2009, ISBN 978-3-8322-8582-1

Aufruf zur Hilfe: Umwelterkrankte wurden innerhalb weniger Monate zum Notfall

Hilfe - HELP

 

Aufruf zur Hilfe: Drei Umwelterkrankte brauchen dringend Hilfe zum Überleben

 

Wieder drei Notfälle, Menschen die unter Chemikalien-Sensitivität (MCS) leiden und niemand fühlt sich für sie verantwortlich. Die drei Schwerkranken brauchen umgehend eine schadstofffreie Unterkunft. Der Wohnraum, in dem sie bislang lebten, ist nicht mehr zu tolerieren für sie. Sie wurden Tag für Tag kränker. Das ist typisch für Menschen mit Chemikalien-Sensitivität im Endstadium, der Körper beginnt dann auf immer mehr zu reagieren, die Toleranz gegenüber ihrer Umwelt und Nahrungsmitteln sinkt und der Aktionsradius schmilzt gleichzeitig. Jetzt halten sich die drei kranken Menschen weitgehend draußen auf, aber die Witterung lässt dies nicht mehr lange zu. Was dann? In Vergangenheit sahen mehrfach ebenfalls schwer an Chemikalien-Sensitivität (MCS) Erkrankte nur noch den Suizid als Ausweg. 

Notfall Nr. 1

Einer der drei Notfälle, eine Frau, wurde nun von einer anderen schwerkranken, ebenfalls hochgradig chemikaliensensiblen Frau aufgenommen. Um dort bleiben zu können, musste sie ihrem Mann die Kleidung und das Bettzeug wieder mitgeben, alles war zu kontaminiert von Holzschutzmitteln und verursachte Reaktionen bei der Frau, die ihr Asyl gewährt. Ein Pullover und eine Jogginghose aus ihrem eigenen Bestand ist nun die einzige Kleidung, die vorhanden ist. Eine Rollmatratze, die von der Frau mitgebracht wurde, musste ebenfalls entsorgt werden, nun schläft sie ohne alles auf dem Boden. Sie friert und zittert den ganzen Tag. Etwas Neues kaufen ist schwer, sie toleriert nur Kleidung aus Bio-Baumwolle, die schon häufig gewaschen wurde. In diesem Asyl kann sie auch nicht länger als bis zum Wochenende bleiben, weil sie mittlerweile den nahegelegenen Wald (eine natürliche Schimmelquelle und den Holzgeruch, Terpene) auch nicht mehr toleriert. Ihr Mann ist körperlich am Ende, weil er tagsüber hart arbeitet und seine Frau wochenlang nachts in den Wald gefahren hat, damit sie für kurze Zeit beschwerdefreier war, bis auch das nicht mehr half. 

Notfall Nr. 2

Ein junger Mann konnte ebenfalls für ein paar Tage bei der netten Frau Asyl erhalten. Jetzt ist er wieder in seinem Apartment, das er nicht toleriert. Vorgestern kollabierte er in seinem Bad, stürzte dabei und verlor rund einen halben Liter Blut. Jetzt sucht er verzweifelt eine kleine Unterkunft, in der er sich erholen und wieder zu Kräften kommen kann. In den letzten beiden Monaten hat er 5 kg an Gewicht verloren, weil er zur Chemikalien-Sensitivität erschwerend kaum noch Nahrung toleriert. 

Notfall Nr. 3

Der dritte Notfall ist eine Frau von 50 Jahren, die ihr Haus wegen Belastung nicht mehr bewohnen kann. Auch sie ist verzweifelt auf der Suche nach einer Unterkunft, weil sie es draußen nicht mehr schafft. 

Keiner der drei Notfälle bekam adäquate medizinische Behandlung die stabilisierte, alle drei bemühten sich über ihre Kräfte hinaus darum. Für alle drei Notfälle sehen die nächsten Wochen düster aus. Was noch ernüchternder ist, sie sind keine Einzelfälle.   

Thommy’s MCS Blogfrage der Woche: 

  • Wer ist zuständig für diese Menschen, die sich nirgendwo in Innenräumen mehr aufhalten können, weil sie durch Chemikalien so hypersensibel wurden, dass sie jetzt auf alles reagieren? 
  • Wieso gibt es in Deutschland immer noch keine Umweltklinik, die für solche schweren MCS Notfälle bereitsteht? 
  • Warum gibt es keine Klinik mit adäquater Infrastruktur und Umweltbedingungen, die auch von Hypersensiblen vertragen wird? Eine Klinik mit konsequentem Duftstoff- und Rauchverbot, mit schadstofffreier Ausstattung. 
  • Ist es akzeptabel, dass Schwerkranke in der Natur vegetieren müssen und andere Schwerkranke helfen müssen, weil sich niemand sonst zuständig fühlt?

 

Realistisch betrachtet rechnen wir nicht mit offizieller Hilfe, deshalb ein Aufruf, ein Appell: 

Wer weiß rasche Hilfe, Rat oder eine Unterkunft für diese drei chemikalien- und elektrosensiblen Menschen in Not? Wer kann organisieren helfen?