Umweltmedizin: Ihr habt es in der Hand, Teil II

Die Auseinandersetzung mit Bullshit, wie der Psychothese, wird weltweit geführt und weltweit liegt der Fehler darin, dass das juristische Motiv der Gegenseite nicht aufgedeckt wird und das alle Kritiker den Bullshittern letztlich den Weg ebnen, indem sie die Fiktion einer wissenschaftlichen Diskussion aufrechterhalten.

Wer Teil I verpasst hat > Umweltmedizin in Deutschland, ganz gemäß Al Gore: Ihr habt es in der Hand

Rechtsstaat und Wahrheit

In Sachen Umweltrecht ist der Stand der Wissenschaft das, was den Rechtsstaat ausmacht. Es ist sozusagen die normative Festlegung der Wahrheit; denn daran haben sich Gutachter zu halten. Wenn sie vom Stand der Wissenschaft abweichen, handeln sie ungesetzlich. In Sachen Umwelterkrankungen sind dies ca. 95 – 99% der Gutachten. Welche Konsequenzen das im Einzelfall haben kann, kommt auf die Formulierungen in der Akte an. Diese starke Rechtsposition wird aber von der Seite der Patienten und Umweltaktivisten nicht genutzt.

Dazu muss der Rechtsbegriff des „allgemein anerkannten Standes der wissenschaftlichen Erkenntnis“ verstanden und umgesetzt werden. Die konkreten Fakten stehen in der Ärzteinformation. Die Ärzte müssen erkennen, dass es keinen Grund gibt, MCS nicht zu diagnostizieren und dass es keine speziellen Erkenntnisse erfordert. Die Anwälte sollen erkennen, dass sie das auch Einklagen können (korrekte Anwendung des Standes der Wissenschaft) und dass stets zu prüfen ist, ob sich der Gutachter strafbar gemacht hat (Prozessbetrug, Körperverletzung).

Ein folgenschweres Missverständnis

Der Stand der Wissenschaft wird aber meist mit „neuesten Erkenntnissen“ verwechselt. Er ist aber ganz im Gegenteil notwendigerweise immer veraltet, da Konsensbildung Zeit benötigt. Im Falle der Umwelterkrankungen wird er übersehen, weil er schon (wieder) vergessen worden ist oder nie zur Kenntnis genommen wurde. Das ist der Kardinalfehler der bisherigen Debatte. Das Auswahlkriterium ist sehr einfach, je neuer ein Test oder ein Parameter ist, desto weniger ist er geeignet bei der Durchsetzung der Anerkennung zu helfen. Deshalb sind die alten Grundlagen so wichtig.

Wenn man etwa SPECT und TE, schwache und starke Entgifter, PET u. CFS/TE, Typ IV Allergien und LTT ausschließlich thematisiert, ist es so, als begänne man beim Hausbau mit dem Dach. Man muss zunächst den Stand der Wissenschaft darstellen, denn der ist maßgebend. Da er aber ignoriert wird – von den einen mit Absicht, von den anderen aus Unkenntnis – gehen die Verfahren verloren und die Anerkennung der Umweltkrankheiten wird auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Es ist also bereits die Themenauswahl, die den Weg zur Anerkennung bereitet oder verbaut.

Im übrigen, lassen sich Innovationen zum Stand der Wissenschaft erheben und leichter durchsetzen, wenn man auf dem bestehenden Stand der Wissenschaft aufbaut. Mit anderen Worten, auch neue Tests brauchen ein Fundament: den Stand der Wissenschaft.

Die Wurzeln der Umweltmedizin

Die Juristerei verlangt manchmal eine Glaubhaftmachung. Dazu kann und muss die Darstellung der tiefen wissenschaftlichen Wurzel der Umweltmedizin genutzt werden. Das kann auch die Welt Staunen machen. Die Mehrheit glaubt, das sei alles neu. Die Mehrheit glaubt, es müsse erst geforscht werden. Gerade das ist juristisch der Grund der vielen Niederlagen. „Neues“ kann nicht „Stand der Wissenschaft“ sein. Zeigt man den breiten Fächer des Wissens, sind obendrein die Bullshitter bis auf die Knochen blamiert.

Das wird auch die Diskussion wiederbeleben. Seit 2000 sieht man immer die gleichen Gesichter in den schlecht besuchten Seminaren. „Es gibt nichts Neues“ sagte mal solch eine Tapfere. Nun kann man Tausende von Referaten mit Themen füllen, wie den „Overload“ (Rea, Band I), psychische Reaktionen durch Allergieschübe, orthomolekulare Behandlung von mentalen Erkrankungen, etc. Das ist zwar nicht mehr neu, aber es sind die Grundlagen und dem Publikum sind sie neu. Daran kann man die Forderung knüpfen, dass die Standardwerke endlich auch in anderen europäischen Sprachen zur Verfügung stehen müssen.

All dies eröffnet ein weites Feld der Möglichkeiten, die den Bullshit zersetzen können.

Die Kurve kriegen

Kommentar zu Artikel #8320 „Sind die Erkenntnisse von Paracelsus noch State oft the Art im 21. Jahrhundert?“

Sehr geehrter Herr Dr. Merz, aus ihrem sachlichen Bericht wird mehr als klar, dass die pathologische Wirkung von bestimmten Schadstoffen/Giften im Niedrigst-Dosis-Bereich wissenschaftlich längst erkannt . . . wurde.

Trotzdem versuchen bestimmte Interessengruppen, diese harten wissenschaftliche Fakten zu leugnen . . . Unverfrorenheit sowie der Dilettantismus, . . .“

So denken viele. „Unverfrorenheit“ ist richtig, „Dilettantismus“ dagegen nicht. Die wissen, was sie tun (erst die Nachahmer sind ahnungslos). Der entscheidende Denkfehler ist das Wort „trotzdem“. Es muss „weil“ heißen. Die Psychothese kam erst auf, als alles wesentlich wissenschaftlich geklärt war. Der Versuch „MCS“ in „IEI“ zu verwandeln, ist bei der WHO kläglich gescheitert (u. a. auf massiver Intervention von Frau Prof. Miller, vgl. Ashford & Miller).

Daraus kann man lernen, dass sich nicht alle ins Boxhorn jagen lassen, es aber nicht genügt, wenn man sich auf ein paar Einzelkämpfer verlässt.

Freilich haben all diejenigen Recht, die beklagen, dass es für den Einzelnen oft zuviel ist. Überfordert sind die Betroffenen, oft auch ihre Anwälte und die medizinischen Gutachter, die den Stand der Wissenschaft mit dem wissenschaftlichen Diskurs verwechseln. Diejenigen aber, die Klage erheben müssen, sollten wenigstens in die richtige Richtung marschieren. Dazu gibt es keine Alternative. Denn die falschen Richtungen seit etwa 15 Jahren haben die Niederlagen geschaffen. Ich erinnere an dieser Stelle auch an meinen Vorschlag, einen speziellen Rechtshilfefond auf den Weg zu bringen.

Autor: Dr. Tino Merz für CSN – Chemical Sensitivity Network, Mai 2010

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Weiterführende Informationen:

6 Kommentare zu “Umweltmedizin: Ihr habt es in der Hand, Teil II”

  1. Mirijam 27. Mai 2010 um 12:09

    Dr. Merz weist darauf hin, dass „der Stand der Wissenschaft… sozusagen die normative Festlegung der Wahrheit“ ist; „daran haben sich Gutachter zu halten. Wenn sie vom Stand der Wissenschaft abweichen, handeln sie ungesetzlich. In Sachen Umwelterkrankungen sind dies ca. 95 – 99% der Gutachten.“

    Heißt das, man kann diejenigen, die ungesetzlich handeln, anzeigen bzw. verklagen?

  2. Eike 27. Mai 2010 um 21:41

    Zunächst einmal recht herzlichen Dank an Dr. Merz für seine weitere wichtige Aufklärungsarbeit.

    Zu den folgenden im Text geäußerten Hinweisen habe ich als „Laie“ noch Fragen:

    „Deshalb sind die „alten“ Grundlagen so wichtig.

    Wenn man etwa SPECT und TE, schwache und starke Entgifter, PET u. CFS/TE, Typ IV Allergien und LTT ausschließlich thematisiert, ist es so, als begänne man beim Hausbau mit dem Dach.

    Man muss zunächst den Stand der Wissenschaft darstellen, denn der ist maßgebend.“

    1. Was ist denn der „Stand der Wissenschaft“?
    Könnten sie dazu bitte einige hilfreiche Beispiele nennen.

    2. Was sind die „alten“ Grundlagen?
    Auch hier wäre es gut, einige Beispiele zu bekommen.

    2. Welche Argumente sollten wir Betroffenen vorbringen, um beim Hausbau mit dem „Keller“ zu beginnen?

  3. Alex 27. Mai 2010 um 22:10

    Hallo Eike,

    Deine Fragen sind in den vorherigen Blogs von Dr. Merz beantwortet. Du kannst sie gesammelt in dieser Rubrik finden:

    http://www.csn-deutschland.de/blog/category/dr-tino-merz-zu-mcs-umweltkrankheiten

    Oder Du klickst im Artikel die Links an die unterhalb des Artikels stehn.

    Gruß, Alex

  4. Dr. Merz 28. Mai 2010 um 00:20

    Danke Alex! Die Blogserie hat einen inneren Zusammenhang. Basis ist ein Manuskript von nun mittlerweile 150 Seiten (gibt ein 300-Seiten-Buch, dauert aber noch, denn ich mache keine Schnellschüsse).

    Yes, Mirijam, man muss, inwieweit das erfolgversprechend praktikabel ist, hängt davon ab, wie die Desinformation genau formuliert ist, ob der prozessführende Anwalt mitspielt, etc. Was so gut wie immer geht, ist der Vortrag, dass das Gutachten nichtig ist, weil es die juristischen Anforderungen nicht erfüllt. Die zweite Option ist ggf. „Befangenheit“. Bei Prozessbetrug ist der Nachweis der Absicht notwendig. Gegenüber den Gutachtern ergibt sich ggf. auch der Anwurf der Körperverletzung – Diffamierung als „Psycho“ und/oder Verletzung der Menschenrechte. „ggf.“ meint immer, wenn es der Text hergibt. Ihr solltet zunächst verstehen, dass all‘ die Verfälschungen des Standes der Wissenschaft, Verletzungen des Rechts sind, also nicht unter Meinungsfreiheit fallen.

  5. Dr. Merz 28. Mai 2010 um 00:22

    BETRACHTET DAS BILD !
    ES IST DER HAMMER; UM DEN ES GEHT !

  6. Hummel-Elfe 30. Mai 2010 um 22:21

    Jeder von uns sollte EU-Rente beantragen, wenn das Arbeiten wg. MCS nicht mehr möglich ist, ebenso auch einen Antrag auf Schwerbehinderung stellen. Ratsam ist es daher, möglichst frühzeitig eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Denn nur damit kann man diese Verfahren einigermaßen „entspannt“ überstehen. Mit einem fachkundigen Anwalt ist es machbar. Mein Schwerbehindertenverfahren dauerte viele Jahre, aber was einst nicht rosig aussah, hat sich für mich zum Guten gewendet und ich hatte Erfolg.

    Also Leute, lasst Euch nicht unterkriegen und werdet aktiv. Nur so können wir kundtun, dass wir viele MCS Kranke sind und MCS weder eine seltene Erkrankung, noch ein Phänomen, sondern eine Umweltkrankheit und bittere Realität ist.

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