Archiv der Kategorie ‘Behörden reagieren‘

Krebs durch Parfums und Duftstoffe?

Duftstoffe haben unser modernes Leben voll im Griff. So kommen wir alle, ob gewollt oder ungewollt, täglich mit unzähligen Düften in Kontakt, sei es durch parfümierte Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel, Duftkerzen, Textilsprays, Duftlampen, Raumduftsprays, modernem Air-Design in Kaufhäusern, wie auch durch medizinische Cremes und Salben usw. Kaum ein Verbraucher weiß, dass die Flut der unzähligen Düfte schwerwiegende negative Auswirkungen auf die eigene Gesundheit haben kann.

Versuchskaninchen Mensch?

Bei der Produktion von Aromen und Riechstoffen kommen weit über 3500 verschiedene chemische Substanzen zum Einsatz. Die Wirkung dieser unterschiedlichen Chemikalien auf den menschlichen Organismus und auf unser Gehirn ist kaum erforscht. Dass Duftstoffe unsere Gesundheit schädigen können, ist jedoch keine neue Erkenntnis. Das UBA warnt bereits seit vielen Jahren vor dem Einsatz von Duftstoffen. In medizinischen Kreisen wächst die Kritik am Einsatz von Duftstoffen, da die Zahl der durch Düfte schwer erkrankten Patienten (Asthma, Allergien und MCS) stetig ansteigend ist. In der Rangliste der Allergie-auslösenden Stoffe sind Duftstoffe und Aromen auf Platz zwei angesiedelt.

HNO-Ärzte und Lungenärzte schlagen Alarm – Krebsrisiko durch Duftstoffe stark erhöht

Für die Entstehung von Krebs sind neben dem Rauchen zunehmend weitere Faktoren unseres modernen Lifestyles mitverantwortlich. Lt. Meinung von Experten sind künstliche Düfte und Aromen geradezu Multiplikatoren, um an Krebs zu erkranken. Raucher, die in ihren PKW einen Duftbaum am Rückspiegel hängen haben, sind lt. Dr. Michael Jaumann, dem Vorsitzenden des Deutschen Berufsverbands der HNO-Ärzte, besonderen Gesundheitsgefahren ausgesetzt. Für ihn sind Duftbäume und Duftkerzen „Chemie-Schrott“. Zitat: „Was diese Produkte ausgasen, ist besonders für Raucher fatal. Denn für diese Personengruppe wird das Krebsrisiko nicht nur erhöht, sondern geradezu multipliziert.“

Auch Lungenärzte vertreten die Ansicht, dass Rauchen in Kombination mit Duftstoffen das Krebsrisiko um ein Vielfaches erhöht. Asthmatiker, Allergiker, empfindliche Personen und Kinder sind besonders gefährdet, durch Duftstoffe schwer zu erkranken. In von Öko-Test untersuchten Duftbäumen wurden u. a. hochallergene Duftstoffe, VOC (flüchtige organische Verbindungen), Weichmacher, wie z. B. hormonell wirksame Phthalate und Diethylphthalat (DEP) nachgewiesen.

Prof. Harald Morr, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lungenstiftung und Leiter der Pneumologischen Klinik Waldhof Elgershausen in Greifenstein, gibt zu bedenken, dass es nach der von Öko-Test durchgeführten Untersuchung keine „guten“ Duftbäume gibt. Demnach rät er auch Nicht-Rauchern dringend davon ab, sog. Raumverbesserer zu verwenden.

Auch Schwangere sollten Duftstoffe meiden

Werdende Mütter sollten auf parfümierte Kosmetika während der Schwangerschaft besser verzichten. In der Medizin ist bekannt, dass chemische Zusätze in Parfums und Körperpflegeprodukten die spätere Fortpflanzungsfähigkeit bei ungeborenen Jungen schädigen können. Ebenfalls können die in Kosmetika und Parfums zum Einsatz kommenden Chemikalien im späteren Leben zu Hodenkrebs führen.

Duftstoffe nicht wahllos einsetzten –  Einsatz in der Öffentlichkeit verringern

Auf Grund der Warnungen des UBA und vieler medizinischer Experten wäre es wünschenswert, dass man Duftstoffe nicht wahllos in der Öffentlichkeit einsetzt. Vielmehr müssten die Verantwortlichen dafür Sorge tragen, dass bei den Verbrauchern eine angemessene Aufklärung über die möglichen Risiken von Duftstoffen stattfindet. Ebenfalls muss gewährleistet werden, dass die Bevölkerung keinen ungewollten Duftexpositionen ausgesetzt wird, um die Unversehrtheit ihrer Gesundheit zu wahren. Umso unverständlicher ist es anzusehen, dass stets neue beduftete Alltagsprodukte Einzug in unser Leben finden und uns Verbraucher gesundheitlich schwer schädigen können. Vielmehr wäre es Zeit, endlich angemessen zu handeln, um den Einsatz von Duftstoffen in unserem Leben radikal zu verringern. Die europäische REACH-Richtlinie hat an den bislang bestehenden Begebenheiten nichts verbessert, daher bedarf es weiterer Maßnahmen, um die Gesundheit unserer Kinder und ahnungsloser Verbraucher zu schützen.

Autor: Maria Herzger, CSN – Chemical Sensitivity Network, 1. Februar 2010

Weiterführende Informationen und kostenlose Informationskarte über Duftstoffe und deren Gefahren, erhalten Sie bei CSN >>>  Infomaterial

Künstlich erzeugte Verwirrung über den ICD-10 zu MCS

In einer internationalen Newsgruppe für Aktivisten und Wissenschaftler, die sich mit dem Themengebiet Umweltkrankheiten, toxisch bedingte Erkrankungen und Chemikalien-Sensitivität auseinandersetzen, wurde von einer deutschen Aktivistin ein Eintrag bzgl. des ICD-10 zu MCS eingebracht. (Siehe Anlage) Sie führte darin ein Antwortschreiben von DIMDI auf, das sie auf ein Anfrageschreiben ihrerseits erhalten hatte. Diese Antwort des DIMDI bewertete sie fehlerhaft und übersetzte sie teilweise falsch, auch unter Auslassen wichtiger Punkte, ins Englische.

So wurde bspw. der im Brief von DIMIDI angeführte Begriff „Qualitätssicherung“ unterschlagen. Dieser ist aber von essentieller Bedeutung, da nur die Qualitätssicherung in Form einer exakten Diagnostik gemäß international anerkannter Kriterien eine adäquate Therapie zur Folge haben kann, was im Rahmen des „QM“ (Qualitätsmanagement) in der deutschen Medizin eine zentrale Rolle einnimmt. Die Leser, die das deutsche Originalschreiben nicht lesen konnten, wurden folglich gänzlich verwirrt und fehlinformiert über den Stellenwert des MCS ICD-10 in Deutschland.

Dr. Tino Merz, Sachverständiger für Umweltfragen nimmt Stellung:

Künstliche Verwirrung über den ICD-10

Es immer wieder faszinierend zuzuschauen, was alles möglich ist. Damit nicht alles möglich ist, haben wir die Ärzteinformation publiziert. Dort finden sich für MCS, CFS, FM und TE die ICD-10 Klassifikation der WHO und die Diagnosekriterien zur jeweiligen Diagnose, ohne viel Kommentar. Aber wie sich zeigt, kann man auch das noch durcheinander bringen.

ICD 10 – Liste der Diagnosen

Deshalb und weil es nicht das erste Mal ist, dass über falsche Vorstellungen falsche Schlüsse gezogen wurden, in aller Klarheit: die internationale Klassifikation von Krankheiten 10. Auflage (ab 1992) ist eine Liste von ca. 70 000 Diagnosen, die in 26 Hauptkategorien eingeteilt sind. Die Diagnosen, die dort aufgenommen werden, sind anerkannte und damit gültige Diagnosen. Das ist wichtig für die Juristerei. Die medizinische Definition (etwa Diagnosekriterien) sind dort nicht aufgeführt.

Zerreden des ICD-10: Thema verfehlt

Weil das so ist, haben wir in der Ärzteinformation beides aufgeführt. Für die Diagnosestellung sind die Diagnosekriterien da, die ICD-10-Bezeichnung für die rechtliche Zuordnung. „T78.4 … Allergie, nicht näher bezeichnet“ ordnet MCS den äußeren Verletzungen zu und zwar als erworbener Immunschaden in der Ausprägung einer unspezifischen Allergie oder Überempfindlichkeit. Schon vor einiger Zeit meinte eine Aktivistin, das sei ungenügend. Zur Begründung hat diese wissenschaftliche Argumente angeführt. Nun, damit war das Thema verfehlt. Der ICD-10 ist eine formale Zuordnung. Ganz falsch ist der Satz „T78.4 does not recognize „MCS“ as a medical diagnosis.“ Denn genau das tut die ICD-10 Liste: sie anerkennt MCS als definierte Diagnose.

Künstliche Verwirrung stiftet Schaden

Seit das so ist, zusammen mit der Klassifikation als physische und äußere Verletzung, hören die Versuche nicht auf, das, was seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich entschieden ist, relativieren zu wollen. Die Umdeutung in „IEI“ hat die WHO 1996 zurückgewiesen. Die Psychothese wurde erst formuliert, als der internationale Diskurs entschieden war, eben mit dem ICD-10-Eintrag. Der Trick dabei ist genial. Da Chemikalien die psychischen Funktionen beschädigen, wendet man genau das gegen die Geschädigten. Die Psychothese vertauscht Ursache und Wirkung. Man kann so eine Studie immer so falsch interpretieren, wie man will. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun (s. Blog: Erlanger Fake). Doch damit gelingt es, Verwirrung zu stiften. Gekoppelt wird dies mit Lautstärke und Einschüchterung. Der Nachsatz des DIMDI zeigt, dass die Sachbearbeiterin keinen Ärger wollte. Die fragende Aktivistin hat den klassischen Fehler gemacht: „Frage nie etwas, deren Antwort Du nicht genau kennst“. Nun urteilt die fragende Aktivistin auch noch falsch: sie behauptet als neue Erkenntnis („eye-opening“), im ICD-10 seien gar keine anerkannten Diagnosen gelistet. Was denn dann? Das ist der eigentliche Sinn des ICD. So etwas trauen sich noch nicht einmal jene, die die Psychothese vertreten. Solcher Unfug ist deshalb äußerst hilfreich, und zwar zum Zwecke der Verwirrung, zum Schaden der Geschädigten.

Außer Frage: Umweltkrankheiten sind längst anerkannt

Niemand kann ernsthaft wegdiskutieren, dass die Umweltkrankheiten längst anerkannt sind. Aber mit Halbwahrheiten und Verdrehungen kann man fast alles erreichen, wenn die Betroffenen sich nicht schlau machen. So bekommt die Gegenseite sie dorthin, wo sie sie hinhaben will.

Als Gutachter muss ich immer wieder erleben, dass Verfahren scheitern, weil die Mandanten nach ihren Vorstellungen – falsch – entscheiden, weil sie die rechtlichen Grundlagen und die rechtlichen Interpretationen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht kennen und die Ratschläge in den Wind schlagen.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 29. Januar 2009

Weiterführende Informationen:

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ANLAGE

Eintrag der Aktivistin in Newsgruppen Anfang Januar:

The German ICD-10 Coding Guidelines have taken on an important role in Germany since 2002. Because of the cross mapping from the German payment system (known as the Fallpauschel [FP] and Sonderentgelt [SE]) for the hospital inpatient billing requirements to the implementation of the German DRG (G-DRG) payment system, an increasing awareness for the necessity of correct coding could be seen. As of August 15, 2003, Germany named the ICD-10 version  ICD-10-GM (German Modification). Usage of the ICD-10-GM: In Germany, the practicing physician is legally responsible for documenting and coding patient charts that are seen in his/her office, and the hospital physician is legally responsible for documentation and coding of the hospital inpatient/outpatient admissions.

Multiple Chemical Sensitivity (MCS) has been formally registered as a physical illness by the German Institute of Medicine, Documentation and Information, and is classified within the German version of the World Health Organization (WHO) International Classification of Diseases ICD-10-GM, Code T 78.4… allergy, unspecified.

For clarification whether MCS has been recognized as a physical illness or not, I wrote to Dr. Ursula Kueppers at the DIMDI. On December 22, 2009 she sent the below reply. An eye-opener to me are the last sentences of her e-mail:

„The ICD-10 can only partly be helpful in deciding the obviously unsolved controversy whether a disease like MCS is to be listed under physical illnesses or mental (psychogenetic, psychiatric) disorders. The facts of this issue have to be discussed by medical experts and can only be answered by them.“

The essence of her statement is that ICD-10-GM, code T78.4 does not recognize „MCS“ as a medical diagnosis. The German government simply put „MCS“ into the index of the German ICD-10-GM for different purposes (statistics, payment, etc.) in the National Health Care System.

Best to everyone,

xxx

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ÜBERSETZUNG des Eintrags

Die Deutschen Vorgaben zur ICD-10 Kodierung spielen seit 2002 eine bedeutende Rolle in Deutschland. Wegen dem Cross Mapping zwischen dem Deutschen Abrechnungssystem (bekannt als Fallpauschale [FP] und Sonderentgelt [SE]) für die Abrechnung stationärer Behandlung in Krankenhäusern und der Anwendung des Deutschen DRG Abrechnungssystems (G-DRG/German Diagnosis Related Groups), kann ein zunehmendes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer korrekten Kodierung beobachtet werden. Mit Wirkung des 15. August 2003 nannte Deutschland seine ICD-10 Version ICD-10-GM (German Modification). Zur Gebrauch des ICD-10-GM: In Deutschland ist der praktizierende Arzt gesetzlich verpflichtet, die Befunde jener Patienten zu dokumentieren und zu kodieren, die bei Ihm in der Praxis waren und der Krankenhausmediziner ist gesetzlich verpflichtet, die Einweisungen von stationären und ambulanten Patienten zu dokumentieren und zu kodieren.

Multiple Chemical Sensitivity (MCS) wurde durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) formell als eine körperliche Erkrankung registriert und ist im ICD-10-GM, der Deutschen Version der Internationalen Klassifikation von Krankheiten der World Health Organization (WHO) mit dem Code T 78.4… Allergie, nicht näher bezeichnet, klassifiziert. [Das DIMDI wird im Originaltext fehlerhaft als Institut für Medizin, Dokumentation und Information bezeichnet!]

Um zu klären, ob MCS als eine körperliche Erkrankung anerkannt wurde oder nicht, schrieb ich Dr. Ursula Küppers vom DIMDI an. Am 22. Dezember 2009 schickte sie mir die untenstehende Antwort. Die letzten Sätze ihrer Email sind für mich ein Augenöffner:
„Der ICD-10 kann nur zum Teil nützlich sein um die offenbar ungelöste Frage zu entscheiden ob eine Erkrankung wie MCS unter körperlichen Krankheiten oder unter mentalen (psychogenerierten, psychiatrischen) Störungen aufgeführt werden sollte. Die Fakten dieser Angelegenheit sollten von medizinischen Experten diskutiert werden und können nur durch sie beantwortet werden.“

Die Essenz ihrer Aussage ist, dass der Code T78.4, ICD-10-GM, „MCS“ nicht als eine medizinische Diagnose anerkennt. Die Deutsche Regierung hat „MCS“ lediglich für verschiedene Zwecke (Statistik, Abrechnung, etc) in den Index des Deutschen ICD-10-GM aufgenommen.

Allen alles Gute
xxx


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Zitiertes Antwortschreiben  des DIMDI

Sehr geehrte Frau xxxx,

leider komme ich erst jetzt dazu, Ihre Anfrage zu beantworten.

Die ICD-10-GM wird in der Bundesrepublik Deutschland für verschiedene Zwecke im Gesundheitswesen eingesetzt (u.a. Entgeltsysteme, Qualitätssicherung, statistische Zwecke). Die ICD-10-GM basiert auf der ICD-10-Ausgabe der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Die ICD-10 (-GM) definiert Krankheiten in der Regel nicht, sondern sie teilt Erkrankungen nach bestimmten Gesichtspunkten in Kapitel, Gruppen, etc. ein. Diese Struktur der ICD-10(GM) hat historische Wurzeln. Näheres können Sie darüber nachlesen im Band 2 (Regelwerk) der ICD-10-WHO-Ausgabe (zu finden z.B. unter http://www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/downloadcenter/icd-10-who/version2006/regelwerk/ ).

Der aktuelle Stand bzgl. MCS ist, dass MCS in der ICD-10-GM derzeit unter „T78.4 … Allergie, nicht näher bezeichnet“ kodiert wird und damit nicht dem Kapitel V – Psychische und Verhaltensstörungen zugeordnet ist. Für die Kodierung unter T78.4 spricht aus meiner Sicht der dort angegebene Hinweistext „Diese Kategorie ist zur primären Verschlüsselung zu benutzen, um anderenorts nicht klassifizierbare Schäden durch unbekannte, nicht feststellbare oder ungenau bezeichnete Ursachen zu kennzeichnen. Bei der multiplen Verschlüsselung kann sie zusätzlich benutzt werden, um Auswirkungen von anderenorts klassifizierten Zuständen zu kennzeichnen.“

Zur Entscheidung der offenbar ungeklärten Streitfrage, ob eine Erkrankung wie MCS den organischen oder den psychischen Krankheiten zuzuordnen ist, kann die ICD-10 nur bedingt helfen. Diese Frage muss in der Sache von den medizinischen Experten diskutiert werden und kann auch nur von diesen beantwortet werden.“

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag

Dr. Ursula Küppers

DIMDI – Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information

Medizinische Klassifikationen

www.dimdi.de

Das DIMDI ist ein Institut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG).

Antwort der Europäischen Kommission auf eine Anfrage zur Umweltkrankheit Multiple Chemical Sensitivity

Jüngst setze sich das Europäische Parlament mit der Anfrage eines italienischen Politikers auseinander, ob MCS – Multiple Chemical Sensitivity eine seltene Erkrankung ist und demnach besondere Unterstützung bereitgestellt werden muss. Die EU-Kommissarin für Gesundheit gab hierzu eine Stellungnahme ab, die verdeutlicht, dass MCS keine seltene Erkrankung ist und international mit einem ICD-10 Code als unspezifische Allergie einklassifiziert ist.

Seltene Krankheiten

Als seltene Krankheit wird eine Erkrankung dann bezeichnet, wenn sie in den Praxen von Allgemeinmedizinern in der Regel höchstens einmal pro Jahr vorkommt. Auf EU-Ebene gilt die Definition, dass eine Krankheit dann als seltene Krankheit (Orphan Disease) bezeichnet wird, wenn weniger als 5 pro 10 000 Einwohner darunter leiden. Es handelt sich dabei oft um schwere und chronische Krankheiten.

Anfrage eines Mitglieds des EU-Parlaments bzgl. MCS

Am 4. November 2009 stellte Oreste Rossi, italienisches Mitglied des EU-Parlaments, eine schriftliche Anfrage an die EU-Kommission hinsichtlich der Diagnostik, Behandlung und Versorgung von MCS-Kranken.

In seiner Anfrage gab das Parlamentsmitglied zu verstehen, dass er MCS für eine in Italien selten auftretende, umweltbedingte Erkrankung hält. Das Parlamentsmitglied erklärte zu Beginn seiner Anfrage die Erkrankung. Er erläutert, dass MCS-Kranke auf Pestizide, Desinfektionsmittel, künstliche Parfüme, Deodorants und Raumluft-Erfrischer, bedrucktes Papier, Tinte, Kunststoffe, Medikamente, Betäubungsmittel, Textilien und Kleidung und alles, das man aus Erdöl oder Erdgas herstellen kann, reagieren und dies selbst in geringfügigster Konzentration.

Der Parlamentarier fuhr in seiner Beschreibung fort, dass Multiple Chemical Sensitivity eine der schlimmsten Krankheiten der Welt sei. Sie führe zur vollständigen Behinderung, und damit zu einer vollständigen Isolation und mache es unmöglich, auf irgendeine Art am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Oreste Rossi ging in seiner Anfrage auch auf die Situation MCS-Kranker in den USA ein, da die Krankheit dort schon länger im Brennpunkt der Diskussion steht und die Erkrankten bereits über Rechte verfügen. Er lies das EU Parlament wissen, dass MCS in den Vereinigten Staaten (wo es 35 Millionen Erkrankte gibt) eine anerkannte Krankheit sei, man sich in Italien jedoch seit einigen Jahrzehnten weigere, MCS in das Register der seltenen Erkrankungen aufzunehmen, und so blieben die Patienten unsichtbar in Bezug, was ihre Rechte angehe. Dieses Problem noch länger zu ignorieren würde das Eingeständnis darstellen, dass es immer noch Bürger zweiter Klasse gibt, denen man das Recht auf Gesundheit verwehrt.

Der italienische Parlamentarier teilte in seiner Anfrage mit, dass er davon ausgehe, dass in seinem Land rund 4 000 Menschen unter MCS leiden. Seine gezielte Frage an das EU-Parlament galt der Versorgung MCS-Kranker in Italien, da die Krankheit dort, im Gegensatz zu Deutschland und einigen anderen Ländern, bislang nicht im ICD-10 aufgenommen ist.

Oreste Rossi stellte dem EU-Parlament die Frage, ob die Kommission beabsichtige, Menschen in den Mitgliedstaaten, die an MCS leiden, auf vorbildliche Weise die notwendige Unterstützung und eine angemessene Versorgung zu gewähren.

In einer zweiten Frage wollte er wissen, ob die Kommission die nötigen Schritte einleiten werde um sicherzustellen, dass MCS in die nationalen Listen der Seltenen Erkrankungen aufgenommen werden kann und dass Patienten von allen finanziellen Beiträgen für Diagnose und Behandlung freigestellt werden.

Antwort des EU-Gesundheitsausschusses

Am 18. November 2009 erfolgte die Antwort der EU-Kommission durch die Vorsitzende, Androulla Vassiliou, EU-Kommissarin für Gesundheit.

Die EU-Kommissarin teilte dem italienischen Parlamentarier mit, man sei sich bewusst, was Multiple Chemical Sensitivity für die Patienten, die daran leiden, bedeutet. Diese Erkrankung werde auf internationaler Ebene im ICD (International Classification of Diseases) als unspezifische Allergie aufgeführt. Dies sei eine Gruppe verschiedener Erkrankungen, von denen viele eine größere Prävalenz (Häufigkeit des Vorkommens) besitzen, als der Schwellenwert für Seltene Erkrankungen, der auf EU-Ebene mit weniger 5 von 10.000 Einwohner festgelegt sei, wie dies in der Kommissions- Mitteilung zu Seltenen Erkrankungen ausgeführt sei.

Die EU-Kommissarin ließ in ihrer Antwort wissen, dass diese Mitteilung eine Gesamtstrategie der Gemeinschaft für Seltene Erkrankungen darstelle, auch solche wie seltene Formen von MCS.

Die Strategie umfasse den Austausch von Informationen zu Seltenen Erkrankungen über bestehende Europäische Nachrichten-Netzwerke und die Entwicklung von Strategien und Mechanismen für den Informationsaustausch und die Koordination auf EU-Ebene, um die Arbeit und grenzüberschreitende Kooperation anzuregen. Man wolle die Anerkennung und Sichtbarkeit von Seltenen Erkrankungen verbessern, mehr Forschung zu Seltenen Erkrankungen anregen und Zentren der Expertise und Fachleute in verschiedenen Ländern zusammenbringen. Dies solle durch die Einrichtung Europäischer Referenz-Netzwerke geschehen, um Wissen und Expertise auszutauschen und um gegebenenfalls sagen zu können, wohin sich Patienten wenden können, wenn es nicht möglich ist, ihnen solche Expertise zugänglich zu machen.

Forschung über Wechselbeziehungen zwischen Umwelt-Risikofaktoren und der Gesundheit des Menschen, erläuterte die EU-Kommissarin, würden im Siebten Forschungs-Rahmenprogramm gefördert. Auf diesem Gebiet geförderte Projekte sollen ein besseres Verständnis wissenschaftlicher Unsicherheiten über die Wirkung von Umwelt-Stressoren auf die menschliche Gesundheit ermöglichen. Solches Wissen könne potentiell für umweltbedingte Erkrankungen wie Multiple Chemical Sensitivity von Nutzen sein. Die EU-Kommissarin für Gesundheit teilte abschließend mit, dass die Kommission durch ihr Forschungs-Rahmenprogramm (FP7) auch für die klinische und physiopathologische Definition von MCS Unterstützung bereitstellen könne. Dies würde helfen, die Prävalenz und die verschiedenen Formen von MCS, einschließlich der seltenen Formen, besser zu definieren und zu überprüfen.

In Bezug auf die Zuständigkeit ließ die EU-Kommissarin wissen, dass die Festlegung einer bestimmten Erkrankung als selten in einem Mitgliedstaat den nationalen Behörden obliege. Dies hänge jedoch von der besonderen Prävalenz der besagten Erkrankung in jenem Land ab. Außerdem falle in der EU die Bereitstellung von Gesundheitsvorsorge in die alleinige Verantwortung eines Mitgliedstaates. Daher müsse Italien selbst herausfinden und entscheiden, wie man Diagnose, Behandlung und Pflege, einschließlich Schmerzversorgung, für MCS bereitstelle.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 26. Januar 2010

Literatur:

  • Oreste Rossi (EFD) Anfrage P-5468/2009 EU-Kommission, 4 November 2009
  • Androulla Vassiliou, Antwort der EU-Kommission durch die Vorsitzende, EU-Kommissarin für Gesundheit, 18. November 2009

Spanisches Gesundheitsministerium trifft sich mit Multiple Chemical Sensitivity Selbsthilfegruppen

PRESSEINFORMATION

BARCELONA – Am 15. Januar 2010 wurde der Generalsekretär des Spanischen Gesundheitsministeriums von „Carne Cruda“ (Rohes Fleisch) interviewed. In dieser Sendung im Dritten Programm des Spanischen Rundfunks, in der es um Multiple Chemical Sensitvitiy ging, versprach dieser, sich innerhalb von zehn bis zwanzig Tagen mit MCS-Selbsthilfegruppen zu treffen.

Diese Pressemitteilung soll Sie über die aktuellen Vorgänge informieren. Wir wollen für größtmöglichste Transparenz sorgen und Sie alle teilhaben lassen.

Das Treffen wird am 4. Februar 2010 im Gesundheitsministerium stattfinden. Der Generalsekretär des Gesundheitsministeriums, Herr José Martínez Olmos und Herr Alberto Infante Campos, der Generaldirektor der Ordenación Profesional aus Nationalem Gesundheitssystem SNS (Sistema Nacional de Salud) und oberster Aufsichtsbehörde, werden an dem Treffen teilnehmen und das Gesundheitsministerium vertreten. Nach den Vorgaben des Gesundheitsministeriums soll aus jeder MCS-Selbsthilfegruppe eine Person teilnehmen, sowie ein Rechtsanwalt und ein auf MCS spezialisierter Mediziner.

David Palma leistet die für dieses Vorgehen nötige Koordinationsarbeit ehrenamtlich.

Wir erarbeiten zurzeit ein Petitions-Dokument, das von allen MCS-Selbsthilfegruppen unterschrieben werden wird. Dieses Dokument wird bei obigem Treffen dem Ministerium zusammen mit Informationen zu MCS übergeben.

Die folgenden MCS-Gruppen werden am Treffen teilnehmen:

Diese Pressemitteilung soll Sie darüber unterrichten, dass wir alle zusammenarbeiten werden, um aus dieser großen Chance das Beste zu machen. Wir haben ein gemeinsames Ziel: MCS soll in Spanien offiziell als körperliche Erkrankung anerkannt werden und wir möchten, dass alle Erkrankten die gleichen Rechte wie andere chronisch Kranke haben sollen.

Die englische Übersetzung von Eva Caballé erschien am 25.01.2010 auf ihrem No Fun Blog.

Deutsche Übersetzung: BrunO

Offener Brief: Duft-Briefmarken schränken Behinderte ein

Briefmarken mit Duft könnenm empfindlichen Personen gesundheitlich zusetzen

CSN nimmt Duft-Briefmarken unter die Lupe


Am 7. Januar übergab Finanzminister Schäuble die neuen Wohlfahrtsbriefmarken an Bundespräsidenten Horst Köhler und an Frau Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg, Präsidentin der  Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. Das Besondere an den Briefmarken für dieses Jahr: Sie duften nach Obst: Heidelbeere, Erdbeere, Zitrone und Apfel. Die Duftstoffe wurden mikroverkapselt und sollen laut Beschreibung erst durch Reibung freigesetzt werden.

Die duftenden Briefmarken riechen auch ohne Reiben

CSN wollte wissen, ob die Briefmarken tatsächlich erst beim Darüberreiben duften und ließ die Duft-Marken besorgen. Auf die Bitte, die neuen Wohlfahrtsmarken kaufen zu wollen, zog die Dame am Postschalter einen Extra-Ordner hervor und bemerkte fast ehrfürchtig: „Oh ja, das sind die neuen duftenden Briefmarken“. Sie nahm einen Bogen mit Briefmarken hervor, die Heidelbeeren abbildeten, und vermeldete erfreut: „Das kann man ja wirklich riechen, auch ohne reiben.“

Es wurden zwei Wohlfahrtsmarken von CSN erworben und unter die Lupe genommen. Beide Briefmarken riechen auch ohne dass man mit dem Finger darüber reibt. Die Erdbeer-Briefmarke verströmt genau genommen einen Geruch wie eine billige Zahncreme mit Erdbeergeschmack und der Geruch der Zitronen-Briefmarken erinnert an Toilettenreiniger mit künstlichem Zitronenduft. Von natürlichem Obstgeruch keine Spur. Insbesondere der Zitronenduft intensivierte sich schon beim kurzfristigen Liegenlassen der Briefmarke bei Raumtemperatur. CSN verzichtete darauf den Geruch durch Rubbeln richtig zu aktivieren. Es ist damit zu rechnen, dass sich der Duft der Marken durch unvermeidbares Aneinanderreiben von Briefen auf dem Postweg und beim Durchlaufen der Sortieranlagen in den Postzentren intensiviert. Daher ist es durchaus möglich, dass die Duft-Briefmarken auch andere Post kontaminieren.

Falls die verwendeten Duftstoffe auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit geprüft wurden, würde es der so oft beschworenen Transparenz dienen, wenn bekannt wäre, nach welchen Kriterien von gesundheitlicher Unbedenklichkeit und mit welchen Methoden getestet wurde. Wurde ein gesunder Durchschnittsbürger oder ein Embryo als Modell zugrunde gelegt? Hat man die Duftstoffe an sich, oder die mit ihnen ausgerüstete Druckfarbe getestet? Hat das Material der Briefmarke einen Einfluss auf die Verträglichkeit? Die Infos der Bundesdruckerei legen nahe, dass bereits beim Drucken erste Spuren der Duftstoffe freigesetzt werden.

Duftstoffallergiker, Chemikaliensensible und Personen, die empfindlich auf Duftstoffe reagieren, kann dieser Werbegag gesundheitlich beeinträchtigen.

Als Resonanz schrieb CSN am 11. Januar den nachfolgenden Offenen Brief:


Offener Brief (vorab per E-Mail)

Duft-Briefmarken schränken Behinderte ein


Sehr geehrter Herr Bundespräsident Dr.Horst Köhler,

sehr geehrte Frau Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg,

sehr geehrter Herr Dr. Wolfgang Schäuble,

Sie haben am 7. Januar im Berliner Schloß Bellevue gemeinsam die neuen vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenen Wohlfahrtsmarken vorgestellt, welche beim Reiben Duftstoffe mit Apfel-, Erdbeer-, Heidelbeer- oder Zitronenaroma freisetzen. Wir möchten Sie dazu auffordern, diese auf den ersten Blick sympathische Idee noch einmal zu überdenken und bitten Sie, Herr Dr. Schäuble, als Bundesfinanzminister höflichst, diese Postwertzeichen wieder aus dem Verkehr zu ziehen, da sie für Personengruppen mit bestimmten Behinderungen und Gesundheitsbeschwerden eine unterschätzte und nicht akzeptable Gefahr darstellen.

Wäre es nicht makaber, wenn einem Teil jener Menschen, denen mit diesen Wohlfahrtsmarken geholfen werden soll, durch deren in Umlauf bringen gesundheitliches Leid zugefügt würde? Ist Ihnen die kritische Haltung des Umweltbundesamtes zu Duftstoffen nicht bekannt? Das UBA weist seit Jahren darauf hin, dass Duftstoffe im öffentlichen Bereich vermieden werden sollten. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) geht davon aus, dass (nach Meggs et al. 1996) rund 11 Prozent der Bevölkerung, das wären heute gut 9 Millionen Menschen, von einer olfaktorischen Hypersensitivität gegenüber Duftstoffen betroffen sind und fordert Warnschilder für beduftete Räume.

Kann man bei Menschen, die auf Duftstoffe mit gesundheitlichen Beschwerden reagieren, von einer Behinderung sprechen?

Nach dem Americans with Disabilities Act (ADA) gilt eine Person als behindert, die durch eine körperliche oder seelische Behinderung in einer oder mehreren Lebensaktivitäten substantiell eingeschränkt ist, die eine Krankengeschichte oder einen Befund zu einer solchen Behinderung besitzt oder die von anderen als derartig behindert wahrgenommen wird.

Das von der Bundesregierung am 30. März 2007 unterzeichnete Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-Behindertenkonvention) definiert behinderte Menschen als Personen, die unter langfristigen, körperlichen, seelischen, geistigen oder sensorischen Einschränkungen leiden, welche sie aufgrund diverser Barrieren an einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hindern können.

Parfümierte Postwertzeichen schränken Allergiker, Asthmatiker, Chemikalienkranke und andere empfindliche Menschen in ihrer Lebensführung auf unzumutbare Weise ein, was gegen die UN-Behindertenkonvention verstößt und auch dem im ADA formulierten Schutz behinderter Menschen nicht gerecht wird. Sehr empfindliche Kranke und solche, die unter Kontaktallergien auf Duftstoffe leiden, brauchen die Spuren dieser Stoffe nicht einmal zu riechen und werden nichts ahnend den ihnen verbliebenen, meist in prekärer finanzieller Situation schadstofffrei hergerichteten Lebensraum verseuchen.

Bisher konnten Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen durch Duftstoffe wenigstens ihre Postsendungen ohne fremde Hilfe in Empfang nehmen und öffnen. Diese Autonomie und Lebensnormalität wird ihnen genommen. Wer mit körperlichen Reaktionen rechnen muss, wenn er mit Duftstoffen in Kontakt kommt, wird selber keine Postsendungen mehr in Empfang nehmen können und auf andere Menschen angewiesen sein, die ihm diese ‚Briefbomben‘ aussortieren. Möglicherweise geht eine komplette Zustellung verloren, weil ein einziger Brief mit einem parfümierten Postwertzeichen alle andere Post kontaminiert hat.

Zu Weihnachten 2004 gab es eine ähnliche Aktion mit Duftaufklebern zum Rubbeln. Anders als damals von einem Mitarbeiter der Deutschen Post AG behauptet, sind die Duftstoffe nicht unter sicherem Verschluss. Niemand kann sich sicher sein, dass nicht schon auf dem Versandweg jemand an den Briefmarken rubbelt oder dass diese Substanzen aufgrund mechanischer Einwirkungen freigesetzt werden. Postsendungen kamen damals von selber duftend an und werden dies heute wieder tun.

Durch solche Sendungen können u.U. Menschen, die bisher an keiner Allergie gelitten haben, sensibilisiert werden. Wurden die verwendeten Duftstoffe ausreichend daraufhin getestet? Würden Sie für deren Unbedenklichkeit ihre Hand ins Feuer legen? Ist Ihnen bekannt, dass die wenigsten in Deutschland verwendeten Duftstoffe auf ihre Verträglichkeit geprüft sind. Nach dem „Spezialbericht Allergien, 2000“ des Bundes sind etwa 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung von atopischen Krankheiten betroffen und ein Drittel ist allergisch sensibilisiert. Sollte nicht alles getan werden, diese Zahlen nicht weiter ansteigen zu lassen?

Duftstoffe lösen bei Menschen mit entsprechender Sensitivität eine Vielzahl von körperlichen Reaktionen aus. Je nach Erkrankung und Gesundheitszustand reichen diese von harmlosen Irritationen bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen. Folgende Beschwerden können einzeln oder in Kombination auftreten:

Müdigkeit, Niesen, Augenbrennen, gerötete Haut, Juckreiz, Bläschen, Entzündungen, Anschwellen und Brennen der Lippen, Brennen der Nasenschleimhäute, Brennen auf der Zunge, Zahnschmerzen, Husten, Stimmversagen, Atemnot, Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Migräne, Sprachstörungen, Gedächtnisstörungen, anhaltendes schmerzhaftes Übergeben, Herzschmerzen, Herzrasen, Schockzustand, Bewusstlosigkeit, Koma.

Häufig erhöht ein Vorfall mit Duftstoffen die Sensibilität für andere Substanzen oder macht eine über einen längeren Zeitraum durch Vermeidungsstrategien und gesunde Lebensweise mühselig erreichte Verbesserung des Gesundheitszustandes zunichte.

Nicht zuletzt können künstliche Düfte auch gesunde Menschen in ihrem ästhetischen Empfinden belästigen und erreichen nie die Sinnlichkeit ihrer Vorbilder. Legen Sie ein paar Äpfel vom Biobauer in Ihr Schlafzimmer und vergleichen sie das mit dem Duft dieser Briefmarken.

In Anbetracht all dessen fordern wir von Ihnen, dass die zu erwartenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des auf Duftstoffe sensibilisierten Anteils der Bevölkerung zur Kenntnis genommen wird und das in Umlauf bringen der Duft-Briefmarken gemäß des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung umgehend gestoppt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Silvia K. Müller        Bruno Zacke

CSN – Chemical Sensitivity Network

Umweltmedizinische Leistungen durch die Krankenkasse erstattet

Arzt und Patient oft hilflos weil Krankenkassen nicht zahlen

Patienten, die an einer Umweltkrankheit leiden, benötigen oft spezifische Diagnostik und ganz spezielle Therapien. Erstattung umweltmedizinischer Diagnostik, fallspezifischer Behandlungen und Hilfsmittel können den Gesundheitszustand des Erkrankten oft stabilisieren und Chronifizierung verhindern.

Thommy’s Blogfrage der Woche

  • Hat Eure Krankenkasse umweltmedizinische Diagnostik übernommen?
  • Wie steht es mit umweltmedizinischen Behandlungen beim Umweltarzt oder einer Therapie in einer Umweltklinik, half Euch die Krankenkasse?
  • Oder bekamt Ihr nur Steine in den Weg gelegt?
  • Musstet Ihr kämpfen um eine Therapie? Vielleicht sogar vor Gericht gehen?
  • Mit welcher Begründung wurden Eure Anträge abgelehnt?
  • Wurden Euch Hilfsmittel wie z.B. Sauerstoffgerät, Luftfilter, Aktivkohlemaske, Spezialbett genehmigt?
  • Wurden Euch in den letzten 12 Monaten Hilfsmittel, umweltmedizinische Diagnostik oder Therapien zugebilligt?

Berichtet uns über Eure Erfahrungen mit der Erstattung umweltmedizinischer Leistungen durch die Krankenkasse.

Feuerwerk: Gesundheitsgefahr durch Feinstaubproblematik

Feuerwerk belastet Gesundheit und Umwelt - Feinstaubproblematik

Feuerwerk ist – neben allen anderen zur Genüge bekannten Problemen wie z.B. Explosionsschäden, Verbrennungen, Augen- und Ohrenschäden, Kinderarbeit etc. – in erster Linie ein Feinstaubproblem! Die Feinstaubwerte über den Nationalfeiertag der Schweiz sowie an Silvester belegen dies auf eindrucksvolle Weise.

Bei der Verbrennung von Feuerwerkskörpern (Kracher, Raketen, etc.) wird eine Mischung an chemischen Stoffen explosionsartig freigesetzt. Beim Abbrennen laufen zwischen den vermengten Stoffen chemische Reaktionen ab; dabei bilden sich eine Vielzahl neuer Substanzen unbekannter Zusammensetzung und Giftigkeit. Dadurch, dass die stark zerklüftete Oberfläche der feinen Staubteilchen eine Anlagerung von weiteren toxischen Substanzen ermöglicht, die so in den Körper getragen werden, verstärkt sich die gesundheitsschädigende Wirkung des Staubes. An Feiertagen, an denen viel Feuerwerk abgebrannt wird, sind es primär Schwermetallverbindungen, die sich an den Staubpartikeln festsetzen.

Fakt ist:

Es gibt grössere Feinstaubquellen als Feuerwerk; doch es gibt keine Feinstaubquelle, die wie Feuerwerk binnen kürzester Zeit eine Feinstaub-belastung erwirkt, welche den Feinstaubgrenzwert um das 30-fache  (z. B. Feinstaubwerte Nationalfeiertag Schweiz) und mehr überschreitet.

Feinstaub kann nicht nur bestehende Krankheiten verschlimmern, sondern auch neue hervorrufen, dadurch betrifft die Feinstaubproblematik uns alle und kann nicht als das Problem einiger weniger abgetan werden.

Ein Schwellenwert für Feinstaub, unter welchem keine schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit auftreten, wurde bis heute nicht gefunden.

Gesundheitliche Einbussen durch hohe Feinstaubbelastungen erleiden als Erste:

  • Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder
  • Personen mit Erkrankungen der Atemwege (Asthma, COPD/Chronic Obstructive Pulmonary Disease, Lungenemphysem, -krebs etc.) und des Herzkreislaufsystems
  • Personen mit Persistent Hyperreactivity (multiple chemical sensitivity, TILT/Toxicant-Induced Loss of Tolerance, CFS/Chronic Fatigue Syndrome, Fibromyalgie etc.) und Low-Dose RADS/Reactive Airways Disfunction Syndrome
  • über 65-Jährige

Eine akut erhöhte Partikelbelastung kann zu folgenden Gesundheitsauswirkungen führen:

  • entzündliche Prozesse
  • gravierende Intoleranz-Reaktionen der Lunge mit ebenfalls schwerwiegenden Folgereaktionen sämtlicher Körperorgane
  • negativen Auswirkungen auf das Herzkreislaufsystem (z.B. Herzinfarkt)
  • Zunahme des Medikamentengebrauchs
  • Zunahme der Krankenhauseinweisungen wegen Atemwegs- und Herzkreislaufproblemen
  • erhöhte Sterblichkeit

Eine grobe Fraktion von PM10, (die Masse aller im Gesamtstaub enthaltenen Partikel mit aerodynamischem Durchmesser kleiner als 10 µm) ist stärker mit Husten, Asthmaanfällen und respiratorischer Mortalität assoziiert (vor allem akute Wirkungen), dagegen sind die feinen Anteile stärker mit Herzrhythmusstörungen und kardiovaskulärer Mortalität korreliert.

Feuerwerk und die Tage danach

In Zeitreihenstudien treten Wirkungen auf die respiratorische Mortalität einen Tag nach der erhöhten Partikelbelastung auf. Wirkungen auf die kardiovaskuläre Mortalität sind nach etwa 4 Tagen am stärksten sichtbar.

Die Partikelgröße bestimmt ihre Verweildauer in der Atmosphäre. Während PM10 binnen Stunden durch Ablagerung und Niederschlag aus der Atmosphäre verschwinden, können PM2.5 Tage und Wochen in ihr schweben. Folglich können diese Partikel über weite Strecken transportiert werden.

Feinstaub kommt durch jede Ritze

So lange unsere Häuser nicht luftdicht sind, reicht für gesundheitlich Schwerstbetroffene der Aufenthalt hinter geschlossenen Türen und Fenstern als Schutz vor Feuerwerksemissionen meistens nicht aus.

Mediziner setzt Politik in Kenntnis

Dr. med. G. Schwinger aus Deutschland beschreibt diese Problematik in seinem Brief vom 22.12.2004 an die Bundesfraktion Bündnis 90/Die Grünen auf eindrucksvolle Weise:

„… Wir betreuen Patienten/innen, die (unabhängig von Allergien) bereits an einer erworbenen hochgradigen Intoleranz leiden, die dann zu einem spez. hyperreagiblen Bronchialsystem und Gefäßsystem führt mit der gravierenden Folge spez. undiff. systemischer Misch-Kollagenosen mit Overlap-Syndromen, verursacht insbesondere durch Pyrolyseprodukte und (hauptsächlich deren) Feinstäube. … Diese Patienten/innen müssen bereits am 30.12. d.J. sämtliche Türen und Fensterspalten (natürlich nur unzureichend) mit spez. Tapes zukleben, weil durch die o.g. extrem lebensgefährlichen Explosionen i.S. eines >>Over-Exposure<< (in den Aussenbereichen der Wohnungen) auch erhebliche Innenraumbelastungen auftreten, die dann zu neuerlichen schweren inhalativen Intoxikationen im Niedrig-dosis-bereich führen – mit generalisierten neuro-endokrinen und immun-vaskulären systemischen Folgereaktionen. Für diese Patienten/innen sind die Tage um Silvester insofern – nahezu regelmässig – eine einzige grosse gesundheitliche Katastrophe – für Tage und Wochen. …“

Anm: Der ganze Brief kann bei Stop Fireworks nachgelesen werden.

Gesundheitsschädliches Potential ist wissenschaftlich abgehandelt

Es gibt mittlerweile genügend neuere wissenschaftliche Arbeiten, die diese Feuerwerksproblematik belegen, wie z.B.:

„Ambient air quality of Lucknow City (India) during use of fireworks on Diwali festival“, 2008, by Barman SC et al.

„Emissions and accumulation of metals in the atmosphere due to crackers and sparkles during Diwali festival in India“, 2004, by Kulshrestha UC et al.

„Recreational atmospheric pollution episodes: Inhalable metalliferous particles from firework displays“, 2007, by Moreno T et al.

„Short-term variation in air quality associated with firework events: a case study“, 2003, by Ravindra K et al.

„The impact of fireworks on airborne particles“, 2008, by Vecchi R et al.

„Heavy metals from pyrotechnics in New Years Eve snow“ 2008, by Steinhauser G et al.

Mehr Informationen zu diesem Thema lassen sich unter „Wissenschaftliche Artikel“ auf Stop Fireworks finden.

Deutsche und Schweizer Behörden warnen vor Feuerwerk

U.a. empfehlen mittlerweile Schweizer Behörden, Menschen mit Erkrankungen der Atemwege und Kreislauferkrankungen sollten Feuerwerke meiden. Das Umweltbundesamt/Deutschland äusserte sich im November 2007 im Hintergrundpapier „Zum Jahreswechsel: Wenn die Luft „zum Schneiden“ ist“ zur Feuerwerks-Feinstaubproblematik und appellierte gleichzeitig an die Bürger/Innen, als Beitrag zur Verminderung der Feinstaubbelastung in der Silvesternacht das persönliche Feuerwerk einzuschränken oder sogar ganz darauf zu verzichten.

Auch die American Lung Association warnt vor Feuerwerk

Die American Lung Association of Hawaii rät Lungenkranken seit Jahren, während der schlimmsten Feuerwerkerei zuhause bei geschlossenen Türen und Fenstern und mit laufender Klimaanlage oder Luftreinigungsapparat zu bleiben und eine Gesichtsmaske zu tragen, um die Raucheinatmung zu verringern. Dieses Jahr verkündet das National Epidemiology Center/Philippinen dasselbe. etc.

Dem Schutz der Gesundheit und Umweltschutz Priorität einräumen

Das heisst, dass sich sowohl zumindest manche Behörden als auch zumindest Teile der Ärzteschaft absolut darüber im Klaren sind, wie schädlich Feuerwerksemissionen sind.

Ob Feuerwerk „richtig“ oder „falsch“ abgebrannt wird, von Laien im Hinterhof oder von speziell dazu Ausgebildeten als Grossfeuerwerk: die Emissionen bleiben letztendlich dieselben. Bereits ein kleines Feuerwerk (unter dem Jahr) kann in seiner näheren Umgebung zu einer erheblichen kurzzeitigen Erhöhung der Feinstaubwerte führen.

Die Begeisterung für Licht und Knall von Feuerwerk darf nicht dazu führen, das Umweltverschmutzungspotential von Feuerwerk zu ignorieren. Feinstaubempfindliche Menschen dürfen auf keinen Fall als „Kollateralschaden“ der Feuerwerkerei einiger weniger billigend in Kauf genommen werden.

Umweltschutz und Pläne zur Reduktion von Feinstaub ohne Einbezug von Feuerwerk werden zur Farce und unglaubwürdig.

Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Problematik, die die „Feinstaubschleuder“ Feuerwerk mit sich bringt, muss Feuerwerk ganz klar verboten werden!

Autor: Susanne von Dach, www.stop-fireworks.org für CSN – Chemical Sensitivity Network, 29.12.2009

Bundesministerium für Gesundheit zum aktuellen MCS-Notfall

SOS für eine MCS-Patientin

Am 10. Dezember wurde im CSN Blog ein öffentlicher Hilferuf für eine Frau publiziert, die an schwerer MCS – Multiple Chemical Sensitivity erkrankt ist und unter völligem Toleranzverlust gegenüber Nahrungsmitteln und Wasser leidet. Die 44-jährige müsste dringend in einer Umweltklinik mit aufbauenden Infusionen behandelt werden. Der Versuch, in einer normalen Klinik Behandlung zu erhalten, scheiterte an den Chemikalien, mit denen man in einer Klinik unweigerlich konfrontiert wird. Eine Umweltklinik in Süddeutschland offerierte eine außerplanmäßige Aufnahme der Schwerstkranken am 4. Januar, bis dahin ist ihr Leben weiter in Gefahr. Diese untragbare Situation zum Anlass nehmend, schrieb Frau L. am 13. Dezember den Bundesgesundheitsminister an und bat um Unterstützung:

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Dr. Rösler,

SOS – ich spreche Sie direkt an, weil ich eine unglaubliche Geschichte vorbringen muss. Seit Wochen sucht Geli Hubernagel und ihr Mann verzweifelt nach medizinischer Hilfe. Die 44 jährige Frau hat eine sehr ausgeprägte MCS (multiple chemical sensitivity) und schwerste Reaktionen auf alle Nahrungsmittel. Ihr Zustand verschlechtert sich sehr stark. Selbst das Trinken von kleinen Schlucken Wasser sorgt ebenfalls für schwere Reaktionen.

Trotz großer Bemühungen blieb jeglicher Versuch, medizinische Hilfe zu bekommen, bisher erfolglos. Leider fehlt mir der Kontakt zu Frau Hubernagel, aber Frau Silvia K. Müller leitet das CNS Deutschland (Chemical Sensitivity Network). Sie hält den Internetkontakt mit der Patientin.

In den letzten Monaten haben 2 Frauen, die in ähnlich hoffnungsloser Situation waren, Selbstmord begangen.

Das Bundesgesundheitsministerium antwortete wie folgt:

Sehr geehrte Frau L,

vielen Dank für Ihre Zuschrift vom 13.12.2009, in der Sie die Situation von Frau Hubernagel schildern.

Bitte haben Sie Verständnis, dass der Minister nicht selbst antwortet. Angesichts der vielfältigen Aufgaben unseres Hauses und der damit verbundenen Verpflichtungen von Bundesminister Dr. Philipp Rösler wird er bei der Beantwortung der zahlreich eingehenden Bürgerbriefe durch ein engagiertes Team von Experten unterstützt. Dies kommt den Bürgern in den meisten Fällen in Form einer zügigen Antwort auf ihre Fragen zugute.

Den Erwartungen, die ich Ihrem Schreiben entnehme, kann das Bundesministerium für Gesundheit leider nicht entsprechen. Bedingt durch die Zuständigkeiten und Befugnisse gibt es hier keine Möglichkeit, den dargestellten Sachverhalt zu überprüfen bzw. eine wertende Stellungnahme abzugeben.

Für die Entscheidungen zur Behandlung einer Erkrankung kann man sich an einen Arzt des Vertrauens wenden. Das Bundesministerium für Gesundheit kann keine individuelle Patientenberatung durchführen, keine Auskunft über Verordnungsmöglichkeiten für den konkreten Einzelfall erteilen und auch keine Arztempfehlungen aussprechen.

Individuelle Fragen kann auch eine Krankenkasse beantworten. Allein sie ist rechtlich befugt und in der Lage, verbindlich zu informieren und konkrete Entscheidungen im Einzelfall zu treffen. Krankenkassen haben die Möglichkeit, das Verhalten eines Arztes von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung überprüfen zu lassen. Falls Sie eine solche aufsichtsrechtliche Überprüfung wünschen, erfahren Sie die Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde bei der Krankenkasse. Man kann sich gemeinsam mit der Krankenkasse oder auch direkt dorthin wenden.

Wenn jemand  mit der Entscheidung oder dem Verhalten einer Krankenkasse nicht einverstanden ist, steht es demjenigen offen, sich an die zuständige Aufsichtsbehörde zu wenden. Bei bundesunmittelbaren Krankenkassen ist dies das Bundesversicherungsamt, Friedrich-Ebert-Allee 38, 53113 Bonn; ansonsten das jeweilige Sozialministerium des Bundeslandes, das auch die Aufsicht über die Gesundheitsversorgung im jeweiligen Bundesland inne hat.

Dieses Schreiben ist im Auftrag und mit Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit durch das Kommunikationscenter erstellt worden und dient Ihrer Information.

Mit freundlichem Gruß

Gerlind Nestler

Kommunikationscenter

Bundesministerium für Gesundheit

Aktuelle Informationen des Bundesministeriums für Gesundheit finden Sie unter: www.bmg.bund.de

Des Pfizers neue Kleider

Bittere Pillen

Aus Pressemitteilungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG  vom 24.11.2009 aus Anlass der Bewertung dreier Antidepressiva:

Nutzen des Antidepressivums Reboxetin ist nicht belegt

In seinem Anfang Juni 2009 veröffentlichten Vorbericht hatte das IQWiG lediglich die Bewertungsergebnisse von Bupropion XL uneingeschränkt präsentieren können. Für Mirtazapin hatte es die Aussagen unter einen Vorbehalt stellen müssen, weil nicht auszuschließen war, dass Studiendaten, die der Hersteller Essex Pharma nicht zur Verfügung gestellt hatte, das Ergebnis maßgeblich beeinflussen könnten. Bei Reboxetin verzichtete das IQWiG völlig auf eine Auswertung der bis dahin öffentlich zugänglichen Studiendaten. Denn es war offenkundig, dass der Hersteller, die Firma Pfizer, knapp zwei Drittel aller bislang in Studien erhobenen Daten unter Verschluss hielt und eine Auswertung der verfügbaren Daten allein ein verzerrtes Bild ergeben hätte. Trotz mehrfacher Anfragen hatte sich Pfizer bis dahin geweigert, dem IQWiG eine Liste aller publizierten und unpublizierten Daten zur Verfügung zu stellen. 

Hersteller liefern Daten erst auf öffentlichen Druck hin

Nach Erscheinen des Vorberichts entschlossen sich jedoch die Firmen Pfizer und Essex Pharma, die unveröffentlichten Daten und Informationen über Studien zugänglich zu machen. Erst jetzt war eine Bewertung aller drei Wirkstoffe auf vollständiger Datenbasis möglich. 

Die Analyse der vollständigen Daten zeigt, dass die Entscheidung des IQWiG richtig war, auf eine Bewertung von Reboxetin ausschließlich auf Basis der publizierten Daten zu verzichten. Denn die Zusammenfassung der Ergebnisse der veröffentlichten und nicht veröffentlichten Studien belegt keinen Nutzen von Reboxetin, während die Daten aus den veröffentlichten Studien einen Nutzen suggerieren. 

Von den ebenfalls untersuchten Antidepressiva Bupropion XL und Mirtazapin können Menschen mit Depressionen laut IQWiG aber profitieren. 

Zum Wirkstoff Reboxetin standen dem IQWiG bei der Erstellung des Abschlussberichts insgesamt 17 Studien zur Verfügung. Wie deren Auswertung zeigt, gibt es darin weder für die Akuttherapie noch für die Rückfallprävention einen Beleg für einen Nutzen. Weder sprachen die Patientinnen und Patienten besser auf die Therapie an als bei einem Scheinmedikament noch konnten sie ihren Alltag besser bewältigen. 

Reboxetin: Belege für Schaden, nicht aber für Nutzen

Dem fehlenden Nachweis eines Nutzens von Reboxetin stehen Belege für einen Schaden gegenüber: Sowohl im Vergleich zu Placebo als auch im Vergleich mit dem Wirkstoff Fluoxetin, einem weiteren Antidepressivum aus der Klasse der Selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmer (SSRI), brachen Patientinnen und Patienten die Therapie häufiger wegen unerwünschter Nebenwirkungen ab.  

Pflicht zur Veröffentlichung von Studienergebnissen gesetzlich regeln

Wie der Prozess der Erstellung dieses Berichts zeigt, führt mangelnde Kooperationsbereitschaft der Hersteller zu begrenzt aussagekräftigen Nutzenbewertungen und verzögert die Erstellung der Bewertungen erheblich. „Verschweigen von Studiendaten ist kein Kavaliersdelikt“, sagt IQWiG-Leiter Peter Sawicki. „Die Studiensponsoren nehmen Patienten und Ärzten die Möglichkeit, sich informiert über verschiedene Therapieoptionen zu entscheiden. Wie das Beispiel Reboxetin zeigt, kann das Verschweigen von Studiendaten dazu führen, dass Patienten ein Medikament bekommen, für das es keinen Nutzenbeleg gibt, das aber einen Schaden verursachen kann.“ Zudem werde nicht nur die Arbeit des Instituts selbst behindert, sondern auch die des G-BA .“Denn dem G-BA fehlt dann die verlässliche wissenschaftliche Basis, die er für seine Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit von Medikamenten braucht“, so der Institutsleiter. 

Reboxetin wurde im Dezember 1997 in Deutschland zugelassen. Die deutsche Zulassungsbehörde hatte seinerzeit jedoch nicht alle Studien berücksichtigen können, die das IQWiG ausgewertet hat. Denn der IQWiG-Bericht bezieht auch Studien ein, die nach 1997 abgeschlossen wurden. Für die USA hat der Hersteller Pfizer ebenfalls eine Zulassung beantragt, die aber 2001 offenbar nicht erteilt wurde. 

Kein Kavaliersdelikt

Dass Ergebnisse von Studien nur teilweise veröffentlich werden, ist seit mehr als 20 Jahren als „Publikations-Bias“ (engl. für Verzerrung, Schieflage) bekannt. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere sogenannte negative Studien, in denen beispielsweise das eigene Arzneimittel nicht das erhoffte Ergebnis gebracht oder sich sogar als wirkungslos erwiesen hat, erst Jahre später oder gar nicht veröffentlicht werden. Das hat zur Folge, dass Patienten und Ärzte allein auf Basis der veröffentlichten Berichte ein geschöntes Bild der Effekte erhalten. 

Diese Tendenz gilt nach wie vor als eine der wichtigsten und tückischsten Fehlerquellen in der Medizin. „Irreführung durch Verschweigen ist kein Kavaliersdelikt“, sagt Sawicki: „Ohne vollständige Information können Patienten im Extremfall sogar nutzlose oder gar schädliche Behandlungen erhalten.“ So haben andere Wissenschaftler bereits für mehrere Wirkstoffe zur Behandlung von Depressionen gezeigt, dass die Wirkung in der publizierten Literatur ausnahmslos überschätzt wurde – um bis zu 70 Prozent (im Mittel etwa 30%). Für einige Wirkstoffe ist sogar fraglich, ob überhaupt noch ein Nutzen nachweisbar ist, wenn man alle Studien einbezieht. 

Lediglich ein Drittel der Daten zu Reboxetin öffentlich zugänglich

Bei dem jetzt abgeschlossenen Projekt ging es darum, den Nutzen der drei Wirkstoffe Reboxetin, Mirtazapin und Bupropion XL bei der Behandlung und Vorbeugung der Depression zu bewerten. Die jetzt vorliegenden vollständigen Daten zu Reboxetin zeigen, dass in den 17 für die Nutzenbewertung geeigneten Studien etwa 5100 Patienten behandelt wurden. Hinreichend transparent publizierte Daten lagen lediglich von etwa 1600 Patienten vor. Demnach fehlen in der öffentlich zugänglichen Literatur die Ergebnisse von etwa 2/3 der Patienten. Dabei suggerieren die veröffentlichten Ergebnisse einen Nutzen, der sich bei Betrachtung aller Daten jedoch nicht belegen lässt. 

Mit dem Verschweigen von Daten verstoßen Hersteller auch gegen Absprachen, die mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studien geschlossen wurden: Sie stellen sich freiwillig und uneigennützig für die Experimente zur Verfügung und gehen dabei Risiken ein, weil sie durch ihre Teilnahme und die Veröffentlichung der Ergebnisse anderen Erkrankten helfen wollen. Dies ist die Voraussetzung für ihre Einwilligung, an Medikamentenstudien teilzunehmen: „Wer Ergebnisse einer Studie geheim hält, hintergeht die teilnehmenden Patientinnen und Patienten und stellt die Rechtmäßigkeit ihrer Einwilligung zur Studienteilnahme in Frage“, sagt Sawicki. 

 

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 18. Dezember 2009

Auch interessant:

 

Psychiatrisierung bei MCS ein Irrweg Teil I – XII

Öffentlicher Hilferuf für eine MCS-Patientin

Wir bitten hiermit öffentlich um adäquate medizinische Hilfe für die unter MCS und schwersten Reaktionen auf Nahrungsmittel leidende Angelika Hubernagel aus Essen. Es geht um ihr Überleben. 

Wir sprechen mit unserem Hilferuf insbesondere die zuständigen Behörden, Umweltkliniken, Umweltärzte und die Verbände der deutschen Umweltmediziner an:  

Eine Frau mit MCS ist in höchster Not und brauch adäquate Hilfe 

Seit Wochen suchen Geli H. und ihr Mann verzweifelt nach medizinischer Hilfe. Die 44-jährige Frau hat stark ausgeprägte MCS- Multiple Chemical Sensitivity und schwerste Reaktionen auf nahezu alle Nahrungsmittel. Es hat sich ein völliger Toleranzverlust eingestelllt und geht immer weiter bergab. Im Moment kann sie nur noch gekochtes Rindergehacktes essen. Von allem Anderen bekommt sie trotz Cortison Atemnot, der Hals schwillt zu. Jeglicher Versuch, medizinische Hilfe zu erhalten, blieb bisher erfolglos. Sollte in den nächsten Tagen keine medizinische Hilfe erfolgen, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen. 

Schwerste Reaktionen auf geringste Auslöser

Geli kann nicht mehr aus dem Haus gehen, sie ist wegen ihrer Reaktionen auf Chemikalien nur noch in ihrer Wohnung. Der Luftfilter läuft Tag und Nacht. Sie erleidet Erstickungsanfälle, Schwindel, starke Kopfschmerzen, Magenkrämpfe, der ganze Mund-Rachenraum ist nur noch wie rohes Fleisch. Oft läuft ihr Körper nach Aufnahme winzigster Nahrungsmengen 6-7 Stunden später rot an und sie bekommt Atemnot. Das Trinken von kleinen Schlucken Wasser sorgt ebenfalls für Zusammenbrüche.  

Hilfe verzweifelt gesucht

Jörg H. kann nicht mehr zur Arbeit gehen, weil seine Frau ständig schwerste Reaktionen erleidet und rund um die Uhr betreut werden muss. Der Arbeitgeber zeigte bislang Verständnis. Geli wiegt noch 40.8 kg bei 1.63m. Im CSN Forum schrieb ihr Mann einen Hilferuf. 

Die beiden haben durch ganz Deutschland telefoniert, um einen Arzt oder eine Klinik zu finden, die Geli helfen kann. Keiner hält sich für zuständig. Sie erhielten ausschließlich Absagen. Auch die Umweltklinik in Riddorf/ Bredstedt erteilte eine Absage. Der Klinikleiter sagte, frühestens im Januar könne sie vielleicht kommen. Sechs Betten hat die Klinik, den Rest der 21 Betten, die ursprünglich für Umweltpatienten gedacht waren, sind an Spielsüchtige vergeben. 

Die in erreichbarer Nähe des Wohnortes befindliche anthroposophische Klinik Witten-Herdecke erteilte ebenfalls eine Absage. Man ist ausgelastet und hat auch keine Zeit für MCS-Patienten. 

Ein Umweltarzt, der um Hilfe gebeten wurde, ließ wissen, dass er auch nicht helfen könne und es keine Umweltklinik in ihrer Nähe gäbe. Ein anderer führender Umweltmediziner verwies durch eine Mitarbeiterin an eine Hotline, die nur am Wochenanfang erreichbar ist. 

Ein niedergelassener Arzt, den das Ehepaar um Hilfe bat, sagte, es sei eine psychosomatische Behandlung in einer Uniklinik erforderlich. Dass die schwer chemikaliensensible Frau pathologische Laborwerte aufweist, jedoch keine psych-ischen Auffälligkeiten und dass sie überhaupt nicht in der Lage ist, in eine herkömmliche Klinik zu gehen, interessierte nicht. Heute Morgen fuhren Geli und Jörg H. in ihrer Verzweifelung trotzdem in die Uniklinik. Schon vor der Tür erlitt sie schwere Reaktionen auf die Desinfektionsmittel, Parfüms und Duftstoffe, die durch die offene Tür nach außen drangen und den Zigarettenrauch der rauchenden Patienten am Klinikeingang. Sie fuhren wieder nach Hause. Dort ist sie jetzt und keiner weiß mehr weiter.  

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 10. Dezember 2009