Archiv der Kategorie ‘Chemical Sensitivity‘

Gericht entscheidet: Möbel die Chemikalien ausdünsten, müssen zurückgenommen werden – auch nach über einem Jahr

Schlafzimmermöbel dürfen keine Chemikalien ausdünsten, entscheidet Gericht

Rechtsgültiges Urteil:

Möbel die Chemikalien ausdünsten, müssen zurückgenommen werden

Zur Frage, ob ein von Schlafzimmermöbeln über längere Zeit ausgehender unangenehmer Geruch den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt:

Wenn Schlafzimmermöbel auch mehr als ein Jahr nach dem Kauf noch einen unangenehmen Chemikaliengeruch verströmen, dann kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten. Dabei ist es ohne Belang, ob die Gerüche auch gesundheitsschädlich sind.

Das entschied das Landgericht Coburg, bestätigt durch das Oberlandesgericht Bamberg, und verurteilte den Verkäufer zur Rückzahlung des Kaufpreises von rund 6.200€. Der Geruch und die damit verbundene nachvollziehbare Sorge der Käuferin, dass dadurch ihre Gesundheit gefährdet werde, verhindern nach Auffassung der Gerichte einen ungestörten Gebrauch der Schlafzimmereinrichtung.

Sachverhalt

Rund ein Drittel seiner Lebenszeit verbringt der Mensch schlafend, so dass das Schlafzimmer regelmäßig der am längsten genutzte Raum ist. In ihrem Refugium wollte es die Klägerin daher gemütlich haben und kaufte beim Beklagten eine Einrichtung in Esche massiv für rund 6.200€. Doch auch Monate nach dem Kauf verströmten die Möbel einen unangenehmen Chemikaliengeruch. Die Klägerin monierte das, der Verkäufer konnte aber keine Abhilfe schaffen. Als eine Raumluftanalyse eine auffällige Häufung flüchtiger organischer Verbindungen ergab, trat die Klägerin vom Kauf zurück und klagte auf Rückzahlung des Kaufpreises.

Gerichtsentscheidung

Mit Erfolg, denn das Landgericht Coburg gab ihrer Klage statt. Auch noch 13 Monate nach der Anlieferung ging von der Schlafzimmereinrichtung ein störender Geruch aus. Unabhängig von der Frage, ob es für die organischen Verbindungen einen verbindlichen Grenzwert gibt und dieser überschritten war, eignen sich die Möbel nicht für die gewöhnliche Verwendung, also das Schlafen in dem mit ihnen ausgestatteten Raum, und sind deshalb mangelhaft. Denn auch ohne besondere Vereinbarung kann ein Käufer solcher Möbel erwarten, dass sie geruchsneutral sind oder Geruchsentwicklungen, die wegen der Lackierung unvermeidbar sind, zumindest alsbald nach dem Aufstellen verschwinden.

Fazit

In Schlafzimmermöbeln, die einem buchstäblich stinken, muss man nicht in seine Träume sinken.

Literatur:

Landgericht Coburg, Wenn das Schlafzimmer dem Käufer stinkt, Pressemitteilung 426/09, 28. August 2009

LG Coburg, Urteil vom 13.5.2009, Az: 21 O 28/09; OLG Bamberg, Beschlüsse vom 13.7. und 7.8.2009, Az: 6 U 30/09; rechtskräftig

Die Situation für Umweltkranke wäre leicht zu verbessern – Aber das kostet

Behörden - Kranke sind nur eine Nummer

„Mir steht nichts zu“: Kein Geld für kranke Menschen Teil 2

Im ersten Teil dieses Blogs schreibt eine schwer kranke Frau, Marion, an die Berliner Senatsverwaltung. Marion leidet u.a. an MCS, der Multiplen Chemikalien Sensitivität, bei der die Betroffenen wie allergisch auf Chemikalien im Alltag reagieren. Sie muss in Berlin-Neukölln wohnen, obwohl sie von den Abgasen der Allesbrenner-Heizungen und vom Schimmel in ihrer Wohnung schwer krank wird.

Marion und andere Menschen in ihrer Situation benötigen dringend mehr Geld. Behörden antworten in eiskaltem Amtsdeutsch auf ihre Briefe, in denen sie ihre Situation deutlich macht. Auch der Berliner Senat antwortete auf diese Art, und verwies sie wieder auf JobCenter, Sozialdienst, Gesundheitsamt. Dabei hatte sie an den Senat geschrieben, weil ihr diese Stellen nicht geholfen hatten.

Dennoch bleibt Marion höflich und antwortet dem Senat. Sie erklärt noch einmal ihre Lage.

sehr geehrter herr b.,

vielen dank für ihre antwort.

letztes jahr im august, hatten wir eine wohnung gefunden, mein mann ist persönlich mit dem wohnungsangebot und einem attest für meine person, welches die dringlichkeit eines wohnungswechsels bescheinigte, zum jobcenter.

und wissen sie was passierte, nichts, er wurde erst garnicht zum zuständigen sachbearbeiter vorgelassen, man nahm das wohnungsangebot und attest in empfang und sagte ihm, er müsse auf eine entscheidung warten, das könnte dauern. nachdem wir dort mehrmals nachgefragt haben, wann wir eine genehmigung die wohnung erhalten würden, kam nach wochen ein lapidares schreiben, das kein wohnungsangebot vorliegen würde und das obwohl mein mann persönlich dort vorgesprochen hatte.

mein mann musste letztens zum arbeitsberater und da fragte die dame, ob wir die wohnung gewechselt hätten, da im computer die anfrage eingetragen worden war, soviel dazu.

die wohnung war natürlich weg. wir können jede wohnung vergessen, bis beim jobcenter entschieden wird, hat jeder vermieter längt die wohnung an andere personen vermietet. wie sie auch heute, aus einem artikel im tagesspiegel ersehen können, ist preiswerter wohnraum in berlin mangelware. selbst die arbeitende bevölkerung muss heute jeden cent umdrehen und zieht sogar nach nord-neukölln und was meinen sie, wem ein vermieter dann die wohnung vermietet? bestimmt nicht dem hartz-4-bezieher, der bitte, bitte beim jobcenter machen muss und die hetze in den medien hat auch einiges dazu beigetragen.

ich habe mich längst daran gewöhnt, überal durchs raster zu fallen, das habe ich bei der krankenkasse gemerkt, die eine alternativbehandlung ablehnt, weil ich keinerlei medikamente der schulmedizin vertrage und auch auf ihre paragraphen verweist und das merke ich an allen stellen, an die ich mich hinwende.

meinen sie ihr sozialdienst oder gesundheitsamt könnte einschätzen, wie es mir geht. die wissen doch nicht mal was mcs ist und wie krank man durch die umwelt und seine mitmenschen wird und wenn man dann in diesem luftkurort neukölln-nord leben muss, wo jeder einfach seinen dreck hinwirft, müll verbrennt, etc., kann man schon verzweifeln, denn das einzige was man sich zu schulden hat kommen lassen, ist krank zu werden.

bisher konnte mir noch niemand eine stelle nennen, die mir vielleicht helfen könnte und das wird wohl auch in zukunft so bleiben.

„Mir steht nichts zu“

Für diesen Blog erklärt Marion:

„ich habe mich übrigens an das Gesundheitsamt gewandt, an die Stelle für Behinderte, man kannte dort MCS nicht und man sagte mir, nach 2 Stunden Telefonat, man kann nichts für mich tun, mir steht nichts zu.“

Ganz klar. Kranken Menschen steht hier nichts zu. Die können nicht mehr arbeiten, die kann man nicht für 1-Euro-Jobs missbrauchen, die braucht keiner mehr. Mehr oder weniger geduldet müssen sie leben bzw. langsam sterben.

Die Situation wäre leicht zu verbessern – Aber das kostet

Die Situation wäre deutlich zu verbessern. Eine saubere Wohnung, evtl. Luftreinigungsgeräte. Geld für Biolebensmittel. Notwendige Hilfsmittel, die das Leben mit der Gelenkerkrankung erleichtern. Dadurch könnte sich Marions Gesundheit wieder stabilisieren. Sie könnte so mit ihrem Mann zusammenleben, wie sie es sich wünscht, statt in getrennten Zimmern. Allgemein können MCS-Erkrankte sogar wieder fähig werden, evtl. nach einer Weiterbildung, einen Beruf z.B. als Online-Job auszuüben, sodass sie nicht schon in jungen Jahren aufs Abstellgleis geschoben werden. Und die Menschen, die nicht mehr arbeiten können, brauchen eine dauerhafte Grundsicherung.

Man sieht mal wieder, worum es hier geht. Kranke braucht keiner mehr. Man muss sie nicht ruhig halten, das sie in ihrem Handlungsspielraum stark eingeschränkt sind. Man muss sie nicht durchfüttern, um sie wieder arbeiten zu schicken, wenn die Wirtschaft wieder mal brummt. Diesen Personen, die das Alles veranlassen, geht es nicht um Menschen. Denen geht es nur um Profit.

Autoren: Marion und Amalie für CSN – Chemical Sensitivity Network, 3. September 2009

Teil 1: „Mir steht nichts zu“: Kein Geld für kranke Menschen

CSN im TV – Wenn der Job Menschen krank macht – Gift am Arbeitsplatz

Gift am Arbeitsplatz

Heute wurde ein TV Beitrag gedreht, in dem auch CSN und Dr. Klaus Runow vom Institut für Umweltkrankheiten mitgewirkt haben. Die Reportage „Gift am Arbeitsplatz“ wird morgen schon gesendet. Wer den SWR nicht empfangen kann, ab Freitag wird der Beitrag auch online zu sehen sein.

SWR Ländersache – Sendung am Donnerstag, 03.09.2009, 20.15 bis 21.00 Uhr

Wenn der Job Menschen krank macht – Gift am Arbeitsplatz

Sie darf weder Weichspüler noch Haarspray benutzen, und wenn Besucher kommen, bittet sie sie, kein Parfum aufzulegen. Silvia Müller ist krank – ihr Körper reagiert allergisch auf immer mehr Chemikalien. Der Grund: Ihr früherer Arbeitgeber, ein großes Warenhaus, versprühte jede Nacht Insektengift, Silvia Müller und mehrere ihrer Kollegen wurden dadurch offensichtlich vergiftet. Inzwischen ist sie schwerbehindert und Frührentnerin.

Kein Einzelfall: Auch verschiedene Mitarbeiter einer Modekette in Mainz wurden krank: Beim Auspacken und Aufbügeln der frisch gelieferten Ware kamen sie zu oft in Kontakt mit Chemikalien in Kleidung und Verpackung. Eine junge Dekorateurin musste mit gerade einmal Mitte 20 ihren Beruf aufgeben.

Viele Menschen werden krank durch ihren Arbeitsplatz – auf Hilfe von außen können sie meist nicht hoffen; Berufsgenossenschaften und Staatsanwälte scheuen sich offenbar, Präzedenzfälle zu schaffen. Sabine Rappen über das Tabuthema Berufskrankheit.

Text SWR: Sabine Rappen

Bild: SWR

„Mir steht nichts zu“ – Kein Geld für kranke Menschen Teil 1

Akte geschlossen - Keine Hilfe für Kranke

Kranke Menschen brauchen mehr Geld als gesunde, um überleben zu können. Das ist klar. Eine verschimmelte Wohnung kann lebensbedrohlich für jemanden mit schweren Allergien werden. In diesem Fall leidet eine Frau, Marion, an Allergien und MCS (Multiple Chemikalien-Sensitivität, die Betroffenen reagieren wie allergisch auf Chemikalien). Dazu kommen bei ihr noch Gelenkerkrankungen.

Benötigt wird also ein schadstoffarmes Umfeld und verschiedene Hilfsmittel. Nicht zu bezahlen, wenn man von Sozialgeldern leben muss. Hier wird der minimale Grundbedarf definitiv nicht gedeckt. Marion lebt in einer Wohnung und einer Umgebung, die sie jeden Tag kränker machen. Selbst ihre Hunde und ihr Mann werden von dem Schimmel krank.

Was hier in diesem Blog geschildert wird, ist kein Einzelfall. So geht man mit den meisten kranken Menschen, die dringend mehr Geld benötigen, um.

Den folgenden Brief hat Marion an die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales geschickt.

sehr geehrte damen und herren,

ich möchte ihnen heute mal meine problematik darlegen, ich leide unter multiplen allergien, mcs (Multiple Chemical Sensitivity) und diversen gelenkerkrankungen, die u.a. verhindern, das ich überhaupt am öffentlichen leben teilnehmen kann. leider, aufgrund unserer finanziellen situtaion, ich bekomme eine kleine em-rente, mein mann alg 2, waren wir gezwungen billigen wohnraum in berlin neukölln, nähe flughafen tempelhof anzumieten.

seitdem ich in dieser wohnung lebe hat sich mein gesundheitszustand rapide verschlechtert. es handelt sich um eine erdgeschosswohnung, wobei anzumerken ist, das in 1,5 m entfernung die autos lustig rückwärts in parkhäfen einparken und so ihre abgase in die zwei haupträume der wohnung pusten. die wohnung ist ungünstig geschnitten, egal wo man das fenster öffnet, frische luft ist mangelware und das für jemanden der mit massiven gesundheitsproblemen auf abgase, zigarttenrauch, renovierungsgerüche, duftstoffe, etc., etc. reagiert ist das der reinste horror.

in den wintermonaten ist die luft hier noch extrem von den heizern mit den allesbrennern belastet, die das wort allesverbrenner wörtlich nehmen.

hinzu kommt, das wir in der wohnung vor 2 jahren einen wasserschaden hatten, die damalige mieterin lies 2 stunden die badewanne mit lauge überlaufen und überschwemmte damit unsere wohnung. die hausverwaltung stellte uns 14 tage ein trockengerät (von dem horror den das für mich bedeutete, in dieser feuchten, riechenden wohnung leben zu müssen, möchte ich erst garnicht berichten) und lies dann die wände neu streichen, das wars. seitdem kann ich 1 zimmer garnicht mehr bewohnen, d.h. mein mann und ich leben seitdem wie in einer wg, jeder hat ein wohn/schlafzimmer.

die hausverwaltung ist natürlich für nichts zuständig, man sieht ja nichts und gelte mit meiner mcs eh als unnormal, nur mittlerweile reagiert mein mann mit allergien auf sein wohn/schlafzimmer, die sich in ständig verstopfter nase, tränenden augen, usw. äussern, selbst der hund ist seitdem an allergien erkrankt, was vom tierarzt zu belegen ist.

egal wo wir uns hingewandt haben, sagte man uns, ziehen sie aus. nur finden sie einmal eine wohnung für den preis von 444 Euro warm, worin ein erkrankter leben kann. mittlerweile ist es in berlin so, das schon abgewunken wird, wenn die wohnungsbesitzer das wort alg 2 hören, sie haben ja alle so schlechte erfahrungen mit diesen menschen gemacht…

selbst hier in der gegend liegen die preise für eine kleine 2-zimmer-wohnung über dem zugebilligtem satz.

und wenn eine wohnung noch für diesen preis zu haben ist, dann müssen sie die nicht renovieren sondern sanieren, so runtergekommen sind diese wohnungen.

während ich dies hier schreibe, zittere ich wie espenlaub, mein mund brennt, ich kämpfe nach luft und meine hände sind eiskalt, ich hatte versucht zu lüften, nur ein vorbeifahrendes auto und ein fussgänger mit zigarette haben gereicht, um diese symtome auszulösen und damit kämpfe ich tag für tag.

bitte entschuldigen sie die kleinschreibung, aber aufgrund von gelenkerkrankungen bin ich nicht in der lage, meine finger normal zu benutzen.

mit freundlichen grüssen

marion

p.s. ich werde dieses schreiben als offener brief im csn-forum für mcs erkrankte veröffentlichen

Die Antwort der Senatsverwaltung lautet wie folgt:

Sehr geehrte Frau ,

zum einen haben Sie Dank, dass Sie sich vertrauensvoll an meine Behörde gewandt haben.

Ich habe Ihr Schreiben aufmerksam gelesen und möchte Ihnen wie folgt antworten.

Gestatten Sie mir aber zunächst eine Vorbemerkung:

Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales ist nicht die vorgesetzte Dienstbehörde der Berliner JobCenter. Nach der Berliner Verfassung und dem Bezirksverwaltungsgesetz sind wir weder befugt noch in der Lage in Verwaltungsabläufe der JobCenter einzugreifen, Bescheide der JobCenter zu ändern oder bestimmte Entscheidungen zu erzwingen. Sie Senatsverwaltung hat stattdessen ein einheitliches, rechtskonformes handeln der JobCenter z.B. im Bereich der Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewährleisten.

Ihr Umzugswunsch ist auf jeden Fall nachvollziehbar und ich denke, er würde von Ihrem zuständigen JobCenter entsprechend unterstützt werden.

Es ist aber in Tat so, dass bei Neuanmietung einer Wohnung gem. Ziff. 3.2.2 Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gem. § 22 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII (AV-Wohnen), der Richtwert für 2 Personen, hier 444€, einzuhalten ist.

Ausnahmeregelungen gibt es dem Grunde nach nur bei Wohnungslosigkeit oder bei akut drohender Wohnungslosigkeit.

Allerdings möchte ich Ihnen gerne raten, sich hierzu mit dem Sozialdienst Ihres Bezirkes in Verbindung zu setzen.

Denn sollte dieser oder der Fachdienst des Gesundheitsamtes feststellen, dass eine Neuanmietung für Sie, tatsächlich nicht bis zur Höhe des Richtwertes möglich ist, so sollte dies im Rahmen einer Einzelfallentscheidung Berücksichtigung finden.

Dies vermag ich von hier aber nicht zu entscheiden.

Auch wenn ich Ihnen nicht direkt bei der Lösung Ihres Problems behilflich war, so hoffe ich dennoch weitere Möglichkeiten zur Behebung dessen aufgezeigt zu haben

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

Marion wurde mit diesem eiskalten Amtsdeutsch nur abgewimmelt. Kein Sozialdienst, kein Gesundheitsamt und schon gar kein JobCenter half. Sie sitzt immer noch in der unerträglichen Wohnung. Marion antwortete dem Herrn B., der ihr „Im Auftrag“ geschrieben hatte. Sie machte ihre Situation nochmals deutlich. Diesmal antwortete der feine Herr B. nicht und auch kein Anderer.

Autoren:

Marion und Amalie für CSN – Chemical Sensitivity Network, 2. September 2009

Die Kasse klingelt, die Menschen leiden – Warum Krankenkassen Kranke brauchen

Das Gesundheitssystem muss Kranke haben um zu funktionieren, keine Gesunden

Die Krankenkassen haben sich noch nie für die Anerkennung von MCS eingesetzt. Man könnte denken, dumm. Chemikaliensensitive vertragen keine Chemikalien. Also auch keine desinfizierten Arztpraxen mit zehn Parfümierten im Wartezimmer und schon gar keine chemischen Mittelchen. Viele MCS-Patienten haben exakt Null Zugang zu medizinischer Versorgung. Die idealen Patienten für die Kasse, oder? Versicherte, deren Beiträge reinkommen, ohne dass sie jemals etwas kosten, weil sie keine Behandlung vertragen?

Sagen wir es anders: MCS-Patienten sind nicht profitabel. Da zieht keine Apparatemedizin, keine Mittelchen. Klingelt keine Pharma-Kasse. Braucht man eine saubere Wohnung und Biolebensmittel. Das Einzige, was man so richtig absetzen könnte, wären Wasserfilter und Luftfilter für unsere verdreckte Luft und das verschmutze Wasser. Dürfen die Kranken alles selbst zahlen. Oder bekommen sie nicht, weil sie von Hartz IV leben, will sagen sterben, müssen.

An Depressiven oder anderen Psycho-Patienten verdient man mehr. Also, MCS lieber „fehldiagnostizieren“. Müsste den Menschen, die krank sind und keine Ahnung haben warum, mal einer sagen „Wir brauchen Sie noch als Rohstoff für die Pharma-Industrie, wir können Ihnen nicht helfen, tut uns gar nicht Leid, sie müssen noch mal in die Psychiatrie bzw. xy einnehmen.“

Kassen mögen keine Gesunden – Für Kranke gibt’s Euros vom Steuerzahler

Warum ziehen die Krankenkassen da mit? Die zahlen doch für die Profite der Pharmafirmen, oder nicht? Klar tun sie. Und werden dafür hoch entlohnt. 2006 gab es 4,1 Millionen auf Depression diagnostizierte Menschen in Deutschland. Pro Nase gab das 1500 Euro. Nein, nicht für den Patienten, dessen Stimmungslage durch die 1500 vielleicht etwas aufpoliert worden wäre. Für die Krankenkasse. Aus dem staatlichen Gesundheitsfonds!

Das Selbe gilt für Diabetes, Bluthochdruck usw. Ein Patient, der durch Sport und gesunde Ernährung wieder gesund wird, gefällt der Kasse nun nicht mehr. Kranke sind doch viel teurer. Auch Krebs wird gut belohnt.

Krankheitsorientierte Zuschläge

Morbiditätsorientierter Risikozugschlag nennt sich das ganze Prinzip. Morbiditätsorientiert heißt krankheitsorientiert. Sollen wir, also sozusagen die dummen Bauern, alle krank werden? Aber klar, am Besten gerade so krank, dass wir noch arbeiten und Mehrwert produzieren, den sowieso nur Andere kassieren, und trotzdem von einem sich wunderbar einigen Gesundheitssystem ausgenommen werden können.

Aufwandsentschädigung heißt das, wenn Menschen verkauft werden

Die Ärzte spielen fleißig mit. Sie sollen jetzt sogar ihre Diagnosen noch mal überdenken. Das Schönste wären doch Patienten, die relativ gesund und auf dem Papier schwer krank sind – keine Kosten, trotzdem Zuschlag. Daher: Bereitwillig stellen die Kassen vorgefertigte Formulare zur Verfügung. Der Arzt braucht nur noch seine Kontonummer einzutragen. Der Arzt bekommt noch zehn Euro dazu! Wirklich, da wird knallhart gehandelt.

Aufwandsentschädigung ist in Kreisen der Medizin-Industrie der Begriff dafür, wenn Menschen eiskalt verkauft werden. 250 Euro Aufwandsentschädigung gibt es für die Versuchskaninchen bei der Schweinegrippeimpfung, die arm genug sind, um dann die Nebenwirkungen wie Fieber, schwerste Entzündungsreaktionen und Bluthusten dulden müssen. Meint der saubere Professor, solche Reaktionen seien normal bei dem neuen Wirkungsverstärker in der Impfung.

Illegal? Aber nicht doch, Formulierung nach vorn und hinten wasserdicht!

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte sogar noch die Krankenkassen, das Einholen zusätzlicher Daten sei illegal. Von einem Prozess hat man nichts gehört. Kommt ja immer auf die Auslegung an. Jeder Chefetagenanwalt kommt durch den Schweizer Käse der Gesetze durch, und falls nötig, werden mal ein paar Augen mehr zugedrückt. Man kennt sich ja. Die Ärzte sollen ja nur ihre Diagnosen nochmal überprüfen, von mehr Diagnosen stellen steht da ja nichts.

Der Markt wird’s schon regeln?

So kann’s gehen. Der Markt wird’s schon regeln? Die soziale Marktwirtschaft wird’s richten? Weder der Markt noch seine steuerfinanzierten Profitmaximierungshelfer regeln irgendwas zum Wohl der Bevölkerung. Wir sind das Rohmaterial bei der Profitgewinnung. Wir zahlen die Profite. Mit Geld, Zeit, Gesundheit und Leben.

Zu der Studie, die zeigt, dass MCS-Patienten das Gesundheitssystem weniger beanspruchen als der Durchschnitt:

Zusammengefasst besagt die Studie, dass – bei insgesamt 563 Studienteilnehmern an einer Kohortenstudie über drei Jahre – bei den MCS-Patienten die Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen im Jahresdurchschnitt um 8,7% sank, während dieser Jahresdurchschnitt bei der nicht chemikaliensensiblen Bevölkerung des Ortes nur um 1,3% sank. Es wurden durch die geringere Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen durch die chemikaliensensiblen Personen insgesamt 77.440 Dollar gespart. Es lässt sich errechnen, dass so pro chemikaliensensibler Person im Vergleich zum Durchschnitt der nicht chemikaliensensiblen Bevölkerung 137,55 Dollar gespart wurden.


Das entspricht einer Ersparnis von 52680 Euro insgesamt oder einer Ersparnis von 93,57 Euro pro chemikaliensensibler Person, wenn man von den Devisenkursen des 08.01.08 ausgeht.

Autor: Amalie, CSN – Chemical Sensitivity Network, 29. August 2009

Weitere interessante Artikel von Amalie:

Literatur:

Gourmets, Weinkenner und Restaurantkritiker einig: Parfum im Restaurant, bitte nicht

Weinkenner, Restaurantkritiker, Gourmets lehnen Parfum ab

Gourmets, Weinkenner und Restaurantkritiker haben einige gemeinsame Vorlieben und gemeinsame Abneigungen. Erlesene frische Zutaten, gepflegtes Ambiente, ein guter Tropfen lassen sie in Verzückung geraten. Grauenvoll hingegen finden sie, wenn ihnen ein Parfum die Sinne raubt, mit denen sie genießen wollen, um Sterne zu vergeben oder Kritiken zu schreiben.

Michael Bauer vom San Francisco Chronicle schrieb im Juni zum zweiten Mal über das Thema Parfum im Restaurant, der Restaurantkritiker ließ seinem Frust freien Lauf und titelte:

Lasst uns Parfums aus Restaurants verbannen

Der Restaurantkritiker lässt wissen, warum er gerne so rigoros vorgehen möchte. Er sei in Restaurants oft mit Gästen konfrontiert, die nach Cologne oder Parfum stinken. Es müsse gesagt werden, dass sei widerlich, und in manchen Fällen würde einem schlecht davon, gelinde ausgedrückt.

Parfum schlimmer als Passivrauch

Duftstoffe seien für ihn nahezu schlimmer als Passivrauch, schreibt der Restaurantkritiker, weil er Schmerzen davon bekäme. Schwaden von stinkendem floralen Parfum umwaberten einen, während man sein Essen genieße. Das würde nicht nur dazu führen, dass alles wie eine LKW Ladung Gardenien schmecken würde, es würde bei ihm auch Kopfschmerzen verursachen.

Professionelle Weintester tragen nie Parfum

Michael Bauer erinnert in seinem Artikel die Leser daran, dass professionelle Weintester wissen, dass man kein Parfum trägt, weil es den Eindruck über den Wein verfälscht. Aus diesem Grund gäbe es in der Essen und Wein Abteilung des San Francisco Chronicle ein Duftstoff-Verbot, weil sie dort täglich Essen und Weine probieren müssten. Bedauerlicherweise könnten Restaurants nicht das gleiche Verbot aussprechen.

Dass Michael Bauer ein Thema angestochen hatte, über dass Interesse besteht, zeigen 450 Kommentare von Lesern, die er dafür bekam.

Kommt Parfum im Restaurant schlechten Manieren gleich?

Helena Echlin von Chow, einem Trendmagazin über Essen und Restaurants, erhielt eine Mailanfrage, die sie veröffentlichte und kommentierte. Der Schreiber beschwerte sich. Er habe am Abend vorher in einem Restaurant gesessen und jemand sei hereingekommen, der sich mit Drakkar Noir geradezu überschüttet hatte. Der Geruch hätte ihn nahezu hinausgeekelt. Er fragt deshalb, ob es schlechte Manieren seien, ein schweres Cologne oder schweres Parfum zu benutzen, wenn man essen geht.

Parfum – nicht geliebt von Restaurantkritikern und Weinexperten

Helena Echlin schrieb zurück, dass eine Menge Restaurantkritiker eine regelrechte Parfum-Phobie hätten. Das ginge Chowhounds so, und Michael Bauer vom SF Chronicle sei sogar soweit gegangen, dass er vorgeschlagen hätte, Parfums in Restaurants zu verbieten.

Geruch betäubt den Geschmackssinn

Geruch stünde in engem Zusammenhang mit schmecken. Der Weinkäufer Randi Leehan, Geschäftsführer der Weinbar Bottlerock in Los Angeles, hätte bspw. gesagt, dass selbst Seifen oder Waschmittel die Fähigkeit beeinträchtigen, einen Wein richtig genießen zu können. Ihm ginge es so, dass er seine Nase putzen müsse, um richtig zu schmecken. Er ginge, wenn er mit solchen Gerüchen konfrontiert würde, hinaus und würde frische Luft schnappen, bevor er den Wein richtig testen könne. Moschus sei am Schlimmsten, weil es so lange im Raum stünde und so stark sei, führt der Weinexperte aus.

Eigenes Parfum kann anderen das Essen verderben

Helena von Chow’s Table Manner erklärt ihren Lesern, dass selbst wenn man den Geruch des eigenen Parfums nicht mehr wahrnehmen könne, weil die Nase sich innerhalb ungefähr 15 Minuten anpassen würde und den Duft dann nicht mehr registriert, ein anderer ihn durchaus riechen würde. Wenn jemand eine empfindliche Nase hätte, schreibt sie, könne ein Parfum einem anderen das Essen verderben. In einem Restaurant, in dem der Weinkenner Leehan gearbeitet habe, hätten sich einige Gäste beispielsweise über das Haargel einer Bedienung beschwert. Sie nahmen den Geruch an seinen Händen wahr, wenn er ihre Teller wegnahm.

Wenn es sein „muss“, dann dezent bitte

Helena Echlin gibt ihren Lesern abschließend den Rat sich nicht mit Parfum zu übergießen, sondern einmal in die Luft zu sprühen und schnell darunter durchzugehen, wenn sie nicht ohne Duft aus dem Haus gehen wollten. Auf diese Weise sei das Parfum im Vergleich gesehen wie ein leichter Kashmirschal wahrzunehmen und nicht ein schwerer Wollmantel, Hut und dicke Winterhandschuhe.

Rausgeschmissen wegen Parfum

Allergiker und Chemikaliensensible kennen das Dilemma, im Restaurant zu sitzen, das Essen kommt gerade auf den Tisch und jemand kommt mit einem starken Parfum ins Lokal, zur Genüge. Das war’s dann, hektischer Aufbruch, rasches Suchen nach der Bedienung, um zu zahlen oder nachzufragen, ob man den Tisch wechseln könne oder das Menü in einem Nebenraum einnehmen dürfe. Was des einen Menschen Auffassung von Kultur – O-Ton mancher: „Parfums gehören doch zu unserer Kultur“ – ist für andere Menschen ein Ausschlusskriterium aus der Gesellschaft. Allergiker und Chemikaliensensible würde deshalb ein durchgestrichener Parfumflakon neben dem Rauchverbotsschild an der Restauranttür, sicher ein: „Oh wie phantastisch, endlich genießen dürfen“ entlocken.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 28. August 2009

Literatur:

Michael Bauer, Let’s ban perfume from restaurants, Etiquette, San Francisco Chronicle, 9. Juni 2009

Helena Echlin, Scent-free dining, CHOW’s Table Manners column, 25. August, 2009

Mechanismus, der erklärt, warum Sauna-Therapie bei MCS, CFS und FMS hilft

Sauna hilft bei MCS - Multiple=

Sauna-Therapie wird seit Jahrzehnten auch in der Umweltmedizin erfolgreich zur Entgiftung eingesetzt. Ein kürzlich in einer medizinischen Fachzeitschrift erschienener Artikel, geschrieben von Prof. Dr. Martin L. Pall, begründet einen ungewöhnlichen Mechanismus für die Wirkungsweise von Sauna-Therapie. (1)

Sauna lässt BH4 ansteigen

Pall argumentiert in seinem Artikel, dass Sauna-Therapie in erster Linie seine Wirkung entfaltet, indem die Verfügbarkeit einer Verbindung namens Tetrahydrobiopterin (BH4) im Körper ansteigt. Von BH4 wird berichtet oder angenommen, dass es bei einer Reihe von medizinischen Gesundheitszuständen vermindert ist, von denen ebenfalls berichtet wird, dass sie positiv auf Saunatherapie reagieren. Dazu gehören Multiple Chemical Sensitivity, Fibromyalgie, Chronic Fatigue Syndrom, erhöhter Blutdruck, vaskuläre endothele Funktionsstörung und Herzversagen. Dieses Wirkungsmuster kann offensichtlich erklärt werden, wenn Saunatherapie die Verfügbarkeit von BH4 im Körper ansteigen lässt.

Weiterer Mechanismus beteiligt

Prof. Pall spricht sich für zwei verschiedene Mechanismen aus, von denen man annimmt, dass durch sie Sauna-Therapie die Verfügbarkeit von BH4 im Körper ansteigen lässt. Beide funktionieren mittels einer Verstärkung der Synthese eines Enzyms, das als GTP Cyclohydrolase I bekannt ist – dem begrenzenden Faktor bei der Biosynthese von BH4. Sauna-Therapie ist dafür bekannt, die Blutzirkulation in den erhitzten äußeren Körperteilen stark zu erhöhen. Der dadurch bedingte Anstieg der vaskulären Scherbeanspruchung führt bekanntermaßen zu einem starken Anstieg der Aktivität der GTP Cyclohydrolase I und folglich von BH4.

Zweiter Mechanismus läuft über Hitzeschockproteine ab

Ein zweiter derartiger Mechanismus wird durch die Aktivität des Hitzeschockproteins Hsp90 vermittelt, einem Protein von man weiß, dass es bei mäßiger Erhitzung von Körpergewebe gebildet wird. Dieses Protein ist funktionell in einen GTP Cyclohydrolase I enthaltenden Komplex von Proteinen einbezogen. Das Hsp90 Protein reduziert den proteolytischen Abbau des GTP Cyclohydrolase I Proteins, was zu einer verstärkten BH4 Synthese führt und es hat sich gezeigt, dass dies wiederum auf die eNOS Stickoxid-Synthase wirkt.

Auch andere Krankheiten sprechen auf Sauna an

Durch den Anstieg in der BH4 Synthese, als Reaktion auf diese beiden Mechanismen, kann erwartet werden, dass dadurch die verschiedenen Körpergewebe mit BH4 beliefert werden, auch die, die nicht direkt durch die Sauna-Therapie beeinflusst werden. Die gesundheitlichen Vorteile von aktivem körperlichem Training können ebenfalls teilweise über die gleichen Mechanismen vermittelt werden. Über eine Anzahl weiterer Krankheiten wird berichtet, dass bei ihnen ebenfalls eine BH4 Verminderung stattfindet. Hierzu gehören Alzheimer, Parkinson, Asthma, Schizophrenie, Bipolar Disorder, pulmonale Hypertonie (Lungenhochdruck) und Typ II Diabetes. Die genannten Krankheiten könnten ebenfalls auf Sauna-Therapie ansprechen.

Sauna-Therapie erhöht die Entgiftungsleistung

Prof. Pall resümiert am Ende seines Artikels, dass für gewöhnlich angenommen wird, dass ein Ansprechen von MCS Fällen auf Sauna-Therapie durch einen Entgiftungsprozess vermittelt wird, der über Ausscheidung funktioniert. Der Wissenschaftler führt an, dass es einige publizierte Belege dafür gibt, dass Sauna-Therapie die Entgiftungsleistung erhöht. Der Haupteinfluss von Sauna-Therapie bei MCS-Fällen und sicherlich auch bei diesen anderen Erkrankungen könnte, so schließt Pall, jedoch sehr gut auf der erhöhten Verfügbarkeit von BH4 beruhen.

Zusammenfassung und Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 20. August 2009

Literatur:

Pall ML. Do sauna therapy and exercise act by raising the availability of tetrahydrobiopterin? Med Hypotheses. 2009 Jul 4.

Bundestagswahl – Parteien und Politiker setzen sich für Umweltkranke ein

Bundestagswahl - welcher Politiker, welche Partei vertritt Umweltkranke

Bundestagswahl – Politiker stellen sich Gesprächen mit Wählern in Fußgängerzonen, auf Wahlveranstaltungen, in Sozialen Netzwerken,…

Umweltkranke sind unsicher, sie zählen meist zu der Wählergruppe, die sich fragt, wer kann und will uns überhaupt vertreten.

Auf Twitter fragte CSN heute Morgen:

Tausende #Umweltkranke fragen sich welche Partei für sie eintritt. Umweltkranke unsicher, wen wählen, wer bietet etwas für Umweltkranke? #MCS

Jetzt fragen wir Euch und wollen Eure Erfahrung wissen, Euren heißen Tipp, wer unter den Politiker und Parteien sich wirklich für Umweltkranke und MCS Kranke einsetzt.

Thommy’s Blogfrage der Woche:

  • Welche Partei bietet etwas für Umweltkranke?
  • Welcher Politiker zeigt nicht nur im Wahlkampf „Herz“ für Umweltkranke und lässt Taten folgen?
  • Welche Partei bietet mehr als nur Wahlveranstaltungen und leere Versprechen?
  • Oder vertretet Ihr die Ansicht, dass die Politik Umweltkranke und Chemikaliensensible überhaupt nicht vertreten kann, weil der Druck der Wirtschaft und Industrie zu groß ist?

Effektstärken von Psychotherapie und Expositionsvermeidung bei MCS

Psychologin und Patient

Wie man im letzten Beitrag dieser Reihe sehen konnte (Interpretation 3a), profitiert etwa ein Drittel der Teilnehmer von einer Psychotherapie. Zwei Drittel erholen sich ohne eine derartige Maßnahme genau so gut. Sie profitieren hierbei von der Unterstützung, die sie aus ihren sozialen Netzwerken sowie von sonstigen mutmaßlich kompetenten Helfern und Heilern erfahren, wie in einem weiteren Beitrag ausgeführt werden wird.

Da MCS-Kranke durch ihre Erkrankung oft in besonderem Maße ihres angestammten sozialen Netzwerks beraubt werden, sollte eine Psychotherapie hier theoretisch überdurchschnittlich häufig nützlich sein, wenn man in eine psychische Krise gerät, ob nun krankheitsbedingt oder nicht. Das setzt allerdings die Verfügbarkeit eines mit MCS vertrauten Psychotherapeuten und verträgliche Räumlichkeiten voraus. Pamela Reed Gibson gibt in ihrem Buch [1] einige Ratschläge dazu, wovon ebenfalls später noch berichtet werden soll.

Zunächst soll jedoch versucht werden, vorhandene Daten über Behandlungserfolge bei MCS zu den geschilderten Ergebnissen für Psychotherapie in Relation zu setzen.

Expositionsvermeidung

Wir erinnern uns noch einmal an die Ergebnisse von Pamela Reed Gibson für die Expositionsvermeidung sowie für Psychotherapie.

Sie fand [2], dass 94,5% der Befragten die Vermeidung von Auslösern ihrer Symptome sehr oder etwas hilfreich fanden. Psychotherapie als Mittel, um MCS zu „heilen“, fanden dagegen nur 20,2% sehr oder etwas hilfreich. Psychotherapie als Hilfe, um mit der Erkrankung besser zurecht zu kommen, fanden 65% sehr oder etwas hilfreich.

Es soll nun versucht werden, hieraus Effektstärken abzuschätzen.

Es gibt hier jedoch ein prinzipielles Problem bei der Abschätzung von Korrelation und Effektstärke anhand einer Kontingenztabelle, und zwar das Fehlen einer „unbehandelten“ Kontrollgruppe in der Studie von Pamela Reed-Gibson. Es wird sich jedoch zeigen, dass eine plausible Abschätzung auch so möglich ist.

Expositionsvermeidung

Für den Fall der Expositionsvermeidung fehlt wie gesagt eine Vergleichsgruppe. Geht man versuchsweise auf das BESD-Schema (vgl. Teil 7 der Reihe) zurück, so müsste die Kontingenztabelle lauten:

Tabelle 8.1

Die eingetragenen Werte für die Kontrollgruppe ergeben sich aus den Festlegungen für das Schema.

Es ist jedoch bekannt, dass es bei MCS praktisch keine Spontanremission gibt. Die sich aus dem Schema ergebenden Werte für die Vergleichsgruppe von 5,5% Erfolg und 94,5% Misserfolg sind also durchaus plausibel.

Man erhält so einen Behandlungseffekt von 89% und eine (korrekte) Effektstärke von 3,2. (mit den gängigen tabellierten Werten erhält man 3,9 (vgl. Teil 7)). Die nächste Graphik zeigt die Verhältnisse. Die gelbe Fläche repräsentiert jeweils erfolgreiche, die blaue nicht erfolgreiche Populationsanteile.

Bild 8.1

Wegen der besseren Anschaulichkeit wurde wieder auf die Verhältnisse bei der NIMH-Studie [5] als Analogon zurückgegriffen. In einem absoluten Sinne haben die angegebenen Werte keine Bedeutung, vermitteln aber vielleicht näherungsweise ein Gefühl für die Bedeutung der Ergebnisse für die Betroffenen.

Für die Kurve zur Expositionsvermeidung (in der Graphik violett) diente wegen der fehlenden Spontanremission der Ausgangszustand vor jeglicher Behandlung als Bezugspunkt (hier schwarz, m=18,9). Durch die fiktive Behandlung mit Expositionsvermeidung verschiebt sich das Zentrum der Kurve nach links zu m= -0,7.

Psychotherapie

Um eine Effektstärke für den Vergleich zwischen

Psychotherapie als Hilfe um mit der Erkrankung besser zurecht zu kommen

und

Psychotherapie als Mittel um MCS zu „heilen“

abzuschätzen, ist es erforderlich, zusätzliche Annahmen über das jeweils angelegte Erfolgskriterium und über ein statistisches Modell zu machen.

Es wird angenommen, dass das Kriterium für beide Gruppen das Gleiche ist und auf einem Messinstrument beruht, dass normalverteilte Ergebnisse mit gleicher Standardabweichung liefert.

Dann erhält man, z.B. aus den einschlägigen Tabellen für „z“ , bezogen auf die Lage des Kriteriums für

Psychotherapie als Hilfe um mit der Erkrankung besser zurecht zu kommen einen z-Wert (entspricht hier praktisch „d“ relativ zum Kriterium) von z1 = 0,385

und für

Psychotherapie als Mittel um MCS zu „heilen“ ist z2 = -0,835.

Daraus folgt dann eine Effektstärke „d“ von d = z1 – z2 = 1,22.

In der NIMH-Studienanalogie ergibt das bei Heranziehung der synthetischen unbehandelten Gruppe als Vergleichsgruppe für Psychotherapie als Hilfe, um mit der Erkrankung besser zurecht zu kommen einen Punktewert von 9,4 und für Psychotherapie als Mittel, um MCS zu „heilen“ einen Punktewert von 16,4. Das Erfolgskriterium stimmt dabei mit dem Mittelwert für die unbehandelte Gruppe von 11,6 Punkten überein. Die nachfolgenden Graphiken zeigen die Verhältnisse. Die gelben Flächen repräsentieren jeweils den Anteil der nach dem Kriterium als „erfolgreich“ klassifizierten Populationsanteile. Die blauen Flächen die „nicht erfolgreichen“.

Bild 8.2 Bild 8.3

Psychotherapie zwecks Hilfe zur Krankheitsbewältigung (orange) verschiebt die „unbehandelt“-Kurve (oben grün) zu einem Mittelwert von m=9,4. Das ist etwa so gut wie die Placebogruppe der NIMH-Studie (m=8,8). Die Interpersonale Therapie erreichte nach der Behandlung einen HRSD-Punktewert von 6,9.

Dass hier nicht die Bestwerte von etwa 7 Punkten erreicht werden (soweit man die Analogie ernst nehmen möchte) ist leicht verständlich, wenn die MCS als Grunderkrankung und Ursache eines Teils des seelischen Leids bestehen bleibt, während die Psychotherapie nur auf hierzu sekundäre und sonstige Komponenten des seelischen Leids Auswirkungen hat.

In der BESD-Interpretation

Die (korrekte) BESD-Interpretation ([3], vgl. Teile 6 u. 7) führt zu folgender Kontingenztabelle:

Tabelle 8.2

Die graphische Darstellung dieser Interpretation sieht folgendermaßen aus:

Bild 8.4

Der (korrekte) relative Behandlungseffekt für

Psychotherapie als Hilfe um mit der Erkrankung besser zurecht zu kommen

im Vergleich zu

Psychotherapie als Mittel um MCS zu „heilen“

liegt bei dieser Interpretation damit bei 72,9%-27,1%= 45,8%. Nach den üblichen Tabellen (vgl. Teil 7) erhält man einen Behandlungseffekt von 52%.

Zum Vergleich: die Werte für Psychotherapie gegenüber unbehandelt waren 31,8% bzw. 38% (s. Teil 7).

Fazit

Um via Quantifizierung zu einer Vergleichbarkeit zu kommen, bedient sich die psychologische Forschung zahlreicher „Messinstrumente“ wie z.B. Intelligenz- oder Persönlichkeitstests. Jede quantitativ arbeitende Studie greift auf derartige Instrumente oder ad hoc formulierter Kriterien, die sich statistisch quantitativ auswerten lassen, zurück, um die Haltbarkeit der jeweils untersuchten Hypothesen zu beurteilen.

In den Verhaltenswissenschaften bleibt die Validität derartiger Ergebnisse in Abhängigkeit von der Validität der Messinstrumente immer mehr oder weniger in der Schwebe. Denn die numerischen Werte korrespondieren zu keinerlei bekannten fundamentalen* oder abgeleiteten numerischen Zuordnungen ([4], S. 21). Man kann daher fragen „was wird durch die Verwendung solch eines Instruments erreicht? Allgemein gesprochen scheint die Antwort zu sein, dass das Instrument in der Lage sein könnte, zukünftige Ereignisse von praktischer Bedeutung vorherzusagen. „Die Rechtfertigung der Verwendung solcher Instrumente würde dann einzig in dem Ausmaß liegen, in dem sie in der Lage sind, bedeutsame Ereignisse vorherzusagen…“ ([4], S.21).

Wie in den zurückliegenden Beiträgen gezeigt wurde, führten die konsistenten Ergebnisse von 50 Jahren Psychotherapieforschung nach diesem Maßstab bislang zu keinem Rest an Effekten, der sich auf Bestandteile der den Therapien zugrunde liegenden Theorien zurückführen ließe. Mithin gibt es keinen wirklichen Hinweis auf den wissenschaftlichen Nutzen dieser Theorien. Abgesehen vielleicht vom subjektiven Gefühl der Befriedigung angesichts einer mit der sonstigen eigenen Weltanschauung einigermaßen verträglichen Analyse. Doch dieser Nutzen bleibt rein subjektiv und ganz beim Analysierenden und erreicht nicht den Analysierten. Vom Realitätscharakter der Konstrukte ganz zu schweigen, denn der hätte ja meßbare Unterschiede zumindest zur Voraussetzung. (Alternativ könnte man die Validität der verwandten Messinstrumente verneinen, was jedoch wissenschaftlich zu keiner erstrebenswerteren Situation führt. Denn beide sind meist nicht voneinander zu trennen, da die theoretischen Konstrukte nur durch reproduzierbar objektiv identifizierbare Muster in den Phänomenen begründet werden können. Und gerade dazu sollen eben die in Frage stehenden Messinstrumente dienen. Es bliebe nur, der Psychologie als Wissenschaft einen Platz in der Metaphysik zuzuweisen.)

Etwas strikt anderes ist der praktische Nutzen in Form eines Mythos, auf den im Lauf der Therapie zurückgegriffen werden und aus dem das Ritual der Psychotherapie Kraft und Glaubwürdigkeit schöpfen kann (vgl. auch den nächsten Beitrag). Derartige Mythen als zu rechtfertigende Mittel wissenschaftlicher Analyse anzusehen wäre aber ein krasses Missverständnis.

Die oben beschriebenen Ergebnisse für Psychotherapie bei MCS geben keinen Hinweis auf eine Relevanz von Theorien, die psychische Ursachen unterstellen, was immer darunter zu verstehen sein mag (abgesehen davon, dass sie auf Theorien Bezug nehmen, die sich empirisch nicht validieren lassen). Ganz im Gegenteil. Derartige Grundannahmen führen zu drastisch schlechteren Ergebnissen in der Psychotherapie.

Mit diesen Verhältnissen sind die ungleich größeren positiven Effekte für Expositionsvermeidung zu vergleichen. Dies deutet im Verhältnis zu den verschiedenen psychologischen Theorien auf einen deutlich höheren Nutzen und Realitätswert für Theorien über MCS hin, die von der Annahme ursächlicher Umweltnoxen ausgehen.

Deren Probleme liegen gegenwärtig in der Vereinbarkeit mit anderen verbreitet als wahr geglaubten Lehrmeinungen über die Menschliche Physiologie. Und wie immer, wenn die Phänomene nicht weichen wollen, werden schließlich Teile unseres mutmaßlichen Wissens einer Revision unterzogen werden müssen.

* Ein fundamentale Messung kann informell etwa als Abbildung eines empirischen relationalen Systems auf ein numerisches relationales System definiert werden ([4], S. 16). In der Psychologie fehlen jedoch die empirischen relationalen Systeme. Sie werden umgekehrt gerade mit Hilfe von letztlich auf Abzählen basierenden statistischen Messinstrumenten zu konstruieren versucht. Die damit beschäftigten Theoretiker weisen auch regelmäßig darauf hin, dass den zahlreichen verwendeten Konstrukten (z.B. die Big Five) kein eigener Realitätscharakter zuzusprechen ist (d.h. abgesehen von der Realitätshaftigkeit, die man Abstrakta generell ggf. zuzubilligen bereit ist). In der Praxis wird dies jedoch zumindest in der Sprechweise nicht beachtet und auch von den Fachleuten häufig nicht verstanden und damit bei Laien und wissenschaftstheoretisch unbeschlageneren Fachleuten gegenteiliges suggeriert. In den nicht quantitativ begründeten psychologischen Theorien (z.B. psychodynamische) ist leider nicht einmal dieses rudimentäre Bewusstsein hinsichtlich dessen, was man da tut, vorhanden. So werden neue Mythen geboren.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 24. August 2009

Tabellen: Karlheinz

Teil I – VII

Literatur

[1] Pamela Reed Gibson (2006), Multiple Chemical Sensitivity: A Survival Guide, Earthrive Books.

[2] Gibson, P. R., Elms, A. N. M., & Ruding, L. A. (2003). Perceived treatment efficacy for conventional and alternative therapies reported by persons with multiple chemical sensitivity. Environmental Health Perspectives, 111, 1498-1504.

[3] Randolph & Edmondson (2005). Using the Binomial Effect Size Display (BESD) to Present the Magnitude of Effect Sizes to the Evaluation Audience. Practical Assessment Research & Evaluation, Vol 10, No 14.

[4] Patrick Suppes, Joseph L. Zinnes (1963). Basic Measurement Theory in: Luce, Bush, Galanter, Handbook of Mathematical Psychology, Volume I, John Wiley & Sons.

[5] Elkin et. al. (1989). NIMH Treatment of Depression Collaborative Research Program: General Effectiveness of Treatment, Archives of General Psychiatry 46:971-82.