taz Panter Preis 2009 – Jetzt Stimme abgeben: Umweltkranke und Chemikaliengeschädigte unterstützen

Unermütlicher Einsatz für Menschen die durch Chemikalien erkrankten

Nominiert für den taz Panter Preis 2009

Silvia K. Müller, CSN, und Dr. Peter Binz, Neurologe aus Trier, sind für den diesjährigen taz Panterpreis nominiert. Ihr Engagement gilt seit vielen Jahren Menschen, die durch Chemikalien auf ihrem Arbeitsplatz, durch Wohngifte in ihrem Haus oder anderweitige Chemikalienexposition erkrankten. Viele dieser Erkrankten leiden dadurch unter MCS – Multiple Chemical Sensitivity, einer Hypersensibiltät auf Chemikalien. Sie reagieren auf geringste Spuren von Alltagschemikalien und müssen deshalb oft sozial vollig isoliert leben. Die seit den Vierziger Jahren bekannte Krankheit betrifft mindestens 10% der Bevölkerung (internationale Studien sprechen von 10-30%), sie wird jedoch weitgehend verschwiegen und bagatellisiert. Von Behörden, Insitutionen und Versicherungen bekommen Menschen, die durch Chemikalien erkrankten, in den seltensten Fällen Hilfe, im Gegenteil, man rückt ihre Beschwerden häufig sogar mit Kalkül in Richtung Psyche, um so auf subtile Weise Ansprüche abzuwehren. Die taz berichtete in ihrem Artikel „Gegen Gifte, die das Hirn zerfressen“ über die Arbeit und die Beweggründe der beiden Nominierten.

Jetzt an der Wahl der Preisträger beteiligen

Stimme für Umweltkranke und Chemikaliengeschädigte abgeben

Die LeserInnenwahl für den taz Panter Preis hat am Samstag, den 1. August 2009, begonnen. Bis zum 29. August 2009 ist es möglich, das Projekt zu wählen, das einem am Wichtigsten erscheint. Jeder kann mitmachen, man muss dazu kein taz Abonennt sein. Auch Stimmen aus dem Ausland sind zulässig.

Die Nominierten >>> Panter Preis 2009

taz Präsentation >>> Bericht über Silvia K. Müller und Dr. Peter Binz

Bericht im CSN Blog >>> Nominiert für den taz Panther Preis: Silvia K. Müller – CSN und Neurologe Dr. Peter Binz

Man kann online oder per Briefpost abstimmen. Jeder kann nur einmal wählen. Es zählen nur Stimmabgaben, die mit Absender versehen sind. Es ist möglich, dass mehrere Personen aus einem Haushalt unter Angabe des vollen Namens abstimmen.

Wer Silvia K. Müller und Dr. Peter Binz wählen möchte, klickt online die Namen über dem Adressfeld im taz Formular an, und wer per Post abstimmt, schreibt einfach die beiden Namen und seine eigene Adresse auf eine Karte (ohne ist ungültig).

Online Stimme abgeben >>> taz Panterpreis

Die Postadresse der taz:

taz, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin

Preisverleihung taz Panter Preis 2009

Der taz Panter Preis wird am 19. September in der Komischen Oper Berlin verliehen. Es gibt zwei Preise, die verliehen werden, einen, den die taz Jury vergibt und einen, bei dem die Leser die Entscheidung treffen. Die Nominierten haben also eine doppelte Chance, den Preis zu erhalten. Die Gewinner und Gewinnerinnen des taz Panter Preises werden auf der Preisverleihung bekannt gegeben.

taz Panter Preis - CSN und Umweltmediziner nominiert

Wir würden uns freuen, wenn Sie mit Ihrer Stimme das Engagement von Silvia K. Müller und Dr. Peter Binz, und damit Menschen die durch Chemikalien erkrankten, unterstützen.

Möge es für Brigitte sein…im Nachhinein…dass sich etwas ändert

Für Brigitte

Für Brigitte: Auszüge aus „Die Glasprinzessin – Leben mit MCS“

Wann begann eigentlich die Zeit der „Glasprinzessin“?

Fing es nicht schon in der Kindheit an?

Und die Zeit der vielen Fragen begann: Wann oder wo kam sie mit Stoffen in Kontakt, die ihr derart geschadet haben, so dass sie zur Glasprinzessin wurde? Es könnten unzählige gewesen sein, die ihr körperliches System derart „aus der Fassung“ brachten.

Nun ja, die Ursache herauszufinden schien nicht so wichtig, es kam eher darauf an mit den Auswirkungen zu leben.

Und so fing das Leben des Abgeschiedenseins auch ganz allmählich an:

Der Knackpunkt vor vielen Jahren. Schuhe, die mit einem Wildlederspray eingesprüht waren und nach dem Tragen dieser Schuhe stechende Schmerzen in den Kniegelenken und Armbeugen und am nächsten Tag große Blasen am Körper, beginnend von den Füßen über die Beine, Bauch, Arme bis unter die Brust. Dort hörte es auf.

Die vielen Besuche bei Medizinern wiesen auf eine Hautvergiftung hin, sehr gefährlich, aber niemand brachte es mit dem Schuhspray in Verbindung. Eine Heilpraktikerin glaubte ihr und riet ihr, mit Heilerde innerlich und äußerlich zu entgiften, viel zu trinken und sie nie mehr (!!!) mit solchen Stoffen zu umgeben.

Nun das war der Anfang, der Anfang vom Rückzug, aber die Glasprinzessin wusste noch nichts davon, was in ihrem eh schon immungeschwächten Körper vor sich gegangen war, dass sie solche Stoffe nicht mehr abwehren konnte.

Nach einiger Zeit funktionierten die Bronchien nicht mehr. Sie konnte nachts nicht mehr atmen, sie litt unter Spannungsschmerzen im Brustraum und musste die Arme ganz weit auseinander machen, um noch Luft zu bekommen.

Wiederum sagten die Mediziner – „das könne nicht sein“ – und machten einen Lungenfunktionstest. Er war viel zu schwach und so bekam sie ein Inhalationsspray. Das verbesserte die Sache aber nicht, sondern der Hals ging zu und die Schleimhäute trockneten aus.

Was war diesmal die Ursache?

Ein Jahr später wusste sie es, denn ein solches Versagen löste einen Forschungsdrang in ihr aus. Ein Insektizid mit dem Namen „Bio-Pyrethrum“ war in die Steckdose gesteckt worden zum Vertreiben der Mücken. Der toxische Stoff wurde frei und…

Es kam bald die Zeit, wo sie sich in beheizten Räumen nicht mehr aufhalten konnte, schon gar nicht, wenn Menschen anwesend waren.

Es begann immer auf die gleiche Weise: Kribbeln im Gesicht, hochroter Kopf, dann Herzrasen, Anschwellen der Augen und Schleimhäute und dann Atemnot.

An der frischen Luft wurde es wieder besser.

Zum ersten Mal kam dann der Begriff „M E I D E N“ auf von einer Ärztin.

Der Rat: Meiden sie Stoffe und Orte, auf die ihr Körper reagiert, wenn sie einigermaßen leben möchten und nicht immer schlimmer erkranken wollen.

Einige Zeit später begann die Leber, das Entgiftungsorgan, nicht mehr zu „funktionieren“. Sie schwoll jedes Mal an, wenn sie irgendwo mit Menschen zusammen war. Da die Glasprinzessin die Menschen liebte und gerne mit anderen zusammen war, traf sie sich öfters mit ihnen. Aber nun ging es weiter bergab in einem Kreislauf von Schmerzen, Anschwellen der Leber, Atemnot und Depressionen.

Nach jedem Kontakt mit Menschen die gleichen Reaktionen…

Die Glasprinzessin erinnerte sich daran, dass in einem Raum, wo sie sich viele Jahre mit Freunden traf, immer so ein Geruch von stechendem, sauerem Gas war. Nun wurde ein Umwelt-Analytiker damit beauftragt, eine Untersuchung vorzunehmen. Das Ergebnis: Die Deckenplatten waren sehr belastet mit Formaldehyd, weit über die Grenzwerte für Gesunde hinaus.

Sie begann nun, um von den Symptomen wegzukommen, sich gänzlich zurückzuziehen, aber das war ein schwerer Entschluss

Eines Tages las sie in einer Zeitschrift von einer Frau, die fast die gleichen Symptome hatte wie sie. Diese war in einer Fachklinik untersucht worden. Die Diagnose lautete: M C S.

Was war denn das?

MCS – eine sogenannte Multiple Chemikalien-Sensitivität.

So plante die Glasprinzessin auch die Reise in den Norden in diese Klinik und auch sie bekam ihre „Glashausdiagnose“: MCS.

Nun war es klar wie Glas – und die Umstellung begann.

Sie begann zu lesen über all diese Dinge – sie begann damit Erfahrungen auszutauschen mit anderen Glasprinzessinnen und Prinzen und erkannte, dass sie nicht alleine war mit dieser Diagnose.

Das war zwar ein Trost – trotzdem begann nun der Rückzug.

Sie fand ein altes Haus im Wald und zog mit ihrem Mann dorthin.

Sie stellte alles um: Nahrung – Körperpflege – Raumpflege – ja, das gesamte Umfeld. Das 300 Jahre alte Lehmfachwerkhaus war Teil eines Hofgutes und gehört einem alten Baron. Sie war sooo dankbar, es gefunden zu haben.

Aber auch da gab es mit der Zeit viele Herausforderungen und sie wurde dann auch noch elektrosensibel und konnte von da an kein TV, kein Radio, kaum ans Telefon und kaum noch kochen.

Viele von uns können nicht länger als 3-5 Minuten telefonieren, können nicht einmal mehr das Papier zum Schreiben tolerieren. Man kann sich mit keinem mehr treffen, weil fast jeder nach irgendetwas duftet, oder Chemie ausdünstet durch die Kleidung etc.

Was könnte man als Trost vermitteln und welche Hoffnung gibt es?

Die Glasprinzessin fasst es so zusammen:

  • „Wirklich rechtzeitig die Kurve kratzen“, um es mal mit Humor zu sagen.

Das bedeutet im Klartext:

  • Nicht erst warten, bis es immer schlimmer wird, bis man immer weniger verträgt, bis man nur noch mit Sauerstoff auskommt, sondern rechtzeitig alles meiden, was Symptome hervorruft…auch, wenn es noch so schwer fällt.

Und noch etwas ganz Wichtiges:

  • Intoleranz gegenüber MCS Betroffenen führt zu vermehrtem Leid und macht sie auch nicht gesünder. Im Gegenteil: Sie müssen sich immer mehr zurückziehen, um sich nicht auch noch seelischen Schmerzen auszusetzen
  • Deshalb lasst sie bitte so leben, wie sie noch können
  • Sagt ihnen nicht „sie sollen dieses oder jenes ausprobieren“, das haben sie alle schon getan, bevor sie sich zurückzogen
  • Habt Verständnis, behandelt sie liebevoll und vor allem:
  • GLAUBT IHNEN IHRE GESCHICHTE und ihre täglichen Erfahrungen
  • Seid bitte keine Ignoranten und helft ihnen, indem ihr sie akzeptiert.

Wenn ihr möchtet, gebt ihnen das, was sie wirklich brauchen: Schadstoffarme Luft, gute Nahrung und unbelastete Kleidung.

Das Hauptanliegen der Glasprinzessin ist, die Öffentlichkeit auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die Ärzte aufzuklären und die Krankenkassen wissen zu lassen, dass M C S genauso eine organische Krankheit ist wie Krebs, Multiple Sklerose oder Aids.

Wir bilden uns das nicht ein

Denn wer begibt sich freiwillig in die Isolation? Wer lebt im Winter freiwillig in einem Zelt im Wald? Wer geht freiwillig nicht mehr in Restaurants oder zum Essen? Nicht mehr zum Einkaufen? Nicht mehr zum Friseur, zur Post oder zur Massage?

Wer sieht denn freiwillig seine Familie, die Kinder und Enkelkinder nicht mehr (höchstens im Sommer im Freien mit genügend Abstand)? Wer teilt denn freiwillig nicht mehr mit seinem lieben Ehepartner das Zimmer (nur wenn dieser bei der Arbeit mit Stoffen in Verbindung kam, die für den MCS Kranken lebensgefährlich sind)?

Ja, wer würde das alles freiwillig tun?

Wir würden alle wieder sehr gerne aus unseren Glaspalästen herauskommen, wenn das in dieser Welt möglich wäre. Aber wir sind auch realistisch genug und sprechen aus jahrelanger Erfahrung:

Es wird in dieser umweltverschmutzten Welt wohl nicht mehr gehen.

Und so ging es auch unserer lieben Brigitte:

Sie konnte es vor Schmerzen und Qualen nicht mehr ertragen. Von Ort zu Ort zu fahren und zu spüren, auch da halte ich es nicht mehr aus.

Bei den 3 Telefongesprächen, die ich mit ihr führte, als sie in Fulda war, klang nur ein Ruf nach Hilfe, ein Ruf nach sauberer Luft, ein Ruf nach Ruhe, ein Ruf nach einem Leben ohne die vielen schrecklichen Symptome.

Ich wollte ihr so gerne helfen, sie hierher in den Wald holen, aber es war leider zu spät. Es tut weh und es macht unendlich traurig…

Aber wir kämpfen weiter, um menschenwürdige Behandlung, um menschenwürdige Wohnmöglichkeiten für uns Betroffene.

Wie können nie wissen, wann wir unseren Wohnraum nicht mehr tolerieren, wann wir auf Reisen gehen müssen und eine Notunterkunft brauchen…

Möge es für Brigitte sein…im Nachhinein…dass sich etwas ändert.

Mona, die Glasprinzessin für Brigitte, Juli 2009

MCS – Die Zahnpasta lässt sich nicht mehr in die Tube zurückdrücken

MCS: Die Zahnpasta lässt sich nicht mehr in die Tube zurückdrücken

Durch das Internet ist die Welt zum Dorf geworden, in kürzester Zeit sind Infos rund um den Erdball gejagt. Für Organisationen wie CSN ist das ein sehr großer Gewinn, denn ohne dieses Medium läge manche Information nur verstaubt in einem Aktenordner, und die chemikaliensensiblen Menschen da draußen würden sie nie erfahren. Das war einmal, diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Jetzt dauert es oft weniger als einen Tag, bis sich eine wichtige Information über den ganzen Globus verteilt hat. Nicht nur das, sie ist dann meist schon in diverse Sprachen übersetzt, wenn sie wichtig ist. Ein Schreiben über die Klassifizierung von MCS – Multiple Chemical Sensitivity als Krankheit im ICD-10, dem Internationalen Register für Krankheiten, wurde bspw. in mindestens fünf Sprachen übersetzt.

Heute Morgen kam eine Meldung herein, dass mehrere Dokumente, die CSN vor einiger Zeit online stellte, jetzt auch ins Japanische übersetzt wurden.

Eine Organisation hat sich die Mühe gemacht, das Antwortschreiben von DIMDI zu übersetzen, bzgl. des Krankheitscodes ICD-10 T78.4 für MCS, und dass MCS in Deutschland als körperlich bedingte Krankheit klassifiziert ist. Außerdem hat die japanische Organisation auch das Schreiben des BMAS -Bundesministerium für Arbeit und Soziales übersetzt, hinsichtlich der Anhaltspunkte bei der Begutachtung von MCS.

Das Schreiben von DIMDI an CSN bzgl. des ICD-10 für MCS: Original

wurde ins Japanische übersetzt: Übersetzung

Das Schreiben des BMAS bzgl. der Anhaltspunkte bei der Begutachtung von MCS: Original

gibt es auch auf Japanisch: Übersetzung

Die japanische Organisation hat noch weitere Infos und Auszüge aus CSN Blogs übersetzt. Die Welt ist, wie man sieht, dank Internet wirklich zum Dorf geworden, das ist spitze. Der Informationsfluss über MCS, Umweltkrankheiten und chemikalieninduzierte Krankheiten geht täglich weiter. Die Zahnpasta ist nicht mehr in die Tube zurückzudrücken, das sollten auch diejenigen gemerkt haben, die Tag für Tag ihren Lobbyjob ausüben und für ihren Arbeitgeber oder Dienstherren versuchen zu bagatellisieren oder Krankheiten wie MCS in Abrede zu stellen – sie täten besser, daran zu akzeptieren und mitzuhelfen, die Situation für alle zu verbessern. Wie gesagt, in die Tube zurückdrücken ist nicht.

Autor: Thommy, CSN – Chemical Sensitivity Network, 29. Juli, 2009

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: MCS – Multiple Chemical Sensitivity im Thesaurus „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat einen alphabethischen und einen systematischen Thesaurus „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ herausgegeben. Erstellt wurde der Thesaurus in langjähriger Zusammenarbeit von Dokumentaren, Bibliothekaren und Wissenschaftlern der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Die Erkrankung MCS – Multiple Chemical Sensitivity (ICD-10 T78.4) ist im Thesaurus „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ Alphabetischer Teil, Stand Mai 2009, folgendermaßen aufgeführt:

MCS Multiple=Multiple Chemical Sensitivity (B02.19.00)

Im systematischen Teil findet man MCS – Multiple Chemical Sensitivity in der Rubrik B02:

„Arbeitsbedingte Erkrankung und Berufskrankheit/ Krankheit“,

eingegliedert im Bereich:

  • * B02.19 Sonstige Erkrankung
  • * B02.19.00 Multiple Chemical Sensitivity

Das Chronic-Fatigue-Syndrom (CFS) ist analog eingegliedert.

MCS ist nicht als psychisch bedingte Krankheit eingeordnet

Um ggf. auftretende Zweifel auszuräumen, ist hervorzuheben, dass MCS – Multiple Chemical Sensitivity nicht dem Kapitel B02.15: Psychische Erkrankung, Depression, Neurose, Posttraumatische Belastungsstörung oder psycho-somatische Erkrankung zugeordnet ist.

Thesaurus „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“

Der Thesaurus bietet einen schnellen Überblick zu dem umfassenden Themenkomplex „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“. Er enthält ca. 3500 Hauptschlagwörter und ist die Zusammenführung der Schlagwörter aus den beiden bisherigen Thesauri „Arbeitsschutz“ und „Arbeitsmedizin“. Der Thesaurus basiert auf der praktischen Arbeit der Gruppe Bibliothek, Dokumentation bei der inhaltlichen Erschließung und Recherche von Fachliteratur. Er ist ein Hilfsmittel für die Dokumentation.

Gedacht ist der Thesaurus für alle, die Literatur zur Thematik „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ suchen. Er soll unterstützend zur Vorbereitung von Rechercheanfragen in der Datenbank LITDOK genutzt werden und kann für die Suche in anderen fachlich ähnlichen Datenbanken hilfreich sein.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 18. Juli 2009

Literatur:

Thesaurus „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ Alphabetischer Teil, Systemischer Teil, Dortmund/Berlin/Dresden 2009

Opfer der Medizinindustrie – „Then it will all have been worth it…“

Teenager als Opfer der Medizin

CFS ist als chronisches Erschöpfungssyndrom bekannt. Darunter stellt man sich Müdigkeit vor. Aber CFS ist mehr als Müdigkeit. Zur ständigen Erschöpfung kommen noch weitere Symptome, unspezifische wie Schwindel oder Kopfschmerz, aber auch Licht-, Berührungs- oder Geruchsempfindlichkeit, Schmerzen im ganzen Körper, und gefährliche Immunschwächezustände. Viele CFS-Patienten können nicht mehr selbst für sich sorgen, werden zu Pflegefällen, in schweren Fällen sind sie bettlägerig.

Nichtsdestoweniger wird CFS oft fehldiagnostiziert. Depressionen und andere psychische Störungen sind häufige Diagnosen, hinter denen eigentlich CFS steckt. Viele CFS Patienten erfahren nie von ihrer Krankheit, sondern werden jahrzehntelang z.B. auf Depressionen behandelt.

Forschung fördern – Ohne Wirtschaftssponsoren

Die 1997 gegründete, US-amerikanische „National CFIDS (Chronic Fatigue Immune Dysfunction Syndrome) Foundation“, kurz NCF, versucht, Forschung über CFS zu fördern, mit dem Ziel, dass CFS Anerkennung findet und einmal eine Behandlung gefunden wird. CFIDS ist auch bekannt als CFS (Chronic Fatigue Syndrome) oder ME (Myalgic Encephalomyelitis). Krankheitsbilder wie das Golfkriegssyndrom (Gulf War Ilness, GWI) oder MCS (Multiple Chemical Sensitivity) gelten als verwandt.

Das NCF hat keine Großsponsoren in der Wirtschaft und wird rein ehrenamtlich betrieben. Das Geld der Foundation kommt aus privaten Spenden. Auf der Website wird zu kleinen Spenden von 10 bis 20 Dollar im Jahr aufgerufen. Alles nicht dringend zur Erhaltung der Foundation benötigte Geld kommt direkt der Forschung zugute. Durch dieses Spendengeld wurden schon mehrere Studien finanziert, zum Beispiel zu Infektionen als möglichem CFS-Auslöser.

Die Website der Foundation: The National CFIDS Foundation

Gedenkliste für verstorbene CFS-Patienten

Auf der Seite der „National CFIDS Foundation“ (NCF) gibt es eine Gedenkliste für verstorbene CFS-Patienten. Todesursachen unterschiedlich, Fehlbehandlung spielte fast immer eine große Rolle. Die Seite berichtet von jungen Menschen, teilweise Jugendlichen, die heute noch leben könnten, wären sie nicht mit psychiatrischen Diagnosen in Kliniken eingewiesen worden und durch unverträgliche Medikamente schwer krank geworden.

Lesen kann man die Liste mit beschriebenen Fällen unter: Fallbeispiele

Emily, 20 Jahre alt, CFS, Psychiatrieopfer, verstorben 2006

Im Februar 2006 starb eine junge Frau Emily Louise Chapman, erst 20 Jahre alt. Sie war 13, als ihre CFS-Erkrankung begann. Ohnehin schwerst krank, musste sie 15 Monate lang ohne jeden Behandlungserfolg in Kliniken leiden, wurde massiv fehlbehandelt. Danach durfte sie eine Zeit lang nach Hause. Sie weigerte sich, wieder in eine Klinik zu gehen. Ihre Eltern mussten darum kämpfen, dass ihre Tochter nicht gegen ihren Willen aus der Familie gerissen und in ein Krankenhaus gebracht wurde.

Nach sieben schweren Jahren kam sie wieder ins Krankenhaus. 8 Wochen musste sie dort unter Fehlbehandlung in jeder Hinsicht leiden, und sie, ohne jede Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lage, nahm sich schließlich dort das Leben. Emily könnte noch leben. Sie war eine intelligente junge Frau, die selbst von zu Hause von ihrem Bett aus noch Kontakt mit einem Netzwerk von Brieffreunden hielt, war auf dem neuesten Stand von Umwelt, Politik und Sozialem und wurde Mitglied der New Writers Group Inc.

Sophia Criona – „Then it will all have been worth it…“

Emelys Fall ist kein Einzelfall. So starb zum Beispiel die junge Britin Sophia Criona, 32 Jahre alt, 2005, durch Fehlbehandlung und medizinische Vernachlässigung. Sie erkrankte mit 26 Jahren nach einer „Grippe“, von der sie sich nicht mehr erholte, an CFS und wurde innerhalb von drei Monaten bettlägerig. Sie war extrem licht- und berührungsempfindlich. Doch verantwortliche Ärzte behaupteten, dass sowohl Sophia als auch ihre Mutter nur Krankheit vortäuschen würden. Sophia kam in eine psychiatrische Klinik, in die „Geschlossene“.

Sophie hatte das Glück, noch einmal entlassen zu werden und ihr Zuhause noch mal zu sehen, aber die Schäden nach dieser Fehlbehandlung waren so groß, dass sie in Folge starb. In diesem Fall gab es eine Autopsie, die angeblich nichts zur Todenursache zeigte, aber eindeutige entzündliche Veränderungen wurden gefunden.

Sophias letzte Worte, nachdem ihre Mutter ihr gesagt hatte, dass sie mit Sophias Geschichte an die Öffentlichkeit gehen würde, waren „Then it will all have been worth it…“ („Dann war es das Alles wert…“). Ihre Mutter ging auch nach Sophias Tod an die Öffentlichkeit, an den Britischen TV-Sender Meridian Television.

Tracy – Bestraft für Krankheit

Ein anderer tragischer Fall, der von Tracy Lynn Harmon, die 2004 im Alter von 36 Jahren verstarb, fand in North Carolina statt. Auch sie starb durch Fehlbehandlung. In ihrem dritten Schuljahr wurde sie als psychisch krank eingestuft und ihr wurden unnötigerweise Psychopharmaka verabreicht. Als Jugendliche wurde schließlich die Diagnose CFS und Fibromyalgie gestellt. Wegen ihrer langen Fehlzeiten wurde sie mit 16 von der Schule entlassen. Die Psychiater gaben ihr Medikamente, von denen sie Halluzinationen bekam, und behaupteten, ihre Mutter sei das Problem („Münchhausensyndrom“).

In ihrer Zeit in der Anstalt wurde Tracy bestraft, wenn sie morgens zu müde zum frühen Aufstehen war. Trotz dieser Behandlung überzeugten die Ärzte sie, dass sie ohne die Medikamente sterben würde. Deshalb nahm Tracy die Mittel auch zu Hause weiter, bis sie schließlich starb.

Chemotherapiepatienten, Medikamententester…

In der langen Gedenkliste, aus der hier drei Fälle junger Frauen ausgewählt wurden, findet sich durchaus eine „CFS-Risikogruppe“, wenn man darauf achtet, was diese Patienten früher in ihrem Leben getan oder erlitten haben. Sportler, Chemotherapiepatienten, aber auch Medikamententester finden sich auf dieser Liste. Gleich zwei Tester, ein Mann und eine junge Frau, die das Mittel Ampligen von HEM Pharmaceuticals getestet hatten, starben an den Folgen von CFS.

Medikamententester sind Menschen, die dringend Geld benötigen und verkaufen daher ihre Gesundheit an Pharmafirmen, die ihre nächsten Kassenschlager mit Studien für unschädlich erklären.

Warum begehen Kranke Selbstmord?

Die hohe Zahl von Selbstmorden ist nicht nur auf die Schmerzen durch die Krankheit zurückzuführen. So wurde zum Beispiel Stephem S. Czerkas durch Armut und dazu noch Rechtsstreite in den Tod getrieben. Armut ist ein Stichwort. Was macht ein CFS-Patient, der keine Rente oder ausreichendes Sozialgeld, sowie wenn nötig eine Pflegeperson, zugestanden bekommt? Und mit z.B. Depressionen diagnostiziert wird? Ein CFS-Patient kann sich nicht ohne Geld auf der Straße durchschlagen. Der muss sich dann in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen, als profitables „Rohmaterial“ der Pharmaindustrie und der Kliniken, und sich dort „behandeln“ lassen. Und was, wenn das Geld noch da ist? Dann kann man den Patienten immer noch mit einer Zwangseinweisung in die Psychiatrie bringen. Das klappt nicht nur mit Minderjährigen. Wen wundert es, wenn Menschen sich umbringen, die außer Leid und Entwürdigung in ihrem Leben nichts mehr zu erwarten haben?

Klartext reden – Auf YouTube

Der YouTube-User „luminescentfeeling“ spricht zum Thema CFS klare Worte. Er bezieht sich auf England, aber die gezielte Psychiatrisierung von CFS-Patienten wie vieler anderer Kranker ist sicher kein spezifisch britisches Problem. Die Videos von luminescentfeeling gehören zu den ergiebigsten Infoquellen zu CFS auf YouTube. Sie zeigen echte Forschung zu CFS, ebenso wie Informationen zur Psychiatrisierung.

In seinem Profil vergleicht luminescentfeeling die Psychiater, die gezielt und wissentlich CFS-Patienten psychiatrisieren, als Diebe, die für Profit über Leichen gehen. Er bezeichnet England bzw. dessen Medizinlandschaft, als „kleptocracy“, d.h. eine Herrschaft von Dieben.

Kein Land in Sicht

Gibt es jemals Hoffnung für die Opfer unseres Wirtschaftssystems?

Beim Schreiben dieses Blogs war es schwer, mich zu entscheiden, welche Beispiele aus der Gedenkliste ich auswählen sollte. Jeder Mensch sollte in Erinnerung bleiben. Ich habe mich bei den ausführlich beschriebenen Beispielen bewusst auf besonders junge Personen festgelegt. Bedenken wir, wie viele Jahre diese Menschen noch hätten leben können, wenn nicht ein rücksichtsloses Wirtschaftssystem mit Kranken Profit machen würden. Stattdessen mussten sie jung und qualvoll sterben.

Es sind sicher viele Millionen Menschen, die in diesem System „unter die Räder kommen“, die nichts tun können als verzweifelt auf Veränderung zu hoffen, und die eine solche nicht mehr erleben werden, sollte es sie jemals geben, weil sie, sozusagen als Opfer der Wirtschaft, in jungen Jahren sterben. Was macht es für einen Unterschied, ob ein Mensch an CFS in der Psychiatrie stirbt, durch Umweltgifte an Krebs oder in einem armen Land verhungert?

Wir können nur hoffen, dass Sophia Criona irgendwann, und so bald wie möglich, Recht behält, mit dem Satz „Then it will all have been worth it…“

Autor: Amalie, CSN – Chemical Sensitivity Network, 22. Juli 2009

Weitere interessante Blogs von Amalie:

MCS – Multiple Chemical Sensitivity im Römpp Nachschlagwerk Chemie

Multiple Chemical Sensitivity in Fachbuch Chemie

Den RÖMPP kennt jeder, er ist das Nachschlagewerk zur Chemie schlechthin. In der aktuellen Version wurde die Erkrankung „Multiple Chemical Sensitivity“ und der in Deutschland ebenfalls häufig synonym gebräuchliche Begriff „Multiple Chemikalienüberempfindlichkeit“ als Stichworte aufgenommen.

Das renommierte Nachschlagwerk der Chemie wurde 1947 von Dr. Hermann Römpp gegründet. Anfangs bestand der Römpp aus einem einbändigen Chemie-Lexikon, das von der Franckh’schen Verlagshandlung in Stuttgart vertrieben wurde. Heute erscheint der Römpp im Thieme Verlag und gilt als die renommierteste und umfangreichste Enzyklopädie zur Chemie und den angrenzenden Wissenschaften in deutscher Sprache.

Das größte deutschsprachige Chemie-Lexikon wird kontinuierlich weiterentwickelt und ist wissenschaftlich und technisch stets auf dem neuesten Stand. Das Nachschlagwerk gilt als wissenschaftlich gesichert, da es von Experten auf dem Gebiet zusammen mit der hochqualifizierten Römpp-Redaktion erstellt wird.

Römpp hat im renommierten Nachschlagwerk Chemie im Fachgebiet Umwelt- und Verfahrenstechnologie folgende Krankheitsbegriffe neu aufgenommen:

  • Multiple Chemical Sensitivity
  • Multiple Chemikalienüberempfindlichkeit

Die Aufnahme des Stichwortes „Multiple Chemical Sensitivity“ im Römpp verdeutlicht, dass die Erkrankung in Fachkreisen bekannt ist und ernst genommen wird.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 19. Juli 2009

Literatur:

Römpp, Stichwort Multiple Chemical Sensitivity, Enzyklopädie Chemie im Fachgebiet Umwelt- und Verfahrenstechnologie, 2009

„Modekrankheit MCS“, ein ausgeklügelter, bösartiger Plan zur Kostenabwehr

Ich muss mir Luft machen, es ärgert mich nämlich gewaltig, wenn MCS Kranke als Hypochonder mit Modekrankheit tituliert werden oder als Bekloppte, psychisch Desorientierte, eingebildet Kranke oder sonst etwas an den Haaren herbei gezogenes.

Die MCS Kranken, die ich kennen gelernt habe und das sind Tausende, waren fast ausnahmslos zielstrebige, oft sehr erfolgreiche Menschen in ihrem Beruf. Sie nahmen ihre Arbeit verdammt ernst und hatten hohes Pflichtbewusstsein. Diese Leute krochen bis zum bitteren Ende zu ihrem Arbeitsplatz, der sie krank machte.

Wieso sollten sie einer Modekrankheit aufgesessen sein? Sie verdienten nicht selten viele Tausend Euro, jetzt haben sie ein paar Hundert Euro Rente, wenn überhaupt. Einige von ihnen haben alles, wirklich alles verloren, was ihnen wichtig war. Nur um sich nach außen mit einer „Modekrankheit“ zu schmücken?

Man kann schon fast sagen, dass MCS Kranke von der Gesellschaft geächtet werden. Woher das kommt?

Es liegt sicherlich nicht an unserer Erziehung, denn wir haben im Elternhaus und in der Schule gelernt, dass man Kranke und Behinderte ordentlich behandeln muss und niemals verhöhnen darf.

In Deutschland haben einige in Medizinberufen tätige Personen es übernommen, MCS in eine Richtung zu rücken, die MCS Kranke als Neurotiker, Psychos, Umweltspinner, Modeerkrankte, etc. abstempelt. Sie nutzen auch die Medien dazu. Was nutzt es Ihnen?

Der Nutzen liegt bei der Industrie, Versicherungen, Berufsgenossenschaften, Unternehmen, etc., und nicht zu vergessen bei den Psychiatern und Psychologen, denen man Umsatz verschafft.

Gibt es Beweise, dass MCS eine Modekrakheit ist?

Eine Modekrankheit ist eine neue Krankheit, ein „Hirngespinst“ einer bestimmten Zeit. MCS ist alles andere als das, denn die Krankheit ist seit Beginn der Industrialisierung bekannt und sie hat reale Ursachen, nämlich Chemikalien. Auch der wissenschaftliche Sachstand lässt keinen Spielraum für die Annahme MCS sei eine „Modekrankheit“.

Wir hatten das Thema schon einmal im CSN Blog angeschnitten, als ein gewisser Dr. Harth in einer Zeitung öffentlich postulierte, MCS sei eine „Lifestyle Erkrankung“. Sicher ist es eine „Lifestyle Erkrankung“ ,wenn man korrekt betrachtet, durch was MCS entsteht. Dr. Harth sah es nicht von dieser Warte, sondern, wie es von den MCS Kranken gewertet wurde, als Verhöhnung. Die FR hatte vor einiger Zeit einen Artikel, der von den MCS Kranken ähnlich diskriminierend empfunden wurde. Und auch DIE ZEIT hat sich dazu herabgelassen, einen tendenziösen Artikel abzudrucken.

Was mich an der ganzen Sache so furchtbar nervt ist, dass hier wertvolle Menschen, die vor ihrer Erkrankung MCS ihren „Mann“ standen, ausgegrenzt, verheizt und zuguterletzt noch verhöhnt werden. Diese jetzt schwer kranken Menschen haben ihr Gehalt nicht kassiert für Däumchendrehen, sondern sie zeigten Leistung, sie waren tragende Mitglieder unserer Gesellschaft.

Wie geht man mit MCS Kranken in Deutschland um? Ist das fair? Ist das tragbar?

Die „Lösungen“ der Mainstream-Medizin auch bei MCS: Psychotherapie und Psychopharmaka

Psychopharmaka keine Lösung bei Chemical Sensitivity

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es üblich und als Legitimitätsnachweis ausreichend, empfohlene Behandlungen für medizinische Probleme auf Fallstudien zu stützen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde es jedoch zum allgemeinen Standard für Behandlungsweisen von Krankheiten, dass sie ihre Legitimation aus einem wissenschaftlich quantitativen Nachweis ihrer Effektivität beziehen. Und zwar im Allgemeinen basierend auf einem statistischen Test der Effektivität bei Vergleichsgruppen. Derartige Studien für Multiple Chemical Sensitivity (MCS) scheinen bislang jedoch zu fehlen.

Vermeidung erfolgreicher als Psychoansatz

Wie wir alle wissen, ist die effektivste Hilfe bei MCS die Vermeidung von symptomauslösenden Substanzen. Pamela Reed Gibson fand [1], dass 94,5% der Befragten die Vermeidung von Auslösern sehr oder etwas hilfreich fanden. Psychotherapie als Mittel um MCS zu „heilen“ fanden dagegen nur 20,2% sehr oder etwas hilfreich, 14,6% dagegen schädlich oder sehr schädlich.

Dem Einwand, dass die Ergebnisse von Pamela Reed Gibson nur auf subjektiven Selbstberichten beruhen, begegnet man leicht mit dem Hinweis darauf, dass alle wissenschaftlichen Ergebnisse, über die Erfolge von den so oft als Alternative empfohlenen Psychotherapien, das ebenfalls tun. Der Vergleich findet also auf der gleichen Bezugsebene statt.

Nachweis des Nutzen von Psychotherapie bei MCS

Dennoch gibt es immer wieder Empfehlungen, MCS mit psychotherapeutischen Methoden oder mit Psychopharmaka zu behandeln. Diese basieren auf Einzelfällen von angeblich kurierten (angeblichen) MCS-Fällen wie Anfang des letzten Jahrhunderts üblich oder aber schlicht auf der Intuition medizinischer Experten.

Was ist davon zu halten

Es empfiehlt sich daher einmal nachzufragen, wie effektiv die empfohlenen Alternativmethoden sind.

Ein solcher Wirksamkeitsnachweis für psychotherapeutische Verfahren ist nicht einfach, weshalb es relativ wenige gute Studien darüber gibt. Es ist erforderlich zu zeigen, dass

  1. Der natürliche Krankheitsverlauf vorteilhaft beeinflusst wurde,
  2. die Verbesserungen auf die Behandlung zurückzuführen sind,
  3. dass ein bestimmter spezifischer Aspekt der Behandlung dafür verantwortlich ist und nicht zufällig damit verbundene allgemeine Aspekte, sowie
  4. dass die Verbesserung größer ist, als wenn keine Therapie stattgefunden hätte.

Die Vergleichsgruppe

Das zentrale Problem im Falle der Psychotherapie ist die Wahl einer geeigneten Vergleichsgruppe, deren Mitglieder dann beispielsweise als Alternative zur Therapie religiöse Gruppen oder Yogagruppen besuchen oder häufig mit guten Freunden sprechen. Denn Psychotherapie hat viele fundamentale Elemente mit anderen kulturellen Bedeutungssystemen, inklusive Religion und anderen Glaubenssystemen und mit natürlichen sozialen Unterstützungssystemen wie Freundschaften, Verwandtschaftsbeziehungen oder romantische Beziehungen gemein. Alle menschlichen Interaktionen basieren auf der Verwendung sprachlicher Symbole (oder sind an sprachliche Symbolsysteme angeschlossen, wie bei Ritualen) und können der Beeinflussung des Verhalten dienen. Wenn Menschen leiden, stützen sie sich auf Ermutigung, Empathie und Ratschläge von Seiten der Mitglieder ihrer informellen Netzwerke. Es gilt die Wirkungen aufzuzeigen, die Psychotherapie über die Effekte derartiger informeller Netzwerke hinaus zeigt, bzw. beide voneinander zu separieren.

Regressionsfehler

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Menschen, die an Therapien teilnehmen gerade mehr oder weniger „am Tiefpunkt“ sind. Von dem Punkt an ist es einfach wahrscheinlicher, dass sich die Dinge wieder bessern, als dass sie sich weiter verschlechtern. Dies ist besonders bei Personen plausibel, die wegen akuter Lebenskrisen (Trennung, Todesfall etc.) eine Therapie beginnen. Diesen Vorgang bezeichnet man als Regression zum Mittelwert (in diesem Fall der gesunde „Normalzustandder betroffenen Personen), die Nichtberücksichtigung derartiger Effekte in Analysen auch als Regressionsfehler.

Die Bedeutung von Erwartungen

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Menschen, die eine Therapie beginnen, dazu sozialisiert sind, an die Vorteilhaftigkeit der Maßnahmen, an denen sie teilnehmen, zu glauben. Leute, die eine Therapie beginnen, sind daher hoch motiviert, davon zu profitieren und glauben fest daran, dass sie ihnen helfen kann. Dies besonders, wenn die Personen, die sie durchführen, kulturell sanktionierte Heiler mit hohem Prestige sind. Es kann daher sein, dass Leute, die an derartigen Maßnahmen teilnehmen, davon profitieren unabhängig davon, was die Technik, der sie ausgesetzt werden, tatsächlich mit ihnen tut. Ein großer Teil des therapeutischen Effekts könnte daher von dem allgemeinen Glauben an die Effektivität der Therapie stammen.

Schließlich ist eine Standardisierung des Therapieverfahrens erforderlich, um zu vermeiden, dass das Ergebnis eher die persönlichen Qualitäten des Therapeuten als die des therapeutischen Verfahrens repräsentiert.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 6. Juni 2009

Literatur:

[1] Gibson, P. R., Elms, A. N. M., & Ruding, L. A. (2003). Perceived treatment efficacy for conventional and alternative therapies reported by persons with multiple chemical sensitivity. Environmental Health Perspectives, 111, 1498-1504.

[2] Horwitz, Allen V. (2002), Creating Mental Illness, University of Chicago Press.

Teil I der Serie:

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Psychiatrisierung – Ein Irrweg bei Multiple Chemical Sensitivity

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Die Einstufung von MCS als psychiatrische Erkrankung ist hierzulande leider immer noch recht verbreitet.

Der Psychologe Robyn Dawes weist darauf hin ([1], S.124), dass ein Patient, der einmal als psychiatrischer Fall eingestuft wurde, häufig fürderhin mit seinen Symptomen und Problemen nicht mehr ernst genommen wird. Wenn Allgemeinärzte die Symptome ihrer als nicht psychisch gestört eingestuften Patienten nicht ernst nehmen, riskieren sie ihre Lizenz oder zumindest, ihre Patienten zu verlieren. Es ist jedoch völlig akzeptabel für einen Psychiater o.ä., die Probleme eines Patienten zu ignorieren, wenn diese erst einmal als psychogen klassifiziert worden sind.

Durch die Einstufung als psychiatrische Erkrankung müssen die Betroffenen mit ihren Anliegen nicht mehr ernst genommen werden. Da die Ursachen des Elends der Betroffenen nicht anerkannt (und häufig nicht einmal erkannt) werden, gibt es in der Regel keine adäquate Hilfestellung. Behörden und Mitmenschen erhalten quasi die Lizenz, ihre Probleme zu ignorieren.

Das Experiment

Die Effektivität einer derartigen Kategorisierung wurde z.B. von David Rosenhan schon in den Jahren 1968 bis 1972 eindrücklich demonstriert [2]. Im Rahmen eines Experiments ließen sich mehrere „normale“ Personen in eine psychiatrische Klinik einweisen, verhielten sich dann aber weiterhin völlig normal. In keinem Fall wurden sie von den dortigen Experten als „Normale“ identifiziert und bis zu ihrer Entlassung wie „Geisteskranke“ behandelt (vgl. „Das Experiment — Acht flogen über das Kuckucksnest“, NZZ 09/2002..


Rosenhans Pseudopatienten wurden dabei in den von ihnen geäußerten kleinen und großen Anliegen wegen ihrer vermeintlichen Krankheit wie Unpersonen behandelt. Dieser Prozess ähnelt stark der Art, wie Kulte ihre Mitglieder für die Ideen ihrer Gruppe empfänglicher machen, indem sie systematisch ihre Individualität und Fähigkeit zu unabhängigem Denken unterminieren. ([3], S. 282)

Die Wirklichkeit

Bei MCS-Betroffenen können schon einige Stichworte über ihre Krankheit genügen, um im Vorbeigehen mit einer psychiatrischen Diagnose belegt zu werden. Wichtige Befunde werden oft bei Begutachtungen ignoriert. Als MCS-Kranke/r hat man häufig das Gefühl, in einem derartigen Experiment gefangen zu sein. Und leider scheint der Experimentator, der einen wieder rausholt, wenn es denn gefährlich wird, verloren gegangen zu sein.

Seit Milgrams einschlägigen Experimenten (Milgram-Experiment) ist bekannt, wie der Durchschnittsmensch auf von autoritativen Experten ermutigte Aufforderungen, die Hilferufe seiner Mitmenschen zu ignorieren und sie weiter zu quälen, reagiert: ignorieren und weitermachen.

Dies hat gravierende Konsequenzen für die Betroffenen MCS-Kranken

Wer nicht die finanziellen Mittel hat, sich eine an seine Bedürfnisse angepasste „saubere“ Umgebung zu schaffen, ist zu dauerndem Siechtum und einer schleichenden Verschlimmerung seines Zustands verurteilt, da ihm angemessene Hilfe verweigert wird.

Was es heißt, eine chronische Krankheit zu haben

Chronische Krankheiten sind für die Betroffenen mit massiv negativen Bedeutungen verbunden, die wiederum die physischen Manifestationen der Krankheit verschlimmern können. Der Zustand der Demoralisierung ist durch Verunsicherung, Verwirrung und dem subjektiv empfundenem Verlust der Kontrolle über die Unwägbarkeiten der Umwelt gekennzeichnet. Er ist verbunden mit dem Gefühl von Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und geringem Selbstwertgefühl. Solche Krankheiten führen für die Betroffenen zum Verlust normaler sozialer und ökonomischer Rollen und berauben sie so ihrer gewohnten Quellen von Lebenszufriedenheit und Kompetenzerfahrungen. Wenn die Betroffenen und ihre Familien ihr tägliches Leben um die Krankheit und ihre Behandlung herum organisieren, besteht für sie die Gefahr, soziale Kontakte zu verlieren, die für die Aufrechterhaltung ihrer Moral und ihres Lebensmuts wichtig sind. Im Angesicht der Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Krankheit verliert so mancher die Hoffnung, sich je wieder gut zu fühlen und zu funktionieren. Die Demoralisierung wird noch verstärkt, wenn wichtige Bezugspersonen die Situation nicht verstehen und auf die eigenen Ängste und ihre Verunsicherung mit Entzug der emotionalen und materiellen Unterstützung reagieren. ([3], S. 118 ff.)

Wenn falsche Ursachen suggeriert werden

Wenn dann die empfohlene „Therapienicht hilft und man zu der Überzeugung kommt, dass einem keine potentiell erfolgreichen Handlungsweisen offen stehen, dass man nichts „richtig“ machen kann, dann können Depression, Hoffnungslosigkeit und negatives Denken die Folge sein ([4], S. 267).

Weil einem keine Chance gegeben wird, den bekannten Auslösern zu entkommen, und weil man in einem Psychotherapiezirkus gefangen ist, der einem nicht hilft und in dem einem in kafkaesker Weiser erzählt wird, man könne ja auch anders, wenn man nur wolle. Jedoch ohne dass einem jemand sagen könnte, was man denn nun anders machen soll, damit es besser wird. Oder wie man herausfinden könnte, wo denn nun der angebliche Fehler liegt. Es gab Zeiten, da vermutete man in derartigen double-bind Situationen den Auslöser für Schizophrenie (Doppelbindungstheorie)

Dem Patienten einzureden, er müsse die Verantwortung für Probleme übernehmen, die sich mit keiner noch so großen Anstrengung lösen lassen, ist kontraproduktiv und kann desaströse Folgen haben. Zu dem gesundheitlichen Schaden gesellt sich dann noch die iatrogene seelische Not.

Ein Schicksal

Ein dreiundsechzigjähriger MCS-kranker Mann beschrieb seine Lage so:

„Meine Träume wurden zerstört. Das Leben ist nur noch eine Frage des Überlebens, als wäre ich in einem Gefangenenlager. Meine Selbstachtung ist beschädigt dank der Feindseligkeit und dem Spott von Arbeitskollegen und dem Management. Jahre mit schlechter Gesundheit und zunehmend hartnäckige Hindernisse haben mich traurig und bitter gemacht – die Zukunft ist düster. So wie sich meine Gesundheit verschlechtert und mein Geld weniger wird, fürchte ich, mir wird am Ende nur eine Option bleiben.“ ([5], S. 43)

Ignoranz regiert…

Dabei weiß man es längst besser. Keiner kann heute mehr sagen, es wäre unbekannt, wie effektive Hilfe für MCS-Kranke aussehen sollte.

Die beste Erhebung zu dem Thema „Was hilft wie gut“ beruht auf einer umfangreichen Befragung Betroffener und stammt von Pamela Reed Gibson [6].

Danach ist der Goldstandard für die Behandlung von MCS die Vermeidung von symptomauslösenden Substanzen. 94,5% der Befragten fanden die Vermeidung von Auslösern sehr oder etwas hilfreich.

Psychotherapie als Mittel um MCS zu „heilen“ fanden dagegen nur 20,2% sehr oder etwas hilfreich, 14,6% dagegen schädlich oder sehr schädlich.

…und entscheidet über Menschenleben

Durch „Gutachten“ vermeintlicher Experten und unter dem Vorwand psychiatrischer „Diagnosenwird diese effektive Hilfe verweigert und die Betroffenen werden ihrem Schicksal überlassen oder gar zu kontraproduktiven „Therapien“ gezwungen. Dies fällt umso leichter, als die Kranken oft zu geschwächt sind, um sich wirkungsvoll zur Wehr zu setzen. Es ist oft schon eine Herausforderung an die physische und psychische Stabilität, im Kampf mit Behörden und Rententrägern das bloße materielle Überleben zu sichern. Einige verzweifeln und nehmen sich das Leben.

Auf diese unrühmliche Weise spielt die Psychiatrie leider eine wichtige Rolle im Leben vieler MCS-Kranker.

Auch in der breiten Öffentlichkeit spielen die Psychowissenschaften heute eine wichtige Rolle. Von den Medien werden Psychologen und Psychoanalytiker gern als Sachverständige zu Themen aller Art herangezogen. Sie sind wichtige Gutachter in Strafprozessen und entscheiden wer unzurechnungsfähig oder unmündig ist oder in eine geschlossene Anstalt gehört. Zuweilen auch wer eine Rente oder andere Unterstützung bekommt oder nicht.

Der Mythos wird gepflegt

Und wer kennt nicht den Fernsehdoktor, der schnell die wahren Hintergründe für die vorgeschobenen körperlichen Symptome seiner Patienten erkennt und aufgrund seiner überragenden empathischen Fähigkeiten in kurzer Frist das psychologische Drama gut enden und den eingebildeten Kranken gesunden lässt? Oder den Fernsehpsychologen, der flugs die Menschen durchschaut, ihre wahren unbewussten Motive erkennt und zielgerichtet zu manipulieren weiß? Auch die neuere Generation von Star Treck war nach Ansicht der Produzenten offenbar ohne Psycho-Beraterin nicht mehr glaubwürdig.

Deshalb soll in einigen weiteren Beiträgen das Thema näher beleuchtet werden. Immer getreu dem Freudschen Prinzip, dass nur die Wahrheit heilt.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 3. Juli 2009

Literatur:

[1] Dawes, R.M. (1994). House of Cards: Psychology and Psychotherapy Built on Myth. New York: The Free Press. Paperback, September 1996.

[2] David Rosenhan, On Being Sane in Insane Places, 179 Science 250 (1973).

[3] Frank, JB, Frank J. (1991). Persuasion and Healing: a Comparative Study of Psychotherapy, Johns Hopkins Univesity Press.

[4] Mischel, Walter, Yuishi Shoda, Ronald E. Smith (2003). Introduction to Personality: Toward an Integration, John Wiley & Sons.

[5] Pamela Reed Gibson (2006), Multiple Chemical Sensitivity: A Survival Guide, Earthrive Books.

[6] Gibson, P. R., Elms, A. N. M., & Ruding, L. A. (2003). Perceived treatment efficacy for conventional and alternative therapies reported by persons with multiple chemical sensitivity. Environmental Health Perspectives, 111, 1498-1504.

Die nackte Wahrheit über MCS – Multiple Chemical Sensitivity

mcs-die-nackte-wahrheitVergangene Woche wurde in der Onlinezeitung Delirio ein Beitrag über MCS veröffentlicht, bei dem Eva Caballé, eine spanische MCS Aktivistin die den Blog NO FUN betreibt, sich der Kamera nackt darbot und die nackte Wahrheit über MCS schrieb.

Für andere Länder sieht es oft so aus, als hätten die an MCS Erkrankten in Deutschland mehr Hilfe, medizinische Versorgung und Unterstützung, weil MCS in unserem Land als körperlich bedingte Krankheit mittels eines ICD-10 Codes einklassifiziert ist und auch als körperlich bedingte Schwerbehinderung gelistet ist. Die Realität für MCS Kranke in Deutschland ist jedoch hart und bitter. Auch hierzulande werden Chemikaliensensible ausgegrenzt und vom gesellschaftlichen System fallengelassen. Obendrauf werden die Erkrankten häufig systematisch psychiatrisiert. Medizinische Versorgung, die speziell auf Chemikaliensensible ausgerichtet ist und auch die dazu erforderlichen umweltkontrollierten Räumlichkeiten aufweisen kann, sucht man vergebens. In öffentlichen Gebäuden wurde bisher keine der allgegenwärtigen „unsichtbaren Barrieren“ aus dem Weg geräumt, wie sie bspw. Duftspender auf Toiletten, duftende chemische Putzmittel oder parfümierte Angestellte für Menschen, die an MCS erkrankt sind, darstellen.

Wir Chemikaliensensiblen in Deutschland können uns den spanischen MCS Kranken anschließen, denn auch uns lässt man nackt und ohne Hilfe liegen.

Die nackte Wahrheit über MCS

Die nackte Wahrheit über MCS

von Eva Caballé

Wir werden nackt geboren, dann geben sie uns Duftstoffe, parfümierte Windeln, Kleidung, die mit Weichspüler gewaschen ist, Cremes mit allen möglichen Duftstoffen, und sie fahren uns herum in Kinderwagen aus Plastik, währenddessen wir ziemlich verschmutzte Luft einatmen.

Wir wachsen heran und sie machen uns glauben, dass wir alles erreichen können, was wir nur wollen, dass wir unsere Zukunft selbst bestimmen können. Dass Glücklichsein damit zusammenhängt, alles zu kaufen und dass der Staat da ist, um uns beschützen und über uns zu wachen – auch wenn ich daran meine Zweifel hatte.

Eines Tages wachst Du auf und nichts macht mehr Sinn. Du machst die Nachttischlampe an und Deine Augen fangen an zu brennen; Du öffnest das Fenster und Du nimmst neue Gerüche wahr, die Dir den Atem nehmen. Du machst das Radio an und die Musik hämmert in Deinem Kopf, so stark, dass Du Angst haben musst, er würde jeden Augenblick explodieren. Und Du hast keinen Kater. Es ist schlimmer. Es nennt sich Multiple Chemical Sensitivity (MCS) und es ist bleibend. Dein Körper hat „genug“ gesagt, ist zusammengebrochen und versucht, all das abzulehnen, von dem sie sagen, dass es zum Glücklichsein dazugehört. Dein Leben hat eine unvorhergesehene Wende genommen, Dein Geist verändert sich, Deine Zukunft entschwindet, Du hast weder körperliche noch mentale Energie. Die Krankheit drängt Dich dazu, Dein Leben hinter einer Maske zu verbringen und in Isolation vom Rest der Welt zu sein.

Multiple Chemical Sensitivity ist nicht merkwürdig oder eine Seltenheit. Es betrifft etwa 5% der Bevölkerung. Es ist eine chronische Krankheit, nichts Psychisches, das Symptome verursacht als Reaktion auf minimalen Kontakt gegenüber alltäglichen und unnötigen chemischen Produkten, wie Bleichmitteln, Raumduftsprays, Parfums, etc. Wir leben eingesperrt in unseren Häusern, aber es ist nicht erforderlich, dass wir rausgehen, um eine Zusammenbruch zu bekommen. Die Kleidung deines Nachbarn, die zum Lüften draußen hängt, nimmt Dir den Atem, sorgt dafür, dass Du Dich krank fühlst, bis Du dann bewusstlos wirst – Danke an die wundervollen, toxischen Weichspüler.

Nichts als die nackte Wahrheit über MCS

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkennt bislang nicht an, dass MCS-Kranke der Hilfe bedürfen, und erwartet, dass sie zahllose weitere Studien bekommt, die deren Hilfsbedürftigkeit beweisen. Das Europäische Parlament schließt MCS in eine wachsende Anzahl von Krankheiten ein, die mit Umweltfaktoren in Zusammenhang stehen. Der Grund dafür ist der Druck, den die chemische und pharmazeutische Industrie ausübt, damit die Krankheit nicht anerkannt wird, weil MCS durch chemische Produkte verursacht wird, die wir alle konsumieren. Die ökonomischen Interessen stehen ganz klar vor unserer Gesundheit. In Ländern, in denen das Problem anerkannt ist, wie in Deutschland, werden medizinische Hilfe und finanzielle Unterstützung geboten. In einigen anderen Ländern wird gerade darüber nachgedacht.

Und wie ist die Situation in Spanien? Wir existieren nicht für unsere vaterländische Regierung. Zusätzlich zu dem Drama, an MCS zu leiden, lassen sie uns im Stich, ohne medizinische Hilfe und ohne Recht auf soziale Unterstützung, wenn wir nicht mehr arbeiten können. Sie lassen uns nackt und ungeschützt liegen, wie Menschen zweiter Klasse, weil wir der Beweis dafür sind, dass unser derzeitiges Gesellschaftssystem versagt hat. Auch wenn niemand es so sehen will oder Maßnahmen ergreift, es zu ändern.

Sie nehmen uns auch jede Hoffnung, die wir haben, uns einmal besser zu fühlen. Die Pharmakologen finanzieren nur dann Forschung, wenn sie einen Profit damit erzielen können. Als Ergebnis dessen werden seltenere Krankheiten nicht erforscht, nicht einmal MCS, das 5% der Bevölkerung betrifft. Die chemische und pharmazeutische Industrie weiß, dass wir krank werden, weil wir vergiftet sind und dass die Lösung kein Medikament ist, das sie reich machen kann. Die Lösung ist ein Wandel im derzeitigen Gesellschaftssystem, Reduzierung der riesigen Mengen von chemischen Produkten, denen wir jeden Tag ausgesetzt sind. Offensichtlich darf dies nicht sein, und so bestreiten sie, dass MCS existiert, weil ihre ökonomischen Interessen aufs Spiel gesetzt würden.

Die chemische Industrie, unterstützt von der Regierung, hat nicht das Recht, die Bevölkerung einer unfreiwilligen Exposition gegenüber chemischen Substanzen zu unterwerfen, deren Wirkung noch ungewiss ist. Wenn wir MCS entwickeln, müssen wir alle Parfums wegwerfen, Weichspüler, Plastik, etc…um wieder nackt zu sein. Wir werden wiedergeboren, aber es ist ein neues Leben, dass wir uns nicht ausgesucht haben. Wir wissen durch die wissenschaftliche Forschung, die bereits getan wurde, dass MCS auch genetische Komponenten hat, so dass nicht jeder es entwickeln kann. Aber das rettet Dich nicht davor, Gifte zu akkumulieren, bis Du Krebs hast oder eine andere Krankheit, die mit der Umwelt in Zusammenhang steht.

Diejenigen, die unter MCS leiden, fordern, dass ihre Krankheit anerkannt wird; wir fordern die gleichen Rechte zu erhalten wie alle anderen chronisch kranken Menschen; wir fordern, dass die Gesellschaft das Risiko, dem sie ausgesetzt ist, wahrnimmt; wir fordern, dass die Regierung die Bevölkerung beschützt und verhindert, dass sie krank wird, und das die Industrie die Verantwortung und die Kosten übernimmt für die Schäden, die sie anrichtet.

Wir wollen nicht, dass sich irgendjemand wieder nackt fühlt, als Ergebnis, weil er unter MCS leidet.

Die nackte Wahrheit über Multiple=

Deutschsprachige Übersetzung und dt. Antext: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Der Originalartikel erschien in der Onlinezeitung Delorio in der Ausgabe DesNudo

In den USA publizierte Canary Report eine englischsprachige Übersetzung: The naked Truth

HET ABC van MCS in den Niederlanden publizierte „The naked Truth“ in Teil 1 und Teil 2

Vielen Dank an Delirio und Eva, dass wir den Artikel übersetzen und mit den Originalbildern präsentieren durften!