Angelika musste sterben

Wann erhalten MCS Kranke endlich Hilfe?

 

Sie nahm sich das Leben, weil sie keinen anderen Ausweg mehr hatte.

Sie flüchtete in den Tod, dabei hätte sie nur ein Refugium gebraucht, wo ihr Körper nicht auf Chemikalien reagiert und mit nicht unmenschlichen Qualen Alarm schlägt. 

Deutschland wird international dafür bewundert, dass jene Krankheit, an der Angelika litt, MCS – Chemikalien-Sensitivität, formal rechtlich als organische Erkrankung anerkannt ist. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) hat  MCS im Kapitel XIX, Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen unter T78.4 als kassenärztlich abrechenbare Erkrankung verschlüsselt. Österreich übernahm diesen Code ebenfalls, und in Japan hat das Medical Information System Developement Center (MEDIS-DC) MCS im gleichen Kapitel unter T65.9 in die japanische Fassung der International Classification of Diseases der WHO (derzeit ICD-10) aufgenommen. 

Als Außenstehender könnte man nun fragen, warum Angelika nicht zum Arzt ging.

Warum hat sie sich nicht helfen lassen? 

Die Antwort ist simpel: Weil das deutsche Gesundheitssystem lange noch nicht in der Lage ist, mit MCS angemessen umzugehen. Wenn man Glück hat, wird MCS vom Arzt diagnostiziert, doch selbst das muss nicht heißen, dass die Krankenkasse für MCS Kosten übernimmt. Genau so wenig kann man bei Gesundheitsämtern oder anderen Behörden auf Unterstützung hoffen. Auch dafür gibt es Beispiele im CSN-Blog. In Italien ist die Situation zwar ähnlich, doch dort entschied man sich von Behördenseite dazu, zwei schwer an MCS Erkrankte mit Militärmaschinen nach Dallas in eine Umweltklinik zu fliegen. Verschiedene italienische Zeitungen berichteten darüber. 

Die meisten Kranken treten nicht als Kämpfer gegen eine seit den Anfängen der Industrialisierung zunehmend durch Chemikalien verseuchte Umwelt an. Die meisten Kranken wissen nichts über ihre Krankheit und wenden sich vertrauensvoll an ihren Arzt. Damit beginnt eine Odyssee von Arzt zu Arzt, weil niemand die Krankheit adäquat behandeln kann. Früher oder später erklärt man ihre Symptome für psychisch bedingt und behandelt womöglich entsprechend. Die Patienten werden trotzdem nicht gesund. Wer dann noch den Absprung aus dem Gesundheitssystem schafft, ist zumindest noch nicht tot. 

Vielleicht gelingt es, sich selber zu informieren, und vielleicht ist zufällig genug Geld vorhanden, um sich in den USA in einer Spezialklinik behandeln zu lassen. Wenn man danach wieder etwas gesünder zurück kommt, geht der Kampf weiter. Hilfe aus dem Gesundheitssystem, damit sich der Gesundheitszustand nicht wieder verschlechtert, gibt es nicht. Selbst Anfragen nach medizinischem Sauerstoff brauchen Monate, bis sie bearbeitet werden. Meist erfolgt eine Ablehnung. 

Den genauen Leidensweg von Angelika kennen wir nicht in allen Details. Da sie in ihrer Wohnung ebenfalls auf Chemikalien reagierte, lebte sie zuletzt wie ähnliche Fälle im Freien. Aufgrund der nun sinkenden Temperaturen brauchte sie dringend eine Unterkunft. Sie kam für zwei Tage bei einer ebenfalls an MCS erkrankten Frau unter. Doch ihre Krankheit war bereits so weit voran geschritten, dass sie es dort auch nicht aushielt. Sie zog wieder aus und nahm sich kurz darauf am 29.10. das Leben.   

Ihr Fall, der einer von drei ähnlichen war, und mittlerweile sind es fünf, die sich an CSN-Deutschland gewendet haben, hat bereits vor ihrem Tod Betroffenheit ausgelöst. Einer unserer CSN Mitarbeiter schrieb das Bundesministerium für Arbeit und Soziales an nur um die Auskunft zu erhalten, dass man nicht zuständig sei und dass er es beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit versuchen solle. Das neue Schreiben ging auch an das Bundesministerium für Gesundheit. Vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit kam schließlich eine Antwort:

„…vielen Dank für Ihre Mitteilung an das BMU, die wir mit Interesse zur Kenntnis genommen haben. Wir sind weiterhin vielfältig bemüht, dass Umweltschutz gleichzeitig der Gesundheitsvorsorge dient.“

Antwort-BMU

 

Auf die angetragene Frage, ob es Möglichkeiten gäbe, in diesen konkreten Fällen den höchst gefährdeten Kranken zu helfen, wurde mit keinem Wort eingegangen. Weiterhin wird die Hilfe für Schwerstkranke alleinig Betroffenenorganisationen überlassen. In Folge bedeutet das, dass Chemikaliensensible, die meist ebenfalls das Haus nicht oder nur mit Schutzmaske und/oder Sauerstoff verlassen können, sich um diese Notfälle kümmern. 

Angelika wäre nicht tot, wenn man sie in einer Umgebung untergebracht hätte, in der sich ihr Immunsystem wieder hätte beruhigen können. Ob es solche Räume in medizinischen Einrichtungen in Deutschland gibt, darf bezweifelt werden. Es ist keine einzige Umweltklinik mit Reinraum-Standart (Cleanroom) bekannt. Es existiert nicht einmal eine Umweltklinik, die auch nur ein Duftstoffverbot konsequent durchführt. Der Aufwand, eine solche Cleanroom-Klinik oder wenigstens eine Notfallunterbringung mit ein paar spartanischen Zimmern einzurichten, wäre aber nicht sehr groß. Bis auf die empfehlenswerte Luftfilterung bräuchte es wenig technische Einrichtungen. Wichtiger ist das Weglassen von allem, was Chemikalien abgibt. Hier ist nicht die Stelle, eine Behandlung von MCS zu beschreiben, wie sie Prof. Rea, im Environmental Health Center in Dallas erfolgreich durchführt. Es gilt nur festzustellen, dass man Menschen wie Angelika ohne medizinische Intervention allein durch die Unterbringung in einen möglichst chemikalienfreien Raum retten könnte. 

Was wäre mit Ihr passiert, wenn sie zusammengebrochen und in ein Krankenhaus eingeliefert worden wäre? 

Vielleicht wäre sie schon beim Transport an einem Allergieschock durch ein Erste Hilfe Medikament gestorben. Vielleicht hätte sie weitere Symptome gegen die auf der Station verwendeten Reinigungs- und Desinfektionsmittel entwickelt, wenn sie überhaupt nochmal zu Bewusstsein gelangt wäre. Vielleicht wäre der Schock bei einer Nährinfusion oder als Reaktion auf weitere mit bester Absicht verabreichte Medikamente eingetreten. Bevor man herausbekommen hätte, was mit ihr los ist, wäre sie tot gewesen. Man hätte gesagt, ihr war eben nicht mehr zu helfen. Die Chance, einen Infarkt oder eine extrem schwere Unfallverletzung zu überleben, ist unendlich höher. Für MCS ist unser Gesundheitssystem in keinster Weise eingerichtet. Noch schlimmer, dort wo man sich mit dem Phänomen befassen müsste, dass es Menschen gibt, die selbst auf Spuren chemischer Stoffe mit klinischen, körperlichen Abwehrreaktionen antworten, wird diese Erkrankung in ihrem Wesen bestritten und geleugnet. Obwohl es einen internationalen Stand der Wissenschaft mit überprüfbaren Erkenntnissen gibt, werden diese in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen. Obwohl es für die Diagnose von MCS internationale Konsenskriterien gibt, mit deren Vorläufern sogar das Robert Koch-Institut in seiner wenig patientenfreundlichen Studie arbeitete, wird MCS in Deutschland kaum diagnostiziert. Das ist der aktuelle Stand für Multiple Chemische Sensitivität – ICD-10, T78.4 in Deutschland! 

Wieso kann man sich nicht eingestehen, dass der technische Fortschritt nicht nur schöne Seiten hat, dass es Menschen gibt, die von dem, was alle angeblich völlig symptomfrei vertragen, krank werden? Es hat genug Umweltskandale mit langlebigen Substanzen gegeben. Selbst wenn alle in hohen Dosen giftigen Stoffe stets nur in Konzentrationen unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte vorhanden wären, handelt es sich mittlerweile und eine kaum überschaubare Zahl von Substanzen. Wer will mit Sicherheit behaupten, dass diese Stoffe in ihrer Gesamtwirkung keine für das menschliche Leben bedrohliche Giftigkeit darstellen. Es ist ungefähr dieselbe Sicherheit, mit der man am Anfang eines jeden Skandals von einer Unbedenklichkeit ausging, bis man es später besser wusste. 

Wie viele Menschen müssen noch an MCS sterben, bevor man Kranken wie Angelika in Deutschland wirklich hilft?

Autoren:  BrunO Zacke und Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 31. Oktober 2009

Schadstofffreier Wohnraum für MCS Kranke

Draussen bei Wind und Wetter weil schadstofffreier Wohnraum fehlt

Schadstofffreier Wohnraum für MCS Kranke in Not

Obdachlos trotz eigenem Haus, schöner Wohnung – das gibt es. In Deutschland sind einige Fälle von chemikaliensensiblen Menschen (MCS) bekannt, die verzweifelt nach einer Wohnung oder einem Haus suchen. Das wichtigste Kriterium für sie ist, das sie dort relativ schadstofffrei leben können, denn sie reagieren auf geringste Spuren von Alltagschemikalien und Schadstoffen. Mancher von ihnen hat unzählige Behörden, Institutionen, Politiker, Stiftungen, etc. angeschrieben und um Hilfe gebeten. Oft gab es nicht einmal eine Antwort.

CSN sind mehrere Fälle bekannt, wo sich eine an MCS erkrankte Person das Leben nahm, weil sich eben niemand zuständig fühlte und nirgendwo Wohnraum angeboten wurde, der bewohnbar gewesen wäre für einen MCS Kranken.

Vom Staat werden behindertengerechte Wohnräume geschaffen. MCS ist eine anerkannte körperlich bedingte Behinderung. Chemikalien-Sensitivität ist seit den achtziger Jahren in Deutschland im öffentlichen Gespräch, MCS ist als Krankheit und Behinderung gelistet. Dennoch ist kein MCS gerechter Wohnraum in Deutschland vorhanden.

Thommy’s MCS Blogfrage der Woche:

  • Warum gibt es keine staatlich finanzierten MCS-Wohnprojekte wie in USA, Kanada und anderen Ländern?
  • Wer ist zuständig für MCS-Kranke in allerhöchster Wohnungsnot?
  • Wo können MCS-Kranke im Winter wohnen, wenn es zu kalt ist, um sich nur draußen aufzuhalten?
  • Wie könnte in kürzester Zeit Notwohnraum noch vor dem Winter geschaffen werden?

Die Situation für Umweltkranke wäre leicht zu verbessern – Aber das kostet

Behörden - Kranke sind nur eine Nummer

„Mir steht nichts zu“: Kein Geld für kranke Menschen Teil 2

Im ersten Teil dieses Blogs schreibt eine schwer kranke Frau, Marion, an die Berliner Senatsverwaltung. Marion leidet u.a. an MCS, der Multiplen Chemikalien Sensitivität, bei der die Betroffenen wie allergisch auf Chemikalien im Alltag reagieren. Sie muss in Berlin-Neukölln wohnen, obwohl sie von den Abgasen der Allesbrenner-Heizungen und vom Schimmel in ihrer Wohnung schwer krank wird.

Marion und andere Menschen in ihrer Situation benötigen dringend mehr Geld. Behörden antworten in eiskaltem Amtsdeutsch auf ihre Briefe, in denen sie ihre Situation deutlich macht. Auch der Berliner Senat antwortete auf diese Art, und verwies sie wieder auf JobCenter, Sozialdienst, Gesundheitsamt. Dabei hatte sie an den Senat geschrieben, weil ihr diese Stellen nicht geholfen hatten.

Dennoch bleibt Marion höflich und antwortet dem Senat. Sie erklärt noch einmal ihre Lage.

sehr geehrter herr b.,

vielen dank für ihre antwort.

letztes jahr im august, hatten wir eine wohnung gefunden, mein mann ist persönlich mit dem wohnungsangebot und einem attest für meine person, welches die dringlichkeit eines wohnungswechsels bescheinigte, zum jobcenter.

und wissen sie was passierte, nichts, er wurde erst garnicht zum zuständigen sachbearbeiter vorgelassen, man nahm das wohnungsangebot und attest in empfang und sagte ihm, er müsse auf eine entscheidung warten, das könnte dauern. nachdem wir dort mehrmals nachgefragt haben, wann wir eine genehmigung die wohnung erhalten würden, kam nach wochen ein lapidares schreiben, das kein wohnungsangebot vorliegen würde und das obwohl mein mann persönlich dort vorgesprochen hatte.

mein mann musste letztens zum arbeitsberater und da fragte die dame, ob wir die wohnung gewechselt hätten, da im computer die anfrage eingetragen worden war, soviel dazu.

die wohnung war natürlich weg. wir können jede wohnung vergessen, bis beim jobcenter entschieden wird, hat jeder vermieter längt die wohnung an andere personen vermietet. wie sie auch heute, aus einem artikel im tagesspiegel ersehen können, ist preiswerter wohnraum in berlin mangelware. selbst die arbeitende bevölkerung muss heute jeden cent umdrehen und zieht sogar nach nord-neukölln und was meinen sie, wem ein vermieter dann die wohnung vermietet? bestimmt nicht dem hartz-4-bezieher, der bitte, bitte beim jobcenter machen muss und die hetze in den medien hat auch einiges dazu beigetragen.

ich habe mich längst daran gewöhnt, überal durchs raster zu fallen, das habe ich bei der krankenkasse gemerkt, die eine alternativbehandlung ablehnt, weil ich keinerlei medikamente der schulmedizin vertrage und auch auf ihre paragraphen verweist und das merke ich an allen stellen, an die ich mich hinwende.

meinen sie ihr sozialdienst oder gesundheitsamt könnte einschätzen, wie es mir geht. die wissen doch nicht mal was mcs ist und wie krank man durch die umwelt und seine mitmenschen wird und wenn man dann in diesem luftkurort neukölln-nord leben muss, wo jeder einfach seinen dreck hinwirft, müll verbrennt, etc., kann man schon verzweifeln, denn das einzige was man sich zu schulden hat kommen lassen, ist krank zu werden.

bisher konnte mir noch niemand eine stelle nennen, die mir vielleicht helfen könnte und das wird wohl auch in zukunft so bleiben.

„Mir steht nichts zu“

Für diesen Blog erklärt Marion:

„ich habe mich übrigens an das Gesundheitsamt gewandt, an die Stelle für Behinderte, man kannte dort MCS nicht und man sagte mir, nach 2 Stunden Telefonat, man kann nichts für mich tun, mir steht nichts zu.“

Ganz klar. Kranken Menschen steht hier nichts zu. Die können nicht mehr arbeiten, die kann man nicht für 1-Euro-Jobs missbrauchen, die braucht keiner mehr. Mehr oder weniger geduldet müssen sie leben bzw. langsam sterben.

Die Situation wäre leicht zu verbessern – Aber das kostet

Die Situation wäre deutlich zu verbessern. Eine saubere Wohnung, evtl. Luftreinigungsgeräte. Geld für Biolebensmittel. Notwendige Hilfsmittel, die das Leben mit der Gelenkerkrankung erleichtern. Dadurch könnte sich Marions Gesundheit wieder stabilisieren. Sie könnte so mit ihrem Mann zusammenleben, wie sie es sich wünscht, statt in getrennten Zimmern. Allgemein können MCS-Erkrankte sogar wieder fähig werden, evtl. nach einer Weiterbildung, einen Beruf z.B. als Online-Job auszuüben, sodass sie nicht schon in jungen Jahren aufs Abstellgleis geschoben werden. Und die Menschen, die nicht mehr arbeiten können, brauchen eine dauerhafte Grundsicherung.

Man sieht mal wieder, worum es hier geht. Kranke braucht keiner mehr. Man muss sie nicht ruhig halten, das sie in ihrem Handlungsspielraum stark eingeschränkt sind. Man muss sie nicht durchfüttern, um sie wieder arbeiten zu schicken, wenn die Wirtschaft wieder mal brummt. Diesen Personen, die das Alles veranlassen, geht es nicht um Menschen. Denen geht es nur um Profit.

Autoren: Marion und Amalie für CSN – Chemical Sensitivity Network, 3. September 2009

Teil 1: „Mir steht nichts zu“: Kein Geld für kranke Menschen

„Mir steht nichts zu“ – Kein Geld für kranke Menschen Teil 1

Akte geschlossen - Keine Hilfe für Kranke

Kranke Menschen brauchen mehr Geld als gesunde, um überleben zu können. Das ist klar. Eine verschimmelte Wohnung kann lebensbedrohlich für jemanden mit schweren Allergien werden. In diesem Fall leidet eine Frau, Marion, an Allergien und MCS (Multiple Chemikalien-Sensitivität, die Betroffenen reagieren wie allergisch auf Chemikalien). Dazu kommen bei ihr noch Gelenkerkrankungen.

Benötigt wird also ein schadstoffarmes Umfeld und verschiedene Hilfsmittel. Nicht zu bezahlen, wenn man von Sozialgeldern leben muss. Hier wird der minimale Grundbedarf definitiv nicht gedeckt. Marion lebt in einer Wohnung und einer Umgebung, die sie jeden Tag kränker machen. Selbst ihre Hunde und ihr Mann werden von dem Schimmel krank.

Was hier in diesem Blog geschildert wird, ist kein Einzelfall. So geht man mit den meisten kranken Menschen, die dringend mehr Geld benötigen, um.

Den folgenden Brief hat Marion an die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales geschickt.

sehr geehrte damen und herren,

ich möchte ihnen heute mal meine problematik darlegen, ich leide unter multiplen allergien, mcs (Multiple Chemical Sensitivity) und diversen gelenkerkrankungen, die u.a. verhindern, das ich überhaupt am öffentlichen leben teilnehmen kann. leider, aufgrund unserer finanziellen situtaion, ich bekomme eine kleine em-rente, mein mann alg 2, waren wir gezwungen billigen wohnraum in berlin neukölln, nähe flughafen tempelhof anzumieten.

seitdem ich in dieser wohnung lebe hat sich mein gesundheitszustand rapide verschlechtert. es handelt sich um eine erdgeschosswohnung, wobei anzumerken ist, das in 1,5 m entfernung die autos lustig rückwärts in parkhäfen einparken und so ihre abgase in die zwei haupträume der wohnung pusten. die wohnung ist ungünstig geschnitten, egal wo man das fenster öffnet, frische luft ist mangelware und das für jemanden der mit massiven gesundheitsproblemen auf abgase, zigarttenrauch, renovierungsgerüche, duftstoffe, etc., etc. reagiert ist das der reinste horror.

in den wintermonaten ist die luft hier noch extrem von den heizern mit den allesbrennern belastet, die das wort allesverbrenner wörtlich nehmen.

hinzu kommt, das wir in der wohnung vor 2 jahren einen wasserschaden hatten, die damalige mieterin lies 2 stunden die badewanne mit lauge überlaufen und überschwemmte damit unsere wohnung. die hausverwaltung stellte uns 14 tage ein trockengerät (von dem horror den das für mich bedeutete, in dieser feuchten, riechenden wohnung leben zu müssen, möchte ich erst garnicht berichten) und lies dann die wände neu streichen, das wars. seitdem kann ich 1 zimmer garnicht mehr bewohnen, d.h. mein mann und ich leben seitdem wie in einer wg, jeder hat ein wohn/schlafzimmer.

die hausverwaltung ist natürlich für nichts zuständig, man sieht ja nichts und gelte mit meiner mcs eh als unnormal, nur mittlerweile reagiert mein mann mit allergien auf sein wohn/schlafzimmer, die sich in ständig verstopfter nase, tränenden augen, usw. äussern, selbst der hund ist seitdem an allergien erkrankt, was vom tierarzt zu belegen ist.

egal wo wir uns hingewandt haben, sagte man uns, ziehen sie aus. nur finden sie einmal eine wohnung für den preis von 444 Euro warm, worin ein erkrankter leben kann. mittlerweile ist es in berlin so, das schon abgewunken wird, wenn die wohnungsbesitzer das wort alg 2 hören, sie haben ja alle so schlechte erfahrungen mit diesen menschen gemacht…

selbst hier in der gegend liegen die preise für eine kleine 2-zimmer-wohnung über dem zugebilligtem satz.

und wenn eine wohnung noch für diesen preis zu haben ist, dann müssen sie die nicht renovieren sondern sanieren, so runtergekommen sind diese wohnungen.

während ich dies hier schreibe, zittere ich wie espenlaub, mein mund brennt, ich kämpfe nach luft und meine hände sind eiskalt, ich hatte versucht zu lüften, nur ein vorbeifahrendes auto und ein fussgänger mit zigarette haben gereicht, um diese symtome auszulösen und damit kämpfe ich tag für tag.

bitte entschuldigen sie die kleinschreibung, aber aufgrund von gelenkerkrankungen bin ich nicht in der lage, meine finger normal zu benutzen.

mit freundlichen grüssen

marion

p.s. ich werde dieses schreiben als offener brief im csn-forum für mcs erkrankte veröffentlichen

Die Antwort der Senatsverwaltung lautet wie folgt:

Sehr geehrte Frau ,

zum einen haben Sie Dank, dass Sie sich vertrauensvoll an meine Behörde gewandt haben.

Ich habe Ihr Schreiben aufmerksam gelesen und möchte Ihnen wie folgt antworten.

Gestatten Sie mir aber zunächst eine Vorbemerkung:

Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales ist nicht die vorgesetzte Dienstbehörde der Berliner JobCenter. Nach der Berliner Verfassung und dem Bezirksverwaltungsgesetz sind wir weder befugt noch in der Lage in Verwaltungsabläufe der JobCenter einzugreifen, Bescheide der JobCenter zu ändern oder bestimmte Entscheidungen zu erzwingen. Sie Senatsverwaltung hat stattdessen ein einheitliches, rechtskonformes handeln der JobCenter z.B. im Bereich der Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewährleisten.

Ihr Umzugswunsch ist auf jeden Fall nachvollziehbar und ich denke, er würde von Ihrem zuständigen JobCenter entsprechend unterstützt werden.

Es ist aber in Tat so, dass bei Neuanmietung einer Wohnung gem. Ziff. 3.2.2 Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gem. § 22 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII (AV-Wohnen), der Richtwert für 2 Personen, hier 444€, einzuhalten ist.

Ausnahmeregelungen gibt es dem Grunde nach nur bei Wohnungslosigkeit oder bei akut drohender Wohnungslosigkeit.

Allerdings möchte ich Ihnen gerne raten, sich hierzu mit dem Sozialdienst Ihres Bezirkes in Verbindung zu setzen.

Denn sollte dieser oder der Fachdienst des Gesundheitsamtes feststellen, dass eine Neuanmietung für Sie, tatsächlich nicht bis zur Höhe des Richtwertes möglich ist, so sollte dies im Rahmen einer Einzelfallentscheidung Berücksichtigung finden.

Dies vermag ich von hier aber nicht zu entscheiden.

Auch wenn ich Ihnen nicht direkt bei der Lösung Ihres Problems behilflich war, so hoffe ich dennoch weitere Möglichkeiten zur Behebung dessen aufgezeigt zu haben

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

Marion wurde mit diesem eiskalten Amtsdeutsch nur abgewimmelt. Kein Sozialdienst, kein Gesundheitsamt und schon gar kein JobCenter half. Sie sitzt immer noch in der unerträglichen Wohnung. Marion antwortete dem Herrn B., der ihr „Im Auftrag“ geschrieben hatte. Sie machte ihre Situation nochmals deutlich. Diesmal antwortete der feine Herr B. nicht und auch kein Anderer.

Autoren:

Marion und Amalie für CSN – Chemical Sensitivity Network, 2. September 2009

Integration von Behinderten am Arbeitsplatz: Lehrer mit MCS – Multiple Chemical Sensitivity und Allergien

Lehrer mit MCS sollte eine Chance haben

Die Integration von Behinderten auf Arbeitsplätzen ist eine wichtige Aufgabe, der sich Behörden weltweit angenommen haben. Lehrer, die unter Chemikaliensensitivität / Multiple Chemical Sensitivity (MCS) leiden, haben es in Schulen nicht leicht. Baumaterialien, die Chemikalien ausdünsten, Parfüms und Duftstoffe von Schülern und Kollegen, chemikalien- und duftstoffhaltige Reinigungsmittel Renovierungsarbeiten, Einsatz von Pestiziden stellen nur einen kleinen Bruchteil der „Barrieren“ dar, mit denen chemikaliensensible Lehrer konfrontiert werden können.
 
Häufig wird eine Lehrkraft mit MCS frühzeitig in Pension geschickt. Ein Verlust, dem das Job Accommodation Network (JAN) entgegensteuert, indem diese, dem Ministerium für Arbeit unterstellte Abteilung, Empfehlungen und Unterstützung zur Integration behinderter Lehrkräfte gibt, auch und insbesondere solchen, die unter MCS und Allergien leiden.

Auf Behinderte und ihre Bedürfnisse eingehen
Das amerikanische Schwerbehindertengesetz sieht vor, Behinderte im Berufsleben besonders zu unterstützen. Eine Unterabteilung des Ministeriums für Arbeit, das Job Accommodation Network (JAN), hat sich dessen angenommen und sorgt dafür, dass Situationen im Berufsalltag erfasst und verbessert werden.

In einer Broschürenserie über Behinderungen in Beruf und Unternehmen geht JAN in einem Sonderheft insbesondere auf die Bedürfnisse von behindertem Lehrpersonal ein und wie man dieser Behindertengruppe helfen kann. Die Behörde motiviert, die aufgeführten Vorschläge nicht als einzige Möglichkeit anzusehen, sondern weitere Möglichkeiten zu schaffen, wenn es einer behinderten Person helfen könnte. JAN führt an, dass die Vorschläge nur eine kleine Auswahl darstellen sollen und das es zahllose weitere Möglichkeiten gäbe, um einem behinderten Angestellten gerecht zu werden. 

Lehrpersonal mit Behinderung – kein Problem
JAN geht von etwa 1,1 Millionen behinderter Lehrkräfte an amerikanischen Schulen, Bildungseinrichtungen und Universitäten aus. Da Lehrkräfte einem hohen Standard entsprechen müssen, um der Vielzahl von Anforderungen zu entsprechen, die sie während ihrer Arbeit gerecht werden müssen, ist es laut der Behörde erforderlich, dass angemessene Anpassungen vorgenommen werden, um es dieser Behindertengruppe zu ermöglichen, ihre Arbeit effektiv durchführen. 

Nicht alle Lehrkräfte, die unter einer Behinderung leiden, benötigen spezielle oder viele Anpassungen des Arbeitsumfeldes, um ihre Arbeit zu verrichten. Manche brauchen überhaupt keine Anpassungen, andere benötigen nur kleine Hilfestellungen, die schon mit einer Anordnung abgetan sind.

Viele Zugeständnisse für eine behinderte Lehrkraft kosten nicht einmal Geld, sie erfordern nur Willen und Kooperation der Menschen im Umfeld. So berichtet JAN von einer Lehrkraft, die unter einem Anfallsleiden litt. Die Lehrkraft hatte ein Haustier, das speziell auf die Erkennung der Anfälle abgerichtet war. An der Schule, an der sie unterrichtete, waren Tiere jedoch verboten. Die Schulleitung fällte eine Einzelerlaubnis und sorgte zusätzlich dafür, dass einige Personen mit dem Tier vertraut gemacht wurden und sich um es kümmerten, während die Lehrkraft einen Anfall hatte und in einem Krankenzimmer lag. Kosten der Maßnahme: 0

Auch Lehrpersonal mit MCS hat eine Chance
Während Lehrpersonal in Deutschland beim Auftreten einer Chemikaliensensitivität erfahrungsgemäß mit massiven Problemen rechnen muss und die Behinderung meist mit Frühpensionierung (oft wird die Erkrankung auf die Psyche abgeschoben) einhergeht, sieht JAN in den USA Unterstützung für Lehrpersonal mit MCS und Allergien vor. Sogar ein Maßnahmenkatalog mit Vorschlägen für Personen mit CFS – Chronic Fatigue Syndrom wurde von der Behörde eingebracht.

Folgende Vorschläge unterbreitet JAN, um chemikaliensensiblen Lehrkräften und solchen mit Allergien das Unterrichten zu erleichtern, bzw. weiterhin zu ermöglichen:

Bei Allergien auf Kreide:

  • Benutzung eines Overhead Projektors
  • Benutzung eines PC Projektors
  • Benutzung einer abwaschbaren Kunststofftafel, die mit ungiftigen Markern beschrieben werden kann
  •  Benutzung eines großen Papierblocks auf einer Staffelei (wie bei Konferenzen üblich)
  • Schaffen einer guten Ventilation, Luftfilter, Luftfilterungsanlage
     

Bei Sensitivitäten gegenüber Reinigungsmitteln, Zigarettenrauch, Pestiziden, Parfüms, Farbe, Teppichboden und anderer Gebäudeausstattung: 

  • Benutzung eines Luftfilters, Installierung einer Luftfilterungsanlage
  • Vermeidung der Reizstoffe, so weit wie möglich
  • Verwendung ungiftiger Anstreichfarbe und von speziellen Reinigungsprodukten, die weniger reizende Alternativen darstellen
  • Entfernung, Austausch oder Entgiftung von bestehendem Teppichboden und Auswahl weniger toxischer Gebäudeausstattung und Versorgungsmaterialien
  • Verbesserung der Ventilation innerhalb des Arbeitsplatzes
  • Benachrichtigung im Vorfeld über Malerarbeiten, dem Einsatz von Pestiziden, damit ein alternatives Arrangement für die Arbeit in dieser Zeit getroffen werden kann
  • Schulung des Umfeldes über Multiple Chemical Sensitivity und was die Erkrankung  bedeutet und wie Duftstoffe den Gesundheitszustand Betroffener beeinträchtigen können
  • Auslagern des Arbeitsplatzes aus Bereichen, in denen sich der Werkraum, das Chemielabor, die Cafeteria oder Parkplätze befinden
  • Ausführung von Reinigungs- und Gebäudeinstandsetzungsarbeiten und Renovierungsarbeiten, wenn das Gebäude leer steht
  • In Betracht ziehen der Einführung eines Duftstoffverbotes
  • Bereitstellung eines Luftentfeuchters, um Schimmelbildung zu verhindern
  • Bereitstellung einer Liste der Inhaltsstoffe von Reinigungsmitteln und anderen chemischen Substanzen, die auf dem Schulgelände zum Einsatz kommen

Integration statt Isolation
Diese Maßnahmen, die von JAN für chemikaliensensibles Lehrpersonal vorgeschlagen wurden, könnten mit ein wenig Willen und Akzeptanz an jeder Schule, jeder Universität durchgeführt werden. Sie käme auch anderen Allergikern sowie chemikaliensensiblen Kindern und Jugendlichen zugute.

Es liegt an den Behörden in den jeweiligen Ländern, sich auf humane Weise einzusetzen und mit dazu beizutragen, dass Barrieren auch für diese bisher nahezu ausnahmslos ausgegrenzte Behindertengruppe eliminiert werden.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 17.03.2009

Literatur:
Job Accommodation Network, Occupation and Industry Series: Accommodating Educators with Disabilities, 18.02.2009

Weitere CSN Blogs zum Thema:

WIDERLEGT – Die Lüge „Chemikalien-Sensitivität sei nicht anerkannt“ / Teil III

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Eine Gesellschaft ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied

Chemikalien-Sensitivität stellt unbestritten eine Herausforderung für alle dar. In erster Linie natürlich für den Erkrankten, seine Familie, aber auch für sein Umfeld und nicht zuletzt für unsere Gesellschaft. Ein Leugnen kommt einer Selbstverleugnung gleich, denn wer bis jetzt noch nicht verstanden hat, dass ein Umdenken auf die leichtfertige Handhabung von Chemikalien stattfinden muss, hat seine Augen vor der Realität verschlossen.

Der Großteil der amerikanischen Gouverneure haben den Notstand die Bevölkerung über toxische Schädigungen und Chemikalien-Sensitivität zu informieren seit Jahren erkannt und rufen deshalb den Monat Mai seit zehn Jahren als Aufklärungsmonat aus.

Eine peinliche Lüge: „MCS ist nirgends anerkannt“

Sehr engagiert traten in den vergangenen Jahren amerikanische Behörden für die Erkrankten ein. Um Basis für Gesetzesgrundlagen und Änderungen im Sozialwesen zu schaffen, gab es u. a. einige staatlich finanzierte Kongresse und zahlreiche Studien, die zur Definition und weiteren Erforschung der Erkrankung dienten. Auch Wohnungsbauprojekte für Chemikaliensensible wurden staatlich unterstützt. Gesetze zum Schutz chemikaliensensibler Menschen und Regelungen zum Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen für Betroffene wurden verabschiedet.

Nachfolgend jeweils eine kleine Auswahl von Anerkennungen und Mitteilungen über Akzeptanz gegenüber Chemikalien-Sensitivität, um einen Eindruck zu verschaffen.

Behörden unterstützen Chemikaliensensible

Das US Access Board ist ein unanhängiger Bundesausschuss, der den Zutritt von Behinderten in staatliche Einrichtungen regelt. Die Hälfte der Mitglieder sind Repräsentanten von staatlichen Behörden.

Das US Access Board übernahm am 26. Juli 2000 folgende Richtlinie (1):

Bundesregister Nachrichten, die Sitzungen von Behörden bekannt geben, werden folgende Anweisung umfassen:

Personen, die an Behördensitzungen teilnehmen, werden für das Befinden anderer Teilnehmer gebeten, davon Abstand zu nehmen Parfüm, Cologne und andere Duftstoffe zu benutzen. Ein Schild wird außerhalb des Sitzungsraumes aufgestellt, dass Teilnehmer der Sitzung darauf hinweist, auf Duftstoffe zu verzichten.

Hotels und andere Einrichtungen, in denen Sitzungen abgehalten werden, werden gebeten, Duftstoff versprühende Apparate von den Sitzungsräumen und anschließenden Toiletten zu entfernen oder abzuschalten und jegliche Umbaumaßnahmen (Malerarbeiten, Anstriche, etc.) oder Teppichshampoonierungen und Pestizidausbringungen nicht vor den Sitzungen zu terminieren.

Senatsunterausschuss für die Rechte der Behinderten: Senator Milton Marks aus Kalifornien beschloss 1996 behindertengerechte Bedingungen für Menschen mit einer Multiplen Chemikalien-Sensitivität. (2)

MCS in Medizin und Forschung

Im Vergleich zum Schweregrad der Erkrankung und dass sie bis dato unheilbar ist, wird Forschung und Förderung von Projekten auf diesem Sektor zwar nur gering, aber dennoch unterstützt.

Fachkrankenhaus Nordfriesland: Seit 1992 werden in der Institutsambulanz und seit 10/1995 auch im stationären Bereich des Fachkrankenhauses Nordfriesland in Bredstedt Patienten mit MCS behandelt. Die Klinik wurde als Pilotprojekt finanziert. Von Anfang an wurde die Arbeit durch die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holsteins und das Institut für Toxikologie der Christian-Albrechts-Universität in Kiel dokumentiert. Von 1996 bis 1998 wurde eine prospektive Beobachtungsstudie zur Evaluation der Arbeit der Klinik durch das Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Lübeck durchgeführt. (3)

Mit Hilfe des Bundesministeriums für Gesundheit konnte das Fachkrankenhaus Nordfriesland ein Patientenregister erstellen, um die einzelnen Bereiche der Therapie auf ihre Gewichtung im gesamttherapeutischen Ansatz zu überprüfen. (4)

Qualitätszirkel MCS: Der Qualitätszirkel MCS (Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom) wurde 2001 von Ärzten und Betroffenen der Selbsthilfegruppe MCS in Hamburg gegründet. Der Qualitätszirkel trifft sich in regelmäßigen Abständen. Zum Qualitätszirkel werden Referenten eingeladen, die zu unterschiedlichen Themen vortragen. Hierbei geht es um die Ätiologie, die Diagnostik und auch die Therapie des MCS. Der Qualitätszirkel MCS ist zudem bei der Hamburger Ärztekammer als zertifizierte Fortbildung anerkannt und wird je Sitzung mit 1 Fortbildungspunkt versehen. (5)

Fachgespräch MCS im Jahr 2003 im Umweltbundesamt

Stellungnahme Prof. Dr. med. Thomas Eikmann, Dr. med. Doris Stinner, Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Justus-Liebig-Universität Giessen. „Was hat das abgeschlossene MCS-Vorhaben gebracht? Aus der Sicht der beteiligten Ambulanzen“ (6):

„…Die Anzahl nationaler und internationaler Patienten mit selbst berichteter Multipler Chemikalien Sensibilität (MCS) ist insbesondere auf der Basis US-amerikanischer Studien als bedenklich hoch einzustufen.

…Dies führt zu meiner Empfehlung, für diese Patienten im allgemeinmedizinischen und umweltmedizinischen Versorgungsbereich angemessene Therapiemöglichkeiten und Kapazitäten zu schaffen, die innerhalb der vorhandenen Sozialversicherungssysteme liegen.

…Obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen zur unfallversicherungsrechtlichen Anerkennung von MCS als Berufskrankheit derzeit nicht gegeben sind, sollte das Vorliegen einer MCS- Symptomatik zumindest in den übrigen Sozialversicherungsbereichen durch eine angemessene Einschätzung des Schweregrades berücksichtigt werden.

…Weiterhin sollte die Entwicklung spezifischer Betreuungsmodelle, z.B. in Form spezieller Zentren, unter Einbeziehung der MCS- Patienten bzw. Patientenverbände entwickelt werden. Um den betroffenen Patienten in ausreichendem Maße gerecht zu werden, sind finanzielle Mittel für die Versorgung umweltkranker Patienten bereit zu stellen.“

Die erste staatliche Umweltklinik entstand in Nova Scotia in Kanada. (7)

Das Jewish Hospital (Jüdisches Hospital) in Louisville, KY, verfügt über eine Abteilung, die speziell für Chemikaliensensible eingerichtet ist und unterzieht das Personal ständigen Schulungen bezüglich der speziellen Erfordernisse Chemikaliensensibler.

US Department of Defense: Senator Tom Harkin legt fest, dass 3 Millionen Dollar des DOD’s Etat für die Erforschung der Golfkriegskrankheit in multidisziplinäre Studien über CFS; FM und MCS fließen, 1999. (8)

New Jersey Department of Health (Gesundheitsministerium von New Jersey): Gab eine umfangreiche Bewertung über MCS mit Empfehlungen für staatliche Maßnahmen in Auftrag. „Chemical Sensitivities: A Report to the New Jersey Department of Health“. Der auch in Deutschland in Buchform erschiene Bericht wurde 1989 von Dr. Nicholas Ashford und Dr. Claudia Miller erstellt. (9)

MCS in Politik, Regierung und Ländern

Es wurde über Jahre viel Akzeptanz von Seiten der deutschen Politik und Regierung ausgesprochen.

Die Bundesregierung erklärte 1996 gegenüber dem Deutschen Bundestag, dass sie keinerlei Bedenken gegen die Anerkennung des MCS Syndroms als Schwerbehinderung nach dem geltenden Schwerbehindertenrecht hat. (10)

MCS Patienten wird in einer gemeinsamen Presseerklärung des BGVV und Umweltbundesamtes angeraten, bezüglich symptomauslösender Chemikalien Vermeidungsstrategien zu entwickeln, diese dürfen jedoch nicht zu einer sozialen Isolation führen. (11)

Die Bundesregierung erklärte gegenüber dem Deutschen Bundestag, dass sie keinerlei Bedenken gegen die Anerkennung des MCS Syndroms als Schwerbehinderung nach dem geltenden Schwerbehindertenrecht hat. (12)

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage vom April 1997:

„.. Wenngleich es hinsichtlich derartiger umweltassoziierter Krankheitsbilder noch eine Vielzahl ungeklärter Fragen im Hinblick auf Krankheitsursachen und Entwicklung, Diagnostik und Therapie gibt, ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es gegenwärtig darauf ankommt, die Patienten ernst zu nehmen und angemessen zu betreuen, Krankheiten mit definierten Ursachen auszuschließen (Differentialdiagnose), geeignete Forschungsstrategien hinsichtlich Ursachen, Entstehungsmechanismen, Krankheitsspezifität, Betreuung und Behandlung zu entwickeln.

…Die Bundesregierung hat inzwischen internationale und nationale Fachtagungen zur MCS- Problematik gefördert und Forschungsmittel für geeignete Projekte im Rahmen des Umweltforschungsplanes zur Verfügung gestellt.

…Es ist auch nicht in ihrem Sinne, wenn Patienten, die ihre Beschwerden auf chemikalienbedingte Einflüsse zurückführen, von vorneherein pauschal als psychisch krank bezeichnet werden.“ (13)

Diese Antwort der Bundesregierung aus dem Jahr 1998 wurde mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit namens der Bundesregierung übermittelt:

Antworten auf kleine Anfrage: Hilfe für Menschen mit MCS- Syndrom

„…Die Symptome von MCS-Patienten sind individuell stark unterschiedlich und treten typischerweise in mehr als einem Organsystem auf. Es handelt sich um schwere chemische Verletzungen, und es ist unbestritten, dass den Betroffnen alle nur mögliche Hilfe zuteil werden muss.

…es ist unbestritten, dass weltweit Patienten unter einer Vielzahl von – durch Chemikalien im Niedrigdosisbereich ausgelösten – Symptomen leiden und dass sie professioneller Hilfe bedürfen.

…Es ist wichtig, dass in Deutschland MCS- Patienten angemessene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ebenso wichtig ist es, dass sich der Gesetzgeber bemüht, Menschen mit Multiple Chemikalienempfindlichkeit zu ermöglichen, am öffentlichen Leben teilzunehmen.“ (14)

Ärztlicher Sachverständigen Rat, Sektion Versorgungsmedizin, Bundesministerium für Arbeit im November 1998:

„Gemäß Beschluss sind so genannte Umweltkrankheiten, wie das „MCS- Syndrom“, die mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungseinbussen und Körperfunktionsstörungen, etc. einhergehen, grundsätzlich als Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht SGB IX anerkannt. Es wird darauf hingewiesen, dass psychische oder psychiatrische Krankheiten nicht mit dieser Einstufung verbunden sind.“ (15)

Bayerisches Landesamt für Umweltschutz im November 2001:

„Umweltsyndrome“ Ein zunehmender Anteil von Menschen in Industrienationen leidet unter ihnen – in Deutschland vorsichtigen Schätzungen zufolge etwa zwei bis zehn Prozent der Bevölkerung allein an MCS.

„Außer Frage steht, dass die Patienten ihre Beschwerden tatsächlich erleben und einer gezielten Diagnose und umfassender Beratung bedürfen.“ (16)

Arbeiten trotz Chemikalien-Sensitivität

In Deutschland verwiesen Politiker 1998 darauf, dass Chemikalien-Sensitivität für die Betroffenen katastrophale persönliche, finanzielle und soziale Folgen hat. Insbesondere der Wirtschaft und in der Industrie entstünden jährlich Kosten in Milliardenhöhe aufgrund der nachlassenden Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz.

Damit Chemikaliensensiblen geholfen wird, sie u. U. weiter arbeiten oder eine neue Beschäftigung finden können, versuchen Rehabilitationsexperten Barrieren zu reduzieren oder zu beseitigen. Es gibt dazu in den USA und Kanada seit vielen Jahren von staatlichen Behörden und Gewerkschaften geführte Programme, die für eine effektive Integration von Chemikaliensensiblen sorgen, statt sie völlig aus der Gesellschaft auszustoßen. Das erste groß angelegte Programm startete 1993. Es gab dazu sogar Arbeitsbücher und ein Video für Mitarbeiter und Vorgesetzte zur besseren Veranschaulichung. (17,18,19)

Das amerikanische Job Accommodation Network gab im Jahr 2006 einen ausführlichen Bericht heraus, der darstellt, was Chemikalien-Sensitivität ist, welche Limits daraus entstehen können, wie man Mitarbeitern helfen kann, wie ein MCS Arbeitsplatz aussehen sollte, etc. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, diese behinderten Menschen im Arbeitsleben zu integrieren und Schaden von ihnen abzuwenden. (20)

Gleichstellung Behinderter am Arbeitsplatz in Bezug auf Chemikalien-Sensitivität wurde 1996 in einem Brief der US. Equal Employment Opportunity Commission dargelegt. (21)

CAW, eine kanadische Gewerkschaft, hat eigens einen Leitfaden herausgegeben, in dem Chemikalien-Sensitivität beschrieben wird und erläutert wird, wie man Erkrankten das Arbeitsleben erleichtert, bzw. ermöglichen kann. (22)

Pestizide besonders gefährlich für Chemikaliensensible

Pestizide gehören zu den folgenreichsten Auslösern von Reaktionen bei Chemikaliensensiblen. Die Florida State Legislatur (Gesetzgeber Floridas) schuf ein freiwilliges Pestizid Benachrichtigungsregister für Personen mit Pestizidsensibilität oder MCS, voraussetzend, dass deren Gesundheitszustand von einem Mediziner der Fachrichtung Arbeitsmedizin, Allergologie / Immunologie oder Toxikologie bestätigt ist. Diese Gesetzgebung verlangt von Straßenpflegefirmen, registrierte Personen über Chemikalienausbringung bis eine halbe Meile vor deren Haus, zu benachrichtigen. Colorado, Connecticut, Louisiana, Maryland, Michigan, New Jersey, Pennsylvania, West Virginia und weitere US Bundesstaaten haben ähnliche Register übernommen. (23,24) In Washington State existiert ein solches Register beispielsweise seit 1992. (24)

Durch MCS obdachlos

Manche der hypersensiblen Menschen finden seit Jahren keine Unterkunft. Sie schlafen in der Natur, in einem Aluwohnwagen oder in einem Auto. Es wird immer wieder über traurige Fälle berichtet, bei denen Chemikaliensensible letztendlich keinen anderen Ausweg sahen, als Suizid zu begehen.

Minneapolis Public Housing Authority (Behörde für öffentlichen Wohnungsbau in Minneapolis): Brachte in einem Brief 1994 an die Twin Cities Human Ecology Action League (HEAL) und an das US Department of Urban Development (US Ministerium für Städtebau) ihr Interesse zusammen mit HEAL Häuser für Menschen mit MCS zu entwickeln zum Ausdruck.

Pennsylvania Human Rights Commission (Kommission für Menschenrechte in Pennsylvania): Hielt einen Widerspruch gegenüber dem Gericht für Gemeinwesen aufrecht, dass ein Vermieter angemessenes Entgegenkommen gegenüber einem Hausbewohner mit MCS zeigen muss, einschließlich einer Benachrichtigung im Vorfeld über Malerarbeiten und Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen.

Die Stadt Zürich beschloss im Februar 2008 den Bau eines Apartmenthauses für Chemikaliensensible. (25)

Duftstoffe die größte unsichtbare MCS Barriere

Als Konsens zur multizentrischen MCS Studie wurde 2003 bei einem Fachgespräch zu MCS im Umweltbundesamt festgestellt, dass Patienten, die unter MCS leiden, schwer krank sind und Hilfe benötigen. Es sei derzeit nur eine symptomatische Therapie möglich. Duftstoffe spielen beim MCS Krankheitsgeschehen eine wichtige Rolle, der unnötige Einsatz von Duftstoffen sollte möglichst unterbleiben. (26)

Das Bayrisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, gab 2003 eine Fachinformation heraus: Ist angenehmer Duft auch immer gesund? (27) Riech-, Duft- und Aromastoffe

Bei besonders empfindlichen Personengruppen wie Asthmatikern, bei Patienten mit Heuschnupfen und Patienten mit einer Multiplen Chemikalien- Überempfindlichkeit wird über Unverträglichkeiten gegen Parfüm berichtet.

Empfehlung für den Verbraucher:

  • Verzichten Sie auf Duftstoffe in der Raumluft. Denken Sie an empfindliche Personen. Helfen Sie Allergien zu vermeiden!
  • Bewahren Sie Duftöle außerhalb der Reichweite von Kindern auf.
  • Geben Sie Duftstoffe nur in die Raumluft, wenn alle Raumbenutzer einverstanden sind.

San Francisco Department of Public Health, HIV Health Services Planning Council

Ministerium für Öffentliche Gesundheit in San Franzisko, HIV Gesundheitsservice Planungsrat): Seit Jahren und auch 2008 weist man darauf hin, dass in Anbetracht von teilnehmenden Personen mit schweren Allergien, Umweltkrankheiten, Multipler Chemikaliensensibilität und ähnlichen Behinderungen, Besucher bei öffentlichen Sitzungen daran erinnert werden, dass andere Teilnehmer auf verschiedene chemische Produkte sensibel reagieren und man auf Duftstoffe und Chemikalien verzichten soll. (28)

Contra Costal Medical Advisory Planning Commission (Kommission für Einsparungen im Medizinsektor): Mitteilung bei Ankündigungen öffentlicher Sitzungen: „Bitte helfen Sie uns, Personen mit EI/MCS entgegenzukommen und verzichten Sie darauf, Duftstoffe bei dieser Anhörung zu tragen.“ 1994.

San Francisco Board of Supervisors (Aufsichtsrat von San Franzisko): Fordert von Bürgern die an öffentlichen Sitzungen teilnehmen „das Benutzen von Parfüm und anderen Duftstoffen zu unterlassen, um Personen mit MCS eine Möglichkeit zu geben, teilzunehmen“,1993.

Immer mehr Schulen und Universitäten duftstoff- und chemiefrei

Bei einer spontanen CSN Recherche wurden mit minimalem Zeitaufwand über 30 Schulen und Universitäten in USA und Kanada gefunden, die weitgehend auf Verwendung von Chemikalien verzichten und über ein Duftstoffverbot verfügen. Nachfolgend ein Beispiel zur Verdeutlichung:

Die kanadische Mennonite Universität, eine christliche Universität in Winnipeg, ist duftfrei. Die Regelung wurde getroffen, um Studenten die unter MCS oder Asthma leiden, die Möglichkeit zu geben, studieren zu können.

Die Resonanz der Studenten war sehr positiv, sagte Peters Kliewer, der Leiter der Universität. Die Universität hat alle möglichen Produkte in duftfreie oder Produkte mit geringem Geruch umgestellt. Dies betrifft beispielsweise Reinigungsmittel für die Böden oder Seife für die Spender auf den Toiletten. Die Abteilung für Instandhaltung kauft ebenfalls nur Farben und Baumaterialien mit geringem Geruch. Randy Neufeld, der Leiter der Einrichtung sagte:

„Es kostet zwar ein wenig mehr, aber das ist es wert, für das Wohlbefinden und die Sicherheit der Studenten.“

Wenn mit Produkten gereinigt werden muss, die stärker riechen, werden die Studenten, die Probleme damit haben rechtzeitig benachrichtigt, damit sie das Areal meiden können oder für ein paar Stunden fernbleiben.

Um Besucher über die duftfreie Regelung zu informieren, hat jede Tür, die in die Universität führt, ein Schild mit der Aufschrift: „In Anbetracht der Rücksicht auf Personen, die unter Asthma, Allergien und Umwelt-, Chemikaliensensibilitäten leiden, werden Sie gebeten, es zu unterlassen Duftstoffe, oder duftende Produkte auf dem Campus zu tragen. CMU bemüht, sich eine duftfreie Umgebung zu sein.“

Anerkennung auf dem „kleinen Dienstweg“

Vor einiger Zeit bekam CSN eine Mail von einer amerikanischen Mutter, deren schulpflichtige Tochter chemikaliensensibel ist. Molly stand kurz davor, die Schule verlassen zu müssen, weil es ihr täglich schlechter ging. Der Schulleiter, die Lehrer, Eltern und Mitschüler hatten Verständnis, und Molly bekam Unterstützung. Sogar der Jahresabschlussball war duftfrei, und sie konnte teilnehmen.

Die Mutter von Molly berichtete, dass sie zu 95% klarkommt und, im Gegensatz zu vorher, ihre Noten hervorragend seinen. Molly ist unter Gleichaltrigen, kommt jetzt gesundheitlich gut klar, und die anderen Mitschüler sind stolz auf sie, genau wie ihre Mutter. Nur deren Mut, mit dem Leiter der Schule zu sprechen, und dessen Offenheit und Menschlichkeit ist es zu verdanken, dass ein junger Mensch trotz Handicap seinen Weg macht.

Akzeptanz von chemikaliensensiblen Mitmenschen sollte viel öfter auf dem „kleinen Dienstweg“ erfolgen, anstatt schwer kranke Menschen fortwährend zermürbenden, Kräfte raubenden Dialogen zu unterziehen, sie sogar zu diskriminieren oder ihnen selbst minimalstes menschliches Entgegenkommen zu verwehren.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Mai 2008

Literatur:

  1. US Access Board, Board Policy to Promote Fragrance-Free Environments, 26.07. 2000
  2. C A L I F O R N I A L E G I S L A T U R E, SENATE SUBCOMMITTEE ON THE RIGHTS OF THE DISABLED SENATOR MILTON MARKS CHAIRMAN, FINAL REPORT, ACCESS FOR PEOPLE WITH ENVIRONMENTAL ILLNESS/ MULTIPLE CHEMICAL SENSITIVITY AND OTHER RELATED CONDITIONS, SEPTEMBER 30, 1996
  3. Fachkrankenhaus Nordfriesland – KV Schleswig-Holstein, Uni Kiel, 1992
  4. Fachkrankenhaus Nordfriesland – Bundesministerium für Gesundheit, 2001
  5. Qualitätszirkel MCS Hamburg, 2001
  6. Fachgespräch MCS im Umweltbundesamt, 04.09.2003
  7. Gerald H. Ross, Services Provided at the Nova Scotia Environmental Medicine Clinic, Herbst 1994
  8. MCS Definition, Multiple Chemical Sensitivity: A 1999 Consensus, Archives of Environmental Health v.54, n.3 May/Jun99
  9. Nicholas A. Ashford, Low-level chemical sensitivity: implications for research and social policy, Ashford Toxicol Ind Health.1999; 15: 421-427
  10. Bundesregierung Bundestagsdrucksache 13/6324 Ziffer 15, 1996
  11. Presserklärung BGVV, Umweltbundesamt, Feb. 1996
  12. Bundesregierung Bundestagsdrucksache 13/6324 Ziffer 15, 1996
  13. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage mit BT- Drs. 13/7463, Ziff. 3, April 1997
  14. Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/11125 vom 17.06.1998
  15. Ärztlicher Sachverständigen Rat, Sektion Versorgungsmedizin, Bundesministerium für Arbeit, TOP 1.9, Nov. 1998.
  16. Bayerisches Landesamt für Umweltschutz , Fachinformation „Umwelt und Gesundheit“ Umweltsyndrome, November 2001
  17. Multiple Chemical Sensitivities at Work: A Training Workbook for Working People, New York: The Labor Institute, 1993
  18. Videotape „MCS: An Emerging Occupational Hazard.“ New York: The Labor Institute, 1993
  19. Job Accommodation Network, Tracie DeFreitas Saab, Accommodation and Compliance Series: Employees with Multiple Chemical Sensitivity and Environmental Illness, 01/02/06.
  20. Job Accommodation Network, Accommodation and Compliance Series: Employees with Multiple Chemical Sensitivity and Environmental Illness, 01.02.2006
  21. EEOC GUIDANCE LETTER, US. EQUAL EMPLOYMENT OPPORTUNITY COMMISSION, Washington, DC 20507, JULY 24 1996
  22. CAW, Multiple Chemical Sensitivity Syndrome, 2006
  23. Pesticide Registration Registries: Descriptive Summary of a Survey of State Pesticide Sensitivity Registries and Evaluation of Louisiana’s Registry for Pesticide sensitive Individuals, Louisiana Department of Health and Hospitals, Dezember 2003.
  24. Washington State, Pesticide Sensitivity Registry, 16.07.2007
  25. Silvia K. Müller, Anerkennung von MCS durch Stadt Zürich, CSN Blog, 18.Feb. 2008
  26. Umweltbundesamt, Fachgespräch zum MCS Syndrom, Sept. 2003
  27. Bayrisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, 17.09. 2003
  28. San Francisco Department of Public Health, Mitchell H. Katz, M.D., Director of Health, February 6, 2008

WIDERLEGT Lüge Nummer 4: „Chemikalien-Sensitivität ist nicht anerkannt“

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Der Kampf um Anerkennung lohnt

Chemikalien-Sensitivität ist als Behinderung anerkannt / Teil I

Die Barrieren sind unsichtbar und oft sogar geruchlos, aber dennoch unüberwindbar. Kein Aufzug, keine Rampe bietet Abhilfe. Kein Signalton und kein Warnlicht bietet Schutz davor. Gemeint sind die Hürden im Alltag, die bei bestimmten Menschen u.a. Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Krämpfe, Sehverlust, Erschöpfung, Artikulationsstörung und bei schweren Fällen sogar Bewusstlosigkeit auslösen.

Die Menschen, von denen die Rede ist, gehören zu den 15-30% in der Allgemeinbevölkerung eines Landes, die unter Chemikalien-Sensitivität (MCS) leiden und auf Duftstoffe, Farben und Lacke, frischen Asphalt, Zigarettenrauch, Reinigungsmittel, neuen Teppichboden und viele andere Alltagschemikalien oft in Sekundenschnelle Beschwerden entwickeln, die zumeist Stunden bis Tage anhalten. Bei schweren Fällen führt die Erkrankung zu völliger Behinderung und unweigerlich zu Isolation.

Um chemikaliensensiblen Menschen zu helfen, wurden in einigen Ländern begonnen in verschiedenen Lebensbereichen Gesetze und Regelungen zu deren Schutz und Hilfe zu schaffen.

Sachliche Aufklärung führt zu Anerkennung

In mehreren Etappen stellen wir eine kleine Auswahl von dokumentierten Fällen dar, um zu zeigen, dass Chemikalien-Sensitivität (MCS) sehr wohl auch von behördlicher Seite anerkannt wird, und nicht nur dort, auch in der Gesellschaft werden, langsam zwar, aber dennoch mehr und mehr Barrieren abgebaut.

Es ist jedoch zu erwarten, dass noch Einiges an Zeit verstreichen wird, bis wir in Deutschland soweit sind, dass auf Chemikaliensensible genauso viel Rücksicht genommen wird, wie bereits jetzt schon auf andere Behinderte. Ansätze und einige erste Grundlagen sind bereits vorhanden. Es liegt mit an den durch Chemikalien Erkrankten selbst, weitere Aufklärung über toxische Schädigungen und die damit sehr häufig verbundene Chemikalien-Sensitivität zu betreiben.

Eine Trendwende zugunsten von mehr Lebensqualität und Überlebensgrundlagen für Chemikaliensensible wird nicht zum Nachteil der Allgemeinheit führen, ganz im Gegenteil, sie wird dazu beitragen, dass in vielen Bereichen Menschen gesünder und damit produktiver sein können.

Behörden schaffen Grundlagen
Im Jahr 1945 wurde erstmals in einer medizinischen Fachzeitschrift über Chemikalien-Sensitivität berichtet. Es sollte jedoch viele Jahrzehnte dauern, bis diese Erkrankung, die viele Menschen betrifft und in schweren Fällen jegliche Existenzgrundlage raubt, von der WHO in die Klassifizierung von Krankheiten einfloss.

Nach der „International Classification of Diseases“ der WHO, 10 Auflage (1990), ICD-10, im Gebrauch seit 1994, hat MCS die Klassifikation T78.4 und ist dem Bereich „Vergiftungen, Verletzungen andere äußere Ursachen“ zugeführt. T78.4 steht für „Allergien, Überempfindlichkeiten.“ (1,2)

In Australien ist MCS, vom National Centre for Classification in Health, ebenfalls mit einem WHO ICD -10 – AM Code beziffert. Dort floss die Einklassifizierung unter neu definierte Erkrankungen ein (3).

Chemikalien-Sensitivität ist eine Behinderung
Als Behinderung kann Chemikalien-Sensitivität in den USA in Einzelfallentscheidung seit 1992 geltend gemacht werden. (4) Der erste bekannt gewordene Fall, dass MCS zu einer Anerkennung als Behinderung führte, wurde jedoch schon 1979 von einem Gericht auf Hawaii beschieden.

Den Erkrankten wird von US Behördenseite in erster Linie dadurch geholfen, dass zunehmend Wohnraum, öffentliche Gebäude und Arbeitsplätze für deren besondere Bedürfnisse angepasst werden. Die amerikanische Behörde „US Access Board“ setzt sich intensiv mit Modalitäten auseinander, die es Behinderten ermöglichen sollen, öffentliche Gebäude zu betreten und an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können. Mit diesem Abbau „unsichtbarer Barrieren“ sollen Chemikalien- und Elektrosensible die Möglichkeit erhalten, am Leben teilzunehmen. So gibt es in der Stadt San Franzisko bspw. keine öffentliche Versammlung, in der Duftstoffe oder Zigarettenrauchen erlaubt wäre. Auf chemische Reinigungsmittel wird vor einer Veranstaltung ebenso verzichtet, wie auf das Versprühen von Pestiziden in einem bestimmten Zeitrahmen davor. (5)

Ein weiteres Beispiel, wie in der Praxis mit wenig Mühe Hilfe für Chemikaliensensible betrieben wird:

Im Staat Washington kann eine Person, die unter MCS leidet und als schwer behindert anerkannt ist, beim Ministerium ein spezielles Nummernschild beantragen. Das Ministerium sendet dann einen Fragebogen an den behandelnden Arzt. Wenn der Arzt bestätigt, dass der Patient unter schwerer MCS leidet, bekommt er ein spezielles Nummernschild für Schwerbehinderte. Mit diesem Nummernschild wird das Auto des MCS Kranken an Tankstellen von einem Angestellten betankt. Diese Maßnahme sorgt dafür, dass Chemikaliensensible keine Benzindünste beim Tanken einatmen müssen und im Wagen sitzen bleiben können.

MCS in Deutschland als Behinderung anerkannt
In Deutschland erfolgte eine Aufnahme in das Register für Behinderungen erst auf Druck von Seiten der Erkrankten, deren Ärzten, Politikern und Rechtsanwälten. Doch dann verschloss sich sogar die deutsche Arbeitsmedizin nicht mehr den Empfehlungen, grenzte lediglich zum Selbstschutz ein. (6,7,8,9)

Bundestagsdrucksache, 1996

„Die Bundesregierung erklärte gegenüber dem Deutschen Bundestag, dass sie keinerlei Bedenken gegen die Anerkennung des MCS Syndroms als Schwerbehinderung nach dem geltenden Schwerbehindertenrecht hat.“ (7)

Ärztlicher Sachverständigen Rat, 1998

„Gemäß Beschluss sind so genannte Umweltkrankheiten, wie das „MCS- Syndrom“,  die mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungseinbussen und Körperfunktionsstörungen, etc. einhergehen, grundsätzlich als Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht SGB IX anerkannt. Es wird darauf hingewiesen, dass psychische oder psychiatrische Krankheiten nicht mit dieser Einstufung verbunden sind. „(8)

Deutsche Arbeitsmedizin, 2002

„Gesetzliche Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit liegen nicht vor, dessen ungeachtet kann das Vorliegen einer MCS- Symptomatik in den übrigen Sozial-versicherungsbereichen berücksichtigt werden“. (6)

Behinderung anerkannt, Diskriminierung abgestellt
In Deutschland wurde MCS als Behinderung 2004 eingegliedert, aber sehr zum Leidwesen der Erkrankten und deren Ärzte hatte man Chemikalien-Sensitivität (MCS) und Chronische Erschöpfung (CFS) in den Leitlinien unter Ziffer 26.3 „Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, psychische Traumen“ gelistet. Die Erkrankten und ihre Ärzte empfanden diese Einstufung zu Recht als Diskriminierung, was zu einer Neueingliederung im Jahr 2005 führte. Seitdem werden MCS und CFS unter Ziffer 26.18 „Haltungs- und Bewegungsapparat, rheumatische Erkrankungen“ geführt. Nun kann beim Vorliegen einer besonders schweren MCS ein GdB von mehr als 50 anerkannt werden. (9)

Kanada allen voraus
In Kanada geht man noch einen Schritt weiter. Mitte des Jahres 2007 hat die kanadische Menschenrechts-kommission sehr deutlich bekundet, dass sie für Menschen mit Chemikalien-Sensitivität ganz besonders eintritt.

Aus einem über 100-seitigen Bericht der kanadischen Menschenrechtskommission geht hervor: (3)

Personen mit Umweltsensibilitäten verspüren eine Reihe von negativen Reaktionen gegenüber Umweltagenzien bei Konzentrationen, die weit unter dem liegen, was „Normalpersonen“ beeinträchtigt. Dieser medizinische Zustand ist eine Behinderung, und diejenigen, die mit Umweltsensibilitäten leben müssen, stehen unter dem Schutz des Canadian Human Rights Act (Gesetzgebung der kanadischen Menschenrechtskommission), welche die Diskriminierung einer Behinderung verbietet. Die kanadische Menschenrechtskommission wird jede Anfrage und jeden Beschwerdevorgang von Personen verfolgen, die glauben, dass er oder sie aufgrund einer Umweltsensibilität diskriminiert wurden. Wie Andere mit einer Behinderung, wird vom Gesetz her verlangt, denjenigen mit Umweltsensibilitäten entgegenzukommen.

Der CHRC Act (Gesetzgebung der kanadischen Menschen-rechtskommission), spornt Arbeitgeber und Dienstleister an, Eigeninitiative zu zeigen in diesen Belangen und hinsichtlich der Sicherstellung, dass ihre Arbeitsplätze und Einrichtungen für Personen mit einer großen Bandbreite von Behinderungen zugänglich sind. Erfolgreiche Anpassungen für Personen mit Umweltsensibilitäten erfordern innovative Strategien, um Expositionen gegenüber Auslösern aus der Umwelt zu reduzieren oder zu eliminieren.

Diese schließen ein:

  • Entwicklung von Richtlinien für die Durchsetzung von Duftstoffverboten und Vermeidung von Chemikalien
  • Vereinbarung von Ausbildungsprogrammen zur Erreichung freiwilliger Einhaltung solcher Richtlinien
  • Minimierung von Chemikalieneinsatz und Kaufen von schadstoffarmen Produkten
  • Benachrichtigung von Mitarbeitern und Kunden im Vorfeld von Bau- oder Umbauarbeiten und Reinigungsaktivitäten

CHRC bekräftigt diese Vorhaben mit der Aussage:

Solche Maßnahmen können Verletzungen und Krankheiten verhindern, Kosten, Gesundheits- und Sicherheitsrisiken reduzieren.

Autor:
Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Mai 2008

Literatur:

  1. DIMI- Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, ICD-10-GM, Alphabetisches Verzeichnis, Seite 143, Version 2008
  2. Dr. Ursula Kueppers, DIMDI, e-Mail an CSN
  3. Margaret E. Sears, Canadian Human Rights Commission, Policy on Environmental Sensitivities, Mai 2007
  4. HUD, Carole W. Wilson, Associate General Counsel for Equal Opportunity and Administrative Law, Memorandum Multiple Chemical Sensitivity Disorder and Environmental Illness as Handicaps, March 5, 1992
  5. US Access Board, Access Board Policy, Juli 2000
  6. Prof. Dr. med. Renate Wrbitzky / Abt. Arbeitsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover; Prof. Dr. med. Thomas Kraus, Institut für Arbeitsmedizin der RWTH Aachen; Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Andreas Zober, Abt. Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz der BASF Ludwigshafen, Deutsches Ärzteblatt, Heft 38, Seite A 2474, Jahrgang 2002.
  7. Bundestagsdrucksache 13/6324 Ziffer 15 aus dem Jahr 1996
  8. Ärztlicher Sachverständigen Rat, Sektion Versorgungsmedizin, Bundesministerium für Arbeit, TOP 1.9, Nov. 1998
  9. BMGS Berlin, MCS Ziffer 26.18, Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit, Anhaltspunkte 2005

Die 10 größten Lügen über Chemikalien-Sensitivität (MCS)

Alle 10 größten Lügen über Chemikalien-Sensitivität sind längst widerlegt.

Mehr dazu in den nächsten CSN Blogs.

WIDERLEGT Lüge Nummer 1: MCS existiert nicht

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Chemikalien-Sensitivität (MCS) wurde immer wieder als Behinderung/ Schädigung in Gerichtsprozessen in verschiedenen Ländern anerkannt

Seit den fünfziger Jahren wird in der Medizin mit steigender Tendenz über Menschen berichtet, die auf geringste Konzentrationen von Chemikalien reagieren, auf die die Allgemeinbevölkerung keine nennenswerten Beeinträchtigungen zeigt. Anfangs waren es nur einzelne Ärzte, wie der amerikanische Arzt Theron Randolph, die auf die Symptome dieser Menschen auf minimale Konzentrationen von Abgasen, Pestiziden, Druckerschwärze, Duftstoffe, etc. aufmerksam geworden waren und darüber berichteten. Heute sind es Ärzte in nahezu jedem Land, die Patienten mit Chemikalien-Sensitivität betreuen.

Warum leiden plötzlich Millionen an einer „nicht existenten“ Krankheit?

Eines ist seit den ersten Beschreibungen der Krankheit gleich geblieben, die Menschen, die Erkrankten, hatten in der Regel nie zuvor von MCS gehört. Sie kannten sich in den allerseltensten Fällen (Ausnahme z.B. Gruppe von Personen von einem Arbeitsplatz, an dem sie gemeinsam durch Chemikalien krank wurden). Die Chemikaliensensiblen stammten vielmehr aus den verschiedensten Ländern oder Regionen, gehörten nicht der gleichen Rasse, Bevölkerungsschicht, Berufsgruppe oder dem gleichen Bildungsniveau an. Manche davon leben sogar in entlegenen Gegenden ohne Fernsehen, Zeitung oder anderen Möglichkeiten, um je von der Krankheit gehört oder gelesen zu haben. Treffender, als es Marlene Catterall aus Ottawa bei einer Debatte des kanadischen Unterhauses sagte, kann man die Situation der Chemikaliensensiblen kaum beschreiben:

„Es gibt da beim Management und der Regierung einige Tendenzen, die diese Probleme (Umweltsensibilitäten) nicht ernst nehmen und die glauben lassen, dass sie es mit einer Gruppe von Hypochondern zu tun haben. Ich denke, kein verantwortungsbewusster Arbeitgeber kann wirklich glauben, dass eine Gruppe von Angestellten plötzlich über Nacht zu Hypochondern wird. Dies sind sehr reale Probleme, sie sind nicht unbekannt in der internationalen Wissenschaft und verdienen sehr ernsthafte Aufmerksamkeit seitens der Regierung.“ (1)

Hunderte von Studien für eine Krankheit, die es nicht gibt?

Ab den sechziger Jahren fing man an, wissenschaftlich über Chemikaliensensitivität zu forschen, und erste Doppelblindstudien belegten schon damals, 1963, dass die Beschwerden der Patienten real sind und Erkrankte sich von Normalpersonen durch ihre Reaktionen auf Chemikalien unterscheiden. (2-4) Heute ist die Zahl der wissenschaftlichen Studien auf über 800 angewachsen (5,6).

Behörden weltweit einer „nicht existenten“ Krankheit aufgesessen?

Aus den verschiedensten Ländern wird Bericht über chemikaliensensible Menschen erstattet. Epidemiologische Studien aus aller Herren Länder belegen, dass nahezu überall dort, wo Chemikalien verstärkt zum Einsatz kommen, es auch Menschen gibt, die chemikaliensensibel sind. Behörden nehmen das Gesundheitsproblem dieser Patientengruppe zunehmend zur Kenntnis und erörterten in Berichten, beriefen eigens dazu veranlasste Kongresse, verankerten Gesetze zum Schutz dieser Patientengruppen, und Ministerien beriefen Patientenvertreter in Gremien, die Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit treffen. Richter sprachen in zahlreichen Fällen Recht hat zu Gunsten Chemikaliensensibler.

Es gibt in den USA und Kanada seit vielen Jahren von staatlichen Behörden und Gewerkschaften geführte Programme, die für eine effektive Integration von Chemikaliensensiblen sorgen, statt sie völlig aus der Gesellschaft auszustoßen. Das erste groß angelegte Programm startete 1993. Es gab dazu sogar Arbeitsbücher und ein Video für Mitarbeiter und Vorgesetzte zur besseren Veranschaulichung. (7-9) Und würden Behörden tatsächlich Häuser bauen für Menschen mit einer Krankheit, die nicht gibt?

Würde eine „nicht existente“ Krankheit an renommierten Kliniken diagnostiziert?

Mediziner in Kliniken und Praxen in den verschiedensten Ländern diagnostizieren Chemikalien-Sensitivität bei ihren Patienten. Zum Verbund der amerikanischen und kanadischen Kliniken für Arbeits- und Umweltmedizin, kurz AOEC genannt, gehören viele der renommiertesten Kliniken weltweit. Harvard, Johns Hopkins, Yale, Mount Sinai sind darunter. In diesen Kliniken zählt Multiple Chemical Sensitivity seit Jahren zu den Diagnosen, die am Häufigsten gestellt werden. Niemand käme auf die Idee, die Qualifikation dieser Kliniken in Abrede zu stellen, indem er behauptet, man diagnostiziere dort eine Krankheit, die es überhaupt nicht gibt. (10)

Würde Diskriminierung einer Krankheit geahndet, wenn es sie nicht gibt?

Die kanadische Menschenrechtskommission tritt explizit für die Rechte von Chemikaliensensiblen ein und bietet diesen Menschen in jedem einzelnen Fall von Diskriminierung Hilfe an. Zum Tatbestand der Diskriminierung gehört auch eine Behauptung gegenüber einer an MCS erkrankten Person, dass er unter eine Krankheit leide, die nicht existiert. Maxwell Yalden, ehemals Vorsitzender der Kanadischen Menschenrechtskommission, äußerste sich zu der Behauptung „MCS existiert nicht“, bereits 1990 in unmissverständlicher Form:

„Ich und meine Kollegen empfinden alles, was Umweltsensibilität betrifft und alle damit verbundenen Angelegenheiten als sehr bedauerlich. Es gibt eine Tendenz in vielen Kreisen, diese Erkrankung tot zu reden oder so zu behandeln, als gäbe es sie nicht. Sie schütteln ihre Köpfe; sie sagen, es gibt einfach keine Möglichkeit, mit manchen Menschen umzugehen. Unsere Einstellung jedoch ist, dass es ein Problem ist, ein echtes Problem. Es ist ein Problem, unter dem manche Menschen leiden, und sie leiden sehr schmerzhaft. Sie leiden noch mehr wegen des Demütigungsfaktors. Niemand nimmt sie ernst. Wir glauben, dass es ein großes Ausmaß öffentlicher Missverständnisse gibt, und wir möchten versuchen, sie zu beseitigen.

Wir werden jeder Beschwerde von jeglicher Person nachgehen, die glaubt, dass man sie diskriminiere, weil sie an Umweltsensibilitäten leidet. Es ist nicht an uns, über medizinische Sachverhalte ein Urteil zu sprechen – und es gibt medizinische Sachverhalte. In der Medizinwelt gibt es ein großes Ausmaß von Meinungsverschiedenheiten bzw. Fehlen von Einstimmigkeit betreffs dieses Syndroms. Wir denken, es ist klar, dass es eine Krankheit ist. Es ist ein Problem. Es ist keine Illusion. Ich denke, wir alle haben die Aufgabe, den Menschen zu helfen zu verstehen, was involviert ist und etwas dagegen zu tun.“ (11)

Und seit wann können Mäuse perfekt lügen?

Auch wenn jemand all diesen Millionen von chemikaliensensiblen Menschen aus den verschiedensten Ländern und ihren Ärzten keinen Glauben schenkt und vielmehr davon ausgeht, dass die Patienten und deren Ärzte aus bislang unerfindlichen Gründen plötzlich eine Krankheit kreieren und es schaffen, ein solches Mysterium über ein halbes Jahrhundert am Leben zu halten und sogar dafür zu sorgen, dass immer mehr Menschen darunter leiden, so bleibt für diese Ungläubigen eine die Tatsache: Mäuse können weder lügen, noch sind sie hysterisch veranlagt. Labormäuse können nicht als Krönung der Perfektion in kontrollierten Studien Chemikalien-Sensitivität simulieren (12).

Autor: Silvia K. Müller, Mai 2008

Literatur: Anm.: Man könnte Hunderte von Literaturstellen aus aller Welt aufführen, wir beschränken uns auf eine begrenzte Zahl von Beispielen zur Veranschaulichung.

  1. Marlene Catterall, M.P. ( Ottawa West), Hansard, House of Commons Debates, 5. Juni, 1990
  2. Kailin, E. and C. Brooks. 1963. Systemic toxic reactions to soft plastic food containers: a double-blind study [of MCS patients]. Med.Ann.Washington DC 32:1-8.
  3. Kailin, E. and C. Brooks. 1965. Cerebral disturbances from small amounts of DDT; a controlled study [of MCS patients]. Med..Ann.Washington DC 35:519-524.
  4. Kailin, E. and A. Hastings. 1966. Electromyographic evidence of DDT-induced myasthenia [in MCS patients]. Med.Ann.Washington DC 35:237-245.
  5. Silvia K. Müller, Wissenschaftlicher Sachstand zu MCS, CSN Blog, Jan.2008
  6. MCS Bibliographie, http://www.csn-deutschland.de/mcs_bib_main.htm
  7. Multiple Chemical Sensitivities at Work: A Training Workbook for Working People, New York: The Labor Institute, 1993
  8. Videotape „MCS: An Emerging Occupational Hazard.“ New York: The Labor Institute, 1993
  9. Job Accommodation Network, Tracie DeFreitas Saab, Accommodation and Compliance Series: Employees with Multiple Chemical Sensitivity and Environmental Illness, 01/02/06.
  10. AOEC Clinic Directory, 2005 -2008
  11. Maxwell Yalden, former CHair Canadian Human Rights Commission, Hansard, House of Commons Minutes of Proceedings and Evidence of the Standing Commitee on Human Rights and the Status of Disabled Persons, 10. Mai 1990
  12. Anderson RC, Anderson JH., Sensory irritation and Multiple Chemical Sensitivity, Toxicol Ind Health. 1999 Apr-Jun;15(3-4):339-45.

Umgang mit Umweltkranken: ein Fall für die Menschenrechtskommission

Umweltkranke, die sensibel auf kleinste Spuren von Chemikalien oder auf elektromagnetische Strahlung reagieren, haben es im Alltag und Beruf schwer. Sie werden häufiger als Personen mit AIDS, Allergien, Asthma, Magenbeschwerden, Trauma oder Tuberkulose in ihrem Berufsleben diskriminiert. (1) Ihre Gesundheit und Arbeitsfähigkeit hängt von chemikalienfreien Räumlichkeiten und der Akzeptanz ihres Umfeldes ab. Leider treffen sie dabei noch viel zu häufig auf Unverständnis und Intoleranz, obwohl Chemikaliensensitivität (MCS) und Elektrosensibilität (EMS) in einigen Ländern als Schwerbehinderung anerkannt sind. (3,4,5) Die kanadische Menschenrechtskommission gab im Mai 2007 bekannt, dass sie jedem Einzelfall von Diskriminierung Umweltsensibler in ihrem Land nachgeht. (2)

Frau mit Atemmaske wegen Multiple=

Unterschiedliche Reaktion auf die Umwelt nichts Neues

Wir alle wissen und akzeptieren, dass beispielsweise Menschen mit roten Haaren und blauen Augen sehr empfindlich gegenüber Sonnenlicht reagieren und schneller einen Sonnenbrand bekommen als dunkelhäutige Menschen. Bei Reaktionen auf Chemikalien ist es schwieriger, Akzeptanz und Rücksichtnahme zu erzielen, denn man kann in diesem Fall rein vom Äußeren eines Mitmenschen her kaum beurteilen, dass er gesundheitliche Probleme durch ein Parfüm, Abgase, Putzmittel, Zigarettenrauch, Pestizide oder Farben hat. Ungefähr 15-30% der Bevölkerung gehören zur Gruppe der Chemikaliensensiblen, die mit Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, bis hin zu völligem Zusammenbruch, auf Alltagschemikalien reagieren, die anderen nichts oder kaum etwas ausmachen. (6-16) Ist eine Sensibilität eingetreten, besteht sie lebenslang und beansprucht entsprechende permanente Anpassungen. Rechtzeitiges Erkennen, Umweltkontrolle, Vermeidung Symptom auslösender Substanzen, Entgiftung und Regenerierung der normalen biologischen Körperprozesse sind der Schlüssel für Menschen mit Umweltsensibilitäten um ihre Gesundheit zu erhalten und zurückzuerhalten. (2)

Hürden im Alltag

Wie sieht es im Alltag für einen Chemikaliensensible aus, wird man diskriminiert aufgrund der Einschränkungen und besonderen Bedürfnissen? „Doch, das kommt vor“, sagt Michael, der seit mehr als 10 Jahren unter Multiple Chemical Sensitivity  (MCS) leidet. „In meinem persönlichen Umfeld geht es, da weiß jeder Bescheid und richtet sich danach. Solche Sachen wie, dass ein Freund extra Parfüm benutzt oder raucht, um meine Krankheit zu provozieren, kenne ich nicht. Aber durch Behörden fühle ich mich diskriminiert, dort habe ich nie richtiges Verständnis erfahren. Im Gegenteil, und das finde ich nicht korrekt. Meine Schwerbehinderung ist anerkannt, die MCS inklusive. Trotzdem muss man sich blöde Sprüche von parfümierten Angestellten anhören, die nicht gewillt sind, ein Fenster zu öffnen, weil sie dann frieren würden. Ich hocke da und soll einen Antrag ausfüllen und kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Die Schrift sieht unmöglich aus, weil das Gehirn schon krampft und die Motorik nicht richtig will. Dass Gekrakel wird dann als nächster Punkt kritisiert. Schlussendlich schwankt man irgendwie aus dem mit Papier und Akten vollgestopften Raum und ist mindestens für den Rest dieses Tages im Eimer. Wenn es irgendwie möglich ist, versuche ich alles, was nur geht, telefonisch oder schriftlich zu regeln, doch manchmal muss man eben persönlich erscheinen. Das empfinde ich schon als diskriminierend, vor allem, weil ich selbst nichts für meine Situation kann, ich habe sie nicht verursacht und sie mir auch nicht ausgesucht“, erläutert der durch Lösemittel und Pestizide am Arbeitsplatz geschädigte junge Mann.

Umweltkrankheiten als Schwerbehinderung anerkannt

Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Chemikaliensensitivität (MCS) mit dem Krankheitscode T78.4 einklassifiziert. Als Behinderung kann die Erkrankung in Deutschland und einigen anderen Ländern behördlich anerkannt werden (3,4,5).

In Deutschland wurde MCS, laut Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 14.09.2005, in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ neu eingegliedert. Die Änderung wurde deswegen durchgeführt, weil sich viele Betroffene durch die Einstufung von 2004 für CFS und MCS diskriminiert fühlten und ein Teil der Ärzteschaft um diese Änderung gebeten hatte. Beide US Access Board waren unter Ziffer 26.3 „Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, psychische Traumen“ gelistet. Seit der Neueingliederung 2005 werden MCS und CFS unter Ziffer 26.18 „Haltungs- und Bewegungsaperrat, rheumatische Erkrankungen“ geführt. Nun kann beim Vorliegen einer besonders schweren MCS ein GdB von mehr als 50 anerkannt werden. (17)

In den USA ist MCS sogar schon seit 1992 vom zuständigen Department HUD als Schwerbehinderung anerkannt. (5) Den Erkrankten wird von US Behördenseite in erster Linie dadurch geholfen, dass zunehmend Wohnraum, öffentliche Gebäude und Arbeitsplätze für deren besondere Bedürfnisse angepasst werden. Die amerikanische Behörde – US Access Board – setzt sich intensiv mit Modalitäten auseinander, die es Behinderten ermöglichen sollen, öffentliche Gebäude zu betreten und an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können. Mit diesem Abbau „unsichtbare Barrieren“ sollen Chemikalien- und Elektrosensible die Möglichkeit erhalten, am Leben teilzunehmen. So gibt es in der Stadt San Franzisko bspw. keine öffentliche Versammlung, in der Duftstoffe oder Zigarettenrauchen erlaubt wäre. Auf chemische Reinigungsmittel wird vor einer Veranstaltung ebenso verzichtet, wie auf das Versprühen von Pestiziden in einem bestimmten Zeitrahmen davor. (18)

Auch im Bildungsbereich geht man in den USA und Kanada den Chemikaliensensiblen bereits sehr entgegen. Über 30 Universitäten und zahlreiche Schulen sind duft- und weitgehend chemikalienfrei. Das ist ein nicht einfach durchzuführendes Entgegenkommen und deshalb besonders hoch einzuschätzen. (19)

Elektrosensible haben es besonders schwer

Wer auf Strom und Strahlung reagiert, ist durch die ständig zunehmende Belastung sehr beeinträchtigt und hat noch weniger Rückzugsrefugien als vergleichsweise Chemikaliensensible, von der Akzeptanz dieser relativ neuen Umweltsensibilität in der Gesellschaft und bei Behörden ganz zu schweigen.

Meika ist seit 3 Jahren sehr schwer elektrosensibel und lebt zeitweilig in der Natur, um ihrem Körper Ruhe zu gönnen. „Ich sage fast niemandem, weshalb es mir schlecht geht und was mit mir los ist, schon gar nicht bei einem Arzt oder einer Behörde. Es glaubt einem keiner und man wird mit Elektrosensibilität angeschaut, als sei man komplett irre. Das tue ich mir nicht mehr an. Helfen können die mir sowieso nicht. Also, warum dann sagen, ich habe Elektrosensibilität und kriege ein furchtbares Stechen im Kopf durch ihr Handy?“ Oder: „Herr Doktor ich bin elektrosensibel, was soll ich tun?“ „Nein, ich mache mich nicht selbst zur Irren, ich sage nichts und versuche irgendwie durchzukommen. Aber eins kann ich sagen, ein Zuckerschlecken ist das nicht, mein Leben habe ich mir anders vorgestellt. Ich habe eine superteure akademische Ausbildung und bin wirklich hochqualifiziert gewesen. Geldsorgen hatte ich nie und meine Karriere ging pfeilgerade nach oben. Jetzt komme ich mir manchmal wie ein Penner vor, wenn ich mich in ein entlegenes Tal im Wald verschanze und mich dort zum Ausruhen auf eine Bank für Wanderer lege. Noch habe ich Erspartes, aber es schmilzt, und was kommt dann? Ich weiß es nicht. Hilfe durch Behörden? Darauf zähle ich nicht, ich würde mir nur selbst etwas vormachen“, berichtet die promovierte Informatikerin, die aufgrund ihrer hohen Qualifikation früher weltweit im Einsatz war.

Manche Länder sind in Bezug auf Elektrosensibilität verständnisvoller

In Schweden ist die Wissenschaft und Aufklärung hinsichtlich Elektrosensibilität wesentlich weiter, dies hat in dem skandinavischen Land zu einer Anerkennung von Elektrosensibilität als Schwerbehinderung geführt. Es gibt dort bspw. sogar schon Klinikabteilungen mit Elektrosmog kontrollierten und strahlungsfreien Abteilungen. (3) In den USA kommt man den Elektrosensiblen ebenfalls bereits entgegen, sie können sich vor öffentlichen behördlichen Versammlungen nach Belastungsquellen am Veranstaltungsort erkundigen, was wenigstens ein erster Schritt in Richtung Akzeptanz der Existenz solcher Überempfindlichkeiten ist.

Arbeiten bis zum Umfallen

Schwindel, rasende Kopfschmerzen, die Konzentrationsfähigkeit im Keller, der Blick zunehmend verschwommen, und es sind noch Stunden hin bis zum Feierabend. Eine Szenerie, die einem Albtraum gleicht. Nur leider stellt sie die Realität dar, in der mancher Chemikaliensensible, der noch arbeitsfähig ist, seinen Alltag fristen muss. Zuhause kann man Auslöser leicht verbannen, auf dem Arbeitsplatz, im Alltag oder in der Freizeitgestaltung ist man auf das Wohlwollen der Mitmenschen angewiesen. Sieht die Kollegin es nicht ein, auf ihr Parfüm und Haarspray zu verzichten, weil sie sich sonst „in ihrer Freiheit eingeschränkt“ fühlt und der Chef nur ein müdes Achselzucken oder einen lockeren Spruch zur Situation übrig hat statt einschneidende Maßnahmen anzuberaumen, ist Leiden oder Aufgabe des Arbeitsplatzes für Erkrankte angesagt. Dass jeder Mensch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und saubere Luft zum Atmen hat, interessiert oft niemanden.

Diskriminierte Umweltkranke setzen sich zur Wehr

Nicht verwunderlich daher, was Wissenschaftler der Kent University / USA in diesem Zusammenhang herausfanden. Nämlich, dass Menschen, die sensibel auf ihre Umwelt reagieren, häufiger als Personen mit AIDS, Allergien, Asthma, Magenbeschwerden, Trauma oder Tuberkulose in ihrem Berufsleben diskriminiert werden. (1) Doch mittlerweile streben diese durch ihre Umweltsensibilitäten benachteiligen Menschen vergleichsmäßig öfter als andere Behinderte Prozesse an, damit sie ohne Einschränkungen und gesundheitliche Reaktionen arbeiten können. Häufig gehen diese Prozesse sogar zugunsten der behinderten Personen aus, denn Menschen mit Umweltsensibilitäten stehen, wie jedem anderen Behinderten, Rücksichtnahme und Anpassungen im Alltag und besonders im Berufsleben zu. Werden Rücksichtnahme und Anpassung nicht gewährt, stattdessen Schikanen oder Mobbing hochgefahren, kann von Diskriminierung Behinderter gesprochen werden.

Menschrechtskommission wird für Umweltkranke tätig

Doch es gibt Lichtblicke, die eine Tendenz von zunehmendem Verständnis für Umweltsensible aufzeigen. In Kanada beginnt sich die Situation für Umweltkranke seit längerem zu ändern. Das Land hat schon vor Jahren Weitblick gezeigt, indem man die erste staatliche Umweltklinik weltweit errichtete. Die Wartezeit für die Klinik ist lang, denn die Erfolge können sich sehen lassen. (20) Nun ist Kanada uns wieder einen Schritt voraus. Mitte des Jahres 2007 hat die kanadische Menschenrechtskommission sehr deutlich bekundet, dass sie für Menschen mit Umweltsensibilitäten ganz besonders eintritt. Die Behörde ist sich dessen bewusst, dass ein ernstzunehmend hoher Anteil der Bevölkerung unter Umweltsensibilitäten leidet. Darunter sind in erster Linie, Chemikalien- und Elektrosensibilität zu verstehen. Durch einem, fast hundertseitigen Bericht, den die kanadische Menschenrechtskommission in Auftrag gegeben hatte, um einen Überblick über den wissenschaftlichen Stand dieser Erkrankungen zu gewinnen, kam man u. a. zu folgender Erkenntnis: Die Erkrankten verspüren neurologische und zahlreiche andere beeinträchtigende Symptome. Vermeidung der Auslöser ist essentiell für sie, um ihre Gesundheit zurückzuerhalten. Hieraus wurden Richtlinien abgeleitet. (2)

Richtlinien der kanadischen Menschenrechtskommission (CHRC):

Personen mit Umweltsensibilitäten verspüren eine Reihe von negativen Reaktionen gegenüber Umweltagenzien bei Konzentrationen, die weit unter dem liegen, was „Normalpersonen“ beeinträchtigt. Dieser medizinische Zustand ist eine Behinderung, und diejenigen, die mit Umweltsensibilitäten leben müssen, stehen unter dem Schutz des Canadian Human Rights Act (Gesetzgebung der kanadischen Menschenrechtskommission), welche die Diskriminierung einer Behinderung verbietet. Die kanadische Menschenrechtskommission wird jede Anfrage und jeden Beschwerdevorgang von Personen verfolgen, die glauben, dass er oder sie aufgrund einer Umweltsensibilität diskriminiert wurden. Wie Andere mit einer Behinderung, wird vom Gesetz her verlangt, denjenigen mit Umweltsensibilitäten entgegenzukommen.

Das CHRC spornt Arbeitgeber und Dienstleister an, Eigeninitiative zu zeigen in diesen Belangen und hinsichtlich der Sicherstellung, dass ihre Arbeitsplätze und Einrichtungen für Personen mit einer großen Bandbreite von Behinderungen zugänglich sind.   Erfolgreiche Anpassungen für Personen mit Umweltsensibilitäten erfordern innovative Strategien, um Expositionen gegenüber Auslösern aus der Umwelt zu reduzieren oder zu eliminieren. Diese schließen ein: Entwicklung von Richtlinien für die Durchsetzung von Duftstoffverboten und Vermeidung von Chemikalien; Vereinbarung von Ausbildungsprogrammen zur Erreichung freiwilliger Einhaltung solcher Richtlinien; Minimierung von Chemikalieneinsatz und Kaufen von schadstoffarmen Produkten; Benachrichtigung von Mitarbeitern und Kunden im Vorfeld von Bau- oder Umbauarbeiten und Reinigungsaktivitäten. Solche Maßnahmen können Verletzungen und Krankheiten verhindern, Kosten, Gesundheits- und Sicherheitsrisiken reduzieren. (2)

Rücksicht auf Umweltkranke kommt allen zugute

Zahlreiche Behörden und Institutionen verschiedener Länder, die sich ernsthaft mit der besonderen Problematik und den Bedürfnissen von Umweltsensiblen beschäftigen, kamen durch ihre intensive Auseinandersetzung mit der Thematik zu einer wichtigen Erkenntnis: Was besser für diese sensibilisierten Menschen ist, kommt dem Befinden aller zugute und dient der Produktivität, sowie dem Erhalt von Arbeitskraft und Gesundheit. Es bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnisse sich weltweit durchsetzen.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, September 2007

Literatur

  1. Vierstra CV, Rumrill PD, Koch LC, McMahon BT., Multiple chemical sensitivity and workplace discrimination: the national EEOC ADA research project, Work. 2007;28(4):391-402
  2. Margaret E. Sears, Canadian Human Rights Commission, Policy on Environmental Sensitivities, Mai 2007
  3. Johansson O. Electrohypersensitivity: State-of-the-Art of a Functional Impairment. Electromagn Biol Med. 2006;25:245-258.
  4. BMGS Berlin, Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit, Anhaltspunkte 2005
  5. HUD, Carole W. Wilson, Associate General Counsel for Equal Opportunity and Administrative Law, Memorandum Multiple Chemical Sensitivity Disorder and Environmental Illness as Handicaps, March 5, 1992
  6. Wallace, Nelson, Kollander, Leaderer, Bascom, Dunteman – Indoor air quality and work environment study. Multivariate statistical analysis of health, comfort and odor perceptions as related to personal and workplace characteristics. US Environmental Protection Agency vol. 4, EPA Headquaters Buildings. Atmospheric Research and Exposure Assessment Laboratory. 1991
  7. Meggs, Dunn, Bloch, Goodman, Davidoff – Prevalence and nature of allergy and chemical sensitivity in a general population. Arch Environ Health 1996
  8. Bell, Schwartz, Peterson, Amend – Self-reported illness from chemical odors in young adults without clinical syndromes or occupational exposures. Arch Environ Health. 1993
  9. Bell, Schwartz, Peterson, Amend, Stini – Possible time-dependent sensitization to xenobiotics: self – reported illness from chemical odors, foods and opiate drugs in an older adult population. Arch Environ. Health. 1993
  10. Kreutzer R, Neutra RR, Lashuay N., Prevalence of people reporting sensitivities to chemicals in a population-based survey. Am J Epidemiol. 1999 Jul 1;150(1):13-6
  11. Morrow, Ryan, Hodgson, Robin – Alternations in cognitive and psychological functioning after organic solvent exposure. J Occup Med. 1990
  12. Maschewsky – MCS und Porphyrinopathien. Zeitung für Umweltmedizin 1996
  13. Stanley M. Caress, Anne C. Steinemann, A Review of a Two-Phase Population Study of Multiple Chemical Sensitivities, State University of West Georgia, Carollton, Georgia, USA; Georgia Institute of Technology, Atalanta, Georgia, USA. Environmental Health Perspectives, Sept. 2003
  14. Caress SM, Steinemann AC, Waddick C. Symptomatology and etiology of multiple chemical sensitivities in the southeastern United States. Arch Environ Health 57(5):429-436, 2002
  15. Caress SM,Steinemann AC., Prevalence of multiple chemical sensitivities: a population-based study in the southeastern United States, Am J Public Health. 2004 May;94(5):746-7
  16. Caress SM,Steinemann AC, National prevalence of asthma and chemical hypersensitivity: an examination of potential overlap. J Occup Environ Med. 2005 May;47(5):518-22.
  17. BMGS Berlin, MCS Ziffer 26.18, Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit, Anhaltspunkte 2005
  18. US Access Board, Access Board Policy, Juli 2000
  19. Silvia K. Müller, Duftverbot an über 30 Universitäten, CSN, Mai 2007
  20. Fox RA,Joffres MR,Sampalli T,Casey J.The impact of a multidisciplinary, holistic approach to management of patients diagnosed with multiple chemical sensitivity on health care utilization costs: an observational study,J Altern Complement Med. 2007 Mar;13(2):223-9.