Archiv der Kategorie ‘Dr. Tino Merz zu MCS & Umweltkrankheiten‘

Umweltmedizin: Ihr habt es in der Hand, Teil II

Die Auseinandersetzung mit Bullshit, wie der Psychothese, wird weltweit geführt und weltweit liegt der Fehler darin, dass das juristische Motiv der Gegenseite nicht aufgedeckt wird und das alle Kritiker den Bullshittern letztlich den Weg ebnen, indem sie die Fiktion einer wissenschaftlichen Diskussion aufrechterhalten.

Wer Teil I verpasst hat > Umweltmedizin in Deutschland, ganz gemäß Al Gore: Ihr habt es in der Hand

Rechtsstaat und Wahrheit

In Sachen Umweltrecht ist der Stand der Wissenschaft das, was den Rechtsstaat ausmacht. Es ist sozusagen die normative Festlegung der Wahrheit; denn daran haben sich Gutachter zu halten. Wenn sie vom Stand der Wissenschaft abweichen, handeln sie ungesetzlich. In Sachen Umwelterkrankungen sind dies ca. 95 – 99% der Gutachten. Welche Konsequenzen das im Einzelfall haben kann, kommt auf die Formulierungen in der Akte an. Diese starke Rechtsposition wird aber von der Seite der Patienten und Umweltaktivisten nicht genutzt.

Dazu muss der Rechtsbegriff des „allgemein anerkannten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnis“ verstanden und umgesetzt werden. Die konkreten Fakten stehen in der Ärzteinformation. Die Ärzte müssen erkennen, dass es keinen Grund gibt, MCS nicht zu diagnostizieren und dass es keine speziellen Erkenntnisse erfordert. Die Anwälte sollen erkennen, dass sie das auch Einklagen können (korrekte Anwendung des Standes der Wissenschaft) und dass stets zu prüfen ist, ob sich der Gutachter strafbar gemacht hat (Prozessbetrug, Körperverletzung).

Ein folgenschweres Missverständnis

Der Stand der Wissenschaft wird aber meist mit „neuesten Erkenntnissen“ verwechselt. Er ist aber ganz im Gegenteil notwendigerweise immer veraltet, da Konsensbildung Zeit benötigt. Im Falle der Umwelterkrankungen wird er übersehen, weil er schon (wieder) vergessen worden ist oder nie zur Kenntnis genommen wurde. Das ist der Kardinalfehler der bisherigen Debatte. Das Auswahlkriterium ist sehr einfach, je neuer ein Test oder ein Parameter ist, desto weniger ist er geeignet bei der Durchsetzung der Anerkennung zu helfen. Deshalb sind die alten Grundlagen so wichtig.

Wenn man etwa SPECT und TE, schwache und starke Entgifter, PET u. CFS/TE, Typ IV Allergien und LTT ausschließlich thematisiert, ist es so, als begänne man beim Hausbau mit dem Dach. Man muss zunächst den Stand der Wissenschaft darstellen, denn der ist maßgebend. Da er aber ignoriert wird – von den einen mit Absicht, von den anderen aus Unkenntnis – gehen die Verfahren verloren und die Anerkennung der Umweltkrankheiten wird auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Es ist also bereits die Themenauswahl, die den Weg zur Anerkennung bereitet oder verbaut.

Im übrigen, lassen sich Innovationen zum Stand der Wissenschaft erheben und leichter durchsetzen, wenn man auf dem bestehenden Stand der Wissenschaft aufbaut. Mit anderen Worten, auch neue Tests brauchen ein Fundament: den Stand der Wissenschaft.

Die Wurzeln der Umweltmedizin

Die Juristerei verlangt manchmal eine Glaubhaftmachung. Dazu kann und muss die Darstellung der tiefen wissenschaftlichen Wurzel der Umweltmedizin genutzt werden. Das kann auch die Welt Staunen machen. Die Mehrheit glaubt, das sei alles neu. Die Mehrheit glaubt, es müsse erst geforscht werden. Gerade das ist juristisch der Grund der vielen Niederlagen. „Neues“ kann nicht „Stand der Wissenschaft“ sein. Zeigt man den breiten Fächer des Wissens, sind obendrein die Bullshitter bis auf die Knochen blamiert.

Das wird auch die Diskussion wiederbeleben. Seit 2000 sieht man immer die gleichen Gesichter in den schlecht besuchten Seminaren. „Es gibt nichts Neues“ sagte mal solch eine Tapfere. Nun kann man Tausende von Referaten mit Themen füllen, wie den „Overload“ (Rea, Band I), psychische Reaktionen durch Allergieschübe, orthomolekulare Behandlung von mentalen Erkrankungen, etc. Das ist zwar nicht mehr neu, aber es sind die Grundlagen und dem Publikum sind sie neu. Daran kann man die Forderung knüpfen, dass die Standardwerke endlich auch in anderen europäischen Sprachen zur Verfügung stehen müssen.

All dies eröffnet ein weites Feld der Möglichkeiten, die den Bullshit zersetzen können.

Die Kurve kriegen

Kommentar zu Artikel #8320 „Sind die Erkenntnisse von Paracelsus noch State oft the Art im 21. Jahrhundert?“

Sehr geehrter Herr Dr. Merz, aus ihrem sachlichen Bericht wird mehr als klar, dass die pathologische Wirkung von bestimmten Schadstoffen/Giften im Niedrigst-Dosis-Bereich wissenschaftlich längst erkannt . . . wurde.

Trotzdem versuchen bestimmte Interessengruppen, diese harten wissenschaftliche Fakten zu leugnen . . . Unverfrorenheit sowie der Dilettantismus, . . .“

So denken viele. „Unverfrorenheit“ ist richtig, „Dilettantismus“ dagegen nicht. Die wissen, was sie tun (erst die Nachahmer sind ahnungslos). Der entscheidende Denkfehler ist das Wort „trotzdem“. Es muss „weil“ heißen. Die Psychothese kam erst auf, als alles wesentlich wissenschaftlich geklärt war. Der Versuch „MCS“ in „IEI“ zu verwandeln, ist bei der WHO kläglich gescheitert (u. a. auf massiver Intervention von Frau Prof. Miller, vgl. Ashford & Miller).

Daraus kann man lernen, dass sich nicht alle ins Boxhorn jagen lassen, es aber nicht genügt, wenn man sich auf ein paar Einzelkämpfer verlässt.

Freilich haben all diejenigen Recht, die beklagen, dass es für den Einzelnen oft zuviel ist. Überfordert sind die Betroffenen, oft auch ihre Anwälte und die medizinischen Gutachter, die den Stand der Wissenschaft mit dem wissenschaftlichen Diskurs verwechseln. Diejenigen aber, die Klage erheben müssen, sollten wenigstens in die richtige Richtung marschieren. Dazu gibt es keine Alternative. Denn die falschen Richtungen seit etwa 15 Jahren haben die Niederlagen geschaffen. Ich erinnere an dieser Stelle auch an meinen Vorschlag, einen speziellen Rechtshilfefond auf den Weg zu bringen.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, Mai 2010

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Umweltmedizin in Deutschland, ganz nach Al Gore: Ihr habt es in der Hand

Auch andere, wie Al Gore, thematisieren, welche verderbliche Rolle Bullshit in unserer Gesellschaft spielt (vgl. a. Prof. Harry G. Frankfurt: Bullshit ist „schlimmer als die Lüge“):

„Wir müssen neue Wege für einen Austausch über unsere Zukunft ohne Manipulation finden. Dazu dürfen wir beispielsweise das Bestreiten und Verzerren wissenschaftlicher Erken-ntnisse nicht länger tolerieren. Wir müssen der dreisten Verwendung falscher, ausschließlich zum Zweck der Verdrehung der Tatsachen angefertigter Studien ein Ende machen.“ Al Gore, „Angriff auf die Vernunft“ (deutsche Ausgabe, S. 21).

Al Gore meint u. a. das Schweigen des Senats zum Golfkrieg und das Desinteresse an dem Thema Klimaerwärmung (nur kurzes Aufflackern nach Katrina). Al Gore analysiert, wie es dazu gekommen ist, dass im US-Fernsehen nur noch Angstmache kommt und die Schicksalsfragen der Nation keine Sendezeit bekommen.

Ich habe im Blog schrittweise an das Thema herangeführt. Bullshit bewirkt, dass die Betroffenen von Umweltkrankheiten alle entscheidenden Themen auslassen. Die höchste „Einschaltquote“ (Googleranking) fand mein Beitrag MCS und Gene. Doch das Thema ist nicht rechtswirksam, denn es ist (noch) nicht Stand der Wissenschaft, so gut die Studie von Schnakenberg auch ist und so groß das Lob von Pall. Gefährlich für die Gegenseite dagegen ist Tatsache, dass seit fast 20 Jahren von höchster Autorität anerkannt ist, dass MCS einen schwere organische Krankheit ist und zwar eine Vergiftung: das alles sagt der T78.4.

Ich habe mich seit 5 Jahren gefragt, wie es kommt, dass keine der Patienten-organisationen das Thema aufgreift, in wieweit das neue Merkblatt zur BK 1317 die Rechtslage verbessert. Als die BK 1317 (tox. Enzephalopathie) eingerichtet wurde, gab es ein ärztliches Merkblatt, auf dem die Erkrankung grob falsch dargestellt war zum Zwecke der Fehldiagnose und Prozesslenkung. Ich konnte an einem Falschzitat nachweisen, dass das Merkblatt willkürlich unwahr war, was auch den Nachweis der Absicht mit einschließt. Zurzeit unternimmt Prof. Triebig, ein Arbeitsmediziner, alles, das neue Merkblatt zu desavouieren und zwar mit Erfolg bei Gericht. Das ist auch kein Wunder. Denn niemand tritt ihm entgegen. Die Betroffenen, die Kläger, die Umweltgutachter, haben es in der Hand (gehabt), die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße zu stellen. Was dazu notwendig ist, ist publiziert. Es fehlt aber die Umsetzung und die liegt in der Hand der Betroffenen.

Die Psychothese war nur die dazu notwendige Angstmache. Was die umweltmedizinischen Gutachter auf den falschen Weg geführt und die Patientenszene in tausend Stücke geschlagen hat, ist der Beginn der MCS-Forschung in Deutschland. Die Anmaßung „Wir wollen das jetzt gründlich erforschen“ hat alle wissenschaftliche Erkenntnis aus 5 Jahrzehnten gewissermaßen annulliert. MCS ist seit langem bekannt und gut erforscht, erst seit dem Jahr 2000 ist es wieder rätselhaft. Die Annullierung des Wissens erfolgt durch Einschüchterung.

Angst und Vernunft

In Kapitel I zeigt Gore, dass Angst soweit gehen kann, dass folgerichtiges Denken aufhört: „Angst ist der Feind der Vernunft“ (S: 35).

Nach Prof. Harry G. Frankfurt gehört Anmaßung (und damit Einschüchterung) wesentlich zur Durchsetzung von Bullshit. Die Patienten werden gütig belehrt oder sie bekommen den Psychoeinlauf. Das führt u. a. dazu, dass Patienten so fit wie möglich beim Gutachter erscheinen. So werden sie arbeitsfähig geschrieben oder bekommen einen zu niedrigen GdB (Grad er Behinderung). Des Weiteren führt es dazu, dass sie ins falsche Thema abgedrängt werden. Die Angst verhindert, „Körperverletzung“ oder „Menschenwürde“ auch nur in den Mund zu nehmen, in der Befürchtung, nicht mehr für voll genommen zu werden. So werden sie gehindert, ihre Rechte zu vertreten.

Gore konkretisiert das Angstthema aus der Sicht des erfahrenen Politikers: Vernunft stützt den Rechtsstaat, Angst unterhöhlt ihn.

Der Königsweg ist der Rechtsstaat

Nur die Orientierung am Rechtsstaat kann die Psychiatrisierung beenden und die wissenschaftliche Anerkennung von MCS auch gesellschaftlich-rechtlich durchsetzen. Der Rechtsstaat ist kein Automat, kein Gott und auch kein gütiger gerechter Herrscher, sondern ein Regelwerk, das Recht definiert. Wird es nicht genutzt, gibt es kein Recht. Deshalb gibt es seit 1 ½ Jahrzehnten für Umweltpatienten kein Recht, auch nicht die Menschenwürde. Ob IEI oder Psycho, beides ist Aberkennung der Menschenrechte und der bürgerlichen Rechte und als solches gesetzwidrig.

Dagegen genügt Überzeugungsarbeit nicht. Denn, was hier geschieht ist so ungeheuerlich, dass es erst mal keiner glaubt. Die Gegenseite arbeitet schnell und effektiv. Jeder Vorteil (etwa die Widerlegung der Psychothese in der RKI-Studie) für die Patienten wird schnell wieder zunichte gemacht. Sie warten immer zwei Jahre, dann wird systematisch demontiert. Die letzten 15 Jahre haben das gezeigt. Sie haben auch gezeigt, dass es der Gegenseite sehr leicht gemacht wird, da Fortschritte nicht rechtlich genutzt wurden. Recht haben genügt nicht, man muss auch Recht bekommen. Die Psychiatrisierung ist schwere vorsätzliche Körperverletzung. Denn es werden schwer Kranke verhöhnt und verunglimpft. Die Psychothese ist auf dem menschlichen Niveau, wie wenn einer die Oma die Treppe runter schubst und sagt: „Mach’ langsam“.

Darum geht es, nicht um wissenschaftliche Fragen. Die sind längst gelöst, wenn man von therapeutischen Strategien absieht. Recht muss erstritten werden. Dafür gibt es die Regeln des Rechtsstaats. Wer diese nicht nutzt, sondern brav wissenschaftlich diskutiert, verliert die Prozesse und hilft Eikmann & Co. bei der Desorientierung.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 6. Mai 2010

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Künstlich gegen MCS-Patienten errichtete Blockaden

Die MAK-Kommission hat für sensibilisierende Stoffe MCS präzise beschrieben: es sei zwischen initialisierender und auslösender Dosis zu unterscheiden, letztere sei kleiner als erstere, für beide sei derzeit keine Wirkschwelle angehbar. Dennoch gibt es in Deutschland immer noch Blockaden gegenüber MCS.

Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen hat bereits im Umweltgutachten von 1987 erklärt, dass bei der Risikoanalyse auf die Risikogruppen besonders zu achten ist. Im Umweltgutachten 2000 wird nochmals präzisiert, dass dies vor allem auf die kranken Menschen zugeschnitten sein sollte. In der Theorie ist man sich also einig. In der Praxis wird dies aber nicht umgesetzt. Die zur Bewertung herangezogenen Daten basieren entweder auf dem Versuch mit Ratten, die bessere Entgifter sind als der Mensch – der ADI-Wert – oder auf Durchschnittswerten von gesunden Erwachsenen. Hier gibt offensichtlich entscheidende Blockaden.

Statt jener Forderung des SRU von 1987 nachzukommen, auf jene Risikogruppen „das Hauptaugenmerk zu legen“ und unter dieser Prämisse eine wissenschaftliche Sachdebatte zu führen, werden Hypothesen über ganz neue psychische Krankheiten ausführlich diskutiert: etwa die These, immer mehr Menschen würden bei der Lektüre von Toxikologiebüchern, entsprechende Symptome entwickeln – Toxikopie oder Noceboeffekt. Gleichzeitig wird die Literatur, die geeignet ist, die Prämisse des SRU zu erfüllen als „unseriös“ abgelehnt und deren Lektüre von vorn herein verweigert.

Obwohl es in der Wissenschaft den Unterschied von „seriös“ und „unseriös“ nicht gibt, gilt diese Denkrichtung nicht nur als wissenschaftlich vertretbar, sondern ist – durch Einschüchterung – stark genug, jene Sachdebatte zu unterbinden. Deshalb musste einerseits diese These wissenschaftlich geprüft werden, indem nach ihren Grundlagen gefragt wurde. Nach langjähriger Diskussion besitzt sie weder wissenschaftliche – etwa Studien – noch andere materiellen Grundlagen – etwa eine Kasuistik mit eindeutiger Diagnose oder gar ein Beispiel einer erfolgreichen Psychotherapie. Zum anderen wäre es notwendig den Mechanismen der Zensur nachzugehen.

Wiederherstellung der medizinischen Versorgung für Umweltpatienten

Für die medizinische Versorgung von Umwelt-Patienten muss eine sachbezogene Atmosphäre geschaffen werden, die niemandem erlaubt per Vorzensur inhaltlich zu lenken. Geschieht dies weiterhin, werden die Kosten des Gesundheitssystems weiter explodieren.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger für Umweltfragen

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Sind die Erkenntnisse von Paracelsus noch State of the Art im 21. Jahrhundert?

Die Toxikologie basiert auf der Dosis-Wirkungs-Definition des Paracelsus anno domini 1426: „die Dosis macht das Gift“. Dies war ein wichtiger Schritt von der Mystik zur exakten Wissenschaft.

Zur Zeit des Paracelsus war hauptsächlich die tödliche Wirkung interessant. Die Wirkung ließ sich also stets ohne Gutachterstreit feststellen. Außerdem ist die Wirkung zeitnah zur Dosisverabreichung gedacht. Die Dosis-Wirkungs-Definition ist also akut und eindeutig.

Nach Paracelsus ist die Dosis allein Ursache der Erkrankung. Das ist bei akuttoxischen Vergiftungen auch der Fall. Chronische Erkrankungen durch Langzeit-Niedrigdosis-Belastung mit Gemischen lassen sich aber weder aus einzelnen Dosen oder aus Dosissummen verstehen. Deswegen wurde die Website in Informationen über Einzelschadstoffe und den Komplex Chronische Erkrankungen durch chronische Intoxikation getrennt.

Heute

Die Fach- sowie die Laiendiskussion um die Wirkung niedriger Konzentrationen über lange Zeiträume ist geprägt durch den Glauben, solchen Wirkungen seien rätselhaft, soweit man überhaupt von einer toxischen Wirkung sprechen könne.

Symptomvielfalt – Symptommuster

„Wenn ein Patient mit mehr als vier Symptomen zu Ihnen kommt, dann schicken Sie ihn zum Psychiater!“, nach dieser Devise wurde Prof. Heuser, Los Angeles, heute einer der bekanntesten Umweltmediziner, ausgebildet.

Die Definitionen etwa der toxischen Enzephalopathie oder gar des Sick-Building-Syndroms enthalten mehr als zwanzig Symptome, obwohl die WHO sichtlich bemüht war, nur die wichtigsten Hauptsymptome in die Liste aufzunehmen. Gifte erzeugen nur unspezifische Symptome, diese aber in großer Menge. Typisch sind bestimmte Symptommuster. Diese helfen bei der Definition der Erkrankungen und auch bei der Eruierung der Ursache. Letzteres funktioniert sogar bei Gemischen, wie die Golfkriegs-Veteranenstudie bewiesen hat.

Oft müssen Kranke erleben, die einem Bekannten, ja sogar ihrem Hausarzt ihre Beschwerden erläutern, dass sie spontan zur Antwort bekommen: „Das habe ich auch, ha, ha!“ Es sind eben Allerweltssymptome, die jedes für sich genommen auch eine andere Ursache haben kann. Sie vergehen aber nicht und treten massiv gleichzeitig auf. Der Betroffene ist ernsthaft behindert, teilweise oder ganz arbeitsunfähig und im Endstadium nicht mehr ohne fremde Hilfe lebensfähig.

Zeiträume – akut, subakut (subchronisch), chronisch

Bei langen Zeiträumen fällt die Zuordnung schwer. Doch längst ist es üblich, Untersuchungen in akut, subakut (subchronisch) und chronisch zu unterscheiden (subakut bezieht sich auf die Dosis und subchronisch auf den Zeitraum). Besondere Anforderung stellt dabei die Bestimmung der chronischen Wirkdosis. Sie muss nämlich die Forderung erfüllen, die Wirkschwelle bei lebenslanger Exposition darzustellen. Außerdem ist eine solche Versuchsanordnung auch sehr aufwendig.

Hilfsweise hat das Umweltbundesamt vorgeschlagen, die Wirkschwellen verschiedener zeitlicher Qualität auseinander abzuschätzen: einen Faktor 10 für akut/subakut und entsprechend für subchronisch/chronisch. Es gibt aber Beispiele, dass die akute und die chronische Wirkschwelle deutlich weiter als zwei Zehnerpotenzen auseinanderliegen.

Stoffe ubiquitär – Wirkungen auch

Mit dem Jahr 1987 erfolgte die Anerkennung der Tatsache, dass ubiquitäre Stoffe sich so weit in der Umwelt anreichern können, dass die chronische Wirkschwelle erreicht wird. Der Sachverständigenbeirat für Umweltfragen nannte Dioxine, Furane, „einige Pestizide“, PCB, Cadmium, Blei und Nitrat im Trinkwasser. Mit Pestiziden sind vor allem die Organophosphate, Lindan und DDT gemeint.

1987 waren die wichtigsten Umweltkrankheiten wie toxische Enzephalopathie (TE), toxische Polyneuropathie (TPNP), Sick-Building-Syndrom (SBS) und die chemische Sensitivität (MCS) definiert.

Ursache und Wirkung sind ubiquitär verbreitet.

Vorkommen Allergien, MCS

Die Verbreitung war schon weit fortgeschritten: Allergien 30%, MCS 15%. Akute Fälle sind selten, chronische Vergiftungen dagegen sind zahlreich.

Wirkschwelle

Wie stelle ich eine Wirkschwelle bei dreißig und mehr Symptomen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten auftreten, fest? Dazu gibt es das Konzept der Unterscheidung adaptiver und adverser Reaktionen. Soweit hier Laborparameter helfen können, so liegt die Grenze bei der Überschreitung der Referenzwerte.

Soweit diese nicht zur Verfügung stehen, kommt es zu sehr unterschiedlichen Bewertungen. Was etwa die WHO toxische Enzephalopathie, Schweregrad 1, nennt, nennen andere Befindlichkeitsstörungen. Wenn etwa erhöhte Reizbarkeit, Störung bei der Planausführung, Konzentrations- und Merkschwäche gleichzeitig auftreten, so ist die Zusammenarbeit doch schon deutlich behindert. Dieser Zustand ist advers – etwa: toxische Enzephalopathie Schweregrad I.

Komplexität

Die reale Situation wird noch dadurch kompliziert, dass es sich immer um die Wirkung von Gemischen handelt. Aber auch einige besondere Stoffe sind in der Lage, fast jede beliebige Störung im Organismus hervorzurufen: „Dioxin does everything.“, sagte der bekannte amerikanische Toxikologe Safe. Die Bewertung der Dioxine umfasst auch eine 2500-seitige Dokumentation und die Grundfrage bei den Dioxinen war auch nicht, was sie bewirken, sondern welche Wirkweise bei der geringsten Dosis auftritt.

Toxikologische Daten reichen nicht

So etwas kann man mit Hilfe von toxikologischen Daten, gar noch aus dem Tierversuch, nicht mehr bewerten. Die toxikologischen Daten sind Hilfsdaten, unterschätzen aber in der Regel die Wirkschwelle. Sie müssen ergänzt und kombiniert werden mit den Erkenntnissen der Umweltmedizin, respektive der funktionellen Medizin.

Diese Erkenntnis führte auch beim Autor zu der Entscheidung, gutachterliche Arbeit von der Toxikologie auf die Umweltmedizin auszudehnen.

Kausalitätsnachweise

Nachweise zur Kausalität zu erbringen ist grundsätzlich schwieriger als der Nachweis von Ursache und Wirkung im wissenschaftlichen Sinn, denn die Juristen verlangen die Beschränkung nach dem anerkannten Stand der Wissenschaft.

Anerkennungsprozesse dauern einige Zeit. Der Stand der Wissenschaft ist folglich veraltetes Wissen. Dies übersehen Wissenschaftler in der Regel, so dass ihr gutachterlicher Vortag fehl geht. Da der anerkannte Stand der Wissenschaft für die Kausalitätsnachweise zu 90% der Fälle aus den 80er Jahren stammt, kann auch der juristische Nachweis geführt werden.

Autor: Dr. Tino Merz, Gutachter für Umweltfragen

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Die Psychothese bei Umweltkrankheiten – wissenschaftlich wertlos, rechtlich destruktiv

Die Psychothese bei Umweltkrankheiten ist nichts weiter als Bullshit

 

Die Psychothesen wurden in den Diskurs um die Umweltkrankheiten erst eingeführt, als die Prävalenz der Erkrankungen schon sehr hoch war. Sie stammt erst aus den 90er Jahren. Publikationen zur TE – Toxische Enzephalopathie kann man bis 1904 zurückverfolgen, MCS wurde 1945 entdeckt. Der wissenschaftliche Beitrag der Psychothese ist gleich Null, ihr rechtlicher Schaden dagegen enorm. Sie begann nicht trotz, sondern wegen der Anerkennung durch die WHO als organische Erkrankungen (ICD-10 für MCS: T78.4). Zur Erinnerung: 1996 wurde etwa der Versuch unternommen, MCS in IEI umzubenennen.

Dies ist keine wissenschaftliche Debatte, sondern reine Juristerei. Alle westlichen Zivilisationen basieren rechtlich auf den Menschenrechten, die in den jeweiligen Verfassungen formuliert sind und deren nachfolgende Gesetze sich danach richten müssen. Darin ist Gesundheit ein hohes rechtliches Gut. So wird etwa im Artikel 2.2 der deutschen Verfassung die körperliche Unversehrtheit extra geschützt. Dieser gesetzliche Schutz wird durch die Psychodebatte unterlaufen. Denn der rechtliche Schutz gilt nicht für eingebildete Kranke oder andere Spinner. So dient die Psychothese, den Erkrankten ihre Rechte zu nehmen. Das ist ihr wesentlicher Sinn. Ob Versicherungen oder Schadenersatz, die Betroffenen scheitern rechtlich. Dass sie so auch keine adäquate medizinische Versorgung bekommen, ist gewissermaßen ein Kollateralschaden.

Wer dies ungeheuerlich findet, hat Recht. Denn die Psychothese nutzt die Tatsache, dass Neurotoxine psychische Hirnfunktionen beschädigen. Diese psychischen Dysfunktionen durch Neurotoxine waren schon 1985 in den Diagnosekriterien der TE definiert (WHO) worden. Es wurde schlicht Ursache und Wirkung vertauscht. Man kann beliebig viele Studien durchführen und findet, was zu erwarten ist: psychische Auffälligkeiten. Dass diese anders strukturiert sind als bekannte psychiatrische Erkrankungen wird meist unterschlagen oder nicht genau genug untersucht. Die Psychothese ist demzufolge keine wissenschaftliche Entdeckung. Denn die Folgen von Neurotoxinen für die Psyche waren ja schon bekannt. Die Auswertung ist demzufolge wissentlich stets falsch.

Es handelt sich um etwas, wofür es im Deutschen kein Wort gibt. Im Englischen stehen mehrere zur Verfügung, nämlich Fake, Bullshit oder Phoney. Der Moralphilosoph Harry G. Frankfurt (Prof. emerit. Princeton) hat solche Begriffe philologisch-philosophisch analysiert. „On Bullshit“ wurde zum Bestseller. Danach ist die Substanz (ein Philosophiebegriff) von Bullshit die Abwesenheit von Realitätsbezügen. Ein Lüge kann man überführen: ein absichtlich verändertes Detail in einem Gefüge von Tatsachen (Erkenntnissen). Das lässt sich überprüfen. Bullshit ist eine Kreation, frei von lästiger Befassung mit der Realität (etwa Wissenschaft). Die Psychothese ist Bullshit, die Kreation ist die Vertauschung von Ursache und Wirkung. Wenn man den Versuch macht dies wissenschaftliche zu widerlegen, hat man den Bullshit in seinem wesentlichen Bestreben, Wissenschaft vorzutäuschen, bereits bestätigt. Dagegen helfen keine Laborparameter. Denn „schwupps“ wird das Thema gewechselt und eine Phantomdebatte geführt. H.G. Frankfurt sagt: Bullshit ist zerstörerischer als die Lüge. Er zerstört alle Erkenntnis, nicht nur en detail. In der Psychodebatte war es bisher immer so: kaum fiel das Wort Psychosomatik, sofort wurde nur noch darüber diskutiert.

Bullshit kann man nicht wissenschaftlich widerlegen, nur aufdecken. Pall nennt neun Hauptfehler der Psychothese in seinem Paper von 2009. Er läuft damit Gefahr, dass auch seine Aufklärung der wesentlichen biochemischen Pathomechanismen wieder in Vergessenheit geraten bzw. die Diskussion wieder verdrängt wird. Das hat in den letzten Jahrzehnten stets funktioniert. In der deutschen RKI-Studie wurde „entdeckt“, dass die psychischen Scores der MCS-Patienten andere waren, als die von Psychiatriepatienten. Zwei Jahre später war dieses lästige Detail wieder vergessen. Wir wissen seit den 80er Jahren, was MCS genau ist. Doch es wird mehr über Bullshit diskutiert, als über die Sache. Da braucht man sich nicht wundern.

Bullshit zerstört mehr, nämlich Menschen. Ein Satz eines deutschen Verfassungsrechtlers lautet (sinngemäß): „Es ist die perfideste Art eines Genozids, diejenigen allein zu lassen, die sich aus eigener Kraft nicht mehr helfen können.“ Er meinte (1954) keine Kranken. Aber statt Rasse oder Religion werden heute Menschen mit den falschen Genen – die schlechten Entgifter – zu minderwertigen Personen gemacht („Ökochoder“ lautet da eine Kreation). Das ist wahrhaft perfide.

Das lässt sich nur ändern, wenn verstanden wird, dass es um Rechte geht, nicht um Wissenschaft. Da ist die Sache seit Jahrzehnten entschieden. Man muss erkennen, dass wissenschaftliche Entscheidungen durch den Rechtsbegriff „anerkannter Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis“ rechtliche Wirkung entfalten. Es geht genau darum, letzteres zu verhindern. Das hat die Psychothese bisher sehr effektiv geleistet. Man wechselt das Thema, beginnt eine wissenschaftliche Pseudodebatte und sofort ist MCS ganz unbekannt, rätselhaft und auch nicht durch die WHO anerkannt. So unterläuft man Recht und Gesetz. Engagierte Gutachter diskutieren wissenschaftlich, statt sich an den Stand der Wissenschaft zu halten, was eigentlich ihre Aufgabe ist, und auch die Organisationen der Patienten ringen um wissenschaftliche Erkenntnisse, die alle schon bekannt sind – und anerkannt! So haben die Bullshitter bisher stets und ohne große Anstrengungen gewonnen.

Es wird sich nur etwas ändern, wenn diejenigen, die etwas ändern wollen, den Mut aufbringen, Bullshit auch Bullshit zu nennen und sich von der Anmaßung – nach Frankfurt stets ein Merkmal von Bullshit – auf alleinige Interpretationshoheit nicht mehr einschüchtern zu lassen. Die Waffe dagegen ist das Argument, dass es um die körperliche Unversehrtheit geht oder anders ausgedrückt um Körperverletzung. Die Psychothese leistet dem Vorschub.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 12. März 2010

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Update: Emotionalität und Falschinformationen schaden allen MCS-Kranken

In seinem letzten Blog schrieb Dr. Merz über Aktivisten und Selbsthilfegruppen, die künstlich Verwirrung über den im ICD-10 stehenden Diagnoseschlüssel für MCS schaffen. Seit rund drei Jahren gehen einzelne Patientenvertreter hin und stellen diesen Diagnoseschlüssel, der darlegt, dass MCS eine körperlich bedingte Erkrankung ist, mit Nachdruck in Frage und dessen Existenz sogar in Abrede. Trotz dass von CSN ein eindeutiges Schreiben von DIMDI breitflächig verbreitet wurde, hören diese Störungen nicht auf. Auch im aktuellen Fall gibt es keine Einsicht, die Verbreitung falscher Informationen wird von einer Aktivistin sogar auf nationaler und internationaler Ebene weiter betrieben. Sie schreibt seit ein paar Wochen in diversen Newsgruppen über den ICD-10 zu MCS Verfälschendes und versucht, ihr für alle MCS Kranken schädliches Verhalten in einem der letzten Schreiben moralisch zu rechtfertigen, indem sie ihren eigenen verlorenen Rechtsstreit anführt.

Die von einer Aktivistin verbreitete Meinung über den MCS ICD-10:

Nach Auskunft von Dr. Küppers vom DIMDI (Deutsches Institut für Medizin, Dokumentation und Information – medizinische Klassifikation [s. Anmerkung!]), dient das ICD-10-GM Klassifikationssystem nur dem Zweck der ärztlicher Abrechnung und der Statistik. Sie schrieb, dass der ICD-10 (-GM) in der Regel keine Krankheiten definiert.

Trotz des ICD-10-GM Klassifikationssystems, Codes 78.4… Allergie, nicht näher bestimmt, können Mediziner, Psychiater, Psychologen und Medizinische Experten unsere Erkrankung immer noch als „mentale“, „psychogene“, „psychosomatische“ Störung diagnostizieren, wenn sie das so wollen.

Als Beleg für diese traurige Wahrheit möchte ich Dich über meine eigenen Erfahrungen mit dem Deutschen Rechtssystem informieren. Im April 2002 klagte ich. In einem Verfahren vor dem Landgericht xx behauptete der Gutachter, ein angesehener Professor und Leiter der Universitätsklinik in Köln ganz offen das unten stehende, obwohl er mit dem ICD-10 Klassifikationssystem vertraut sein sollte:

>> Was die herkömmliche (orthodoxe, traditionelle) Medizin betrifft, ist ein klinisches Syndrom wie „MCS“ nicht bekannt und anerkannt. „Multiple Chemical Sensitivities“, wie die Klägerin diese Bezeichnung für die Krankheit übersetzt, hat im Rahmen der herkömmlichen medizinischen Behandlung keinen Einfluss auf die therapeutischen Verfahren. „MCS“ ist eine Angelegenheit nichtmedizinischer Praktiker (Homöopathen, und andere).>>

Diese Verfahren löste bei mir eine Art Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD – Posttraumatic Stress Disorder) aus. Wenn ich also z.B. über Artikel wie den von Christiane Tourtet stolpere „GERMANY IS THE FIRST COUNTRY TO RECOGNIZE MULTIPLE CHEMICAL SENSITIVITY (MCS) AS A PHYSICAL DISEASE“ („DEUTSCHLAND IST DAS ERSTE LAND, DAS MULTIPLE CHEMICAL SENSITIVITY (MCS) ALS EINE ORGANISCHE ERKRANKUNG ANERKENNT“) dann schmerzt mich das immer noch und ich schlucke meinen Zorn über die erfahrene Ungerechtigkeit herunter.

Alles Gute aus Deutschland,

xx

* Anmerkung: DIMDI wurde falsch ins Englische übersetzt. Das DIMDI heißt auf Deutsch „Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information“ und nicht „Deutsches Institut für Medizin, Dokumentation und Information“

Dr. Tino Merz zur erneuten Falschdarstellung der Aktivistin:

Den Text der Aktivistin muss man von hinten lesen. Die Autorin ist verletzt und ärgert sich über ein Gutachten, in dem steht, dass es MCS aus der Sicht der Schulmedizin gar nicht gibt. Statt sich schlau zu machen, wie man einen solchen Unfug effektiv begegnen kann – wenn der Herr Professor den ICD nicht kennt, ist er entweder inkompetent oder befangen – schluckt Sie Ihren Ärger runter.

Nun kann und will sie nicht glauben, was Dr. Küppers in ihrem klaren Schreiben an Silvia Müller geschrieben hat. Sie hat wohl gefragt, ob es denn wirklich stimmt. Das ist die alte Weisheit: „Wer lang fragt …“ Mittlerweile hat wohl Frau Dr. Küppers Druck bekommen. Also rudert sie zurück und unsere Autorin gibt ihr die Gelegenheit dazu.

Schließlich verkündet unsere Autorin die Welt belehrend, dass der ICD gar keine Diagnosen enthält und die Ärzte sich daran auch nicht halten müssen, als traurige Wahrheit.

Dieser Vorgang zeigt, wie es denjenigen, die, wider besseres Wissen, den Stand der Wissenschaft in Sachen MCS in Abrede stellen und als Psycho umdeuten, schaffen, eine immense wissenschaftliche Literatur zu Müll zu verarbeiten, nämlich indem sie ihre Pseudowissenschaft als neue wissenschaftliche Erkenntnisse präsentieren (Prinzip Erlanger Fake: Vertauschung von Ursache und Wirkung), dies als schulmedizinische Korrektness apostrophieren und von allen verlangen, dies als „seriös“ zu akzeptieren. Sie habe es offensichtlich geschafft, dass viele Selbsthilfegruppen dies akzeptieren. Ich verweise auf das Zitat in meinem MCS-Strategiepapier zur „Wissenschaftsgläubigkeit“. Dort sagt eine Aktivistin, die Nichtakzeptanz von MCS liege an der Wissenschaftsgläubigkeit der Journalisten und Politiker. Also akzeptiert die Aktivistin, dass MCS wissenschaftlich ungeklärt ist. Die traurige Wahrheit ist folglich, dass solche Selbsthilfegruppen am eigenen Grab fleißig mitschaufeln.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 5. Februar 2009

Teil I: Künstlich erzeugte Verwirrung über den ICD-10 zu MCS

Weiterführende Informationen:

Künstlich erzeugte Verwirrung über den ICD-10 zu MCS

In einer internationalen Newsgruppe für Aktivisten und Wissenschaftler, die sich mit dem Themengebiet Umweltkrankheiten, toxisch bedingte Erkrankungen und Chemikalien-Sensitivität auseinandersetzen, wurde von einer deutschen Aktivistin ein Eintrag bzgl. des ICD-10 zu MCS eingebracht. (Siehe Anlage) Sie führte darin ein Antwortschreiben von DIMDI auf, das sie auf ein Anfrageschreiben ihrerseits erhalten hatte. Diese Antwort des DIMDI bewertete sie fehlerhaft und übersetzte sie teilweise falsch, auch unter Auslassen wichtiger Punkte, ins Englische.

So wurde bspw. der im Brief von DIMIDI angeführte Begriff „Qualitätssicherung“ unterschlagen. Dieser ist aber von essentieller Bedeutung, da nur die Qualitätssicherung in Form einer exakten Diagnostik gemäß international anerkannter Kriterien eine adäquate Therapie zur Folge haben kann, was im Rahmen des „QM“ (Qualitätsmanagement) in der deutschen Medizin eine zentrale Rolle einnimmt. Die Leser, die das deutsche Originalschreiben nicht lesen konnten, wurden folglich gänzlich verwirrt und fehlinformiert über den Stellenwert des MCS ICD-10 in Deutschland.

Dr. Tino Merz, Sachverständiger für Umweltfragen nimmt Stellung:

Künstliche Verwirrung über den ICD-10

Es immer wieder faszinierend zuzuschauen, was alles möglich ist. Damit nicht alles möglich ist, haben wir die Ärzteinformation publiziert. Dort finden sich für MCS, CFS, FM und TE die ICD-10 Klassifikation der WHO und die Diagnosekriterien zur jeweiligen Diagnose, ohne viel Kommentar. Aber wie sich zeigt, kann man auch das noch durcheinander bringen.

ICD 10 – Liste der Diagnosen

Deshalb und weil es nicht das erste Mal ist, dass über falsche Vorstellungen falsche Schlüsse gezogen wurden, in aller Klarheit: die internationale Klassifikation von Krankheiten 10. Auflage (ab 1992) ist eine Liste von ca. 70 000 Diagnosen, die in 26 Hauptkategorien eingeteilt sind. Die Diagnosen, die dort aufgenommen werden, sind anerkannte und damit gültige Diagnosen. Das ist wichtig für die Juristerei. Die medizinische Definition (etwa Diagnosekriterien) sind dort nicht aufgeführt.

Zerreden des ICD-10: Thema verfehlt

Weil das so ist, haben wir in der Ärzteinformation beides aufgeführt. Für die Diagnosestellung sind die Diagnosekriterien da, die ICD-10-Bezeichnung für die rechtliche Zuordnung. „T78.4 … Allergie, nicht näher bezeichnet“ ordnet MCS den äußeren Verletzungen zu und zwar als erworbener Immunschaden in der Ausprägung einer unspezifischen Allergie oder Überempfindlichkeit. Schon vor einiger Zeit meinte eine Aktivistin, das sei ungenügend. Zur Begründung hat diese wissenschaftliche Argumente angeführt. Nun, damit war das Thema verfehlt. Der ICD-10 ist eine formale Zuordnung. Ganz falsch ist der Satz „T78.4 does not recognize „MCS“ as a medical diagnosis.“ Denn genau das tut die ICD-10 Liste: sie anerkennt MCS als definierte Diagnose.

Künstliche Verwirrung stiftet Schaden

Seit das so ist, zusammen mit der Klassifikation als physische und äußere Verletzung, hören die Versuche nicht auf, das, was seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich entschieden ist, relativieren zu wollen. Die Umdeutung in „IEI“ hat die WHO 1996 zurückgewiesen. Die Psychothese wurde erst formuliert, als der internationale Diskurs entschieden war, eben mit dem ICD-10-Eintrag. Der Trick dabei ist genial. Da Chemikalien die psychischen Funktionen beschädigen, wendet man genau das gegen die Geschädigten. Die Psychothese vertauscht Ursache und Wirkung. Man kann so eine Studie immer so falsch interpretieren, wie man will. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun (s. Blog: Erlanger Fake). Doch damit gelingt es, Verwirrung zu stiften. Gekoppelt wird dies mit Lautstärke und Einschüchterung. Der Nachsatz des DIMDI zeigt, dass die Sachbearbeiterin keinen Ärger wollte. Die fragende Aktivistin hat den klassischen Fehler gemacht: „Frage nie etwas, deren Antwort Du nicht genau kennst“. Nun urteilt die fragende Aktivistin auch noch falsch: sie behauptet als neue Erkenntnis („eye-opening“), im ICD-10 seien gar keine anerkannten Diagnosen gelistet. Was denn dann? Das ist der eigentliche Sinn des ICD. So etwas trauen sich noch nicht einmal jene, die die Psychothese vertreten. Solcher Unfug ist deshalb äußerst hilfreich, und zwar zum Zwecke der Verwirrung, zum Schaden der Geschädigten.

Außer Frage: Umweltkrankheiten sind längst anerkannt

Niemand kann ernsthaft wegdiskutieren, dass die Umweltkrankheiten längst anerkannt sind. Aber mit Halbwahrheiten und Verdrehungen kann man fast alles erreichen, wenn die Betroffenen sich nicht schlau machen. So bekommt die Gegenseite sie dorthin, wo sie sie hinhaben will.

Als Gutachter muss ich immer wieder erleben, dass Verfahren scheitern, weil die Mandanten nach ihren Vorstellungen – falsch – entscheiden, weil sie die rechtlichen Grundlagen und die rechtlichen Interpretationen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht kennen und die Ratschläge in den Wind schlagen.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, 29. Januar 2009

Weiterführende Informationen:

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ANLAGE

Eintrag der Aktivistin in Newsgruppen Anfang Januar:

The German ICD-10 Coding Guidelines have taken on an important role in Germany since 2002. Because of the cross mapping from the German payment system (known as the Fallpauschel [FP] and Sonderentgelt [SE]) for the hospital inpatient billing requirements to the implementation of the German DRG (G-DRG) payment system, an increasing awareness for the necessity of correct coding could be seen. As of August 15, 2003, Germany named the ICD-10 version  ICD-10-GM (German Modification). Usage of the ICD-10-GM: In Germany, the practicing physician is legally responsible for documenting and coding patient charts that are seen in his/her office, and the hospital physician is legally responsible for documentation and coding of the hospital inpatient/outpatient admissions.

Multiple Chemical Sensitivity (MCS) has been formally registered as a physical illness by the German Institute of Medicine, Documentation and Information, and is classified within the German version of the World Health Organization (WHO) International Classification of Diseases ICD-10-GM, Code T 78.4… allergy, unspecified.

For clarification whether MCS has been recognized as a physical illness or not, I wrote to Dr. Ursula Kueppers at the DIMDI. On December 22, 2009 she sent the below reply. An eye-opener to me are the last sentences of her e-mail:

„The ICD-10 can only partly be helpful in deciding the obviously unsolved controversy whether a disease like MCS is to be listed under physical illnesses or mental (psychogenetic, psychiatric) disorders. The facts of this issue have to be discussed by medical experts and can only be answered by them.“

The essence of her statement is that ICD-10-GM, code T78.4 does not recognize „MCS“ as a medical diagnosis. The German government simply put „MCS“ into the index of the German ICD-10-GM for different purposes (statistics, payment, etc.) in the National Health Care System.

Best to everyone,

xxx

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ÜBERSETZUNG des Eintrags

Die Deutschen Vorgaben zur ICD-10 Kodierung spielen seit 2002 eine bedeutende Rolle in Deutschland. Wegen dem Cross Mapping zwischen dem Deutschen Abrechnungssystem (bekannt als Fallpauschale [FP] und Sonderentgelt [SE]) für die Abrechnung stationärer Behandlung in Krankenhäusern und der Anwendung des Deutschen DRG Abrechnungssystems (G-DRG/German Diagnosis Related Groups), kann ein zunehmendes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer korrekten Kodierung beobachtet werden. Mit Wirkung des 15. August 2003 nannte Deutschland seine ICD-10 Version ICD-10-GM (German Modification). Zur Gebrauch des ICD-10-GM: In Deutschland ist der praktizierende Arzt gesetzlich verpflichtet, die Befunde jener Patienten zu dokumentieren und zu kodieren, die bei Ihm in der Praxis waren und der Krankenhausmediziner ist gesetzlich verpflichtet, die Einweisungen von stationären und ambulanten Patienten zu dokumentieren und zu kodieren.

Multiple Chemical Sensitivity (MCS) wurde durch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) formell als eine körperliche Erkrankung registriert und ist im ICD-10-GM, der Deutschen Version der Internationalen Klassifikation von Krankheiten der World Health Organization (WHO) mit dem Code T 78.4… Allergie, nicht näher bezeichnet, klassifiziert. [Das DIMDI wird im Originaltext fehlerhaft als Institut für Medizin, Dokumentation und Information bezeichnet!]

Um zu klären, ob MCS als eine körperliche Erkrankung anerkannt wurde oder nicht, schrieb ich Dr. Ursula Küppers vom DIMDI an. Am 22. Dezember 2009 schickte sie mir die untenstehende Antwort. Die letzten Sätze ihrer Email sind für mich ein Augenöffner:
„Der ICD-10 kann nur zum Teil nützlich sein um die offenbar ungelöste Frage zu entscheiden ob eine Erkrankung wie MCS unter körperlichen Krankheiten oder unter mentalen (psychogenerierten, psychiatrischen) Störungen aufgeführt werden sollte. Die Fakten dieser Angelegenheit sollten von medizinischen Experten diskutiert werden und können nur durch sie beantwortet werden.“

Die Essenz ihrer Aussage ist, dass der Code T78.4, ICD-10-GM, „MCS“ nicht als eine medizinische Diagnose anerkennt. Die Deutsche Regierung hat „MCS“ lediglich für verschiedene Zwecke (Statistik, Abrechnung, etc) in den Index des Deutschen ICD-10-GM aufgenommen.

Allen alles Gute
xxx


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Zitiertes Antwortschreiben  des DIMDI

Sehr geehrte Frau xxxx,

leider komme ich erst jetzt dazu, Ihre Anfrage zu beantworten.

Die ICD-10-GM wird in der Bundesrepublik Deutschland für verschiedene Zwecke im Gesundheitswesen eingesetzt (u.a. Entgeltsysteme, Qualitätssicherung, statistische Zwecke). Die ICD-10-GM basiert auf der ICD-10-Ausgabe der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Die ICD-10 (-GM) definiert Krankheiten in der Regel nicht, sondern sie teilt Erkrankungen nach bestimmten Gesichtspunkten in Kapitel, Gruppen, etc. ein. Diese Struktur der ICD-10(GM) hat historische Wurzeln. Näheres können Sie darüber nachlesen im Band 2 (Regelwerk) der ICD-10-WHO-Ausgabe (zu finden z.B. unter http://www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/downloadcenter/icd-10-who/version2006/regelwerk/ ).

Der aktuelle Stand bzgl. MCS ist, dass MCS in der ICD-10-GM derzeit unter „T78.4 … Allergie, nicht näher bezeichnet“ kodiert wird und damit nicht dem Kapitel V – Psychische und Verhaltensstörungen zugeordnet ist. Für die Kodierung unter T78.4 spricht aus meiner Sicht der dort angegebene Hinweistext „Diese Kategorie ist zur primären Verschlüsselung zu benutzen, um anderenorts nicht klassifizierbare Schäden durch unbekannte, nicht feststellbare oder ungenau bezeichnete Ursachen zu kennzeichnen. Bei der multiplen Verschlüsselung kann sie zusätzlich benutzt werden, um Auswirkungen von anderenorts klassifizierten Zuständen zu kennzeichnen.“

Zur Entscheidung der offenbar ungeklärten Streitfrage, ob eine Erkrankung wie MCS den organischen oder den psychischen Krankheiten zuzuordnen ist, kann die ICD-10 nur bedingt helfen. Diese Frage muss in der Sache von den medizinischen Experten diskutiert werden und kann auch nur von diesen beantwortet werden.“

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag

Dr. Ursula Küppers

DIMDI – Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information

Medizinische Klassifikationen

www.dimdi.de

Das DIMDI ist ein Institut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG).

Konzept für einen MCS – Fond

Konzept für einen MCS-Fond

Es wurde die Frage gestellt, ob die Positionierung von MCS mit der Nothilfe für lebensbedrohliche Fälle unter ein Dach passe.

Antwort: es geht gar nicht anders.

Nothilfe ohne Konzept ist die MM-Methode: Moral und Mitleid. Diese Methode führt seit 15 Jahren nicht voran. Es ist ohne Weiteres möglich, für ein Kind mit einer besonderen Spastik, die nur auf eine Delphintherapie positiv reagiert, in einer TV-Gala reichlich Spenden zu sammeln. Bei einem Massenphänomen (MCS: schwere Fälle 3,5% der Allgemeinbevölkerung 12 – 25% moderate Erscheinungsformen,) ist das etwas ganz anderes. Ein ernstes gesellschaftliches Problem wird gern verdrängt: MCS? Das sind doch diese Spinner! Letztlich ist die Sache zu groß, um sie mit Spenden regeln zu können. Ohne Konzept wird „Nothilfe“ nur wenig Geld nur von Betroffenen und deren Anhang sammeln können. Also zu wenig für nichts.

Ein Konzept, dass auch Gesunde (oder eingebildete Gesunde) überzeugen kann, sollte in der Lage sein, Unterstützung durch verantwortlich denkende Menschen zu erlangen. Die starken Positionen für MCS sind:

  • der hohe Grad der wissenschaftlichen Erkenntnis
  • die Möglichkeit adäquater medizinischer Versorgung
  • die Rechtsrelevanz des Standes der Wissenschaft.

Das Notwendigste zum Stand der Wissenschaft findet sich in der Ärzteinformation.

Der Fond wird dann ernst genommen, wenn deutlich wird, dass er handfeste Rechte durchsetzen will (Versicherungen und Menschenwürde) und auch kann, weil er den Stand der Wissenschaft ins Feld führt, der bisher nicht einmal diskutiert wurde.

Ein gesellschaftlich relevantes Konzept und Erfolg des Fond entsprechen sich demzufolge gegenseitig.

Das Projekt steht und fällt mit der Frage der Aktivisten: es müssen einige Leute diese Konzept faktensicher propagieren können. Die Fakten sichern quasi nebenbei, dass Kleingezänk außen vor gehalten werden kann. Willkommen ist nur, wer das Konzept sachbezogen unterstützt. Ein „ich auch“ genügt dann nicht, denn die Gruppe muss die Spenden sammeln und muss dazu die entscheidenden Argumente auch auf kritische Nachfrage erläutern können.

Für die Sicherung des Konzepts braucht die Fondsatzung sicher eine Präambel, die das Konzept umreißt, etwa:

MCS wurde 1948 durch den Allergologen Theron Randolph entdeckt. Er registrierte, dass manche Allergiker dann nicht reagierten, wenn die Testsubstanzen aus wild gewachsenen Früchten gewonnen worden waren. 1962 hat Randolph dies ausführlich publiziert. 1966 hat eine Neurologin (E. Kailin) erstmals doppelblind, elektrophysikalisch nachgewiesen, dass es Patienten gibt, die auf Dosen unterhalb des amerikanischen Durchschnitts reagieren. In den 70er Jahren wurde ein neuer Allergietest zu diesem Problemkreis entwickelt (Miller 1977). In den 80er Jahren wurden die immunologischen und neurologischen Mechanismen weiter vertieft. 1987 definierte der amerikanische Arbeitsmediziner Cullen erstmals Diagnosekriterien für MCS. 1992 wurde MCS durch die WHO klassifiziert und zwar als erworbene organische Erkrankung (s. Ärzteinformation). 1992, 1994, 1996 und 1997 wurden die vier Bände des Standardwerks „Chemical Sensitivity“ von William Rea veröffentlicht (ca. 3 000 Seiten). 1998 publizierte Pall erstmals ein Modell, das eine pathologische Chronifizierung der Stoffwechselprozesse erklärt. Dies erklärt sowohl die Krankheitsbilder von CFS als auch MCS. In der Folgezeit konnte Pall auch zeigen, auf welche Weise  unterschiedliche Stoffklassen, die primär auch sehr unterschiedlich wirken, letztlich jene Sensitivität und chronische Erschöpfung erzeugen, die für diese Krankheitsbilder typisch sind.

Die Psychodebatte blockiert diese Diskussion und enthält so den Erkrankten eine adäquate medizinische Versorgung vor. Sie begann erst, als die abschließende wissenschaftliche Entscheidung schon gefallen war.  Gutachten, die MCS als Befindlichkeitsstörung, IEI oder dergl. bezeichnen sind falsch. Die Psychodiskussion hat weit reichende rechtliche Folgen. Letztendlich nimmt sie den Patienten die Menschenwürde und in der Folge ihre Rechte aus abgeschlossenen Versicherungen und ihre Rechte auf eine adäquate medizinische Versorgung.

Die therapeutischen Ansätze leiten sich aus diesem Erkenntnisbild ab. Sie sind noch komplexer als die Pathomechanismen. Es ist dringend geboten, dass sie vorrangig vertieft diskutiert werden.

Der Fond soll diese Schieflage korrigieren. Er muss es auch, wenn er pekuniär erfolgreich sein will.

Der  Zweck des Vereins muss deshalb in einem ersten Schritt folgende Ziele enthalten: rechtliche Umsetzung des Standes der Wissenschaft, Erstellung einer Dokumentation aller Todesfälle mit der Diagnose MCS, Planung und Errichtung von Gebäuden, die geeignet sind, Personen aufzunehmen, die in anderen Räumen nicht mehr leben können.

Der letztere Punkt – im Plural – dürfte den Fond überfordern, aber ein Beispiel (ein Gebäude) als Vorzeigeprojekt ist in Deutschland möglicherweise vonnöten und bei Entfaltung des Konzepts auch machbar, um den Schweizer Weg auch hierzulande einzuleiten. Offensichtlich hat Christian Schifferle es vermocht, den Verantwortlichen klar zu machen, dass man mit Menschen mit MCS nicht so umgehen kann, wie es bisher die Praxis ist. In Deutschland ist das eigentlich durch die Verfassung garantiert. Das heißt aber nicht, dass diese Garantie automatisch greift – ein Rechtsstaat lebt von der Auseinandersetzung und zwar professionell und auf höchster Ebene. Die Garantie gibt es also nicht umsonst.

Es folgt  ein 10. Blog zur Menschenwürde und der Konstruktion des Rechtsstaates. Danach brauche ich eine Auszeit, um mein Buch endlich in Form zu bringen.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger Umweltfragen für CSN – Chemical Sensitivity Network, 28. Dezember 2009

Vorhergehende Blogs zur Serie und zum Thema:

Weiterführende Informationen:

Kriterien für die Gründung eines MCS-Fond

MCS-Fond

Nachdem ich den Vorschlag der Gründung eines MCS-Fond aufgegriffen habe, gab es sofort Streit in der Weise, dass um die Verteilung des Bärenfells gestritten wurde, der noch gar nicht erlegt war. Dabei fiel u. a. das Adjektiv „demokratisch“. Nun, die Abstimmung über einen Fond erfolgt per Überweisung. Für die Ausrichter gelten andere Kriterien, wie folgt:

Glaubwürdigkeit, Seriosität sind Grundvoraussetzung

Um Geldgeber zu gewinnen, braucht ein Fond Glaubwürdigkeit, Seriosität und vor allem einen wichtigen Grund, warum Geldgeber Geld geben sollen, m. a. W. es geht dann darum, was MCS ist, wie es um den Stand der Wissenschaft steht, also der Objektivierbarkeit, und welche gesellschaftliche Bedeutung diese Krankheit hat.

Dazu ein Beispiel:

MCS wurde 1948 entdeckt. Der Allergologe Randolf stellte fest, dass einige Allergiker nicht reagierten, wenn die Testsubstanz von wild wachsenden Früchten, anstatt von konventionem Obst mit Pestizidrückständen, stammte. Erst 1962 hat er das veröffentlicht, 1966 gab es Doppelblindstudien einer Neurologin, die Nachweis führte, dass es Leute gibt, die auf unterdurchschnittliche Dosen reagieren. In den 70er Jahren wurde die erste wichtige Therapie entwickelt (Neutralisationstherapie), in den 80er Jahren wichtige Grundmechanismen der Pathologie erkannt, MCS endgültig definiert, in den 90er Jahren von der WHO als organische Erkrankung anerkannt und ein 3 000-seitiges Standardwerk publiziert (Rea), dass anschließend universitär überprüft und bestätigt wurde (Ashford & Miller), die Therapie stark verbessert (ALF), und die Frage der Chronifizierung geklärt (Pall), und schließlich wurde auch die Wissenslücke geschlossen, wie und warum so viele Substanzen ganz unterschiedlicher toxischer Wirkcharakteristik chronische Müdigkeit und chemische Sensitivität erzeugen. M. a. W., MCS ist nichts Neues, ist gut erforscht und von gravierender Bedeutung (die Prävalenz ist zweistellig).

Doch davon weiß die deutsche Diskussion nichts. Da wird über Psycho diskutiert und über angebliche Defizite der wissenschaftlichen Erklärungsmöglichkeiten, m. a. W., es entbehrt der wesentlichen Grundlagen. Die geistige Bettelsuppe der RKI-Studie repräsentiert hierzulande „Wissenschaft“. Das Niveau ist etwa dem der 60er Jahre vergleichbar, aufgepfropft mit Pall, so dass schließlich der falsche Eindruck erweckt wird, man sei wissenschaftlich erst noch am Anfang.

MCS-Fond

Das muss vorrangig geändert werden, und dafür ist ein Fond eine Organisationsform wie jede andere mit dem zusätzlichen Vorteil, dass etwas in der Kriegskasse ist, so dass man rechtliche Konsequenzen und rechtlich begründete Ansprüche professionell formulieren kann.

Es wird also darum gehen, ob ein Fond mit diesem Anspruch und dieser Begründung etabliert wird oder einfach nur ein Hut rumgeht mit der Begründung allgemeiner Bedürftigkeit. Es ist nicht die Frage, wer da mitmacht, denn es kommt nur darauf an, ob eine Linie vertreten wird, die rechtlich Relevantes vorzutragen in der Lage ist, indem es sich des vollen Umfanges der anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnislage bedient. Das muss professionell und generalstabsmäßig Schritt für Schritt aufgebaut werden. Dazu braucht es geduldige und zielstrebige Leute.

Kriterien für Glaubwürdigkeit und Seriosität

Zum Kontrast, was nicht geht: etwa die Forderung, es müssen sofort Container als Notquartiere her, weil sie eben einfach notwenig seien. So etwas müsse gar nicht teuer sein. M. a. W. sofort und dafür Pfusch. Solches über’s Knie gebrochene Handeln hätte fürchterliche Folgen für den Fond. Solche wichtigen Aktionen müssen sorgsam geplant werden.

Was auch nicht geht sind einfach dahingesagte Aussagen, wie diese: „Es ist doch bekannt“, dass es nichtsuizide Ableben durch Organversagen bei MCS gegeben habe. Eine so formulierte Aussage ist zu ungenau und daher hier nicht verwendbar. Denn, „bekannt“ setzt voraus, dass eine Dokumentation mit Belegen existiert und dass diese allgemein zugänglich ist. Die wissenschaftliche Begründetheit ist nicht das Problem, denn Organversagen bei MCS findet sich einschließlich der Erfahrung bei 20 000 Patienten bei Rea im 3. Band. Emailkaskaden und Interneteinträge dagegen sind juristisch „Hörensagen“. Die Schwelle von Relevanz lautet: Quod non est in actiis, non est in mundo – Es muss also aktenkundig sein, sonst ist es nicht ernst zunehmen.

Das sind die Kriterien für Glaubwürdigkeit und Seriosität: wissenschaftlich gut gesichert und gründlich fundamentiert und rechtlich ausreichend belegt, sowie rechtlich auch ausreichend relevant. Das markiert die Grenze von ernsthaften Bemühen und Wunschdenken. Bei Goethe steht: „Wer stetig sich bemüht, den können wir erlösen – So ist das gemeint.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger Umweltfragen für CSN – Chemical Sensitivity Network, 2. Dezember 2009

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Weiterführende Informationen:

Ist MCS lebensgefährlich?

Kann MCS lebensgefährlich sein?

Direkt nicht.  Aber MCS – Multiple Chemical Sensitivity (ICD-10 T78.4)  ist eine allgemeine Schwächung des Organismus, birgt die Gefahr der Anaphylaxie und des Suizids.

Eine allgemeine Schwächung des Organismus dürfte zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen. Die nächste Generation wird vielleicht eine allgemein gesunkene Lebenserwartung feststellen. In Sachen toxischer Risiken hinkt die Gesellschaft stets Jahrzehnte hinterher. Rekordverdächtig ist etwa das HCB-Verbot: zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis (Porphyrie, 1956) und Verbot (1978) lagen „nur“ 22 Jahre. Unbestritten ist, dass die Morbidität steigt. Die Rate der Frührentner steigt und das durchschnittliche Eintrittsalter dafür sinkt.

Tödliche Folgen von Reaktionen sind in Einzelfällen bekannt. Die statistische Relevanz ist unklar.

Der Zusammenhang zwischen Chemikalien und Suiziden ist seit der berühmten Boehringerstudie bekannt. Prof. Manz, ein Arbeitsmediziner, hatte bei den Beschäftigten mit Pestizidkontakt (2,4,5-T-Säure, als Vietnamgift „Agent Orange“ bekannt und enthielt Dioxin ) eine signifikant erhöhte Suizidrate nachgewiesen. Es wäre ja auch verwunderlich, wenn Nervenschäden zu keiner Schwächung der Psyche führen würden.

Zitat aus dem SPIEGEL von 1991 (32/1991):

„Die Firmenleitung und die Berufsgenossenschaft boykottierten anfangs die Untersuchung, so daß Manz über Friedhöfe, Sterberegister und 400 Interviews dem Tod auf die Spur kommen mußte. Erst kurz vor Abschluß seiner Untersuchung erhielt er von Boehringer eine Personalliste.

Die in der Bundesrepublik einzigartige Studie, die im Herbst vom Hamburger Senat veröffentlicht wird, zeigt, daß Arbeiter, die 20 Jahre bei Boehringer beschäftigt waren, doppelt so häufig an Krebs erkranken wie andere Deutsche. Besonders diejenigen, die in Harri Garbrechts T-Säure-Abteilung den hohen Dioxin-Mengen ausgesetzt waren, zeigen eine „deutliche Übersterblichkeit“ von 240 Prozent.

Die Selbstmordrate ist um 62 Prozent überhöht.“

Falsche wissenschaftliche Darstellung kann tödlich sein

Angesichts dieser Tatsache erscheint die Psychothese in einem anderen Licht. Sie ist nicht nur wissenschaftlich abwegig und bei genauer Betrachtung eine absichtliche Vertauschung von Ursache und Wirkung, sondern in zweifacher Weise für den Tod durch Suizid verantwortlich. Angelika S. hat sich erst das Leben genommen, als sie keinen Ort mehr gefunden hat, den sie vertragen hat. Diese Phantomdebatte über angeblich psychische Verursachung von MCS hat dazu geführt, dass in Deutschland, ja in Europa, keine Klinik existiert, die solche Patienten aufnehmen kann. Wenn man obendrein Schwerstkranke auch noch als „Psycho“ beschimpft, sie als unglaubwürdig hinstellt, ihnen also auch noch die menschliche Würde und vor allem ihre verfassungsmäßigen Rechte nimmt, so ist man obendrein auch direkt verantwortlich für solche lebensbeendenden Folgen. Ein Mensch, der sein Leben erst dann beendet, nachdem alle Bemühungen über Internet fehlgeschlagen sind, ist bestimmt eine starke Persönlichkeit. Eine psychische Schwäche ist hier nicht zu erkennen.

Rechtliche Würdigung

Man kann zunächst konstatieren, dass eine solche Art Medizin zu betreiben, den Patienten schädigt. Zum einen ist dies unterlassene Hilfeleistung, und zum anderen ist es psychische Verletzung. Der Hippokratische Eid verbietet das. Darüber hinaus ist es fahrlässig, die Möglichkeit einer organischen Schädigung außer acht zu lassen, wenn man dem Patienten sonst nicht helfen kann.  Das gilt ganz besonders dann, wenn auf Ebene höchster Autorität MCS als organische Schädigung anerkannt ist.

Wenn im Weiteren, nämlich in einer anhaltenden Diskussion über mehr als ein Jahrzehnt, sowohl die Gefahr der Anaphylaxie als auch die Gefahr des Suizids und obendrein andere schwere Organschädigungen in der Folge von MCS  (Rea, Chemical Sensitivity, Volume 3, ca. 900 Seiten) ignoriert werden, so nimmt man diese Schäden billigend in Kauf. Dies ist grob fahrlässig, wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich.

Es ergibt sich also, dass solche Aktivitäten einen Bruch des Hippokratischen Eids darstellen, unterlassene Hilfeleistung und Körperverletzung. Da es sich um hartnäckiges Vertreten einer fragwürdigen Auffassung von Wissenschaft handelt, sind diese Aktivisten auch persönlich für die Folgen verantwortlich.

Da es Tote gegeben hat, ist es an der Zeit darüber nachzudenken, diese Tatbestände auch in einem rechtlichen Verfahren wirksam werden zu lassen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass stetige moralische Empörung diesem Tun nicht einmal Grenzen setzen kann. So ist es sinnvoller, die Energie in rechtlich wirksame Aktivitäten fließen zu lassen. Die Hauptschwierigkeit wird nicht sein, den Nachweis zu führen, denn wir besitzen alles Schwarz auf Weiß. Die Hauptschwierigkeit wird sein, ein Gericht zu finden, das die Klage überhaupt annimmt.

Von dieser Stelle ergeht die Aufforderung, darüber eine Diskussion zu beginnen und zwar eine ernsthafte.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger Umweltfragen für CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. November 2009

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