Möge es für Brigitte sein…im Nachhinein…dass sich etwas ändert

Für Brigitte

Für Brigitte: Auszüge aus „Die Glasprinzessin – Leben mit MCS“

Wann begann eigentlich die Zeit der „Glasprinzessin“?

Fing es nicht schon in der Kindheit an?

Und die Zeit der vielen Fragen begann: Wann oder wo kam sie mit Stoffen in Kontakt, die ihr derart geschadet haben, so dass sie zur Glasprinzessin wurde? Es könnten unzählige gewesen sein, die ihr körperliches System derart „aus der Fassung“ brachten.

Nun ja, die Ursache herauszufinden schien nicht so wichtig, es kam eher darauf an mit den Auswirkungen zu leben.

Und so fing das Leben des Abgeschiedenseins auch ganz allmählich an:

Der Knackpunkt vor vielen Jahren. Schuhe, die mit einem Wildlederspray eingesprüht waren und nach dem Tragen dieser Schuhe stechende Schmerzen in den Kniegelenken und Armbeugen und am nächsten Tag große Blasen am Körper, beginnend von den Füßen über die Beine, Bauch, Arme bis unter die Brust. Dort hörte es auf.

Die vielen Besuche bei Medizinern wiesen auf eine Hautvergiftung hin, sehr gefährlich, aber niemand brachte es mit dem Schuhspray in Verbindung. Eine Heilpraktikerin glaubte ihr und riet ihr, mit Heilerde innerlich und äußerlich zu entgiften, viel zu trinken und sie nie mehr (!!!) mit solchen Stoffen zu umgeben.

Nun das war der Anfang, der Anfang vom Rückzug, aber die Glasprinzessin wusste noch nichts davon, was in ihrem eh schon immungeschwächten Körper vor sich gegangen war, dass sie solche Stoffe nicht mehr abwehren konnte.

Nach einiger Zeit funktionierten die Bronchien nicht mehr. Sie konnte nachts nicht mehr atmen, sie litt unter Spannungsschmerzen im Brustraum und musste die Arme ganz weit auseinander machen, um noch Luft zu bekommen.

Wiederum sagten die Mediziner – „das könne nicht sein“ – und machten einen Lungenfunktionstest. Er war viel zu schwach und so bekam sie ein Inhalationsspray. Das verbesserte die Sache aber nicht, sondern der Hals ging zu und die Schleimhäute trockneten aus.

Was war diesmal die Ursache?

Ein Jahr später wusste sie es, denn ein solches Versagen löste einen Forschungsdrang in ihr aus. Ein Insektizid mit dem Namen „Bio-Pyrethrum“ war in die Steckdose gesteckt worden zum Vertreiben der Mücken. Der toxische Stoff wurde frei und…

Es kam bald die Zeit, wo sie sich in beheizten Räumen nicht mehr aufhalten konnte, schon gar nicht, wenn Menschen anwesend waren.

Es begann immer auf die gleiche Weise: Kribbeln im Gesicht, hochroter Kopf, dann Herzrasen, Anschwellen der Augen und Schleimhäute und dann Atemnot.

An der frischen Luft wurde es wieder besser.

Zum ersten Mal kam dann der Begriff „M E I D E N“ auf von einer Ärztin.

Der Rat: Meiden sie Stoffe und Orte, auf die ihr Körper reagiert, wenn sie einigermaßen leben möchten und nicht immer schlimmer erkranken wollen.

Einige Zeit später begann die Leber, das Entgiftungsorgan, nicht mehr zu „funktionieren“. Sie schwoll jedes Mal an, wenn sie irgendwo mit Menschen zusammen war. Da die Glasprinzessin die Menschen liebte und gerne mit anderen zusammen war, traf sie sich öfters mit ihnen. Aber nun ging es weiter bergab in einem Kreislauf von Schmerzen, Anschwellen der Leber, Atemnot und Depressionen.

Nach jedem Kontakt mit Menschen die gleichen Reaktionen…

Die Glasprinzessin erinnerte sich daran, dass in einem Raum, wo sie sich viele Jahre mit Freunden traf, immer so ein Geruch von stechendem, sauerem Gas war. Nun wurde ein Umwelt-Analytiker damit beauftragt, eine Untersuchung vorzunehmen. Das Ergebnis: Die Deckenplatten waren sehr belastet mit Formaldehyd, weit über die Grenzwerte für Gesunde hinaus.

Sie begann nun, um von den Symptomen wegzukommen, sich gänzlich zurückzuziehen, aber das war ein schwerer Entschluss

Eines Tages las sie in einer Zeitschrift von einer Frau, die fast die gleichen Symptome hatte wie sie. Diese war in einer Fachklinik untersucht worden. Die Diagnose lautete: M C S.

Was war denn das?

MCS – eine sogenannte Multiple Chemikalien-Sensitivität.

So plante die Glasprinzessin auch die Reise in den Norden in diese Klinik und auch sie bekam ihre „Glashausdiagnose“: MCS.

Nun war es klar wie Glas – und die Umstellung begann.

Sie begann zu lesen über all diese Dinge – sie begann damit Erfahrungen auszutauschen mit anderen Glasprinzessinnen und Prinzen und erkannte, dass sie nicht alleine war mit dieser Diagnose.

Das war zwar ein Trost – trotzdem begann nun der Rückzug.

Sie fand ein altes Haus im Wald und zog mit ihrem Mann dorthin.

Sie stellte alles um: Nahrung – Körperpflege – Raumpflege – ja, das gesamte Umfeld. Das 300 Jahre alte Lehmfachwerkhaus war Teil eines Hofgutes und gehört einem alten Baron. Sie war sooo dankbar, es gefunden zu haben.

Aber auch da gab es mit der Zeit viele Herausforderungen und sie wurde dann auch noch elektrosensibel und konnte von da an kein TV, kein Radio, kaum ans Telefon und kaum noch kochen.

Viele von uns können nicht länger als 3-5 Minuten telefonieren, können nicht einmal mehr das Papier zum Schreiben tolerieren. Man kann sich mit keinem mehr treffen, weil fast jeder nach irgendetwas duftet, oder Chemie ausdünstet durch die Kleidung etc.

Was könnte man als Trost vermitteln und welche Hoffnung gibt es?

Die Glasprinzessin fasst es so zusammen:

  • „Wirklich rechtzeitig die Kurve kratzen“, um es mal mit Humor zu sagen.

Das bedeutet im Klartext:

  • Nicht erst warten, bis es immer schlimmer wird, bis man immer weniger verträgt, bis man nur noch mit Sauerstoff auskommt, sondern rechtzeitig alles meiden, was Symptome hervorruft…auch, wenn es noch so schwer fällt.

Und noch etwas ganz Wichtiges:

  • Intoleranz gegenüber MCS Betroffenen führt zu vermehrtem Leid und macht sie auch nicht gesünder. Im Gegenteil: Sie müssen sich immer mehr zurückziehen, um sich nicht auch noch seelischen Schmerzen auszusetzen
  • Deshalb lasst sie bitte so leben, wie sie noch können
  • Sagt ihnen nicht „sie sollen dieses oder jenes ausprobieren“, das haben sie alle schon getan, bevor sie sich zurückzogen
  • Habt Verständnis, behandelt sie liebevoll und vor allem:
  • GLAUBT IHNEN IHRE GESCHICHTE und ihre täglichen Erfahrungen
  • Seid bitte keine Ignoranten und helft ihnen, indem ihr sie akzeptiert.

Wenn ihr möchtet, gebt ihnen das, was sie wirklich brauchen: Schadstoffarme Luft, gute Nahrung und unbelastete Kleidung.

Das Hauptanliegen der Glasprinzessin ist, die Öffentlichkeit auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die Ärzte aufzuklären und die Krankenkassen wissen zu lassen, dass M C S genauso eine organische Krankheit ist wie Krebs, Multiple Sklerose oder Aids.

Wir bilden uns das nicht ein

Denn wer begibt sich freiwillig in die Isolation? Wer lebt im Winter freiwillig in einem Zelt im Wald? Wer geht freiwillig nicht mehr in Restaurants oder zum Essen? Nicht mehr zum Einkaufen? Nicht mehr zum Friseur, zur Post oder zur Massage?

Wer sieht denn freiwillig seine Familie, die Kinder und Enkelkinder nicht mehr (höchstens im Sommer im Freien mit genügend Abstand)? Wer teilt denn freiwillig nicht mehr mit seinem lieben Ehepartner das Zimmer (nur wenn dieser bei der Arbeit mit Stoffen in Verbindung kam, die für den MCS Kranken lebensgefährlich sind)?

Ja, wer würde das alles freiwillig tun?

Wir würden alle wieder sehr gerne aus unseren Glaspalästen herauskommen, wenn das in dieser Welt möglich wäre. Aber wir sind auch realistisch genug und sprechen aus jahrelanger Erfahrung:

Es wird in dieser umweltverschmutzten Welt wohl nicht mehr gehen.

Und so ging es auch unserer lieben Brigitte:

Sie konnte es vor Schmerzen und Qualen nicht mehr ertragen. Von Ort zu Ort zu fahren und zu spüren, auch da halte ich es nicht mehr aus.

Bei den 3 Telefongesprächen, die ich mit ihr führte, als sie in Fulda war, klang nur ein Ruf nach Hilfe, ein Ruf nach sauberer Luft, ein Ruf nach Ruhe, ein Ruf nach einem Leben ohne die vielen schrecklichen Symptome.

Ich wollte ihr so gerne helfen, sie hierher in den Wald holen, aber es war leider zu spät. Es tut weh und es macht unendlich traurig…

Aber wir kämpfen weiter, um menschenwürdige Behandlung, um menschenwürdige Wohnmöglichkeiten für uns Betroffene.

Wie können nie wissen, wann wir unseren Wohnraum nicht mehr tolerieren, wann wir auf Reisen gehen müssen und eine Notunterkunft brauchen…

Möge es für Brigitte sein…im Nachhinein…dass sich etwas ändert.

Mona, die Glasprinzessin für Brigitte, Juli 2009

9 Kommentare zu “Möge es für Brigitte sein…im Nachhinein…dass sich etwas ändert”

  1. Domiseda 2. August 2009 um 13:40

    ja, liebe Mona, so ist es leider, wie Du schreibst. Abgefunden mit meinem eigenen täglichen Spießrutenlauf um Toxinkarenz und voraussichtlich lebenslanger Isolation hoffe ich sehnlichst, daß endlich für die nachfolgenden Generationen Präventivmaßnahmen ergriffen werden.M.E.liegt an diesen,v.a. wenn diese frühzeitig erfolgen,sehr viel.So wünsche ich mir, daß v.a. Kinderärzte in ihrer Ausbildung über den Umgang mit der MCS-Problematik geschult werden.Übrigens ist mir bereits seit den 80er Jahren eine sehr angefeindete (wie sollte es anders sein!) Kinderärztin,bekannt, die bereits damals auf der Basis der Erkenntnisse von Randolph therapierte.Dank des Einsatzes dieser Kinderärztin konnte so manchem Kind die Basis für ein später „normales“ Leben geschaffen werden:indem sie dafür sorgte, daß diese Kinder mit „unerklärlichen Erkrankungen“ beizeiten den Fängen falscher psychologischer und psychiatrischer Behandlung entzogen wurden;daß sich das Immunsystem erholte durch strengste Toxinvermeidung, Eliminationsdiät, durch den „Glashaus“-Effekt im privaten wie im Schulbereich( es gab damals schon Kinder, die aufgrund der Chemikalienbelastung öffentlicher Schulen nicht mehr dort einschulbar waren; zumindest in einer Großstadt gibt es aber ein sehr kleines Gymnasium, das beispielhaft in den 80er Jahren Stein für Stein baubiologisch einwandfrei inklusive sämtlicher weiterer Materialien und Putzmittel gestaltet wurde). Ich erwähne diese Beispiele , weil sie Mut machen und zeigen, daß frühzeitige Maßnahmen, so hart sie sowohl von den Kindern wie den Eltern zu bewältigen sind,ein voller Erfolg sind.Wenngleich in der Gesundheitspolitik seit Jahren der Spielball „Prävention“eine große Rolle spielt, vermisse ich leider bezüglich MCS die erforderlichen Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen auf breiter Basis.

  2. Sina 2. August 2009 um 14:41

    Liebe Mona,

    Herzlichen Dank für Deine ach so aufbauenden
    Worte !

    In Gedenken an Brigitte

    Viele Grüße von Sina

  3. Amalie 2. August 2009 um 14:49

    Liebe Mona,

    MCS-Patienten haben Glück, wenn sie herausfinden, was sie haben, und dann das Geld für ihre Glashäuser haben. Man kann ja relativ gut leben in seinem Glashaus, d.h. es kann einem körperlich einigermaßen gehen.

    Wir, die uns solche „Glashäuser“, also schadstoffarme Wohnung, Biolebensmittel, Biokleidung, Wasserfilter, Luftreinigungsgeräte, leisten können, sollten uns glücklich schätzen. Wir können auch viel schreiben und uns einsetzten.

    Noch viel schlechter geht es Menschen, die nicht das Geld für das „M E I D E N“ haben. Wenn wir schon vor einem Parfümhauch flüchten, wie ist dann erst eine Wohnung in einem engen Stadtviertel mit viel Schimmel, Duftstoffen, PVC-Platten, und so weiter? Keine Sekunde saubere Luft? Pestizidverseuchte Lebensmittel weil die billiger sind? Gechlortes Wasser und verdreckte Außenluft? Diese Menschen leiden.

    Und die Menschen, die nie erfahren was sie haben und in der Psychiatrie landen, die leiden noch viel mehr. Die haben unendliche Reaktionen, wissen nicht warum, sie können auch nicht mehr denken. Seit es Psychopharmaka gibt, sind die Gedanken nicht mehr frei. Ja, es trifft auch Kinder.

    Wir müssen unermüdlich an diese entsetzlichen Lagen erinnern, die allein daran hängen, dass Kranken keine ausreichenden Mittel zur Verfügung gestellt werden, und mit vielen schwerkranken Menschen noch Profit gemacht wird. Das muss jeden Tag aufs Neue exakt benannt und angesprochen werden.

    Amalie

  4. Energiefox 2. August 2009 um 17:24

    Mona Zitat…Wenn ihr möchtet, gebt ihnen das, was sie wirklich brauchen: Schadstoffarme Luft, gute Nahrung und unbelastete Kleidung…Zitat Mona

    Mich macht es echt schon wütend diese Dinge sollten schon längst selbstverständlich sein.

    Nur ein Beispiel, wenn ich daran denke nicht mal Partikelrussfilter sind in allen Dieselmachinen vorhanden, dann packt mich die Wut. Es liegt nicht am Geld, sondern am mangeldem Bewusstsein was wichtig ist und leider gibt man der Industrie
    nicht bindende Vorgaben. Hier ist Rücksichtsnahme falsch, wie oft haben die nicht reagiert, wenn man denen mit freiwilligen Vorgaben kam. Schluss damit, weil es unterem Strich sehr teuer ist krankmachende Produkte auch noch als Bio- Produkte zu zulassen. Ich las nämlich oben im
    Bericht was von einem Insektizit „Bio-Pyrethrum“

    Gruß Energiefox

  5. Henriette 2. August 2009 um 23:02

    Liebe Mona,

    danke für Deine Zeilen, sie tragen zur Aufklärung bei und bringen die Menschen um uns herum, hoffentlich dazu, uns gegenüber mehr Rücksicht walten zu lassen. Für Brigitte im Nachhinein, dass sich etwas ändert, ist sehr treffend formuliert.

    Herzliche Grüsse liebe Mona und im stillen Gedenken an Brigitte,

    Henriette

  6. Franzi 2. August 2009 um 23:52

    Liebe Mona,

    Dein Bericht zeigt deutlich, wie MCS das Leben einschränkt und dass sich im Grunde keiner der (noch) Gesunden sicher fühlen kann, davon nicht auch einmal betroffen zu sein. Die Ursachen zu kennen, ihre anfangs weniger, später drastischer spürbare Wirkung zu minimieren, möglichst auszuschließen, lässt nichts anderes zu als unfreiwilligen Rückzug in die Isolation. Hast Du sehr gut und nachvollziehbar dargelegt.

  7. Jewel 3. August 2009 um 06:24

    Liebe Mona, danke für diesen Blog, mit dem Du Außenstehenden gut darstellst, wie die Gesundheit durch Umwelteinflüsse geschädigt werden und sich schleichend verschlimmern kann und als Folge nur ein Leben in Isolation bleibt.

    In Deinen Ausführungen sind sehr viele Parallelen zu meinem eigenen Leben, ich denke, wir alle finden uns in Deinen Zeilen wieder. Je mehr über MCS im Internet zu finden ist, umso besser für alle Ahnungslosen, die dadurch hoffentlich kritischer durchs Leben gehen und vor dem gleichen Schicksal wie Brigitte bewahrt bleiben.

  8. Liebesweiher 3. August 2009 um 12:20

    Liebesweiher

    danke Mona für deine Zeilen. Auch ich möchte, an dieser Stelle erwähnen, dass der Tod von Brigitte S. mich sehr betroffen macht. Ich hoffe für uns alle, dass wir die Kraft haben, weiter zu kämpfen und (die Hoffnung) niemals aufzugeben.

  9. Seelchen 3. August 2009 um 14:44

    Ich möchte Euch allen von Herzen für Eure Kommentare danken und hoffe und bete,dass ich weiterhin klare und positive Artikel und Gedichte und nachdenkliche Geschichten schreiben darf.
    Es ist nicht mein verdienst,sondern eine Gabe <und die möchte ich jederzeit für euch alle einsetzen.
    Wenn irgendjemand Hilfe braucht oder ein paar ruhige Tage im Wald,bitte meldet euch rechtzeitig.

    Ich danke Euch an,weil ichr mich anregt weiterhin zu schreiben und für uns alle zu kämpfen…

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