Chemikalien-Sensitivität (MCS): Armut trotz materiellem Reichtum

Armut hat in Bezug auf die weltweit verbreitete Krankheit Chemikalien-Sensitivität viele Facetten. Der materielle Reichtum ist ab einem gewissen Schweregrad der Erkrankung kaum noch von Relevanz. Für einen Menschen, dessen Aktionsradius sich nur noch auf wenige Quadratmeter gefilterte Luft beschränkt, der also in unfreiwilliger Zwangsisolation lebt und weder seine Umwelt, noch jede Nahrung oder ein normales Wasser zum Trinken toleriert, für den Menschen spielen materielle Werte nur noch eine sehr untergeordnete Rolle. Airstream Trailer in Texas

Gleißendes Sonnenlicht, unerträgliche Schwüle, kein Windhauch regt sich. Einige silberne Alu-Trailer die sich in der Sonne spiegeln, ringsum keine Menschenseele. In der Mitte ein „Küchenhaus“ aus Wellblech, aus dem man das Surren von Gefrierschränken hört. Ein Geräusch, das die Monotonie des trostlosen Ortes unterstreicht. Es ist kein richtiger Ort, sondern nur eine Ansammlung von metallisch glänzenden Wohnwagen aus den sechziger und siebziger Jahren. Der nächste richtige Ort ist Meilen entfernt und nur durch eine staubige Strasse erreichbar.

Plötzlich ein Geräusch, das Quietschen einer Metalltür, sie schlägt ruckartig zu. Herauskommt eine Person, völlig in weiße Kleidung gehüllt, die viel zu warm scheint für die schwülen Temperaturen. Sie haucht aus der Ferne ein schwaches „Hi“ durch eine weiße Aktivkohlemaske entgegen und hebt freundlich die Hand. Sie kommt nicht näher und verschwindet im Küchenhaus. Einige Gegenstände vor den anderen Aluwohnwagen lassen vermuten, dass es weitere Menschen gibt, die hier leben. Auf einer Wäscheleine hängen Kleidungsstücke, ein Stück weiter einzelne Seiten einer Zeitung.

Am Küchenhaus vorbei steht ein weiterer Wohnwagen, der offensichtlich von mehreren Personen genutzt wird. Von der kahlen Metallaußenwand hebt sich ein Münzfernsprecher ab. Innen sind einige Metallstühle zu sehen, ein Glastisch und ein Fernseher in einer Metallkiste mit Glasscheibe.

Ganz am Ende der kleinen Trailersiedlung steht ein großer Airstream- Wohnwagen. Er ist größer als die anderen, ansonsten unterscheidet er sich von außen nicht. Plötzlich steht ein kernig aussehender Mann neben mir und spricht mich an. Ob ich interessiert sei, der Wohnwagen sei zu verkaufen. Nein, eher nicht, denke ich, nicht an diesem Ort. Der Mann erkennt an meinem Gesicht, dass mein Interesse nicht groß ist, aber er beginnt dennoch zu erzählen. Dieser Wohnwagen habe Lizz gehört, sie sei weggezogen nach fast zwei Jahrzehnten. Es sei sehr schwierig für sie gewesen, doch sie habe es geschafft. Er fasst in seine Hosentasche und zieht einen Schlüsselbund heraus und deutet mir mit der Hand, dass ich ihm folgen solle. Ich erhasche einen ersten Blick in das Innere. Boden, Decken, Wände sind mit pastellfarbenem Emaille überzogen.

Der Trailer ist trotz seiner Kargheit sehr schön anzusehen und wirkt großzügig.  Er hat drei Schlafzimmer, drei Bäder, zwei Salons und eine Küche. Dort im Salon hingen echte Picassos hinter Glas, erzählt mir der Mann. Lizz habe sie mitgenommen in ihr neues Zuhause. Auf meinen verwunderten Blick hin stellt der Mann sich als Dan vor und beginnt zu berichten.

Die Frau, die in diesem Airstream Trailer lebte, gehörte zu den Superreichen in den USA. Ihr Mann und sie hatten keine Kinder, dafür mehrere Häuser und Yachten, zwei davon sogar mit Helikopterport. Ihnen mangelte es an nichts, sie konnten wirklich tun und lassen was sie wollten. Eines ihrer Hobbies war es, ihre Villen schön einzurichten. Sie wurden krank durch giftige Baumaterialien, Farben und Ausstattung, der Mann starb. Lizz wurde so chemikaliensensibel, dass sie ihre Umwelt nicht mehr tolerierte. Sie konnte fast nichts mehr essen, in keinem ihrer Häuser hielt sie es aus, ohne schwerste körperliche Reaktionen zu erleiden. Jeder Versuch machte sie kränker, es ging soweit, dass sie fast nicht überlebte. Durch Zufall erfuhr sie von einem Arzt von einer Umweltklinik in Dallas, die damals noch klein war. Sie ließ sich hinbringen und begann eine Behandlung. Ihre Sensibilität auf Chemikalien war jedoch so stark ausgeprägt und ihr Körper so schwerwiegend vergiftet, dass ihr Leben lange am seidenen Faden hing. Es dauerte, bis überhaupt ein Wasser gefunden war, dass sie ohne Reaktionen trinken konnte. Sie hatte keine Chance, in einem Apartment oder in einem Haus zu wohnen und kam hier raus, um in einem Alutrailer zu leben, der extra für Menschen umgebaut wurde, die auf alles reagieren. Lizz ließ sich dann diesen Trailer hier bauen nach ihren eigenen Vorstellungen. Er hat allen nur erdenklichen Komfort und ist wirklich safe.

In jedem der Räume stand noch immer ein Luftfilter aus Edelstahl, doch auch ohne dass sie liefen, war die Luft ohne jeglichen störenden Geruch. Als Dan die eingebauten Schränke öffnete, konnte ich sehen, dass auch sie innen völlig mit porzellanbeschichtenem Edelstahl ausgekleidet waren. Die Möbel waren alle aus Glas und Metall. Lizz lebte fast zwanzig Jahre nur in diesem Alutrailer und konnte fast nie hinaus. Der Arzt kam zu ihr, wenn es erforderlich war. Sie wurde hier gesünder, aber nie ganz gesund, sie wünschte es sich von Herzen, ans Meer zu ziehen. Dort lebt sie jetzt, und dieser Trailer ist zu verkaufen. Andere hier hatten mehr Glück als sie, obwohl sie kaum Geld besaßen. Sie waren nicht so krank wie Lizz und schafften es sogar wieder, einen Job anzunehmen. Ja, es sei in der Tat nicht alles von Geld abhängig, meinte Dan, denn sonst hätte Lizz es geschafft, denn daran mangelte es ihr nicht. Hätte sie Kinder haben können, hätten auch diese für Generationen ausgesorgt.

Wir hatten den Wohnwagen wieder verlassen und saßen auf der Außentreppe, die Sonne begann sich zu neigen am Horizont und tauchte alles in ein warmes Abendlicht. Die silbernen Trailer leuchteten plötzlich rotgolden. Man sah nach und nach Menschen aus ihnen herauskommen und in Richtung Küchenhaus gehen und wieder zurückkommen und wieder in ihr Refugium verschwinden.

Dan sagte, er könne mir viele Geschichten von Menschen erzählen, die sich hier an diesem trostlosen Ort wegen ihrer Krankheit niedergelassen hatten. Arm, materiell gesehen, ist keiner von ihnen hier, das Wohnen in den Alutrailern sei nicht gerade billig. Geld spiele bis zu einem gewissen Grad dennoch eine völlig untergeordnete Rolle. Wenn man nur noch drei Nahrungsmittel hat, die der Körper annimmt, dann ist man reich, wenn man nach einiger Zeit durch das karge chemiefreie Leben wieder zwanzig oder dreißig Nahrungsmittel essen kann. Oder wenn jemand, der kollabiert nach wenigen Schlucken Wasser wieder ein Wasser findet, was er ohne Schmerzen und ohne Kollaps trinken kann.

Die Vorstellung von arm und reich, die man eigentlich hat, verschiebt sich gänzlich, nachdem man einen Ort wie diesen Trailerpark irgendwo da draußen mitten in Texas gesehen und über sein Eigenleben erfahren hat. Die Schmerzen dieser Menschen, die oft unerträglich sind, lassen sich durch kein Geld der Welt in Luft auflösen, weil Chemikalien-Sensitivität es nahezu unmöglich macht, Schmerzmittel oder andere Medikamente nehmen zu können. Reich ist, wer keine Schmerzen hat, und sei es nur für einen Tag oder eine Stunde.

Die Armut bei Menschen mit Chemikalien-Sensitivität hat viele Gesichter und selbst wer Geld für Generationen hat, ist im Grunde arm. Chemikalien-Sensitivität schränkt den Aktionsradius eines Menschen völlig ein, und mit Geld ist weder die Freiheit, die man einst besaß, zurückzukaufen, noch die Fähigkeit, frei zu entscheiden, was man anziehen möchte, was man gerne essen würde, oder alte Freunde wiederzuerlangen. Nichts ist mehr wie zuvor, als man noch die Vorstellung besaß, ein Mensch, der Originalbilder von Picasso an den Wänden hängen hat, sei reich.

Dieser Artikel wurde zum Thema Armut als Beitrag zum Weltblogtag 2008 geschrieben.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 15. Oktober 2008

Multiple Chemical Sensitivity macht zwangsläufig arm

Arm durch MCS

Die Armut, die durch MCS entsteht, bezieht sich nicht allein auf die materielle Armut, sondern ebenso Armut auf anderen Ebenen des Lebens. Die materielle, die intellektuelle, die emotionale, die körperliche, die nahrungsbedingte usw.

Bei MCS- Ausbruch war an ein ganz normales Arbeiten nicht mehr zu denken, es war ja kaum möglich, durch die vielen teils lebensbedrohlichen Symptome überhaupt noch das Haus zu verlassen. Mit MCS kann man nicht mehr wohnen, wo man will, nicht mehr essen, was einem schmeckt, nicht mehr kaufen, was einem gefällt, nicht mehr treffen, wen man möchte und natürlich nicht mehr arbeiten, was man bislang konnte. Die gesamte bisher gekannte Welt bricht auf einen Schlag zusammen, und man muss sein Leben komplett umstellen, und das 20 Jahre vor dem Rentenalter bei mir, also in zukünftiger lebenslanger Armut.

Ich hatte noch das große Glück, mir vorher bei bester Gesundheit die halbe Welt angesehen zu haben und viel zu erleben. Heute zehre ich zumindest davon, weil eine Flugreise nie mehr möglich sein wird, wegen der parfümierten Passagiere, dem Pestizidsprühen im Flugzeug und natürlich, weil solche Summen nicht mehr zusammen zu sparen sind, selbst bei strengster Diät.

Armut auf materieller Ebene
Jeder Cent geht jetzt drauf für spezielle, einzig verträgliche Bionahrung, für viele gute Vitamine und Mineralien, für Bahn- u. Busfahrten zu Ärzten und Therapien, sehr viel Geld für Naturheilmittel, Homöopathie, weil Mittel, die die Kasse erstattet, chemisch sind oder chemische Zusätze enthalten und daher unberechenbare Reaktionen hervorrufen. Und Dinge wie Sauerstoffflasche, Atemgerät, Nasendusche, dazu noch die Praxisgebühren. Dem Amt ist es egal, dass ein kranker Mensch so viel Mehraufwand benötigt, man bekommt das gleiche Geld wie ein Gesunder. Ohne ein Büchlein mit täglichen Eintragungen über die Ausgaben wäre das Geld spätestens Mitte des Monats alle, ohne dass man sich irgendeinen Luxus geleistet hätte. Heute mit MCS wäre es für mich ein beglückender Luxus, mir Dinge leisten zu können, die zumindest ein Leben mit weniger Symptomen möglich machen würde, wie Luftfilter, Spezialheizung, Heimsauna, Atlastherapie, ein vernünftiges Bett oder ein heiles Fahrrad. Selbst für Lotto reicht das Geld ja nicht, also auch da keine Chance.

Armut auf intellektueller Ebene
Weil die Kontakte stark eingeschränkt werden durch MCS, fehlen häufig auch die geistigen Herausforderungen. Die früheren interessanten Gespräche enden meist beim Thema Krankheit, weil MCS nun mal das Leben regiert. Das halten gesunde Freunde nicht lange aus, und ich wiederum kann die Problemchen nur noch schwer nachvollziehen, mit denen sich Leute rumschlagen, die keinerlei Symptome haben. Deren Sorgen nachzuvollziehen, wenn man selber froh ist, den Tag zu überleben, ist nicht einfach. Gute Bücher zu lesen ist auch nur selten möglich, da es sehr anstrengt und außerdem der rote Faden verloren geht. Die Werte verschieben sich mit einer so schweren Krankheit, und das Verständnis zwischen Gesunden und Kranken wird immer schwieriger.

Armut auf emotionaler Ebene
Am meisten fehlt mir das Lachen, die unbeschwerte Freude. Und vor allem auch die große Erfüllung, die ich lebenslang bei meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten empfunden habe. Aber gerade dies motiviert mich tagtäglich, alles zu versuchen, wieder gesund zu werden. Wofür sollte denn sonst ein so zerstörtes Leben noch Sinn machen? Ausgehen, Tanzen, Kino, Cafe, nichts geht mehr wegen der bedufteten Menschen, den Teppichböden und weil man immer auf der Hut sein muss vor Chemikalien.

Armut auf körperlicher Ebene
Weil Sport und jede Bewegung schmerzt (dabei wäre es so wichtig) und Reisen in ferne Länder gar nicht mehr zu schaffen sind, geschweige denn, Hobbys von früher auszuüben. Meine Lebensträume, mit Delfinen zu schwimmen, mit Haien zu tauchen, einen Blumen- u. Gemüsegarten anzulegen und vieles mehr ist zerstört, weil es der Körper nicht mehr schafft. Und ich war einmal sehr durchtrainiert und stark.

Armut auf der Ebene Nahrungsaufnahme
Weil die Verträglichkeit der meisten Nahrungsmittel nicht mehr gegeben ist und beim kleinsten Ausrutscher in Richtung Genuss oder Heißhunger die Strafe auf dem Fuße folgt mit Atemnot, Herzrasen, Schmerzen, Schwindel und schlimmeren, wie Lebensmittelvergiftungen. Bei all dem gibt es keinen Arzt, den man aufsuchen kann, weil unbegreiflicher Weise MCS noch immer so unbekannt ist, trotz Millionen Betroffener weltweit. Unser Schicksal müsste man hinausschreien, dass es jedem Menschen so geläufig wird wie Krebs oder Aids.

Dennoch, Armut ist ja relativ, und seit ich vor langer Zeit in Indien war, sehe ich ohnehin vieles mit anderen Augen. Jeder sollte im Leben einmal in so ein armes Land reisen, es prägt fürs ganze Leben. Positiv. Nun denn, wenn Reichtum das Gegenteil von Armut ist, dann kann ich mir zumindest noch eines leisten und bewahren: meinen inneren Reichtum.

Dieser Artikel wurde zum Thema Armut als Beitrag zum Blog Action Day 2008 geschrieben.

Autor: Monja, 15. Oktober 2008

Wurde Eure Chemikalien- Sensitivität / MCS schnell als solche diagnostiziert oder habt Ihr eine Odyssee von Arzt zu Arzt durchlebt?

Arzt verabschiedet Patientin mit MCS DiagnoseEinigen wissenschaftlichen Studien zufolge dauert es meist eine Weile, bis eine Person, die auf geringste Spuren von Alltagschemikalien wie Zeitungsdruck, Parfüm, Weichspüler, Benzin, Farbe, Zigarettenrauch, Putzmittel, etc. mit Symptomen reagiert, von einem Arzt richtig diagnostiziert wird. Oft haben niedergelassene Ärzte keine Erfahrung mit Chemikalien-Sensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity) und suchen verzweifelt danach, was ihren Patienten fehlt. Mancher Arzt, der kein Fachwissen im Bereich Umweltmedizin hat, geht von einer psychischen Störung aus und ist nicht in der Lage, dem Patienten adäquat zu helfen, was weitere Verschlimmerung zu Folge hat.

MCS-Blofrage:

  • Wie viele Ärzte musstet Ihr aufsuchen, bis die Diagnose gestellt wurde und wie viel Zeit ging ins Land?
  • Welche Fachrichtung hatte der Arzt, der bei Euch MCS diagnostizierte?
  • Wäre Euch Eurer Meinung nach Leid erspart geblieben, wenn Eure Chemikalien-Sensitivität schneller diagnostiziert worden wäre und der Arzt Euch zumindest Vermeidungsstrategien erklärt hätte?

MCS – Multiple Chemical Sensitivity – WHO ICD 10 T78.4

Fragen beantwortet

Chemikalien – Sensitivität, international in der Medizin und von Behörden als „Multiple Chemical Sensitivity“ oder abgekürzt als MCS bezeichnet, wird seit den 80er Jahren auch in Deutschland von Ärzten vermehrt festgestellt.

MCS ist im WHO Register für Krankheiten, dem ICD -10, im Kapitel 19 unter „Verletzungen, Vergiftungen“ einklassifiziert. (1,2,3) In Deutschland wird diese rechtsverbindliche Klassifizierung vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) vorgenommen. Ärzte und Dokumentare in den Krankenhäusern sind nach dem Sozialgesetzbuch V verpflichtet, die Diagnosen zu kodieren. Die Verschlüsselung erfolgt auf der Basis des Systematischen Verzeichnisses der ICD-10-GM. (4)

Verbreitung von Verunsicherung über den MCS ICD 10 T78.4
In jüngster Zeit kam es wiederholt zu Aussagen, der Diagnosecode für MCS sei nicht mehr im ICD 10 enthalten, MCS sei dort psychisch einklassifiziert, etc. Diese Behauptungen wurden von interessenabhängigen Medizinern, einigen Selbsthilfegruppenleitern und Einzelaktivisten aufgestellt. Einige dieser Personen fühlten sich sogar berufen, ihre unwahren Behauptungen auch im Ausland, insbesondere in den USA, zu streuen. Auch versuchten sie zu erwirken, dass der international anerkannte und verwendete Krankheitsbegriff MCS von den Erkrankten selbst nicht mehr benutzt werden solle.

Umweltmedizinische Fachverbände beziehen Position für MCS
Von den beiden umweltmedizinischen Fachverbänden, der dbu (Deutsche Berufsverband der Umweltmediziner) und der Europeam (European Academy for Environmental Medicine), war ein Jahr zuvor in einer Stellungnahme mitgeteilt worden, dass man eine Namensänderung entschieden ablehne, denn MCS sei seit 1994 von der WHO als Verletzung und Überempfindlichkeit definiert (ICD-10, unter Ziffer T78.4), was laut dieser beiden umweltmedizinischen Standesorganisationen den Stand der Wissenschaft darstelle. MCS sei eine gültige Diagnose und stelle eine organische Erkrankung dar, und dieser Stand der Wissenschaft sei rechtlich die alles entscheidende Größe, war der gemeinsamen, öffentlich einsehbaren Erklärung der beiden Fachgesellschaften gegenüber CSN zu entnehmen. (5)

Die weiterhin aggressiv durchgeführte Streuung der Falschaussagen (z.B. MCS sei eine psychische Krankheit; der Name MCS sei abgeschafft worden; MCS sei nicht mehr im ICD-10 aufgeführt; etc., etc.) führte letztendlich zu einer eklatanten Verunsicherung und starker Verängstigung bei den MCS Erkrankten und bei einigen Patientenvertretern.

Abklärung der Fakten
Um der Verunsicherung der MCS Patienten ein Ende zu bereiten, traten drei MCS Organisationen unabhängig voneinander an das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) heran und klärten verschiedene diesbezügliche Fragen ab. (1,2,3) Eine Organisation holte beim Bundesministerium für Gesundheit (BGM) zusätzliche Informationen ein. (3)

DIMDI – Klassifizierung von Krankheiten (ICD)
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ernannte das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) als WHO-Kooperationszentrum für das System Internationaler Klassifikationen.

Die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) dient der Verschlüsselung von Diagnosen. In Deutschland werden zwei deutschsprachige Ausgaben angewendet, die ICD-10-WHO zur Mortalitätsverschlüsselung und die ICD-10-GM zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung.

Nach § 295 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen verpflichtet, in den Abrechnungs-unterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen und in dem Abschnitt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, den die Krankenkasse erhält, die Diagnosen anzugeben. (4)

MCS im ICD 10
Aus den beiden Schreiben des DIMDI ist zu entnehmen, dass der ICD – 10 für MCS existiert, und es wurde darin ausdrücklich hervorgehoben, dass die Erkrankung nicht in das Register „Psychische Krankheiten“ einklassifiziert sei. Weiterhin wurde unmissverständlich mitgeteilt, dass eine Einordnung in ein anderes Register auch zukünftig nicht vorgesehen sei. (1,2,3)

Auszug aus dem Schreiben des DIMDI an CSN vom 4. September 2008:

Schreiben DIMDI an CSN

MCS (Multiple Chemical Sensitivity) wird klassifiziert unter:
T78.4…Allergie, nicht näher bezeichnet;
Kapitel 19 (Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen), Abschnitt T66-T78 (Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen)

Eine Zuordnung der o. g. Erkrankungen zum Kapitel 5 (Psychische und Verhaltensstörungen) ist seitens der ICD-10-GM nicht vorgesehen.

Die ICD-10-GM ist die deutsche Adaption (GM – German Modification“) der von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) erstellten internationalen ICD-10, die in vielen Staaten dieser Welt verwendet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass die o. g. Erkrankungen auch in anderen Staaten gleichermaßen klassifiziert sind.

Die ICD-10-GM ist die nach dem Sozialgesetzbuch V in der Bundesrepublik Deutschland vorgeschriebene Diagnoseklassifikation. Es ist nach meiner Kenntnis nicht vorgesehen, die ICD-10-GM durch ein anderes Register zu ersetzen.

Dr. Ursula Küppers
Arbeitsgruppe Medizinische Klassifikation
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit
DIMDI, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information

Anruf bei Bundesministerium für Gesundheit
Gleiches erfuhr der Leiter einer Organisation für Chemikaliensensible beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Ihm teilte die Vorgesetzte der in Mutterschaft befindlichen zuständigen Mitarbeiterin mit, es läge dieser zuständigen Bundesoberbehörde bisher kein einziger Antrag vor, MCS nicht mehr in das Alphabetische Verzeichnis der ICD- 10 2009 GM aufzunehmen. Von irgendwelchen Vorgängen den eingeführten Begriff MCS zu ersetzen oder zu ändern, sei gar nichts bekannt. (3)

Auf Nachfrage, was der ursächliche Grund für anderes lautende Thesen über den MCS ICD-10 sein könnte, teilte der Organisationsleiter CSN mit, dass manche Behauptung, den ICD für MCS gäbe es nicht, wohl dadurch zustande käme, weil einige Personen im falschen Werk nachsehen würden, nämlich in der deutschen Ausgabe der ICD 20 2009 GM (wo MCS noch nie aufgeführt war) und nicht im Alphabetischen Verzeichnis, dort, wo die Krankheit wie andere seltenere Gesundheitsstörungen aufgeführt sei. (3)

Neuer Name für eine bereits klassifizierte Krankheit? Eindeutig NEIN
Ein Anruf bei DIMDI räumte eine weitere Unklarheit über den Krankheitsbegriff MCS aus dem Weg. Einige Selbsthilfegruppen hatten angestrebt, MCS durch „Multiple Systemerkrankung“ zu ersetzen und behaupteten, dies sei der neue Begriff, den es zu verwenden gälte. Der Leiter einer der größten MCS Organisationen in Deutschland bekam von DIMDI zur Antwort, der Begriff „Multiple Systemerkrankung“ sei viel zu unscharf, als dass er Chancen hätte, in die ICD 10 aufgenommen zu werden. (3)

Am 29. Mai 2008 hatte Herr Dr. Donate im CSN Blog in einem Kommentar bereits versucht, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen:

„Der Vorstand des dbu hat sich zu Beginn der Diskussion um eine Namensänderung im Gegensatz zu verschiedenen SHGs und auch zu verdienten Veteranen der Umweltmedizin einstimmig und eindeutig für die Beibehaltung des Begriffs „MCS“ ausgesprochen.“

„Der Begriff Chronische Multisystemerkrankung oder (engl.) Chronic multisystem illness (CMI) wird hier FALSCH interpretiert. Er kann und soll nicht den Begriff MCS ersetzen. „CMI und MCS“ stehen vielmehr im gleichen Verhältnis zueinander wie die Begriffe „Degenerative Gelenkerkrankung und Rheumatoide Arthritis“ oder wie „Virusinfekt und Masern“.

CMI ist als Oberbegriff zu verstehen. Zu dieser Krankheitsgruppe zählen neben MCS auch CFS, FMS, TE, TPNP, SBS, BRI und viele mehr.

Der Vorstand des dbu hat sich zu Beginn der Diskussion um eine Namensänderung im Gegensatz zu verschiedenen SHGs und auch zu verdienten Veteranen der Umweltmedizin einstimmig und eindeutig für die Beibehaltung des Begriffs „MCS“ ausgesprochen.

Gegen eine Unterordnung der „Krankheit MCS“ unter die „Krankheitsgruppe CMI“ ist jedoch nichts einzuwenden. Im Gegenteil: der Hinweis auf die Beteiligung mehrere Organsysteme unterstreicht die Schwere der unter CMI subsumierten Krankheitsbilder.

Der dbu lehnt den Begriff IEI ab. Für uns gibt es weder den IEI-Patienten noch die IEI-Krankheit. Auch sollte der Begriff MCS-Syndrom vermieden werden.“ (7)

Fazit
Der Begriff MCS ist im ICD-10 als physische Krankheit in das Kapitel 19  – Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen –  einklassifiziert. Es bestehen von Seiten des DIMDI und des BMG keine Bestrebungen, die Krankheit in ein anderes Register, bspw. unter psychiatrische Krankheiten, abzulegen oder gänzlich aus dem ICD-10 zu entfernen. Es liegen auch keine Anträge hierzu vor. (1,2,3)
Der Krankheitsbegriff MCS ist somit der von DIMDI/ WHO und dem BGM anerkannte Krankheitsbegriff in Deutschland. Dem stimmen auch die beiden umweltmedizinischen Fachgesellschaften und die größten Organisationen für MCS Patienten in Deutschland übereinstimmend zu. (5,7)

Autor:
Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Oktober 2008

Literatur:

  1. DIMDI Schreiben an CSN, MCS ICD-10, 04.09.2008
  2. DIMDI Schreiben, 04.09.2008
  3. DGMCS, Persönliche Konversation mit CSN, 15.09.2009
  4. Bundesministerium für Gesundheit, Anwendung der ICD-10 in der vertragsärztlichen Versorgung nach § 295 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, 18.12.1995
  5. Dr. Tino Merz, autorisierte Stellungnahme für dbu, europeam zum Thema „Soll der Name MCS erhalten bleiben oder nicht“, CSN Forum, 18. Juli 2007
  6. Silvia K. Müller, Die europäische Debatte um den Namen MCS, CSN, Juli 2007
  7. Dr. Donate, Kommentar zu „Analyse neuer Wortschöpfungen die den etablierten Fachausdruck MCS ersetzen sollen“, CSN Blog, 28.05.2008

Preisträger des TÜV Rheinland Global Compact Award stiftet Preisgeld Menschen mit Multiple Chemical Sensitivity

MCS Kranken helfen statt sie ignorieren

Hilfe für Menschen mit MCS

Erster Internationaler TÜV Rheinland Global Compact Award verliehen: Preisträger Dr. Volker Hauff

Das Preisgeld von 25.000 Euro stellt Dr. Hauff in vollem Umfang der Hilfe von Menschen mit multipler Chemikalienunverträglichkeit zur Verfügung, besser bekannt als Multiple Chemical Sensitivity (MCS). „Diese Krankheit wird durch Umweltfaktoren in äußerst geringer Konzentration ausgelöst. Es ist unmöglich, Schadstoffe in solch geringer Konzentration völlig zu vermeiden. Die Krankheit ist bis heute unheilbar und wird möglicherweise genetisch mitbestimmt. An ihrer Erforschung wird in Deutschlands in einem Forschungsverbund von fünf Universitätskliniken gearbeitet.“

Der Vorsitzende des deutschen Rates für Nachhaltige Entwicklung Dr. Volker Hauff ist Preisträger des 1. Internationalen TÜV Rheinland Global Compact Awards. Der ehemalige Bundesminister bekam den Preis in Anwesenheit von rund 300 Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft bei einem Festakt im Historischen Rathaus der Stadt Köln überreicht. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert und wird an herausragende Persönlichkeiten verliehen, die mit ihrer Arbeit die Ziele des Global Compact der Vereinten Nationen unterstützen.

Die Expertenjury des Internationalen TÜV Rheinland Global Compact Awards wählte Dr. Hauff als Preisträger wegen seines Verdienste auf dem Gebiet der Nachhaltigkeitsstrategie. Bereits Mitte der 80er Jahre war Hauff Mitglied der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen. Diese Kommission prägte den Begriff einer nachhaltigen Entwicklung der Menschheit, die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt ohne die Bedürfnisse künftiger Generationen zu gefährden.

Als Laudator würdigte der ehemalige Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) Professor Dr. Klaus Töpfer das jahrzehntelange Engagement von Dr. Hauff insbesondere für nachhaltigen Ressourceneinsatz, Klimaschutz und zukunftsfähige Energiepolitik: „Wir erleben heute täglich die Notwendigkeit, natürliche Ressourcen zu schützen und immer effizienter zu verwenden statt zu verschwenden. Steigende Energiekosten und erste Folgen des beginnenden Klimawandels machen dies für alle Menschen weltweit spürbar. Dr. Hauff hat bereits vor mehr als zwanzig Jahren erkannt, was heute jeden bewegt.“

Dr. Hauff selbst sieht nachhaltige Entwicklung als Konzept für politisches und ökonomisches Handeln im 21. Jahrhundert. „Für mich ist Nachhaltigkeit ein Jahrhundertbegriff, der weit über den heutigen Horizont des Handelns hinausreicht, aber auch bereits heute als Anleitung und Orientierung für aktuelle Entscheidungen in Politik und Wirtschaft dienen kann“, betont der Preisträger. Das Preisgeld stellt Dr. Hauff in vollem Umfang der Hilfe von Menschen mit multipler Chemikalienunverträglichkeit zur Verfügung, besser bekannt als Multiple Chemical Sensitivity (MCS). „Diese Krankheit wird durch Umweltfaktoren in äußerst geringer Konzentration ausgelöst. Es ist unmöglich, Schadstoffe in solch geringer Konzentration völlig zu vermeiden. Die Krankheit ist bis heute unheilbar und wird möglicherweise genetisch mitbestimmt. An ihrer Erforschung wird in Deutschlands in einem Forschungsverbund von fünf Universitätskliniken gearbeitet.“

Der Internationale TÜV Rheinland Global Compact Award findet Unterstützung durch das Generalsekretariat der Vereinten Nationen. Er ist aus dem Internationalen Rheinland-Preis für Umweltschutz hervorgegangen, den die TÜV Rheinland Group seit 1974 verliehen hat. Professor Dr. Bruno O. Braun, Vorstandsvorsitzender der TÜV Rheinland Group: „Wir arbeiten weltweit für die nachhaltige Entwicklung von Sicherheit und Qualität im Spannungsfeld zwischen Mensch, Technik und Umwelt. Denn es ist unsere Überzeugung, dass gesellschaftliche und industrielle Entwicklung ohne technischen Fortschritt nicht möglich sind.“ Im Juni 2006 sei TÜV Rheinland deshalb dem Global Compact der Vereinten Nationen beigetreten. „Mit der Stiftung des Preises wollen wir die Durchsetzung der Prinzipien des Global Compact dauerhaft fördern.“

Pressemitteilung TÜV Rheinland, 2. Oktober 2008

MCS-Blogfrage der Woche: Was war bei Euch der Auslöser Eurer Chemikalien- Sensitivität?

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Die internationale wissenschaftliche Literatur nennt als Hauptauslöser für Chemical Sensitivity (MCS, WHO ICD-10: T.78.4) Pestizide und Lösemittel.    

  • Durch was wurde Eure MCS ausgelöst?  
  • Begann Eure Chemikalien-Sensitivität durch ein bestimmtes Ereignis und einen bestimmten Auslöser, oder trat sie schleichend durch verschiedene Chemikalien und/oder mehrere Vorkommnisse ein?   
  • Waren es Chemikalien, die Eure MCS auslösten, oder andere Faktoren?

Bundesgerichtshof entschied zugunsten einer an Multiple Chemical Sensitivity erkrankten Frau

Justicia -Gerichtigkeit für Kranke

Der Bundesgerichtshof entschied im November 2007 zugunsten einer Frau, die unter schwerer Chemikalien- Sensitivität (Multiple Chemical Sensitivity – MCS) litt. Die Ursache ihrer Erkrankung war eine Pestizid-intoxikation gewesen, die sie u. a. hypersensibel auf Alltagschemikalien werden ließ. Hieraus ergab sich, dass die Frau nicht jeden Wohnraum be-wohnen kann und eine Räumungsklage nicht vollzogen werden konnte, da eine Durchführung derselben eine konkrete lebensbedrohliche Situation herbei-geführt hätte. Im Urteil des BGH wird bestätigt, dass aus einem medizinischen Gutachten anschaulich hervorgegangen sei, dass die Frau unter einer Hypersensibilität gegenüber Duft- und Reizstoffen leide.

BUNDESGERICHTSHOF Az.: I ZB 104/06 Beschluss vom 22.11.2007 Vorinstanzen:

AG Düsseldorf, Az.: 666 M 1625/06, Entscheidung vom 20.06.2006 LG Düsseldorf, Az.: 25 T 564/06, Entscheidung vom 07.11.2006 In dem Zwangsvollstreck-ungsverfahren hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. November 2007 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubiger wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 7. November 2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 16.680 € festgesetzt.

Gründe: I.Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 19. Mai 2005 wurden die Schuldner verurteilt, die Wohnung im Hause M. Straße in D. , erstes Obergeschoss rechts, zu räumen. Nachdem die Schuldner die Wohnung nicht innerhalb der ihnen in dem Urteil gesetzten Frist geräumt hatten, wurde Räumungstermin bestimmt. Daraufhin haben die Schuldner beantragt, die Räumungsvollstreckung gemäß § 765a ZPO aufzuheben.

Sie haben geltend gemacht, die Schuldnerin leide an einer schweren Erkrankung, bei der die Durchführung der Räumung eine lebensbedrohliche Situation herbeiführe. Das Amtsgericht hat die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 19. Mai 2005 ohne Befristung eingestellt. Das Beschwerdegericht hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubiger zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Mit der Rechtsbeschwerde verfolgen die Gläubiger ihren Antrag weiter, den die Räumungsvollstreckung einstellenden Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf aufzuheben. II.Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 576 Abs. 1 ZPO).

1. Das Landgericht hat angenommen, dass die Räumungsvollstreckung das Leben der Schuldnerin erheblich gefährden würde. Nach dem Gutachten des Sachverständigen K. im Betreuungsverfahren leide die Schuldnerin an einer chronischen neurotoxischen Schädigung sämtlicher Organsysteme sowie allergischen Reaktionen im Sinne eines MCS-Syndroms (Multiple Chemical Sensitivity). Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. P. vom 15. Februar 2006 für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen führte die Schädigung der Schuldnerin durch Insektizide im August 2005 zum Verlust der Sprechfähigkeit, dem teilweise vollständigen Verlust des Hörvermögens, Polyneuropathien, Dysästhesien, Parästhesien, Trigeminusneuralgie und starken, sehr schmerzhaften Myopathien am gesamten Körper. Die Krankheit sei von einer derartigen Schwere, dass ein Umzug ohne gesundheitlich nachteilige Folgen für die Schuldnerin nur aufgrund gründlicher medizinischer Vorbereitung durchführbar sei.

Eine solche Vorbereitung sei bei einer Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher und der damit verbundenen Einweisung in eine Notunterkunft nicht gewährleistet. Für die Gewährung von Räumungsschutz komme es nicht darauf an, dass möglicherweise die Schuldner die Gefährdung durch Suche einer neuen und angemessenen Unterkunft ausschließen könnten und diese schuldhaft unterließen. Anders als in dem in BGHZ 163, 66 behandelten Fall der Suizidgefahr könne im Streitfall der vitalen Gefährdung auch nicht durch eine Unterbringung nach polizeirechtlichen Vorschriften begegnet werden, die seitens des Vollstreckungsgerichts veranlasst werden könnte.

2. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. a) Auf der Grundlage des im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellenden Sachverhalts kann derzeit der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht zugestimmt werden, dass eine für die Schuldnerin bestehende Lebensgefährdung eine Räumungsvollstreckung unbefristet ausschließe.

aa) Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres gem. § 765a ZPO eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der – in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen – Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Ist sein Räumungstitel nicht durchsetzbar, wird sein Grundrecht auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt. Dem Gläubiger dürfen auch keine Aufgaben überbürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (BGHZ 163, 66, 72 ff.).

Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird. Nicht zuletzt kann aber auch vom Schuldner selbst erwartet werden, dass er alles ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit nicht nur seiner selbst, sondern auch seiner mit ihm gemeinsam in der zu räumenden Wohnung lebenden Angehörigen möglichst auszuschließen (BGHZ 163, 66, 74; vgl. auch BGH, Beschl. v. 19.10.2005 – VIII ZR 208/05, ZMR 2006, 33). Dabei ist die Feststellung, welche Handlungen dem Räumungsschuldner konkret zumutbar sind, Aufgabe des Vollstreckungsgerichts. Allerdings kann die Würdigung aller Umstände, die unter Beachtung der Wertentscheidungen des Grundgesetzes und der dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte vorgenommen wird, in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Räumungsvollstreckung für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Ausnahmefällen – auf unbestimmte Zeit einzustellen ist (BVerfG (Kammer), Beschl. v. 27.6.2005 – 1 BvR 224/05, NZM 2005, 657, 658 f.).

bb) Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Interessenabwägung des Beschwerdegerichts als unvollständig. Auf dieser unvollständigen Grundlage durfte das Beschwerdegericht die unbefristete Einstellung der Zwangsräumung durch das Amtsgericht nicht bestätigen. Das Beschwerdegericht geht, allerdings ohne dafür die tatsächlichen Grundlagen zu nennen, davon aus, dass bei gründlicher medizinischer Vorbereitung ein Umzug für die Schuldnerin ohne gesundheitlich nachteilige Folgen durchführbar wäre. Das Beschwerdegericht hätte deshalb Feststellungen dazu treffen müssen, ob für die Schuldnerin eine derartige medizinische Vorbereitung sichergestellt werden kann. Insofern war es nicht ausreichend anzunehmen, die gründliche medizinische Vorbereitung sei bei einer Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher, die mit der Einweisung in eine Notunterkunft verbunden sei, nicht gewährleistet.

Vielmehr waren Feststellungen insbesondere dazu erforderlich, ob die notwendige medizinische Vorbereitung vor dem Räumungstermin vom Gesundheitsamt oder durch die Inanspruchnahme fachlicher Hilfe seitens des Schuldners für seine Ehefrau, gegebenenfalls einschließlich einer vorübergehenden stationären Betreuung, sichergestellt werden könnte. Das Beschwerdegericht hätte auch prüfen müssen, ob es dem Schuldner zumutbar ist, die Gefährdung seiner Ehefrau durch Suche einer neuen und angemessenen Unterkunft auszuschließen. Dann wäre die Zwangsräumung nur befristet einzustellen, bis eine andere Wohnung gefunden und bezugsfertig ist. b) Im Rahmen der erneuten Entscheidung wird das Beschwerdegericht allerdings auch seine Annahme, bei gründlicher medizinischer Vorbereitung sei ein Umzug für die Schuldnerin ohne gesundheitlich nachteilige Folgen durchführbar, einer Überprüfung unterziehen müssen. Die vom Beschwerdegericht in Bezug genommene Stellungnahme des psychiatrischen und neurologischen Dienstes der Stadt Düsseldorf vom 11. Juli 2006 führt aus, dass von fortbestehender Räumungsunfähigkeit ausgegangen werden müsse. Daraus lässt sich nicht ohne weiteres entnehmen, dass bei entsprechender ärztlicher Vorbereitung Räumungsfähigkeit besteht. In dem ebenfalls vom Beschwerdegericht herangezogenen Gutachten Dr. P. (GA 47 ff.) heißt es, ein Briefwechsel zwischen dem Schuldner und einem Düsseldorfer Hospiz belege eindrucksvoll, dass für die bedarfsgerechte Pflege der Schuldnerin zurzeit keine pflegerische Einrichtung die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen könne (GA 59). Aus dem Gutachten ergibt sich im Übrigen anschaulich die Hypersensibilität der Schuldnerin gegenüber Duft- und Reizstoffen. Bisher nicht erkennbar in die Abwägung des Beschwerdegerichts eingeflossen ist auch das hohe Alter der Schuldner.

Bornkamm Pokrant Büscher Bergmann Kirchhoff

Vorinstanzen: AG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.06.2006 – 666 M 1625/06 LG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.11.2006 – 25 T 564/06

Das Ableben des FR Forums Politik und Gesellschaft

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Ein Nachruf

„Auch mächtige Wasser können das Wissen nicht löschen;

auch Ströme schwemmen es nicht weg.“

(Hohelied 8.7 modifiziert entsprechend dem Anlass)

Neun Monate durften wir im Forum Politik und Gesellschaft der Frankfurter Rundschau schreiben. Neun Monate Zeit hatten wir, unser Wissen über Multiple Chemikalien Sensitivität in die Öffentlichkeit zu tragen.

Ein FR Artikel als Stein des Anstoßes:

Am 3. November 2007 veröffentlichte die Frankfurter Rundschau einen doppeltseitigen Artikel mit dem Titel „Wenn Parfüm zur Ohnmacht führt“ und ein Interview mit dem RKI Mitarbeiter Herrn Dr. Dieter Eis. Viele MCS Kranke erfuhren im Forum von CSN über den Artikel und auch chemikaliensensitive FR Leser informierten sich untereinander über den Artikel. Der Artikel löste insbesondere wegen der Äußerungen des Giessener Professors Dr. Thomas Eikmann unter den Patienten Protest aus. Denn Herr Prof. Dr. Eikmann bestritt auch in jenem Gespräch der FR Autorin, wie schon so oft, die Existenz einer von der WHO und auch von dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation DIMDI gelistete Krankheit: MCS (ICD-10-T78.4)

Zitate aus dem Artikel über MCS:

„Wir haben MCS noch nicht nachgewiesen“, sagt Eikmann, räumt aber ein, dass von allen Patienten, die die Umweltambulanz aufsuchten, im Schnitt fünf Prozent übrig bleiben, „bei denen wir offen lassen müssen, was sie haben“. „Aber bei den meisten Patienten, die für sich reklamierten, wegen Chemikalien-Belastung in der Umwelt erkrankt zu sein, finden sich in deren Umgebung nur die üblichen Schadstoff-Konzentrationen, denen wir alle ausgesetzt sind: Sie haben auch kein besonderes Geruchsvermögen“. Der Stoffwechsel sei normal. „Alles, was die Patienten angeben, können wir wissenschaftlich nicht nachweisen“ bilanziert Eikmann…

Thomas Eikmann weiß genau, wie sehr die Patienten leiden. „Wenn jemand chronische Schmerzen hat, hat das psychische Folgen: Er ist deprimiert, hat Angst: Viele gehen nicht mehr aus dem Haus. Sie bauen sich aufwendige Schutzvorrichtungen, tragen Atemschutzmasken“. Die Verhaltenstherapie, die die Giessener anbieten, soll den Patienten helfen, „wieder normal zu leben“…

Eikmann ärgert sich über manche niedergelassenen Ärzte: „Die diagnostizieren MCS und verschreiben Vitaminpräparate. Dabei klärt die Diagnose MCS gar nichts, weder, was für eine Krankheit jemand hat, noch, was man dagegen tun kann.“ Manche Patienten hätten eine Bindung an ihre Ärzte, „‚wie an eine Sekte“. Sein Team versuche den Patienten andere Erklärungsmuster zu geben, „um sie aus dem Teufelskreis herauszukriegen“. So sollen sie versuchen, Gerüche auszuhalten, ohne gleich umzufallen. Die müssen aus der sozialen Isolierung raus. “

MCS im FR Forum Politik und Gesellschaft

Am 3. November 2007 begann ich damit, jenes Bild, das die Frankfurter Rundschau über Multiple Chemikalien Sensitivität in die Öffentlichkeit getragen hatte, zu korrigieren. Ich eröffnete im Forum „Politik und Gesellschaft“ der Tageszeitung einen Strang:

Wenn Chemikalien Menschen sensibilisieren. Eine Anmerkung zum FR Thema MCS

Dieser Strang wurde sehr schnell von MCS Patienten aufgefunden und hatte in den neun Monaten seines Bestehens zig Seiten und etwa 28.000 Aufrufe, obwohl ab Januar 2008 nur noch einige wenige „Aktivisten“ im Strang regelmäßig mitschrieben.

Viele Diskussionsstränge über wichtige Themen

In der Zeit unserer Anwesenheit im FR Forum haben wir mehrere Diskussionsstränge eröffnet, die ich hier mit der Zahl ihrer Aufrufe aufliste:

  • Wenn Chemikalien Menschen sensibilisieren. Eine Anmerkung zum FR Thema MCS 27.524 Aufrufe
  • Wenn Alltagsdüfte krank machen 11.068 Aufrufe
  • Umfrage: Wird Ihnen von Parfums schlecht? 10.595 Aufrufe
  • Umfrage: Sollen MCS Patienten Provokationstests ausgesetzt werden? 4.249 Aufrufe
  • MCS Ballade Ein Dachverband für’s ganze Land 1.070 Aufrufe
  • Lenor Mystery Shangri, Vernel Aromatherapie, brauchen wir das? 4.039 Aufrufe
  • Die Alpenklinik – Aus heiterem Himmel 4.218 Aufrufe
  • Schadstoff Schulen 2.815 Aufrufe
  • Dufte Schule 1.920 Aufrufe
  • MCS im Mai. Weltweiter Aufklärungsmonat über Chemikaliensensitivität 1.891 Aufrufe
  • Was passiert, wenn ein Arzt in der BRD toxische Schädigung diagnostiziert 21 Aufrufe
  • Lösemittel als Krankheitsursache 3.055 Aufrufe
  • Dioxin in Lebensmittel 3.803 Aufrufe
  • Gentechnik – Fortschritt oder Untergang? 4.894 Aufrufe
  • Resultat eines Arbeitslebens als Maler 1.733 Aufrufe
  • Der Preis der Milch 779 Aufrufe
  • Brustkrebs heilen. Prostatakrebs heilen. Eine Anmerkung zum FR Artikel 4.081 Aufrufe
  • „Kampf dem Karzinom“ oder „Was Sie schon immer über Brustkrebs wissen wollten 5.440 Aufrufe
  • Das Anti Krebs Buch 5.609 Aufrufe
  • GesundheitPro Expertenforum Umwelt und Gesundheit 260 Aufrufe

Kritische Beiträge nicht mehr länger erwünscht

Der Strang „GesundheitPro Expertenforum Umwelt und Gesundheit“, in dem ich Zitate aus einem Artikel der kostenlosen Apotheken Umschau vom 15.Juli 2008 veröffentlichte bzw. auf das eröffnete Forum zu diesem Artikel aufmerksam gemacht hatte, wurde sofort nach der Eröffnung durch die Moderation des Forums geschlossen.

Anfang August kündigte der Moderator des FR Forums dessen bevorstehende Schließung an.

Es verblieb noch kurze Zeit, um einzutragen, „Was passiert, wenn ein Arzt in der BRD toxische Schädigung diagnostiziert“ und die Stellungnahmen aus den USA öffentlich zu machen.

Wenige Tage später verschwand dann zunächst das FR Forum Politik und Gesellschaft. Das Forum für den Lokalteil bestand noch und man konnte das Forum Politik und Gesellschaft noch im Cache über Google finden. Dann konnte man nur noch die jeweils erste Seite eines Strangs aus dem Forum Politik und Gesellschaft über Google lesen. Und schließlich verschwand das gesamte FR Forum aus dem Netz.

Letztes Zeichen eines Forums

Dass es das Forum einmal gab, kann man aktuell noch an diesem Eintrag im Cache von Google finden:

„Dies ist das Cache von Google von http://forum.fr-online.de/forum/forumdisplay.php?f=1.

Es handelt sich dabei um ein Abbild der Seite, wie diese am 12. Aug. 2008

vBulletin-Systemmitteilung Das Forum ist geschlossen.

„Powered by: vBulletin Version 3.0.7 (Deutsch) 2000 – 2008, Jelsoft Enterprises Ltd.“

Nun, es war eine produktive Zeit für uns Nutzer des Forums der Frankfurter Rundschau. Und wie heißt es in Traueranzeigen immer: Wir sind froh, es gehabt zu haben. Ja, wir sind froh jenes Forum, das von vielen gelesen wurde, gehabt zu haben.

Vielleicht haben unsere Beiträge hier und da einen Menschen zum Nachdenken angeregt. Zum Nachdenken über viele Zusammenhänge, die sonst nur wenigen Menschen bekannt werden.

Ruhe sanft, liebes FR Forum

Wir behalten Dich in guter Erinnerung

Alkohol in Parfums und Duftstoffen verstärkt Gesundheitsbeschwerden

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Die schwedische Wissenschaftlerin Eva Millqvist forscht seit vielen Jahren nach den Ursachen von Hypersensitivitätsreaktionen bei Menschen mit Chemikalien-Sensitivität und sensorischer Hyperreaktivität. Parfums und Duftstoffe gehören zu den häufigsten Auslösern für die Reaktionen bei diesen Personengruppen. In ihrer Mitte Juli erschienenen Doppelblindstudie berichtet Millqvist ihre allerneuesten Erkenntnisse. Bei mit Duftstoffen versehenen Produkten und Parfüm könnte als Ursache die Kombination von Ethanol als Lösungsmittel bei empfindlichen Personen die Atemwegsreaktion verstärken.

Parfums und Duftstoffe besonders problematisch

Ethanol (normaler Alkohol) dient in Parfums und duftstoffhaltigen Produkten in erster Linie als Lösemittel, Füllstoff, Haftvermittler und Trägersubstanz. Aftershaves und Eau de Toilette enthalten einen besonders hohen Ethanolgehalt, ebenso manche Reinigungsmittel wie beispielsweise Glasreiniger.

Den Ursachen auf der Spur

Ein Aspekt, den Millqvist und ihr Team in ihrer aktuellen Studie zur Erklärung von Atemwegssymptomen aufgriffen, die durch Chemikalien und Duftstoffe ausgelöst wurden, ist die sensorische Hyperreaktivität (SHR) der Nerven in den Schleimhäuten der Atemwege. Patienten mit SHR zeigen eine erhöhte Hustenreaktion auf inhaliertes Capsaicin (Wirkstoff von Chili), vermittelt durch TRP-(transient receptor potential) Ionenkanäle. In Tierversuchen wurden einige TRP-Kanäle durch Ethanol verstärkt, weshalb das Ziel in der aktuellen Millqvist Studie darin bestand zu untersuchen, ob vorherige Inhalation von Ethanol die Capsaicin-Hustenreaktion bei Patienten mit SHR in irgendwelcher Weise beeinflussen kann.

Sauberes Studiendesign enttarnt Alkohol als Wirkungsverstärker

Fünfzehn Patienten mit SHR und 15 gesunde Kontrollpersonen wurden in drei Sitzungen mit zwei Konzentrationen von inhaliertem Capsaicin provoziert. Vor jeder Provokation mit Capsaicin wurde vorhergehend inhalativ Kochsalz oder eine von zwei Konzentrationen von Ethanol in einer doppeltblinden, randomisierten Verfahrensweise verabreicht. Die Studienteilnehmer reagierten in Dosis abhängiger Weise mit Husten auf die Inhalation von Capsaicin. Bei den Patienten, aber nicht bei der Kontrollgruppe, erhöhte vorhergehende Inhalation von Ethanol die Hustenantwort in Dosis abhängiger Weise.

Alkoholhaltige Duftstoffe als Problem erkannt

Millqvist und ihr Team ermittelten, dass eingeatmetes Ethanol die Hustenreaktion auf Capsaicin (Chili) bei Patienten mit sensorischer Atemwegshyperreaktivität verstärkt. Das Studienergebnis legt nahe, dass die Pathophysiologie von SHR mit TRP-Rezeptoren in den sensorischen Nerven der Schleimhäute der Atemwege zusammenhängt. Diese Erkenntnis könnte eine wichtige Erklärung dafür darstellen, dass Chemikaliensensible und Personen mit sensorischer Hyperreaktivität über Beschwerden durch alkoholhaltige Duftstoffverbindungen wie Parfums und Aftershaves ganz besonders häufig klagen.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 18. Juli 2008

Übersetzung: Karlheinz

Literatur: Millqvist E, Ternesten-Hasséus E, Bende M., Inhaled ethanol potentiates the cough response to capsaicin in patients with airway sensory hyperreactivity, Department of Respiratory Medicine and Allergology, Asthma and Allergy Research Group, The Sahlgrenska Academy at University of Gothenburg, S-413 45 Gothenburg, Sweden. Pulm Pharmacol Ther. 2008 Jun 22.

Afrika – Menschen mit MCS leiden besonders unter Pestiziden

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Hitze, Feuchtigkeit – ideale Brutplätze für Moskitos – Malaria. Durch die Bevölkerungsexplosion im Hochland im Südwesten von Uganda wurden fruchtbare Feuchtgebiete in Moskitolöcher verwandelt. Malariagebiet. Allein im Jahr 1999 starben dort schätzungsweise 100 000 Menschen an der Malaria. Durch die USA wurden Hilfsmaßnahmen durchgeführt. Pestizide sollten Rettung bringen, doch die gesundheitlichen Nebenwirkungen sind groß. Auch in Afrika gibt es Menschen mit Chemikalien-Sensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity), sie trifft es besonders. 

Pyrethroide im Großeinsatz
Die Malaria Kontrollinitiative von U.S. Präsident Bush wurde 2005 ins Leben gerufen  und führte dazu, dass im Distrikt Kabale, an der Grenze zu Ruanda, Hunderte von Häusern mit einem Pestizid gegast wurden. Verwendet wurde das Pyrethroid Lambda-Cyhalothrin (ICON). Ganz abhängig von den Chemikalien, die als weiterer Inhaltsstoff verwendet werden, ist das Pestizid leicht bis sehr gefährlich. Rund ein halbes Jahr ist das Pyrethroid, das auf die Wände gesprüht und vergast wird, aktiv. 

Pyerthroid verursacht Gesundheitsbeschwerden
Trotz dass man das Projekt zur Bekämpfung von Malaria überwachte, klagten viele Bewohner von 107 000 behandelten Häusern über Symptome. Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und temporärer Hörverlust wurden insbesondere beklagt, sagte ein Offizieller, der seinen Namen aus Furcht nicht nennen wollte. Er selbst litt unter Niesen und tagelang anhaltendem Husten. Nicht verwunderlich, denn die Bewohner der pestizidbehandelten Häuser hatten keine Schutzkleidung wie die Arbeiter, die die Gifte ausbrachten, und waren dann anschließend dem Gift in ihren Häusern bis zu dessen Zerfall ausgesetzt.

Schaden- Nutzenabwägung statt ungiftige Alternativen
Von Seiten der Gesundheitsbehörde versuchte man hingegen, das Pestizid und dessen Anwendung zu verteidigen. Man stellte den Nutzen und die Effektivität des Pyrethroids in der Moskitobekämpfung heraus. Die Menschen hätten nur kurzfristig unter Jucken der Haut gelitten, wenn sie mit den besprühten Wänden in Kontakt gekommen wären. Der Rest wurde verschwiegen und dass es ungiftige Alternativen gibt, kam nicht zur Sprache.

Chemikaliensensible sind besonders gefährdet
Alex Muhwezi, ein Repräsentant von IUCN (eine internationale Vereinigung zum Erhalt der Natur) beschrieb ICON als ein normal übliches Pestizid, dass von der WHO für Innenräume zur Bekämpfung von Malaria anerkannt sei. Anerkannt für seine Wirksamkeit, nicht dass es unschädlich für Menschen ist. Seiner Auffassung nach käme es vor allem darauf an, wie das Pestizid gehandhabt würde. Am  Wichtigsten dabei sei zu wissen, dass eine Person, wenn sie vor dem Kontakt mit dem Pyrethroid bereits krank gewesen oder allergisch auf Parfum oder auf Insektensprays sei, dass diese Person dann mit schlimmen Auswirkungen rechnen müsse.

Wer krank ist hat das Nachsehen

Man weiß im afrikanischen Uganda somit ganz genau, dass bestimmte Pestizide, wie das in Kabale eingesetzte Pyrethroid ICON, auf kranke, chemikaliensensible und allergische Menschen sehr gefährlich wirken können, eine Tatsache, die nicht in jedem Land so deutlich ausgedrückt wird. Aber wie sieht die Prävention für diese krankheitsbedingt besonders anfälligen Menschen aus? Sie leben meist in großer Armut, wohin sollten sie unterdessen ausweichen, um den angenommenen schweren gesundheitlichen Folgen zu entkommen?

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 28. Juni 2008 

Literatur: IPS, HEALTH-UGANDA: USAID’s Malaria Control Plan Risks Public Disapproval, 25. Sept. 2006