Wurde Eure Chemikalien- Sensitivität / MCS schnell als solche diagnostiziert oder habt Ihr eine Odyssee von Arzt zu Arzt durchlebt?

Arzt verabschiedet Patientin mit MCS DiagnoseEinigen wissenschaftlichen Studien zufolge dauert es meist eine Weile, bis eine Person, die auf geringste Spuren von Alltagschemikalien wie Zeitungsdruck, Parfüm, Weichspüler, Benzin, Farbe, Zigarettenrauch, Putzmittel, etc. mit Symptomen reagiert, von einem Arzt richtig diagnostiziert wird. Oft haben niedergelassene Ärzte keine Erfahrung mit Chemikalien-Sensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity) und suchen verzweifelt danach, was ihren Patienten fehlt. Mancher Arzt, der kein Fachwissen im Bereich Umweltmedizin hat, geht von einer psychischen Störung aus und ist nicht in der Lage, dem Patienten adäquat zu helfen, was weitere Verschlimmerung zu Folge hat.

MCS-Blofrage:

  • Wie viele Ärzte musstet Ihr aufsuchen, bis die Diagnose gestellt wurde und wie viel Zeit ging ins Land?
  • Welche Fachrichtung hatte der Arzt, der bei Euch MCS diagnostizierte?
  • Wäre Euch Eurer Meinung nach Leid erspart geblieben, wenn Eure Chemikalien-Sensitivität schneller diagnostiziert worden wäre und der Arzt Euch zumindest Vermeidungsstrategien erklärt hätte?

WIDERGELGT: Die Lüge, Chemikalien-Sensitivität (MCS) sei nicht anerkannt/Teil II

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Chemikalien-Sensitivität durch Justitia persönlich anerkannt

Es gibt sie, die Anerkennungen bei Gericht. In den USA, Schweden und auch in Deutschland. Womit auch die Lüge „Chemikalien-Sensitivität ist nicht anerkannt“ durch Justitia persönlich widerlegt wurde.

Der lange Weg zum Recht

Zwischen Recht haben und Recht erhalten kann ein langer, zermürbender Weg liegen. Ein guter Anwalt alleine ist noch lange nicht die „halbe Miete“, wenn es zu Prozessen kommt, bei denen Menschen klagen, die durch Chemikalien krank wurden.

Was dazu gehört, um Recht zu erhalten:

  1. Aufrichtige Richter, die sich in die Materie einarbeiten

  2. Mutige Ärzte, die Untersuchungen veranlassen und belegte Schädigungen durch Chemikalien und deren Auswirkungen auf Gesundheit und Alltag attestieren

  3. Eiserne, unerschütterliche Anwälte mit medizinischen und toxikologischen Kenntnissen, die sich nicht ins Bockshorn jagen lassen

  4. Ehrliche Gutachter, die Willens sind, das Vorhandene korrekt zu dokumentieren, zu interpretieren und Falschgutachten zu widerlegen

  5. Sachverständige, die Berge von Material sichten, Ordnung darin schaffen und für Anwalt und Gericht verständlich aufbereiten

  6. Der Erkrankte selbst, der immer wieder ärztlich dokumentieren lässt, mit Akribie und Fleiß Beweise sammelt, seine Akten auf Vordermann hält und nie seinen Mut und Kampfgeist aufgibt

  7. Etwas Glück und ein gewisses finanzielles Potential

  8. Schlussendlich Durchhaltekraft für alle Beteiligten

Durchhaltekraft und ein Packen handfester Beweise

Doch auch dann, wenn alle an einem Strang ziehen, ist der Sieg vor Gericht noch nicht 100% in der Tasche, denn neben einigen notorisch „nicht verstehen wollenden“ Richtern stehen meist mächtige Interessen auf der Gegenseite. Diese Gegenseite versucht grundsätzlich alles nur Erdenkliche, um einen Sieg zugunsten des Geschädigten zu verhindern. Bekannte Falschgutachter werden auf den Plan gerufen, unwahre Behauptungen aufgestellt, gefälschte Studien angeführt, etc.

Wer jedoch gleich den Kopf in den Sand steckt, hat auch schon gleich verloren.Die nachfolgenden gerichtlichen Erfolge sollen Mut und Kampfgeist vermitteln.

Vollrente durch Landessozialgericht bestätigt

Prozesse bei Gericht können dauern. Im Jahr 2006, fünf Jahre nach einem obsiegenden Urteil am Sozialgericht Düsseldorf, bestätigte das Landessozialgericht das obsiegende erstinstanzliche Urteil eines chemikaliensensiblen Mannes. Die Rentenversicherung NRW war gegen das Urteil mit Berufung vorgegangen. Der anerkannt durch Pestizide berufskranke Kläger (TE II b; PNP; MCS) erhielt die erstinstanzlich zugesprochene Vollrente nachbezahlt, und sie wurde ihm auch für künftig zugestanden. Das Gericht hatte der beklagten Landesversicherungsanstalt in der mündlichen Verhandlung nahe gelegt, die Berufung zurückzunehmen. Die Beklagte tat dies ohne weiteren Kommentar. Das zuvor gefällte Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf aus dem Jahr 2000 wurde damit im Januar 2006 rechtskräftig. 

Im Gerichtsprotokoll stand zu lesen:

„Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass ausweislich der ärztlichen Bescheinigung von Dr. M. beim Kläger mit einer erheblichen Symptomatik (Missempfindungen, Kopfschmerzen, Palpationen der Augenlider und verschiedener Muskelgruppen sowie Herzrhythmusstörungen) zu rechnen ist, wenn er Chemikalien ausgesetzt ist, die in ihrer Höhe von der Durchschnittsbevölkerung gut toleriert würden.“

„Auch diese Bescheinigung im Zusammenhang mit den medizinischen Unterlagen der Berufsgenossenschaft machen deutlich, dass die Verwendungsmöglichkeiten des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch im Hinblick auf die mögliche Exposition von Chemikalien drastisch eingeschränkt ist. Die Beklagte hat keine Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf die der Kläger noch zumutbar verweisbar wäre, benannt oder benennen können. Dies wäre aber im Hinblick auf die schwere gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers und daraus resultierende weitreichende Leistungseinschränkung erforderlich gewesen.“ (1)

Rente durch Gericht zuerkannt

Ein Angestellter war auf seinem Arbeitsplatz in der Süßwarenindustrie durchschnittlich sechs Mal im Jahr Chlorpyrifos, einem in den USA seit Jahren verbotenen Insektizid der Organophosphatklasse, ausgesetzt gewesen. Als Folge litt er auch unter Chemikalien-Sensitivität. Im Jahr 2000 erhielt der Mann richterlich 35 % berufsbedingte MdE/Rente zugestanden. Zu den gerichtlich anerkannten Folgen zählte u.a.: „Sensibilisierung gegenüber Gerüchen und Schadstoffen, insbesondere Pestiziden“. (2)

Bundesgerichtshof erkennt MCS an

Bereits vor fast 11 Jahren wurde in Deutschland ein Urteil zugunsten einer chemikaliengeschädigten Frau, die an MCS erkrankt war, gefällt. Der Bundesgerichtshof hob damit die ablehnende Entscheidung der Vorinstanzen „in Bausch und Bogen“ auf, wie RA Krahn-Zembol 2001 es in der Fachzeitung UMG beschrieb. (3)

„Die Klägerin hatte zivilrechtliche Schadensersatz – und Ausgleichsansprüche gegenüber einer 3 km entfernten Lackieranlage, von der erhebliche Geruchsemissionen ausgegangen waren, geltend gemacht. Die Klägerin hatte vorgetragen, dass insbesondere der Geruch von Lösungsmitteln und anderen toxischen Substanzen bei ihr erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit, Ödembildung, Sehstörungen, Haarausfall, Schwächung des Immunsystems etc. verursacht und ihre Schulunfähigkeit herbeigeführt habe“. (3)

Richter sagt: „Nein“ zum Versprühen von Duftstoffen

Duftstoffe verursachen bei Chemikaliensensiblen schwere Reaktionen und gehören zu den Chemikalien, die am häufigsten als Auslöser beklagt werden. Das Oberlandesgericht Düsseldorf erkannte die Problematik und sprach sich gegen das Versprühen von Duftstoffen aus:

„Der Wohnungseigentümer einer Wohnanlage darf im Treppenhaus nicht eigenmächtig Duftstoffe versprühen und damit bestimmen, dass diese von allen benutze Räumlichkeit in ganz bestimmter, von ihm als angenehm, von anderen Eigentümern als störend empfundener Weise zu riechen habe“. Der Wohnungseigentümer habe nicht das Recht, „gewissermaßen die Atmosphäre vorzuschreiben, die die übrigen Eigentümer im Hausflur zu riechen haben„. (4)

Offizielle Anerkennung von MCS

In einem Schreiben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wurde MCS als „Somatisierungsstörung auf dem Boden eine prädisponierenden Persönlichkeitsorganisation“ bezeichnet. Als Reaktion darauf startete die Redaktion der umweltmedizinischen Zeitung „Umwelt-Medizin-Gesellschaft“ (UMG) eine Umfrage bei MCS Kranken und fragte nach amtlichen Anerkennungen von MCS als Behinderung, in denen anders verfahren worden war. (5) Der UMG wurden damals fünf Bescheide aus dem norddeutschen Raum zugestellt. Gemäß den amtlichen Dokumenten wurden Chemikaliensensiblen seit 1990 durch Versorgungsämter in verschiedenen Bundesländern eine Anerkennung des Schwerbehindertenstatus zuerkannt, auch mit ausdrücklicher Anerkennung von MCS. Die der UMG zugesandten Anerkennungen lagen bei GdB 30 bis GdB 80. (6) CSN liegen Bescheide mit ausdrücklicher Anerkennung von MCS mit GdB 30 bis GdB 100 aus verschiedenen Teilen Deutschlands vor.

Schwedisches Gericht schützt Chemikaliensensible

Eine Schwedin, die in Växjö auf der Insel Malmö lebt, darf in weiten Teilen ihres Gartens nicht mehr rauchen. Grund: Der Bewohner des Nachbarhauses hatte geklagt, weil er sein Grundstück nur noch mit Gasmaske benutzen konnte. Der Anwalt hatte seine Klage nach jahrelangem Streit damit begründet, dass der Mann unter „extremer Empfindlichkeit“ gegen Nikotin leide. Bei Rauchentwicklung vom Nachbargrundstück sei er stets zum Anlegen einer Gesichtsmaske gezwungen. Das Gericht gab dem Kläger nach einer Besichtigung vor Ort weitgehend Recht und verbot der Frau das Rauchen in allen an das Nachbarhaus angrenzenden Teilen ihres Gartens. Die uneinsichtige Raucherin sagte daraufhin: „Völlig verrückt. Dieser Mann läuft doch sowieso immer mit Maske ‚rum.“ Nach dem endgültigen Gerichtsentscheid muss die Frau sich nun an die vorgegebenen Rauchzonen in ihrem eigenen Garten halten, da sie sonst damit rechnen muss, ein Bußgeld auferlegt zu bekommen. (7)

USA – Berge von MCS Anerkennungen

Die Liste aller Rechtsfälle, die von amerikanischen Chemikaliensensiblen gewonnen wurden, würde viele Seiten in Anspruch nehmen. Alleine bis zum Jahr 1998 gab es 8 Bundesgerichtsentscheide, 21 Landesgerichtsentscheide und 14 Entscheidungen zugunsten von Chemikaliensensiblen in Fällen gegen die Berufsunfähigkeitsversicherung, die bekannt wurden. (8) Wir beschränken uns daher auf eine kleine Auswahl zu Verdeutlichung der Situation in Amerika.

Beweislast liegt in den USA beim Verursacher

In den USA liegt die Beweislast beim Verursacher, das stellt einen erheblichen Vorteil für Kläger dar, die durch Chemikalien erkrankten und möglicherweise Chemikalien-Sensitivität entwickelten. Da die Erkrankung in den USA schon wesentlich länger bei Ärzten diagnostiziert wird und teils auch renommierte arbeitsmedizinische und Umweltkliniken helfen, Beweise für den durch Chemikalien geschädigten Kläger zu schaffen, gibt es dort weitaus mehr Urteile, die zugunsten des Opfers ausgehen. Weitere Punkte, weshalb über dem großen Teich Erkrankte mehr Erfolge zu verzeichnen haben, ist, dass die Entschädigungssummen ganz andere Dimensionen erreichen und Anwälte auf Provisionsbasis arbeiten.

US Gericht erkennt MCS vor fast 30 Jahren als Behinderung an

Als Schwerbehinderung wurde Chemikalien-Sensitivität (MCS) in den USA erstmals 1979 von den Gerichten anerkannt. (8) Seit dieser Zeit haben amerikanische Chemikaliensensible viele Rechte und Zugeständnisse als Behinderte erkämpft. Im Jahr 1992 wurde eigens ein Memorandum verfasst. (9)

Der US District Court Hawaii (US Bezirksgericht in Hawaii) erklärte MCS 1979 als Schwerbehinderung und befahl dem Department of Health, Education (Ministerium für Gesundheit und Bildung) und der Welfare Division (Sozialhilfe), einem MCS Patienten Sozialhilfe zukommen zu lassen. (8)

US Staatsanwälte schützen Chemikaliensensible

Ein Generalstaatsanwalt aus New York führte 1991, unterstützt durch weitere Generalstaatsanwälte aus 25 US-Bundesstaaten, erfolgreich eine Petition bei der US Consumer Product Safety Commission (Kommission für Verbrauchersicherheit) durch. Durch diese Petition kam es zur Auferlegung von Sicherheitsstandards in der Industrie, die dazu führten, dass auf Teppichboden, Teppichbodenklebern und Polsterfüllungen Warnetiketten angebracht werden müssen, die beim Verkauf darauf hinweisen, dass der Verdacht besteht, dass diese Materialien Chemikalien-Sensitivität (MCS) und andere Krankheiten auslösen. (8)

US Gerichte erkennen MCS durch Arbeitsplatz an

Chemikaliensensibilität entsteht häufig durch Chemikalien am Arbeitsplatz, demgemäß führen Erkrankte Prozesse gegen die Verursacher. Einige Beispiele für frühe Urteile zugunsten der Erkrankten:

  • Oregon Court of Appeals legte fest, das ein Möbelverkäufer aufgrund von MCS Arbeitsunfähigkeitsrente bekam, 1986
  • Robinson gegen Saif Corp, Workers Compensation, 1987
  • Kyles gegen Workers Compensation Appeals Board,1987
  • McCreary gegen Industrial Commission of Arizona, 1992

US Gerichte sprechen sich gegen Diskriminierung von MCS aus

Diskriminierung im Gesundheitswesen:

Hall, Buffallo, Molloy und Lent gegen Kenneth Kizer/Molly Coe / California Department of Health Services. Die Kläger gewannen 1989 das Recht, wegen ihrer Chemikalien-Sensitivität Sauerstoffversorgung zu erhalten. (8)

US Gericht spricht Entschädigung zu

Produkthaftung: Bahura, Watkins, Shapiro, Lively-Dibold, Biggs gegen S.E.W. Investors et al. Die Kläger bekamen im Jahr 1993 Entschädigung für ihre durch toxische Exposition im Gebäude der Hauptverwaltung der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA, entstandene Chemikalien-Sensitvität. (8)

Einsatz für Recht und Gerechtigkeit

Wir bedauern, dass wir hier aus Platzgründen natürlich nur eine ganze kleine Auswahl an Beispielen vorstellen konnten, bei denen Chemikalien-Sensitivität gerichtlich anerkannt wurde. Es gibt viele weitere Fälle, denen wir allen zum Dank verpflichtet sind, weil sie viel Kraft dafür einsetzten, um Recht letztendlich zum Wohle von uns allen zu erkämpfen.

Danke an alle, die als Chemikaliensensible um Recht kämpften – Mut und Erfolg für alle, die jetzt und in Zukunft dafür kämpfen!

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Senstitivity Network, Mai 2008

Literatur:

  1. RA Herrmann, Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 13.12.2000, Az.: S 5 RJ 116/99
  2. RA Herrmann, BG GroLa Mannheim Az.: E1/02620/966 BK 1307,13.03.2000
  3. RA Wilhelm Krahn-Zembol, BHG Urteil zu Gunsten einer MCS Erkrankten, Umwelt-Medizin-Gesellschaft 14 3/2001, S. 263. Urteil vom 17. Juni 1997, Az:VI ZR 372/95
  4. OLG Düsseldorf, Urteil gegen Duftstoffe im Treppenhaus, AZ: 3Wx98/03
  5. Umwelt-Medizin-Gesellschaft 15 (3/2002):197
  6. MCS offiziell anerkannt, Umwelt-Medizin-Gesellschaft, 2006
  7. Gerichtsurteil: Schwedin darf in Teilen ihres Gartens nicht mehr Rauchen, Kölner Stadtanzeiger, 23.08.07
  8. MCS Referral & Resources, Recognition of MCS as a Legitimate Disease and Disability, 23.10.2006
  9. MEMORANDUM FOR: Frank Keating, General Counsel,G, Equal Opportunity and Administrative Law, GM, SUBJECT: Multiple Chemical Sensitivity Disorder and Environmental Illness as Handicaps, March 5, 1992

WIDERLEGT Lüge Nummer 1: MCS existiert nicht

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Chemikalien-Sensitivität (MCS) wurde immer wieder als Behinderung/ Schädigung in Gerichtsprozessen in verschiedenen Ländern anerkannt

Seit den fünfziger Jahren wird in der Medizin mit steigender Tendenz über Menschen berichtet, die auf geringste Konzentrationen von Chemikalien reagieren, auf die die Allgemeinbevölkerung keine nennenswerten Beeinträchtigungen zeigt. Anfangs waren es nur einzelne Ärzte, wie der amerikanische Arzt Theron Randolph, die auf die Symptome dieser Menschen auf minimale Konzentrationen von Abgasen, Pestiziden, Druckerschwärze, Duftstoffe, etc. aufmerksam geworden waren und darüber berichteten. Heute sind es Ärzte in nahezu jedem Land, die Patienten mit Chemikalien-Sensitivität betreuen.

Warum leiden plötzlich Millionen an einer „nicht existenten“ Krankheit?

Eines ist seit den ersten Beschreibungen der Krankheit gleich geblieben, die Menschen, die Erkrankten, hatten in der Regel nie zuvor von MCS gehört. Sie kannten sich in den allerseltensten Fällen (Ausnahme z.B. Gruppe von Personen von einem Arbeitsplatz, an dem sie gemeinsam durch Chemikalien krank wurden). Die Chemikaliensensiblen stammten vielmehr aus den verschiedensten Ländern oder Regionen, gehörten nicht der gleichen Rasse, Bevölkerungsschicht, Berufsgruppe oder dem gleichen Bildungsniveau an. Manche davon leben sogar in entlegenen Gegenden ohne Fernsehen, Zeitung oder anderen Möglichkeiten, um je von der Krankheit gehört oder gelesen zu haben. Treffender, als es Marlene Catterall aus Ottawa bei einer Debatte des kanadischen Unterhauses sagte, kann man die Situation der Chemikaliensensiblen kaum beschreiben:

„Es gibt da beim Management und der Regierung einige Tendenzen, die diese Probleme (Umweltsensibilitäten) nicht ernst nehmen und die glauben lassen, dass sie es mit einer Gruppe von Hypochondern zu tun haben. Ich denke, kein verantwortungsbewusster Arbeitgeber kann wirklich glauben, dass eine Gruppe von Angestellten plötzlich über Nacht zu Hypochondern wird. Dies sind sehr reale Probleme, sie sind nicht unbekannt in der internationalen Wissenschaft und verdienen sehr ernsthafte Aufmerksamkeit seitens der Regierung.“ (1)

Hunderte von Studien für eine Krankheit, die es nicht gibt?

Ab den sechziger Jahren fing man an, wissenschaftlich über Chemikaliensensitivität zu forschen, und erste Doppelblindstudien belegten schon damals, 1963, dass die Beschwerden der Patienten real sind und Erkrankte sich von Normalpersonen durch ihre Reaktionen auf Chemikalien unterscheiden. (2-4) Heute ist die Zahl der wissenschaftlichen Studien auf über 800 angewachsen (5,6).

Behörden weltweit einer „nicht existenten“ Krankheit aufgesessen?

Aus den verschiedensten Ländern wird Bericht über chemikaliensensible Menschen erstattet. Epidemiologische Studien aus aller Herren Länder belegen, dass nahezu überall dort, wo Chemikalien verstärkt zum Einsatz kommen, es auch Menschen gibt, die chemikaliensensibel sind. Behörden nehmen das Gesundheitsproblem dieser Patientengruppe zunehmend zur Kenntnis und erörterten in Berichten, beriefen eigens dazu veranlasste Kongresse, verankerten Gesetze zum Schutz dieser Patientengruppen, und Ministerien beriefen Patientenvertreter in Gremien, die Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit treffen. Richter sprachen in zahlreichen Fällen Recht hat zu Gunsten Chemikaliensensibler.

Es gibt in den USA und Kanada seit vielen Jahren von staatlichen Behörden und Gewerkschaften geführte Programme, die für eine effektive Integration von Chemikaliensensiblen sorgen, statt sie völlig aus der Gesellschaft auszustoßen. Das erste groß angelegte Programm startete 1993. Es gab dazu sogar Arbeitsbücher und ein Video für Mitarbeiter und Vorgesetzte zur besseren Veranschaulichung. (7-9) Und würden Behörden tatsächlich Häuser bauen für Menschen mit einer Krankheit, die nicht gibt?

Würde eine „nicht existente“ Krankheit an renommierten Kliniken diagnostiziert?

Mediziner in Kliniken und Praxen in den verschiedensten Ländern diagnostizieren Chemikalien-Sensitivität bei ihren Patienten. Zum Verbund der amerikanischen und kanadischen Kliniken für Arbeits- und Umweltmedizin, kurz AOEC genannt, gehören viele der renommiertesten Kliniken weltweit. Harvard, Johns Hopkins, Yale, Mount Sinai sind darunter. In diesen Kliniken zählt Multiple Chemical Sensitivity seit Jahren zu den Diagnosen, die am Häufigsten gestellt werden. Niemand käme auf die Idee, die Qualifikation dieser Kliniken in Abrede zu stellen, indem er behauptet, man diagnostiziere dort eine Krankheit, die es überhaupt nicht gibt. (10)

Würde Diskriminierung einer Krankheit geahndet, wenn es sie nicht gibt?

Die kanadische Menschenrechtskommission tritt explizit für die Rechte von Chemikaliensensiblen ein und bietet diesen Menschen in jedem einzelnen Fall von Diskriminierung Hilfe an. Zum Tatbestand der Diskriminierung gehört auch eine Behauptung gegenüber einer an MCS erkrankten Person, dass er unter eine Krankheit leide, die nicht existiert. Maxwell Yalden, ehemals Vorsitzender der Kanadischen Menschenrechtskommission, äußerste sich zu der Behauptung „MCS existiert nicht“, bereits 1990 in unmissverständlicher Form:

„Ich und meine Kollegen empfinden alles, was Umweltsensibilität betrifft und alle damit verbundenen Angelegenheiten als sehr bedauerlich. Es gibt eine Tendenz in vielen Kreisen, diese Erkrankung tot zu reden oder so zu behandeln, als gäbe es sie nicht. Sie schütteln ihre Köpfe; sie sagen, es gibt einfach keine Möglichkeit, mit manchen Menschen umzugehen. Unsere Einstellung jedoch ist, dass es ein Problem ist, ein echtes Problem. Es ist ein Problem, unter dem manche Menschen leiden, und sie leiden sehr schmerzhaft. Sie leiden noch mehr wegen des Demütigungsfaktors. Niemand nimmt sie ernst. Wir glauben, dass es ein großes Ausmaß öffentlicher Missverständnisse gibt, und wir möchten versuchen, sie zu beseitigen.

Wir werden jeder Beschwerde von jeglicher Person nachgehen, die glaubt, dass man sie diskriminiere, weil sie an Umweltsensibilitäten leidet. Es ist nicht an uns, über medizinische Sachverhalte ein Urteil zu sprechen – und es gibt medizinische Sachverhalte. In der Medizinwelt gibt es ein großes Ausmaß von Meinungsverschiedenheiten bzw. Fehlen von Einstimmigkeit betreffs dieses Syndroms. Wir denken, es ist klar, dass es eine Krankheit ist. Es ist ein Problem. Es ist keine Illusion. Ich denke, wir alle haben die Aufgabe, den Menschen zu helfen zu verstehen, was involviert ist und etwas dagegen zu tun.“ (11)

Und seit wann können Mäuse perfekt lügen?

Auch wenn jemand all diesen Millionen von chemikaliensensiblen Menschen aus den verschiedensten Ländern und ihren Ärzten keinen Glauben schenkt und vielmehr davon ausgeht, dass die Patienten und deren Ärzte aus bislang unerfindlichen Gründen plötzlich eine Krankheit kreieren und es schaffen, ein solches Mysterium über ein halbes Jahrhundert am Leben zu halten und sogar dafür zu sorgen, dass immer mehr Menschen darunter leiden, so bleibt für diese Ungläubigen eine die Tatsache: Mäuse können weder lügen, noch sind sie hysterisch veranlagt. Labormäuse können nicht als Krönung der Perfektion in kontrollierten Studien Chemikalien-Sensitivität simulieren (12).

Autor: Silvia K. Müller, Mai 2008

Literatur: Anm.: Man könnte Hunderte von Literaturstellen aus aller Welt aufführen, wir beschränken uns auf eine begrenzte Zahl von Beispielen zur Veranschaulichung.

  1. Marlene Catterall, M.P. ( Ottawa West), Hansard, House of Commons Debates, 5. Juni, 1990
  2. Kailin, E. and C. Brooks. 1963. Systemic toxic reactions to soft plastic food containers: a double-blind study [of MCS patients]. Med.Ann.Washington DC 32:1-8.
  3. Kailin, E. and C. Brooks. 1965. Cerebral disturbances from small amounts of DDT; a controlled study [of MCS patients]. Med..Ann.Washington DC 35:519-524.
  4. Kailin, E. and A. Hastings. 1966. Electromyographic evidence of DDT-induced myasthenia [in MCS patients]. Med.Ann.Washington DC 35:237-245.
  5. Silvia K. Müller, Wissenschaftlicher Sachstand zu MCS, CSN Blog, Jan.2008
  6. MCS Bibliographie, http://www.csn-deutschland.de/mcs_bib_main.htm
  7. Multiple Chemical Sensitivities at Work: A Training Workbook for Working People, New York: The Labor Institute, 1993
  8. Videotape „MCS: An Emerging Occupational Hazard.“ New York: The Labor Institute, 1993
  9. Job Accommodation Network, Tracie DeFreitas Saab, Accommodation and Compliance Series: Employees with Multiple Chemical Sensitivity and Environmental Illness, 01/02/06.
  10. AOEC Clinic Directory, 2005 -2008
  11. Maxwell Yalden, former CHair Canadian Human Rights Commission, Hansard, House of Commons Minutes of Proceedings and Evidence of the Standing Commitee on Human Rights and the Status of Disabled Persons, 10. Mai 1990
  12. Anderson RC, Anderson JH., Sensory irritation and Multiple Chemical Sensitivity, Toxicol Ind Health. 1999 Apr-Jun;15(3-4):339-45.

Diagnostik von Chemikalien-Sensitivität / MCS in der Praxis

arzt-im-patientegesprach-ii.jpgDiagnostik von Chemikalien-Sensitivität / MCS in der Praxis Im Durchschnitt waren Menschen, die unter Chemikalien-Sensitivität leiden, bei sechs verschied-enen Ärzten, bevor ihnen mitgeteilt wurde, was sie haben. Aber es gibt auch Fälle, die über sechzig Mediziner aufsuchten und immer noch keine plausible Diagnose in der Hand halten.

Die diagnostische Feststellung einer Chemikalien-Sensitivität (Multiple Chemical Sensitivity – MCS) ist an sich nicht so schwer wie vermutet. Sachkundige Ärzte in Kliniken und Praxen setzen zur Feststellung spezifische MCS Fallkriterien erfolgreich ein. Wissenschaftler aus den USA, Kanada und Japan überprüften die derzeit gebräuchlichsten MCS Fallkriterien, den American Consensus. Sie wendeten diese Kriterien in klinischen Studien an und befanden, dass sie die bislang beste Falldefinition zur Diagnostik darstellen, um Patienten mit MCS mit höchster Wahrscheinlichkeit zu identifizieren, solange kein MCS- spezifischer Marker gefunden ist.

Von Arzt zu Arzt und keiner findet etwas

Seit mehr als 50 Jahren werden Menschen, die auf minimale Konzentrationen von Alltagschemikalien mit leichten bis stark behindernden Symptomen reagieren, gar nicht oder fehldiagnostiziert. Vielen Erkrankten wird sogar unterstellt, sie würden simulieren, übertreiben oder seien nur „nicht ganz richtig im Kopf“. So mancher von ihnen musste seine Arbeit aufgeben, weil dort kein Verständnis für ihn vorhanden war oder Schadstoffe vor Ort das Arbeiten für ihn unmöglich machten. Eltern müssen sich für ihr chemikaliensensibles Kind nach einer schadstofffreien Schule umsehen oder sogar für Unterricht zu Hause sorgen, weil es an der jetzigen giftbelasteten Schule immer kränker wird.

Hürden über Hürden führen in eine Zwangsisolation

Auch im Alltag haben chemikaliensensible Menschen größte Schwierigkeiten. All das, was in unserer Gesellschaft als normal gilt, ist ihnen nicht möglich. Sie müssen immer wieder Absagen gegenüber Freunden und der eigenen Familie erteilen, ganz gleich, ob es sich nun um einen Schwimmbadbesuch oder eine Geburtstagseinladung handelt, weil sie dort auf das Chlorwasser oder parfümierte Mitmenschen reagieren. Nicht einmal die Tageszeitung zur Teilnahme am Weltgeschehen ist für chemikaliensensible Menschen lesbar, weil sie mit Kopfschmerzen, Schwindel oder ähnlichem auf die starken Lösungsmittelausdünstungen der Druckerschwärze reagieren. Selbst Fernseher oder Computer zum Kommunizieren können von einigen der Erkrankten nicht mehr benutzt werden, weil die ausgasenden Flammschutzmittel zu körperlichen Ausfällen bei ihnen führen. All dies führt für Hypersensible früher oder später zwangsläufig zu totaler Isolation, aus der oft kein Weg herausführt.

Korrekte Diagnose statt Ignoranz verbessert Prognose

Ist Chemikalien-Sensitivität als korrekte Diagnose gestellt, eröffnet sich den betroffenen Menschen die Möglichkeit sich zu schützen. Mit entsprechender Anleitung werden Erkrankte mittels gezielter Vermeidungsstrategien auf längere Sicht in die Lage versetzt, wieder mehr Toleranz aufzubauen. Bleibt eine korrekte Diagnose aus, oder wird die Krankheit gänzlich ignoriert, wird die Möglichkeit verhindert, sich auf die Krankheit richtig einzustellen, und es ist im Verlauf eine Verschlimmerung bis hin zu totaler Behinderung zu erwarten.

Geringer Aufwand reicht zur Diagnostik einer MCS

Es braucht keine riesige, ultramoderne Hightech Klinik und aufwendige Labordiagnostik, um Chemikalien-Sensitivität zu diagnostizieren, sagte Albert Donnay, ein Wissenschaftler, der seit vielen Jahren die umfassendste Bibliographie über MCS verwaltet. Mehr als die Anwendung von speziellen MCS Fallkriterien sei nicht erforderlich, ein Symptomfragebogen wie der QEESI könne zur leichteren Erstellung der Anamnese genommen werden. Erfülle ein Patient die MCS Fallkriterien, leide er mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit unter Chemikalien-Sensitivität. Alles an weiterer Diagnostik diene nur der Festigung der eigentlichen Diagnose, Feststellung oder Ausschluss weiterer Krankheiten und dem Ermitteln von vorhandenen Schädigungen.

Donnay war Coautor der jüngsten und nun weitläufig gebräuchlichsten MCS Falldefinition, dem American Consensus. Dieser wurde ursprünglich 1993 mit Forschungsgeldern der amerikanischen Behörden NIEHS und NIOSH im Rahmen einer Studie erstellt (1). Diese MCS Falldefinition dient zur Diagnostik und Definition der von der WHO mit dem mit international gültigen Krankheitscode ICD-10 T78.4 einklassifizierten Erkrankung Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS). Sie bestand ursprünglich aus 5 Kriterien zur Diagnostik der weltweit vornehmlich in Industrieländern auftretenden Krankheit. Der American Consensus wurde durch 39 Ärzten und Wissenschaftlern mit großer Erfahrung über diese Krankheit unterzeichnet. Eine Gruppe von 89 namhaften Ärzten und Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachgebieten und weitreichender Erfahrung mit Chemikalien-Sensitivität ergänzte diese Fallkriterien 1999 auf der NIH Atlanta- Konferenz um ein weiteres 6. Kriterium.

Definition Chemikalien-Sensitivität (MCS) – American Consensus

Von 89 führenden amerikanischen Wissenschaftlern wurde die vormals häufig angewendete Definition für MCS von Cullen, einem langjährigen Berater der Industrie, die in der Praxis Mängel aufwies, modifiziert. Sie stellt sich wie folgt dar:

  1. Die Symptome sind mit (wiederholter chemischer) Exposition reproduzierbar
  2. Der Zustand ist chronisch
  3. Minimale Expositionen (niedriger als vormals oder allgemein toleriert) resultieren in Manifestation des Syndroms
  4. Die Symptome verbessern sich oder verschwinden, wenn der Auslöser entfernt ist
  5. Reaktionen entstehen auch gegenüber multiplen nicht chemischen Substanzen
  6. Die Symptome involvieren mehrere Organsysteme. (1999 ergänzt)

Asthma, Allergien, Migräne, Chronische Müdigkeit Syndrome und Fibromyalgie stellen keine Ausschlussdiagnose für MCS dar.

USA – Bewertung und Anwendung der American Consensus Kriterien

Die American Medical Association (vergleichbar dt. Ärztekammer) schlug zusammen mit der American Lung Association (Med. Vereinigung für Lungenkrankheiten), der U.S. Environmental Protection Agency (Umweltschutzbehörde) und der U.S. Consumer Product Safety Commission in einem Consensus vor, dass man die Diagnosekriterien von Nethercott anwenden solle, und dass MCS formell bei Personen, bei denen alle 6 Consensuskriterien zutreffen, diagnostiziert werden solle, gegebenenfalls zusätzlich zu jedweden anderen bei diesen Personen diagnostizierten Erkrankungen. Bereits 1994 hatten diese Fachgesellschaften und Behörden bekannt gegeben, dass MCS Beschwerden nicht als psychogen missverstanden werden sollten.

Kanada – Bewertung der American Consensus Fallkriterien

Die Forschungseinheit für Umwelthypersensibilität der Universität Toronto, geleitet unter dem Epidemiologen Prof. Dr. Gail McKeown-Eyssen, bewertete verschiedene veröffentlichte Falldefinitionen für Umweltsensibilitäten und Multiple Chemikalien-Sensitivität, einschließlich dem American Consensus und dessen Ergänzung 1999. Die Wissenschaftler aus Toronto befanden, dass die 1999 vervollständigte Definition die beste Falldefinition derzeit ist, um die Patienten mit Umweltsensibilitäten und MCS am genauesten zu diagnostizieren (2).

Weiterhin fand das Wissenschaftlerteam heraus, dass die Patienten, auf die die Fallkriterien des American Consensus von 1999 zutrafen, häufiger als die Patienten, die keine Umweltsensibilitäten oder MCS hatten, unter folgenden vier Symptomen litten: benommen und erschöpft; Konzentrationsstörungen; sich „benebelt“ fühlen; stärkerer Geruchssinn als bei den meisten Menschen. In einer später durchgeführten Studie konnten die Wissenschaftler genetische Unterschiede bei Patienten mit Chemikaliensensibilität gegenüber einer Kontrollgruppe feststellen (3). 

Japan – Bewertung der American Consensus Fallkriterien

Wissenschaftler der Universität Tokio, Abt. Psychosomatik, führten eine kontrollierte Studie durch, um die MCS Falldefinition im täglichen Leben zu bestätigen. Das 12-köpfige Wissenschaftlerteam kam zum Ergebnis, dass MCS Patienten, auf die die Fallkriterien des American Consensus von 1999 zutrafen, unter chemiefreier Umgebung frei von somatischen oder psychischen Symptomen sind. Die Symptome traten nur auf, wenn die MCS Patienten gegenüber Chemikalien exponiert waren (4).

MCS diagnostizieren – kein Problem

Die erweiterte MCS Falldefinition American Consensus wird von Wissenschaftlern aus aller Welt erfolgreich zur Diagnostik in der Praxis und in wissenschaftlichen Studien zur Erforschung der Erkrankung eingesetzt. Albert Donnay, Mitautor der Diagnosekriterien, teilte mit, dass bisher kein falsch positiver oder falsch negativer Fall bekannt geworden sei (5). In 42 Studien wurde die American Consensus Falldefinition bis 2006 zugrunde gelegt oder benannt (6). Entsprechend tragen neuere Forschungsstudien, bei denen der American Consensus als Diagnosekriterium korrekt angewendet wird, zur erheblich Aufklärung der Krankheit bei.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Mai 2008

Literatur:

  1. Nethercott JR, Davidoff LL, Curbow B, Abbey H., Multiple chemical sensitivities syndrome: toward a working case definition, Arch Environ Health. 1993 Jan-Feb;48(1):19-26.

  2. McKeown-Eyssen GE, Baines CJ, Marshall LM, Jazmaji V, Sokoloff ER, Multiple Chemical Sensitivity: Discriminant validity of case definitions, Department of Public Health Sciences, Faculty of Medicine, University of Toronto, Kanada, Arch. Environ Health, 2001 Sep-Oct: 56 (5):406-12

  3. McKeown-Eyssen G, Baines C, Cole DE, Riley N, Tyndale RF, Marshall L, Jazmaji V: Case-control study of genotypes in multiple chemical sensitivity: CYP2D6, NAT1, NAT2, PON1, PON2 and MTHFR. Int J Epidemiol 2004, 33:971-978

  4. Hojo S, Ishikawa S, Kumano H, Miyata M, Sakabe K., Clinical characteristics of physician-diagnosed patients with multiple chemical sensitivity in Japan, Department of Environmental Science, Shokei Gakuin University, Japan; Department of Psychosomatic Medicine, The University of Tokyo, Tokyo, Japan; Department of Public Health and Clinical Ecology, Kitasato University School of Pharmaceutical Sciences, Tokyo, Japan., Int J Hyg Environ Health. 2007 Dec 20

  5. Albert Donnay, Open letter to CIIN MCS Case Definition Committee, 06 Jul 2007

  6. Albert Donnay, Personal Conversation, 31.05.2006

Umweltmedizin: Genvariationen bei Chemikalien-Sensitivität festgestellt

Hypersensibilität gegenüber herkömmlichen Alltags-chemikalien im Niedrigdosisbereich, auch Chemikalien- Sensitivität (MCS) genannt, wird seit über einem halben Jahrhundert erforscht. Studien aus Kanada, USA und Deutschland zeigen, dass eine genetische Variante die Wahrscheinlichkeit erhöht, Chemikalien-Sensitivität zu entwickeln.

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Es ist hinreichend bekannt, dass Gene durch eine Vielzahl von Chemikalien geschädigt oder verändert werden können. Eine Untersuchungsmethode, die toxische Genschäden von anlagebedingten Genschäden differenziert, existiert zwar mittlerweile, sie ist allerdings mit extrem hohen Kosten verbunden.

Internationale Forschung
Mehrere wissenschaftliche Studien belegen, dass eine genetische Variante es für manche Menschen wahrscheinlicher macht, Chemikalien-Sensitivität zu entwickeln. 2004 untersuchte die Kanadierin Gail McKeown-Eyssen in einer Studie 203 weibliche MCS- Betroffene und 162 weibliche Kontrollpersonen, die sie mittels der MCS Falldefinition American Consensus identifizierte. Sie fand heraus, dass bestimmte genetische Varianten, die sich auf Entgiftungsprozesse beziehen, bei Menschen mit MCS häufiger auftreten als bei Menschen ohne MCS.

Menschen sind verschieden
Hintergrund: Beim Abbau einiger Chemikalien können giftige Nebenprodukte entstehen. Menschen, bei denen der Abbau besonders schnell vonstatten geht (in diesem Fall schnelle Acetylierer), können daher ggf. mehr der dabei entstehenden giftigen Stoffe in ihrem Körper ansammeln, als Menschen, bei denen die Abbauprozesse langsamer ablaufen. „Es hängt von der Substanz ab und davon, welche Zwischenprodukte entstehen, und wie schnell diese aus dem Körper ausgeschieden werden, ob die Tatsache, dass man einen schnellen Stoffwechsel hat, zu einer erhöhten oder verringerten Exposition führt.“ sagt McKeown-Eyssen.

Gene regulieren Entgiftung
Das Gen CYP2D6 (codiert das Entgiftungsenzym Cytochrom P450 2D6), das in seiner aktiven Form bei der Patientengruppe mit Chemikalien-Sensitivität mehr als dreimal so oft vertreten war als bei der Kontrollgruppe, gehört hierzu. Diese aktive Form ist mit entsprechend schnellerer Verstoffwechselung verbunden. Das Gen dient zum Abbau neurotoxischer Chemikalien, von Medikamenten, die das Nervensystem beeinflussen, wie bspw. Antidepressiva, Stimmungsaufheller, Codein und selbst für die körpereigenen Neurotransmitter ist es zuständig. Entsprechend leiden viele Chemikaliensensible zwangsläufig unter Medikamentenintoleranzen.

Schlechte Entgifter tragen höheres MCS Risiko
Frauen mit der schnell arbeitenden NAT2-Variante (N-Acetyltransferase 2), die sogenannten schnellen Acetylierer, wurden bei Chemikaliensensiblen viermal so häufig ermittelt als bei der Kontrollgruppe. NAT2 spielt wie CYP2D6 eine wichtige Rolle bei der Entgiftung von zahlreichen Medikamenten und toxischen Chemikalien, einschließlich aromatischer Amine, einer Chemikaliengruppe, die zur Herstellung von Farbstoffen und Kunstharzen verwendet wird.

Die Personen, die beide Genvarianten aufwiesen, litten sogar 18-mal häufiger unter Chemikalien-Sensitivität. McKeown-Eyssen ist diesem letztgenannten Ergebnis gegenüber jedoch noch vorsichtig, da die Analyse einer solchen Interaktion nicht Teil des ursprünglichen Studiendesigns war. Sie sagt: „Wir müssen mit dieser Beobachtung sehr vorsichtig sein, aber wenn sie wahr ist und wiederholt werden kann, bedeutet dies, dass einige Menschen ein sehr hohes Risiko haben.“

Weitere Beweise für physiologische Ursache von MCS
Wenn die vorgenannten Ergebnisse von McKeown-Eyssen wiederholt werden können, könnten sie einen weiteren Beweis für die physiologische Ursache von MCS darstellen.
Bereits 1994 hat die American Medical Association (AMA, größte Vereinigung von Ärzten und Medizinstudenten in den Vereinigten Staaten) in einer gemeinsamen Stellungnahme zusammen mit anderen Organisationen anerkannt, dass Chemikalienintoleranzen nicht als psychogen abgetan werden sollten.

Leichtes Spiel für Chemikalien
Der renommierte amerikanische Golfkriegssyndrom-Forscher Haley arbeitete ebenfalls in dieser Richtung und hatte schon 1999 in einer Studie eine verringerte Aktivität des PON1-Gens (Paraoxonase 1) bei Veteranen mit dem Golfkriegssyndrom gefunden. Die untersuchten Soldaten waren einer Vielzahl von Chemikalien, darunter in erheblichem Maße Organophosphatpestiziden, weiterhin Impfstoffen gegen Nervengifte, Flugzeugbenzin, Kampfstoffen, etc. ausgesetzt gewesen. Paraoxonase 1 ist besonders für den Abbau von Organophosphaten von Bedeutung.

In Deutschland konnten Schnakenberg et. al. 2006 die von McKeown-Eyssen und Haley gefundenen Resultate über die Genvarianten zum Teil bestätigen. Insgesamt nahmen 521 Personen an dieser MCS Studie teil. Es wurden Genvarianten von vier Genen analysiert: NAT2, GSTM1 (Glutathion S-Transferase M1), GSTT1 (Glutathion S-Transferase theta 1) und GSTP1 (Glutathion S-Transferase Pi Klasse). Die Mediziner fanden heraus, dass Personen, die langsame NAT2 Acetylierer sind, und diejenigen mit homozygot ausgelöschten GSTM1- und GSTT1- Genen, mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit Chemikalien-Sensitivität entwickelten.

Chemikalien & schlechte Entgiftung: Ursache für viele Zivilisationskrankheiten
Die deutschen Wissenschaftler und Mediziner kamen wie andere Forscher zuvor, zu der Erkenntnis, dass die Glutathion-S-Transferase eine wichtige Rolle bei der Entgiftung von Chemikalien spielt. Die Auslöschung dieses Genes könne ein wichtiger Schritt zu den Anfangsstadien von Krankheiten sein. Die Wissenschaftler bemerkten ebenfalls, dass Krankheiten wie das Non-Hodgkin-Lymphom, Leber- und Prostatakrebs, sowie Alzheimer, gewöhnlich mit durch GSTP1 verstoffwechselten Chemikalien in Zusammenhang gebracht wurden. Die Löschung des GSTP1-Gens bewirkt eine höhere Empfindlichkeit dieser Personen für die Entwicklung dieser Krankheiten, da ein Mangel an diesen Genen einen geringeren Schutz vor oxidativem Stress bedeutet.

Wissen schützt vor weiterem Schaden
Die drei genannten Studien stellen eine wichtige Entdeckung dar, die eine weitere biologische Basis für die Ätiologie von MCS liefert. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich auch effizientere Herangehensweisen für eine Therapie ableiten, denn diese spezielle Patientengruppe ist wesentlich fragiler und ist auch in der Regel außerstande, chemikalienbasierte Medikamente einzunehmen oder zu schnell durchgeführte invasive Therapien schadlos zu überstehen.

Autor:

Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, April 2008

Literatur:

  • Eckart Schnakenberg, Karl-Rainer Fabig , Martin Stanulla, Nils Strobl , Michael Lustig , Nathalie Fabig and Werner Schloot,  A cross-sectional study of self-reported chemical-related sensitivity is associated with gene variants of drug-metabolizing enzymes, Environmental Health 2007, 6:6
  • McKeown-Eyssen G, Baines C, Cole DE, Riley N, Tyndale RF, Marshall L, Jazmaji V: Case-control study of genotypes in multiple chemical sensitivity: CYP2D6, NAT1, NAT2, PON1, PON2 and MTHFR. Int J Epidemiol 2004, 33:971-978
  • Haley, RW, Billecke, S, La Du, BN (1999). Association of low PON1 type Q (type A) Acetyl esterase activity with neurologic symptom complexes in Gulf War Veterans. Toxicology and Applied Pharmacology 157(3):227-33
  • Spivey, Angela: Genes and Sensitivity, Environmental Health Perspectives, 113(3), 2005.