Archiv der Kategorie ‘Experten geben Antwort‘

Kinder auf dem Land bekommen doppelte Ladung Pestizide ab

Kinder in ländlichen Regionen erhalten eine „doppelten Dosis“ des Pestizids Chlorpyrifos aus der Nahrung und durch die Drift von benachbarten Feldern

Während Schüler im ganzen Land beginnen, sich im neuen Schuljahr zurechtzufinden, fordern Mediziner und Angehörige aus Gesundheitsberufen von der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA das Verbot des neurotoxischen Pestizids Chlorpyrifos. Das Pestizid wird in den USA und auch in Deutschland flächendeckend im Agrarbereich eingesetzt. Im häuslichen Bereich ist das Pestizid in den USA seit rund zehn Jahren verboten. (Anm. d. Übersetzers: In Deutschland gibt es keine Reglementierung.)

Über zwei Dutzend Angehörige aus Gesundheitsberufen schickten am 6. Oktober 2011 der EPA einen Brief mit den neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, in denen die gesundheitlichen Auswirkungen von Chlorpyrifos, darunter Verringerung des IQs und erhöhtes Risiko für ADHS und Lernstörungen bei Kindern, aufgeführt werden.

„Die EPA sollte die Wissenschaft zur Kenntnis nehmen und dieses Gehirngift vollständig vom Markt nehmen“, sagte Dr. David Carpenter, MD, Direktor des Instituts für Gesundheit & Umwelt, University Albany. „Chlorpyrifos ist eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern und gehört nicht in unsere Häuser, auf unsere Bauernhöfe, oder auf unsere Cafeteria-Tabletts.“

Die jüngsten Studien zeigen, dass Exposition gegenüber Chlorpyrifos im Mutterleib und in der frühen Kindheit, sowie während der kritischen Entwicklungs- „Fenster“, sich dauerhaft auf das Gehirn auswirken kann. Die Forscher sagen aktuell, dass rund 25% aller US-Kinder einige IQs Punkte niedriger liegen als normal, wegen des Verzehrs von Lebensmitteln, das mit Chlorpyrifos und ähnlichen Pestiziden behandelt wurde.

„Obst und Gemüse sind wichtig für die Gesundheit von Kindern, aber es sollte nicht mit Chlorpyrifos angebaut werden“, sagte Ted Schettler, MD, MPH, wissenschaftlicher Direktor des Science and Environmental Health Network, einer der Unterzeichner des Briefes an die EPA. „Kinder in ländlichen Gemeinden bekommen eine doppelte Dosis des Gehirngiftes ab. Sie sind Chlorpyrifos durch benachbarte Feldern ausgesetzt, und wieder, wenn das Pestizid auf ihrem Essen ist. “

In den USA wurde der Einsatz von Chlorpyrifos in Häusern vor über zehn Jahren wegen seiner möglichen Schädlichkeit für Kinder verboten. Aber über zehn Millionen Pound Chlorpyrifos werden immer noch auf landwirtschaftlichen Feldern jedes Jahr benutzt. Air Monitoring, Human Biomonitoring und Vergiftungsdaten bestätigen die umfangreiche Exposition der Menschen gegenüber Chlorpyrifos aufgrund der weiteren Verwendung in der Landwirtschaft. Nach Angaben der Centers for Disease Control trägt die überwiegende Mehrheit von uns Abbauprodukte des chemischen Stoffs in unserem Körper – darunter auch Kinder.

Kinder, die in landwirtschaftlichen Regionen leben, sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Neben der Exposition aus der Nahrung, atmen sie auch Partikel ein, die durch Abdrift von nahe gelegenen Bauernhöfen in ihre Klassenzimmern und Häuser gelangen. Bauernkinder sind Chlorpyrifos in noch größerem Umfang ausgesetzt, weil ihre Eltern manchmal Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln am Ende des Tages nach Hause bringen, die an ihrer Kleidung und ihren Schuhen haften.

„Chlorpyrifos-Drift ist eine ernsthafte Bedrohungen für Gemeinden wie meine“, sagte Luis Medellin von der lokalen Organisation „El Quinto Sol de America“. Luis wuchs im kalifornischen San Joaquin Valley auf, in Häusern die direkt neben Bauernhöfen lagen, die Chlorpyrifos benutzten. „Die zugrundeliegende Realität zeigen, dass dieses Gehirngift nicht risikolos genutzt werden kann und deshalb auf den Feldern nicht verwendet werden sollte.“

Im Alter von 17 Jahren begann Luis mittels des „Drift-Catchers“ von PAN, dem Pestizid Aktions-Netzwerks, die chemische Drift aus den benachbarten Zitrus-Plantagen zu erfassen. Es wurde festgestellt, dass die Mehrzahl der Proben Chlorpyrifos enthielt. Anwohner sammelten ebenfalls ihren Urin, um ihn auf Chlorpyrifos zu testen und alle, außer einem, hatten Werte, die über dem lagen, was EPA für „akzeptabel“ hält.

In ihrem Brief an EPA fordern die Gesundheitsexperten, dass die EPA alle Verwendungen von Chlorpyrifos verbietet. In ihrem Schreiben steht:

„Wir fordern die EPA auf jetzt zu handeln aufgrund der Evidenz der wissenschaftlichen Beweise, dass Chlorpyrifos der Gesundheit von Kindern und Föten schadet. Es ist an der Zeit, dass die EPA Maßnahmen ergreift, um die öffentliche Gesundheit zu schützen und für ein gesundes Erbe für unsere Kinder und für zukünftige Generationen sorgt. Wir appellieren an die EPA, um alle Anwendungen des Pestizids Chlorpyrifos zu stoppen.

Andere Briefe mit einer ähnlichen Betreff wurden der EPA von Gesundheits- und Umweltorganisationen aus ganz Amerika übersandt, darunter eine Petition, die von mehr als 6.000 besorgten Bürgern aus dem ganzen Land unterzeichnet war.

Autor: PAN, Toxic Brain Chemical Must Be Banned: Health Professionals Demand EPA Take Action, October 5, 2011

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

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Pestizide belasten Gewässer stärker als gedacht

Liste der zu kontrollierenden Chemikalien sollte zügig aktualisiert werden

Leipzig – Pestizide sind ein größeres Problem als lange angenommen. Das geht aus einer Studie hervor, für Daten zu 500 organischen Substanzen in den Einzugsgebieten von vier großen europäischen Flüssen ausgewertet wurden. Dabei zeigte sich, dass 38 Prozent dieser Chemikalien in Konzentrationen vorkommen, bei denen Wirkungen auf Organismen nicht auszuschließen sind. Dieses Ergebnis zeige klar, dass die Verschmutzung mit organischen Chemikalien ein europaweites Problem sei, schreiben Wissenschaftler im Fachmagazin „Science of the Total Environment“. Die meisten der Substanzen, die in der in der Studie als Risiko für die Umwelt eingestuft wurden, waren Pestizide, deren Mehrzahl sich nicht auf der europäischen Liste prioritärer Stoffe findet, welche regelmäßig überwacht werden müssen. Deshalb sei eine Überarbeitung der Chemikalienliste, die die EU-Wasserrahmenrichtlinie den nationalen Behörden zur Beobachtung vorschreibt, dringend notwendig.

Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie ist es, dass Oberflächengewässer und Grundwasserkörper bis 2015 einen guten ökologischen und chemischen Zustand erreichen sollen. Der chemische Zustand wird anhand einer Liste bewertet, auf der 33 sogenannte prioritäre Schadstoffe aufgeführt sind. Da insgesamt über 14 Millionen Chemikalien auf dem Markt sind und davon über 100 000 im industriellen Maßstab produziert werden, müssen sich die Behörden bei ihren Kontrollen auf eine überschaubare Anzahl an Schadstoffe beschränken. Europaweit arbeiten Wissenschaftler daher an Methoden, um herauszufinden, welche Stoffe das sein sollten.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistet jetzt eine Studie, die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zusammen mit Kollegen in Frankreich, der Slowakei, Belgien und Spanien erstellt haben. Dazu werteten sie eine Datenbank aus, die im Rahmen des EU-Forschungsprojektes MODELKEY entstanden ist und die fünf Millionen Einträge zu physiko-chemischen Daten enthält. Der Schwerpunkt der Arbeit lag dabei auf den organischen Schadstoffen, die bei über 750.000 Wasseranalysen in den Einzugsgebieten der Flüsse Elbe (Tschechien/Deutschland), Donau (10 Europäische Anrainerstaaten), Schelde (Belgien), und des Llobregat (Spanien) registriert wurden. Der Europäischen Kommission zufolge handelt es sich dabei um die erste Studie, die ein System entwickelt hat, das organische Schadstoffe nach Bewertungskriterien und Handlungsbedarf klassifiziert.

Eine der am häufigsten registrierten Verbindungen war Diethylhexylphthalat (DEHP), ein Weichmacher aus der Chemieproduktion, der die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann und daher ab 2015 in der EU verboten ist. Daneben folgen mit Bisphenol A (BPA) ein weiterer Weichmacher, der ebenfalls als fortpflanzungsschädigend gilt, sowie mit Diclofenac und Ibuprofen zwei Arzneistoffe, die häufig in Schmerzmitteln eingesetzt werden.

Insgesamt stuften die Wissenschaftler 73 Verbindungen als potenzielle prioritäre Schadstoffe ein. Rund zwei Drittel davon sind Pestizide, also so genannte Pflanzenschutzmittel, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, um die Kulturen vor Krankheiten, Schädlingen oder Unkräutern zu schützen. Die problematischsten Pestizide waren dabei Diazinon, das in Deutschland und Österreich bereits nicht mehr zugelassen ist, und die in Mitteleuropa erlaubten Stoffe Azoxystrobin und Terbuthylazin. „Beide Pestizide stehen nicht auf der Liste der 33 prioritären Schadstoffe, die die Behörden EU-weit kontrollieren müssen“, erklärt der UFZ-Forscher Dr. C. Peter von der Ohe. „Terbuthylazin ist strukturell sehr ähnlich den beiden prioritären Stoffen Simazin und Atrazin, die längst nicht mehr zugelassen sind. Dies ist ein Beispiel wie kleine Änderungen der chemischen Struktur zu einer scheinbaren Verbesserung des chemischen Zustands führen, ohne dass die Gefährdung für aquatische Ökosysteme tatsächlich abnimmt.“ Die Wissenschaftler halten daher die regelmäßige Überarbeitung der Liste prioritärer Stoffe für sehr wichtig. Die Mehrzahl der aktuell problematischen Stoffe ist nicht gelistet, während eine ganze Reihe der überwachten Chemikalien längst verboten und nicht mehr im Gebrauch ist. „Überrascht waren wir auch, dass Substanzen, die bisher als harmlos eingestuft wurden wie HHCB, das als synthetischer Moschus-Duftstoff in Körperpflegemitteln eingesetzt wird, in der Umwelt in bedenklichen Konzentrationen vorkommen“, ergänzt Dr. Werner Brack vom UFZ, der die Europäische Kommission in verschiedenen Gremien und Projekten bei der Überarbeitung der Schadstoffliste berät. „Aus unserer Sicht sollte bei der Weiterentwicklung der Wasserrahmenrichtlinie darauf geachtet werden, dass in Zukunft nicht nur das Vorkommen von chemischen Stoffen beobachtet wird, sondern auch deren Wirkungen registriert werden“, schlägt Brack vor.

Bei aller Kritik, dass die Wasserbehörden in Europa zurzeit den Pestiziden zu wenig Aufmerksamkeit widmen und die prioritäre Schadstoffliste überarbeitet werden sollte, zeigt die Studie nach Meinung der Wissenschaftler auch erste Erfolge der Wasserrahmenrichtlinie. Ein Drittel der von der EU vor einigen Jahren als prioritär eingestuften Schadstoffe stellen inzwischen keine Gefahr mehr für die untersuchten Flüsse dar.

Am 12./13. Oktober 2011 fand in Dresden eine Konferenz zum Integrierten Wasserressourcenmanagement (IWRM) statt. Etwa 400 Wissenschaftler und Mitarbeiter von Politik, Verwaltung, Unternehmen und der Entwicklungszusammenarbeit aus über 50 Ländern widmen sich in über 100 Vorträgen, Diskussionen und zahlreichen Posterbeiträgen der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wasser. Behandelt werden aktuelle Fragen des Wassersektors wie z.B.: Wie kann die Wasserbewirtschaftung in Zeiten des Klimawandels nachhaltig geplant werden? Welche Technologien tragen zu einer effizienten und sparsamen Nutzung von Wasser bei? Wie kann deutsches Know-how in Schwellen- und Entwicklungsländern genutzt werden? Wie kann ein flexibles und integratives Wasserressourcen-Management konzipiert werden? Die Konferenz wird vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) organisiert, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und von der International Water Association (IWA) sowie dem Global Water Systems Project (GWSP) unterstützt.

Autor: Helmholtz Gesellschaft für Umweltforschung, Pestizide belasten Gewässer stärker als gedacht, 13. Oktober 2011

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Eine Ikone der Umweltmedizin zu Besuch in Deutschland

Beweise für die Ursachen von Umweltkrankheiten sind schon lange bekannt

Die Ärztin und Wissenschaftlerin Doris Rapp gehört zu denen, die Umweltmedizin nicht nur praktizieren, sondern für die die Umweltmedizin der wichtigste Lebensinhalt ist. Zwei Wochen weilt die Amerikanerin in Deutschland. Das erneute Zusammentreffen mit der Umweltmedizinerin war äußerst produktiv, und nahezu nebenbei durften wir einen wunderschönen Tag an der Mosel verbringen. Ein kleiner Bericht darüber:

Wissenschaftlerin dokumentiert Umweltkrankheiten

Vor rund 18 Jahren traf ich Prof. Rapp zum ersten Mal auf einem Kongress in Bad Emstal. Es war ein Schlüsselerlebnis gewesen. Bei ihrem Vortrag zeigte die Umweltmedizinerin ein Video über eine Lehrerin, die durch schadstoffbelasteten Teppichboden in der Schule krank wurde. Die Lehrerin wurde während einer Reaktion auf Staub aus dem belasteten Teppichboden gefilmt. Sehr anschaulich wurde dem Betrachter vermittelt, was MCS ist, und wie eine Reaktion abläuft. Ich stand damals ganz am Anfang meiner Erkrankung und hatte ähnliche Reaktionen auf bestimmte Pestizide. Die Lehrerin bekam Schüttelkrämpfe und wurde bewusstlos, ich dachte „meine Güte, das bin ich, das ist wie bei mir, das ist, was du auch hast…“. Nach dem Vortrag sprach ich damals mit Prof. Rapp und es wurde der Beginn eines fortwährenden Austauschs und einer interessanten Freundschaft. Wir trafen uns immer wieder auf Kongressen in Deutschland, Holland, in den USA, besuchten uns gegenseitig in Deutschland und den USA und tauschten uns per E-Mail aus. Als ich sie in Scottsdale besuchte, zeigte sie mir eines ihrer Videoarchive. Tausende Videos von Kindern, die sie behandelt hatte, lagerten dort. Sie zeigten die Patienten während und nach der Therapie und bei Tests auf Nahrungsmittel, Schimmelpilzen, Pollen, Chemikalien oder Hausstaubmilben. Eindrucksvolle Beweise, die keine Zweifel an der Existenz von Umweltkrankheiten und Allergien aufkommen lassen.

Umweltkrankheiten nicht mehr ignorierbar

Für diesen Besuch war die Umweltmedizinerin von Dr. Binz und seiner Frau eingeladen worden. Eigentlich hatten wir uns für einen Ausflug entlang der Mosel verabredet, der vor dem Mittagessen losgehen sollte. Das Wiedersehen war herzlich und kaum hatten wir uns begrüßt, schon tauschten wir bereits Informationen aus und ehe wir uns versahen, waren wir mitten in Planungen für künftige Projekte.

„Ich bin jetzt über 80 und habe keine Kinder, eigentlich brauche ich all das nicht mehr und sollte mein Alter ganz in Ruhe genießen, aber ich sehe, was los ist, und kann einfach nicht schweigen. Wir haben so viele Chemikalien in unserer Umwelt, in der Nahrung, die wir essen, im Wasser, das wir trinken und in der Luft, die wir ständig einatmen. Sie beeinflussen jedes unserer Körpersysteme und das ist nicht mehr zu ignorieren. Fast jeder Zweite in meinem Land hat Krebs, das ist nicht hinnehmbar, “ sagte Doris Rapp.

„Die Politiker und die Öffentlichkeit muss realisieren, welchen Einfluss die Flut der Chemikalien auf uns hat und keiner sollte noch länger sagen, dass wir nicht wissen, woher all die Krankheiten kommen, die immer gehäufter auftreten. Die Beweise sind da. Wir haben Tierversuche, die sie belegen. Deshalb stelle ich als Medizinerin die Frage: „Wie viel muss noch passieren, bis wir die wahren Ursachen zugeben? Ich lasse es auch nicht durchgehen, dass man sagt: „Ja, aber da kann man nichts dagegen tun.“ Doch, denn man kann sich selbst schlau machen und man kann, zur Hölle nochmal, eine ganze Menge tun, “ sagte die über die derzeitige Situation erzürnte Wissenschaftlerin.

Lösungen sind oft sehr einfach

Doch Prof. Rapp ist niemand, der mit der Welt hadert und Lösungen außen vor lässt. Sie ist gerade dabei, ein weiteres Buch zu schreiben. „Es wird ein kleines Buch sein, nur 30 Seiten. Jeder Leser bekommt leicht verständlich aufgezeigt, wie man sein Umfeld gestalten sollte, um gesund zu bleiben. Die Tipps in diesem Buch werden niemanden ein Vermögen kosten, sie sind leicht und ohne großen finanziellen Aufwand umsetzbar. Es wird jedem helfen, der etwas ändern will und möchte, dass sein Gesundheitszustand sich verbessert. Die Medizinerin führt zwei Beispiele an:

„Viele reagieren auf Nahrungsmittel, manche wissen aber nicht auf welche. Teure Tests sind nicht unbedingt nötig. Ich rate, dass die Leute nachdenken, was sie am allerliebsten essen. Nahrungsmittel, auf die sie regelrecht süchtig sind. Erfahrungsgemäß sind das nämlich Nahrungsmittel, die sie jeden Tag essen und auf die sie reagieren. Die Lösung: Weglassen der verdächtigen Nahrungsmittel für eine Woche. Man kann ein Nahrungsmittel nach dem anderen so einem Verträglichkeitstest unterziehen. Das kostet nichts!“

„Manche Menschen wohnen in einem Haus, das mit Schadstoffen belastet ist oder durch Schimmel kontaminiert. Meine Erfahrung ist, dass fünf von sieben Leuten eine Verbesserung ihres Gesundheitszustandes um 70% erfahren, wenn sie sich einen qualitativ hochwertigen Luftreiniger beschaffen, der in der Lage ist mehrere Hundert Chemikalien aus der Wohnraumluft zu filtern. Ein solches Gerät kostet zwar etwas, aber ich habe nicht selten Patienten gesehen, denen es schon über Nacht besser ging. Es lohnt sich also, sich einen Luftfilter anzuschaffen, wenn man nicht direkt aus der Wohnung ausziehen kann.“

Das neue Buch wird noch in diesem Jahr erscheinen und Prof. Rapp hat mir die Autorisierung erteilt, es ins Deutsche zu übersetzen. Auch für ihre Videos und anderen Bücher gab sie die Genehmigung, diese in unsere Sprache zu übertragen, es beizutragen, dass Allergiker und Chemikaliensensible im deutschsprachigen Raum Wissen und Anleitungen zur Hand bekommen, die ihnen helfen, einen Weg zurück ins Leben zu erhalten.

Ein Ausflug entlang der Mosel

Auf der Fahrt zum historischen Moselweinort Bernkastel, nach Traben-Trabach und zurück nach Trier, sprühte Prof. Rapp vor innovativen Ideen, die wir in den nächsten Monaten realisieren werden und die auch den deutschen Umweltkranken in vielerlei Hinsicht zugutekommen werden.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 12. September 2011

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Elektromagnetische Hypersensitivität und Multiple Chemical Sensitivity: Zwei Seiten derselben Medaille?

In mehreren Ländern sind EHS, MCS und Fibromyalgie mittlerweile als funktionale Behinderungen anerkannt

Etliche Fachleute aus verschiedenen europäischen Ländern stimmen zu, dass es sich bei elektromagnetischer Hypersensitivität um eine reale, körperliche Erkrankung handelt, und für einige scheinen diese Beschwerden direkt etwas mit Multiple Chemical Sensitivity (MCS) zu tun zu haben. Dies ist das Resultat des Kongresses „Mobilfunk, Wi-Fi, Wi-Max: Gibt es Gesundheitsrisiken?“, der am 14. Juni 2011 im Palazzo Marini, der Abgeordnetenkammer in Rom, abgehalten wurde. Diese Veranstaltung, die von A.M.I.C.A., der Vereinigung für umweltbedingte und chronisch toxische Verletzungen organisiert wurde, sollte über die Gesundheitsgefahren einen Überblick verschaffen, welche mit dem Gebrauch kabelloser Geräte verbunden sind.

Onkologe Prof. Dominique Belpomme, Professor am Universitätsklinik-Zentrum „Necker-Enfants Malades“ (Kinderklinik), Präsident von ARTAC (Anti-Krebstherapie-Forschung) präsentierte in seinem Vortrag „Diagnostische und therapeutische Protokolle zur Unverträglichkeit elektromagnetischer Felder“ die Ergebnisse einer klinischen Untersuchung von mehr als 450 Patienten, welche von 2008 bis 2011 in diese einbezogen wurden. Er und sein Team benutzten eine neue Technik für die Diagnostik von Menschen, die über gesundheitliche Reaktionen auf elektromagnetische Felder berichten, eine Erkrankung, die er vorzugsweise als „Intoleranz Elektromagnetischer Felder“ oder „EFI Syndrom“ und weniger als „Elektromagnetische Hypersensitivität“ definiert.

Bei der neuen Technik handelt es sich um den „Gepulsten Echo-Doppler“, eine gepulste Doppler-Echokardiographie des Gehirnes, welche den Echodoppler mit einer Computerauswertung kombiniert, um die Hirndurchblutung zu bestimmen. Anders als andere Methoden ist diese nicht gefährlich und es kommt dabei keine ionisierende Strahlung (Radioaktivität) zum Einsatz. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Menschen mit Elektromagnetische Felder Intoleranz das Gehirn schlechter durchblutet ist als bei der Kontrollgruppe, insbesondere der linke Teil des limbischen Bereiches des Gehirnes. Dies ist ein ganz besonderer Bereich, denn es ist der „archaische“ Teil des Gehirnes, der viele Körperfunktionen kontrolliert.

„Diese Ergebnisse sind sehr bedeutend“, sagte Belpomme auf dem Kongress, „denn zum ersten Mal können wir mit objektiven Tests Elektromagnetische Felder Intoleranz als körperliche Erkrankung belegen.“

Sein Team hat weitere Testmethoden angewendet, wie etwa die Konzentration von Histamin, Protein S100B und Hitzeschock-Proteine Hsp70 und Hsp27 im Blut. Bei rund 70 Prozent der untersuchten Patientengruppe lag ein ernsthafter Vitamin D Mangel vor, bei etwa 1 bis 2 Prozent der Patienten waren die Proteine Hsp27 und Hsp70 erhöht, während mehr als 40% der Stichprobe einen erhöhten Histaminspiegel hatten, ein Sachverhalt, der sich vollständig mit der Interpretation dieses Syndroms als körperliche Erkrankung deckt.

Bei ungefähr 10 Prozent der Patienten war Protein S100B erhöht, ein Marker für die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke (BHS). Bei einem Drittel der Stichprobe wurde eine Reduktion von Melatonin im Urin festgestellt und dies kann bei diesen Patienten eine Erklärung für Symptome wie Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Depressionen sein.

Diese Veränderungen ähneln denen, die man bei Patienten mit Multiple Chemical Sensitivity (MCS) (PDF) findet sehr, besonders hinsichtlich der Reduktion der Hirndurchblutung, der neurogenen Entzündungen, der Zunahme des oxidativen Stresses und der Schwächung der Abwehrkräfte. Die Tatsache, dass elektromagnetische Felder (EMF) eine Öffnung der Blut-Hirn-Schranke zur Folge haben, könnte mit dem Schutz des Hirnes vor toxischen Chemikalien ungünstig zusammenwirken. Es ist in der Tat nicht ungewöhnlich, dass Patienten mit dem EFI Syndrom MCS-Symptome haben, während Erkrankte mit MCS auch auf EMF reagieren.

Die Erhöhung des oxidativen Stresses bei elektrosensitiven Patienten wurde auch von Dr. Valeria Pacifico festgestellt, die in Rom über „Metabolische Biomarker für unausgeglichene Oxidationsreduktion und der Anfälligkeit gegenüber nicht ionisierender Strahlung“ referierte. Sie arbeitet im Team von Dr. Chiara De Luca im Versuchslabor BILARA am dermatologischen Institut von Immaculata in Rom, das zahlreiche Arbeiten über die Rolle des oxidativen Stresses bei Umwelt-Sensitivitäten veröffentlicht hat. (1, 2)

„Um eine Diagnose für dieses Syndrom zu stellen, müssen wir zuerst den Patienten zuhören und überprüfen, ob die Symptome besser werden oder verschwinden, wenn sie sich von EMF-Quellen fern halten“, erklärte Prof. Belpomme. Um nachzuweisen, ob die elektromagnetischen Felder die wirkliche Ursache für die bei diesen Patienten festgestellten Veränderungen sind, mussten die Patienten die Untersuchungen drei Monate vor und drei Monate nach einem Zeitraum wiederholen, in welchem sie EMF mieden. Die Ergebnisse zeigten, dass sich nach der Zeit der Vermeidung die Werte dem Normalen annäherten.

Aufgrund der starken Korrelation zwischen EMF Exposition und Alzheimer Erkrankung, welche sechs epidemiologische Studien belegten, geht Belpomme davon aus, dass jeder elektrosensitive Patient mit Gedächtnisstörungen auch auf Alzheimer untersucht werden sollte. Er weist darauf hin, dass es sich bei Alzheimer um den Verlust des Langzeitgedächtnisses handelt, während das EFI Syndrom oft zum Verlust des Kurzzeitgedächtnisses führt, doch dieses Symptom könnte als Vorläufer der Alzheimer Erkrankung angesehen werden.

Prof. Olle Johansson, assoziierter Professor der experimentellen dermatologischen Einheit der Abteilung für Neurowissenschaften am Karolinska Institut und Professor am königlichen Institut für Technologie in Stockholm referierte in Rom über „Das Vorsorgeprinzip: Von der Bioinitiative zum Seletun Konsens„. Er widmete seinen Vortrag den Menschen die von EHS und MCS betroffen sind, weil „diese ein sehr schweres Leben haben“.

Er ist einer der engagiertesten Wissenschaftler, welche sich für neue Biologie gestützte Sicherheitsrichtlinien für EMF einsetzen. 2006 war er anlässlich der ICEMS-Resolution in Benevento, danach 2007 in London für eine neue Resolution und er gehörte auch zu jener Gruppe unabhängiger Wissenschaftler, die 2007 den berühmten Bioinitiative Report veröffentlichte, dessen politische Agenda starke ökologische Bedenken enthielt. Aufgrund dieses Berichtes unterzeichnete das Europäische Parlament am 4. September 2008 tatsächlich eine Resolution, um zu bekunden, dass die aktuellen Sicherheitsbeschränkungen für EMF überholt sind und um die europäischen Regierungen vor der Zunahme neuer Umwelterkrankungen wie EHS, MCS und dem dentalen Amalgam Quecksilber Syndrom zu warnen.

Vor nicht allzu langer Zeit gehörte Prof. Johansson zu der Gruppe von Wissenschaftlern, die jenen Seletun Consensus vorbereiteten, der Februar 2011 in den Rezensionen von Environmental Health (3) veröffentlicht wurde. Er stellt fest, dass die derzeitigen Standards die Weltbevölkerung nicht vor elektromagnetischen Feldern schützen und dass alle EMF jetzt reduziert werden sollten, anstatt auf einen definitiven Beweis für die Gefahr zu warten. Er erklärt ebenfalls, dass Menschen, die EHS Symptome berichten, als von einer funktionellen Behinderung Betroffene angesehen werden sollten.

In Schweden sind z.B. EHS, MCS und Fibromyalgie längst als funktionelle Behinderungen klassifiziert. Dies bedeutet, dass von diesen Erkrankungen betroffene Menschen nicht als Patienten angesehen werden, sondern dass es die Umwelt ist, die sie behindert macht und dass folglich die Umwelt verändert werden muss. Eine derartige Klassifikation stellt die volle Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dar, welche am 30. März 2007 von Regierungsvertretern unterzeichnet wurde. Diese Konvention sollte genügen, um alle Regierungen zu drängen, die richtigen Lösungen für Barrierefreiheit und die besten Sozialregelungen für Menschen mit umweltbedingten Sensitivitäten zu finden und die Diskriminierung zu beenden.

Autor: Francesca Romana Orlando, Journalistin und Vize-Präsidentin von A.M.I.C.A.

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

Literatur:

  1. De Luca C. et al., Biological definition of multiple chemical sensitivity from redox state and cytokine profiling and not from polymorphisms of xenobiotic-metabolizing enzymes, Toxicology and Applied Pharmacology, YTAAP-11818; No. of pages: 8; 4C.
  2. De Luca C. et al., The Search for Reliable Biomarkers of Disease in Multiple Chemical Sensitivity and Other Environmental Intolerances, Int. J. Environ. Res. Public Health 2011, 8, 2770-2797; doi:10.3390/ijerph8072770
  3. Fragopoulou A ed al., Scientific panel on electromagnetic field health risks: consensus points, recommendations, and rationales, Rev Environ Health. 2010 Oct-Dec; 25(4):307-17.

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Werbung: Bunt, lustig & gesundheitsgefährdend

Nicht jeder Verbraucher lässt sich täuschen

Werbung, schrill, laut, bunt, lustig, anregend, auffallend und vor allem zum Kauf muss sie locken. Was erlebt man nicht alles in der Welt der Werbung? Da werben Bonbonhersteller mit zusätzlichen Vitaminen, die völlig überflüssig sind. Joghurts sind plötzlich das Wundermittel gegen fast alle Krankheiten, Schokoriegel helfen Kindern den IQ zu steigern, Sprühmittelchen reinigen Sofas und Gardinen und Baustoffe, ja Baustoffe sind urplötzlich Bio und Öko, obwohl deren Inhaltsstoffe seit Jahrzehnten als gesundheits- und umweltschädlich bekannt sind. Als Fachmann/-frau eines entsprechenden Fachgebietes bekommt man oft schon Hautauschlag nur vom Betrachten der schrillen Werbeversprechen, als Verbraucher tappt man nicht selten in Utopiefallen, die man ohne nötiges Fachwissen schlicht nicht erkennt. Manche Werbung ist so manipulativ aufgebaut, dass sie tatsächlich in der Lage ist, jeglichen gesunden Menschenverstand auszuschalten.

Agenturen die sich Goldene Nasen verdienen mit Seifenblasen

Werbeagenturen verdienen sich eine goldene Nase mit dem verbreiten von Gerüchten, aber sie denken eher nicht daran, dass die Dinge, die sie verbreiten eine Gefahr für die Nutzer darstellen, die dauerhaft Schäden verursachen können. Ja sie können sogar mit ihrem, mit Halbwissen verblendenden Werbesprüchen gesunde Menschen zu dauerhaft ans Bett gefesselte Pflegefälle verwandeln. Nein, Sorgen machen sie sich deswegen wohl kaum, denn der Haftende in solchen Fällen ist nicht etwa die Werbeagentur, sondern der Hersteller des jeweiligen Produkts. Aber Ansprüche im Schadensfall durchzusetzen, ist für den Geschädigten oftmals eine Tortur sonders gleichen. Schlussendlich muss man bei der Vielzahl an schädlichen Stoffen, die uns umgeben erst einmal eindeutig belegen, dass das jeweilige Produkt an der Krankheit Schuld hat. Eine Tatsache, die den Werbeagenturen jegliche Türe öffnet. Plötzlich ist der mit Kunststoffen gefüllte, fertig angerührte Streichputz aus dem Plastikeimer, ein wohngesunder Ökobaustoff, wobei das einzig natürliche darin womöglich nur noch das zugefügte Wasser ist.

Mit Sprüchen um den Finger wickeln

Der diplomierte Marketingmensch hat sicher gelernt, wie er mit eleganten, lockeren, witzigen oder auch einfach nur netten Sprüchen Käufer für ein Produkt gewinnt. Eloquenz ist natürlich eine Grundvorrausetzung für einen solchen Beruf. Sicherlich hat er auch eine gewisse Schulbildung in der Chemie und Physik einmal Unterrichtsstoff waren, daher hat er auch einmal etwas von irgendwelchen Chemikalien gelernt. Grundwissen, wie Zucker ist süß, Zitronen sind sauer und vielleicht weiß er auch noch, dass das Saure der Zitrone gut zum Entfernen von Kalkflecken ist. Es gibt sogar Vertreter dieser Zunft, die irgendwann versuchten Architektur oder Bauingenieurswesen zu studieren, vielleicht auch abgeschlossen, vielleicht auch ein wenig Berufserfahrung, aber das macht diese Menschen noch lange nicht zu Fachleuten im Baustoffwesen. Es bleibt beim Halbwissen, die Fachsprache der Branche sprechen diese Leute deshalb noch lange nicht. Auch dann nicht, wenn sie in sozialen Netzwerken immer wieder mit angreifenden oder seltsamen Sprüchen auffallen, um irgendwie auch mal unter den echten Fachleuten ins Gespräch zu kommen und vielleicht von diesen einen Auftrag zu erhaschen.

Was bringt ein Werbemensch dem Hersteller?

Sicher, den ein oder anderen Kunden, wenn die Werbung ansprechend ist, den Nerv des gewünschten Kunden trifft. Solange das Produkt nicht fachlich blödsinnig beworben ist, wäre ja alles ok. Probleme tauchen auf, wenn selbst der Laie bemerkt, dass die lockenden Sprüche seltsam klingen oder mit all dem anderen, das man mitbekommen hat, so gar nicht zusammenpassen.

Man darf nicht vergessen:

in der heutigen Zeit hat der Kunde mithilfe der Informationen aus dem großen Lexikon Internet für beinahe jedes Produkt und Inhaltsstoff ganz schnell mehr Information. Falls er sich die Zeit nimmt nachzuschlagen. Mancher macht dies und publiziert seine neu gewonnene Erkenntnis selbst über die unterschiedlichen Netzwerke. Je nach Verbreitung kann dann der Schaden für den Hersteller erheblich sein.

Fallbeispiel I

Ein Mann hatte in seiner Wohnung Schimmel an einer Wand festgestellt. Ihm wurde im Baumarkt eine Anti-Schimmel-Grundierung empfohlen. Inhaltsstoffe waren u.a. 465g Chrom pro Liter Grundierung nach der Norm 2007 und Testbenzin. Schon beim Verstreichen ging es dem Mann extrem schlecht. Er versuchte die chemischen „Gerüche“ mit Essig zu neutralisieren, vergeblich. Wenige Minuten im kleinen Apartment reichten aus, um Schwindel, rasende Kopfschmerzen, Übelkeit, Atembeschwerden, etc. auszulösen. Er versuchte für ein paar Tage bei Freunden unterzukommen, weil er feststellte, dass sich sein Gesundheitszustand in der Wohnung drastisch verschlechterte. Während der Abwesenheit wurde die Wohnung gelüftet. Nach der Rückkehr bekam der Mann nach wenigen Minuten erneut Symptome. Auf Anraten eines Bauexperten wurde der ganze Putz heruntergeschlagen und die Wand mit alkalischem Kalkputz neu verputzt. Der Mann befolgte den fachmännischen Rat, er kann sich in seinem Apartment wieder aufhalten und hat keine Beschwerden mehr.

Werbeversprechen, auf Kosten der Gesundheit von Konsumenten

Ein praktisches Beispiel:

Spricht ein Marketingfachmann z.B. von Glaswolldämmstoffen und betont, dass die Verarbeitung seines Produktes – im Gegensatz zu allen anderen – ohne etwaige Schutzausrüstung machbar ist, so fällt er in Social Networks auf. Das „Oha“ des Betrachters wandelt sich dann unheimlich schnell in Misstrauen, wenn sich herausstellt, dass jeder Hersteller eines solchen Produktes in aller Deutlichkeit darauf hinweist, dass Handschuhe und Atemschutz unbedingt getragen werden sollten. Sind dann noch zig tausende Informationseinträge im Internet auffindbar, die schildern, dass Glaswolle im Verdacht steht Krebs zu erregen, fällt das Werbekartenhaus dramatisch zusammen. Aus einem bunten und lustigen Werbespot, der das Image des Herstellers oder Händlers hochpolieren soll, wird plötzlich ein Lügenspot, der schon fast als vorsätzliche Gesundheitsgefährdung durch Verbreitung unwahrer und gefährlicher Aussagen gewertet werden muss. Die Imagepolitur schlägt somit zur Imagedemontage um. Durch das humane Misstrauen wird dadurch nicht nur das Glaswolleprodukt angezweifelt, sondern gleich das gesamte Unternehmen, plötzlich wird jedes Produkt hinterfragt. Taucht nochmals ein oder mehrere Produkte auf, die fehlerhaft beworben werden, können durchaus existenzbedrohliche Zustände für das Unternehmen resultieren. Da bringt auch der allgegenwärtige Spruch „Auch schlechte Nachrichten sind Werbung“ gar nichts mehr. Sinkt das Unternehmen, schippert der Marketingmensch zum nächsten Kunden, dreht sich vielleicht noch einmal um, aber Reue wird er kaum empfinden. Ist ja nicht sein Produkt, sind nicht seine Angestellten, ist ihm schnurzpiepegal solange seine Rechnung bezahlt wird.

Fallbeispiel II

In eine Doppelhaushälfte klagte ein Bewohner über eine ständig verstopfte Nase, Hustenreiz, Schlafprobleme und Kopfschmerzen. Insbesondere bei Sturm konnte sich der Bewohner nicht in den oberen Stockwerken aufhalten. Bei einer Begehung des Wohn- und Dachbodenbereiches konnte ermittelt werden, dass der oberste Geschoßboden mit Glaswolle gedämmt wurde. Die Glaswolle wurde nicht verschlossen eingebaut und auch der Dachgeschoßboden wies mehrere Risse und Ritzen zum Wohnraum auf, wie z.B. Risse in der Trockenbaukonstruktion oder auch der Verbretterung der Holzbalkendecke. So blies der Wind durch das belüftete Dach über diese Öffnungen Fasern in den Wohnraum. Es wurde eine fachgerechte Dämmung/Sanierung des Daches empfohlen und ausgeführt. Anstelle der Glaswolle wurde mit Hanf gedämmt und alles zum Wohnraum hin dampfdicht verschlossen. Mittlerweile nutzt der Bewohner sogar das bis dahin unbetretene Dachgeschoß als Hobbyraum und hat keinerlei Beschwerden mehr in seinem Haus.

Die Gesundheit von Kunden ruiniert

Durch den Druck der Verbraucher und Verbraucherorganisationen wurde mehr Transparenz geschaffen. Das hat teils zu besseren Produkten geführt. Manche Produktgruppen wurden einem kompletten Wandel unterzogen. Es bedeutet nicht, dass nur noch gesunde Produkte auf dem Markt sind, davon sind wir weit entfernt. Hersteller und Großhändler sind sich im Klaren, dass ein Großteil der Kunden bewusster und kritischer bei der Auswahl der Produkte geworden sind. Diese Kunden fragen nach, vergleichen, analysieren. Diesem Kaufverhalten liegen Gesundheits- und Umweltbewusstsein zugrunde. Keineswegs handelt sich dabei ausschließlich um einen Trend, denn Konsumenten, die unter gesundheitlichen Problemen leiden, sind auf verlässliche Auskünfte von Fachpersonal angewiesen. Für manchen Allergiker oder für Chemikaliensensible kann eine bewusst oder unbewusst inkorrekt erteilte Antwort, eine Desaster für die Gesundheit bedeuten. Ein derart ge- und enttäuschter Kunde wird kein gutes Haar an dem Unternehmen lassen, dessen Mitarbeiter ihm eine Produktinformation gab, die ihm gesundheitlich erheblich schadete. Im Worst Case gründet eine so getäuschte Person eine Interessengemeinschaft oder eröffnet ein Twitter Account oder ein Facebook, um über den Schaden, der ihm entstanden ist zu berichten. In Social Networks wurde schon oft beobachtet, dass solche Accounts in Windeseile Tausende Anhänger zu verbuchen hatten. Das ist der gefürchtete SuperGau für ein Unternehmen, denn dieser Streisandeffekt lässt sich nicht mehr eindämmen.

Bauernschlaue scheitern, schlaue Unternehmen haben Zukunft

Ergo:

Mit Verbrauchertäuschung kann man zwar eine schnelle Mark machen, aber nicht viel mehr. Intelligente Unternehmen reagieren auf den Input und die Fragen von Verbrauchern konstruktiv. Sie unterlassen es, täuschende Werbeversprechen in die Welt zu setzen, weil sie bei kritischer Betrachtung wie eine Seifenblase zerplatzen. Sie gehen stattdessen mit dem Konsumenten in Dialog und nehmen dessen Kritik, Reklamationen oder Hinweise zum Anlass, bessere Produkte herzustellen oder um Produkte aus dem Sortiment zu nehmen, die gesundheitliche Schäden verursachen können. Das kann zwar zu vorübergehenden Umsatzeinbußen führen, weil Produkt x nicht mehr im Regal liegt, der Verbraucher wird das Unternehmen jedoch mit Treue belohnen und entsprechend positiv darüber kommunizieren.

Autoren:

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Literatur:

  1. Fachverband Mineralwollindustrie e.V., Deutscher Abbruchverband e.V., Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie , Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V., Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V., unter Mitarbeit der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft – BG BAU, Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), IFA – Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Umgang mit Mineralwolle-Dämmstoffen (Glaswolle, Steinwolle) Handlungsanleitung, Ausgabe 05/2010.

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Quecksilber in jedem Haushalt zu finden

Energiesparlampen enthalten giftiges Quecksilber

Teil III der Serie “Schadstoffe in unserem Haus”

Man sollte annehmen, dass allgemein Abstand von Quecksilber genommen wird, wegen seiner Toxizität – zumindest in allgemeinen Verbrauchsprodukten. Dem ist aber bei weitem nicht so. In den seit geraumer Zeit eingeführten Energiesparlampen ist u.a. neben Phenol auch Quecksilber enthalten.

Bei einem EU-Gipfel unter Vorsitz von Angela Merkel wurde im März 2007 ein Aktionsplan zum Klimaschutz vorgestellt und die Glühbirne, die in jedem Haushalt vorhanden ist, als Beispiel par excellence zum Einsparen von Energie dargestellt. (1)

Im Jahr 2009 beschloss die Bundesregierung, Leuchtmittel geringerer Energieeffizienz vom Markt zu nehmen (Verordnung (EG) Nr. 244/2009 und Verordnung (EG) Nr. 245/2009) und gegen solche einzutauschen, die eine höhere Energieeffizienz und somit einen niedrigeren Energieverbrauch aufweisen. (2,3) Völlig außer Acht wurde hierbei die Tatsache gelassen, dass bei energiesparenden Leuchtmitteln, wie zum Beispiel der Energiesparlampe, nicht nur krebserregendes Phenol über die Plastikbestandteile abgegeben wird und eine erhöhte Strahlenbelastung durch elektrische Wechselfelder und UV-Licht zustande kommt (BAG empfiehlt daher auch einen Mindestabstand zum Leuchtmittel von 30 cm) sondern eben auch, dass bei einem Zerbrechen der Energiesparlampe das hochgefährliche Quecksilber austritt. Selbstverständlich zerbrechen Energiesparlampen ebenso wie die althergebrachte, schadstofffreie Glühbirne, da beide auch aus Glas sind und somit muss man deutlich betonen, dass jede genutzte Energiesparlampe ein hohes gesundheitliches Schadpotential mit sich bringt.

Hochtoxisches „Flüssiges Silber“

Die alten Griechen nannten Quecksilber „Flüssiges Silber“ (Hydrargyros), wovon auch das lateinische Wort „Hydrargyrum“ und davon wiederum die allgemein genutzte Abkürzung HG abstammt.

Quecksilber ist ein Schwermetall und das einzige Metall, das bei Normalbedingungen flüssig ist. Man findet Quecksilber trotz hoher Giftigkeit in einigen alltäglichen Dingen wie z.B. ältere Thermometer, Energiesparlampen, Amalgamfüllungen, Desinfektions- und Beizmitteln, antike Spiegel, bei der Goldwäsche, der Elektrolyse und selbst in der Kunst oder in der Medizin und vielem weiterem. Quecksilber ist äußerst giftig und umweltgefährlich. Es muss mit den GHS Gefahrstoffsymbolen für toxisch, gesundheitsgefährlich und umweltgefährlich gekennzeichnet sein. Das giftige Schwermetall verdunstet bereits bei Zimmertemperatur, was z.B. zu Bruch gehende Energiesparlampen oder auch Thermometer und andere Quecksilberprodukte besonders gefährlich macht. Die eingeatmeten Quecksilberdämpfe sind stark toxisch. Ebenso eine orale Aufnahme dieses Stoffes. Die Krankheitssymptome belaufen sich von akuten bis hin zu chronischen Vergiftungen. Das Nervengift kann Symptome wie Angstzustände, Depressionen, Müdigkeit, Aggressionsschübe, Nervosität, Tinitus, Sehstörungen, Schlaflosigkeit, Schwindel und einiges mehr auslösen. Zu den organischen Symptomen gehören z.B. auch Arthritis, Allergien, Durchfall, dauerhafte und erhöhte Infektanfälligkeit, Muskelschwäche, dauerhafte Nieren-, Herz- und/oder Atmungsstörungen, Schwächung des Urogenitalsystems, Haarverlust, Gliederschmerzen und Kopfschmerzen etc.. Selbst Multiple Sklerose ähnliche Vergiftungserscheinungen können auftreten. Neuere Forschungen zeigen, das Quecksilber bei Alzheimer und ALS eine entscheidende Rolle spielt ebenso wie bei spontanen Fehlgeburten.

Gefahr von Quecksilber im Alltag unterschätzt

Fallbeispiel I

Eine Gruppe junger Leute hatte für ihre Galerie ein ehemaliges Fabrikgebäude gemietet. In einem Raum hatten sie ein großes Glasbehältnis gefunden das eine silberfarbene Flüssigkeit enthielt. Weil die Flüssigkeit so wunderbar glänzte behielten sie den Glasbehälter und stellten ihn in ihrer Ruhezone auf. Ab und zu nahm einer der jungen Leute während der Pause den Glasbehälter und drehte ihn um das Fließen der silberfarbenen Flüssigkeit zu bestaunen, bei der es sich zweifellos um Quecksilber handelte. An jenem Nachmittag fiel einem der jungen Leute das Glas zu Boden und zerbrach. Die Flüssigkeit verteilte sich in in Form von winzigen Kügelchen im ganzen Raum. Sofort war den jungen Leuten klar, dass sie vor einem Problem standen. Die jungen Leute schlugen jeglichen Rat in den Wind und berichteten einige Zeit später, dass sie einiges aufgekehrt und dann einen Staubsauger zu Hilfe genommen hätten, um die Kügelchen aus allen Ritzen aufzusaugen. Der Gesundheitszustand der jungen Leute verschlechterte sich im Laufe der darauffolgenden Monate. Allen litten an Kopfschmerzen, Schwindel, teils auch an Depressionen und ihnen gingen die Haare aus. Ein junger Mann verlor sogar seine Zähne.

Fallbeispiel II

In einer Metzgerei war ein Gerät zum Einschweißen von Fleisch- und Wurstwaren umgefallen. Beim Aufrichten stellten die Angestellten fest, dass eine silbrige Flüssigkeit auslief und sofort in Form von winzigen Kügelchen durch den Raum spritze. Das Thermostat im Inneren des Einschweißgerätes war zu Bruch gegangen. Eine der Metzgereiangestellten nahm einen feuchten Lappen und wischte die silberfarbene Flüssigkeit vom Fleischpacktisch aus Edelstahl. Die Flüssigkeit „verschmierte“ sagte sie später. Der Geschäftsführer des Warenhauses in dem sich die Metzgerei befand wurde von den Angestellten gerufen und befragt wie man vorgehen solle. Er verwies auf die Technische Abteilung und fügte an, es könne nicht so viel Quecksilber gewesen sei, es sei ja nur ein Thermostat gewesen. Den Rest der Kügelchen versuchten die Mitarbeiter der Metzgerei und der technischen Abteilung aus den Ritzen des Bodens zu fegen. Die Mitarbeiterin, die versucht hatte das Quecksilber feucht aufzuwischen verstarb wenige Monate später an Leberzirrhose. Sie hatte nie auch nur einen Tropfen Alkohol getrunken.

Energieeffizienz

Neben der Toxizität des Quecksilbers in Energiesparlampen, gibt es ein weiteres Umweltproblem, das meist unerwähnt bleibt. Bei der Energieeffizienz schneiden Energiesparlampen nicht so gut ab wie oftmals suggeriert wird. Der bei langen Nutzungsphasen unstrittige Fakt der Energieeinsparung wird durch einen geringfügig höheren Energieverbrauch bei kurzzeitigen Nutzungen jedoch schon wieder etwas neutralisiert (während der Startphase ca. 50 x so viel Energie wie während des normalen Betriebes). Ist diese kurzzeitige Nutzung selten, ist der erhöhte Energieverbrauch nicht dermaßen dramatisch und auch vernachlässigbar, doch haben wir im alltäglichen Leben eine Vielzahl von solchen kurzfristigen Nutzungen und somit summiert sich auch der geringe Mehrverbrauch in entsprechende Höhe. Jeder kennt Situationen wie das kurze Einschalten des Lichts in einem Raum, aus dem man nur etwas holen möchte, die Außenleuchten, die auf Bewegungsmelder reagieren und auch nur eine kurze Zeit aktiviert werden, der Gang auf die Toilette, zu dem auch nur kurz das Licht eingeschalten wird und einige andere Situationen. Zwanzig solcher und ähnlicher kurzzeitigen Nutzungen pro Tag und Kopf sind keine Seltenheit, übers Jahr gesehen wären das schon 7.300, was wiederum in einem gewöhnlichen Haushalt nicht mehr als geringer Mehrverbrauch gewertet werden kann.

Zerbrochene Energiesparlampe setzen Schadstoffe frei

Wie sollte man vorgehen, wenn eine Energiesparlampe zerbricht und das Quecksilber austritt?

Allgemein wird angegeben, dass der Verbraucher die Bruchstücke vorsichtig mit einem angefeuchteten Papiertuch aufnehmen, in eine Plastiktüte oder Einmachglas luftdicht verpacken und zu einer Schadstoffsammelstelle bringen soll. Man sollte keinen Staubsauber benützen und Hautkontakt vermeiden. Der entsprechende Raum sollte anschließend mindestens 20 bis 30 Minuten gelüftet werden. Da Quecksilber schon bei Raumtemperatur verdampft, ist vorzuschlagen, sofort nach dem Bruch die Fenster zu öffnen und nicht erst noch während der Verdampfungsphase mit dem Gesicht über den Bruchstücken zu knien und den Bruch feucht aufzuwischen, um dabei eine Aufnahme über die Atemwege zu riskieren. (4,5) Mittlerweile gibt es auch Energiesparlampen mit zusätzlicher Kunststoffhülle als Splitterschutz und Modelle, in denen das Quecksilber in gebundener Form vorliegt, wodurch das Austreten von Quecksilber bei einem Bruch verringert wird. Fraglich ist aber, ob eine Verringerung des Austritts in diesem Fall wirklich ein Vorteil ist, denn auch noch so geringe Mengen Quecksilber sind gesundheitsschädlich.

Energiesparlampen enthalten Weichmacher, Schwermetalle und Lösungsmittel

Eine weitere Frage wäre in Bezug auf die Kunststoffummantelung zu stellen. Kunststoff beinhaltet diverse Weichmacher, und auch diese sind in erwärmten Zustand gerne bereit auszudünsten. Je nach Weichmacher- und Lösungsmittelart (wie z.B. Phenol) ergeben sich auch hier erhebliche gesundheitliche Gefahren. Ganze, aber nicht mehr funktionstüchtige Energiesparlampen sind aufgrund des beinhalteten Quecksilbers jedoch als Sondermüll klassifiziert, sie dürfen also nicht im Hausmüll oder Glascontainer entsorgt werden.

Wie man das Blatt der Energiesparlampe also dreht und wendet, es kommt bis auf eine mehr oder weniger große Energieeinsparung kaum ein weiterer Vorteil zu Tage, vor allem und besonders im privaten Haushalt.

Autoren:

Die Serie “Schadstoffe in unserem Haus” wird kontinuierlich fortgesetzt.

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Literatur:

  1. Der Westen, Wie Angela Merkel die Glühbirne ausknipste, 01.09.2011
  2. BMU, Verordnung (EG) Nr. 244/2009 der Kommission, 18.03.2009
  3. Amtsblatt der Europäischen Union, VERORDNUNG (EG) Nr. 245/2009 DER KOMMISSION, 18. März 2009, 24.03.2009
  4. UBA, Quecksilber aus zerbrochenen Energiesparlampen, Dessau, 02.12.2010
  5. UBA, Energiesparlampen: Bei Bruch ist Lüften das A und O, Dessau, 25.08.2011

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Waschmittel mit Duft setzen gefährliche Chemikalien frei

Die umsatzstärksten Flüssigwaschmittel und beduftete Trocknertücher enthalten schädliche Chemikalien, von denen zwei als krebserzeugend eingestuft sind

Die Wissenschaftlerin an der University of Washington, die chemische Detektivarbeit geleistet hat, um heraus zu bekommen, was in parfümierten Verbraucherprodukten enthalten ist, hat ihre Aufmerksamkeit nun auf jene parfümgeschwängerte Luft gelenkt, die aus den Abluftschläuchen der häuslichen Waschtechnik weht.

Forschungsergebnisse, die in der 4. Augustwoche 2011 im der US-Zeitschrift ‚Air Quality, Atmosphere and Health‘ veröffentlicht wurden belegen, dass die Abluft von Geräten, in denen die am Markt erfolgreichsten Flüssigwaschmittel und Trocknertücher mit Duft zum Einsatz kommen, gefährliche Chemikalien enthält, von denen zwei als krebserregend eingestuft sind.

„Dies ist eine interessante Quelle für Umweltbelastung, da es für das, was aus den Abzügen der Wäschetrockner kommt, absolut keine Vorschriften gibt und es nicht erfasst wird“, sagte die Hauptautorin Anne Steinemann, eine Professorin der University of Washington für Umwelttechnik und öffentliche Angelegenheiten. „Wenn das Zeug aus einem Schornstein oder Auspuff käme, gäbe es Vorschriften, doch wenn es aus einem Wäschetrockner kommt, gibt es diese nicht.“

Die Studie stützt sich auf eine frühere Forschungsarbeit, in der untersucht wurde, welche Chemikalien von Waschmitteln, Lufterfrischern, Reinigungsmitteln und anderen parfümierten Verbraucherprodukten abgegeben werden. Die Hersteller müssen die Inhaltstoffe von Düften und Waschmitteln nicht angeben.

Für die Studie, die sich mit den Chemikalien befasste, welche mit der Wäschetrockner-Abluft freigesetzt werden, kauften die Forscher zunächst vorgespülte Bio-Baumwollhandtücher. Sie baten zwei Wohnungseigentümer, mit ihren Waschmaschinen und Trocknern auszuhelfen, reinigten das Innere der Geräte mit Essig und ließen ganze Waschgänge nur mit Wasser [ohne Waschmittel] durchlaufen, um möglichst viele Rückstände zu entfernen.

In der einen Wohnung ließen sie einen normalen Waschgang laufen und analysierten die Abluft in drei Durchlauf-Varianten: einmal ganz ohne, einmal mit der führenden parfümierten Waschmittelmarke und schließlich sowohl mit dem Waschmittel, als auch mit der führenden Marke parfümierter Trocknertücher. Ein in die Abluftöffnung gesteckter Kanister fing die Abluft bei jedem Durchgang 15 Minuten lang auf. Danach wiederholten die Forscher die Prozedur mit einer anderen Waschmaschine und einem anderen Trockner in der zweiten Wohnung.

Die Analyse der eingefangenen Gase ergab, dass aus dem Abzug mehr als 25 flüchtige organische Bestandteile kamen, dazu gehörten sieben gefährliche Luftschadstoffe. Davon sind zwei – Acetaldehyd und Benzol – von der amerikanischen Umweltschutzbehörde als krebserregender Stoff klassifiziert, für welche die Behörde keine unbedenklichen Grenzwerte festgelegt hat.

„Die Erzeugnisse können nicht nur die persönliche Gesundheit beeinträchtigen, sondern auch die allgemeine, und die Umwelt. Die Chemikalien können in die Luft und über den Abfluss in die Gewässer gelangen“, sagte Steinemann.

Die Forscher schätzen, dass in der Region von Seattle, wo die Studie durchgeführt wurde, die von dieser Waschmittelmarke verursachten Acetaldehyd-Emissionen drei Prozent der gesamten Acetaldehyd-Emissionen des Straßenverkehrs entsprechen. Die Belastung durch die fünf beliebtesten Marken würde, so schätzen sie, etwa 6 Prozent der Acetaldehyd-Emissionen von Autos gleich kommen.

„Wir richten sehr viel Aufmerksamkeit darauf, wie man den Ausstoß von Schadstoffen durch Autos reduziert“, sagte Steinemann. „Und hier haben wir eine Schadstoffquelle, die verringert werden könnte.“

Auf der Internetseite des Forschungsprojektes findet man unter anderem Leserbriefe, in denen über gesundheitliche Auswirkungen parfümierter Verbraucherprodukte berichtet wird. Steinemann sagt, dass die Berichte der Leute über durch die Abluft der Trockner ausgelösten Gesundheitsbeschwerden sie zur Durchführung dieser Studie motiviert haben.

Steinemann empfiehlt, Waschmittel ohne irgendein Geruch oder Duftstoff zu verwenden.

Lisa Gallagher und Amy Davis von der University of Washington und Ian MacGregor vom Battelle Memorial Institute waren als weitere Autoren der Studie beteiligt.

Autor: Hannah Hickey, University of Washington

Literatur:

Ann Steinemann, Lisa Gallagher, Amy Davis, Ian MacGregor, University of Washington, Scented laundry products emit hazardous chemicals through dryer vents, Aug. 24, 2011

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

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Blei, ein giftiges Schwermetall, das in vielen Bereichen präsent ist

Die unterschätze Gefahr

Seit Blei in den 70er Jahren aus den Kraftstoffen genommen wurde, sind bleibedingte Erkrankungen erheblich zurückgegangen. Ganz verschwunden sind Bleivergiftungen dennoch nicht, weil es immer noch zahlreiche Ursachenquellen gibt, an die kaum jemand denkt. Blei kann über die Nahrung, über den Inhalationsweg und über die Haut aufgenommen werden und schädigt in erster Linie das Nervensystem. Wenn die Ursache aufgedeckt und beseitigt ist, kann eine professionelle Entgiftung in den meisten Fällen gravierende Gesundheitsverbesserung bringen.

Bleihaltige Farben und Lacke

In einigen Pariser Vierteln wurden die wunderschönen alten Wohnungen saniert. Hohe Stuckdecken und geweißte Wände wurden erneuert. Kurz darauf ging es etlichen der Bewohner schlecht und ihr Gesundheitszustand wurde mit der Zeit nicht besser, sondern immer schlechter. Was war passiert? Die alten Anstriche hatten Blei enthalten und als die Farben in den Wohnungen heruntergenommen wurden, legte sich der Staub überall nieder. Bleihaltige Farben und Lacke finden sich auch in Deutschland noch in recht vielen Altbauten und die heutigen Bewohner rechnen nicht mit dieser Schwermetallbelastung aus den Wänden, Decken, Fensterrahmen, Türen und Türzargen. Historische Gebäude können bspw. noch richtige bleiverglaste Fenster besitzen oder Blei anstatt Fensterkitt. Bleibleche für das Dach, an Dachfenstern oder Kaminverblechungen aus Blei, als auch bleihaltiges Lötzinn sind hingegen auch heute noch in der Anwendung.

Bleirohre: Kontaminiertes Wasser

Mancher Bewohner eines älteren Hauses ist sich nicht bewusst, dass Bleiwasserrohre oder mit Blei verlötete Rohrstücke im Haus verlegt sind. Oft bringt ein erst Umbau das Vorhandensein von Bleirohren zutage. Bleiwasserrohre müssen ersetzt werden. Die verbreitete Praxis, das Wasser „ablaufen“ zu lassen um die Kontaminierung des Wassers mit dem Schwermetall zu reduzieren, reicht bei weitem nicht aus. Insbesondere Schwangere, Kinder und Kleinkinder sollten absolut kein Wasser aus bleihaltigen Leitungen konsumieren.

Sonstige Bleiquellen

Industriegelände mit Bleialtlasten (Ständige Staubbelastung), Metallschmelzen, Lackierereien (Abschleifen alter Lacke), alte bleiverlötete Konservendosen (daran starben u.a. Expeditionsteilnehmer), Keramik-Glasuren, Tongeschirr, Bleiglas, Bleizinnbecher und – Teller, alte Emaille-Töpfe, Tiffanylampen, vereinzelt in Kosmetika aus Afrika und Asien, Piercings, Zahnamalgam, Haschisch (das mit Bleiglaspulver versetzt wurde, um das Verkaufsgewicht zu erhöhen), Billig-Spielwaren aus China, billiger Modeschmuck, Munitionsschmauch (Schießen in geschlossenen Räumen), Freisetzung von Bleistaub durch Sandstrahlung von Metallbrücken, Strommasten etc.,. die mit Bleimenninge gestrichen waren, Abfallverbrennungsanlagen, häufiges Essen von Wildpilzen, Innereien und Muscheln.

Bleiintoxikation: Symptomatik und Diagnostik

Blei bindet sich an die Erythrozyten und Plasmaproteine und wandert in Weichteilgewebe wie Gehirn, Lunge und Leber ab. Dort verbleibt es rund drei Wochen und wird teilweise ausgeschieden. Schwere Hirnschädigungen und Gehirntumore durch Blei werden in der Medizin beschrieben. Der verbleibende Anteil lagert sich vornehmlich in den Knochen und Zähnen anstatt Calcium ein, wo das Gift dann eine Halbwertzeit von ca. 5-20 Jahren hat. Es kann phasenweise zu einer Mobilisation kommen, wodurch Blei in den Blutkreislauf eindringt und akute Symptomatik verursacht.

Symptomatik bei Bleivergiftung:

  • Buchstäbliche bleierne Müdigkeit
  • Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Desorientierung
  • Magen-Darmbeschwerden, Darmkoliken (Bleikoliken), häufiges Erbrechen
  • Gliederschmerzen, Schmerzen am ganzen Körper
  • Schädigung des peripheren und zentralen Nervensystems, Polyneuropathie
  • Lernstörungen, Gedächtnisverlust, Verhaltensauffälligkeiten (anormale Aggression, Hyperaktivität)
  • Toxische Enzephalopathie, Krämpfe, IQ-Verlust
  • Verfärbung des Zahnfleischs (Bleisaum)
  • Beeinträchtigt die Blutbildung (blei hemmt drei an der Blutbildung beteiligte Enzyme), schädigt das Knochenmark
  • Nierenschäden
  • Fortpflanzungsstörungen, niedriges Geburtsgewicht
  • Haarausfall, blasse, gelblich-graue Hautfarbe
  • Kreislaufversagen, Koma, Tod (bei schwerer Intoxikation)

Neben einer gründlichen Anamnesestellung und dem Feststellen der Blei-typischen Symptomatik liefern Blut- und Urintests schlussendlich eine Bestätigung, ob eine Belastung tatsächlich vorliegt. Bleidepots in den Knochen lassen sich durch eine EDTA Provokation ermitteln.

Therapie und Ursachenbeseitigung

Die Therapie bei einer eindeutigen Bleiintoxikation wird meist mit EDTA oder D-Penicillanmin (Chelatbildner) durchgeführt. Wichtig ist, dass ausgeschiedene Spurenelemente hinterher ergänzt werden und während der Therapie eine ständige Kontrolle der Nierenfunktion erfolgt.

Gleichlaufend müssen alle Ursachen der Bleivergiftung aus dem Umfeld systematisch eliminiert werden (s.o.). Ein qualifizierter Baubiologe und/oder Bausachverständiger kann bei Verdacht auf eine Bleibelastung mittels Analysen und Hausbegehung Aufschluss geben. In schwerwiegenden Fällen ist ein Umzug unumgänglich, bspw. wenn bleihaltige Farben im Haus verstrichen wurden, Betriebe oder Altlastengelände sich im Umfeld befinden, die Blei emittieren oder bleihaltigen Staub verbreiten.

Sind die Wasserleitungen im Haus noch aus Blei, sollten professionelle Wasser- und Duschfilter installiert werden. Deren Effizienz kann durch Wasseranalysen überprüft werden. Für die Übergangsphase, bis adäquate Filter installiert sind, empfiehlt es sich Wasser aus Glasflaschen zum Kochen und Trinken zu verwenden und auf Vollbäder zu verzichten. Nach einer Weile ist eine Verlaufskontrolle der Blut- und Urinwerte auf deren Bleigehalt ratsam, um sicherzustellen, dass kein Schadstoff-Neueintrag stattgefunden hat und die Belastungsquellen tatsächlich eliminiert wurden.

Autoren:

Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network

Gerhard Holzmann, Sachverständigenbüro Holzmann-Bauberatung , 23. August 2011

Die Serie “Schadstoffe in unserem Haus” wird kontinuierlich fortgesetzt.

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Fukushima: Japanischer Professor belegt Inkompetenz der Regierung

“Ich bebe vor Wut!” – Prof. Kodama zur Kontamination nach Fukushima

Im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Japanisches Unterhaus, 27. Juli 2011, morgens/Transkript.

Der Nächste bitte, Zeuge Kodama:

Mein Name ist Kodama, ich bin der Chef des Radioisotopen-Zentrums der Universität von Tokyo. Am 15. März war ich sehr bestürzt. Wir von der Universität Tokyo haben 27 Radioisotopen-Zentren und sind verantwortlich für Strahlenschutz und Dekontamination. Ich selbst bin Mediziner und war über einige Jahrzehnte hinweg an Dekontaminationsarbeiten bei Einrichtungen der Universitätskliniken in Tokyo beteiligt.

Gegen 9:00 morgens am 15. März maßen wir eine Strahlung von 5 microsievert/h in Tokai-mura in der Präfektur Ibaraki und unterrichteten das Ministerium für Erziehung und Wissenschaft gemäß des Artikel 10 der Maßnahmen bezüglich Nuklear- notfallmaßnahmen. [japanisches Gesetz zum Strahlenschutz] Später wurden Strahlungen in Tokyo gemessen, die 0,5 microsievert/h überschritten. Dieser Stand ging bald zurück. Und dann, am 21. März regnete es in Tokyo, und mit dem Regen kam eine Strahlenbelastung von 0,2 microsievert/h. Meiner Meinung nach ist dies der Grund für die bis heute erhöhte Strahlenbelastung.

Zu dieser Zeit sagte Generalstaatssekretär Edano: „Es gibt keine direkten Auswirkungen auf die Gesundheit.“ Ich dachte eigentlich, das werde ein großes, großes Problem werden. Warum war ich so besorgt? Weil das gegenwärtige Strahlenschutzgesetz darauf basiert, kleine Mengen radioaktiven Materials zu behandeln, die sehr hohe Strahlendosen emittieren. In diesem Fall ist die Gesamtmenge des radioaktiven Materials von geringer Bedeutung. Wichtig ist die Höhe der Strahlendosis. Im Fall des Nuklearunfalles im AKW Fukushima I jedoch haben wir 5microsievert/h innerhalb eines 100km-Radius [er bezieht sich auf Tokai-mura], 0,5 microsievert/h innerhalb eines 200km-Radius [bezüglich der Tokyo-Gegend] und Strahlung weit darüber hinaus, sogar in Tee aus Ashigara und Shizuoka [über 300km], wie jetzt jedermann weiß.

Wenn wir Strahlungsverletzung und -Krankheit untersuchen, achten wir auf die Gesamtmenge des radioaktiven Materials. Aber es gibt keinen definitiven Bericht von TEPCO oder der japanischen Regierung über die genaue Menge des radioaktiven Materials, das in Fukushima freigesetzt wurde. Also haben wir auf Grundlage unserer Wissensdatenbank am Radioisotopen-Zentrum unsere Berechnungen angestellt. Bezüglich des thermischen Ausstoßes ist er 29,6-mal höher als die Menge, die beim Atombombenabwurf in Hiroshima freigesetzt wurde. Das Uran-Äquivalent beträgt 20 Hiroshima-Bomben. Beängstigender ist, dass die Strahlung von einer Atombombe innerhalb eines Jahres auf ein Tausendstel abnimmt, während die Strahlung von einem Kernkraftwerk nur auf ein Zehntel abnimmt. In anderen Worten: wir sollten von Anfang an erkennen, dass – genau wie Tschernobyl – das Atomkraftwerk Fukushima I radioaktives Material freigesetzt hat, das der Menge von 10 Atombomben entspricht und dass die resultierende Kontamination viel schlimmer ist als die Kontamination von einer Atombombe.

Von Standpunkt eines Systembiologen muss man, wenn die Gesamtmenge klein ist, nur die jeweilige Menge für jede einzelne Person berücksichtigen. Wenn jedoch große Mengen radioaktiven Materials freigesetzt werden, bestehen sie aus Partikeln. Die Verbreitung von Partikeln ist nicht-linear, und ihre Berechnung ist eine der schwierigsten Aufgaben der Fluiddynamik [Teilgebiet der Strömungslehre]. Kernbrennstoff ist wie in Kunstharz eingeschlossener Sand, aber wenn die Brennstäbe schmelzen, wird eine große Menge kleinster Partikel freigesetzt.

Was passiert dann? Probleme wie das kontaminierte Reisstroh passieren.

Zum Beispiel wurde in Fujiwara-cho in der Präfektur Iwate Reisstroh mit 57.000 Bq/kg gefunden. In Osaki in der Präfektur Miyagi 17.000 Bq/kg, in Minami-Soma City in der Präfektur Fukushima 106.000 Bq/kg und in Shirakawa City in der Präfektur Fukushima 97.000 Bq/kg und in Iwate 64.000 Bq/kg. Das Kontaminationsmuster folgt keinen konzentrischen Kreisen. Es hängt vom Wetter ab. Die Kontamination hängt auch davon ab, wo die Partikel landen – zum Beispiel auf Material, das Wasser absorbiert.

Wir vom Radioisotopen-Zentrum haben der Stadt Minami Soma City bei Dekontaminations-Maßnahmen geholfen. Bisher haben wir sieben Dekontaminationen durchgeführt. Als wir das erste mal nach Minami Soma kamen, gab es nur einen Geigerzähler. Am 19. März, als das Ministerium für Agrikultur, Waldwirtschaft und Fischerei vermutlich die Anweisungen [bezüglich der Viehfütterung] ausgab, gingen in der Stadt gerade Lebensmittel, Wasser und Benzin zur Neige. Der Bürgermeister von Minami Soma veröffentlichte ein Hilfsgesuch im Internet, das weltweit gesehen wurde.

In solch einer Situation hätte niemand auf ein Papier des Ministeriums geachtet, niemand hätte etwas gewusst. Die Bauern wussten nicht, dass Reisstroh im Begriff war, kontaminiert zu werden. Trotzdem kauften sie Futter von außerhalb, gaben hunderttausende Yen aus, fütterten ihr Vieh damit und gaben ihm Trinkwasser. Was sollten wir also jetzt tun? Wir müssen garantieren, dass in dem kontaminierten Gebiet vollständige Strahlenmessungen durchgeführt werden.

Wie ich bereits erwähnte, gab es einen Geigerzähler in Minami Soma City, als wir im Mai dorthin kamen. Tatsächlich gab es 20 Strahlenmessgeräte, die von den US-Truppen zur Verfügung gestellt worden waren. Aber niemand im örtlichen Bildungsausschuss konnte die englische Bedienungsanleitung verstehen, bis wir kamen und ihnen erklärten, wie die Geräte zu bedienen sind. So war das dort.

Zur Lebensmittelkontrolle: es gibt fortschrittlichere Geräte als Germanium-Detektoren, bildgebende Halbleiter-Detektoren. Warum gibt die japanische Regierung kein Geld aus, um sie zu benutzen? Nach 3 Monaten hat die Regierung nichts dergleichen getan, und ich bebe vor Wut. Zweitens: Seit Herr Obuchi Premierminister war [1998], bin ich zuständig für Therapeutische Antikörper im Auftrag des Kanzleramtes. Wir benützen Radioisotope in Antikörper-Therapien, um Krebs zu behandeln.

Mit anderen Worten: meine Arbeit besteht darin, Radioisotope in menschliche Körper zu injizieren. Deshalb habe ich höchstes Interesse an der internen Strahlenbelastung und das ist es, was ich intensiv untersucht habe. Also möchte ich den Mechanismus erklären, wie es zu interner Strahlenbelastung kommt.

Das größte Problem bei interner Strahlung ist Krebs. Wie entsteht Krebs? Weil Strahlung DNA-Stränge zerschneidet. Wie Sie wissen, hat die DNA die Form einer Doppelhelix. In dieser Spiralform ist sie äußerst stabil. Wenn sich jedoch eine Zelle teilt, wird die Doppelhelix zu Einzelsträngen, doppelt sich und wird zu 4 Strängen. Das ist das höchst gefährdete Stadium. Deshalb sind Föten und kleine Kinder, deren Zellen sich rasch teilen, am empfänglichsten für Strahlengefährdung. Selbst bei Erwachsenen gibt es Zellen, die sich rasch teilen wie Haar, Blutzellen und Darmepithel [Bestandteil der Darmschleimhaut], die von Strahlung beschädigt werden können.

Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel dafür geben, was wir über interne Strahlungsbelastung wissen. Eine genetische Mutation verursacht keinen Krebs. Nach der anfänglichen Bestrahlung braucht es einen zweiten Auslöser, damit eine Zelle zu einer Krebszelle mutiert, der „driver mutation“ oder „passenger mutation“ genannt wird. [keine deutsche Bezeichnung verfügbar] Für Details sehen Sie sich bitte das beigefügte Dokument über die Fälle in Tschernobyl und Cäsium an.

Anmerkung CSN: driver mutations (Haupt oder Zellwuchs-Mutationen) sind jene, die den Krebs produzieren, während passenger mutations (Neben oder Gastmutationen) keinen Krebs machen. Vgl. Cancerfocus

Alpha-Strahlung ist sehr berühmt[berüchtigt]. Ich bin erschrocken, als ich von einem Professor der Tokyo Universität erfuhr, der sagte, es sei sicher, Plutonium zu trinken. Alpha-Strahlung ist die gefährlichste Strahlung. Sie verursacht Thorotrast-Leberschäden [später erklärt], wie wir Leberspezialisten sehr genau wissen. Bei interner Strahlung wird häufig auf so und so viele Millisievert verwiesen, aber das ist absolut bedeutungslos. Jod-131 geht in die Schilddrüse, Thorotrast geht in die Leber und Cäsium geht ins Urothel [Gewebe der Harnwege] und in die Harnblase. Ein Ganzkörperscan ist völlig bedeutungslos, ohne sich diese Stellen im Körper anzuschauen, wo Strahlung akkumuliert.

Thorotrast war ein Kontrastmittel, das in Deutschland seit 1890, in Japan seit 1930 benützt wurde, aber man fand heraus, dass 25 bis 30% Prozent der Menschen 20 bis 30 Jahre später Leberkrebs bekamen.

Warum dauert es so lange, bevor sich Krebs entwickelt?

Thorotrast ist ein alpha-strahlendes Nuklid. Alphastrahlung verletzt nahegelegene Zellen, und die DNA, die am meisten betroffen ist, ist ein Gen namens „P53“. Mittlerweile kennen wir Dank der Gentechnik die gesamte Sequenz der menschlichen DNA. Allerdings gibt es 3 Millionen Positionen auf der DNA, die von Person zu Person unterschiedlich sind. Daher macht es heute überhaupt keinen Sinn, so zu handeln als ob alle Menschen gleich wären. Das Grundprinzip sollte die „personalisierte Medizin“ sein, wenn wir interne Strahlung untersuchen,- welche DNA ist beschädigt und welche Art Wandel findet statt. Im Fall von Thorotrast ist es erwiesen, dass im ersten Stadium P53 geschädigt wird und es dann 20 bis 30 Jahre dauert, bis die Zweit- und Drittmutationen auftreten, die Leberkrebs und Leukämie verursachen.

Über Jod-131.

Wie Sie wissen, akkumuliert Jod in der Schilddrüse, und das ist besonders während der Entwicklungsphase der Schilddrüse festzustellen, d.h. bei kleinen Kindern. Aber dennoch: als die ersten Forscher in der Ukraine 1991 sagten: „Es gibt eine ansteigende Zahl von Schilddrüsenkrebs-Fällen“, veröffentlichten Forscher in Japan und den USA Artikel in „Nature“, die besagten: „Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Strahlung und Schilddrüsenkrebs.“

Warum sagten sie das? Weil es keine Daten gab für die Zeit vor 1986, gab es keine statistische Signifikanz. Die statistische Signifikanz wurde schließlich 20 Jahre später festgestellt.

Warum? Weil der Kurvenausschlag, der 1986 begann, wieder verschwand. Selbst ohne Daten von vor 1986 gab es also den kausalen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Schilddrüsenkrebs-Fälle und der Strahlenbelastung aus Tschernobyl.

Epidemiologische Beweisführung ist sehr schwierig. Es ist unmöglich, Beweise zu liefern, bevor alle Fälle abgeschlossen sind. Daher wird aus dem Blickwinkel des „beschützt unsere Kinder“ eine völlig andere Herangehensweise benötigt. Dr. Shoji Fukushima von der staatlichen Institution „Japan Bioassay Research Center“, die die gesundheitlichen Auswirkungen von chemischen Verbindungen erforscht, hat seit dem Tschernobyl-Unfall Krankheiten im Bereich des Urinaltraktes untersucht. Dr. Fukushima und Doktoren aus der Ukraine untersuchten Teile von Blasen, die bei über 500 Operationen von Prostatahypertrophie [Vergrößerung der Prostata] entnommen wurden.

Sie fanden heraus, dass es in den hoch kontaminierten Gegenden, wo 6Bq/Liter im Urin entdeckt wurde, eine hohe Frequenz von P53-Mutationen gab, obwohl 6Bq/l unbedeutend klingen mag. Sie stellten auch viele Fälle von proliferativen präkazerosen Konditionen fest [entartete Zellen, die Krebs entwickeln können], von denen wir annehmen, dass sie durch Aktivierung von P38 MAP Kinase und dem sogenannten „NF-kappa-B“ Signal bedingt sind, was zwangsläufig zu einer proliferativen Zystitis führt, mit in beachtlicher Frequenz auftretendem Carcinoma in Situ.

Mit diesem Wissen war ich bestürzt, den Bericht zu hören, dass 2 bis 13 Bq/Liter [radioaktives Cäsium] in der Muttermilch von sieben Müttern in Fukushima gemessen wurde. Wir vom Radioisotopen-Zentrum der Universität Tokyo haben geholfen, Minami-Soma City zu dekontaminieren. Wir haben jeweils 4 Leute gleichzeitig geschickt und Dekontaminationen auf der Länge von 700km pro Woche durchgeführt.

Nochmals: das, was in Minami-Soma geschieht, zeigt deutlich, dass ein 20 oder 30 km Radius [vom AKW] überhaupt keinen Sinn macht. Sie müssen mehr ins Detail gehen, wie z.B. in jedem Kindergarten messen. Im Moment werden aus dem 20-30 km Radius 1.700 Schulkinder mit Bussen zur Schule gefahren. Tatsächlich liegt aber das Stadtzentrum von Minami-Soma nahe am Ozean und 70% der Schulen haben eine relativ niedrige Strahlenbelastung. Trotzdem werden Kinder dazu gezwungen, in die Busse zu steigen und den ganzen Weg zu Schulen in der Nähe von Iitate-mura [wo die Strahlung viel stärker ist] zurückzulegen. Die Busfahrten kosten jeden Tag 1 Millionen Yen.

Ich verlange nachdrücklich, dass diese Situation so schnell wie möglich beendet wird. Das Problematischste an der Richtlinie der Regierung ist, dass sie die Bewohner nur für ihre Umzugskosten entschädigen, wenn deren Gebiete als offizielle Evakuierungs-Zonen ausgewiesen sind. In einem kürzlich im Sangiin [Oberhaus der japan. Regierung] tagenden Ausschuss sprachen der damalige TEPCO-Präsident Shimizu und Herr Kaieda, Minister für Wirtschaft, Handel und Industrie darüber. Ich fordere Sie dazu auf, diese zwei Dinge sofort zu trennen – Kompensationskriterien-Belange und das Thema Schutz von Kindern.

Ich ersuche Sie nachdrücklich, alles zu tun, was Sie können, um Kinder zu beschützen. Eine andere Sache, von der ich mich überzeugt habe, während ich die Dekontamination in Fukushima durchführe, ist die Tatsache, dass Notfalldekontamination und permanente Dekontamination unterschiedlich behandelt werden sollten.

Wir haben eine Menge Notfalldekontamination durchgeführt. wenn Sie z.B. dieses Diagramm anschauen, werden Sie feststellen, dass das untere Ende dieser Rutsche die Stelle ist, worauf kleine Kinder ihre Hände legen. Jedes Mal, wenn der Regen die Rutsche herunter strömt, akkumuliert mehr radioaktives Material. Gibt es eine Schräglage, kann die Strahlungsdosis zwischen rechts und links unterschiedlich sein. Bei einer solchen Neigung kann die durchschnittliche Strahlung zwar bei 1 Mikrosievert liegen, aber an einer Seite trotzdem 10 Mikrosievert betragen. Benützen Sie einen Hochdruckreiniger, können Sie die Strahlungsdosis von 2 Mikrosievert auf 0,5 Mikrosievert verringern. Wir müssen mehr Notfalldekontaminationen an solchen Stellen durchführen.

Der Boden unter der Dachrinne ist auch eine Stelle, wo Kinder oft mit ihren Händen hinkommen. Benützen Sie einen Hochdruckreiniger, können Sie die Strahlungsdosis von 2 Mikrosievert auf 0,5 Mikrosievert verringern. Trotzdem ist es extrem schwierig, den Wert unter 0,5 Mikrosievert zu bringen, weil alles kontaminiert ist. Gebäude, Bäume, ganze Gegenden. Sie können die Strahlungsdosis einer Stelle verringern, aber es ist sehr schwer, das für eine ganze Gegend zu tun. Außerdem, welche Probleme müssen wir lösen und was wird das kosten, wenn wir ernsthaft dekontaminieren wollen?

Im Fall der „Itai-Itai-Krankheit“, hervorgerufen durch Cadmiumvergiftung [von einer Mine] hat die Regierung bisher 800 Billionen Yen ausgegeben, um die Hälfte der Cadmium-kontaminierten Gegend, die insgesamt etwa 3.000 Hektar groß ist, zu dekontaminieren.

Wie viel Geld wird es kosten, wenn wir eine tausendmal größere Fläche dekontaminieren müssen? Daher möchte ich drei dringende Anträge stellen.

Erstens: Ich beantrage, dass die japanische Regierung als nationale Strategie die Messung der Strahlung von Lebensmitteln, Erdreich und Wasser mittels Japans fortschrittlichster Technologie wie bildgebenden Semikonduktor-Detektoren betreibt. Das liegt absolut im Bereich von Japans derzeitigen technischen Fähigkeiten.

Zweitens: Ich beantrage, dass die Regierung so schnell wie möglich ein neues Gesetz in Kraft setzt, um die Strahlenbelastung von Kindern zu reduzieren. Im Moment ist alles, was ich tue, illegal.

Das jetzige Strahlenschutzgesetz spezifiziert die Menge der Strahlung und die Arten von Radionukleiden, die die einzelnen Institutionen bearbeiten dürfen. Die Universität Tokyo mobilisiert all die Arbeitskraft ihrer 27 Radioisotopen-Zentren, um Minami-Soma City bei der Dekontamination zu helfen. Aber viele der Zentren haben keine Erlaubnis, mit Cäsium zu arbeiten. Es ist illegal, es in Autos zu transportieren. Aber wir können nicht hoch radioaktives Material bei den Müttern und Lehrern dort lassen, also stecken wir alles in Fässer und bringen die mit nach Tokyo zurück. Sie dort in Empfang zu nehmen, ist illegal. Alles ist illegal. Es ist die Schuld des Parlamentes, solche Situationen so zu belassen, wie sie sind. Es gibt viele Institutionen in Japan, z.B. Radioisotopen-Zentren an nationalen Universitäten, die Germanium-Detektoren und andere hochentwickelte Detektoren besitzen. Aber wie können wir als Nation mit aller Kraft unsere Kinder beschützen, wenn die Hände dieser Institutionen gebunden sind? Dies ist das Ergebnis der groben Fahrlässigkeit des Parlamentes.

Drittens: Ich beantrage, dass die Regierung als nationale Strategie die Fähigkeiten des privaten Sektors mobilisiert, um Techniken zur Dekontamination des Erdreiches zu entwickeln.

Es gibt viele Firmen mit Expertise in radiologischer Dekontamination; Chemie- unternehmen wie Toray und Kurita, Dekontaminationsunternehmen wie Chiyoda Technol und Atox, und Baufirmen wie Takenaka Corporation. Bitte mobilisieren Sie deren Kräfte sobald wie möglich, um ein Dekontamination-Forschungszentrum aufzubauen. Es wird zehntrillionfach Yen kosten, die Dekontaminationsarbeiten durchzuführen. Ich bin tief besorgt, dass es hier zu Öffentlichen Arbeiten mit Ausschreibungen, Konzessionen etc. kommt. Wir können uns den Luxus nicht erlauben, eine Sekunde zu verschwenden, wenn wir den finanziellen Zustand der japanischen Regierung bedenken. Wir müssen herausfinden, wie wir tatsächlich dekontaminieren können.

Was in aller Welt treibt das Parlament, während 70.000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden und herum irren?

Das ist alles.

Übersetzung aus dem Englischen: 007bratsche

Prof. Tatsuhiko Kodama ist der Leiter des Radioisotopen-Zentrums der Universität Tokyo. Am 27.7.2011 hielt er als Zeuge im Unterhaus der japanischen Regierung diese Rede zur Lage in den von den havarierten Reaktoren in Fukushima betroffenen Gebieten.

Diese Rede gibt es auf dem Blog EX-FSK auf Japanisch, Englisch, Französisch und Deutsch.

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Kalkputze und Kalkfarben selbst gemacht

Experte erklärt alles Wissenswerte über Kalk, Kalkfarben und Kalkputze

Vor Kurzem hatte ich aufgezeigt, wie Kalk entsteht und welche Arten von Kalk es im Gros gibt. Heute versuche ich aufzuzeigen, welche Kalke man sehr gut auch in der heimischen Wohnung nutzen kann. Aufgrund der immer höheren Allergierate, verbunden mit zunehmend schlechter Raumluftqualität, wäre es meines Erachtens wichtig, das Augenmerk viel mehr auf den einfachen Kalk und seine Produktvarianten zu werfen.

Kunstharz in Putz? Eine Allergikerfalle

Organische, ergo künstlich hergestellte Putze sind zwar nicht selten angenehmer zu verarbeiten, da das Material oft schon verarbeitungsfertig im Eimer beziehbar ist, jedoch enthalten diese Putze auch Kunstharze (organische Bindemittel) wie zum Beispiel Silikonharze (Polymethylsiloxane oder Polymethylphenylsiloxane), die auch wieder eine ganze Reihe von Stoffen enthalten, welche für einen ausgesprochenen Allergiker ein Grauen sein können. Natürlich werden viele Verkäufer und auch einige Hersteller diesem voll und ganz widersprechen und vielleicht mit Ansprachen wie: „Die Dichtungen um die Badewanne sind auch aus Silikon, da gab’s noch nie Probleme“ argumentieren. Diese Aussagen darf man jedoch getrost überhören, denn dass diverse Silikonharze, welche mitunter auch Verbindungen der Phenylgruppen enthalten, vielen Menschen gesundheitliche Probleme bereiten, wurde mittlerweile weit mehr als einmal belegt. Abgesehen davon ist das Silikon um die Badewanne (Silikonelastomere) ein völlig anderes als das im Putz.

Lehm, Kalk, Stein, Sand, Holz und Co.

Aber ich will nicht mit chemischen Formeln und schwer lesbaren chemischen Substanzen langweilen, denn ein, für die Gesundheit völlig unbedenkliches Bauen, geht im Grunde immer ohne umständliche chemische Formeln und Zutaten. Lehm, Kalk, Stein, Sand, Holz und Co. sind einfach zu lesen, noch einfacher zu gewinnen und mit ein wenig Sachverstand, einer „rechten Hand“ und etwas Übung auch einfach weiterzuverarbeiten. Hier muss man auch nicht völlig von baufachlichem Know How befreite Marketingagenturen beauftragen, die Textchen reimen, in welchen möglichst oft die nicht selten gelogenen Worte „Natürlich“, „Ökologisch“, „Biologisch“ oder das ohnehin schon von solchen Werbungsmachern verrmüllte Wort „Nachhaltig“ vorkommt. Völlig unnötig, denn diese Stoffe liegen mehr oder minder direkt vor der Haustüre und jeder, der eine Kindheit hatte, in der er auch mal im Freien spielen durfte, kennt den Unterschied zwischen Stein und Sand. Auch wenn dieses Lernen erst etwas später beim Schottern von Bahngleisen stattgefunden hat.

Kalk, ein uralter Werkstoff

Aber zurück zum Kalk. Kalk ist, wie die meisten wohl wissen, für die Bau-, Mal-, Anstrich- und Putztechnik das Material, das im Umfang und in der Vielfalt der Anwendungen ganz vorne steht. Die Freskenmalereien von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle des Vatikans dürften viele kennen oder zumindest schon einmal davon gehört haben – ohne Kalk würde es die gar nicht geben. Kalkputze, Kalkfarben, Kalkanstriche und selbst einfache Kalkschlämmen sind seit hunderten von Jahren beliebt. Nicht umsonst, denn Kalk bzw. das Kalkhydrat ist Bindemittel, farbgebende weiße Substanz und chemisch wirksamer Haftvermittler (bei kalkhaltigen Untergründen) in einem, was durchaus als einmalig in der Anstrich und Maltechnik zu betrachten ist. Kalk in Putzen, ob als reiner Kalkputz mit Luftkalk, als Kalkzementputz, Gips-Kalkputz oder Kalk-Gipsputz, ist im Grunde gar nicht mehr aus dem Baugeschehen weg zu denken. Selbst die synthetischen Putze nutzen nicht selten den Kalk, als wertvolle Zutat.

Kalkputz

Die interessantesten Kalkputze dürften wohl die Kalkputze der Putzmörtelgruppe P I sein, die sogenannte Kalkmörtelgruppe. Hier sind unter PI a die Luftkalkmörtel, unter PI b die Wasserkalkmörtel und unter PI c die Mörtel mit hydraulischem Kalk eingeteilt. Alle diese Kalkputze beinhalten nicht mehr und nicht weniger als 1 Teil Kalk, 3 bis 4 Teile Sand und etwas Anmachwasser.

Welche Art von Putz wo angewendet werden kann bestimmt die Art des Kalkes. Wird ein hydraulischer Kalk genutzt (Putzmörtelgruppe PI b und auch PI c) so haben wir in aller Regel einen Außenputz vorliegen (hydraulische Bindemittel erhärten an der Luft und im Wasser). Wird hingegen ein nichthydraulischer Kalk, wie zum Beispiel der Luftkalk genutzt, so haben wir einen ausgesprochenen Innenputz (nichthydraulische Bindemittel erhärten nur an der Luft und sind nicht wasserbeständig nach dem Austrocknen). Eines aber haben all diese Putze gemeinsam, es sind mineralische Putze und zwar rein mineralische Putze ohne Kunststoffe. Oben drein ist Kalkputz von Natur aus dermaßen alkalisch, dass sich Schimmelpilze und Bakterien hierauf gar nicht wohlfühlen. Das Problem des Algen- und Schimmelpilzbewuchses, welches sich bei synthetischen Putzen wenige Jahre nach dem Verputzen häufig darstellt, gibt es hier nicht, wenn in regelmäßigem Abstand auch ein Kalkanstrich auf die Wände aufgetragen wird. Das beweisen auch die unzähligen Viehställe, deren Wände von den Landwirten selbst einfach nur gekalkt werden und an denen kein Schimmelpilz zu finden ist. Zugegeben ein Beispiel, das so oft schon für Argumente benutzt wurde, dass es so mancher Kollege gar nicht mehr hören kann, aber auch ein Gutes, denn in einem Kuhstall oder ähnlichem sind schon aus dem Naturell heraus dermaßen viele Bakterien, Keime und Pilzsporen durch die Ausscheidungen der Tiere, aber auch durch die natürlichen Sporenanhaftung an dem Futter (Heu, Gras etc.) vorhanden, dass man es extremer kaum nachstellen könnte. In einer normalen, einigermaßen gepflegten menschlichen Wohnumgebung ist die Belastung in aller Regel um einiges geringer.

Ein Nachteil hat Kalkputz allerdings und den will ich nicht verheimlichen:

Reinen Kalkputz aus dem Putzsäckchen muss man selbst mit Wasser und einem Quirl anmischen, bevor man ihn auf die Wand auftragen kann. Greift man zu den Einzelteilen Kalk, Sand und Wasser, wird der Aufwand in so fern höher als das man mindestens bis vier zählen können muss. Den Eimer aufreißen und dessen manchmal komisch riechenden Inhalt direkt auf die Wand zu schmieren klappt hier nicht.

Eimer aufreißen, kurz anrühren und an die Wand schmieren klappt aber auch bei Kalk. Nicht beim Putz, aber bei einem einfachen Kalkanstrich.

Kalktünche, Kalkschlämme, Sumpfkalk

Die einfachste Form einer Kalkfarbe dürfte wohl die Kalktünche bzw. die Kalkschlämme sein. Für einen weißen Anstrich ohne Färbung benötigt man nichts anderes als eingesumpften Kalk. Diesen gibt es tatsächlich fertig zu kaufen, allerdings sollten Sie darauf achten, dass der Preis des Produktes auch angebracht ist. Sumpfkalk, also fertig eingesumpfter Weißkalk, liegt bei einem gewöhnlichen 10 kg Eimer bei einem Brutto Einkaufspreis, der in keinem Fall die 10 Euro erheblich überschreiten sollte, zumeist liegen wir in einem Bereich zwischen 4 und 8 Euro für den 10 Kg Eimer. Will man, dass die gestrichene Oberfläche nicht abkreidet, dann fügt man beim Aufrühren des Sumpfkalkes einfach ein paar Tropfen (nein, wirklich nur ein paar Tropfen) Leinöl dazu. Will man einen farbigen Anstrich, so fügt man entsprechende Pigmente in Pulverform hinzu bzw. mischt diese unter Rühren bei. Der große Vorteil dieses einfachen Anstriches ist seine hervorragende desinfizierende Wirkung.

Kalkkaseinfarbe, Kalkkaseinleimfarben

Neben den einfachen Kalkschlämmen ist es auch möglich, Kalkkaseinfarben selbst herzustellen. Die Zutaten hierfür wären abgerahmte Milch, gelöschter Kalk (Sumpfkalk), Leinöl und weißer Ton oder geschlämmte Kreide. Der gelöschte Kalk wird hierbei mit etwas Milch zu einem dicken Brei vermischt. Anschließend wird das Leinöl eingemischt und wieder etwas Milch zugegeben. Zu guter Letzt kommen der Ton, die Kreide oder eventuell färbende Pigmente hinzu. Die Kalkkaseinfarbe wird in mehreren Lagen aufgetragen, will man die Oberfläche mit einem leichten Glanz versehen, so kann man einen Endanstrich aus Eiweiß und Wasser auftragen. Allgemein sind Kalkkaseinfarben allerdings nicht für den Außenbereich oder in ausgesprochen feuchten Räumen bzw. Räumen mit hoher Luftfeuchtigkeit zu verwenden.

Neben diesem gibt es natürlich auch Kalkkaseinleimfarben, weitere auf kalk basierende Farben. Getestete und für gut befundene Rezepte finden Sie in der App „Baulexikon“ bei iTunes oder auch im Sachbuch „Natürliche und pflanzliche Baustoffe“ (zweite erweiterte Auflage ab ca. September 2011), von wo auch die vorgenannten Beispiele herrühren.

Autor: Dipl. Ing. Gerhard Holzmann, Augsburg, Juli 2011

Photo: Gerhard Holzmann

Lesen Sie auch: Kein Bau ohne Kalk von Gerhard Holzmann

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