Archiv der Kategorie ‘Umwelt‘

Der Fukushima-Dreck gehört nicht mehr uns!

Der Fukushima Eigentümer garniert den Schaden mit Beleidigung – Behauptet, der Fallout gehöre ihnen nicht

Im unmoralischen Milieu der Unternehmensbilanzen kann man Tokyo Electric Power Co. nicht einmal vorwerfen, es auf diese Weise zu versuchen.

TEPCO ist Besitzer des 6. Reaktoren Komplexes, der aufgrund des Erdbeben am 11. März 2011 havarierte und vom nachfolgenden Tsunami zerstört wurde. TEPCO muss mit 350 Milliarden Dollar Schadensersatz und Kosten für Aufräumarbeiten rechnen, aber auch mit möglicher Strafverfolgung wegen Zurückhalten kritischer Informationen, die unter Umständen das Freisetzen von Strahlung in einem gewissen Umfang verhindert hätten und wegen dem Betrieb der riesigen Anlage, nachdem sie vor der Unzulänglichkeit ihrer Katastrophen-Vorkehrungen gewarnt worden waren.

Als nun das Unternehmen am 31. Oktober vor dem Bezirksgericht in Tokyo vom Sunfield Golf Club verklagt wurde, der die Dekontaminierung der Golfanlage verlangte, versuchten die Anwälte von TEPCO etwas Neuartiges. Sie behaupteten, das Unternehmen würde nicht länger haften, weil es die aus seinen zerstörten Reaktoren ausgestoßenen radioaktiven Gifte nicht mehr länger „besitzen“ würde.

„Radioaktive Materialien aus dem Fukushima Reaktorblock 1, die verteilt wurden und niedergegangen sind, gehören den jeweiligen Landbesitzern, nicht TEPCO“, sagte das Unternehmen. Dies machte das Gericht, die Kläger und die Presse baff. Ein Anwalt des Golf Clubs sagte, „Uns bleibt die Spucke weg…

Das Gericht wies TEPCOs Auffassung zurück, sein Krebs verursachender Schadstoffniederschlag würde den Gebieten gehören, die kontaminiert wurden. Aber man habe ihnen das Zeug zurück zu geben. So ein dreister Unsinn kommt kaum ein zweites Mal auf der Welt vor.

Selbst Union Carbide, dessen giftige Gase 1984 in indischen Bhopal 15.000 Menschen umgebracht haben, hat es nicht so probiert. Dow Chemical, 2001 Käufer von Union Carbide, wehrt sich immer noch gegen Indiens Schadensersatzforderungen von 1,7 Milliarden Dollar. Vielleicht sollte Dow TEPCOs Nummer probieren: „Das Gas gehört nun denen, die es eingeatmet haben – was man hat, besitzt man meistens auch.“

Mittlerweile erwartet Kleinkinder in Japan ein Leben mit Behinderung und Krankheit, weil radioaktives Cäsium-137 und Cäsium-134 kürzlich in Milchpulver für Kindernahrung gefunden wurden. Am 6. Dezember 2011 gab es eine Ankündigung der Meiji Holdings Company, Inc. nach welcher sie 400.000 Döschen ihres „Meiji Step“ Milchpulvers für Kinder über neun Monaten zurückrufen würden. Das Pulver wurde im April abgepackt – als die großen radioaktiven Freisetzungen von Fukushima ihren Höhepunkt erreichten – es wurde im Mai ausgeliefert und hat das Verfallsdatum Oktober 2012.

Der Cäsium-Gehalt pro Portion dieses Milchpulvers lag ungefähr 8 Prozent über der von der Regierung zugelassenen Kontamination. Doch wer weiß schon, wie viel dieser Fertignahrung einzelne Säuglinge vor dem Rückruf verzehrt haben. Es ist bestens bekannt, dass Föten, Säuglinge, Kleinkinder und Frauen von Strahlendosen geschädigt werden, die weit unterhalb der zugelassenen Belastung liegen. Die meisten Grenzwerte wurden anhand der Strahlenwirkung auf einen „Referenz-Menschen“ festgelegt, man ging von einem 20 bis 30-jährigen Weißen, nicht aber von Kindern und Frauen aus, die am gefährdetsten sind.

Selbst winzige innerliche radioaktive Kontamination kann die DNA beschädigen, Krebs verursachen und das Immunsystem schwächen. Die vom Fukushimas Kernschmelzen in Umlauf gebrachte radioaktive Kontamination wurde in Gemüse, Milch, Fischereiprodukten, Wasser, Getreide, Viehfutter und Rind nachgewiesen. Grüner Tee, der 400 Kilometer von Fukushima entfernt wuchs, war kontaminiert. Bei Reis, der im Herbst 2011 in der Präfektur Fukushima geerntet wurde, stellte man im November 2011 eine Cäsium-Belastung fest, die 25 Prozent über dem erlaubten Grenzwert lag. Die Auslieferung von Reis aus diesen landwirtschaftlichen Betrieben wurde verboten, doch erst, nachdem viele Tonnen davon bereits verkauft worden waren. Es ist davon auszugehen, dass diese Strahlung nun jedem einzelnen Verbraucher gehört, das ergibt sich aus den einfallsreichen Behauptungen der Unternehmens-Anwälte von TEPCO.

Autor: John LaForge, 16 Januar 2012 für Truthout

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

Der Original-Artikel „Fukushima’s Owner Adds Insult to Injury – Claims Radioactive Fallout Isn’t Theirs“ wurde unter der Creative Commons Lizenz: by-nc veröffentlicht. Für diese Übersetzung gilt CC: by-nc-sa.

Foto: Beau B CC: by, bearbeitet

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Luftverschmutzung kann Depressionen auslösen

Schadstoffe verursachen Schäden im Gehirn

Luftverschmutzung kann bei länger andauernder Belastung zu physischen Veränderungen im Gehirn, sowie Lern-und Gedächtnisproblemen und sogar zu Depressionen führen, das erbrachten Forschungsergebnisse bei Mäusen.

Während andere Studien die schädlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung auf das Herz und die Lungen gezeigt haben, ist diese eine der ersten Langzeitstudien, um die negativen Auswirkungen auf das Gehirn aufzuzeigen, sagte Laura Fonken, Hauptautor der Studie und Doktorand für Neurowissenschaften an der Ohio State University.

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass längerer Kontakt mit schadstoffbelasteter Luft zu sichtbaren, negativen Auswirkungen auf das Gehirn führt, was zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen führen kann“, sagte Fonken.

„Dies könnte wichtige und beunruhigende Konsequenzen für Menschen auf der ganzen Welt haben, die in belasteten städtischen Gebieten wohnen und arbeiten.“

Die Studie erschien Mitte 2011 in der medizinischen Fachzeitschrift „Molecular Psychiatry“. Für die Studie arbeiteten Fonken und Kollegen vom Ohio State Department für Neurowissenschaften mit Forschern der Universität Davis, vom Herz- und Lungen-Institut zusammen.

Bei früheren Studien an Mäusen stellte die Davis Research Group, der Qinghua Sun, assistierender Professor für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene, sowie Sanjay Rajagopalan, Professor für Herz-Kreislauf-Medizin angehörten, fest, dass Feinstaub Entzündungen im ganzen Körper verursacht und zu Bluthochdruck, Diabetes und Fettleibigkeit führen kann. Diese neue Studie zielte darauf ab, ihre Forschung hinsichtlich der Auswirkungen von Luftverschmutzung auf das Gehirn auszudehnen.

„Je mehr wir über die gesundheitlichen Auswirkungen von lang anhaltenden Luftverschmutzung herausfinden, desto mehr Gründe zur Sorge gibt es“, sagte Randy Nelson, Co-Autor der Studie und Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der Ohio State.

In der neuen Studie wurden Mäuse entweder gefilterter Luft oder schadstoffbelasteter Luft für sechs Stunden am Tag ausgesetzt, und das an fünf Tagen in der Woche für 10 Monate – somit fast die Hälfte der Lebensspanne der Mäuse.

Die verschmutzte Luft enthielt Feinstaub, die Art von Verschmutzung, die durch Autos, Fabriken und natürlichen Staub verursacht wird. Die feinen Partikel sind winzig – etwa 2,5 Mikrometer im Durchmesser, oder etwa ein Dreißigstel des durchschnittlichen Durchmessers eines menschlichen Haares. Diese Partikel können bis in tiefe Bereiche der Lunge und anderer Organe des Körpers vordringen.

„Je mehr wir über die gesundheitlichen Auswirkungen von anhaltender Luftverschmutzung herausfinden, desto mehr Gründe zur Sorge gibt es. Diese Studie ist ein weiterer Beweis für die negativen Auswirkungen von Luftverschmutzung auf die Gesundheit.“

Die Feinstaubkonzentration, der die Mäuse ausgesetzt waren, war gleichbedeutend mit dem, was die Menschen in einigen belasteten städtischen Gebieten ausgesetzt werden, so die Forscher.

Nach 10 Monaten Exposition gegenüber der schadstoffbelasteten oder gefilterten Luft führten die Wissenschaftler eine Reihe von Verhaltenstests bei den Versuchstieren durch.

Bei einem Lern- und Gedächtnis-Test wurden die Mäuse in der Mitte einer hell erleuchteten Bühne platziert und bekamen eine Frist von zwei Minuten, um ein Fluchtloch zu finden, das in einen dunklen Kasten führte, wo sie sich wohler fühlen. Dann erhielten sie fünf Tage Training, um das Fluchtloch zu finden. Die Mäuse, die verschmutzte Luft geatmet hatten, brauchten jedoch länger, um zu erlernen, wo sich das Fluchtloch befand. Die Mäuse, die schadstoffbelasteter Luft ausgesetzt waren, erinnerten sich auch bei späteren Prüfungen schlechter daran, wo sich das Fluchtloch befand.

In einem weiteren Experiment wiesen die Mäuse, die schadstoffbelasteter Luft ausgesetzt waren, depressivere Verhaltensweisen auf als die Mäuse, die gefilterte Luft geatmet hatten. Die Mäuse, die schadstoffhaltige Luft eingeatmet hatten, wiesen zusätzlich Anzeichen von verstärkten angstähnlichen Verhaltensweisen in einem der Tests auf, in einem anderen Test jedoch nicht.

Aber wie führt die Luftverschmutzung zu Veränderungen in Lernen, Gedächtnisleistung und Stimmung?

Die Forscher führten Tests durch, die auf den Hippocampus im Gehirn der Mäuse abzielten, um die Antworten zu finden.

„Wir wollten deshalb so genau auf den Hippocampus achten, weil dieses Gehirnareal mit Lernen, Gedächtnis und Depression assoziiert ist“, sagte Fonken, der gemeinsam mit Nelson, Mitglied des Ohio State Institute für Verhaltensmedizin ist.

Die Ergebnisse zeigten deutliche, körperliche Unterschiede im Hippocampus jener Mäuse, die schadstoffbelasteter Luft ausgesetzt waren, im Vergleich zu denen, die ihr nicht ausgesetzt waren.

Die Wissenschaftler untersuchten speziell die Verästelungen, die aus Nervenzellen (oder Neuronen) wachsen und als Dendriten bezeichnet werden. Die Dendriten haben kleine Ansätze, sogenannte Stacheln, die aus ihnen herauswachsen und die Signale von einem Neuron zum anderen übermitteln.

Die Mäuse, die verschmutzter Luft ausgesetzt waren, hatten weniger Stacheln in Teilen des Hippocampus, kürzere Dendriten und eine insgesamt reduziertere Zellekomplexität.

„Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Arten von Veränderungen mit einer verminderten Lern-und Gedächtnisleistung verbunden sind“, sagte Nelson.

In anderen Studien fanden einige der Co-Autoren dieser Studie aus dem Davis-Forschungszentrum, dass chronische Exposition gegenüber Luftverschmutzung ausgedehnte Entzündungen im Körper hervorruft, was mit einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen beim Menschen verbunden ist, einschließlich Depression. Diese neue Studie gab Hinweise darauf, dass diese Low-grade-Entzündung offensichtlich im Hippocampus vorhanden ist.

Bei Mäusen, die schadstoffbelastete Luft geatmet hatten, waren chemische Botenstoffe, die Entzündungen verursachen – sogenannte pro-inflammatorische Zytokine – im Hippocampus aktiver, als bei Mäusen, die gefilterte Luft atmeten.

„Der Hippokampus ist besonders empfindlich gegenüber Schäden, die durch Entzündungen verursacht werden“, sagte Fonken.

„Wir vermuten, dass die systemische Entzündung, die durch das Einatmen von verschmutzter Luft verursacht wird, an das zentrale Nervensystem übermittelt wird.“

Die Studie wurde von den National Institutes of Health unterstützt.

Autor:

Jeff Grabmeier, Ohio State University, Air Pollution linked to Learning and Memory Problems, Depression, Columbus, Ohio, 5. Juli 2011

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

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Weihnachtsbäume mit krebserregenden Pestiziden belastet

BUND-Weihnachtsbaumtester finden in fast der Hälfte der Bäume teils verbotene Pestizide

Berlin – Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat in sechs von 15 getesteten Weihnachtstannen und -fichten teils verbotene Pestizide gefunden.In einem Drittel der untersuchten Nadelproben von in Berliner und Leipziger Baumärkten und Straßenverkaufsstellen gekauften Bäumen wurde das in Deutschland verbotene Insektizid Flufenoxuron nachgewiesen. In zwei Proben wurde das nicht für Weihnachtsbäume zugelassene Herbizid Metolachlor und in einer Probe das in der EU seit 2004 verbotene Herbizid Atrazin gefunden. Diese Chemikalien gelten als krebserregend bzw. hormonell wirksam. Gleich drei Pestizide wurden in einer Nordmanntanne von einem Verkaufsstand vor dem Leipziger Globus-Baumarkt gefunden. Sie stammt vom Tannenhof Zernitz-Lohm in Brandenburg.Die höchste Belastung wurde in einer Blaufichte gemessen, die ebenfalls in Leipzig in einem Hagebaumarkt gekauft wurde und deren Herkunft unbekannt ist.

Tomas Brückmann, BUND-Pestizidexperte: „Weihnachtsbäume, die in Deutschland auf den Markt kommen, dürfen diese gefährlichen Pestizide nicht enthalten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in geheizten Räumen die giftigen Pestizidrückstände aus den Bäumen in die Umgebung abgegeben werden. Zwar sind die nachgewiesenen Mengen nicht akut gesundheitsschädlich. Aber man sollte Kleinkinder nicht unter belasteten Weihnachtsbäumen krabbeln lassen. Sie können die Chemikalien über die Atemluft und die Haut aufnehmen. Zusammen mit der Aufnahme anderer Schadstoffe sind gesundheitliche Schäden vorstellbar.“

Der BUND forderte die Pflanzenschutzbehörden in den Ländern und Landkreisen auf, verstärkt ihrer Kontrollpflicht nachzukommen. Um Belastungen bei Weihnachtsbäumen zu vermeiden, müssten die Anwender von Pestiziden künftig regelmäßiger überprüft werden. Bundesagrarministerin Ilse Aigner müsse sich dafür einsetzen, dass in der Landwirtschaft deutlich weniger Pestizide eingesetzt werden. Verbrauchern empfiehlt der Umweltverband, Weihnachtsbäume am besten direkt beim Förster oder aus lokaler und regionaler Aufzucht zu kaufen, vorzugsweise gekennzeichnet mit dem Bioland-, Neuland- oder Naturland-Siegel. Zu empfehlen seien auch mit dem FSC-Siegel (Siegel für nachhaltige Waldbewirtschaftung) zertifizierte Bäume.

Literatur:

BUND, BUND-Weihnachtsbaumtester finden in fast der Hälfte der Bäume teils verbotene Pestizide, 16. Dezember 2011

Weiterführende Informationen und Tipps wo es giftfreie, ökologische Weihnachtsbäume gibt:

Videos:

Menschenrechtsverletzungen: Sechs Agrarchemie-Konzerne schuldig gesprochen

Auch Internationaler Währungsfond, Weltbank und Welthandelsorganisation wegen systematische Menschenrechtsverletzungen schuldig gesprochen

Nach vier Verhandlungstagen des nach strengen juristischen Regeln arbeitenden Permanent People’s Tribunal folgte am 6. Dezember 2011 der Urteilsspruch. Danach sind die weltweit größten sechs Agrarchemie-Konzerne – Monsanto, Syngenta, Bayer, Dow Chemical, DuPont und BASF – schuldig, schwerwiegend, weitreichend und systematisch Menschenrechte verletzt zu haben.

Auf der Grundlage einer 274 Seiten umfassenden Anklageschrift verhandelte das Permanent People’s Tribunal Anklagen von Opfern und Zeugen aus Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika und Nordamerika. Die Anklagepunkte betrafen das Recht auf Gesundheit und Leben sowie ökonomische, soziale und kulturelle Menschenrechte, aber auch zivile und politische Rechte und speziell die Rechte von Frauen und Kindern. Das Tribunal sprach die Konzerne auch schuldig, die Menschenrechte von indigenen Völkern verletzt zu haben. Die Anklageschrift wurde im Namen der Opfer durch PAN International eingereicht.

Carina Weber, Geschäftsführerin von PAN Germany: „Dieses Tribunal macht deutlich, dass durch multinationale Agrarchemie-Konzerne begangene Menschenrechts- verletzungen in großem Ausmaß stillschweigend geschehen. Viele Opfer sind nicht in der Lage, ihre Rechte im eigenen Land juristisch einzufordern und auf globaler Ebene existiert kein wirksamer Mechanismus, um die Konzerne für begangene Menschen- rechtsverletzungen haftbar zu machen.“

Über die Heimatländer der Konzerne – die Schweiz, Deutschland und die Vereinigten Staaten – urteilt die Jury, dass sie sich nicht gemäß der international übernommenen Verantwortung, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen, verhalten.

Neben den sechs Konzernen und den drei Ländern wurden der Internationale Währungsfond, die Weltbank und die Welthandelsorganisation schuldig gesprochen. Sie haben, so die Jury, durch ihre Politik und ihre Programme die Konzentration und Macht von Konzernen begünstigt. Die Jury sprach die Welthandelsorganisation schuldig, eine unausgewogene Politik zu betreiben, indem sie das Recht auf geistiges Eigentum der Konzerne stärker betone als den Schutz vor Langzeitgefahren, die aus Aktivitäten der Unternehmen resultieren. Der Internationale Währungsfond und die Weltbank haben der Jury zufolge im Rahmen ihrer Vergabepraxis die Einhaltung der Menschenrechte nicht ausreichend berücksichtigt.

Für die Anklage von Konzernen nach nationalem Recht empfiehlt die Jury das Strafrecht statt des Zivilrechts. Die Jury drängt Regierungen, sich für die Umstrukturierung des Internationalen Rechts einzusetzen, damit multinationale Konzerne zur Rechenschaft gezogen werden können, die Beweislast zukünftig weniger auf den Opfern lastet und das Vorsorgeprinzip gestärkt wird.

Autor: PAN, Hamburg, 12. Dezember 2011

Mehr zum Permanent People´s Tribunal

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Occupy: Hier geht es um die Zukunft für diese jungen Leute!

David Suzuki auf der Occupy Montreal Demo
Manche, die sich für die Belange der Umwelt engagieren, erkennen in der nun weltweiten Occupy-Bewegung ein Engagement gegen die Ursache all der Probleme, mit denen sie sich schon länger befassen. Dementsprechend lag für Marc Coppola nichts näher als den Wissenschaftler, Radio-, Fernsehjournalisten und Umweltaktivisten David Suzuki zu interviewen, als dieser zu einer Occupy Demonstration nach Montreal kam.

David Suzuki und seine gleichnamige Stiftung sind durch die Aufsehen erregende „If YOU were Prime Minister Tour“ ein Begriff. 1997 reiste der Kanadier mit einem Wohnmobil durch sein Land. Es war keine Tour, um ein Buch vorzustellen, auch keine Publicity Tour, sondern eine Reise um mit den Menschen über die Zukunft des Landes, dessen zukünftige Generationen und die Umwelt zu sprechen. Für David Suzuki besteht zwischen den Politikern, also den gewählten Volksvertretern und den Menschen im Land, eine nicht hinnehmbare Kluft. Für die Kanadier war zu diesem Zeitpunkt Umwelt und Klimaerwärmung das wichtigste Thema überhaupt. Die Politiker handelten das brandheiße Thema ab wie eine Schaufensterdeko, schnell eine Kulisse hochgezogen, damit alle erfreut sind und rasch weiter zum nächsten Thema, immer in der Hoffnung, dass dieses „Umwelt-Ding“ schnell vorüber ist und man es ignorieren und sich wieder den Wünschen der Industrie zuwenden kann. David Suzuki steuerte gegen, indem er den Kanadiern eine Stimme gab und auf seiner Tour Menschen im ganzen Land vor laufender Videokamera zur Sprache bringen ließ, was sie von ihrem Premierminister erwarten und was dieser für das Land tun soll. Genau das passiert im Moment auch durch die Occupy Bewegung, Menschen in vielen Ländern ergreifen das Mikrophon und teilen z.B. über Lifestreams der Welt mit, was sie für wichtig halten und was sich ändern muss, damit alle eine bessere Zukunft erfahren können.

Interview Marc Coppola/David Suzuki:

Marc Coppola: Wir wundern uns ein wenig, was Sie hierher gebracht hat?

David Suzuki: Nun, Neugier, wie viele andere Leute hier auch. Große Frage für mich, ist das wirklich eine Bewegung? Ist das unser kleiner arabischer Augenblick, wenn die Leute sich erheben und sagen, wir müssen uns unser Land zurück nehmen, die Demokratie zurück holen, die wir nach meiner Ansicht im Moment gar nicht haben, aufhören der Agenda der Unternehmen zu dienen. Es sieht so aus, also ob einzig Geld bestimmt, welche Prioritäten wir derzeit haben. Und Geld, die Ökonomie ist sicher nur ein Mittel für etwas anderes. Die Ökonomie für sich selbst ist nichts. Wir benutzen die Ökonomie für etwas anderes. Möchten wir Gerechtigkeit, größere Teilhabe, wollen wir Umweltschutz, das sind die Dinge, die mich interessieren und wenn das Teil dieser Bewegung ist, dann ist das ein sehr aufregender Augenblick.

Coppola: Sehen Sie hier auch, wie die Medien sagen würden, radikalere Bewegungen, denken Sie das in jeder Bewegung…

Suzuki: Das weiß ich nicht, ich habe nicht alles mitbekommen, was hier los ist!

Coppola: Also z.B. wenn sie mal dort hinüber schauen, … ist das nicht die „V wie Vendetta“ Maske an der Queen’s Statue? Hier gibt es viele solche Sachen.

Suzuki: Ja nun, ich kann nichts dazu sagen, ich weiß nicht mal, was das überhaupt ist. Doch was mich so begeistert ist, alle diese jungen Leute hier zu sehen, denn hier geht es um die Zukunft für diese jungen Leute, und diese hat man jetzt für die Agenda der Unternehmen geopfert, und es freut mich, Menschen zu sehen die sagen, wir werden uns das zurück holen! Nehmen wir uns das Land zurück!

Coppola: … was meinen Sie genau mit „uns das Land zurück holen“?

Suzuki: Ich meine, es ist ihre Zukunft, es ist ihr Alles und ich denke sie sind dabei, an ihre Eltern und Großeltern Forderungen zu stellen. Sie sagen, seht, ja seht, wohin Ihr uns gebracht habt. Wie wäre es nun einmal Bilanz zu ziehen und wie wäre es, an uns zu denken und wie es weiter geht. Denn wir sind uns sicher, wir sind nicht auf einem sehr guten Weg.

Coppola: Und in den USA gibt es, ich denke an die Wall Street, eine Art symbolischen Brennpunkt, denken Sie, dass wir in Kanada ebenfalls einen Brennpunkt wie die Wall Street haben?

Suzuki: Nun, ich vermute, in Toronto wäre es die Bay Street, ich weiß nicht, wo es in Montreal ist. Doch ich denke, es wird überall im ganzen Land um das Gleiche gehen. Und das ist folgendes, wir werden zurzeit von etwas regiert, bei dem es sich um die Bedürfnisse der Firmen zu handeln scheint. Die Firmen kommen vor der Öffentlichkeit, und das ist einfach nicht tolerierbar. Das kann nicht weitergehen! Wozu sind Firmen da? Sie existieren wirklich nur aus einem Grund und nur aus diesen! Sie können Dinge tun, die wir brauchen, die wirklich nützlich sind. Doch der einzige Grund, warum sie existieren, ist Geld zu machen und je schneller sie Geld machen, umso besser ist es. Und das ist nicht gerade eine akzeptable Art, die Welt an Laufen zu halten! Was ist mit den Menschen? Was ist mit der Zukunft und den Jobs für junge Leute? Wo sind die Möglichkeiten für die jungen Leute? Das ist mit absoluter Sicherheit wichtiger als der Wunsch, einfach nur Geld zu machen.

Coppola: Ich habe ja neulich mit dem Präsidenten der Studentenvereinigung der Universität Toronto, vor ein paar Monaten, gesprochen und der hat mir erklärt, es gibt dort eine Menge Firmen, die Zeit und Geld aufwenden, um neue Rekrutierungs-Stützpunkte und ähnliches aufzubauen, im Prinzip, um zu versuchen, Studenten für die Arbeit in den Firmen zu interessieren.

Suzuki: Aber natürlich, das ist es, wozu Universitäten geworden sind. Universitäten sehen sich selbst als Produktionsstätten für Leute, die raus gehen und die Ökonomie unterstützen, die für die Firmen arbeiten. Universitäten, das waren einst Orte wo Leute hin gingen, um Ideen zu erforschen, das Äußerste, was der menschliche Geist denken kann, sehr radikale Orte, sehr erschreckend für die Gesellschaft. Doch das war das Spannende. Was machen wir nun? Wir laden Firmen ein, wir wollten, dass Firmen Teil von dem sind, was unsere Wissenschaftler und Akademiker alle tun. Das ist glaube ich ein großer Ausverkauf. Warum sollten Universitäten also nicht denken, dass sie Studenten produzieren, die hinaus gehen und der Agenda der Firmen dienen.

Coppola: Denken Sie, die Firmen bringen dieses hoch kompetitive Modell aus der Unternehmenswelt an die Universität, in das Leben der Studenten?

Suzuki: Ich weiß es nicht, wissen Sie, was die machen? – Doch ich sehe auf meinem Gebiet der Genetik, wie die Medizin-Industrie anfängt, die Regie zu übernehmen. Was eine Community war, die frei kommunizierte und Ideen austauschte, ist sehr geheimniskrämerisch geworden, da ja die Möglichkeit bestehen könnte, diese Ideen zu patentieren, und das ist für mich keine freie offene Institution mehr.

Coppola: Noch irgendeinen Gedanken zum Abschluss… ?

Suzuki: Das ist aber ein sehr langes Interview!

Coppola [zu den Anwesenden]: OK, noch was, haben Sie irgendeine Frage?

Anwesender: Gibt es irgendeinen Vorschlag, den Sie für die Zuhörer haben, für die Leute die dies sehen, die Leute, die dies gleich hören werden? Keine Vorschläge, die Sie für die jungen Leute haben, konkrete Vorschläge, die die Leute umsetzen können, damit die Leute aktiv werden können?

Suzuki: Neijein – ja! Ich denke, dass sie ihren Körper bewegen müssen, dabei bleiben und fordern, dass wir mehr Demokratie brauchen. Und was die jungen Leute betrifft, lasst Euch nicht von den Wahlen irre machen. Sie scheren sich nicht um die Wahlen, weil sie wissen, die Agenda, welche sie von all diesen Politikern hören, hat nichts mit ihnen zu tun, es geht um die Agenda der Firmen. Deshalb müssen sie alle hierher zurückkommen und die Demokratie zurückfordern und das heißt, sie müssen ihren Körper aus dem Haus bekommen und sie müssen anfangen zu wählen und in dem Prozess aktiv werden. Derzeit haben wir keine Demokratie. Sie müssen sie zurück holen. Sie müssen diese obszöne Differenz zur Sprache bringen… wo ein Prozent der Bevölkerung, die absahnen, die riesig viel Geld verdienen, Steuern und jegliche Art von Verantwortung für die Schaffung von Jobs vermeiden wollen. Um diese Prioritäten muss es wieder gehen, sonst ist es nicht akzeptabel!

© Marc Coppola 2011

Danke an Marc, dass wir dieses Interview übersetzen und publizieren durften.

Marc Coppola hat dieses Interview am 15.10.2011 mit David Suzuki in Montreal geführt und u.a. auf seiner Seite „Why? Simply Because“ veröffentlicht. Es ist auch über YouTube abrufbar.

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

Die gestellten Fragen konnten aufgrund technischer Probleme leider nicht immer im genauen Wortlaut transkribiert und übersetzt werden.

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Kinder auf dem Land bekommen doppelte Ladung Pestizide ab

Kinder in ländlichen Regionen erhalten eine „doppelten Dosis“ des Pestizids Chlorpyrifos aus der Nahrung und durch die Drift von benachbarten Feldern

Während Schüler im ganzen Land beginnen, sich im neuen Schuljahr zurechtzufinden, fordern Mediziner und Angehörige aus Gesundheitsberufen von der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA das Verbot des neurotoxischen Pestizids Chlorpyrifos. Das Pestizid wird in den USA und auch in Deutschland flächendeckend im Agrarbereich eingesetzt. Im häuslichen Bereich ist das Pestizid in den USA seit rund zehn Jahren verboten. (Anm. d. Übersetzers: In Deutschland gibt es keine Reglementierung.)

Über zwei Dutzend Angehörige aus Gesundheitsberufen schickten am 6. Oktober 2011 der EPA einen Brief mit den neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, in denen die gesundheitlichen Auswirkungen von Chlorpyrifos, darunter Verringerung des IQs und erhöhtes Risiko für ADHS und Lernstörungen bei Kindern, aufgeführt werden.

„Die EPA sollte die Wissenschaft zur Kenntnis nehmen und dieses Gehirngift vollständig vom Markt nehmen“, sagte Dr. David Carpenter, MD, Direktor des Instituts für Gesundheit & Umwelt, University Albany. „Chlorpyrifos ist eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern und gehört nicht in unsere Häuser, auf unsere Bauernhöfe, oder auf unsere Cafeteria-Tabletts.“

Die jüngsten Studien zeigen, dass Exposition gegenüber Chlorpyrifos im Mutterleib und in der frühen Kindheit, sowie während der kritischen Entwicklungs- „Fenster“, sich dauerhaft auf das Gehirn auswirken kann. Die Forscher sagen aktuell, dass rund 25% aller US-Kinder einige IQs Punkte niedriger liegen als normal, wegen des Verzehrs von Lebensmitteln, das mit Chlorpyrifos und ähnlichen Pestiziden behandelt wurde.

„Obst und Gemüse sind wichtig für die Gesundheit von Kindern, aber es sollte nicht mit Chlorpyrifos angebaut werden“, sagte Ted Schettler, MD, MPH, wissenschaftlicher Direktor des Science and Environmental Health Network, einer der Unterzeichner des Briefes an die EPA. „Kinder in ländlichen Gemeinden bekommen eine doppelte Dosis des Gehirngiftes ab. Sie sind Chlorpyrifos durch benachbarte Feldern ausgesetzt, und wieder, wenn das Pestizid auf ihrem Essen ist. “

In den USA wurde der Einsatz von Chlorpyrifos in Häusern vor über zehn Jahren wegen seiner möglichen Schädlichkeit für Kinder verboten. Aber über zehn Millionen Pound Chlorpyrifos werden immer noch auf landwirtschaftlichen Feldern jedes Jahr benutzt. Air Monitoring, Human Biomonitoring und Vergiftungsdaten bestätigen die umfangreiche Exposition der Menschen gegenüber Chlorpyrifos aufgrund der weiteren Verwendung in der Landwirtschaft. Nach Angaben der Centers for Disease Control trägt die überwiegende Mehrheit von uns Abbauprodukte des chemischen Stoffs in unserem Körper – darunter auch Kinder.

Kinder, die in landwirtschaftlichen Regionen leben, sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Neben der Exposition aus der Nahrung, atmen sie auch Partikel ein, die durch Abdrift von nahe gelegenen Bauernhöfen in ihre Klassenzimmern und Häuser gelangen. Bauernkinder sind Chlorpyrifos in noch größerem Umfang ausgesetzt, weil ihre Eltern manchmal Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln am Ende des Tages nach Hause bringen, die an ihrer Kleidung und ihren Schuhen haften.

„Chlorpyrifos-Drift ist eine ernsthafte Bedrohungen für Gemeinden wie meine“, sagte Luis Medellin von der lokalen Organisation „El Quinto Sol de America“. Luis wuchs im kalifornischen San Joaquin Valley auf, in Häusern die direkt neben Bauernhöfen lagen, die Chlorpyrifos benutzten. „Die zugrundeliegende Realität zeigen, dass dieses Gehirngift nicht risikolos genutzt werden kann und deshalb auf den Feldern nicht verwendet werden sollte.“

Im Alter von 17 Jahren begann Luis mittels des „Drift-Catchers“ von PAN, dem Pestizid Aktions-Netzwerks, die chemische Drift aus den benachbarten Zitrus-Plantagen zu erfassen. Es wurde festgestellt, dass die Mehrzahl der Proben Chlorpyrifos enthielt. Anwohner sammelten ebenfalls ihren Urin, um ihn auf Chlorpyrifos zu testen und alle, außer einem, hatten Werte, die über dem lagen, was EPA für „akzeptabel“ hält.

In ihrem Brief an EPA fordern die Gesundheitsexperten, dass die EPA alle Verwendungen von Chlorpyrifos verbietet. In ihrem Schreiben steht:

„Wir fordern die EPA auf jetzt zu handeln aufgrund der Evidenz der wissenschaftlichen Beweise, dass Chlorpyrifos der Gesundheit von Kindern und Föten schadet. Es ist an der Zeit, dass die EPA Maßnahmen ergreift, um die öffentliche Gesundheit zu schützen und für ein gesundes Erbe für unsere Kinder und für zukünftige Generationen sorgt. Wir appellieren an die EPA, um alle Anwendungen des Pestizids Chlorpyrifos zu stoppen.

Andere Briefe mit einer ähnlichen Betreff wurden der EPA von Gesundheits- und Umweltorganisationen aus ganz Amerika übersandt, darunter eine Petition, die von mehr als 6.000 besorgten Bürgern aus dem ganzen Land unterzeichnet war.

Autor: PAN, Toxic Brain Chemical Must Be Banned: Health Professionals Demand EPA Take Action, October 5, 2011

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

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Fukushima: Freisetzung von radioaktivem Xenon und Cäsium

Studie schätzt Freisetzung von radioaktivem Xenon-133 und Cäsium-137 im Fukushima ab

Das Open Access Journal „Atmospheric Chemistry and Physics“ veröffentlichte Oktober 2011 eine Studie welche versucht, die beim SuperGAU in Fukushima freigesetzte Menge an Radioaktivität für zwei Radionuklide rechnerisch zu bestimmen. Sie wurde als Diskussionspapier veröffentlicht, harrt also noch einer Prüfung (review) durch andere Wissenschaftler (peers), die nicht an ihr beteiligt waren.

Wir veröffentlichen das übersetzte Abstract dieser Studie und haben es zur besseren Lesbarkeit umformatiert. Das Diskussionspapier kann frei (open access) von Atmospheric Chemistry and Physics herunter geladen werden.

Freisetzung von Xenon-133 und Cäsium-137 aus der atomaren Energieerzeugungsanlage Fukushima Dai-ichi: Bestimmung von Quellterm [Menge und Art], atmosphärische Verteilung und Ablagerung

von A. Stohl et al.

Am 11. März 2011 ereignete sich etwa 130 Kilometer vor der pazifischen Küste von Japans Hauptinsel Honshu ein Erdbeben, dem ein heftiger Tsunami folgte. Der dadurch verursachte Stromausfall in der Atomkraftanlage Fukushima Dai-ichi (FD-NPP) führte zu einer Katastrophe, welche die Freisetzung von großen Mengen Radioaktivität in die Atmosphäre zur Folge hatte. In dieser Studie bestimmen wir die Emission von zwei Isotopen, dem Edelgas Xenon-133 (133Xe) und dem aerosolgebundenen Cäsium-137 (137Cs), die sehr verschiedene Charakteristiken bei der Freisetzung, aber auch in ihrem Verhalten in der Atmosphäre, aufweisen.

Um die Emissionen von Radionukliden als eine Funktion von Wert und Zeit bis zum 20. April zu bestimmen, stellten wir eine erste Schätzung an, die auf Brennstoff-Inventarien und dokumentierten Unfall-Ereignissen vor Ort beruhte. Diese erste Abschätzung wurde danach durch inversive Modellierung [Rückschlüsse aus bekannten korrelierenden Daten] verbessert, welche diese erste Schätzung mit den Ergebnissen eines atmosphärischen Transport-Modells, FLEXPART und den Messdaten mehrerer Dutzend Stationen in Japan, Nordamerika und anderen Regionen kombinierte. Wir verwendeten sowohl gemessene atmosphärische Aktivitäts-Konzentrationen, als auch für 137Cs Messungen des gesamten Fallouts.

Was 133Xe angeht, stellen wir eine gesamte Freisetzung von 16,7 (Ungenauigkeitsbereich 13,4–20,0) EBq [Exa/Trillion = 10^18 Becquerel] fest, was historisch gesehen die größte Freisetzung von radioaktivem Edelgas bedeutet, die nicht in Zusammenhang mit Atombombentests steht. Es spricht sehr vieles dafür, dass die erste große Freisetzung von 133Xe sehr früh stattfand, möglicherweise unmittelbar nach dem Erdbeben und der Notabschaltung am 11. März um 06:00 Uhr UTC [Weltzeit]. Das gesamte Edelgas-Inventar der Reaktoreinheiten 1-3 wurde zwischen dem 11. und 15. März 2011 in die Atmosphäre frei gesetzt.

Für 137Cs ergaben die Ergebnisse der Modellierung eine Gesamtemission von 35,5 (23,3–50,1) PBq [Peta/Billiarde = 10^15 Becquerel] oder etwa 42% der geschätzten Freisetzung von Chernobyl. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die 137Cs-Emissionen am 14.-15. März ihren Höchstwert hatten, dass sie aber insgesamt von 12. bis zum 19 März hoch waren, bis sie plötzlich um Größenordnungen abnahmen, genau als man damit anfing, das Lagerbecken für Brennelemente von Einheit 4 mit Wasser zu besprengen. Dies zeigt, dass die Emissionen nicht nur aus den beschädigten Reaktorkernen, sondern auch aus dem Lagerbecken von Einheit 4 kamen und bestätigt, dass das Besprengen eine wirksame Gegenmaßnahme war.

Wir untersuchen auch die wichtigsten Verteilungs- und Niederschlagsmuster der radioaktiven Wolke, sowohl regional für Japan, aber auch für die gesamte nördliche Hemisphäre. Während es auf dem ersten Blick günstig aussah, dass die meiste Zeit westliche Winde vorherrschten, als sich der Unfall ereignete, ergibt sich aus unserer detaillierten Analyse ein anderes Bild. Genau während und nach der Periode der stärksten 137Cs Emissionen am 14. und 15. März und auch wie nach einer anderen Periode mit starken Emission am 19. März, advehierte die radioaktive Wolke zur östlichen Honshu Insel, wo der Fallout eine große Fraktion von 137Cs auf der Oberfläche des Landes ablegte.

Die Wolke verteilte sich auch sehr schnell über der gesamten nördlichen Hemisphäre, wo sie als erstes am 15. März Nordamerika und am 22. März Europa erreichte. Allgemein passten simulierte und beobachtete Konzentrationen von 133Xe und 137Cs sowohl in Japan als auch an entfernten Orten gut zusammen. Insgesamt schätzen wir, dass 6,4 TBq [Tera/Billion = 10^12 Becquerel] 137Cs oder 19% des gesamten Fallouts bis zum 20. April über dem japanischen Festland nieder gingen, währen der Rest größtenteils über dem nordpazifischen Ozean herunter kam. Lediglich 0,7 TBq oder 2% des gesamten Fallouts gingen über anderem Festland als Japan nieder. 1)

Was bedeutet diese Studie?

Als erstes sollte man nicht viel auf die veröffentlichten Zahlen dieser Studie geben, solange sie noch nicht peer reviewed ist. Ein wenig erstaunt hat mich, dass im Zeitalter von Internet und sozialen Medien die Autoren das Projekt Safecast nicht kennen, dem man z.B. auf Twitter bequem folgen kann und das nicht mal das einzige seiner Art ist.

Auf Seite 41 des Papieres beklagen Sie:

„Obgleich wir Messdaten aus einer Vielzahl von Quellen gesammelt haben, ist fast keine von ihnen öffentlich zugänglich und es gibt wahrscheinlich mehr brauchbare Datensätze, die uns nicht zugänglich waren. Institutionen, die relevante Messdaten produziert haben, sollten diese frei zugänglich machen. Es sollte eine zentrale Datenablage eingerichtet werden, wo diese Daten vorgehalten, überprüft, in ein gängiges Datenformat konvertiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Dies würde beachtliche Verbesserungen der zukünftigen Quellterme erlauben.“

Safecast wurde als crowd sourced (massengestützte) Initiative gegründet, um nicht auf die nur spärlich geflossen Informationen von TEPCO und den japanischen Behörden angewiesen zu sein. Selbst wenn die Wissenschaftler dieser Mob-Initiative misstrauen, die derzeit auf über eine Million „Mess-Stationen“ zurückgreifen kann und zu diesen Zweck Strahlenmessgeräte unters Volk gebracht hat, hätten die doch deren Daten auf Plausibilität prüfen können, sofern die angewendete Methodik wirklich was taugt. (2)

Dass nur zwei Radionukleide untersucht worden sind, verleiht dieser Studie keine große Aussagekraft und die insgesamt freigesetzte Radioaktivitätsmenge und über das Ausmaß des Schadens. Sie kann aber als Modell oder Impuls für andere ausführlichere Studien dienen. Vielleicht wurde gezeigt, daß solche Studien machbar und dass Computermodelle brauchbar sind.

Bei den untersuchten Radionukliden handelt es sich nicht einmal um die langlebigsten. Xenon-133, das vom Körper kaum aufgenommen wird, hat eine Halbwertszeit von 5,25 Tagen und für Cäsium-137 beträgt diese immerhin über 30 Jahre, was aber abgesehen von der biologischen Schädlichkeit noch das kleinere Übel wäre, wenn man z.B. an Plutonium-239 mit einer Halbwertszeit von über 24 Tausend Jahren und an dessen Giftigkeit denkt.

Die allein durch diese beiden Nuklide frei gesetzte Strahlungsmenge ist jedoch erschreckend, wobei sich mir bei Cäsium-137 ein Verständnisproblem auftut. Es wurden insgesamt s.o. 35,5 PBq freigesetzt. Doch am Ende des Abstracts (und auch in den Conclusions, S. 41) wird gesagt, daß über Japan bis zum 20. April 19% bzw. 6,4 TBq und über anderen Gebieten 2% bzw. 0.7 TBq niedergingen. Rechne ich diese 21% bzw. 7.1 TBq auf 100% hoch, sind dies ca. 33,8 TBq oder nicht ganz 10% der insgesamt freigesetzten Menge von 35,5 PBq.

Heißt dies, dass 90% des Cäsium-137 über dem nordpazifischen  Ozean verteilt wurde? – Dann hätte man besser die Meeresbelastung durch diesen Unfall untersuchen sollen. Durch das zur Kühlung eingesetzte Meerwasser ist in den ersten Tagen sicher einiges in die Ozean entsorgt worden. War diese „Notkühlung“ womöglich nicht nur ein Notbehelf, sondern bewusstes Kalkül bei der Planung der Anlage?

Besonders danken muss man den Autoren für die Darstellung des Unglücksverlaufs anhand ihrer Erkenntnisse (Anhang S. 42 ff).

Diese Passage haben wir wieder übersetzt:

A1 Block 1

Am 11. März, um 14:00 Uhr UTC (kaum 8 Stunden nach dem Stromausfall in der Anlage) wurde in der Turbinenhalle erhöhte Strahlung beobachtet, was darauf hindeutet, dass zumindest Edelgase anfingen, in die Umwelt zu entweichen. Gleichzeitig baute sich im Reaktorgebäude Druck auf und die Druckausgleichsventile sollen am 12. März zwischen 00:15 und 01:17 Uhr geöffnet gewesen sein, wahrscheinlich um große Mengen abzulassen. Nach den Berichten war die Entgasungsaktion am 12. März um 05:30 Uhr abgeschlossen. Wir nehmen an, dass bis dahin ein großer Teil der Freisetzungen stattgefunden hat. Um 06:36 ereignete sich in Block 1 die Wasserstoffexplosion (welche die erste war), offenbar weil während der Entgasung Wasserstoff in zahlreiche Gebäudeteile eindrang oder aufgrund von Lecks. Der Druck im Reaktorgebäude sank um 09:00 Uhr ab, deshalb wir vermuten, dass die Freisetzung zu dieser Zeit größtenteils vorüber war. Es ist davon auszugehen, dass die Emissionen in geringerem Umfang aufgrund zahlreicher Lecks weiter gehen werden und ab einem gewissen Zeitpunkt dürften sie wahrscheinlich auch von den abgebrannten Brennstäben herrühren, die nach der Explosion direkt der Umwelt ausgesetzt waren. Am 14. März wurde von einem zweiten Maximum des Drucks berichtet, was möglicherweise auf einen zweiten, niedrigeren Höchstwert der Emissionen hindeutet.

A2 Block 2

Block 2 ist von neuerer Bauart als Block 1 und konnte den Stromausfall ein wenig länger überstehen. Die erste Entgasung fand laut Berichten für diesen Block am 13. März um 02:00 Uhr UTC mit ungewissem Erfolg statt, und die erste bestätigte Zeit, zu der die Ausgleichsventile geöffnet wurden, ist 09:00 Uhr UTC am 14. März. Strahlungsmessungen in Nass- und Trockenbrunnen (Reaktorsegmente unter dem Druckkessel, innerhalb des Reaktorgebäudes) schossen eine Stunde später in die Höhe, was wohl eine Kernschmelze bedeutet, und auch MELCOR-Berechnungen [Computersimulation für Unfälle von Atomkraftwerken] ergeben für diesen Zeitpunkt das Schmelzen der Brennstäbe und auch die Freisetzung von Edelgasen spricht dafür. Demnach denken wir, dass zu dieser Zeit die Edelgase mehr oder weniger vollständig abgelassen worden waren. Um 15:00 Uhr UTC wurde eine weitere Entgasung des Trockenbereiches durchgeführt und eine Wasserstoffexplosion hat wahrscheinlich den wasserführenden Bereich um 21:14 Uhr beschädigt. Man kann von großen Freisetzungen ausgehen. Am 15. März um 21:00 Uhr UTC, herrschte in Trocken- und Nassbrunnen Außendruck, was auf das Fehlen jeglicher wirksamer Barrieren hinweist. Zu dieser Zeit dürfte die gesamte Freisetzung stattgefunden haben, doch ähnlich wie bei Block 1 kann die Freisetzung mit niedrigeren Werten weiter gehen. Zwischen dem 26. März und dem 19. April wurde von einem sekundären Temperaturanstieg im RPV [reactor pressure vessel/Reaktor-Druckbehälter] berichtet, der möglicherweise mit etwas erhöhten Freisetzungen verbunden war.

A3 Block 3

Die erste Entgasungsaktion im Nassbrunnen von Block 3 wurde entsprechend den Berichten am 11. März um 23:41 Uhr UTC durchgeführt. Dabei wurden sicher Edelgase abgelassen. Etwa 24 Stunden später, nachdem von einer Erhöhung des Drucks in der Kondensationskammer [ringförmiger Wasserbehälter unter dem Druckkessel] berichtet wurde, gab es laut Bericht eine zweite Entgasung von ca. 20 Minuten. Schließlich wurde am 13. März um 20:20 berichtet, dass die Ausgleichsventile offen wären und MELCOR [s.o.] ergab ungefähr für diese Zeit das Versagen des Reaktordruckbehälters. Sechs Stunden später, am 14. März um 02:00 Uhr UTC, ereignete sich eine sehr heftige Wasserstoffexplosion, welche den oberen Teil des Reaktorgebäudes schwer beschädigte und Trümmer verstreute. Der Report gibt das Ende der Entgasung mit 03:00 Uhr UTC an. Damit fand sicher eine große Freisetzung ihren Abschluss. Jedoch werden bis zum 20. März zahlreiche Öffnungs- und Schließarbeiten der Ventile berichtet, was sporadische Erhöhungen über den verringerten Freisetzwerten verursacht haben könnte, die ähnlich wie bei Block 1 verlaufen sollten. Schließlich wurde zwischen dem 1. und 24. April eine weitere Zunahme der Druckkessel-Temperaturen berichtet.

A4 Block 4

Wenige Informationen wurden über das Lagerbecken für abgebrannte Brennstäbe von Block 4 veröffentlicht (das aufgrund seines großen Inventars das gefährlichste war). Dessen Wassertemperatur wurde am 13. März um 19:00 Uhr UTC mit 84° C angegeben. Bei solchen Temperaturen ist eine gewisse Freisetzung von Radionukliden bereits wahrscheinlich. Am 14. März kam es um 21:00 Uhr UTC in Block 4 zu einer größren Wasserstoffexplosion. Diese könnte oder könnte auch nicht von den abgebrannten Brennstäben verursacht worden sein. Laut Berichten wurde am 19. März um 23:21 Uhr UTC damit begonnen, über dem Becken Wasser zu versprühen. Ohne weitere Informationen zu besitzen können wir für die Freisetzung lediglich einen Anteil der gleichen Größenordnung wie für die Reaktorkerne annehmen, weniger als 1% des Cäsium-Inventars, von dem man annimmt, dass es hauptsächlich zwischen der Wasserstoffexplosion und dem Besprengen mit Wasser freigesetzt worden ist.

Nach den Wasserstoffexplosionen war ich nicht der einzige, der sich fragte, ob die Lagerbecken für abgebrannte Brennstäbe in den oberen Stockwerken der Reaktorgebäude und die Druckbehälter selber, diese intakt überstanden haben. Solche Fragen wurden zu diesem Zeitpunkt in den Leistungsschutz-bewehrten Profimedien nicht gestellt und wir alle hofften, dass eine oder mehrere Kernschmelzen, die nach den obigen Schilderungen längst stattgefunden hatten und von denen die Behörden und Betreiber wissen mussten, noch zu verhindern sind. Bezeichnend ist auch, dass es zu Block 4 mit dem größten Gefahrenpotential die wenigsten Informationen gibt.

Wie perfekt TEPCO und die japanischen Behörden alles verschleiert und verharmlost haben und wie die Medien, die aus Chernobyl wohl etwas gelernt hatten, mitgespielt haben, weiß man nun also, selbst wenn die Studie von den Peers verworfen werden sollte.

Betont werden muss auch, dass es nicht der Tsunami war, sondern dass bereits das vorausgegangene Erdbeben zu Kernschmelzen geführt hat, weil der Strom für die Kühlung ausfiel. Und sind teilweise baugleiche AKWs bei uns erdbebensicher? (3)

Der Größenwahn nicht des Menschen an sich, sondern jener, die ohne Rücksicht auf Mensch und Natur ihre Geschäfte machen, glaubt, absolut alles managen zu können und jedes Risiko eingehen zu dürfen. Inzwischen gibt es darauf eine Antwort: #OWS!

Autor: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 26.10.2011

Ressourcen:

  1. Stohl, A., Seibert, P., Wotawa, G., Arnold, D., Burkhart, J. F., Eckhardt, S., Tapia, C., Vargas, A., and Yasunari, T. J.: Xenon-133 and caesium-137 releases into the atmosphere from the Fukushima Dai-ichi nuclear power plant: determination of the source term, atmospheric dispersion, and deposition, Atmos. Chem. Phys. Discuss., 11, 28319-28394, doi:10.5194/acpd-11-28319-2011, 2011. Freigegeben unter CC: by
  2. Crowdsourcing Japan’s radiation levels
  3. Fukushima-Reaktoren in unserer Nachbarschaft: Baugleiche AKWs laufen weiter

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Pestizide belasten Gewässer stärker als gedacht

Liste der zu kontrollierenden Chemikalien sollte zügig aktualisiert werden

Leipzig – Pestizide sind ein größeres Problem als lange angenommen. Das geht aus einer Studie hervor, für Daten zu 500 organischen Substanzen in den Einzugsgebieten von vier großen europäischen Flüssen ausgewertet wurden. Dabei zeigte sich, dass 38 Prozent dieser Chemikalien in Konzentrationen vorkommen, bei denen Wirkungen auf Organismen nicht auszuschließen sind. Dieses Ergebnis zeige klar, dass die Verschmutzung mit organischen Chemikalien ein europaweites Problem sei, schreiben Wissenschaftler im Fachmagazin „Science of the Total Environment“. Die meisten der Substanzen, die in der in der Studie als Risiko für die Umwelt eingestuft wurden, waren Pestizide, deren Mehrzahl sich nicht auf der europäischen Liste prioritärer Stoffe findet, welche regelmäßig überwacht werden müssen. Deshalb sei eine Überarbeitung der Chemikalienliste, die die EU-Wasserrahmenrichtlinie den nationalen Behörden zur Beobachtung vorschreibt, dringend notwendig.

Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie ist es, dass Oberflächengewässer und Grundwasserkörper bis 2015 einen guten ökologischen und chemischen Zustand erreichen sollen. Der chemische Zustand wird anhand einer Liste bewertet, auf der 33 sogenannte prioritäre Schadstoffe aufgeführt sind. Da insgesamt über 14 Millionen Chemikalien auf dem Markt sind und davon über 100 000 im industriellen Maßstab produziert werden, müssen sich die Behörden bei ihren Kontrollen auf eine überschaubare Anzahl an Schadstoffe beschränken. Europaweit arbeiten Wissenschaftler daher an Methoden, um herauszufinden, welche Stoffe das sein sollten.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistet jetzt eine Studie, die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zusammen mit Kollegen in Frankreich, der Slowakei, Belgien und Spanien erstellt haben. Dazu werteten sie eine Datenbank aus, die im Rahmen des EU-Forschungsprojektes MODELKEY entstanden ist und die fünf Millionen Einträge zu physiko-chemischen Daten enthält. Der Schwerpunkt der Arbeit lag dabei auf den organischen Schadstoffen, die bei über 750.000 Wasseranalysen in den Einzugsgebieten der Flüsse Elbe (Tschechien/Deutschland), Donau (10 Europäische Anrainerstaaten), Schelde (Belgien), und des Llobregat (Spanien) registriert wurden. Der Europäischen Kommission zufolge handelt es sich dabei um die erste Studie, die ein System entwickelt hat, das organische Schadstoffe nach Bewertungskriterien und Handlungsbedarf klassifiziert.

Eine der am häufigsten registrierten Verbindungen war Diethylhexylphthalat (DEHP), ein Weichmacher aus der Chemieproduktion, der die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann und daher ab 2015 in der EU verboten ist. Daneben folgen mit Bisphenol A (BPA) ein weiterer Weichmacher, der ebenfalls als fortpflanzungsschädigend gilt, sowie mit Diclofenac und Ibuprofen zwei Arzneistoffe, die häufig in Schmerzmitteln eingesetzt werden.

Insgesamt stuften die Wissenschaftler 73 Verbindungen als potenzielle prioritäre Schadstoffe ein. Rund zwei Drittel davon sind Pestizide, also so genannte Pflanzenschutzmittel, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, um die Kulturen vor Krankheiten, Schädlingen oder Unkräutern zu schützen. Die problematischsten Pestizide waren dabei Diazinon, das in Deutschland und Österreich bereits nicht mehr zugelassen ist, und die in Mitteleuropa erlaubten Stoffe Azoxystrobin und Terbuthylazin. „Beide Pestizide stehen nicht auf der Liste der 33 prioritären Schadstoffe, die die Behörden EU-weit kontrollieren müssen“, erklärt der UFZ-Forscher Dr. C. Peter von der Ohe. „Terbuthylazin ist strukturell sehr ähnlich den beiden prioritären Stoffen Simazin und Atrazin, die längst nicht mehr zugelassen sind. Dies ist ein Beispiel wie kleine Änderungen der chemischen Struktur zu einer scheinbaren Verbesserung des chemischen Zustands führen, ohne dass die Gefährdung für aquatische Ökosysteme tatsächlich abnimmt.“ Die Wissenschaftler halten daher die regelmäßige Überarbeitung der Liste prioritärer Stoffe für sehr wichtig. Die Mehrzahl der aktuell problematischen Stoffe ist nicht gelistet, während eine ganze Reihe der überwachten Chemikalien längst verboten und nicht mehr im Gebrauch ist. „Überrascht waren wir auch, dass Substanzen, die bisher als harmlos eingestuft wurden wie HHCB, das als synthetischer Moschus-Duftstoff in Körperpflegemitteln eingesetzt wird, in der Umwelt in bedenklichen Konzentrationen vorkommen“, ergänzt Dr. Werner Brack vom UFZ, der die Europäische Kommission in verschiedenen Gremien und Projekten bei der Überarbeitung der Schadstoffliste berät. „Aus unserer Sicht sollte bei der Weiterentwicklung der Wasserrahmenrichtlinie darauf geachtet werden, dass in Zukunft nicht nur das Vorkommen von chemischen Stoffen beobachtet wird, sondern auch deren Wirkungen registriert werden“, schlägt Brack vor.

Bei aller Kritik, dass die Wasserbehörden in Europa zurzeit den Pestiziden zu wenig Aufmerksamkeit widmen und die prioritäre Schadstoffliste überarbeitet werden sollte, zeigt die Studie nach Meinung der Wissenschaftler auch erste Erfolge der Wasserrahmenrichtlinie. Ein Drittel der von der EU vor einigen Jahren als prioritär eingestuften Schadstoffe stellen inzwischen keine Gefahr mehr für die untersuchten Flüsse dar.

Am 12./13. Oktober 2011 fand in Dresden eine Konferenz zum Integrierten Wasserressourcenmanagement (IWRM) statt. Etwa 400 Wissenschaftler und Mitarbeiter von Politik, Verwaltung, Unternehmen und der Entwicklungszusammenarbeit aus über 50 Ländern widmen sich in über 100 Vorträgen, Diskussionen und zahlreichen Posterbeiträgen der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wasser. Behandelt werden aktuelle Fragen des Wassersektors wie z.B.: Wie kann die Wasserbewirtschaftung in Zeiten des Klimawandels nachhaltig geplant werden? Welche Technologien tragen zu einer effizienten und sparsamen Nutzung von Wasser bei? Wie kann deutsches Know-how in Schwellen- und Entwicklungsländern genutzt werden? Wie kann ein flexibles und integratives Wasserressourcen-Management konzipiert werden? Die Konferenz wird vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) organisiert, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und von der International Water Association (IWA) sowie dem Global Water Systems Project (GWSP) unterstützt.

Autor: Helmholtz Gesellschaft für Umweltforschung, Pestizide belasten Gewässer stärker als gedacht, 13. Oktober 2011

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Umweltverbände setzen sich gegen Chemieindustrie durch!

Keine chemischen Holzschutzmittel mehr im Innenbereich von Gebäuden

Ab dem 4. Oktober 2011 sollten im Innenbereich von Wohnungen, Wohnhäusern und Bürogebäuden keine chemischen Holzschutzmittel mehr Anwendung finden. An diesem Tag tritt eine entscheidende Änderung der Holzschutznorm DIN 68800-1, allgemeiner Teil, in Kraft. Sie regelt den Stand der Technik zur Verwendung von Holzschutzmitteln. Durch die Übernahme der Norm in die Landesbauordnungen erhält sie de facto Gesetzescharakter.

Nach jahrelangem hartnäckigem Kampf ist es dem Normungsexperten der Umweltverbände, Karl-Jürgen Prull, gelungen, den Vorrang des baulichen Holzschutzes vor dem chemischen Holzschutz trotz heftigen Widerstandes der Bauchemie durchzusetzen. Die gesamte deutsche holzverarbeitende Wirtschaft, der Bund Deutscher Zimmermeister und die Fertighausindustrie haben diesen Paradigmenwechsel aus der Erkenntnis heraus mitgetragen, dass getrocknetes Holz, wenn es vor Feuchtigkeit und Insekten fachgerecht geschützt ist, nicht gefährdet ist.

Seit den 70er Jahren und dem nachfolgenden Xylamon-Prozess, dem größten Umweltverfahren der deutschen Justizgeschichte, kommt es immer wieder zu erheblichen Gesundheitsschäden beim Einsatz chemischer Holzschutzmittel. „Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen erst kürzlich erklären musste, über die verwendeten Mengen chemischer Holzschutzmittel in Deutschland und über die Belastung der Umwelt durch Biozide aus dem Bautenschutz keinerlei Informationen zu verfügen“, sagte DNR-Generalsekretär Helmut Röscheisen. So sei in einer zweijährigen Fütterungsstudie über die Auswirkungen eines heute noch eingesetzten Holzschutzmittels mit dem Wirkstoff Kupfer-HDO festgestellt worden, dass 80 % (!) der beim Test eingesetzten Versuchstiere einen Darmtumor erlitten.

Umso verhängnisvoller sei jetzt die Entscheidung der Bauchemie, gegen die neue Holzschutznorm von der Öffentlichkeit unbemerkt beim DIN ein Schiedsgerichtsverfahren durchzuführen. Offensichtlich solle der Absatzmarkt mit jährlich über 100 Millionen Dollar Umsatz in Westeuropa nicht kampflos preisgegeben werden. Normungsexperte Prull verwies darauf, dass Dachstühle von Wohngebäuden sich zukünftig rechtlich gesehen nicht mehr wie bisher außerhalb vom Gebäude befinden, sondern zum Innenbereich gehören. Dieser Aspekt habe eine große Bedeutung bei einem nachträglichen Ausbau zu Kinder- oder Schlafzimmern. Das Ende des chemischen Holzschutzes sei auch aus Gründen des Arbeitsschutzes für Zimmerleute wichtig. Außerdem falle zukünftig weniger Sondermüll in Form von chemisch behandelten Hölzern an.

Autor:

Deutscher Naturschutzring (DNR), Umweltverbände setzen sich gegen Chemieindustrie durch, Pressemitteilung 25/2011, 30.09.2011

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Die beliebtesten Blogs im August 2011

Fukushima ist aus den Schlagzeilen der Medien fast völlig verschwunden, obwohl die Situation im havarierten Atomkraftwerk alles andere als sicher ist. Das Interesse zum Thema Radioaktivität ist ungebrochen. In den CSN Blogcharts landete der von Chris B. geschriebener Artikel „Radioaktivität – Die Macht der Fahrlässigkeit“ auf Platz 1.

Den zweiten Platz belegte der erschütternde Bericht über ein Mädchen, dass von einem Richter aufgrund ihrer MCS in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Die Eltern bekamen Besuchsverbot auferlegt.

Den dritten Platz in den Top 10 erzielte die Meldung über den juristischen Erfolg eines Geschäftsmannes, der von einer Airline 50.000€ Schadensersatz erhielt, weil er während eines Fluges einen lebensbedrohlichen Asthmaanfall erlitt. Die Flugbegleiter hatten das Pestizid Permethrin kurz nach dem Start versprüht.

Für Statistik-Freaks:

Die CSN Webseite hatte im August 159.843 Besucher und 640.625 Seitenaufrufe.

Zum Lesen der CSN Top 10 Artikel anklicken >>>

  1. Radioaktivität: Die Macht der Fahrlässigkeit
  2. Richter schickt umweltkrankes Kind in die Psychiatrie
  3. Airline zahlt Passagier 50.000€ Schadensersatz wegen Pestiziden an Bord
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  5. Ursachen von Multiple Chemical Sensitivity
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