Diagnose MCS – Ein Cleanroom schafft gesundheitliche Stabilität

Cleanroom für MCS - Multiple=

Die Diagnose MCS – Chemikalien-Sensitivität ist für einen Erkrankten in der Regel schon lange klar, bevor sie ein Arzt ausspricht. Was sollte es sonst sein, wenn es einem ständig von minimalen Konzentrationen von Parfüm, Abgasen, frischer Lackfarbe körperlich von einer Minute auf die andere total schlecht geht? Oder wenn der Geruch von Nachbars Wäsche im Nu dafür sorgt, dass man Kopfschmerzen und Schwindel bekommt, man kaum noch richtig reden kann und nur noch ins Haus wanken kann?

Dennoch, wenn der Arzt vor einem sitzt und die Diagnose ausspricht, ist es hart und für fast jeden ziemlich überwältigend. Was nun? Ist es das Ende? Kann man nie wieder gesünder werden? Wird die Sensibilität zwangsläufig bei jedem immer stärker?

Diagnose MCS

Wenn die Diagnose MCS steht, ist der Zeitpunkt erreicht, dass Leben umzukrempeln. Dies ist nicht als Strafe zusehen, sondern als Notwendigkeit und erster Schritt zur Besserung. In mehreren Artikeln soll ein Leitfaden zur Verfügung gestellt werden, mit dem ein an MCS Erkrankter Stabilität und damit letztendlich wieder mehr Lebensqualität zurückgewinnen kann.

Raus aus dem Haus mit der Chemie

Die erste Maßnahme für eine chemikaliensensible Person besteht darin, Chemikalien aus dem Haushalt und Umfeld zu verbannen. Das muss kein teures Unterfangen werden, wenn man daran denkt, mit wie wenig unsere Großeltern auskamen. Wie geht man vor? Man nimmt eine große Kiste für die chemikalienhaltigen Produkte und geht mit gnadenlosem Blick Zimmer für Zimmer durch. Spraydosen, Farbdosen, Fleckenwasser, Nitroverdünnung von der letzten Renovierung, Parfums, scharfe Reiniger, all das sollte aus dem Wohnumfeld verbannt werden. Strategien wie: „Ich brauche erst noch die Flaschen auf, dann wechsele ich zu schadstofffreien Produkten“, verhindern, dass der Körper im eigenen Umfeld Symptome abbauen kann. Konsequenz hingegen führt schnell zu spürbarem Erfolg. Nächster Schritt: ein Cleanroom.

Anleitung zur Gestaltung eines Cleanroom – Schlafzimmers

In der Wohnung sollte ein Zimmer bereitstehen, das es zulässt, Symptome abzubauen. Weil die meisten Chemikaliensensiblen kein weitläufiges Haus besitzen, empfiehlt es sich, das Schlafzimmer als Cleanroom (Reinraum) umzufunktionieren. Wenn man es schafft, dieses Zimmer in eine „Oase“ ohne Chemikalien umzufunktionieren, hat man sich eine reelle Chance geschaffen, den Körper zur Ruhe zu bringen.

Kein Raum ist schadstofffrei – Was nun?

Ist im Wohnraum kein Zimmer wirklich schadstofffrei und ein Umzug nicht zu realisieren, muss improvisiert werden. Eine Überganglösung muss geschaffen werden. Die Betonung liegt auf Übergangslösung, da keine konkrete Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist, wenn man im eigenen Wohnraum fortlaufend Schadstoffen ausgesetzt ist.

Notfallalternative Aluzimmer

Eine von Chemikaliensensiblen praktizierte Möglichkeit für den Notfall ist das Austapezieren eines belasteten Zimmers mit Alufolie oder Edelstahlfolie. Hierzu wird Alufolie oder Alukraftpapier genommen und je nach Bedarf Boden, Decke und Wände damit tapeziert oder bespannt. Beides ist nicht als Dauerlösung gedacht, da das Raumklima auf Dauer nicht angenehm ist. Zu beachten ist, dass die Folie ganz spezifisch ausgewählt werden muss. Die Folienart und Dicke muss je nach Belastung ausgewählt werden. Es gibt sogar Spezialfolien die PCB abschirmen.

Schaffung eines Cleanroom-Schlafzimmers

Generell sollte der Raum, den man als Cleanroom auswählt, frei von Chemikalien und Schimmelpilz sein. Hat man Zweifel, ist eine Raumanalyse zu erwägen. Sollte man eine Auswahl unter verschiedenen Räumen treffen können, wählt man am besten einen licht- und luftdurchfluteten Raum, abgewandt von verkehrsreichen Zonen. In einem dunklen muffigen Raum im Erd- oder Kellergeschoss fühlt sich keiner wohl. Die Räume in der unmittelbaren Nähe des Schlafzimmers sollten ebenfalls frei von Chemikalien sein. Ein Schlafzimmer neben oder über einer Garage, einem Heizraum, oder ähnlichem bedeutet für jeden eine Gesundheitsgefahr und darf in keinem Falle unterschätzt werden.

Der Raum sollte nicht mit Möbeln und Gegenständen überladen werden. Je weniger herumsteht, desto sauberer die Luft. Trotz Kargheit sollte in höchstem Maße auf Ästhetik geachtet werden. Warme Farben, nette Bilder an der Wand, schöne Dekorationsgegenstände aus Porzellan, Stein, Glas oder anderen nicht ausdünstenden Materialien sorgen für eine wohltuende und nicht völlig sterile Atmosphäre.

Welche Baumaterialien können im Cleanroom zum Einsatz kommen?

  • Wände und Decke sollten mit Naturfarben gestrichen werden. Am pursten ist eine Kreide-, Kalk-, Kasein- oder Silikatwasserglasfarbe oder Lehmstreichputz. Farben auf Toleranz testen. (Achtung: konventionelle Farben und Grundierungen mit bis zu 2% Lösungsmitteln dürfen in Deutschland „lösungsmittelfrei“ genannt werden.)
  • Als Bodenbelag sind Fliesen, Marmor, Granit, Hartholzdielen, Edelstahl oder Riffelblechplatten am Besten geeignet. Diese Materialien sind zu bevorzugen anstatt chemiegeladenem Teppichboden, Laminat und PVC.
  • Der Fußbodenuntergrund sollte frei von PAK’s sein. Diese sind in Bitumenklebern und Flüssigasphalt enthalten. (erkennbar an der schwarzen Farbe)

Welche Baumaterialien sollte man vermeiden?

  • Vinyltapete, Stofftapeten, Raufaser (oft aus Altpapier und belastetem Recyclingholz hergestellt. Bedruckte Tapeten (Schwermetalle, Lösemittel, Fungizide und andere Chemikalien)
  • Latexfarbe
  • Terpen- oder harzhaltige Farben, Wachse, Standöle und Oberflächenversiegelungen
  • Chemiehaltige Antischimmelfarbe
  • Teppiche und Teppichboden, da er Schmutz, Schimmelpilze und Pollen ansammelt und Chemikalien ausdünstet. Anmerkung: Teppichböden mit Wollsiegel müssen mit Mottenschutz (Pestizide, wie z.B. Pyrethroide) ausgerüstet sein, um dieses Siegel zu erhalten.
  • Falls vorhandener Teppichboden aus Kostengründen nicht entfernt werden kann, sollte man ihn versiegeln, oder mit schwerer Alufolie, mittels Aluklebeband abdecken. Anschließend kann man Leintücher oder Stoffbarrierenstoff auflegen.
  • Behandelte Holzdecken und Holzvertäfelungen (falls vorhanden, auf Holzschutzmittel hin untersuchen lassen)
  • Zedernholz und Pinie, da sie Allergieauslöser ist und der Geruch von vielen nicht vertragen wird. Die bessere Wahl sind Harthölzer ohne hohen Terpen- und Harzgehalt

Das Raumklima

Ein gesundes Raumklima für Chemikaliensensible erfordert besondere Reinigungsmodalitäten. Das Zimmer sollte mindestens zweimal pro Woche gesaugt und dann feucht gereinigt werden. Bei Hausstauballergikern ist manchmal sogar tägliches Wischen angebracht, um Symptomfreiheit zu gewährleisten. Alle Dekorationsgegenstände, Möbel, etc. müssen mindestens einmal wöchentlich feucht gereinigt werden.

Was verbessert die Raumluft?

  • Wenig im Raum
  • Keine Kunstfasern und Kunststoffe
  • häufiges Lüften zu schadstoffarmen Zeiten (früh morgens, abends und an Wochenenden)
  • Raumluftfilter mit HEPA Filter (nur Raumluftfilter mit Metallgehäuse verwenden, da Kunststoff ausdünstet)
  • Fenster nachts geschlossen halten (Schimmelpilze strömen um diese Tageszeit ihre Sporen aus) vor allem bei hausnaher Begrünung
  • Fenster während der Pollensaison geschlossen halten oder Raumluftfilter einsetzen
  • Polstermöbel und Polsterbetten bei Hausstaubmilben- oder Stauballergie vermeiden
  • Kleider nicht offen oder auf Kleiderstangen im Raum hängen lassen (chemische Ausrüstung, Staub, Pollen, etc. von außen haften an der Kleidung). Die beste Lösung ist es, die Kleider aus dem Schlafzimmer zu verbannen.

Was verschlechtert die Raumluft?

  • Gas-, Holz- oder Ölöfen
  • Duftstoffe, Raumspray, Zigarettenrauch
  • Schimmelpilz
  • Pestizide
  • Teppichboden, Laminat
  • Gardinen (sie sind oft mit Flammschutzmitteln und farbkonservierenden Chemikalien ausgestattet)
  • Dekorationsgegenstände aus Material die ausdünsten können (z.B. auch Kunstblumen)
  • Fernseher, Stereoanlage, Zeitschriften, DVD, Bücher, etc.
  • Bitumenkleber, Flüssigasphaltestrich
  • Kunststoffe
  • Chemische Reinigungsmittel
  • Chemische Baumaterialien und Oberflächenbehandlungen

Hypersensibel erfordert vollste Konsequenz

Wer sich im Hypersensibilitätsstadium befindet, darunter versteht man einen Zustand, in dem jemand nahezu ständig auf fast alles, was ihn umgibt, reagiert, sollte seinen Cleanroom völlig ohne Kompromisse gestalten. Lieber nach und nach weitere Gegenstände hineinbringen und ausprobieren, als sich durch Kompromisse um den wichtigen Erfolg zu bringen, den Gesundheitszustand zu stabilisieren.

Wie das Bett, der Kleiderschrank und das restliche Mobiliar im Cleanroom-Schlafzimmer aussehen sollten und welche speziellen Alternativen es für Hypersensible gibt, ist im nächsten Teil der Serie zu erfahren.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. September 2009

Warum Sie nicht mitkriegen, dass Sie MCS haben

Krank ohne Grund? Nein Gründe gibt es

Menschen mit Multipler Chemikalien-Sensitivität (MCS) reagieren auf verschiedene Chemikalien. Zum Beispiel Autoabgase, Parfüm, Lösemittel aus Bodenklebern, Farbgerüche etc. können die Symptome auslösen. Das kann man sich vorstellen wie eine Allergie. Allerdings sind die Symptome nicht nur Atemwegssymptome, sondern können genauso gut Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Verdauungsbeschwerden, Störungen im Herz- Kreislaufsystem, Nervenbeschwerden, Muskelschmerzen, psychische Symptome, kurz Alles, beinhalten. Wohlgemerkt können, manche Patienten reagieren z.B. vorwiegend mit Migräne oder Atemwegsbeschwerden, während andere nie Migräne oder Atemwegsbeschwerden hatten.

Wie erkennt man MCS?

Wie erkennt man nun MCS? Eigentlich klar: Sie riechen irgendwas oder essen etwas Bestimmtes, und dann geht es Ihnen schlecht. Ansonsten haben Sie wohl auch kein MCS. So einfach ist es leider nicht. Angenommen, Ihnen geht es ständig schlecht. Sie haben zum Beispiel ununterbrochen Kopfschmerzen. Weiter angenommen, die kommen von dem Duftstoff in Ihrem Weichspüler, den Sie ständig nehmen. Sie haben ständig die damit gewaschenen Sachen an und schlafen im damit gewaschenen Bettzeug. Wie wollen Sie merken, dass es vom Weichspüler kommt?

Das ist es, was die Diagnose von MCS so schwierig macht. Man kann Menschen die Symptome einer Blinddarmentzündung so gut einbläuen, dass sie ins Krankenhaus gehen, wenn sie sie feststellen. Aber bei MCS kann man keine perfekt einschlägigen Symptome nennen. Stattdessen ist ein Patient, der MCS hat und es meistens nicht weiß, ständig von den Stoffen, die er nicht verträgt, umgeben. Wie soll er dann herausfinden, von welchen der Stoffe er Probleme bekommt? Unsere ganze alltägliche Umwelt ist ja chemisch.

MCS früh erkennen

Dabei ist es extrem wichtig, eine Tendenz in Richtung MCS früh zu erkennen. Schreitet die Krankheit fort, kann es zu einem Zustand kommen, in dem ein Leben in einer normalen Umgebung nicht mehr möglich ist. Das Überleben des Patienten ist dann nur in einer völlig abgeschotteten Umgebung möglich, und Symptome werden schon durch einen Mitmenschen mit Parfüm oder durch ein vorbeifahrendes Auto mit dem Benzingeruch aus dem Auspuff ausgelöst. Aus leichten Symptomen werden schwerste.

Eine leichte Form, eine Gefährdung, gibt es bei ca. 15-30% der Bevölkerung. Das ist nicht dramatisch, meist meidet der Patient die für ihn schlimmsten Stoffe intuitiv („Ich kann in keinen Bus gehen, da wird mir sofort schlecht.“ „Duftkerzen kommen mir nicht in die Wohnung.“ „Ich könnte keine Gummifabrik betreten.“). Solange man den Patienten nicht in eine stark belastete Umgebung, wie eine komplett verschimmelte Wohnung oder einen Neubau mit vielen Lösemitteln, eine Fabrik etc. bringt, passiert meistens nichts.

Schadstoffe minimieren – Diagnosehilfe und Behandlung zugleich

Wenn Sie unter chronischen Beschwerden leiden, die sich nicht erklären lassen, kann eine Minimierung der Schadstoffe im Umfeld eventuell helfen. Wenn es Ihnen dadurch besser geht, kann das ein Hinweis darauf sein, dass die Beschwerden durch Schadstoffe ausgelöst werden. Lassen Sie sich von Ihrem Gefühl bzw. Ihrer Nase leiten. Ideal wäre eine nicht mehr neue, also nicht frisch mit Farben und Bodenklebern ausgestattete Wohnung, die auch nicht verschimmelt ist. Weitere Infos finden Sie in dem Blog: Gesundheitsvorsorge: Einfach billig – Schadstoffe und Keime

Sie sind kein Ökochonder: MCS ist nicht Psycho!

Dramatisch ist, dass MCS-Patienten häufig nie ihre echte Diagnose erhalten und psychiatrisiert werden. MCS gehört nicht zur üblichen Differentialdiagnostik, obwohl es sehr häufig ist. Und MCS selbst wird häufig als psychisch bezeichnet. Warum wohl? An MCS-Patienten verdient keiner. Die bleiben daheim und meiden Chemikalien. Psychiatriepatienten dagegen sind profitabel. Psychiatrien, Psychopillen, Therapien, da klingeln die Pharmakassen. Denken Sie daran. Die wirtschaftlichen Interessen einiger Personenkreise sollten Sie nicht daran hindern, herauszufinden, warum Sie krank sind. Und andere auch nicht. Schicken Sie diesen Blog als Link herum, posten Sie ihn in Foren, in denen Sie mitschreiben! Damit tragen Sie zur dringend nötigen Aufklärung über MCS bei.

Autor: Amalie für CSN – Chemical Sensitivity Network, 19. August 2009

Weitere interessante Artikel von Amalie:

In Gedenken an Brigitte S.

Dieser Blog erscheint mit Absicht am Tag und zur Stunde der Trauerfeier. Er soll uns daran erinnern, dass das Leiden von Brigitte S. und ihr Tod nicht umsonst sein dürfen.

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Es beginnt

Brigitte arbeitete seit ihrer Lehre als Zahntechnikerin. Dabei hatte sie Kontakt mit einer Reihe von Stäuben, Metallen, Desinfektionsmitteln, Kunststoffen, Klebern, Lösungsmitteln u.v.m. Sie hatte keine Ahnung von den Gefahren ihres Berufs, wusste nichts über die Auswirkungen auf ihren Körper. Sie beobachtete psychische Veränderungen an ihren Arbeitskollegen, viele waren cholerisch. Aber sie erkannte den Zusammenhang zwischen der Arbeitsumgebung, der Arbeitsbelastung und dem Verhalten ihrer Kollegen nicht als krankheitsauslösend. „Beruflicher Stress“ war die gängige Erklärung.

Bis Ende 2003 zwang Brigitte sich zum Durchhalten im Job, dann zeigte ihr Körper sehr deutlich seine Grenzen: Gewichtsabnahme, Schmerzen am ganzen Körper, Tinnitus, Übelkeit, Schlaf- und Sehstörungen, Müdigkeit, Gedächtnisabfall und Desorientierung. Die Symptome traten nicht alle gleichzeitig auf. Immer mal eines, dann ein anderes. Ihr Körper veränderte sich, das spürte sie ganz deutlich.

Wie jeder Kranke ging Brigitte von Arzt zu Arzt: Hausarzt, Augenarzt, HNO, Internist… Sie bekam Einzeldiagnosen auf die Symptome und Medikamente. Nur wirksame Hilfe bekam sie nicht. Sprüche hörte sie häufiger: „So viele Allergien wie Sie kann kein einzelner Mensch haben.“ Kein Arzt durchschaute die Zusammenhänge, untersuchte mögliche Ursachen, nichts. Interdisziplinäre Konsultationen – was ist das denn?

Die Psychiatrisierung

Anfang 2004 begann das, was MCS-Kranke nur zu gut kennen: Erst eine ambulante psycho-therapeutische Behandlung, dann ein mehrmonatiger Klinikaufenthalt.

Für Brigitte muss die Zeit in der Klinik schwer gewesen sein. Stationäre Aufnahme bedeutete für sie: Keine Außenkontakte zum Ehemann oder Verwandten, nur am Wochenende Besuch, Medikamentengabe bar jeder Verträglichkeitsprüfung, Umnebelung, Ruhigstellung,…Wer aufmuckte, oder sich beschwerte, wer seiner Verzweiflung über die sich nicht ändernde Krankheitssymptome zum Ausdruck brachte, wer den Druck nicht aushielt, der wurde auffällig und machte sich unbeliebt. Die Medikamentengabe führte zu einer Sedierung, die Umnebelung nahm zu, Bauchkrämpfe traten auf, und einen klaren Gedanken fassen konnte sie nur selten.

Der Klinikaufenthalt hat schlussendlich an den zahlreichen körperlichen Symptomen nichts geändert. Brigitte wurde mit der gleichen Diagnose entlassen, mit der sie ihren Aufenthalt begann. Behandlungsvorschlag für die Zeit danach: „…vor allem Antidepressivabehandlung unbedingt sinnvoll, aktuell keine Rehaindikation, derzeit auch noch keine erhebliche Minderung der Erwerbstätigkeit.“

Auf sie wirkten kurze Zeit später die Worte eines Gutachtens wie Hohn. Zitat:

„… Sie erlebte die Klinikzeit wie einen Neubeginn des Lebens, wo sie wünschen und wollen darf, statt nur zu funktionieren und zu gehorchen. Ihre körperlichen Schmerzen begannen, sich in seelische Schmerzen zu verwandeln….“

Kann das wahr sein? Schmerzen bleiben Schmerzen, egal welche Ursache sie haben! Brigitte wurde aus medizinischer Sicht auf Zeit als arbeitsunfähig eingestuft. Andererseits schloss man eine Erwerbsminderung aus. Verstehe das, wer will.

Die wahre Diagnose: MCS

Im September 2004 besuchte Brigitte einen Qi Gong-Kurs. Voller Hoffnung hatte sie daran teilnehmen wollen, um etwas Ablenkung von ihren Sorgen und Schmerzen zu bekommen, um ihrem Körper etwas Gutes zu tun. Doch schon die Autofahrt dorthin, obwohl nicht sehr lang, machte ihr Schwierigkeiten. Im Laufe der Übungen traten vermehrt Schmerzen auf.

Durch eine andere Kursteilnehmerin mit MCS erfuhr Brigitte zum ersten Mal, dass ihre Krankheitssymptome auch ganz andere Ursachen haben könnten. Im Oktober 2004 besuchte sie zusammen mit ihrem Ehemann zum ersten Mal Dr. Binz in Trier. Im Februar 2005 lagen die kompletten Untersuchungsergebnisse vor:

„Schwere Neuropathie, schwere Myopathie, Ataxie, Hörminderung, Überempfindlichkeit gegenüber lauten Tönen, schwere Störung der Leistungen in der Psychometrie, schwere und vielfältige chemische Überempfindlichkeit, schwere Störung der Glukose-Utilisation im PET nach insgesamt 35 Jahren Arbeit als Zahntechnikerin.“ Mit anderen Worten: Brigittes Gehirn war auch noch schwer geschädigt. Und es war eine Erklärung für viele Beeinträchtigungen der Sinnesorgane.

Was dann?

Jetzt hatte Brigitte zwar eine exakte Diagnose, wusste, dass sie nie mehr arbeitsfähig sein würde und einen Rentenantrag stellen sollte – mehr aber nicht. Der Begriff „Expositionsvermeidung“ sagte ihr nicht viel. Noch schlimmer – sie bezog es auf die alte Arbeitsumgebung. Arbeiten konnte sie nicht mehr – also war alles gut. Auf die Idee, dass noch etwas anderes damit gemeint sein könnte, kam sie nicht. Die „Überprüfung der Lebensbereiche nach möglichen weiteren Auslösern“ ging in anderen, für sie wichtigeren Aktivitäten unter. Es gab und gibt keine Schulung, die Menschen mit dieser Diagnose auf ihre neuen Lebensumstände vorbereitet. Keine Stelle erklärte die Zusammenhänge, die notwendigen Veränderungen in der Lebensführung, und all das Notwendige zur Verbesserung der eigenen Situation.

Das Pragmatische – der Rentenantrag – wurde gestellt und führte zu neuen, seelischen Belastungen. Weil die Diagnose von Dr. Binz so nicht anerkannt wurde, musste Brigitte zur Begutachtung zum Medizinischen Dienst. Wie sie dort behandelt wurde, welche zum Teil dreisten und überflüssigen Fragen gestellt wurden, brachte sie fast zur Verzweiflung. Die Krönung: Ihrem Rentenantrag wurde Monate später nur aufgrund des Entlassungsberichtes aus der stationären psychotherapeutischen Behandlung stattgegeben. Mit der Diagnose MCS allein wäre der Antrag nicht bewilligt worden. Aber zu welchem Preis: Brigitte erlebte, dass sie als MCS-Kranke stigmatisiert und einmal mehr psychiatrisiert wurde.

Sie fühlte sich allein gelassen, ohne Unterstützung und Hilfe. Ein Neurologe vor Ort, den Sie wegen der langen Fahrt zu Dr. Binz als Alternative kontaktierten, zog alle Diagnosen in Zweifel und verdammte diese als Scharlatanerie. Als Höhepunkt bekam sie ein Rezept über Psychopharmaka in die Hand gedrückt.

Neue Umgebung

Zu diesem Zeitpunkt begannen sie und ihr Mann die Suche nach einem neuen Zuhause. Nach sechs Monaten Suche fanden sie eine aus ihrer Sicht geeignete Mietwohnung. Die mit der Wohnungssuche verbundenen Belastungen wie Besichtigungen, altes Haus ausmisten, Kartons packen, Kartons in die neue Wohnung fahren, neue Wohnung einrichten, altes Haus herrichten und verkaufen, all das für Nicht-Kranke Übliche, waren für Brigitte zu viel. Regenerationskuren folgten, aber nachhaltige Linderung brachten sie nicht.

Ein behandelnder Arzt stellte zu den vorhandenen Symptomen eine „Potenzierung der psychischen und toxischen Schäden“ fest. Dazu kamen diverse Nahrungsmittelunverträglichkeiten, weitere Minderung des Hörvermögens und der Durchhaltefähigkeit, Medikamentenunverträglichkeiten u.w.m.

Verschlimmerung

Brigittes Zustand in der neuen Wohnung verschlechterte sich kontinuierlich. Sie verstand nicht warum. Die neu eingerichteten Räume sahen gut aus: Parkett- und Linoleum-Böden, Flur, Küche und Bad gefliest. Vinyltapeten frisch gestrichen. Sie putzte die Wohnung, hielt alles in Ordnung. Sogar für einen Computerkurs fand Sie Zeit. Sie fing an, sich bei CSN und auf anderen Webseiten über MCS zu informieren, aber ihre geringe mentale Aufnahmefähigkeit verhinderte, dass sie verstand, was sie las. Sie konnte die Zusammenhänge nicht dauerhaft erkennen, manches wurde schlichtweg vergessen.

Nebenher unterstützten Brigitte und ihr Mann Bewohnerinnen des gegenüberliegenden Seniorenheimes. Sie lasen ihnen vor, unterhielten sich mit ihnen, gingen zusammen spazieren. Sie versuchten ein ihren Vorstellungen entsprechendes Leben zu führen, soweit Brigittes Krankheit es eben zuließ.

So merkte sie lange Zeit nicht, dass verschiedene Ausdünstungen zur Vernebelung des Geistes beitrugen. Sie ahnte nicht, dass die Weichspülerdüfte aus der gemeinsamen Waschküche ihr zusetzten. Sie wusste zwar, dass es Elektrosensibilität gibt. Sie sah die Sendemasten für Mobilfunk, maß ihnen aber zunächst keine Bedeutung bei. Später einmal wird Brigitte schreiben: „Ich habe die Krankheit lange nicht verstanden und jetzt im Schnelltempo erleben müssen, was es heißt.“

Der Zusammenbruch

Der örtliche Wasserversorger musste im Jahr 2008 seine Talsperre sanieren. Die Stadt, in der sie wohnte, stellte die Versorgung auf Grundwasserbrunnen um. Keime im Wasser führten dazu, dass das Trinkwasser gechlort abgegeben werden musste. Brigitte nutzte dieses Wasser täglich: Waschen, duschen, kochen, trinken.

Zudem war Brigitte mitten in die Einflugschneise des Köln-Bonner Flughafens gezogen. Tag und Nacht flogen die Flugzeuge über ihr Haus. Da der Flughafen über ein radargesteuertes automatisches Landesystem (ILS) verfügt, kam zum Funkverkehr und übermäßigem Lärm eine ständige Radarbelastung hinzu.

Im Herbst 2008 besuchten Brigitte und ihr Mann ein Konzert in Siegburg. Der Saal war voll, Besucherinnen trugen Parfüm, die Männer umwaberte Deogeruch. Das Konzert war großartig, mit einer Bühnenshow, die als Höhepunkt ein Lichtgewitter, Nebelschwaden und ein Minifeuerwerk vorsah. Mitten in diesem Höhepunkt musste Brigitte schlagartig den Saal verlassen. Sie konnte den Gestank, den Rauch, einfach alles nicht mehr auszuhalten!

In den nächsten Tagen und Wochen fühlte sich Brigitte einfach nur schlecht. Die Schlafstörungen nahmen zu, das Brennen im Körper, ihr Körpergewicht reduzierte sich. Alles tat weh. Ohnehin schon lärmempfindlich sorgte der Fluglärm für eine Kakophonie in Brigittes Ohren.

Nur ganz langsam konnte sie sich mit Hilfe ihrer Freundin, die ebenfalls MCS hatte, mit Abwehrmaßnahmen beschäftigen: Gegen die Weichspüler-Düfte wurde ein Untertürschutz angebracht. Das DECT-Telefon wurde zunächst gegen ein Eco-DECT-Telefon ausgetauscht, dann nochmals gegen ein ISDN-Tastentelefon. WLAN wurde komplett abgeschaltet und der Internetzugang per Kabel hergestellt; Energiesparbirnen gegen normale Glühlampen ausgewechselt. Doch Brigittes Zustand stabilisierte sich nicht. Sie spürte die Batterie in einer Armbanduhr. Außenkontakte wurden eingestellt. Nur die Freundin durfte sie noch besuchen, weil sie „nach nichts roch“.

Ihr Ehemann sah die Veränderungen, aber er verstand sie nicht. Im nagelneuen Auto konnte er Brigitte nicht mehr zu einem der wenigen, verständigen (!) Umweltärzten fahren, die es in Deutschland gibt und die vielleicht noch hätten helfen können.

Mitte 2009 wog Brigitte nur noch 46 Kilogramm. Die Symptome hatten Sie fest im Griff. Sie konnte sich nicht allein waschen, kam nicht in die Badewanne hinein, geschweige denn hinaus. Dazu die ständigen Schmerzen, die Hoffnungslosigkeit, jemals aus dieser Wohnung herauszukommen. Kein Fenster durfte mehr geöffnet werden, wenn Brigitte im Raum war, die Haustür nur ganz kurz für ein schnelles Raus/Rein. Jedes kleinste Geruchsmolekül wurde von Brigitte wahrgenommen, jedes elektrische Gerät. Die Atemschutzmaske war ihr ständiger Begleiter.

Silvia Müller telefoniert mit ihr, schickte Sauerstoff und Keramikmaske. Dazu weitere Ratschläge. CSN half! Kein Arzt, keine Krankenkasse, kein Nachbar, kein Angehöriger und schon gar keine andere Stelle.

Ganze Tage hat sie ihr Schlafzimmer nicht verlassen. Die Hypersensibilisierung nahm zu. Zwei neue Schränke rochen zu stark. Also raus mit den Schränken, Nachbarn aus dem Ort konnten sie gebrauchen.

Brigittes stellte ihre Nahrung um und zog einen Baubiologen hinzu: Er fand heraus, dass im Mietshaus ein DECT-Telefon 1000-fach (!!!) über dem Normwert strahlte. Die Wohnung lag im Mittelpunkt der Radarstrahlen. Die Fußböden aus Linoleum gasten ebenso aus wie die Vinyltapeten und der Kleber des Parketts. Die Katastrophe war perfekt. Wohin mit der total geschwächten Brigitte?

Erste Verlegung

Der Baubiologe empfahl ein Seminarhaus mit Netzfreischaltung in Hessen. Sofort wurde Kontakt aufgenommen, ein Doppelzimmer reserviert, sich nach der Netzfreischaltung erkundigt. Die Wartezeit bis ein Zimmer frei war, dauerte zu lange. Per Telefon setzte sie verzweifelt ihren Hilferuf ab: „Ich halte es hier nicht mehr aus! Holt mich dringend ab! Mit jedem Flugzeug zittert mein Körper und es hört nicht auf.“ Brigitte war schreiend vor Schmerzen zusammengebrochen. Was tun? Kurzfristig wurde sie zu ihrer Freundin gebracht, wo sie nur eine Nacht verbrachte. Die Wohnung war auch nicht perfekt, aber in Bezug auf den Elektrosmog besser und sie lag nicht mehr in der Einflugschneise. Laut war es immer noch.

Am 23. Mai startete die Verlegung nach Hessen. Alles sah nett aus. Das Haus von außen schön, das Zimmer innen einfach, sauber, für Nichtkranke keine übermäßigen Gerüche. Doch welch ein Schock! Es wurde gebaut. Ein Teil der Baustelle lag direkt unter dem Zimmer und das wurde bei der Reservierung nicht erwähnt. Für Brigitte war es zu laut, der Schulweg und die Waldschule in unmittelbarer Nähe, der Bauer mähte und fuhr mit dem Trecker dauernd hin und her. Brigitte kam nicht mehr aus dem Zimmer, der total geschwächte Körper ließ nur wenige Schritte zu. Das Essen war auch nicht richtig, die Angestellten rochen nach Parfüm,…Wiederholte sich die Katastrophe?

Zweite Verlegung

Mit einem Wort – Ja! Zwei Tage brauchte es, um für Brigitte einen neuen Aufenthaltsort zu finden. Es gibt in Thüringen einen Platz, an dem sich Elektrosensible aufhalten können. Kein Strom auf dem Zimmer, nicht auf der Etage, nur in den Servicebereichen des Hauses. Damit auch: Kein Radio, kein Fernsehen. Noch wichtiger: Kein Radar und in unmittelbarer Nähe keine Landwirtschaft. Mobilfunkverbot im Haus, keine großen Straßen, kein Fluglärm, ein Naturschutzgebiet.

27. Juni 2009: Zum Glück liegt der neue Ort nur eine knappe Autostunde entfernt. Wieder hoffte Brigitte, dass diesmal alles klappen würde. Aber tief drinnen hatte sie Zweifel, die sie ihrer Freundin im letzten Telefonat schilderte. Sie lebte mit einem immer schwächer werdenden Körper und der ständigen Zunahme der Empfindsamkeit.

Die letzten Tage

Jetzt war ihr Ehemann noch mehr gefordert. Kochen, einkaufen, sie nach draußen begleiten. Drei Wochen lang versuchte er alles für sie zu tun. Auf dem Zimmer lagen am ersten Tag kleine Seifenstückchen. Voller Verzweiflung forderte Brigitte, dass diese entfernt werden.

Dennoch hatte sie stundenlange Zitteranfälle, Sprach- und Schlafstörungen. Sie wurde gereizter und aggressiver. Brigitte war nicht mehr Herrin ihrer selbst. Vor allem nachts traten schreckliche Halluzinationen auf. Mehrfach konnte ihr Mann verhindern, dass sie sich aus dem Fenster stürzte.

Alle Mühen waren vergebens. Die Hypersensibilität schlug erbarmungslos zu.

Brigittes letzte Worte waren:

„Liebe Freundin!

Ich erleide Höllenqualen, ich bin verzweifelt, habe unendliche Schmerzen. Mein Körper richtet sich gegen sich selbst. Meine eigenen Berührungen lösen Schmerzen aus. […] jedes Geräusch bedeutet Schmerzen. Selbst wenn ich esse, habe ich Schmerzen.

Ich habe Heimweh wie verrückt, aber ich habe kein Zuhause mehr, ich weiß nicht einmal wohin. Ohne Maske kann ich nicht raus. In den Wald kann ich nicht, soweit kann ich nicht gehen.

[…] Ich kann mit niemanden sprechen, tut auch schon weh und alle haben irgendeinen Duft an sich.

Nachts läuft die Hölle auf Hochtouren. Panik! Dann stehe ich im Fensterrahmen und will springen. Ich kann nichts dagegen tun, es läuft automatisch ab. Zittern ohne Ende und Schmerzen. Schreien ins Kissen, weil ich es nicht mehr aushalten kann. […]“

Brigitte schied am 21. Juli 2009 gegen 11:00 Uhr aus dem Leben.

Autoren: Bea und Michael Muth für CSN – Chemical Sensitivity Network, 30. Juli 2009

MCS – Multiple Chemical Sensitivity tritt auch in Australien häufig auf

Einsame Straße in Australien

Menschen, die unter MCS – Multiple Chemical Sensitivity (ICD-10 GM T78.4) leiden, gibt es mittlerweile nahezu überall, sogar am anderen Ende der Welt, in Australien. 24,6% der in der australischen Region New South Wales lebenden Erwachsenen fühlen sich einer Umfrage nach regelmäßig durch Ausdünstungen von Chemikalien und deren Gerüche schlecht. Das ist fast ein Viertel der Bevölkerung dieser Region, die auf einem Kontinent liegt, der über sehr viel saubere Luft verfügt und dünn besiedelt ist.

Umfrage über Chemical Sensitivity in Australien
Auch in Australien, nach Alaska der bevölkerungsärmste Kontinent auf unserem Planeten, gibt es Menschen, die unter Chemical Sensitivity leiden. Australien hat Wüsten, Halbwüsten, Steppen, Urwald und lange Küstenregionen, die allesamt dünn besiedelt sind (2,7 Menschen pro Quadratkilometer). Die meisten Menschen leben in der Region New South Wales (NSW), die sich im Südosten des Kontinents befindet, dort, wo die großen Städte Sydney, Newcastle und die Hauptstadt Canberra liegen. Hier liegt die Bevölkerungsdichte bei 8,43 Einwohnern pro Quadratkilometer, wobei die meisten Menschen in den Städten in der Küstenregion leben.

In NSW wurde die Bevölkerung wiederholt nach ihrem Gesundheitszustand befragt. Jeweils eine Person eines Haushaltes, die über 16 Jahre war, durfte an der Befragung mittels des New South Wales Adult Health Survey  teilnehmen. Eine epidemiologische Studie zu MCS gab es zuvor noch nicht in Australien.

MCS Diagnosekriterien American Consensus
Der Definition des Begriffes MCS lag bei der australischen Umfrage die nachfolgende Fall – und Diagnosedefinition, der American Consensus zugrunde:

  1. Die Symptome sind mit (wiederholter chemischer) Exposition reproduzierbar
  2. Der Zustand ist chronisch
  3. Minimale Expositionen (niedriger als vormals oder allgemein toleriert) resultieren in Manifestation des Syndroms
  4. Die Symptome verbessern sich oder verschwinden, wenn der Auslöser entfernt ist
  5. Reaktionen entstehen auch gegenüber multiplen nicht chemischen Substanzen
  6. Die Symptome involvieren mehrere Organsysteme. (1999 ergänzt)
    Asthma, Allergien, Migräne, Chronische Müdigkeit Syndrome und Fibromyalgie stellen keine Ausschlussdiagnose für MCS dar.

Fragen nach der Häufigkeit von MCS im New South Wales
Die Umfrage nach dem Gesundheitszustand und der Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem im New South Wales Adult Health Survey stellte 12.622 Erwachsenen unter anderem auch die beiden nachfolgenden Fragen bezüglich Chemikaliensensitivität:

Lassen chemische Ausdünstungen oder Gerüche Sie sich regelmäßig unwohl fühlen?
Wurde bei Ihnen jemals Chemikaliensensitivität diagnostiziert?

Diese beiden Fragen brachten zutage, dass rund ein Viertel der Bevölkerung in der Region New South Wales unter Chemikaliensensitivität leidet (24,6%). Im Vergleich berichteten nur 6% der Befragten, das sie unter Diabetes leiden, 10,6% gaben an, Asthma zu haben und 12% hatten hohe bis sehr hohe psychische Probleme. 81% der Befragten gaben an, in einem rauchfreien Haushalt zu leben. Hieraus ergibt sich, dass MCS relativ gesehen ein recht weit verbreitetes Beschwerdebild ist.

Frauen häufiger von MCS betroffen als Männer
Der Gesundheitsfragebogen fand heraus, dass, wie auch in anderen Teilen der Welt beobachtet, mehr Frauen (28,9%) als Männer (20,1%) unter MCS leiden. Sehr interessant war, dass im Vergleich gesehen ein signifikant geringerer Anteil von Frauen über 75 Jahren (16%) im Vergleich zu jüngeren Fragen angab, unter einer Sensitivität gegenüber Chemikalien zu leiden.

Bei den Männern sah es ähnlich aus, auch hier klagten ältere Männer über 65 Jahre seltener über Reaktionen auf Chemikalien als Jüngere (11,5% / 15,4%) im Vergleich zur gesamten männlichen Bevölkerung.

Ob Stadt- oder Landleben spielt keine große Rolle
Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass ein Leben in einer Stadt eher zu Chemikaliensensitivität führt als das Leben auf dem Land in Australien. Der Fragebogen zum Gesundheitszustand in NSW stellte hingegen fest, dass es bei der Entwicklung von MCS kaum einen Unterschied ausmacht, ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt. Unter den Befragten mit MCS lebten 23,7% in ländlicher Region und 24,8% in der Stadt. Eine Ausnahme bildeten Befragte der nördlichen Sydney Region, sie litten prozentual seltener unter MCS als Bewohner anderer Regionen (19,6%). Ein sozioökonomischer Aspekt bei war bei den MCS-Erkrankten hingegen nicht festzustellen. Bei Arm und Reich lag der Prozentsatz ungefähr gleich.

MCS wird von australischen Ärzten bisher noch selten diagnostiziert
In Australien ist medizinische Versorgung oft nicht gleich um die Ecke verfügbar, außer natürlich in den Städten. Dieser Aspekt und der Umstand, dass genau wie anderorts auf der Welt nicht jeder Arzt MCS diagnostizieren kann und viele Mediziner sogar überhaupt noch nie von der Erkrankung gehört haben, dürfte dazu geführt haben, dass in NSW nur 2,9% der Befragten die Diagnose MCS durch einen Arzt erhalten hatten. Auffallend war weiterhin, dass der Prozentsatz der jüngeren Bevölkerungsschicht mit Diagnose MCS wesentlich geringer ausfiel, als im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung (16-24 Jahre / 1,5%). Der Unterschied zwischen der Häufigkeit der Diagnosestellung von MCS in der Stadt und auf dem Land war hingegen nur unwesentlich.

Autor:
Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 07.12.2008

Literatur:
NSW Health Survey 1997, 1998 und 2002 (HOIST). Centre for Epidemiology and Research, NSW Department of Health, Dec. 2003
Report of the New South Wales Health Survey Program, Chemical sensitivity

MCS ist unter Medizinern weitgehend unbekannt. Was war die windigste Diagnose, die Ihr statt „MCS“ erhalten habt?

MCS die unbekannte Krankheit?

Multiple Chemical Sensitivity / ICD-10 T78.4 wird selten diagnostiziert, obwohl ca. ein Drittel der Bevölkerung leicht bis schwer betroffen ist.

Grund: kaum ein Allgemeinmediziner kennt sich mit der Krankheit aus. Weder Diagnostik, noch Therapie der Krankheit wird flächendeckend angeboten.

Nur wenige Ärzte, verteilt über ganz Deutschland, bieten Hilfe für die Erkrankten an. Für schwerer Erkrankte gibt es überhaupt keine Anlaufstelle.

MCS-Blogfrage der Woche:

  • Welche Diagnose wurde Euch statt MCS T.78.4 gestellt?
  • Was war die windigste Diagnose die Euch stattdessen erteilt wurde?

Antibiotika gegen akute Bronchitis unnötig

Krank im Bett mit Bronchitis

Feuchtes Wetter, Heizungsluft und viele Menschen auf engem Raum begünstigen Viruskrankheiten wie akute Bronchitis. Fünf Prozent der Erwachsenen leiden jährlich etwa unter dieser Erkrankung, die durch Entzündung der Bronchien und der Lunge eintritt. Als Mittel der Wahl werden sehr häufig Antibiotika und bei fast hundert Prozent der Patienten  Hustenmedizin verschrieben.
Völlig sinnlos, sagen Wissenschaftler der Virginia Commonwealth Universität, denn es ist keine Indikation ersichtlich, dass Antibiotika und Hustenmittel bei akuter Bronchitis helfen. (1) Antibiotika haben weit reichende Nebenwirkungen und können Resistenzen und Allergien auslösen, (2) zusätzlich schädigen sie die Natur.

Winterzeit – Erkältungszeit
Bei der vorherrschenden feuchten Witterung und den kurzen Tagen halten wir uns vornehmlich in Innenräumen auf. Die Ansteckungsgefahr für bakterielle und virale Infekte steigt.

Top- Diagnose in Arztpraxen
Die Diagnose „Akute Bronchitis“ ist eine der am häufigsten gestellten Diagnosen in Allgemeinpraxen, vor allem bei Kindern, Alten und geschwächten Personen.  Treffender wäre jedoch in den meisten Fällen die Diagnose „Akuter Atemwegsinfekt“, da in der Regel nicht nur die Bronchien, sondern auch andere Teile der Atemwege betroffen sind.

Nutzlos bei akuter Bronchitis
Antibiotika sind bei unkomplizierter Bronchitis meist ohne großen Nutzen, doch trotzdem gehört Bronchitis zu den häufigsten Anwendungsgebieten für Antibiotika. Oft erfolgt die Verordnung auf Wunsch der Patienten oder aus der Sorge des Arztes heraus, er könnte eine sich entwickelnde Lungenentzündung übersehen. Wichtige Gegenargumente liefert eine im renommierten amerikanischen Ärzteblatt JAMA erschiene Studie. Prof. Dr. Richard P. Wenzel und sein Team sichteten auf kritische Weise die internationale medizinische Fachliteratur. Sie untersuchten wissenschaftliche Studien und klinische Versuche dahingehend, ob die Wirksamkeit von Antibiotika und Hustenmedikamenten bei akuter Bronchitis nachgewiesen wurde.

Nahezu alle Ursachen für akute Bronchitis sind viral bedingt und werden von Organismen verursacht, für die es keine bekannte Therapie gibt und die nicht durch eine Behandlung mit einem Antibiotikum beeinflusst werden können.

Bei einem relativ geringen Prozentsatz von fünf Prozent liegt die Ursache für die Bronchitis bei irritierenden Substanzen aus der Umwelt. Nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz von Fällen mit akuter Bronchitis wird überhaupt durch Bakterien verursacht. Professor Wenzel meinte daher abschließend in seinem Bericht, dass man anhand der Daten aus der medizinischen Fachliteratur behaupten kann, dass landläufig keine evidenz-basierte Medizin praktiziert wird, wenn man die gängige Therapieweise von akuter Bronchitis objektiv betrachtet.

Auch vor Wenzel und seinem Team gab es bereits Kritiker für die unsinnige Behandlungsweise. So wies auch Mark Ebell von der Michigan State University darauf hin, dass selbst Patienten mit leichtem Fieber oder grün gefärbten Sputum nicht unbedingt Vorteile von der Therapie mit einem Antibiotikum hatten. Die Ärzte sollten deshalb, so Ebell, den Mut haben, ihren Patienten zu erklären, dass eine akute Bronchitis in der Regel drei Wochen dauert, ob mit oder ohne Antibiotika. Genauso verhält es sich bei der Verabreichung von Hustenmedizin gegen akute Bronchitis, sagten die Wissenschaftler der Virginia Commonwealth University, denn es ist keine Indikation aus der medizinischen Literatur ersichtlich, dass sie helfen würde.

Das American College of Physician und die U.S. Centers for Disease Control haben als Konsequenz Leitlinien erstellt, die Mediziner dazu auffordern, damit aufzuhören, Patienten mit akuter Bronchitis einfach automatisch Antibiotika zu verschreiben.

Erhebliche Nebenwirkungen
Bei 70 – 80 % der Patienten wird bei akuter Bronchitis Antibiotika für einen durchschnittlichen Zeitraum von fünf bis zehn Tagen verabreicht.

Die Einnahme von Antibiotika kann mit erheblichen Nebenwirkungen und Resistenzbildung einhergehen. Resistenzen gegenüber Antibiotika können sehr folgenreich sein, weil sie automatisch bei einem Notfall bei anderen schweren Infektionen ausscheiden, was tödliche Folgen haben kann.

Als Hauptnebenwirkungen von Antibiotika sind Bauchschmerzen, Durchfall und Darmstörungen bekannt. Sie können auch in seltneren Fällen organtoxische Wirkungen wie Nieren- und Hörschäden auslösen. Zusätzlich ruinieren sie die Darmflora, was im weiteren Verlauf zu erhöhter Infektanfälligkeit, Allergien, Asthma und nicht selten zu rasanter Vermehrung des Candida Hefepilzes führt. (3)

Auch Allergien können durch die Einnahme von Antibiotika auslöst werden, was zu deren dramatischen Anstieg weltweit beigetragen hat. Besonders prädestiniert für die Entwicklung von Allergien nach Einnahme von Antibiotika, sind Kinder bis zum fünften Lebensjahr. (3,6) Als eklatant zeigten sich die Auswirkungen auch bei Kleinkindern, die im Verlauf ihres ersten Lebensjahres Antibiotika bekamen, denn sie leiden später weitaus eher unter Asthma. (3, 5)

Unnötige Kosten für das soziale System eindämmen
Ganz abgesehen vom fehlenden Nachweis, dass Antibiotika bei akuter Bronchitis überhaupt helfen, können sie sehr teuer sein und durch entstehende Nebenwirkungen zusätzlich weitere Kosten und Krankenstand verursachen.

Prof. Dr. Wenzel von der VCU weißt daher mahnend darauf hin, dass auch der Patient einen Teil der Verantwortung für diesen Missstand mit trägt, denn manche Patienten kommen bei akuter Bronchitis mit der Erwartung auf ein Rezept für Antibiotika oder Hustenmedizin in die Praxis, was den Arzt in Zugzwang bringt. Ein verantwortungsvoller Arzt hilft seinem Patienten jedoch am besten, wenn er ihn klar darüber aufklärt, dass beiden Medikamentengruppen in diesem Falle unnötig und schädlich sind, weil es keinen Nachweis in der wissenschaftlichen Literatur gibt, dass Antibiotika oder Hustenmittel für akute Bronchitis wirksam sind. Auf diese Art können im Gesundheitssystem, wie Prof. Dr. Wenzel betont, als weiterer positiver Nebeneffekt, große Summen eingespart werden.

Die Natur leidet mit
Ein weiterer großer Schaden durch zu häufige und unnötige Verabreichung von Antibiotika entsteht der Natur, insbesondere den Gewässern. Durch den unzureichenden Abbau der Antibiotika im Körper gelangen Reste von Antibiotika ins Abwasser, wodurch Bakterien in den Kläranlagen und Abwasserkanälen durch den dauernden Selektionsdruck Resistenzen ausbilden, was der Umwelt großen Schaden zufügt.

Tipps bei akuter Bronchitis
Bisher gibt es wenig, was eine ausgebrochene akute Bronchitis stoppen kann. Viel mehr, als schleimlösende Medikamente kann ein Arzt bei einem normalen Verlauf kaum anbieten. Natürliche Präparate gegen die Entzündung, wie Bromelain, Kreuzkümmel, Omega III Fischöl und Antioxidantien wie Vitamin C und E, N-Acetylcystein, wie auch Zink, haben sich als sehr unterstützend erwiesen.

Der Hustenreiz sollte, wenn möglich, nicht unterdrückt werden, da er zum Selbstheilungseffekt beiträgt. Viel trinken, möglichst Wasser, Kräutertee oder Grüner Tee, der zusätzlich sehr reich an Antioxidantien ist, hilft den Schleim zu lösen und gibt dem Körper Flüssigkeit zurück. Raucher sollten sofort nach Ausbruch der Krankheit das Rauchen einstellen. Auch auf Duftstoffe sollte verzichtet werden, weil sie die Atemwege unnötig reizen.

Nicht zuletzt sollte man Geduld für den eigenen Körper entwickeln, denn auch wenn akute Bronchitis schmerzhaft und Kräfte zehrend ist, sie verschwindet meist von ganz alleine, sobald die Entzündung der Bronchien abklingt.

Autor:
Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, November 2008

Literatur:

1. Richard P. Wenzel, Alpha A. Fowler III, Press Release: Antibiotics Unnecessarily Prescribed For Acute Bronchitis, Virginia Commonwealth University, New England Journal of Medicine, 16. Nov. 2006
2. Linder JA, Singer DE, Stafford RS., Association between antibiotic prescribing and visit duration in adults with upper respiratory tract infections, Clin Ther. 25 (9):2419-30. 2003 Sep.
3. Mairi C. Noverr,1 Rachael M. Noggle,1 Galen B. Toews,1 and Gary B. Huffnagle1,2, Role of Antibiotics and Fungal Microbiota in Driving Pulmonary Allergic Responses, Infection and Immunity, p. 4996-5003, Vol. 72, No. 9
4. Mark Ebell, JAMA 2005; 293: 3062-3064, September 2004
5. Marra F, Lynd L, Coombes M, Richardson K, Legal M, Fitzgerald JM, Marra CA., Health Economics Program, Centre for Clinical Epidemiology and Evaluation, Vancouver Coastal Health Research Institute, Faculty of Pharmaceutical Sciences, Does antibiotic exposure during infancy lead to development of asthma?: a systematic review and metaanalysis. Chest. 2006 Mar; 129 (3):610-8.
6. Bjorksten, B., E. Sepp, K. Julge, T. Voor, and M. Mikelsaar. Allergy development and the intestinal microflora during the first year of life. J. Allergy Clin. Immunol. 108:516-520.2001

Wurde Eure Chemikalien- Sensitivität / MCS schnell als solche diagnostiziert oder habt Ihr eine Odyssee von Arzt zu Arzt durchlebt?

Arzt verabschiedet Patientin mit MCS DiagnoseEinigen wissenschaftlichen Studien zufolge dauert es meist eine Weile, bis eine Person, die auf geringste Spuren von Alltagschemikalien wie Zeitungsdruck, Parfüm, Weichspüler, Benzin, Farbe, Zigarettenrauch, Putzmittel, etc. mit Symptomen reagiert, von einem Arzt richtig diagnostiziert wird. Oft haben niedergelassene Ärzte keine Erfahrung mit Chemikalien-Sensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity) und suchen verzweifelt danach, was ihren Patienten fehlt. Mancher Arzt, der kein Fachwissen im Bereich Umweltmedizin hat, geht von einer psychischen Störung aus und ist nicht in der Lage, dem Patienten adäquat zu helfen, was weitere Verschlimmerung zu Folge hat.

MCS-Blofrage:

  • Wie viele Ärzte musstet Ihr aufsuchen, bis die Diagnose gestellt wurde und wie viel Zeit ging ins Land?
  • Welche Fachrichtung hatte der Arzt, der bei Euch MCS diagnostizierte?
  • Wäre Euch Eurer Meinung nach Leid erspart geblieben, wenn Eure Chemikalien-Sensitivität schneller diagnostiziert worden wäre und der Arzt Euch zumindest Vermeidungsstrategien erklärt hätte?

MCS Blogfrage der Woche: Erhalten MCS-Kranke in Umweltambulanzen Hilfe oder werden sie psychiatrisiert?

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An fast allen deutschen Universitätskliniken existiert mittlerweile eine Umweltambulanz, die Umweltkranke diagnostizieren und ihnen helfen soll.

Blogfrage der Woche

  • Wie ist es Euch mit MCS in einer Umweltambulanz ergangen?
  • Zeigte man dort Verständnis für Eure Krankheit?
  • Habt Ihr dort Eure Diagnose Chemikalien-Sensitivität (MCS / WHO ICD-10 T78.4) erhalten?
  • Wurdet Ihr gründlich untersucht in der Umweltambulanz?
  • Welche Untersuchungen wurden durchgeführt?
  • Wurde Euch kompetent und ernsthaft geholfen? Oder wurdet Ihr in der Umweltambulanz psychiatrisiert?

Kurzum, lasst uns wissen wie es Euch in einer deutschen Umweltambulanz als MCS-Patient ergangen ist.

Diagnostik von Chemikalien-Sensitivität / MCS in der Praxis

arzt-im-patientegesprach-ii.jpgDiagnostik von Chemikalien-Sensitivität / MCS in der Praxis Im Durchschnitt waren Menschen, die unter Chemikalien-Sensitivität leiden, bei sechs verschied-enen Ärzten, bevor ihnen mitgeteilt wurde, was sie haben. Aber es gibt auch Fälle, die über sechzig Mediziner aufsuchten und immer noch keine plausible Diagnose in der Hand halten.

Die diagnostische Feststellung einer Chemikalien-Sensitivität (Multiple Chemical Sensitivity – MCS) ist an sich nicht so schwer wie vermutet. Sachkundige Ärzte in Kliniken und Praxen setzen zur Feststellung spezifische MCS Fallkriterien erfolgreich ein. Wissenschaftler aus den USA, Kanada und Japan überprüften die derzeit gebräuchlichsten MCS Fallkriterien, den American Consensus. Sie wendeten diese Kriterien in klinischen Studien an und befanden, dass sie die bislang beste Falldefinition zur Diagnostik darstellen, um Patienten mit MCS mit höchster Wahrscheinlichkeit zu identifizieren, solange kein MCS- spezifischer Marker gefunden ist.

Von Arzt zu Arzt und keiner findet etwas

Seit mehr als 50 Jahren werden Menschen, die auf minimale Konzentrationen von Alltagschemikalien mit leichten bis stark behindernden Symptomen reagieren, gar nicht oder fehldiagnostiziert. Vielen Erkrankten wird sogar unterstellt, sie würden simulieren, übertreiben oder seien nur „nicht ganz richtig im Kopf“. So mancher von ihnen musste seine Arbeit aufgeben, weil dort kein Verständnis für ihn vorhanden war oder Schadstoffe vor Ort das Arbeiten für ihn unmöglich machten. Eltern müssen sich für ihr chemikaliensensibles Kind nach einer schadstofffreien Schule umsehen oder sogar für Unterricht zu Hause sorgen, weil es an der jetzigen giftbelasteten Schule immer kränker wird.

Hürden über Hürden führen in eine Zwangsisolation

Auch im Alltag haben chemikaliensensible Menschen größte Schwierigkeiten. All das, was in unserer Gesellschaft als normal gilt, ist ihnen nicht möglich. Sie müssen immer wieder Absagen gegenüber Freunden und der eigenen Familie erteilen, ganz gleich, ob es sich nun um einen Schwimmbadbesuch oder eine Geburtstagseinladung handelt, weil sie dort auf das Chlorwasser oder parfümierte Mitmenschen reagieren. Nicht einmal die Tageszeitung zur Teilnahme am Weltgeschehen ist für chemikaliensensible Menschen lesbar, weil sie mit Kopfschmerzen, Schwindel oder ähnlichem auf die starken Lösungsmittelausdünstungen der Druckerschwärze reagieren. Selbst Fernseher oder Computer zum Kommunizieren können von einigen der Erkrankten nicht mehr benutzt werden, weil die ausgasenden Flammschutzmittel zu körperlichen Ausfällen bei ihnen führen. All dies führt für Hypersensible früher oder später zwangsläufig zu totaler Isolation, aus der oft kein Weg herausführt.

Korrekte Diagnose statt Ignoranz verbessert Prognose

Ist Chemikalien-Sensitivität als korrekte Diagnose gestellt, eröffnet sich den betroffenen Menschen die Möglichkeit sich zu schützen. Mit entsprechender Anleitung werden Erkrankte mittels gezielter Vermeidungsstrategien auf längere Sicht in die Lage versetzt, wieder mehr Toleranz aufzubauen. Bleibt eine korrekte Diagnose aus, oder wird die Krankheit gänzlich ignoriert, wird die Möglichkeit verhindert, sich auf die Krankheit richtig einzustellen, und es ist im Verlauf eine Verschlimmerung bis hin zu totaler Behinderung zu erwarten.

Geringer Aufwand reicht zur Diagnostik einer MCS

Es braucht keine riesige, ultramoderne Hightech Klinik und aufwendige Labordiagnostik, um Chemikalien-Sensitivität zu diagnostizieren, sagte Albert Donnay, ein Wissenschaftler, der seit vielen Jahren die umfassendste Bibliographie über MCS verwaltet. Mehr als die Anwendung von speziellen MCS Fallkriterien sei nicht erforderlich, ein Symptomfragebogen wie der QEESI könne zur leichteren Erstellung der Anamnese genommen werden. Erfülle ein Patient die MCS Fallkriterien, leide er mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit unter Chemikalien-Sensitivität. Alles an weiterer Diagnostik diene nur der Festigung der eigentlichen Diagnose, Feststellung oder Ausschluss weiterer Krankheiten und dem Ermitteln von vorhandenen Schädigungen.

Donnay war Coautor der jüngsten und nun weitläufig gebräuchlichsten MCS Falldefinition, dem American Consensus. Dieser wurde ursprünglich 1993 mit Forschungsgeldern der amerikanischen Behörden NIEHS und NIOSH im Rahmen einer Studie erstellt (1). Diese MCS Falldefinition dient zur Diagnostik und Definition der von der WHO mit dem mit international gültigen Krankheitscode ICD-10 T78.4 einklassifizierten Erkrankung Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS). Sie bestand ursprünglich aus 5 Kriterien zur Diagnostik der weltweit vornehmlich in Industrieländern auftretenden Krankheit. Der American Consensus wurde durch 39 Ärzten und Wissenschaftlern mit großer Erfahrung über diese Krankheit unterzeichnet. Eine Gruppe von 89 namhaften Ärzten und Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachgebieten und weitreichender Erfahrung mit Chemikalien-Sensitivität ergänzte diese Fallkriterien 1999 auf der NIH Atlanta- Konferenz um ein weiteres 6. Kriterium.

Definition Chemikalien-Sensitivität (MCS) – American Consensus

Von 89 führenden amerikanischen Wissenschaftlern wurde die vormals häufig angewendete Definition für MCS von Cullen, einem langjährigen Berater der Industrie, die in der Praxis Mängel aufwies, modifiziert. Sie stellt sich wie folgt dar:

  1. Die Symptome sind mit (wiederholter chemischer) Exposition reproduzierbar
  2. Der Zustand ist chronisch
  3. Minimale Expositionen (niedriger als vormals oder allgemein toleriert) resultieren in Manifestation des Syndroms
  4. Die Symptome verbessern sich oder verschwinden, wenn der Auslöser entfernt ist
  5. Reaktionen entstehen auch gegenüber multiplen nicht chemischen Substanzen
  6. Die Symptome involvieren mehrere Organsysteme. (1999 ergänzt)

Asthma, Allergien, Migräne, Chronische Müdigkeit Syndrome und Fibromyalgie stellen keine Ausschlussdiagnose für MCS dar.

USA – Bewertung und Anwendung der American Consensus Kriterien

Die American Medical Association (vergleichbar dt. Ärztekammer) schlug zusammen mit der American Lung Association (Med. Vereinigung für Lungenkrankheiten), der U.S. Environmental Protection Agency (Umweltschutzbehörde) und der U.S. Consumer Product Safety Commission in einem Consensus vor, dass man die Diagnosekriterien von Nethercott anwenden solle, und dass MCS formell bei Personen, bei denen alle 6 Consensuskriterien zutreffen, diagnostiziert werden solle, gegebenenfalls zusätzlich zu jedweden anderen bei diesen Personen diagnostizierten Erkrankungen. Bereits 1994 hatten diese Fachgesellschaften und Behörden bekannt gegeben, dass MCS Beschwerden nicht als psychogen missverstanden werden sollten.

Kanada – Bewertung der American Consensus Fallkriterien

Die Forschungseinheit für Umwelthypersensibilität der Universität Toronto, geleitet unter dem Epidemiologen Prof. Dr. Gail McKeown-Eyssen, bewertete verschiedene veröffentlichte Falldefinitionen für Umweltsensibilitäten und Multiple Chemikalien-Sensitivität, einschließlich dem American Consensus und dessen Ergänzung 1999. Die Wissenschaftler aus Toronto befanden, dass die 1999 vervollständigte Definition die beste Falldefinition derzeit ist, um die Patienten mit Umweltsensibilitäten und MCS am genauesten zu diagnostizieren (2).

Weiterhin fand das Wissenschaftlerteam heraus, dass die Patienten, auf die die Fallkriterien des American Consensus von 1999 zutrafen, häufiger als die Patienten, die keine Umweltsensibilitäten oder MCS hatten, unter folgenden vier Symptomen litten: benommen und erschöpft; Konzentrationsstörungen; sich „benebelt“ fühlen; stärkerer Geruchssinn als bei den meisten Menschen. In einer später durchgeführten Studie konnten die Wissenschaftler genetische Unterschiede bei Patienten mit Chemikaliensensibilität gegenüber einer Kontrollgruppe feststellen (3). 

Japan – Bewertung der American Consensus Fallkriterien

Wissenschaftler der Universität Tokio, Abt. Psychosomatik, führten eine kontrollierte Studie durch, um die MCS Falldefinition im täglichen Leben zu bestätigen. Das 12-köpfige Wissenschaftlerteam kam zum Ergebnis, dass MCS Patienten, auf die die Fallkriterien des American Consensus von 1999 zutrafen, unter chemiefreier Umgebung frei von somatischen oder psychischen Symptomen sind. Die Symptome traten nur auf, wenn die MCS Patienten gegenüber Chemikalien exponiert waren (4).

MCS diagnostizieren – kein Problem

Die erweiterte MCS Falldefinition American Consensus wird von Wissenschaftlern aus aller Welt erfolgreich zur Diagnostik in der Praxis und in wissenschaftlichen Studien zur Erforschung der Erkrankung eingesetzt. Albert Donnay, Mitautor der Diagnosekriterien, teilte mit, dass bisher kein falsch positiver oder falsch negativer Fall bekannt geworden sei (5). In 42 Studien wurde die American Consensus Falldefinition bis 2006 zugrunde gelegt oder benannt (6). Entsprechend tragen neuere Forschungsstudien, bei denen der American Consensus als Diagnosekriterium korrekt angewendet wird, zur erheblich Aufklärung der Krankheit bei.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Mai 2008

Literatur:

  1. Nethercott JR, Davidoff LL, Curbow B, Abbey H., Multiple chemical sensitivities syndrome: toward a working case definition, Arch Environ Health. 1993 Jan-Feb;48(1):19-26.

  2. McKeown-Eyssen GE, Baines CJ, Marshall LM, Jazmaji V, Sokoloff ER, Multiple Chemical Sensitivity: Discriminant validity of case definitions, Department of Public Health Sciences, Faculty of Medicine, University of Toronto, Kanada, Arch. Environ Health, 2001 Sep-Oct: 56 (5):406-12

  3. McKeown-Eyssen G, Baines C, Cole DE, Riley N, Tyndale RF, Marshall L, Jazmaji V: Case-control study of genotypes in multiple chemical sensitivity: CYP2D6, NAT1, NAT2, PON1, PON2 and MTHFR. Int J Epidemiol 2004, 33:971-978

  4. Hojo S, Ishikawa S, Kumano H, Miyata M, Sakabe K., Clinical characteristics of physician-diagnosed patients with multiple chemical sensitivity in Japan, Department of Environmental Science, Shokei Gakuin University, Japan; Department of Psychosomatic Medicine, The University of Tokyo, Tokyo, Japan; Department of Public Health and Clinical Ecology, Kitasato University School of Pharmaceutical Sciences, Tokyo, Japan., Int J Hyg Environ Health. 2007 Dec 20

  5. Albert Donnay, Open letter to CIIN MCS Case Definition Committee, 06 Jul 2007

  6. Albert Donnay, Personal Conversation, 31.05.2006