Interview Teil II – MCS Kranke werden vergessen, verschwiegen, ignoriert

Die Situation der Chemikaliensensiblen ist bereits fünf nach Zwölf

 

Die Spanierin Eva Caballé ist chemikaliensensibel und leidet zusätzlich unter CFS, chronischer Erschöpfung. Eva kann seit Jahren das Haus nicht verlassen, die meiste Zeit ist sie ans Bett gefesselt. Doch sie gibt nicht auf, sie ist eine international aktive

MCS Aktivistin, Buchautorin und Autorin des Blog No Fun. In einem Interview mit Salvador López Arnal berichtet sie über die Situation der MCS-Kranken in Spanien, die sich nicht wesentlich von der Misere unterscheidet, denen deutsche Chemikaliensensible ausgesetzt sind. Im Teil I des Interviews erläuterte Eva was MCS ist, wie verbreitet MCS ist, wo die Krankheit anerkannt ist. Im heutigen Teil II des Interviews berichtet Eva über die Ursachen von MCS, was Erkrankte tun können, um sich zu stabilisieren und warum bestimmte Personen die Krankheit mit Nachdruck in Richtung psychisch bedingt schieben wollen.

Interview Salvador López Arnal mit Eva Caballé, November 2009, Teil II:

Wer Teil I verpasst hat: Interview TEIL I 

EVA-CABALLELópez-Arnal:  Und kennen wir die Ursachen? Sie haben gesagt, MCS hängt mit Umweltfaktoren zusammen, was bedeutet dies genau? 

Eva Caballé: Studien sagen, die Ursachen sind Gifte in der Umwelt, denen wir ausgesetzt sind. Es gibt zwei Wege, MCS zu entwickeln. Eine einmalige Exposition in hoher Dosis oder mehrere Expositionen niedriger Dosen über Jahre. 

Giftige Substanzen gibt es in der Luft, die wir atmen, im Wasser, das wir trinken (in der Plastikflasche, wenn wir Wasser aus dem Handel trinken), in der Kleidung, die wir tragen (Formaldehyd, Farbstoffe, Pestizid-rückstände), in den Reinigungsmitteln, in der Kosmetik, in der Nahrung, die wir essen (Pestizide, Zusatzstoffe und künstliche Farben, die in den USA für viele Jahre verboten waren, weil sie Krebs hervorrufen), oder z.B. in Zahnfüllungen aus Amalgam (die Quecksilber enthalten). 

Über die Jahre akkumuliert unser Körper all diese chemischen Stoffe, die unkontrolliert in unserer Umwelt zirkulieren, Substanzen, von denen wir nicht vergessen sollten, dass sie gar nicht so viele Jahre in Gebrauch waren. Wenn die toxische Belastung nicht mehr tragbar ist, werden wir irgendwann krank, was je nach unserer genetischen Disposition mit MCS enden kann, während andere auch nicht ungeschoren davon kommen. Sie bekommen Krebs, Asthma, Allergien, Autoimmunerkrankungen und irgendwelche anderen umweltbedingten Krankheiten. 

Sogar Ärzte beklagen, dass es für die Erforschung von MCS keine Mittel gibt, dass niemand MCS-Studien finanzieren will, da Studien normalerweise von pharmazeutischen Firmen finanziert werden, damit sie ein Medikament entwickeln können, von dem sie profitieren wollen. Weil MCS-Patienten aber keine Medikamente vertragen, sind wir für sie uninteressant. 

LA: Doch welchen Sinn macht es, all das zu wissen und keine Maßnahmen zu ergreifen? Warum benutzen wir diese Produkte weiter, obwohl wir von ihrer Giftigkeit und dem hohen Risiko wissen, das mit ihrem Gebrauch verbunden ist? Die Situation, die Sie beschreiben, ist nicht bestens. Warum bringen wir in das giftige Chaos keine Ordnung? 

EC: Das ist eine gute Frage. Es macht keinen Sinn, keine Maßnahmen zu ergreifen und diese Produkte weiter zu benutzen. Wenn die Gesundheitsbehörden nichts unternehmen, dann besteht noch die Möglichkeit, den Gebrauch dieser Produkte zu stoppen, und es wird an uns liegen, diese Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen. 

Auf den Etiketten von Weichspülern, Kosmetik, Parfüms oder Lufterfrischern steht nicht „Achtung, dieses Produkt ist giftig und es wird sich in Ihrem Körper solange ansammeln, bis es Multiple Chemical Sensitivity bei Ihnen auslöst“. Niemand hat mich gewarnt. Darum versuche ich alles, was ich gelernt habe, seitdem ich vor vier Jahren krank wurde, anderen mitzuteilen, damit die Menschen wissen, was uns nicht erzählt wird. 

Wenn es beispielsweise schon schwierig ist, das Rauchen zu regulieren, wird dies alles noch schwieriger sein, da wir hier nicht von einem einzelnen Produkt sprechen. Das Problem ist noch größer. Hat denn jeder vergessen, dass in den 60’er Jahren medizinische Forschungsberichte unterdrückt oder verändert wurden, Berichte die zeigten, dass Tabak Krebs hervorruft? Was gerade passiert, ist nicht neu. Die Macht ist nicht in den Händen der Politiker. Sie ist in den Händen multinationaler Konzerne. 

LA: Beschreiben Sie kurz das Leben einer Person mit MCS. Welche Maßnahmen muss sie ergreifen. Welcher Behandlung muss sie sich unterziehen? 

EC: Die Behandlung beruht im Wesentlichen auf einem Grundsatz: Kontrolle der Umgebung. 

Kontrolle der Umgebung bedeutet in wenigen Worten, jegliche Exposition durch chemische Substanzen so gut es geht grundsätzlich zu vermeiden. Die wichtigsten Details sind: 

  • Ökologische Kleidung, nichtverarbeitete Lebensmittel (normalerweise wird empfohlen Molkereiprodukte und Gluten zu meiden) 
  • Das Wasser filtern, das Trinkwasser wie auch das Wasser zum Kochen und Duschen
  • Alle Kosmetik und Reinigungsmittel durch ökologische ersetzten, die keine Duftstoffe enthalten. Logischerweise muss man aufhören, Parfüm, Lufterfrischer, Weichspüler und dergleichen zu benutzen. 
  • Tragen Sie ökologische Kleidung, die keine Farbstoffe oder Gifte enthält. 
  • Schaffen Sie einen Luftfilter an. 
  • Kaufen Sie Möbel und Matratzen, die aus ökologischem Material hergestellt und nicht mit Chemie behandelt wurden. Wenn sie renovieren, benutzen Sie ökologische Wandfarbe. 
  • Vermeiden oder minimieren sie die Exposition durch elektromagnetische Felder.
  •  Benutzen Sie eine Kohlefilter-Atemmaske, wenn Sie raus gehen oder in Situationen mit hoher Giftstoffkonzentration. 
  • Versuchen Sie in einer Gegend, die so wenig wie möglich schadstoffbelastet ist, in einem aus ungiftigen Materialien gebauten Haus zu wohnen. 

Wie Sie sehen können, ist die Kontrolle der Umgebung mit hohem finanziellem Aufwand verbunden, für den wir keine Unterstützung bekommen und der letzte Punkt, (in einer geeigneten Wohnung zu leben), ist meistens nicht zu verwirklichen. 

Neben Kontrolle der Umgebung, die auch Gesunden gut tut, gibt es auf die Person abgestimmte Behandlungen. Diese umfassen Nahrungsergänzungsmittel, Sauna, Sauerstofftherapie usw. Jeder Mensch mit MCS ist anderes und einige haben auch andere, zusätzliche Erkrankungen. Deshalb bedarf es vieler Tests, um das Beste für die jeweilige Situation zu ermitteln. In Spanien wird nichts davon vom öffentlichen Gesundheitssystem geleistet. 

Jene von uns mit schwerer MCS können die Wohnung kaum verlassen. Unser Leben ist auf die Wohnung beschränkt, sie wird unser Gefängnis, in welchem die meisten von uns nicht mal die Hausarbeit selber erledigen können. In manchen Fällen verbringen wir die meiste Zeit des Tages im Bett und müssen uns wegen fast allem auf Familienmitglieder verlassen. Der Kontakt mit der Außenwelt ist auf Telefongespräche reduziert, sofern man die Kraft dafür hat, oder gelegentliche Besuche von Menschen, die bereit sind, wegen uns die Art, wie sie ihre Wäsche waschen und ihren Körper pflegen, zu ändern. Natürlich gibt es das Internet für jene von uns, die keine ernsthaften kognitiven oder Probleme mit Elektrosensitivität haben. 

LA: Welche Unterstützung bekommt eine Person mit MCS von der Regierung? Es scheint doch nicht möglich zu sein, dass derart kranke Menschen arbeiten können. Wie richten Sie ihren Haushalt ein, wenn die Familie keine Zeit dafür hat? 

EC: Wir erhalten keine Hilfe, wenn wir MCS haben. Selbst die Atemmasken, ohne die wir nicht überleben können, müssen wir selber zahlen. Dies ist das ökonomische Drama, das sich parallel zu dieser Krankheit abspielt. Wenn man schwere MCS hat, kann man nicht arbeiten. Wenn man eine mildere Form von MCS hat, ist es nicht möglich zu arbeiten, weil kein Chef bereit ist, den Arbeitsplatz so anzupassen, damit eine Person mit MCS die Arbeit fortsetzen könnte. In wenigen Fällen werden manche als behindert anerkannt, aber gewöhnlich ist es erforderlich zu klagen. Wir müssen uns daran erinnern, dass jüngere Menschen krank werden, die nicht lange genug gearbeitet haben, um einen Rentenanspruch zu erwerben. Wie sieht deren Zukunft aus? Ich sage immer, ich bin erstaunt, dass es nicht mehr Depressionen unter Leuten mit MCS gibt. Wer wäre denn in einer derart harten Situation nicht deprimiert? 

Man kann versuchen, als behindert anerkannt zu werden, aber die Geldbeträge, die man bekommt, sind sehr gering und hängen vom anerkannten Schweregrad ab. 

In meinem Fall bin ich glücklich, meinen Mann und die Hilfe meiner Mutter zu haben. Da ich derart heftig erkrankt bin, kann ich nichts im Haushalt machen, nicht mal für mich kochen. Selbst wenn ich das Geld hätte, jemanden dafür zu bezahlen, dass er herkommt und mir im Haushalt hilft, wäre das nicht möglich. Nur um überhaupt herkommen zu können, musste meine Mutter ihre Wasch- und Reinigungsgewohnheiten ändern, genauso wie sie vorher duschen muss. 

LA: Warum hören wir so wenig über Multiple Chemical Sensitivity? Was steckt hinter allem? Was steckt hinter dem Schweigen? 

EC: Ja, hinter dem Schweigen ist etwas versteckt: Das Interesse der chemischen und pharmazeutischen Industrie, nicht publik werden zu lassen, dass ihre Produkte schlimme neue Erkrankungen wie MCS verursachen. In jüngster Zeit wurde bewiesen, dass MCS nicht psychisch bedingt ist und dass die Studien der Vergangenheit, die dies behaupteten, manipuliert worden sind, um die Interessen der chemischen und pharmazeutischen Industrie zu schützen. 

Unglücklicherweise ist es für die Regierung sehr einfach, uns zu ignorieren, da die meisten von uns unter Hausarrest leben und wir nicht die Kraft haben, uns selber zu organisieren. Dies ist eindeutig ein Machtmissbrauch. Nur unsere Familien, Freunde und Nachbarn wissen, dass es uns gibt und wie schwer unser alltägliches Leben ist. 

Aber wir sind viele und werden trotz der Widrigkeit unserer Situation täglich mehr. Von zu Hause aus kämpfen wir über das Internet für unsere Rechte, versuchen MCS sichtbar zu machen und Informationen untereinander auszutauschen, da unsere Regierung uns nicht hilft. 

LA: Sie sprechen von manipulierten Studien, die „bewiesen“, dass MCS eine psychologische Erkrankung sei, um die Interessen großer Firmen zu wahren. Sind diese durch den Glanz des Geldes geblendet? Können Sie uns ein Beispiel beschreiben? 

EC: Im September 2008 veröffentlichte das Journal of Nutritional & Environmental Medicine eine Studie von Goudsmit und Howes, die hieß, „Ist Multiple Chemical Sensitivity eine erlernte Reaktion? Eine kritische Evaluation von Provokationsstudien“. Diese Studie ergab, dass MCS keine psychische Erkrankung ist und dass ihre Entstehung mit chemischen Substanzen zusammen hängt. Ich habe den Artikel ins Spanische übersetzt, mit dem MCS America diese Studie würdigte. 

In der Vergangenheit haben ein paar wenige schlecht entworfene Studien den Schluss nahe gelegt, MCS wäre eine psychische Erkrankung, die auf schon vorher bestehenden Erwartungen und Auffassungen beruht. Die pharmazeutische und chemische Industrie hat sich bemüht, jeden an diesen Satz glauben zu lassen, denn auf diese Weise sind ihre chemischen Produkte nicht mehr die verantwortlichen und der Einsatz von profitablen psychiatrischen Medikamenten wird mit der Begründung eines Mangels an Medikamenten gefördert, mit welchen den psychischen Auswirkungen der Umweltverschmutzung begegnet werden könnte. Da die meisten Chemie- und Pharmafirmen denselben Leuten gehören, wurde diese Position trickreich und mit aller Macht mittels Publikationen, die von diesen Firmen kontrolliert wurden, durchgedrückt. Glücklicherweise wurden diese manipulierten Studien von Goudsmit und Howes durch zusätzliche wissenschaftlich anerkannte Kriterien überprüft. Auf diese Weise erwiesen sich Studien, die eine psychologische Basis von MCS behaupteten, als sehr irreführend und mit zahlreichen methodischen Mängeln und Fehlern behaftet. Es kam heraus, dass MCS eher mit der Exposition durch chemische Substanzen als mit Angst, psychosomatischen Störungen und Depressionen zusammenhängt.  

Interview von Salvador López Arnal mit Eva Caballé, November 2009

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 11. November 2009

***

Fortsetzung folgt…

Interview mit Eva Caballé über MCS – Multiple Chemikalien-Sensitivität und über ihr neues Buch

EVA-CABALLEEva Caballé ist Autorin des kürzlich auf Spanisch erschienenen Buches „Desaparecida. Una vida rota por la sensibilidad química múltiple“ (Vermißt. Ein durch Multiple Chemikalien-Sensitivität zerstörtes Leben). Verlag El Viejo Topo, Barcelona, Spanien, 2009.
 
Interview Salvador López Arnal mit Eva Caballé, November 2009
 
„Ja, in dem Schweigen ist etwas versteckt. Es sind die Interessen der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Die Leute sollen nicht erfahren, dass ihre Produkte solche neuen und schrecklichen Krankheiten wie Multiple Chemikalien-Sensitivität hervorrufen. Es wurde nachgewiesen, dass MCS keine psychische Erkrankung ist und dass die alten Studien mit solchen Ergebnissen zurechtgebogen wurden, um die Interessen der chemischen und pharmazeutischen Industrie zu schützen.“     Eva Caballé
 
Eva Caballé ist eine 37 jährige Ökonomin, die an MCS erkrankt ist und in Barcelona lebt. Sie war Bankangestellte und Mitglied der Rockband Lefthanded und nun ist sie Autorin des kürzlich bei Libros de El Viejo Topo erschienenen Buches „Desaparecida. Una vida rota por la sensibilidad química múltiple“. 
 
In der Einführung schreibt Clara Valverde: „Eva ist jedoch kein Sonderling. Es ist bekannt, dass 0.75% der Bevölkerung an MCS erkrankt sind und dass bis zu 12% leicht oder moderate MCS haben. All jene Leute, denen Gerüche zusetzen, gehören zu diesen 12 Prozent. Doch die meisten Ärzte und der größte Teil der Gesellschaft wissen nichts davon und deshalb wurde Evas Erkrankung erst nach so vielen Jahren richtig diagnostiziert. Darum wird ihr lediglich durch ihre engste Familie geholfen. Darum gibt es deswegen weder Demonstrationen in den Straßen, noch ist ihr Fall auf den Titelseiten der Zeitungen zu finden.“
 
Eva Caballé schreibt auch den No Fun Blog. Sie sagt, No Fun ist ein Blog über Multiple Chemikalien-Sensitivität, Chronisches Müdigkeitssyndrom/ME und Fibromyalgie, der Rat und Informationen für Kranke bietet und für jeden, der ein gesünderes, von Chemikalien freies Leben führen möchte.
 
López-Arnal: Fangen wir mit der Definition an. Was ist MCS?*
 
Eva Caballé: MCS ist eine erworbene chronische Erkrankung, keine psychische. Sie manifestiert sich in multisystemischen Symptomen als Reaktion auf sehr geringe Expositionen chemischer Produkte. Das sind normale, aber unnötige Alltagschemikalien wie Parfüme, Lufterfrischer oder Weichspüler.
 
Die Symptome, die chronisch sind und in Krisen akut werden, umfassen Müdigkeit, Atemwegsbeschwerden, Verdauung, Herz, Haut und neurologische Probleme.
 
MCS ist eine Erkrankung mit drei Schweregraden, darum leiden nicht alle von uns Kranken unter dem gleichen Grad der Behinderung und Isolation.
 
Es ist eine Krankheit, die seit den 50’er Jahren bekannt war. Die Anerkennung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht noch aus, obwohl es über 100 Forschungsberichte gibt, welche die organische Basis von MCS stützen, obwohl die Zahl der in jungen Jahren Betroffen schnell zunimmt und das Europäische Parlament MCS zu jener wachsenden Zahl von Krankheiten zählt, die auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind.
 
LA: Sie sagen, dass MCS trotz der Zahl wissenschaftlicher Artikel, welche die organische Basis der Erkrankung stützen, nicht durch die WHO anerkannt ist. Warum denken Sie, ist die WHO so skeptisch und vorsichtig? 

EC: Wir wissen, dass die WHO das Thema MCS seit Jahren diskutiert. Doch der Prozess der Anerkennung dieser Krankheit dauert aufgrund des Druckes, den die chemische und pharmazeutische Industrie auf die WHO ausüben, länger als sonst. Sie sind nicht daran interessiert, dass ihre direkte Verantwortung für diese Krankheit bekannt wird. In Deutschland, wo, ohne hier näher darauf einzugehen, MCS als organische Krankheit anerkannt ist, geht die Kontrolle dieser Industrie über Werkzeuge wie Wikipedia weiter. Dies wurde durch das CSN in einem Artikel angeprangert, den ich übersetzt und in meinem Blog veröffentlicht habe.
 
Der deutsche Wikipedia-Artikel über MCS wird täglich editiert, manchmal alle paar Minuten, da die industriefreundlichen Wiki-Admins Informationen nicht zulassen. Sie bemühen sich darum, dass MCS nicht oder nur als eine psychosomatische Erkrankung bekannt wird.
 
LA: Sie sagen auch, dass die Zahl der Menschen mit MCS schnell wächst. Können sie das weiter ausführen?
 
EC: Ich beziehe mich auf Dr. J Fernández-Solà, Spezialist für Innere Medizin an der Hospital Clinic Barcelona. Der sagte in einem Interview, das mit ihm Anfang des Jahres für einen Artikel über MCS im spanischen Magazin Interviu gemacht wurde, dass die Gesamtzahl der Patienten, die wegen dieser Erkrankung medizinische Hilfe suchen, schnell wächst. In diesem Krankenhaus gibt es jedes Jahr zwischen 50 und 60 neue Patienten. Das bedeutet, einen neuen Patienten pro Woche.
 
LA: Aufgrund welcher Symptome können Menschen denken, diese Erkrankung zu haben?
 
EC: Das am meisten verbreitete Symptom ist, unerträglich Gerüche wahrzunehmen, die einem früher nie auffielen. Man hört auf, verschiedene chemische Stoffe zu tolerieren, wie Reinigungsmittel, Parfüme, Zigarettenrauch, Autoabgabe etc. Wenn man MCS hat und diesen chemischen Stoffen ausgesetzt ist, werden eine Reihe von Symptomen automatisch ausgelöst, z.B. Erstickungszustände, Irritationen des Atemapparates, Herzrasen, Kopfschmerzen, geistige Verwirrung, Schwindel, Übelkeit, Durchfall, extreme Müdigkeit und/oder Schmerzen. Diese Symptome bessern sich nicht, solange Sie jenen chemischen Stoffen nicht ausweichen, die sie hervorgerufen haben.
 
Normalerweise vertragen Sie auch keinen Alkohol, keine Molkereiprodukte und kein Gluten mehr. Sie entwickeln verschiedene Nahrungs- und Arzneiunverträglichkeiten.
 
Oft gibt es weitere umgebungsbezogene Unverträglichkeiten: gegenüber Hitze, Kälte, Lärm, Sonnenlicht bis hin zu elektromagnetischen Feldern (von Computern, Stromleitungen, Telefonen, Mobilfunkantennen und Mikrowellenherden usw).
 
LA: Welcher Unterschied besteht zwischen MCS und sagen wir mal Fibromyalgie?
 
EC: MCS, Chronic Fatigue Syndrome/Myalgic Encephalopathy (CFS/ME) und Fibromyalgie (FMS) sind Krankheiten derselben Familie. Tatsächlich sind viele von uns an allen dreien erkrankt und immer mehr Menschen, die entweder CFS/ME oder FMS haben, entwickeln mit den Jahren MCS.
 
Wir haben viele Symptome gemeinsam, aber der größte Unterschied ist, dass jene mit MCS nicht die geringste Exposition gegenüber chemischen Substanzen vertragen. Das ist der Grund, warum wir eine strenge Kontrolle unserer Umgebung aufrechterhalten müssen. Wir können ohne Atemmaske mit einem Kohlefilter, der Umweltgifte ausfiltert, nicht raus gehen.
 
LA: Welche medizinische Behandlung erhält eine Person mit MCS vom spanischen Gesundheitssystem? Denken Sie, diese ist angemessen? Ist sie fair?
 

EC: In Spanien ist MCS nicht als Krankheit anerkannt, deshalb kennen jene, die im Gesundheitssystem arbeiten, und die allgemeine Bevölkerung dieses schwere Krankheitsbild nicht.
 
Stattdessen haben es Länder wie Deutschland sowie vor kurzem Österreich und Japan  anerkannt. Andere sind auf dem Weg, es auch zu tun und bieten den Betroffenen medizinische Unterstützung an und entwickeln Vorschriften zur Vorbeugung.
 
In Spanien gibt es kaum Ärzte im öffentlichen Gesundheitssystem, die diese Krankheit diagnostizieren können. Es ist sehr schwierig, eine Diagnose, und noch schwieriger, eine Behandlung zu bekommen. Ich bin überzeugt, in unserem Land gibt es viele Menschen, die MCS haben und nicht diagnostiziert werden, viele, die aufgrund des fehlenden Wissens unserer Ärzte in die Fänge von Psychiatern gelangen. Auch gibt es keine Vorschriften oder Regeln für duftstofffreie Krankenhäuser und öffentliche Gebäude. Ins Krankenhaus zu müssen bedeutet für uns kränker werden.
 
Wir mit MCS haben in Spanien keine Gesundheitsversorgung, wir haben kein Recht auf finanzielle Unterstützung für die Kosten unserer Behinderung und wir haben keinen Anspruch auf eine Rente, wenn wir nicht arbeiten können. Ich sehe dies nicht nur als ungerecht an. Ich denke, wie wir behandelt werden, ist eine Verletzung unserer verfassungsmäßigen Rechte.
 
LA: Aber ist es nicht ein kleiner Widerspruch, die Tatsache, dass das Europäische Parlament MCS als Umwelterkrankung betrachtet und dass in Spanien die Regierung und die regionalen Verwaltungen dies anders sehen? 

EC: Natürlich ist es das. Es wird immer damit entschuldigt, dass die WHO diese Krankheit noch nicht anerkannt hat. Dies bedeutet nicht, dass sie nicht existiert. Die Entscheidungen auf Verwaltungsebene lassen uns Patienten nicht wie von Zauberhand verschwinden.
 
Sie benutzen dieses Argument, um die Krankheit unglaubwürdig zu machen, obwohl es in Wirklichkeit um Interessen geht. Sie werden Ihnen erzählen, dass es keine spezifischen Biomarker für MCS gibt, während dies bei anderen anerkannten Krankheiten genauso wenig der Fall ist.
 
LA: Wie hoch ist der aktuell vermutete Bevölkerungsanteil an von dieser Krankheit Betroffenen?
 
EC: Nach der Studie die von J. Fernández-Solà (Innere Medizin) und S. Nogué Xarau (Toxikologie) der Barcelona Hospital Clinic 2007 veröffentlicht wurde, haben 5% der Bevölkerung MCS. Sie führen aus, dass ca. 15% der Gesamtbevölkerung Mechanismen heftiger Reaktionen aufweisen, wenn sie mit chemischen oder mit Reizstoffen aus der Umwelt konfrontiert werden. Bei 5% sind diese Vorgänge eindeutig pathologisch und über dem Anpassungsvermögen des Organismus und führen deshalb zu Haut-, Atmungs- und neurospychologischen Auswirkungen, die oft chronisch und persistent sind.
 
Wenn also 5% der Bevölkerung von MCS betroffen sind, kann man dies nicht als eine „seltene Krankheit“ deklarieren, denn das sind solche Krankheiten, die weniger als 0.0005% der Menschen betreffen.
 
LA: Meinen Sie nur die spanische Bevölkerung oder denken sie im Europäischen oder globalen Maßstab?
 
EC: Ich spreche von der ganzen Welt. MCS wird als eine Krankheit der industrialisierten Welt betrachtet.
 
In Ländern, wie z.b. in Kanada, in denen es eine Statistik dieser Krankheit gibt, sehen wir, dass die Gesamtzahlen der Menschen, die MCS haben, nicht gering sind. Nach der Environmental Health Association von Quebec gibt es in Kanada 4 Millionen Menschen mit MCS.
 
 
 
Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network, 11. November 2009
 
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Fortsetzung folgt…

Ist MCS lebensgefährlich?

Kann MCS lebensgefährlich sein?

Direkt nicht.  Aber MCS – Multiple Chemical Sensitivity (ICD-10 T78.4)  ist eine allgemeine Schwächung des Organismus, birgt die Gefahr der Anaphylaxie und des Suizids.

Eine allgemeine Schwächung des Organismus dürfte zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen. Die nächste Generation wird vielleicht eine allgemein gesunkene Lebenserwartung feststellen. In Sachen toxischer Risiken hinkt die Gesellschaft stets Jahrzehnte hinterher. Rekordverdächtig ist etwa das HCB-Verbot: zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis (Porphyrie, 1956) und Verbot (1978) lagen „nur“ 22 Jahre. Unbestritten ist, dass die Morbidität steigt. Die Rate der Frührentner steigt und das durchschnittliche Eintrittsalter dafür sinkt.

Tödliche Folgen von Reaktionen sind in Einzelfällen bekannt. Die statistische Relevanz ist unklar.

Der Zusammenhang zwischen Chemikalien und Suiziden ist seit der berühmten Boehringerstudie bekannt. Prof. Manz, ein Arbeitsmediziner, hatte bei den Beschäftigten mit Pestizidkontakt (2,4,5-T-Säure, als Vietnamgift „Agent Orange“ bekannt und enthielt Dioxin ) eine signifikant erhöhte Suizidrate nachgewiesen. Es wäre ja auch verwunderlich, wenn Nervenschäden zu keiner Schwächung der Psyche führen würden.

Zitat aus dem SPIEGEL von 1991 (32/1991):

„Die Firmenleitung und die Berufsgenossenschaft boykottierten anfangs die Untersuchung, so daß Manz über Friedhöfe, Sterberegister und 400 Interviews dem Tod auf die Spur kommen mußte. Erst kurz vor Abschluß seiner Untersuchung erhielt er von Boehringer eine Personalliste.

Die in der Bundesrepublik einzigartige Studie, die im Herbst vom Hamburger Senat veröffentlicht wird, zeigt, daß Arbeiter, die 20 Jahre bei Boehringer beschäftigt waren, doppelt so häufig an Krebs erkranken wie andere Deutsche. Besonders diejenigen, die in Harri Garbrechts T-Säure-Abteilung den hohen Dioxin-Mengen ausgesetzt waren, zeigen eine „deutliche Übersterblichkeit“ von 240 Prozent.

Die Selbstmordrate ist um 62 Prozent überhöht.“

Falsche wissenschaftliche Darstellung kann tödlich sein

Angesichts dieser Tatsache erscheint die Psychothese in einem anderen Licht. Sie ist nicht nur wissenschaftlich abwegig und bei genauer Betrachtung eine absichtliche Vertauschung von Ursache und Wirkung, sondern in zweifacher Weise für den Tod durch Suizid verantwortlich. Angelika S. hat sich erst das Leben genommen, als sie keinen Ort mehr gefunden hat, den sie vertragen hat. Diese Phantomdebatte über angeblich psychische Verursachung von MCS hat dazu geführt, dass in Deutschland, ja in Europa, keine Klinik existiert, die solche Patienten aufnehmen kann. Wenn man obendrein Schwerstkranke auch noch als „Psycho“ beschimpft, sie als unglaubwürdig hinstellt, ihnen also auch noch die menschliche Würde und vor allem ihre verfassungsmäßigen Rechte nimmt, so ist man obendrein auch direkt verantwortlich für solche lebensbeendenden Folgen. Ein Mensch, der sein Leben erst dann beendet, nachdem alle Bemühungen über Internet fehlgeschlagen sind, ist bestimmt eine starke Persönlichkeit. Eine psychische Schwäche ist hier nicht zu erkennen.

Rechtliche Würdigung

Man kann zunächst konstatieren, dass eine solche Art Medizin zu betreiben, den Patienten schädigt. Zum einen ist dies unterlassene Hilfeleistung, und zum anderen ist es psychische Verletzung. Der Hippokratische Eid verbietet das. Darüber hinaus ist es fahrlässig, die Möglichkeit einer organischen Schädigung außer acht zu lassen, wenn man dem Patienten sonst nicht helfen kann.  Das gilt ganz besonders dann, wenn auf Ebene höchster Autorität MCS als organische Schädigung anerkannt ist.

Wenn im Weiteren, nämlich in einer anhaltenden Diskussion über mehr als ein Jahrzehnt, sowohl die Gefahr der Anaphylaxie als auch die Gefahr des Suizids und obendrein andere schwere Organschädigungen in der Folge von MCS  (Rea, Chemical Sensitivity, Volume 3, ca. 900 Seiten) ignoriert werden, so nimmt man diese Schäden billigend in Kauf. Dies ist grob fahrlässig, wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich.

Es ergibt sich also, dass solche Aktivitäten einen Bruch des Hippokratischen Eids darstellen, unterlassene Hilfeleistung und Körperverletzung. Da es sich um hartnäckiges Vertreten einer fragwürdigen Auffassung von Wissenschaft handelt, sind diese Aktivisten auch persönlich für die Folgen verantwortlich.

Da es Tote gegeben hat, ist es an der Zeit darüber nachzudenken, diese Tatbestände auch in einem rechtlichen Verfahren wirksam werden zu lassen. Die Erfahrung hat gelehrt, dass stetige moralische Empörung diesem Tun nicht einmal Grenzen setzen kann. So ist es sinnvoller, die Energie in rechtlich wirksame Aktivitäten fließen zu lassen. Die Hauptschwierigkeit wird nicht sein, den Nachweis zu führen, denn wir besitzen alles Schwarz auf Weiß. Die Hauptschwierigkeit wird sein, ein Gericht zu finden, das die Klage überhaupt annimmt.

Von dieser Stelle ergeht die Aufforderung, darüber eine Diskussion zu beginnen und zwar eine ernsthafte.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger Umweltfragen für CSN – Chemical Sensitivity Network, 9. November 2009

Vorhergehende Blogs zur Serie und zum Thema:

Weiterführende Informationen:

Stadt Zürich schreibt Wohnprojekt und Architekturpreis für ein baubiologisches MCS -Haus aus

Umgebung-MCS-Grundstück

 

Die Stadt Zürich hat ab heute ein MCS-Wohnprojekt und einen Architekturpreis ausgeschrieben. Menschen mit Chemikalien-Sensitivität, meist kurz MCS genannt,  sollen ein baubiologisch konzipiertes Zuhause erhalten. Diese schwer Umwelterkrankten reagieren auf geringste Konzentrationen von Chemikalien und entwickeln darauf vielfältige Gesundheitsbeschwerden. Wohnen in normalen Mietwohnungen ist kaum möglich, es bedarf einer schadstofffreien Wohnumgebung, um Stabilisierung und relative Beschwerdefreiheit zu erzielen. 

Erstes MCS-Wohnprojekt in Europa

Das geplante baubiologische MCS-Wohnhaus in Zürich wird 10 bis 12 kleine Wohnungen bieten und ist das erste Projekt dieser Art in Europa. Nur in USA und Japan gibt es ebenfalls solche öffentlich unterstützten Projekte für Menschen mit Umweltkrankheiten. 

Die Stadt Zürich nimmt sich der Problematik, mit der chemikaliensensible Menschen im Alltag leben müssen, mit viel Engagement und Verständnis an. Man erhofft sich mit diesem Projekt gleichzeitig innovative Ideen für weitere öffentliche Wohnprojekte, die in Folge vielen Menschen zugute kommen. Bis zur Fertigstellung wird zwar noch einige Zeit vergehen, doch das Projekt steht unter einem guten Stern, denn es wird von vielen Fachleuten tatkräftig unterstützt. Auch zwei deutsche Experten sind als Berater mit dabei, der Würzburger Umweltmediziner Dr. Peter Ohnsorge und Peter Bachman von Sentinelhaus. 

Gesundes Wohnen für MCS-Erkrankte

Viele Monate wurde nach einem geeigneten Grundstück für das Projekt gesucht. Für den Standort des Wohnhauses für MCS-Kranke mussten eine ganze Reihe von Kriterien erfüllt werden. Immer wieder fuhr Christian Schifferle, Präsident der Wohnbaugenossenschaft GESUNDES WOHNEN MCS, mit Experten los und schaute sich Baugrundstücke an. Dann war es soweit, das Grundstück war gefunden. Für den aktiven Schweizer geht ein Traum in Erfüllung. Er selbst ist seit 50 Jahren hochgradig chemikaliensensibel und lebt seit vielen Jahren in einem speziell hergerichteten Wohnwagen in natürlicher Umgebung. Viele Nächte schlief er im Wald, weil er keinen Ort fand, an dem sein Körper nicht auf Chemikalienausdünstungen reagierte. In der Schweiz gibt es weitere Menschen, die ebenfalls an MCS erkrankt sind und nach geeignetem Wohnraum suchen. Das war für Christian Schifferle Grund, dass er immer wieder bei Politikern und Behörden vorsprach und um Unterstützung bat. Rund 20 Jahre lang sprach er die Stadt Zürich immer wieder und wieder an, damit man sich von deren Seite für MCS-gerechten Wohnraum einsetzen möge. Der heutige Tag ist daher für ihn, die Mitglieder seiner Selbsthilfeorganisation MCS Liga und aller, die sich in der eigens gegründeten Wohnbaugenossenschaft GESUNDES WOHNEN MCS engagiere, ein ganz besonderer Tag. 

Die nachfolgende Pressemitteilung der Stadt Zürich gibt nähere Informationen über das Projekt, zu dem CSN das beste Gelingen wünscht. In der kommenden Woche wird es hier im CSN Blog auch noch ein Interview mit Christian Schifferle geben, er wird uns viel vom Werdegang des ganzen Projektes berichten. 

Wohnhaus für MCS-Erkrankte in Zürich-Leimbach

 

Sitzung-MCS-Mehrfamilienhaus 

Stadt Zürich Liegeschaftenverwaltung

PRESSEMITTEILUNG, Zürich 6. November 2009

 

Ausschreibung eines Studienauftrags

Die Stadt Zürich will Wohnmöglichkeiten für schwer Umwelterkrankte unterstützen. Sie schreibt für einen Neubau auf dem städtischen Areal am Rebenweg in Zürich-Leimbach einen Studienauftrag im selektiven Verfahren aus. Erwartet wird ein wegweisendes Projekt für ein MCS-gerechtes Wohnhaus mit rund zehn bis zwölf Kleinwohnungen, das höchste baubiologische Anforderungen erfüllt. Das Areal mit dem prämierten Projekt soll der Baugenossenschaft gesundes Wohnen MCS im Baurecht abgegeben werden. 

Schätzungsweise rund 5000 Menschen in der Schweiz leiden an der schweren Chemikalienunverträglichkeit MCS (Multiple Chemical Sensitivity). Für sie ist es oft fast unmöglich, passenden Wohnraum zu finden. Geringste Chemikalien-Konzentrationen lösen bereits Beschwerden aus: Schwindel, Kopf- und Gliederschmerzen, Haut- und Atemwegprobleme, chronische Erschöpfung. Wer stark betroffen ist, kann keiner Arbeit mehr nachgehen und sieht sich sozial zunehmend isoliert. 

Die im 2008 gegründete Wohnbaugenossenschaft Gesundes Wohnen MCS mit Sitz in Zürich und die Stadt Zürich wollen mit einem baubiologisch pionierhaften Wohnhaus MCS geeigneten Wohn- und Lebensraum schaffen Das 1214 m2 grosse Grundstück am Rebenweg ist gründlich evaluiert worden. Es verfügt vor allem über eine für stadtzürcherische Verhältnisse gute Luftqualität. 

Die in der Bauzone liegenden 875 m2 ermöglichen den Bau von zehn bis zwölf 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen. Architekturteams können ihre Bewerbungen bis 25. November 2009 beim Amt für Hochbauten einreichen. Aus den eingegangenen Bewerbungen wird das Beurteilungsgremium fünf Architektinnen und Architekten bzw. Planungsteams auswählen, die bis Mitte April 2010 ein Projekt erarbeiten werden. Juriert wird der Studienauftrag im Mai 2010. 

Die junge Baugenossenschaft verfügt noch nicht über ausreichende Eigenmittel. Aus diesem Grund finanziert die Stadt den Projektwettbewerb in Höhe von 150 000 Franken vor. Für die Realisierung des Bauprojekts wird mit Kosten von 5 Millionen Franken gerechnet. Um tragbare Mietzinse zu erreichen, beabsichtigt die Baugenossenschaft, 1,5 Millionen Franken mit einem Fundraising abzudecken.

Weitere Auskünfte erteilt:

  • Arno Roggo, Direktor Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich (ausschließlich für Presseanfragen)
  • Christian Schifferle, Präsident Wohnbaugenossenschaft GESUNDES WOHNEN MCS, Telefon 044 401 05 22 (09.00 – 12.00 und 14.00 -17.00). 

 

Baugenossenschaft GESUNDES-WOHNEN-MCS 

 

 

Weitere Informationen:

Neues Buch zeigt Ursachen von Umweltkrankheiten und vieler chronischer Krankheiten auf, einschließlich Alzheimer, Parkinson, MS

Rezension zum Buch „Umweltschadstoffe und neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns (Demenzkrankheiten)“ 

Neues Buch H-U. HillViele chronische Krankheiten, die langsam fortschreiten und zu zunehmenden Allge-meinbeschwerden führen, wurden in den letzten Jahren als Folge von andauernden Expositionen der Betroffenen gegenüber Umweltchemikalien beschrieben, darunter das Chronische Erschöpfungssyndrom, die Toxische Enzephalopathie, das Lösungs-mittel- und Holzschutzmittel-Syndrom, die Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS), um nur einige zu nennen. Aber auch die in der Häufigkeit innerhalb der Bevölkerung rasant zunehmenden Demenzerkrankungen wie die Parkinson-Krankheit, die Alzheimer-Krank-heit, die Multiple Sklerose und andere, die irreversibel bis zum Absterben ganzer Hirnregionen verlaufen, werden durch eine zunehmende Zahl von wissenschaftlichen Befunden mit Expositionen gegenüber Umweltchemikalien in Zusammenhang gebracht.   

Die Wissenschaft hat vielfältige Hinweise dafür geliefert, dass als Folge der Wirkungen dieser Chemikalien chronisch entzündliche Krankheitsprozesse im Gehirn ablaufen, die sich selbst verstärken und verselbständigen, und dies auch dann, wenn in den Körperflüssigkeiten die auslösenden Chemikalien mit den gängigen laboranalytischen Methoden schon lange nicht mehr nachweisbar sind. 

Das Buch von H.U. Hill beschreibt ausführlich neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den biochemischen Mechanismen dieser Demenzkrankheiten und kommt zu dem Schluss, dass Umweltchemikalien neben anderen Faktoren als Auslöser dieser irreversibel verlaufenden schweren Krankheiten in Frage kommen. Dies wird sowohl durch epidemiologische Daten als auch durch die biochemischen Mechanismen der Krankheiten belegt. Auffällig ist dabei, dass die Krankheitsmechanismen in wesentlichen Merkmalen mit den von Pall in seinem Buch „Explaining unexplained Illnesses“ (2007) beschriebenen Mechanismen chronischer Multisystem-Erkrankungen, zu denen auch die Multiple Chemikalien Sensitivität (MCS) gehört, übereinstimmen. Dies wird am Beispiel des oxidativen und nitrosativen Stresses, der Aktivierung des NMDA-Rezeptors und des Stickstoffoxid-Peroxynitrit-Zyklus aufgezeigt. 

Das Buch nimmt eine Gegenposition ein zu einem Kausalitätsverständnis von Gutachtern, die Langzeitwirkungen von Chemikalien im Gehirn außer Acht lassen und nur akute toxische Wirkungen von Chemikalien-Expositionen als bewiesen gelten lassen. Leider aber verhalten sich die chronischen Wirkungen von Chemikalien besonders im Gehirn und Nervensystem nicht so, wie dies die kurze Halbwertszeit der Erkenntnis zeitlicher Zusammenhänge bei Gutachtern, Richtern, Vertretern des Gesundheitswesens und Politikern zulässt. 

Vorangestellt ist ein Kapitel, in dem exemplarisch die neurotoxischen Wirkungen einiger wichtiger Chemikalien dargestellt werden. Dabei weisen aktuelle Erkenntnisse über Wirkungen von Insektiziden vom Typ der organischen Phosphorverbindungen (Organophosphate) bereits auf die Mechanismen chronisch-degenerativer Demenz-Erkrankungen hin. Das Buch macht deutlich, dass diese Pestizide und andere Umweltchemikalien für die rasante Zunahme von Demenzkrankheiten in den Industrieländern verantwortlich gemacht werden können. 

Hans-Ulrich Hill: „Umweltschadstoffe und Neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns (Demenzkrankheiten)“, 162 S., 3 Abb., Preis: 19,80 Euro, Shaker-Verlag Aachen, 2009, ISBN 978-3-8322-8582-1

Schreie aus der Stille

Die Zeit des Schweigens ist beendet…

Die spanische Bloggerin Eva lebt eingesperrt in ihrer Wohnung. Sie hat nichts verbrochen, sie ist einer der vielen Menschen weltweit, die unter MCS – Chemikalien-Sensitivität leiden. Durch diese Krankheit ist sie gezwungen, ein völlig zurückgezogenes Leben zu leben, weil ihr Körper durch den geringsten Kontakt gegenüber Chemikalien kollabiert. Trotz, dass Eva „eingesperrt“ ist wie einer der Kanarienvögel, den Bergleute mit in die Kohlengruben nahmen, um festzustellen, ob die Luft ungiftig sei, ist sie nicht verstummt. Im Gegenteil. Aus ihrem „Käfig“ schreibt Eva ihre aufrüttelnden Artikel für ihren Blog „No Fun“ und für die spanische Kunstzeitung Delirio. Ihre „Schreie“ gehen tief, sie rütteln auf und brechen das Schweigen über eine Krankheit, die nicht sein darf, weil sie anprangert, dass ein Leben umgeben von Chemie krank macht. Nachdem der Artikel „Die nackte Wahrheit über MCS“ um die Welt gegangen ist, ertönt ein weiterer Schrei der spanischen Bloggerin, der nicht zu überhören sein wird, weil es der Schrei der unaufhaltsamen Wahrheit ist.  

Schreie-aus-der-Stille

Eva CaballéSchreie aus der Stille  

Wenn Du etwas nicht magst, wenn Dich etwas belästigt, wenn da etwas ist, dass Dich an Deine Fehler erinnert, dann ist es ganz einfach damit umzugehen, überlasse es dem nächsten Tag, leg es in die Ecke, eingepackt in tiefes Schweigen. Das passiert mit Multiple Chemical Sensitivity (MCS) Betroffenen. Sie wollen uns so, ruhig, nur kein Aufsehen erregen, auf diese Weise realisiert niemand, dass der Abgrund, auf den wir uns täglich näher zubewegen, ein Stück näher rückt und dass wir alle fallen werden: Wir, unsere Kinder und unsere Kindeskinder… 

Wir füttern die internationale Ökonomie mit unserer Gesundheit, unserer Zukunft und der Zukunft derer, die noch nicht einmal geboren sind. Es ist die gleiche Gesellschaft, die uns krank werden lässt, uns unnötigerweise toxischen Produkten aussetzt, uns dann mit unserem Schicksal sitzenlässt und uns ruhigstellt, so dass niemand die Wahrheit erfährt.  

Was kann diese Spirale bloß brechen? Es ist notwendig, dass uns jemand eine Chance gibt, dieses Schweigen zu brechen, in das sie uns zwingen zu leben. 

Delirio hat mir eine Tür geöffnet, wodurch ich schreien kann mit all meinen Kräften, schreien, dass wir hier sind, dass wir MCS haben, weil der derzeitige Lebensstil uns krank macht. Sie öffneten mir eine Tür, durch die ich schreien kann, dass sie es nicht schaffen werden, uns zum Schweigen zu bringen und mehr noch, dass dies erst der Anfang ist und dass es notwendig ist, jetzt richtig zu handeln. 

Delirio hat uns geholfen dieses Schweigen zu brechen, indem sie „Die nackte Wahrheit über MCS“ in einer Ausgabe über Nacktheit publiziert haben. Delirio hat mich ausgezogen, beides innerlich und äußerlich, um dadurch die harte Realität anzuprangern. 

Unerwartet wurde dieser Artikel in 9 verschiedene Sprachen übersetzt und publiziert und er wurde in verschiedenen Ländern überall auf der Welt veröffentlicht. Einige dieser Länder haben ein Vorwort dazu geschrieben so wie Deutschland oder Norwegen. 

Das, was anfangs mein Schrei aus der Stille war, wandelte sich in einen einstimmigen Schrei der Patienten der ganzen Welt, ein Schrei der anprangerte, dass MCS existiert, dass man uns allein lässt, aber dass niemand es schafft, uns je zum Schweigen zu bringen.  

Danke an Delirio, dass sie unser Lautsprecher sind!

Autoren:

Schreie aus der Stille: Eva Caballé No Fun Blog 19. Okt. 2009

Vorwort: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 27. Okt. 2009 

Gedicht: …und dann endlich

Es gibt immer einen Weg ins Licht - Deshalb, niemals aufgeben!

 

…und dann endlich

  

…und dann

nach vielen Ärzten

Fachärzten

Heilpraktikern

nach TCM

und vielen, vielen

„Sie haben nichts“

 

DIESES Schlagwort

wie ein Fausthieb

ins Gesicht:

MCS

 

…und dann

nach vielen

„Warum gerade ich“

nach vielen Tränen 

Heulkrämpfen

nach vielen

Werde ich sterben?“

nach Menschen

mit Herzen aus Stein

und Zungen wie Feuer

 

DIESE Selbstverbrennung

„Wäre ich doch nur gestorben“ 

 

…und dann

nach vielen Küssen

Umarmungen

nach vielen „Du schaffst es“

streichelnden Händen

lächelnden Herzen

Schulterklopfen

Sonnenstrahlen

Vogelgesang

Baumgeflüster

 

…und dann endlich

in mir

 

DIESES kämpferische MCS

Meine Chance Suchen

 

—–

 

Autor: Gerhard für CSN  – Chemical Sensitivity Network, 25. Oktober 2009

 

Weitere Gedichte von Gerhard:

Neues zur Umwelterkrankung MCS: Die Erde ist eine Scheibe!

Die Erde ist eine Scheibe

 

Wir wissen heute, daß die Erde keine Scheibe ist. Trotzdem muß man dies scheinbar immer wieder neu beweisen. Thomas S. Kuhn ein amerikanischer Wissenschaftstheoretiker hat gezeigt, daß die Wissenschaft keinen geraden Weg vom Aberglauben zum überprüfbaren Wissen geht. Es bilden sich herrschende Lehren. Deren Paradigmen beanspruchen selbst dann noch ihre Gültigkeit, wenn neue Paradigmen die Wirklichkeit längst besser erklären. Damit es zum Fortschritt kommt, muß eine wissenschaftliche Revolution stattfinden. Diese Revolutionen sind nicht gesitteter als die politischen. Auch Wissenschaftler haben Interessen und Eitelkeiten, sind zu Lügen und Intrigen imstande.

Thomas Kuhn fiel mir wieder ein, als Night Jumper den neusten Canary Report weiter twitterte. Darin las ich einen schönen Satz:

There is a long history of false psychogenic claims in medicine, where such diseases as asthma, autism, Parkinson’s disease, ulcers, multiple sclerosis, lupus, interstitial cystitis, migraine and ulcerative colitis have been claimed to be generated by a psychological mechanism.

Diese Feststellung von Professor Pall, Emeritus für Biochemie und Medizinische Grundlagenforschung an der Washington State University lautet auf Deutsch:

Falschbehauptungen über psychische Ursachen haben in der Medizin eine lange Geschichte. Es wurde behauptet, die Entstehung von Erkrankungen wie Asthma, Autismus, Parkinson, Magengeschwüre, Multiples Sklerose, Lupus, chronische Blasenentzündung, Migräne und chronische Darmentzündung wären auf psychische Mechanismen zurück zu führen.

Diese Krankheiten kann man inzwischen zum Nutzen der Patienten besser erklären. Beispielhaft erwähnt Professor Pall, daß im Jahre 2005 Robin Warren und Barry Marshall den Nobel-Preis für den Nachweis bekamen, daß Magengeschwüre auf bakterielle Infektionen und nicht auf psychische Ursachen zurückzuführen sind.

Der Canary Report berichtet noch mehr ermutigendes. Er gewährt vorab Einblick in ein von Prof. Pall verfaßtes Kapitel einer Referenz-Publikation für Toxikologie.

Der Inhalt kann an anderer Stelle kompetenter als von mir erläutert werden. Ich fasse grob zusammen:

Multiple Chemikalien Sensibilität ist weiter verbreitet als Diabetes. Das belegen epidemologische Studien aus den Vereinigten Staaten, aus Kanada, Deutschland, Schweden und Dänemark. MCS ist auf Exposition durch insgesamt sieben Chemikalien-Klassen zurückzuführen. U.a. Pestizide und organische Lösungsmittel. Dies wurde, wie es so schön heißt, am Tiermodell bewiesen. Die biochemischen Vorgänge sind erforscht. Man kann sowohl die Entstehung von MCS als auch die Reaktionen MCS-Kranker auf biochemischer Ebene beschreiben. Wer sich damit auseinander setzen will, muß sich mit NMDA-Rezeptoren und mit dem NO/ONOO-Kreislauf befassen.

Zu finden in:

General and Applied Toxicology, 3rd Edition
Bryan Ballantyne (Editor), Dr Timothy C. Marrs (Editor), Tore Syversen (Editor)
ISBN: 978-0-470-72327-2
Hardcover
3944 pages
October 2009

Eigentlich hab ich nun alles gesagt. Wer anderer Meinung ist, kann sich an die Arbeit machen, die Ergebnisse von Prof. Pall zu widerlegen. Da nun aber schon wieder eine Erkrankte gestorben ist, kann ich mir die folgenden Anmerkungen nicht verkneifen.

Eigentlich sollte es völlig egal sein, wie eine Krankheit zu erklären ist. Ein Kranker erwartet, daß man ihm so gut es geht hilft, selbst wenn man nicht genau weiß, was ihm fehlt.

Wer am lautesten schreit, muß nicht am kränksten sein, dennoch sollte man Patienten ernst nehmen. Außerdem spricht der Körper mit seinen Symptomen eine Sprache die Mediziner verstehen. Man sieht was dem Patient bekommt oder schadet. Selbst wenn die körperlichen Reaktionen psychosomatisch bedingt wären, was bei MCS nicht der Fall ist, darf man diese Reaktionen nicht vorsätzlich hervorrufen.

Wenn keine schulmedizinische Medikation möglich ist, hat sie zu unterbleiben! Im Falle von MCS hilft nur striktes Vermeiden von Stoffen die Reaktionen auslösen, Entgiftung, z.B. mittels Sauna und gesunde Lebensweise. Dabei bleibt mit Diagnose (PDF-Link), Untersuchungen, Rat und Tat immer noch genug Arbeit für den Arzt. Sie können solchen Patienten am besten helfen, indem Sie sich unvoreingenommen aus allen Quellen über Umwelterkrankungen informieren und den Mist vom Ökochonder nicht glauben.

Autor: BrunO Zacke, Ufocomes Blog, 19. Okt. 2009

Herzlichen Dank an BrunO, dass wir diesen Artikel im CSN Blog einstellen durften.

Weitere Blogs zum Thema MCS von BrunO:

Multiple Chemical Sensitivity – eine Krankheit verursacht durch toxische Chemikalienexposition

Prof. Dr. Martin PallEine bedeutender Artikel über MCS – Multiple Chemical Sensitivity wurde am 23. Oktober 2009 von Professor Martin L. Pall als Kapitel XX in einem angesehenen Referenzwerk für  Toxikologen, „General and Applied Toxicology, 3rd Edition“ (John Wiley & Sons) veröffentlicht. Multiple Chemical Sensitivity (MCS) ist auch als Chemical Sensitivity, chemische Intoleranz und toxisch bedingter Toleranzverlust bekannt, wobei der letzte Begriff die Rolle von Chemikalien als Krankheitsauslöser unterstreicht. Pall’s Veröffentlichung mit dem Titel: Multiple Chemical Sensitivity: Toxikologische Fragen und Mechanismen, basiert auf fünf wichtigen Fakten über MCS:    

1. MCS ist eine erstaunlich häufige Krankheit, sogar häufiger als Diabetes. Das stellte sich durch eine Reihe von neun epidemiologischen Studien aus den Vereinigten Staaten und jeweils einer Studie aus Kanada, Deutschland, Schweden und Dänemark heraus. In den Vereinigten Staaten sind schätzungsweise 3,5% der Bevölkerung von schwerer MCS betroffen, eine weitaus höhere Anzahl, mindestens 12% der Bevölkerung, ist mäßig betroffen. MCS ist demnach eine sehr große international auftretende Krankheitsepidemie mit weitreichenden Auswirkungen in Hinsicht auf die öffentliche Gesundheit.  

2. MCS wird durch toxische Chemikalienexposition verursacht. MCS Krankheitsfälle werden durch Exposition gegenüber sieben verschiedenen Chemikalienklassen initiiert. Dazu gehören drei Klassen von Pestiziden und die sehr große Klasse organischer Lösungsmittel und verwandter Verbindungen. Ergänzend führen publizierte Studien Quecksilber, Schwefelwasserstoff und Kohlenmonoxyd als Initiatoren an. Von allen dieser sieben Chemikalienklassen wurde in Tierversuchen gezeigt, dass sie eine gemeinsame Reaktion im Körper hervorrufen, und zwar eine übermäßige Aktivität eines Rezeptors, der als NMDA Rezeptor bekannt ist. Weiterhin haben Tierversuche demonstriert, dass bei den Chemikalien, die einer dieser sieben Klassen angehören, die toxische Wirkung durch Medikamente, die die NMDA-Aktivität vermindern, stark reduziert wird. Weil übermäßige NMDA-Aktivität auch nach anderen Studien an MCS beteiligt ist, haben wir jetzt eine überzeugende, bei allen MCS-Fällen gemeinsame Reaktion, die erklärt, wie derartig verschiedene Chemikalien die Krankheit, die wir MCS nennen, hervorrufen können.  

3. Die Rolle von Chemikalien als Giften bei MCS wurde durch genetische Studien bestätigt. Vier solcher Studien haben gezeigt, dass Gene, die die Geschwindigkeit der Metabolisierung von an MCS beteiligten Chemikalien bestimmen, die Anfälligkeit, an MCS zu erkranken, beeinflussen. Diese vier Studien wurden durch drei Wissenschaftlerteams in drei Ländern, den USA, Kanada und Deutschland publiziert. Sie haben insgesamt sechs Gene ermittelt, die an der Festlegung der Suszeptibilität für MCS beteiligt sind. Jedes dieser sechs Gene hat eine Rolle bei der Festlegung der Metabolisierungsrate von Chemikalien, die mit MCS in Zusammenhang stehen. Die deutschen Studien von Schnakenberg und seinen Kollegen, die vier dieser sechs Gene einbezog, sind hierbei wegen des extrem hohen Grades an statistischer Signifikanz ihrer Studien besonders überzeugend. Es gibt nur eine Interpretation für die Rolle dieser Gene bei der Festlegung der Suszeptibilität für MCS. Und zwar, dass Chemikalien bei der Initiierung von MCS-Krankheitsfällen als Gifte agieren und dass die Verstoffwechselung dieser Chemikalien zu Formen, die dabei entweder weniger aktiv oder stärker aktiv sind als zu Beginn, deswegen die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, ob eine Person an MCS erkranken wird. Es ist daher offensichtlich, dass MCS ein toxikologisches Phänomen ist, bei dem Krankheitsfälle durch eine toxische Reaktion gegenüber Chemikalienexposition verursacht wurden.  

4. Wir haben einen detaillierten und generell gut untermauerten Mechanismus für MCS. Dieser Mechanismus erklärt sowohl die hochgradige Chemikalien-Sensitivität, die das charakteristischste Symptom von MCS ist, als auch viele andere Symptome und Kennzeichen dieser Erkrankung. Dieser Mechanismus beruht auf einem biochemischen Teufelskreis, der auch als NO/ONOO-Zyklus bekannt ist, und mit anderen Mechanismen interagiert, die schon vorher als für MCS mitverantwortlich verdächtigt worden waren, insbesondere neuronale Sensibilisierung und neurogene Entzündung. Diese agieren lokal in den verschiedenen Geweben des Körpers, um eine lokale Sensibilität in Regionen des Gehirns und der peripheren Gewebe zu erzeugen, einschließlich der Lungen, des oberen Respirationstraktes, Regionen der Haut und des Verdauungstraktes. Auf Grund dieser lokalen Beschaffenheit, also weil die betroffenen Gewebe sich von einem Patienten zum anderen unterscheiden, unterscheiden sich verschiedene MCS Patienten von einander auch in ihren Sensibilitätssymptomen. Zusätzlich zu den oben diskutierten Belegen, wird dieser generelle Mechanismus durch verschiedene physiologische Veränderungen unterstützt, die bei MCS und verwandten Krankheiten gefunden werden, bei MCS-Tiermodellen, bei objektiv messbaren Reaktionen von MCS-Patienten gegenüber Chemikalien im Niedrigdosisbereich und bei therapeutischen Reaktionen, die bei MCS und verwandten Krankheiten gefunden werden.   

5. Seit über 20 Jahren haben einige fälschlicherweise behauptet, MCS sei eine psychogene Erkrankung, die nach deren Sicht durch schlecht definierte psychologische Mechanismen erzeugt wird. Diese Sicht ist jedoch vollständig inkompatibel mit den ganzen Beweisen, die zuvor in dieser Veröffentlichung diskutiert wurden.  Obwohl solche Unvereinbarkeit schon mehr als Grund genug ist, diese psychogenen Behauptungen zurückzuweisen, führt der MCS-Toxikologie Artikel acht weitere schwerwiegende Mängel in den psychogenen Argumentationen auf. Es gibt eine lange Historie falscher Psychogenitätsbehauptungen in der Medizin, während der über Krankheiten wie Asthma, Autismus, Parkinson, Magengeschwüre, Multiple Sklerose, Lupus, interstitielle Zystitis, Migräne und Colitis Ulcerosa behauptet wurde, sie würden durch psychologische Mechanismen erzeugt werden. Der Nobelpreis in Physiologie und Medizin im Jahr 2005 wurde Dr. Robin Warren und Barry Marshall verliehen, weil sie zeigten, dass Magengeschwüre durch eine bakterielle Infektion verursacht werden und nicht psychogenen Ursprungs sind. Es ist nunmehr klar, dass MCS eine physiologische, durch Chemikalienexposition hervorgerufene Erkrankung ist, von der fälschlicherweise behauptet wurde, sie sei psychogen.   

Martin L. Pall ist Professor Emeritus für Biochemie und Allgemeinmedizinische Wissenschaft an der Washington State University.   

Kontakt: martin_pall@wsu.edu  Webseite: www.thetenthparadigm.org  

Übersetzung: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network 

Weitere Artikel über Prof. Martin Pall und seine Wissenschaft:

Rechtliche Anerkennung bei den Umweltkrankheiten MCS, CFS, TE und FMS

Die richtige Strategie bringt den Erfolg

Die ersten vier Blogs der Serie „MCS – Wissenschaft – Strategie“ sollten feststellen, dass die Erkrankungen MCS – Multiple Chemical Sensitivity, CFS – Chronic Fatique Syndrome, TE – Toxische Enzephalopathie und FMS – Fibromyalgie wissenschaftlich gut erforscht sind, u. a. auch weil sie schon lange bekannt sind. Wer Forschungsbedarf reklamiert, sagt entweder eine Trivialität (Bedarf besteht nämlich immer) oder die Unwahrheit. Denn, die Krankheiten sind diagnostisch definiert, die grundlegenden Pathomechanismen sind erforscht, viele Laborparameter sind bekannt, sowie auch viele therapeutische Ansätze in der Folge. Die Therapie ist allerdings eine Kunst wegen der hohen Komplexibilität und der großen Zahl der Möglichkeiten.

Nachgewiesen sind auch die Ursachen: Toxine (Durch eine große Anzahl epidemilogischer Studien hoher Qualität). Nur CFS kann auch ohne Toxine durch Infektionen oder Stress erzeugt werden.

Der Rechtsbegriff „Stand der Wissenschaft“

Die oben genannten Erkrankungen sind als organische Erkrankungen anerkannt, nämlich durch die höchste Autorität, die WHO. Die Diagnosekriterien und die ICD-10 Klassifizierung markieren den Stand der Wissenschaft, den anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, wie er definiert ist. Dies ist ein Rechtsbegriff, reine Juristerei, nichts womit sich die Wissenschaft beschäftigt. Die genannten Krankheiten sind folglich rechtlich anerkannt. Nur, das weiß offensichtlich keiner und demzufolge sind die rechtlichen Prozessstrategien der Klägerseite stets kontraproduktiv, und deshalb braucht man sich über verlorene Prozesse nicht zu wundern.

Wegen der rechtlichen Wirksamkeit richten sich die erfolgreichen Täuschungsmanöver gegen den Stand der Wissenschaft. Das ist der Sinn all der Verwirrspiele mit unnötigen und untauglichen Studien, abwegigen Thesen wie der Psychothese (nur per Fake plausibel zu machen) und der zähen Blockade fortschrittlicher Testverfahren. Es ist offenbar recht einfach, den bereits erreichten Stand der Wissenschaft wieder zu demontieren. Wären diese Krankheiten wirklich neu und gäbe es nur ein bis zwei Studien, wäre es schwerer, denn das ist überschaubar. Die Entscheidungen zum Stand der Wissenschaft sind schon etwas her (80er Jahre) und die wissenschaftliche Literatur ist immens. Es ist die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre Diskussion, dass viel Wissen leichter zu desavouieren ist, als wenn nur erste Erkenntnisse frisch aus den Labors und Studien auf dem Tisch liegen.

Die Entwicklung wurde verschlafen

Außerdem wurden die wichtigsten Entscheidungen in Deutschland verschlafen. In den 80er Jahren hat (noch) keiner über Umweltkrankheiten diskutiert. Die Grundlagen wurden verschlafen und dann das Problem falsch interpretiert. Nun, das kann ja nichts werden. Der zweite Fehler folgte auf dem Fuß: es ist kontraproduktiv, die Psychothese mit wissenschaftlichen Mitteln zu bekämpfen. Damit hat man sie erst aufgewertet. Und der dritte Fehler, der bis heute anhält, ist, die mangelnde Anerkennung in Seminaren und Kongressen als wissenschaftliches Problem zu behandeln.

Man kann nichts Falscheres machen, als den Stand der Wissenschaft hinter dem aktuellen wissenschaftlichen Diskurs verschwinden zu lassen. Das nutzt die Gegenseite, um notorisch Nachweise zu fordern, die längst geleistet wurden. Dann wird die Diskussion grotesk. Man fängt ad infinitum immer wieder von vorn an. Deshalb ist es so leicht, einen völlig falschen Eindruck vom Stand der Wissenschaft zu lancieren, da dieser falsche Eindruck auch von vielen Betroffenen, Patientenorganisationen und Umweltmedizinern teilweise geteilt wird.

Beispiel: MCS wurde 1948 entdeckt, erforscht, ein Standardwerk zu MCS wurde bandweise 1992, 1994, 1995 und 1997 herausgebracht, alle wurde unversitär auf höchstem wissenschaftlichen Niveau überprüft (MIT) und dann kommt die deutsche Wissenschaft und sagt, wir fangen ganz von vorn an. Wer das für Wissenschaft hält, übersieht das Wesentliche. Wer das wissenschaftlich diskutiert, der hat schon verloren.

Das ist kurz gesagt der Grund der völlig falschen Darstellung dieser Krankheiten in der Öffentlichkeit bis hin die Praxen der Ärzte. Das ist der Boden für weitere grundlegende Fehler. Näheres dazu in den nächsten Blogs.

Kleine Vorschau auf die Themen der nächsten Blogs: „zweierlei Wissenschaft“ – Anmaßung und Einschüchterung,  Objektivierung im Einzelfall.

Autor: Dr. Tino Merz, Sachverständiger für Umweltfragen, 21. Oktober 2009

Vorhergehende Blogs zur Serie und zum Thema:

Weiterführende Informationen: