Die „Lösungen“ der Mainstream-Medizin auch bei MCS: Psychotherapie und Psychopharmaka

Psychopharmaka keine Lösung bei Chemical Sensitivity

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es üblich und als Legitimitätsnachweis ausreichend, empfohlene Behandlungen für medizinische Probleme auf Fallstudien zu stützen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde es jedoch zum allgemeinen Standard für Behandlungsweisen von Krankheiten, dass sie ihre Legitimation aus einem wissenschaftlich quantitativen Nachweis ihrer Effektivität beziehen. Und zwar im Allgemeinen basierend auf einem statistischen Test der Effektivität bei Vergleichsgruppen. Derartige Studien für Multiple Chemical Sensitivity (MCS) scheinen bislang jedoch zu fehlen.

Vermeidung erfolgreicher als Psychoansatz

Wie wir alle wissen, ist die effektivste Hilfe bei MCS die Vermeidung von symptomauslösenden Substanzen. Pamela Reed Gibson fand [1], dass 94,5% der Befragten die Vermeidung von Auslösern sehr oder etwas hilfreich fanden. Psychotherapie als Mittel um MCS zu „heilen“ fanden dagegen nur 20,2% sehr oder etwas hilfreich, 14,6% dagegen schädlich oder sehr schädlich.

Dem Einwand, dass die Ergebnisse von Pamela Reed Gibson nur auf subjektiven Selbstberichten beruhen, begegnet man leicht mit dem Hinweis darauf, dass alle wissenschaftlichen Ergebnisse, über die Erfolge von den so oft als Alternative empfohlenen Psychotherapien, das ebenfalls tun. Der Vergleich findet also auf der gleichen Bezugsebene statt.

Nachweis des Nutzen von Psychotherapie bei MCS

Dennoch gibt es immer wieder Empfehlungen, MCS mit psychotherapeutischen Methoden oder mit Psychopharmaka zu behandeln. Diese basieren auf Einzelfällen von angeblich kurierten (angeblichen) MCS-Fällen wie Anfang des letzten Jahrhunderts üblich oder aber schlicht auf der Intuition medizinischer Experten.

Was ist davon zu halten

Es empfiehlt sich daher einmal nachzufragen, wie effektiv die empfohlenen Alternativmethoden sind.

Ein solcher Wirksamkeitsnachweis für psychotherapeutische Verfahren ist nicht einfach, weshalb es relativ wenige gute Studien darüber gibt. Es ist erforderlich zu zeigen, dass

  1. Der natürliche Krankheitsverlauf vorteilhaft beeinflusst wurde,
  2. die Verbesserungen auf die Behandlung zurückzuführen sind,
  3. dass ein bestimmter spezifischer Aspekt der Behandlung dafür verantwortlich ist und nicht zufällig damit verbundene allgemeine Aspekte, sowie
  4. dass die Verbesserung größer ist, als wenn keine Therapie stattgefunden hätte.

Die Vergleichsgruppe

Das zentrale Problem im Falle der Psychotherapie ist die Wahl einer geeigneten Vergleichsgruppe, deren Mitglieder dann beispielsweise als Alternative zur Therapie religiöse Gruppen oder Yogagruppen besuchen oder häufig mit guten Freunden sprechen. Denn Psychotherapie hat viele fundamentale Elemente mit anderen kulturellen Bedeutungssystemen, inklusive Religion und anderen Glaubenssystemen und mit natürlichen sozialen Unterstützungssystemen wie Freundschaften, Verwandtschaftsbeziehungen oder romantische Beziehungen gemein. Alle menschlichen Interaktionen basieren auf der Verwendung sprachlicher Symbole (oder sind an sprachliche Symbolsysteme angeschlossen, wie bei Ritualen) und können der Beeinflussung des Verhalten dienen. Wenn Menschen leiden, stützen sie sich auf Ermutigung, Empathie und Ratschläge von Seiten der Mitglieder ihrer informellen Netzwerke. Es gilt die Wirkungen aufzuzeigen, die Psychotherapie über die Effekte derartiger informeller Netzwerke hinaus zeigt, bzw. beide voneinander zu separieren.

Regressionsfehler

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Menschen, die an Therapien teilnehmen gerade mehr oder weniger „am Tiefpunkt“ sind. Von dem Punkt an ist es einfach wahrscheinlicher, dass sich die Dinge wieder bessern, als dass sie sich weiter verschlechtern. Dies ist besonders bei Personen plausibel, die wegen akuter Lebenskrisen (Trennung, Todesfall etc.) eine Therapie beginnen. Diesen Vorgang bezeichnet man als Regression zum Mittelwert (in diesem Fall der gesunde „Normalzustandder betroffenen Personen), die Nichtberücksichtigung derartiger Effekte in Analysen auch als Regressionsfehler.

Die Bedeutung von Erwartungen

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Menschen, die eine Therapie beginnen, dazu sozialisiert sind, an die Vorteilhaftigkeit der Maßnahmen, an denen sie teilnehmen, zu glauben. Leute, die eine Therapie beginnen, sind daher hoch motiviert, davon zu profitieren und glauben fest daran, dass sie ihnen helfen kann. Dies besonders, wenn die Personen, die sie durchführen, kulturell sanktionierte Heiler mit hohem Prestige sind. Es kann daher sein, dass Leute, die an derartigen Maßnahmen teilnehmen, davon profitieren unabhängig davon, was die Technik, der sie ausgesetzt werden, tatsächlich mit ihnen tut. Ein großer Teil des therapeutischen Effekts könnte daher von dem allgemeinen Glauben an die Effektivität der Therapie stammen.

Schließlich ist eine Standardisierung des Therapieverfahrens erforderlich, um zu vermeiden, dass das Ergebnis eher die persönlichen Qualitäten des Therapeuten als die des therapeutischen Verfahrens repräsentiert.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 6. Juni 2009

Literatur:

[1] Gibson, P. R., Elms, A. N. M., & Ruding, L. A. (2003). Perceived treatment efficacy for conventional and alternative therapies reported by persons with multiple chemical sensitivity. Environmental Health Perspectives, 111, 1498-1504.

[2] Horwitz, Allen V. (2002), Creating Mental Illness, University of Chicago Press.

Teil I der Serie:

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6 Kommentare zu “Die „Lösungen“ der Mainstream-Medizin auch bei MCS: Psychotherapie und Psychopharmaka”

  1. Princess 6. Juli 2009 um 21:31

    Psychopharmaka haben oft erhebliche Nebenwirkungen, die bei MCS Kranken lebensbedrohliche Ausmaße annehme können. Daher ist eine Therapie mit derartigen Medikamenten mit äußerster Vorsicht anzugehen.

    Was die psychotherapeutische Therapie angeht, so kann sie sicherlich dazu beitragen, den Umgang mit den vielfältingen schweren und in sämtliche Lebenslagen einschneidende Folgen der MCS-Erkrankung, besser zu ertragen und somit Unterstützung zu erfahren.

    Jedoch wird eine Psychotherpie sicherlich nicht Schäden am ZNS, die durch toxische Chemikalien verursacht wurden, beheben können und wahre Linderung der MCS-Symptome bewirken können.

    Da müssen die behandelnde Ärzte noch etwas büffeln und ihre Hausaufgaben machen.

  2. Lucie 7. Juli 2009 um 06:48

    Der Irrweg der Psychiatrisierung bei MCS wird nicht ohne Konsequenzen für die gesamte Volkswirtschaft vonstatten gehen.

    Die Fehlbehandlung durch Psychiater, Psychoterapeuten und Medikation mit Psychopharmaka ist einerseits nicht umsonst, andererseits können die Betroffenen durch Verabreichung von nebenwirkungslastiger Psychopharmaka weitere Gesundheitsschäden erleiden, während die MCS-Erkrankung ungehindert schleichend, vielfach auch in intensiven Schüben, ihren Lauf nimmt und sich manifestiert. Es dürften mittlerweile genügend Fakten internationaler Wissenschaftler auf dem Tisch liegen, die belegen dass Multiple Chemical Sensitivity eine umweltbedingte körperliche Erkrankung ist, also keinen psychogenen Ursprung hat. Damit dürfte die Psychiatrisierung von MCS-Kranken den Tatbestand der Fehlbehandlung, wenn nicht sogar unterlassener Hilfeleistung erfüllen.

    Anstatt sich den Tatsachen seitens der Ärzteschaft und Verantwortlichen zu stellen und individuelle Ursachenforschung bei jedem MCS-Patienten zu betreiben und somit die MCS-Erkrankung an der Wurzel zu packen, wird vertuscht und die Gesundheit der Umweltkranken unnötigerweise weiter aufs Spiel gesetzt und in Kauf genommen, dass durch Chronifizierung von Multiple Chemical Sensitivity, eine massive und zumeist irreparable Verschlimmerung des Gesundheitszustandes eintritt. Das wiederum kommt den Staat teuer zu stehen, denn viele MCS Kranke könnten durch angemessene Hilfe, Diagnostik und Therapie sowie Engagement und Rücksichtnahme der Betriebe weiterhin im Berufsleben stehen. Doch durch Wegsehen und falsche Behandlungsmaßnahmen wird forciert, dass MCS Kranke ins soziale Abseits gedrängt werden und letztendlich dem Staat auf der Tasche liegen. Das dürfte in Zeiten leerer öffentlicher Kassen nicht im Interesse der Politiker und anderen Verantwortlichen liegen. Somit wären man gut beraten alles daran zu setzen, um MCS Kranken angemessene Diagnoseverfahren und Therapien anzubieten, vom persönlichen Leid der Betroffenen, das durch unterlassene Hilfeleistungen bzw. Fehlbehandlungen unnötig geschürt wird, ganz zu schweigen.

  3. Spider 7. Juli 2009 um 13:38

    Zu allem bisher Genannten, möchte ich ergänzend erwähnen, dass die Psychiatrisierung von MCS Kranken den Tatbestand der Diskriminierung erfüllt:

    http://www.csn-deutschland.de/blog/2008/12/24/die-psychiatrisierung-von-mcs-kranken-stellt-in-deutschland-den-tatbestand-der-diskriminierung-koerperlich-behinderter-dar/

  4. Morningstar 8. Juli 2009 um 13:17

    Bingo Spider, genau so ist die Pychiatrisierung MCS Kranker einzustufen, Diskriminierung Kranker und Behinderter ist völlig inakzeptabel.

    Gut dass Ihr hier im Blog die Missstände aufzeigt, dann ist das Thema wie man mit MCS Kranken umgeht wenigstens im Netz frei zugänglich und verewigt.

    Grüsse

  5. Supergirl 9. Juli 2009 um 22:38

    Hallo Karlheinz,

    wie immer ein spitzen Beitrag von Dir. Die Psychiatrisierung von MCS Kranken ist kein Kavaliersdelikt sondern schlicht und einfach eine falsche Diagnose, unterlassene Hilfeleistung und Diskriminierung von Umweltkranken, wie von Spider bereits festgestellt.

    Multiple Chemical Sensitivity ist nicht psychogenen Ursprungs, das sollte mittlerweile auch in Deutschland angekommen sein. MCS Kranke sind Behinderte und verdienen den Abbau von Barrieren, wie andere Behinderte auch. Anstatt ihnen stets Steine in den Weg zu legen und sie systematisch auszugrenzen.

  6. Emcee 21. Mai 2018 um 23:51

    Und neun Jahre später hat sich nichts gebessert.

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