Diagnose MCS – Ein Cleanroom schafft gesundheitliche Stabilität
Die Diagnose MCS – Chemikalien-Sensitivität ist für einen Erkrankten in der Regel schon lange klar, bevor sie ein Arzt ausspricht. Was sollte es sonst sein, wenn es einem ständig von minimalen Konzentrationen von Parfüm, Abgasen, frischer Lackfarbe körperlich von einer Minute auf die andere total schlecht geht? Oder wenn der Geruch von Nachbars Wäsche im Nu dafür sorgt, dass man Kopfschmerzen und Schwindel bekommt, man kaum noch richtig reden kann und nur noch ins Haus wanken kann?
Dennoch, wenn der Arzt vor einem sitzt und die Diagnose ausspricht, ist es hart und für fast jeden ziemlich überwältigend. Was nun? Ist es das Ende? Kann man nie wieder gesünder werden? Wird die Sensibilität zwangsläufig bei jedem immer stärker?
Diagnose MCS
Wenn die Diagnose MCS steht, ist der Zeitpunkt erreicht, dass Leben umzukrempeln. Dies ist nicht als Strafe zusehen, sondern als Notwendigkeit und erster Schritt zur Besserung. In mehreren Artikeln soll ein Leitfaden zur Verfügung gestellt werden, mit dem ein an MCS Erkrankter Stabilität und damit letztendlich wieder mehr Lebensqualität zurückgewinnen kann.
Raus aus dem Haus mit der Chemie
Die erste Maßnahme für eine chemikaliensensible Person besteht darin, Chemikalien aus dem Haushalt und Umfeld zu verbannen. Das muss kein teures Unterfangen werden, wenn man daran denkt, mit wie wenig unsere Großeltern auskamen. Wie geht man vor? Man nimmt eine große Kiste für die chemikalienhaltigen Produkte und geht mit gnadenlosem Blick Zimmer für Zimmer durch. Spraydosen, Farbdosen, Fleckenwasser, Nitroverdünnung von der letzten Renovierung, Parfums, scharfe Reiniger, all das sollte aus dem Wohnumfeld verbannt werden. Strategien wie: „Ich brauche erst noch die Flaschen auf, dann wechsele ich zu schadstofffreien Produkten“, verhindern, dass der Körper im eigenen Umfeld Symptome abbauen kann. Konsequenz hingegen führt schnell zu spürbarem Erfolg. Nächster Schritt: ein Cleanroom.
Anleitung zur Gestaltung eines Cleanroom – Schlafzimmers
In der Wohnung sollte ein Zimmer bereitstehen, das es zulässt, Symptome abzubauen. Weil die meisten Chemikaliensensiblen kein weitläufiges Haus besitzen, empfiehlt es sich, das Schlafzimmer als Cleanroom (Reinraum) umzufunktionieren. Wenn man es schafft, dieses Zimmer in eine „Oase“ ohne Chemikalien umzufunktionieren, hat man sich eine reelle Chance geschaffen, den Körper zur Ruhe zu bringen.
Kein Raum ist schadstofffrei – Was nun?
Ist im Wohnraum kein Zimmer wirklich schadstofffrei und ein Umzug nicht zu realisieren, muss improvisiert werden. Eine Überganglösung muss geschaffen werden. Die Betonung liegt auf Übergangslösung, da keine konkrete Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist, wenn man im eigenen Wohnraum fortlaufend Schadstoffen ausgesetzt ist.
Notfallalternative Aluzimmer
Eine von Chemikaliensensiblen praktizierte Möglichkeit für den Notfall ist das Austapezieren eines belasteten Zimmers mit Alufolie oder Edelstahlfolie. Hierzu wird Alufolie oder Alukraftpapier genommen und je nach Bedarf Boden, Decke und Wände damit tapeziert oder bespannt. Beides ist nicht als Dauerlösung gedacht, da das Raumklima auf Dauer nicht angenehm ist. Zu beachten ist, dass die Folie ganz spezifisch ausgewählt werden muss. Die Folienart und Dicke muss je nach Belastung ausgewählt werden. Es gibt sogar Spezialfolien die PCB abschirmen.
Schaffung eines Cleanroom-Schlafzimmers
Generell sollte der Raum, den man als Cleanroom auswählt, frei von Chemikalien und Schimmelpilz sein. Hat man Zweifel, ist eine Raumanalyse zu erwägen. Sollte man eine Auswahl unter verschiedenen Räumen treffen können, wählt man am besten einen licht- und luftdurchfluteten Raum, abgewandt von verkehrsreichen Zonen. In einem dunklen muffigen Raum im Erd- oder Kellergeschoss fühlt sich keiner wohl. Die Räume in der unmittelbaren Nähe des Schlafzimmers sollten ebenfalls frei von Chemikalien sein. Ein Schlafzimmer neben oder über einer Garage, einem Heizraum, oder ähnlichem bedeutet für jeden eine Gesundheitsgefahr und darf in keinem Falle unterschätzt werden.
Der Raum sollte nicht mit Möbeln und Gegenständen überladen werden. Je weniger herumsteht, desto sauberer die Luft. Trotz Kargheit sollte in höchstem Maße auf Ästhetik geachtet werden. Warme Farben, nette Bilder an der Wand, schöne Dekorationsgegenstände aus Porzellan, Stein, Glas oder anderen nicht ausdünstenden Materialien sorgen für eine wohltuende und nicht völlig sterile Atmosphäre.
Welche Baumaterialien können im Cleanroom zum Einsatz kommen?
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Wände und Decke sollten mit Naturfarben gestrichen werden. Am pursten ist eine Kreide-, Kalk-, Kasein- oder Silikatwasserglasfarbe oder Lehmstreichputz. Farben auf Toleranz testen. (Achtung: konventionelle Farben und Grundierungen mit bis zu 2% Lösungsmitteln dürfen in Deutschland „lösungsmittelfrei“ genannt werden.)
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Als Bodenbelag sind Fliesen, Marmor, Granit, Hartholzdielen, Edelstahl oder Riffelblechplatten am Besten geeignet. Diese Materialien sind zu bevorzugen anstatt chemiegeladenem Teppichboden, Laminat und PVC.
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Der Fußbodenuntergrund sollte frei von PAK’s sein. Diese sind in Bitumenklebern und Flüssigasphalt enthalten. (erkennbar an der schwarzen Farbe)
Welche Baumaterialien sollte man vermeiden?
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Vinyltapete, Stofftapeten, Raufaser (oft aus Altpapier und belastetem Recyclingholz hergestellt. Bedruckte Tapeten (Schwermetalle, Lösemittel, Fungizide und andere Chemikalien)
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Latexfarbe
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Terpen- oder harzhaltige Farben, Wachse, Standöle und Oberflächenversiegelungen
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Chemiehaltige Antischimmelfarbe
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Teppiche und Teppichboden, da er Schmutz, Schimmelpilze und Pollen ansammelt und Chemikalien ausdünstet. Anmerkung: Teppichböden mit Wollsiegel müssen mit Mottenschutz (Pestizide, wie z.B. Pyrethroide) ausgerüstet sein, um dieses Siegel zu erhalten.
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Falls vorhandener Teppichboden aus Kostengründen nicht entfernt werden kann, sollte man ihn versiegeln, oder mit schwerer Alufolie, mittels Aluklebeband abdecken. Anschließend kann man Leintücher oder Stoffbarrierenstoff auflegen.
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Behandelte Holzdecken und Holzvertäfelungen (falls vorhanden, auf Holzschutzmittel hin untersuchen lassen)
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Zedernholz und Pinie, da sie Allergieauslöser ist und der Geruch von vielen nicht vertragen wird. Die bessere Wahl sind Harthölzer ohne hohen Terpen- und Harzgehalt
Das Raumklima
Ein gesundes Raumklima für Chemikaliensensible erfordert besondere Reinigungsmodalitäten. Das Zimmer sollte mindestens zweimal pro Woche gesaugt und dann feucht gereinigt werden. Bei Hausstauballergikern ist manchmal sogar tägliches Wischen angebracht, um Symptomfreiheit zu gewährleisten. Alle Dekorationsgegenstände, Möbel, etc. müssen mindestens einmal wöchentlich feucht gereinigt werden.
Was verbessert die Raumluft?
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Wenig im Raum
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Keine Kunstfasern und Kunststoffe
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häufiges Lüften zu schadstoffarmen Zeiten (früh morgens, abends und an Wochenenden)
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Raumluftfilter mit HEPA Filter (nur Raumluftfilter mit Metallgehäuse verwenden, da Kunststoff ausdünstet)
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Fenster nachts geschlossen halten (Schimmelpilze strömen um diese Tageszeit ihre Sporen aus) vor allem bei hausnaher Begrünung
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Fenster während der Pollensaison geschlossen halten oder Raumluftfilter einsetzen
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Polstermöbel und Polsterbetten bei Hausstaubmilben- oder Stauballergie vermeiden
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Kleider nicht offen oder auf Kleiderstangen im Raum hängen lassen (chemische Ausrüstung, Staub, Pollen, etc. von außen haften an der Kleidung). Die beste Lösung ist es, die Kleider aus dem Schlafzimmer zu verbannen.
Was verschlechtert die Raumluft?
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Gas-, Holz- oder Ölöfen
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Duftstoffe, Raumspray, Zigarettenrauch
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Schimmelpilz
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Pestizide
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Teppichboden, Laminat
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Gardinen (sie sind oft mit Flammschutzmitteln und farbkonservierenden Chemikalien ausgestattet)
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Dekorationsgegenstände aus Material die ausdünsten können (z.B. auch Kunstblumen)
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Fernseher, Stereoanlage, Zeitschriften, DVD, Bücher, etc.
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Bitumenkleber, Flüssigasphaltestrich
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Kunststoffe
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Chemische Reinigungsmittel
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Chemische Baumaterialien und Oberflächenbehandlungen
Hypersensibel erfordert vollste Konsequenz
Wer sich im Hypersensibilitätsstadium befindet, darunter versteht man einen Zustand, in dem jemand nahezu ständig auf fast alles, was ihn umgibt, reagiert, sollte seinen Cleanroom völlig ohne Kompromisse gestalten. Lieber nach und nach weitere Gegenstände hineinbringen und ausprobieren, als sich durch Kompromisse um den wichtigen Erfolg zu bringen, den Gesundheitszustand zu stabilisieren.
Wie das Bett, der Kleiderschrank und das restliche Mobiliar im Cleanroom-Schlafzimmer aussehen sollten und welche speziellen Alternativen es für Hypersensible gibt, ist im nächsten Teil der Serie zu erfahren.
Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. September 2009