taz Panter Preis 2009 – Morgen ist Preisverleihung

Preisverleihung taz Panter Preis 2009

Am morgigen Samstag findet in Berlin in der Komischen Oper die Preisverleihung des diesjährigen taz Panter Preises statt. Der Preis wird zum 5. Mal an Menschen vergeben, die sich im besonderen Maße ehrenamtlich für andere einsetzen.

Es werden morgen, wie jedes Jahr, zwei taz-Panter verliehen werden:

Der erste Panter Preis wird von der taz Jury vergeben, die sich aus taz-RedakteurInnen und Prominenten zusammensetzt.

Den zweiten Panter Preis haben taz Leser mit ihrer Stimme vergeben.

Zu den sechs Nominierten in diesem Jahr gehören Silvia K. Müller – CSN und Dr. Peter Binz – Neurologe. Beide setzen sich seit über eineinhalb Jahrzehnten für Menschen ein, die durch Chemikalien erkrankten. Viele dieser Menschen entwickelten zu ihren Gesundheitsschäden eine Chemikalien-Sensitivität (MCS), die ihnen ein normales Leben in der Gesellschaft unmöglich macht.

Ob das Team Müller/Binz einen taz Panter Preis erhält, entscheidet sich morgen. Karten, um an der Preisverleihung teilzunehmen, sind im taz Cafe und an der Abendkasse erhältlich.

Taz Panter Preis Verleihung 2009 in der Komischen Oper in Berlin

21:00 Uhr. Einlass: 20:45 Uhr

MUSIK

Maren Kroymann & Band

MODERATION

Jörg Thadeusz & Bettina Rust

Außerdem mit:

  • Rufus Beck, Schauspieler
  • Bettina Böttinger, Fernsehmoderatorin
  • Ines Pohl, Chefredakteurin der taz
  • Bettina Gaus, politische Korrespondentin der taz
  • Elke Schmitter, Schriftstellerin und Kuratorin der taz Panter Stiftung

Mit Chemikalien-Sensitivität leben und nicht aufgeben

Mit Chemikalien-Sensitivität leben und nicht aufgeben

In den letzten zwei  Teilen dieser Beitragsserie soll noch einmal Pamela Reed Gibson zu Wort kommen. Sie geht in ihrem Buch „Multiple Chemical Sensitivity, a Survival Guide“ ausführlich auf das Thema Psychotherapie ein und gibt einige Tipps dazu und zur Selbsthilfe.

Ist das Glas nicht doch halb voll?

Nach Pamela Reed Gibsons Beobachtungen fordert MCS oft Unmögliches von den Betroffenen, während die Krankheit ihnen in ihrem Verlauf ihre Ressourcen wegzunehmen droht. Ein erster Schritt bei der Bewältigung der Herausforderungen besteht darin, den eigenen bisherigen Erfolgen Anerkennung zollen zu können.

Man halte sich vor Augen:

  • Was hat man bisher gut gemacht?
  • Welche Veränderungen hat man vorgenommen, um die MCS-bedingten Probleme zu bewältigen und eine weitere Verschlechterung zu verhindern?
  • Welche schwierigen Situationen hat man mit Kreativität und persönlicher Stärke meistern können?

Wenn man den bisherigen Leistungen mit Anerkennung begegnen kann, ist es leichter, weiter auf seinem Weg voranzuschreiten und neue Herausforderungen anzunehmen.

Andere Probleme nicht vernachlässigen

Obwohl MCS keine psychogene Erkrankung ist, schließt das die Möglichkeit nicht aus, dass der eine oder andere davon unabhängige psychische Lasten mit sich herumträgt, die auch bewältigt sein wollen. Das tun wir alle. Solange derartige Probleme ungelöst sind, können sie mit den krankheitsbedingten Herausforderungen interagieren und zusätzlichen Kummer bereiten. Sich um derartige unabhängige psychische Lasten zu kümmern, kann die seelische Gesamtbelastung reduzieren und zusätzliche Energie für die Bewältigung von MCS bereitstellen. Dass man lernt, wie MCS mit den eigenen psychischen Verwundbarkeiten interagiert, kann einem dabei helfen, das eigene Leben erfolgreicher zu bewältigen.

Durchsetzungsvermögen

Sind Sie ein Mensch, der typischerweise eher schüchtern und sensibel ist und nun vor der undankbaren Aufgabe steht, sich selbstbewusst für spezielle Anpassungen einsetzen zu müssen, um überleben zu können? Wenn Ihr persönlicher Stil bisher eher ein passiver war, d.h. etwas von sich zu geben, zu tun, was verlangt wird und sich nie zu beschweren, kann es sehr schwer sein, den Punkt zu erreichen, an dem man seine Not und Bedürfnisse selbstbewusst artikulieren und vertreten kann, ohne sich unwohl zu fühlen. Ob nun wegen des persönlichen Stils, Gewohnheit, Unbehagen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen oder der Überzeugung, keine „besondere Behandlung“ zu verdienen, die Aufgabe, das eigene soziale Leben positiv zu gestalten, wird ohne wenigstens etwas Arbeit im Bereich der Psyche schwieriger sein.

Ein Therapeut kann einem helfen, sich mit selbstbewusstem Durchsetzungsverhalten wohler zu fühlen. Es gibt auch diverse gute Selbsthilfebücher, die dabei helfen können. Eine andere Möglichkeit besteht darin, etwas zu praktizieren, was George Kelly, einer der wichtigen Persönlichkeitstheoretiker, „Fixed Role Therapy“ genannt hat. Dabei schreibt der Therapeut eine kleine Skizze oder einen Entwurf von einer Person, die die Qualitäten verkörpert, die der Klient entwickeln möchte. Also in diesem Falle würden Sie eine Seite lange Beschreibung einer Person anfertigen, die eine gute Durchsetzungsfähigkeit hat. In dieser kleinen Skizze sollten Sie sowohl die Gedanken als auch das Verhalten der Person beschreiben. Z.B.: „Sally findet es einfach, ihre Bedürfnisse zu beschreiben, da ihr klar ist, dass ihre Gesundheit davon abhängt. Negative Reaktionen von anderen regen sie nicht auf, da sie weiß, dass es normal ist, dass Leute, die anders sind, schlecht behandelt werden.“ Nach Besprechung der geschriebenen Skizze macht der Klient ein Rollenspiel mit dem Therapeuten, in dem er die ideale Person verkörpert. Weiter behält der Klient diese Rolle die nächsten zwei Wochen bei und bespricht bei einigen zwischenzeitlichen Terminen mit dem Therapeuten, wie es dabei vorangeht. Sie können mit diesem Ansatz auch selbst experimentieren und sehen, wie es sich anfühlt, in einem Lebensbereich einen anderen Verhaltensstil auszuprobieren. Wenn Sie es versuchen, sollten sie die Skizze mit sich tragen, oft darauf zurückgreifen und sich darüber klar werden, wie es ist, ein neues Verhalten auszuprobieren.

Eine andere Taktik, Durchsetzungsvermögen zu üben, wäre etwa, sich mit einem Tier zu identifizieren, zu dem man eine Beziehung hat, dass durchsetzungsfähig ist und das man bewundert (aber man lasse Vorsicht walten, bei der Auswahl der Personen, denen man davon erzählt. Manchen fehlt das nötige Verständnis). Sie könnten beispielsweise ein Löwe sein, der sich, sein Revier und seine Jungen zu beschützen weiß. Oder ein rauflustiger Dachs, der nicht zögert zuzubeißen, wenn er bedroht wird. Sich durchzusetzen bedeutet, seinen größten Ängsten ins Auge zu blicken –  z.B. zurückgewiesen zu werden. Meistens werden es die Leute jedoch respektieren, wenn Sie sich für sich selbst einsetzen, und wahrscheinlich wird man wenigstens den einen oder anderen Unterstützer haben.

Selbstachtung und Selbstwert

Probleme mit dem Selbstwert und der Selbstachtung können auftreten, wenn man schlecht behandelt wird, während man sich für seine Belange, etwa Bitten um Anpassungen, einsetzt. Menschen mit geringer Selbstachtung oder solche, die in der Vergangenheit oft schlecht behandelt worden sind, empfinden derartige Situationen oft als sehr schlimm, während Leute mit einer „dickeren Haut“ davon weniger mitgenommen werden. Zu lernen, wie man „hart im Nehmen“ wird und unabhängig von dem Verhalten anderer, wird einem helfen, bei den Anstrengungen, seine Bedürfnisse durchzusetzen, auf Kurs zu bleiben. Derartige Probleme können mit einem geeigneten Selbsthilfegruppen, Selbsthilfebüchern oder Selbsthilfegruppen angegangen werden. Es ist oft sehr nützlich zu hören, wie „dickhäutige“ Menschen über die Reaktionen anderer denken. Sie haben oft großartige Möglichkeiten entwickelt, um die Dinge in der richtigen Perspektive zu sehen, die Dinge nüchtern zu registrieren und dann den eigenen Weg weiterzugehen. Beispielsweise bei einer negativen Rückmeldung anzunehmen, man habe es mit einem Idioten zu tun, anstatt sich selbst in Frage zu stellen.

Leistungsorientierung

Sind Sie sehr leistungsorientiert? Beweisen sie sich Ihren Wert durch Leistung, schaffen, machen, machen und sich dabei übernehmen? Ist Ihre Dynamik die eines Workaholic? Dann ist eine Erkrankung, die Ihre Produktivität reduziert, etwas extrem Schmerzhaftes, da sie Ihre gewohnte Art und Weise, mit Problemen umzugehen, aushebelt. Wenn ihre Selbstachtung auf dem Erreichen wichtiger Ziele beruht und ihre Leistungsfähigkeit halbiert wird oder ganz verloren geht, müssen Sie entweder mit der halben (oder ganz ohne) Selbstachtung auskommen oder aber den Maßstab, an dem Sie Ihren Wert messen, ändern. Viele Menschen beziehen ihre Selbstachtung über ihre Arbeit. Sie können versuchen, ihre Karriere an ihre neuen reduzierten Möglichkeiten anzupassen, beispielsweise zu Hause arbeiten oder zu anderen Zeiten oder in einer anderen Gegend. Oder sie müssen eine andere geeignete Arbeitsmöglichkeit finden. Jeder hat irgendwelche Möglichkeiten, sich zu engagieren, und Ihre Produktivität muss nicht auf ewige Zeiten immer nur abnehmen.

Sachen aufschieben

Wenn Sie andererseits eher jemand sind, der Dinge, die zu erledigen sind, aufschiebt, liefern die Gesundheitsprobleme, die Sie haben, eine unendliche Menge an Gründen, um alles immer weiter aufzuschieben. Dann sollten Sie vielleicht zu „To Do“-Listen und einem Terminplan Zuflucht nehmen. Am besten mit eingebauten Belohnungen für das Erreichen wichtiger Ziele.

Persönlichkeitsstil

Der individuelle Persönlichkeitsstil kann bestimmen, woran man besonders leidet, wenn man MCS hat. Extrovertierte haben z.B. wahrscheinlich größere Probleme mit Isolation als Introvertierte. Introvertierte haben nun vielleicht mangels Gelegenheit größere Probleme, ihre Bedürfnisse mitzuteilen, und sich in Beziehungen zu schützen. Obwohl dies sehr schwierig sein kann, müssen Extrovertierte unbedingt erfinderisch und kreativ bei der Suche nach Kontaktmöglichkeiten mit anderen sein. Obwohl MCS einen ziemlich weit runterziehen kann, sollte man nicht vergessen, dass es dennoch ein paar Dinge gibt, die man tun kann, um sich nicht völlig zu isolieren.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 14. September 2009

Literatur: [1] Pamela Reed Gibson(2006). Multiple Chemical Sensitivity, a Survival Guide (second edition), Earthrive Books.

Serie: Psychiatrisierung bei MCS ein Irrweg Teil I – X

Zeitkritisches Gedicht: Verfluchtes Pack

MCS - Multiple Chemical Sensitivity kann jeden erwischen

Verfluchtes Pack

 

Und er sah arrogant herab

auf die Kranken

die nach seinen Messungen

überhaupt nicht krank.

 

Verfluchte Meute diese,

wollen stören unser Geschäft,

dass die Wirtschaft gesund hält.

 

Wer ist krank?

Das bestimmen

immer noch wir!

Überdrehtes Pack,

will uns noch belehren

was Krankheit ist.

 

Sollen sie doch meiden,

was duftet, schmeckt und

voller Farbe.

 

Hilfe!

Luft, Luft…

… dreht sich alles,

was ist los mit mir?

 

Hilfe!

Hört mich denn

niemand?

… muss wohl an diesem Parfüm…

…s´war doch so teuer…

 

Hilfe!

Niemand hört mich,

dieses verfluchte Pack…

—-

Autor: Gerhard für CSN – Chemical Sensitivity Network, 12. September 2009

 

Dieses zeitkritische Gedicht wurde von Gerhard geschrieben. Seine Frau hat schwere Chemikalien-Sensitivität (MCS). Eine Krankheit die jeden treffen kann, auch die, die Chemikalien-Sensitivität bewusst in Abrede stellen.

 

Weiteres Gedicht von Gerhard: Was bleibt von mir?

MCS – Multiple Chemical Sensitivity in Österreich laut Bundesministerium für Gesundheit als eine körperlich bedingte Krankheit anerkannt

Flagge Oesterreich

Auch in Österreich ist Chemikalien-Sensitivität / MCS – Multiple Chemical Sensitivity als körperlich bedingte Krankheit im Register für Krankheiten, dem ICD 10, mit dem Code T78.4 einklassifiziert. Dies wurde durch ein aktuelles Schreiben des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit mitgeteilt.

MCS im ICD-10 in Deutschland

Mit Schreiben vom 4. September 2008 hatte der WHO Kooperationspartner in Deutschland, DIMDI, gegenüber CSN mitgeteilt, dass MCS – Multiple Chemical Sensitivity im Deutschland gültigen ICD-10-GM folgendermaßen einklassifiziert ist:

MCS – Multiple Chemical Sensitivity – ICD-10, T78.4

…Allergie, nicht näher bezeichnet;

Kapitel 19 (Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen), Abschnitt T66-T78 (Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen)

MCS in Österreich als Krankheit anerkannt

Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 teilte das österreichische Gesundheitsministerium unter Betreff „Chemikaliensensitivität / MCS – Multiple Chemical Sensitivity (ICD-10 T78.4)“, mit:

Zu Ihrem Schreiben vom 17. 4. 2009 an Herrn Bundesminister Stöger wird mitgeteilt, dass der von DIMDI für Deutschland modifizierte ICD-10 Code der WHO auch in Österreich verwendet wird.

MCS auch in Österreich keine Krankheit der Psyche

Hervorzuheben ist, dass vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) explizit mitteilt wurde, dass eine Zuordnung zum Kapitel 5 (Psychische und Verhaltensstörungen) seitens der ICD-10-GM nicht vorgesehen sei. Damit ist die Diskussion beendet, dass MCS eine psychisch einzuordnende Krankheit sei.

Ärzte und Dokumentare in den Krankenhäusern sind nach dem Sozialgesetzbuch V verpflichtet, ihre Diagnosen zu kodieren. Diese Verschlüsselung erfolgt auf der Basis des systematischen Verzeichnisses der ICD-10-GM. Die ICD-10 Klassifizierungen sind rechtsverbindlich.

Durch das vorliegende Schreiben des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit wird ersichtlich, dass MCS – Multiple Chemical Sensitivity auch in Österreich als körperlich bedingte Krankheit anerkannt ist, da MCS auch dort mit dem ICD-10 T78.4 codiert wird.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 26. Juni 2009

Literatur:

Offener Brief einer Selbsthilfegruppe für MCS – Multiple Chemical Sensitivity an den Bundespräsidenten Horst Köhler

junge-Frau-mit Chemical Sensitivity / MCS

Offener Brief der MCS Selbsthilfegruppe Stuttgart an den Bundespräsidenten Horst Köhler bzgl. der Situation von Menschen in Deutschland, die an Chemikalien-Sensitivität / Multiple Chemical Sensitivity (MCS) erkrankt sind.

An den

Bundespräsidenten Horst Köhler

Bundespräsidialamt

Spreeweg 1

10557 Berlin

Waiblingen, 22.06.2009

Gilt das Grundgesetz auch für alle kranken Menschen?

Sehr geehrter Herr Köhler,

gilt das Grundgesetz auch für alle kranken Menschen? Auf diese Frage würden Sie mir wahrscheinlich antworten – „aber selbstverständlich“. Ich müsste Ihnen dann entgegnen, dass dies in der Praxis leider ganz und gar nicht der Fall ist. Bei vielen Menschen die an Umweltkrankheiten wie MCS (Multiple Chemikalien Sensitivität) leiden, wird das Recht auf körperliche Unversehrtheit täglich verletzt.

Was ist MCS?

MCS (Multiple Chemikalien Sensitivität) ist eine Erkrankung die besonders häufig bei Personen auftritt die über längere Zeiträume toxischen Chemikalien ausgesetzt waren. Unter Menschen, die beruflich mit Lösungsmitteln arbeiten, erkranken bis zu 60% an MCS. Erkrankte Personen reagieren dann auf Chemikalien (u.a. auch auf Duftstoffe, siehe hierzu den beiliegenden MCS-Flyer von CSN und die beiden DVD´s).

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat im ICD-10 Code MCS unter T 78.4 den Vergiftungen zugeordnet. Nach US-Amerikanischen Studien leiden ca. 4-6% der Bevölkerung an schwerer MCS. Wenn man diese Zahl auf Deutschland überträgt dann wären dies mindestens 3 Millionen Menschen. Viele leiden an dieser Erkrankung, ohne es zu wissen.

Wer bereits erkrankt ist und u.a. auf Duftstoffe reagiert, der ist gezwungen in einer Isolation zu leben. Nahezu jeder Mensch verwendet Duftstoffe, die chemische Industrie ist überall sehr präsent. Kontakte mit anderen Menschen, einkaufen gehen, Arztbesuche erledigen sind nur mit Schwierigkeiten oder gar nicht möglich, von lebenswichtigen Aufenthalten in Krankenhäusern ganz zu schweigen. Die meisten können nicht mehr arbeiten, dadurch befinden sie sich in einer kritischen finanziellen Situation.

Zusammenfassend erklärt bedeutet dies: Luftverschmutzungen durch chemische Stoffe führen dazu, dass an MCS erkrankte Menschen aus der Gesellschaft ausgegrenzt, diskriminiert und täglich mit „Körperverletzungen“ konfrontiert werden. Der Artikel 1 des Grundgesetzes, in dem die Würde des Menschen unantastbar sein soll, das ein Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert,

wird vollständig ausgehebelt, in dem auf ein angeblich ungeklärtes Krankheitsbild von MCS verwiesen wird. In Wirklichkeit handelt es sich um eine durch die WHO als körperliche Erkrankung anerkanntes Leiden.

Herr Köhler, könnten Sie mir eine Antwort darauf geben, wie wir, MCS-Kranke, unsere Grundrechte einfordern können?

Duftstoffe sollten zumindest in öffentlichen Räumen verboten werden, um den MCS-Behinderten Menschen einen barrierefreien Zugang zu Behörden, Ärzten, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Räumen zu ermöglichen. Es gibt bereits in USA und in Schweden teilweise Duftstoffverbote für öffentliche Einrichtungen. Diese Länder haben die Gefahr von Duftstoffen erkannt und nehmen sie ernst.

Was ist ein Grundgesetz und eine Demokratie wert, wenn die Chemie-Lobby sich gegen die Gesundheitsinteressen und Prävention durchsetzt. Dabei gibt es bereits mehrfach bestätigte wissenschaftliche Studien über die negative und irreparable Wirkung vieler alltäglicher Chemikalien auf alle Lebewesen. Wir alle sind täglich von so vielen giftigen Substanzen umgeben, die uns auf Dauer krank machen. Auch durch die REACH-Verordnung Nr. 134/2009 vom 16.02.09 wird sich für die MCS-Kranken effektiv nichts ändern. Die wirtschaftlichen Interessen der chemischen Industrie werden weiterhin geschützt und die Kranken werden immer tiefer in ihr Leid gedrängt.

Deshalb ist eine Aufklärung der Bevölkerung unumgänglich. Schutz und Hilfe für die Betroffenen sowie eine Anerkennung der Umweltkrankheiten wäre dringend notwendig. Denn die „Epidemie“ der Umwelterkrankungen wird sich in den folgenden Jahren so weit ausbreiten, dass es für das Gesundheitswesen und die Wirtschaft ernste Folgen haben wird.

Ich und andere MCS-Erkrankte würden es uns wünschen und wären Ihnen sehr dankbar dafür, wenn Sie sich mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für die Aufklärung und die Verbesserung der momentanen Situation einsetzen. Es ist bekannt, dass Sie keine direkte Einflussnahme auf die Gesetzgebung haben. Jedoch könnten Sie auf die bestehende Problematik immer wieder deutlich hinweisen und Ihre Zustimmung nur entsprechenden Gesetzen erteilen. Sie haben doch bisher bewiesen, dass Sie die Gesellschaft mit Ihren einfühlsamen Reden wachrütteln können.

Können wir auf Ihre Unterstützung zählen?

Sie haben vor Ihrer diesjährigen Wiederwahl öffentlich gesagt „Wir wollen eine Gesellschaft sein, die nicht wegschaut, wenn Menschen in Not sind, und keinen zurück lässt“. Da haben einige Ministerien aber noch sehr viel zu tun!

Dieses Schreiben habe ich heute als offenen Brief unter folgender Internetadresse veröffentlicht:

http://www.csn-deutschland.de/forum/showboard.php?id=51

Ihr Antwortschreiben werde ich ebenfalls dort veröffentlichen. Ihrerseits haben Sie die Möglichkeit, evtl. Kommentare zu meinem Schreiben von anderen Mitbetroffenen auch auf dieser Seite nachzulesen.

Mit freundlichen Grüßen

Olga Hogk

(Mitglied der MCS-Selbsthilfegruppe Stuttgart)

Anlagen:

MCS-Flyer

2 DVD´s

Sonntagsgedicht der Glasprinzessin: Ich nehm dich mit

Wandern-mit-Freunden

Ich nehm dich mit

meine liebe Freundin –

ich nehm dich mit,

weil du nicht mehr kannst.

Du sitzt in kleinem Raum,

kannst kaum noch gehn,

die toxischen Stoffe engen dich ein.


Du bist voller Schmerzen

und doch so fähig –

ich nehm dich mit;

pack dich in meinen Rucksack –

und wir machen eine lange Wanderung.


Geh mit mir, meine Liebe,

lass dich tragen,

solange ich es noch kann –

und ich zeig dir die alten Bäume, die Bäche

und den moosbedeckten Waldboden.


Denn auch ich bin betroffen,

nicht ganz so schlimm wie du –

kann nur noch in den Wald

und auf ungedüngte Wiesen,

aber bis dahin

nehm ich dich gerne mit.

____

Dieses Gedicht wurde von Mona, der „Glasprinzessin“ geschrieben. Es ist gleichzeitig auch ein Lied, dass Mona singt, wenn sie Heimweh nach der Nordsee hat. Mona hat schwere Chemikalien-Sensitivität / MCS und muss fast die ganze Zeit draußen in der Natur verbringen.

Mona’s Geschichte: Mona die „Glasprinzessin“ – ein einsames Leben mit Wind und Wetter

Weitere Gedichte und eine Geschichte der Glasprinzessin:

Naturchaos * Heilung * Rotkehlia, das Rotkehlchen erzählt aus seinem Leben * Dazwischen * Sonntagsgeschichte: Papo Mio’s Oase für Umweltkranke * Isolation – Sonntagsgedicht der Glasprinzessin * Vertigo * Wohlig * Am Bug

Ein Ort an dem Chemikaliensensible beschwerdefrei sind

Chemiefreier Platz in der Natur

Dass sie auf Spuren von Chemikalien im Alltag zu reagieren, bedeutet für Menschen, die an Chemikalien-Sensitivität (MCS) erkrankt sind, dass es für sie kaum mehr einen Platz in unserer Gesellschaft gibt. Denn wo hält sich niemand auf, der beduftete Körperpflegemittel und Kosmetik benutzt hat, die eine Vielzahl von Chemikalien enthalten? Wo gibt es keine Abgase von Industrie, Autos und Heizungsanlagen? Wo gasen keine Chemikalien aus Baumaterialien und Mobiliar in Innenräumen aus? Wo wird nur chemiefrei gereinigt? Wo kann man an Feldern vorbei gehen die nicht mit giftigen Pestiziden gespritzt sind? Wo ist ein Strand ohne Menschen mit Sonnencreme?

Für Menschen mit MCS bedeutet die Flut von Chemikalien im ganz normalen Alltag, dass sie sich zurückziehen müssen um beschwerdefrei zu sein.

Thommy’s Blogfrage der Woche:

  • Habt Ihr als Chemikaliensensible einen Ort gefunden, wo es Euch gut geht trotz MCS?
  • Einen Platz an dem Ihr keine Symptome durch irgendwelche Chemikalien habt?
  • Wo ist Euer Ort oder Platz an dem es Euch gut geht? Wie sieht es dort aus?
  • Oder könnt Ihr Euch nur in Eurem eigenen Wohnraum mit Luftfilter aufhalten?

Neurogene Weiterschaltung: Relevanz bei Chemical Sensitivity (MCS)

NeuronEs gibt zwei miteinander vernetzte Körpersysteme, über die körperfremde Materialien Entzündungen hervorrufen können und bei Chemical Sensitivity (MCS) Relevanz besitzen können.

Immunogene Entzündung entsteht, wenn ein Antigen an einen Antikörper oder Leukozytenrezeptor bindet und dann eine entzündungsstimulierende Reaktionskaskade auslöst. Dabei ist eine vorherige Sensibilisierung erforderlich und die Entzündungsantwort kann verschiedene Formen annehmen, darunter sofortige und zellvermittelte Überempfindlichkeit.

Neurogene Entzündung (vgl. Blogbeitrag dazu) tritt auf, wenn eine chemische Substanz an einen Rezeptor für irritierende Chemikalien auf den sensorischen Nervenenden bindet und die Freisetzung von Substanz P und anderen entzündungsfördernden Neuropeptiden auslöst. Neurogene Entzündung kann auch auftreten, wenn ein Nervenimpuls bis ans Ende eines Axons eines sensorischen Nervs läuft und dort Substanz P freisetzt.

Wechselwirkung von Endzündungen

Es gibt eine Wechselwirkung zwischen immunogener und neurogener Entzündung. Substanz P (von der Nervenzelle) kann Mastzellen degranulieren und Histamin (von der Mastzelle) kann sensorische Nervenenden aktivieren. Vgl. Bild 1 (Chemikalien (C) binden an Rezeptoren der Nervenenden, Substanz P (SP) wird ausgeschüttet, Mastzellen schütten Histamin aus (H), können direkt durch Allergene stimuliert werden (Ag)).

Das Bild ist eine Vereinfachung. Eine Menge anderer Zellen und Mediatoren sind daran beteiligt. Die in Bild 1 dargestellten Zellen und Mediatoren dominieren jedoch die Typ I Allergie vom Soforttyp gegenüber Allergenen und die Überempfindlichkeitsreaktionen gegenüber Chemikalien. Klinisch können die beiden Formen zu demselben Resultat führen. Z.B. kann Asthma durch Allergene oder aber auch durch irritierende chemische Substanzen ausgelöst werden.

Das Rätsel der „Weiterschaltung“ der Symptome

Eine rätselhafte Erscheinung bei der Entzündungsreaktion ist, dass betroffenes Gewebe manchmal zu einer Entzündungsreaktion an einer anderen Stelle der Körpers führen kann. Nahrungsmittelallergien sind ein Beispiel. Das Verschlucken eines Nahrungsmittelallergens kann durch direkte Degranulation von Mastzellen des Darms mit lokaler Mediatorfreisetzung gastrointestinale Symptome verursachen (mit Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen und Erbrechen).

Ein kleiner Protzentsatz von Patienten mit Nahrungsmittelallergie entwickelt aber auch Symptome an anderen Stellen des Körpers. Das manifestiert sich dann als Asthma, Rhinitis oder Urtikaria. Lebensmittelüberempfindlichkeiten können auch zu Arthritis und Migräne führen. Dabei könnte das Histamin von den Mastzellen des Darmes an sensorische Nervenfaserenden binden und ein afferentes (in Richtung Gehirn laufendes) Signal verursachen, das dann über das Zentralnervensystem an eine andere Körperstelle weitergeleitet werden kann. Diese neurogene Weiterschaltung („neurogenic switching“) könnte auf diese Weise die verschiedenen Manifestationen von Nahrungsmittelallergien erklären.

Anaphylaktische Reaktionen

Systemische anaphylaktische Reaktionen könnten eine weitere Manifestation neurogener Weiterleitung sein. Impfung der Haut mit einem Antigen, z.B. durch einen Bienenstich, oder des Darms durch Verschlucken eines Nahrungsmittels oder eines Medikaments kann sofort multiple Organsysteme betreffen. Eine Beteiligung der Atemwege mit Bronchospasmen, Bronchorrhö, Kehlkopfödem, gastrointestinalen Symptomen, Hautreaktionen an Stellen, die von der geimpften entfernt liegen, und Herzkreislaufsymptome mit niedrigem Blutdruck durch Gefäßerweiterung können dabei auftreten. In Tiermodellen konnte eine Beteiligung des Nervensystems gezeigt werden. Das Durchtrennen des Vagusnervs schützt Ratten vor einem tödlichen anaphylaktischen Schock, ohne die Produktion von Antikörpern oder die Histaminfreisetzung zu verändern. Experimentelle Beschädigungen des vorderen Hypothalamus vermindert die anaphylaktische Reaktion beim Meerschweinchen. Neurogene Weiterleitung könnte der Mechanismus für diese Modulation der Anaphylaxe durch das Nervensystem sein. Alternativ käme hierfür jedoch auch eine generalisierte Verminderung der parasympathischen Aktivierung in Frage.

Gustatorische Rhinitis ist ein anderes Phänomen, bei dem neurogene Weiterleitung eine Rolle spielen könnte. Bei diesem Syndrom entwickeln sich Nasenlaufen, verstopfte Nase und Schwitzen im Gesicht nach dem Verschlucken pikanter Nahrungsmittel (Meerrettich?). Verschluckte irritierende Substanzen wie Capsaicin interagieren dabei mit trigeminalen Nervenendungen in der Mundhöhle. Das efferente (vom Gehirn weglaufende) Signal wird zur Nase und zum Gesicht weitergeleitet.

Neurogene Weiterschaltung bei Sick Building Syndrome

Auch das Sick Building Syndrom, bei dem verschiedene Symptome wie Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten begleitet von Schleimhautirritationen bei Bewohnern/Nutzern schlecht belüfteter Gebäude auftreten, könnte auf neurogene Weiterschaltung zurückgehen. Der Ort der Entzündung könnte von den Atemwegen zum Gehirn weitergeschaltet werden, wodurch sich dort die Gefäße erweitern und ein Ödem entsteht. Eine alternative Hypothese besagt, dass Lymphozyten am Ort, an dem die ersten Irritationen ausgelöst werden, entzündungsvermittelnde Substanzen ausschütten, die dann über die Körperflüssigkeiten zum Gehirn gelangen und dort Symptome auslösen. Von Interleukin 1 und Interleukin 2 weiß man, dass sie in Tiermodellen die Gehirnfunktion beeinträchtigen. Dieser zweite Mechanismus könnte analog „immunogene Weiterschaltung“ genannt werden.

Man vermutet, dass neurogene Entzündung auch bei rheumatoider Arthritis, Migräne und Fibromyalgie eine Rolle spielt. Die Basis für diese Erkrankungen könnte darin bestehen, dass entzündungsverursachende Stimuli über neuronale Signalwege zu den Gelenken, den Gefäßen des Gehirns oder den Muskeln weitergeleitet werden. Dann könnten entzündliche Stimuli von Allergenen, irritierenden chemischen Substanzen oder infektiösen Keimen zu einem Entzündungsschub an den betroffenen Körperpartien führen. Emotionaler Stress könnte ebenfalls zu neuronalen Signalen führen, die dann an empfänglichen Partien des Körpers zu Entzündungen führen.

Auch bei MCS?

Neurogene Weiterschaltung könnte auch bei MCS eine Rolle spielen, von dem man annimmt, dass es durch neurogene Entzündung vermittelt wird. Bei diesem Syndrom löst eine Exposition gegenüber irritierenden Chemikalien über die Atemwege Symptome in mehr als einem Organsystem aus. Ein Patient mit Chemikalienüberempfindlichkeiten hat oft an wiederkehrenden Stellen des Körpers Symptome und Entzündungen, die einem wohl definierten Muster folgen. Muskelschmerzen im Nacken, Entzündungen an bestimmten Gelenken oder Symptome des Verdauungstrakts können bei einem bestimmten Patienten immer wieder auftreten. Die Etablierung eines neuronalen Signalwegs, über den beispielsweise eine Stimulation von Rezeptoren für irritierende Substanzen in den Atemwegen via Weiterschaltung über das Zentralnervensystem in einem anderen Gewebe zu einer Entzündungsreaktion führt, könnte der Mechanismus sein, über den weitere Organe in das Krankheitsgeschehen einbezogen werden.

Hinweise für das Vorhandensein von neurogener Weiterschaltung bei Menschen mit Chemikaliensensitivitäten fanden sich auch in einer blinden, placebokontrollierten Studie, bei der die Bindehaut des Auges mit Parfüm geimpft wurde, während die Patienten frische Luft atmeten. Obwohl kein Parfüm in die Atemwege gelangte, löste das Parfüm Symptome der Atemwege aus. Dieser Effekt trat in der Placebogruppe nicht auf. In einer anderen Studie wurden bei Katzen die oberen und unteren Atemwege isoliert. Schwefeldioxid in den oberen Atemwegen produzierte dabei Bronchospasmen, obwohl es keinen direkten Kontakt des Schwefeldioxids mit den unteren Atemwegen gab.

Zusammengefasst

Die für das Verständnis so problematische Beteiligung multipler Organsysteme bei MCS tritt also auch bei Allergien auf. Dem Weiterleiten der Entzündung an andere Körperpartien könnte ein einzelner Mechanismus zu Grunde liegen, der sowohl bei Allergien als auch bei Chemikaliensensitivität auftritt: die neurogene Weiterschaltung.

Hypothesen

Es wird die Hypothese aufgestellt, dass die neurogene Weiterschaltung einen solchen Mechanismus darstellt.

Eine alternative Hypothese wäre die immunogene Weiterschaltung durch die Freisetzung von Zytokinen, die dann auf entfernte Zellen einwirken. Die Geschwindigkeit hängt dabei von den Zirkulationszeiten und den Diffusionsgeschwindigkeiten der Zytokine in den verschiedenen Körperflüssigkeiten und Geweben ab, während bei der neurogenen Weiterschaltung der zeitliche Verlauf von der Nervenleitgeschwindigkeit bestimmt wird. Neurogene Weiterschaltung würde gezielt und nach einem sich wiederholenden Muster bestimmte Organe betreffen, während immunogene Weiterschaltung einen eher diffusen Effekt haben dürfte. Der Mechanismus, über den die Weiterschaltung erfolgte, kann experimentell bestimmt werden, sowohl durch kontrollierte Exposition betroffener Erkrankter als auch in Tiermodellen. Solch ein Forschungsprogramm könnte unser Verständnis dieser Erkrankungen voranbringen und dabei zu Verbesserungen bei Diagnostik und Behandlung führen.

Autor: Karlheinz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 4. Juni 2009

Literatur:

William J. Meggs, Neurogenic Switching: A Hypothesis for a Mechanism for Shifting the Site of Inflammation in Allergy and Chemical Sensitivity, Environmental Health Perspectives Volume 103, Number 1, January 1995

W. Meggs, Immunologic Principles, in: Goldfrank’s Toxicologic Emergencies, McGraw-Hill Professional; 7. Auflage (Mai 2002), S. 231 ff

Psychische Beeinträchtigung als Folge von Chemikalien-Sensitivität – MCS

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Teil 1: MCS – plötzlich ist alles anders

Wer an MCS erkrankt ist, darf seinen Körper ganz neu kennen lernen. Plötzlich spielen bisher unbekannte Organsysteme und Körperteile verrückt. Die Zeiten, in denen einfach alles „funktioniert“ hat, sind vorbei, obwohl man erst zwanzig ist. Das Leben ist vorbei, bevor es richtig losging. Davon bleibt auch der Teil, den man gemeinhin Geist oder Seele nennt, nicht verschont. In der Fachliteratur wird dieser Teil der Wirklichkeit der Betroffenen meist in psychiatrischen Kategorien diskutiert, auf diese Weise muss man die Kranken nicht weiter Ernst nehmen. Eine Ausnahme ist Pamela Reed Gibson, sie ist Professorin für Psychologie an der James Madison University in Harrisonburg, Virginia und beschäftigt sich hauptberuflich mit MCS.

In ihrem Buch „Multiple Chemical Sensitivity, a Survival Guide (second edition)“ [1] beschreibt sie einige ihrer Ergebnisse. Viele ihrer Studienteilnehmer berichteten von erlittenem schwerem Leid und Traumatisierungen aufgrund der Veränderungen in ihrem Leben und der Verluste, die sie als Ergebnis ihrer Erkrankung hinnehmen mussten. Viele leben ohne die nötigsten Dinge, wie eine Wohnung, medizinische Versorgung und Zugang zu öffentlichen Versorgungs- und Dienstleistungen. Anderen stand das Nötigste zur Verfügung, aber sie erlebten Verluste andere Art, wie zerstörte Karrieren, nicht mehr zugängliche Bildungsmöglichkeiten, Reisen, Hobbies und verlorene soziale Integration. Weitere persönliche Demoralisierung resultierte aus dem Mangel an Aufmerksamkeit und Sorge für dieses Gesundheitsproblem von Seiten der medizinischen Berufe und der allgemeinen Öffentlichkeit. Manch einer wurde von diesen Missständen überwältigt und niedergedrückt. Ein Fünftel der Studienteilnehmer der Phase I ihrer Studie hatten ernsthaft einen Suizid erwogen, 8% hatten einen konkreten Plan gemacht und 3% tatsächlich einen Versuch unternommen.

Folgen von MCS – Verluste

Die Folgen fasst Professor Pamela Reed Gibson schließlich in drei Worten zusammen: Verlust, Verlust und nochmals Verlust. Es wirkt traumatisch, den Zugang zu fast allem zu verlieren, was man je angestrebt, wofür man gearbeitet hat und was man eines Tages für sein Leben zu erreichen hoffte.

Sie teilt die psychischen Reaktionen in direkte und sekundäre ein.

Direkte Reaktionen

Als direkte Reaktionen zählt sie dabei solche, die direkte Effekte chemischer Expositionen auf das psychische System sind. Dazu gehören Depressionen, Angst, Panik-Attacken, Irritierbarkeit, Unruhe, Verwirrung, Aggressivität oder auch äquivalente kognitiver Defizite.

Prof. Gibson betont, dass es wichtig ist, möglichst viele dieser direkten Wirkungen zu erkennen, um sie von den wahren eigenen Emotionen unterscheiden zu können. Es sei wichtig, umweltbedingte Ursachen auszuschließen, bevor man sich in der Angelegenheit mit sich selber auseinanderzusetzen versucht, oder bei anderen Rat sucht. Direkte Reaktionen fühlen sich oft wie nicht kontrollierbar an. Die Herausforderung besteht dann darin, nicht zuzulassen, dass derartige Reaktionen dazu führen, dass man seinen eigenen ethischen Maßstäben entgegen handelt. Es ist in solchen Situationen von großem Nutzen, wenn man eine nahe stehende Person hat, die zu erkennen vermag, wenn man in Verwirrung gerät, und einen dann aus der Gefahrenzone bringen kann. Letzten Endes bleibt es jedoch unsere eigene Aufgabe, die Verantwortung für uns zu übernehmen und uns zu kontrollieren.

Sekundäre Reaktionen

Sekundäre Reaktionen resultieren aus dem Erfordernis, mit den direkten Reaktionen umgehen und langfristig damit leben zu müssen. Prof. Gibson führt dabei folgende Problemfelder auf:

Verlust

MCS kann den Betroffenen den Arbeitsplatz, Freunde, Bildungsmöglichkeiten und die soziale Integration rauben. Auch attraktive Wahlmöglichkeiten hinsichtlich Kleidung, Kosmetik und Wohnungseinrichtung gehen oft verloren. Die Verluste können drastisch sein und tief gehen und erfordern Trauerarbeit und große Flexibilität, um trotzdem gut zurecht zu kommen.

Isolation

Die physische Isolation, die daraus resultiert, dass man viele öffentliche Örtlichkeiten nicht mehr toleriert, und die geistige Isolation, die daher rührt, dass man eine Krankheit hat, die niemand versteht, können drastische oder gar als katastrophal empfundene Belastungen sein. Dies insbesondere dann, wenn sie zu dem Stress durch die Krankheit an sich und den häufigen existenzbedrohenden finanziellen Verlusten hinzukommen. Ignoranz und Fehlverhalten anderer können den Druck und die Isolation weiter erhöhen.

Ständige Alarmbereitschaft

Das Leben mit MCS erfordert permanente Wachsamkeit, insbesondere, wenn die Reaktionen stark behindernd oder lebensbedrohlich sein können. Die Betroffenen müssen nun Orte fürchten, die früher eine Quelle der Freude waren. Warenhäuser, Kinos, Partys können nicht mehr so ohne weiteres aufgesucht werden, wenn man jeden Moment bereit sein muss, sich aus der Gefahrenzone zu bringen, wenn man auf Parfüm oder Rauch stößt. Daraus resultierend kommen schließlich noch Zukunftsängste dazu, insbesondere, wenn sich die Sensitivitäten ausbreiten und immer mehr Chemikalien dazukommen.

Ärger und Frustration

Ärger und Frustration sind normale Reaktionen auf Verlust, missverstanden werden und körperliche Beeinträchtigungen durch Expositionen, Diskriminierung und Fehldiagnosen. Man muss einen Weg finden, damit umzugehen, wenn man sich davon nicht bestimmen lassen will.

Vermeintlich obsessiv-zwanghafte Verhaltensweisen

Das Vermeiden von Symptomauslösern in der Umwelt resultiert in Verhaltensweisen, die obsessiv-zwanghaften Merkmalen ähneln können, insbesondere für solche Leute, die nicht verstehen, wie wichtig die Vermeidung der Auslöser für die Betroffenen ist. Vorsichtsmaßnahmen können rigide erscheinen und Spontaneität vermissen lassen. Z.B. immer aufzupassen, ob jemand eine Zigarette anzündet oder eine mögliche Pestizidkontamination eines Gebäudes vor einem Besuch desselben telefonisch abzuchecken. Das Vermeiden einer großen Anzahl von Nahrungsmitteln oder das auslüften der Post, um das Risiko, Parfüm zu begegnen, zu reduzieren. Oder aber das grundsätzliche mehrmalige Auswaschen neuer Kleidung mit Soda. All dies kann Außenstehenden seltsam vorkommen. Wenn der Charakter danach beurteilt wird, kann einem versehentlich eine obsessiv-zwanghafte Störung attestiert werden.

Selbstvorwürfe

Menschen mit Chemikalien-Sensitivität grübeln vielleicht darüber nach, wie sie bloß so krank werden konnten und ob sie irgendetwas hätten tun können, um das zu vermeiden. Und diejenigen, denen es laufend schlechter geht, quälen sich manchmal mit Fragen wie „Warum habe ich mir nicht früher einen Wasserfilter angeschafft?“ oder „Warum bin ich bloß in einem Haus mit Ölheizung geblieben?“ Medizinische Lehrmeinungen, die das Gefühlsleben für Krankheiten verantwortlich machen oder sagen, jeder bekommt, was er verdient, oder dass wir uns „unsere eigene Welt“ machen, gießen weiter in unangemessener Weise Öl in dieses Feuer.

Mangelnde Kontrolle über emotionale Reaktionen

Die meisten Menschen haben wenigstens eine gewisse Kontrolle darüber, welche Emotionen sie in der Öffentlichkeit zeigen wollen. Menschen mit Chemikalien-Sensitivität können jedoch von Reaktionen überrascht werden, die die Hirnfunktion betreffen können. Diese Reaktionen können dazu führen, dass man expositionsbedingte Irritationen, Tränen oder Nervosität in Situationen zeigt, in denen derartige sichtbare Symptome negative Folgen haben können, z.B. am Arbeitsplatz.

Mangelnde Privatsphäre in Gesundheitsdingen

Gesundheitsprobleme, die bei der Arbeit nicht beeinträchtigen, können vor dem Arbeitgeber geheim gehalten werden. Wenn die Gesundheit jedoch Anpassungen am Arbeitsplatz verlangt, geht das nicht. Insbesondere, wenn die Krankheit, die man hat, öffentlich oft als psychische Störung denunziert wird, kann das negative Folgen haben.

Mangelnde Kontrolle der eigenen Lebensweise

Die Notwendigkeiten des Überlebens diktieren oft so viele Bedingungen, die man einhalten muss, dass nur noch wenige Gestaltungsmöglichkeiten bleiben. Z.B. ein kontaktfreudiger Mensch wird gezwungen, Isolation zu ertragen, was nicht zu seinem Lebensstil passt und so zu einer weiteren Quelle von Demoralisierung wird. Ähnliches gilt für verbleibende Arbeitsmöglichkeiten, die häufig die Ausübung des gewählten Berufes nicht erlauben.

Negative Haltung gegenüber konventioneller Medizin

Menschen mit MCS müssen sich selber informieren und sich für ihre Belange einsetzen, um zu überleben. Wenn man wenig oder gar keine Hilfe von konventionellen Ärzten erfahren hat, beginnt man, von deren Seite Ablehnung und nur noch wenig Gutes zu erwarten. Wenn MCS-Kranke schließlich in Behandlung kommen, erscheinen sie potentiellen Helfern möglicherweise fälschlicherweise als aggressiv, widerspenstig oder paranoid. Die sehen dies dann eventuell nicht im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Betroffenen, in der sie nur inadäquate medizinische und psychologische Hilfe erfahren haben.

Falsche Zuordnungen aufgrund von Reaktionen

MCS-Betroffene können aufgrund einer Exposition ängstlich oder aggressiv werden, ohne zu wissen, woher die Exposition kam. Da es in unserer Gesellschaft keinen Mangel an Stress gibt, kann es passieren, dass die Person einen psychologischen Stressor dafür verantwortlich macht, obwohl er, obgleich vorhanden, nicht der Verursacher war. Die betroffene Person wird so dazu verleitet, ihre eigene Fähigkeit, psychologisch angemessen zu reagieren, in Frage zu stellen. Es ist sehr wichtig, solche Situationen zu klären, um nicht irrtümlich soziale oder arbeitsbezogene Vorkommnisse verantwortlich zu machen und so Freunde oder Kollegen zu entfremden.

Verlust einer stabilen kontinuierlichen Persönlichkeit

Anselm Strauss [2] diskutiert den Verlust einer kontinuierlichen Identität, wenn jemand chronisch krank wird. Bei jeder chronischen Erkrankung kann das Empfinden der Person für das eigene Selbst und Wohlergehen je nach dem momentanen physischen Zustand schwanken. Da Expositionen bei MCS-kranken Personen zu emotionalen Reaktionen führen können, die von dem normalen Zustand so sehr verschieden sind, erleben sie das möglicherweise als Diskontinuität in ihrem Selbstgefühl. Beispielsweise können sich manche, wenn sie gerade keine Reaktion erleiden, nicht vorstellen, wie krank sie auch sein können. Und wenn sie dann eine Reaktion haben, können sie sich nicht daran erinnern, sich gesund gefühlt zu haben, oder einen Sinn für persönliches Wachstum und Selbstbestimmung entwickeln. Diese schlechten Zeiten sind auch schädlich für Beziehungen. Das Leben anderer Leute geht unabhängig von dem eigenen Zustand weiter. Es kann schwierig sein, sozial immer wieder „aufholen zu müssen“.

Autor:

Karlheinz für CSN – Chemical Sensitivity Netwok, 29. Mai 2009

Literatur:

[1] Pamela Reed Gibson, Multiple Chemical Senisitivity, a survival guide (second edition), Earthrive Books, 2006.

[2] Anselm Strauss, Chronic illness and the quality of life, St. Louis, MO, C.V. Mosby Company, 1984.