Psychopharmaka: Wirksam? Unwirksam? Schädlich? Placebo?

Psychopharmaka, generelle Hilfe in Frage gestelltNeben der Psychotherapie ist auch die medikamentöse Therapie bei psychischen Problemen, oder was man dafür hält, heute weit verbreitet. Von deren Verfechtern erfährt der Kranke nichts über sein verdrängtes Sexualleben sondern wird über die Defizite seiner Hirnchemie aufgeklärt. Auch hier kommt ihm der kulturell gelernte Glaube an die Effektivität von Medikamenten und die Macht und Autorität der Wissenschaft zu Gute. Um derartige Effekte zu berücksichtigen, wird die Wirksamkeit in doppelt blinden Placebo Vergleichsstudien ermittelt, was bei Psychotherapien leider nicht geht. (Auf Probleme im Zusammenhang mit Nebenwirkungen soll in diesem Beitrag nicht eingegangen werden.)

Psychosen

Medikamente zur Behandlung für Psychosen (Neuroleptika) schneiden dabei für die spezifische Behandlung ebenderselben recht gut ab und sind heute ein wichtiges Instrument bei der Behandlung derartiger Erkrankungen. Bei diesen Erkrankungen nimmt man an, dass biologische Fehlfunktionen vorliegen. Es geht dabei im Wesentlichen um das, was man heute als Schizophrenie und als bipolare Störung bezeichnet. Das betrifft jedoch nur eine Minderheit der Personen, die man heute als „psychisch krank“ einstuft.

„Neurosen“

Medikamente für andere Erkrankungen als Psychosen werden i.a. als Antidepressiva bezeichnet und haben sich nach gängiger Meinung als mäßig wirksam erwiesen. Bei Depressionen etwa bei zwei Dritteln der Betroffenen.

Die Studienpraxis

In der Vergangenheit wurden jedoch von den Studien, die Bestandteil des Zulassungsverfahrens bei der amerikanischen FDA waren, meist nur solche veröffentlicht, die positive Ergebnisse für die Wirksamkeit der Psychopharmaka fanden. In einer Metaanalyse von 2008 [1] waren von 74 Studien 38 positiv und 36 negativ bzw. nicht positiv. Von den positiven waren alle bis auf eine veröffentlicht worden, von den negativen dagegen nur drei, 11 weitere wurden so präsentiert, dass der Eindruck eines positiven Ergebnisses erweckt wurde, während die restlichen 22 nie publiziert wurden.

Aufgrund der publizierten Literatur musste so der Eindruck entstehen, dass 94% der Studien positive Ergebnisse brachten, während es in Wirklichkeit nur 51% waren. Die „publizierte Wirkung“ war größer als die tatsächliche. An der herkömmlichen Meinung hinsichtlich der Erfolgsrate einer solchen Behandlung muss also gezweifelt werden.

In einer ebenfalls auf FDA-Daten gestützten Metastudie über Antidepressiva der neuesten Generation (SSRIs) [2] erreichten die Psychopharmaka nur bei extrem depressiven Patienten einen klinisch bedeutsamen Vorteil gegenüber Placebos. Dies jedoch nicht im Sinne einer besseren Wirkung der Medikamente, sondern wegen eines Rückgangs der Placebowirkung.

Die Auswahl der Probanden

In einer neuen umfassenden Studie [3] wird über verzerrende Effekte durch die Auswahl der Probanden bei für die Zulassung durch die FDA eingereichten Studien berichtet. Dort betrug die Remissionsrate bei Depressionen in der für die Studien ausgewählten Gruppe 34,4% gegenüber nur 24,7% bei Depressionspatienten, die man nicht für geeignet hielt. Der Anteil der Patienten, die auf die getesteten Medikamente ansprachen, lag in der Studiengruppe bei 51,6%, in der „nicht geeigneten“ dagegen nur bei 39,1%. Auch hier liegt eine Quelle von Verzerrungen vor, die zu einer systematischen Überbewertung der Wirksamkeit dieser Medikamente führt.

Unspezifische Effekte

Andere empirische Ergebnisse lassen vermuten, dass ein großer Teil des (ja auch bei den aktiven Medikamenten wirksamen) Placeboeffekts in Studien über Antidepressiva schlicht von der Anzahl der Patientenkontakte während der Studien abhängt. Wenn die Patienten öfter zu den Ärzten einbestellt werden, ist der Erfolg größer, unabhängig davon, ob sie ein Placebo oder ein Medikament erhalten haben. Es fand sich eine Verbesserung um 0,6 bis 0,9 Punkte auf der Hamilton Skala zur Messung der Depressionsintensität für jeden zusätzlichen Besuch während der Studien.[5]

Die Biologie

Unser wachsendes biologisches Verständnis zeigt, dass Depression eine extrem komplexe Verhaltensvariante ist, die von einer großen Anzahl von biologischen Mechanismen, Umwelteinflüssen und genetischen Dispositionen reguliert wird, von denen jeder nur einen kleinen Beitrag zum Krankheitsbild leistet. Von Medikamenten, die vermutlich nur einen einzigen Mechanismus beeinflussen (z.B. die SSRIs das Serotonin), kann man daher auch nur einen kleinen Einfluss auf die Gesamtheit der Biologie der Depression erwarten. Es sind von daher im Mittel von vornherein auch nur kleine Effekte zu erwarten. [5]

Unspezifische Wirkung

Antidepressiva zeigen vergleichbare Wirkungen bei Kranken wie auch bei gesunden Menschen und tun dies generell unabhängig von der vorliegenden Erkrankung. Sie wirken also nicht krankheitsspezifisch, was den (und in der Literatur auch strittigen) Krankheitsstatus der damit behandelten Zustände in Frage stellt. Es wurde daher auch schon vorgeschlagen, derartige Substanzen statt als Antidepressiva als generelle „psychische Energetisierer“ zu bezeichnen.[4]

Fragwürdige Praxis

All dies lässt die generalisierte Anwendung von Antidepressiva fragwürdig erscheinen. Auch werden sie zu einem großen Teil Menschen verschrieben, die nicht den Populationen angehören, an denen klinische Studien vorgenommen wurden. Hier fehlt jede empirische Grundlage für die Wirksamkeit. Die Behandlungsdauer liegt häufig über der in klinischen Studien untersuchten. Nebenwirkungen werden meist nur am Rande erwähnt und nicht systematisch untersucht.[5]

Der Nutzen

Aufgrund des oben Gesagten sind Antidepressiva wahrscheinlich nur bei ausgewählten Patienten mit schwerer Depression angezeigt. Vermutlich vorzugsweise nur bei solchen, die schwere Symptome haben und sonst auf nichts anderes angesprochen haben. Für die meisten Patienten mit gewissen depressiven Symptomen, die gegenwärtig Antidepressiva nehmen, wären Antidepressiva nicht die bevorzugte Option gewesen. Placebos wären praktisch genau so gut, wenn nicht besser, und wären toxisch unbedenklich und kostenlos.[5]

Die Moral von der Geschichte?

Loannidis wirft die Frage auf, ob es wirklich unmoralisch wäre, den Mythos dieser Pillen zu zerstören, angesichts der Tatsache, dass der größte Teil der Wirkung von Antidepressiva nur den Placeboeffekt widerspiegelt und die meisten Patienten nur so viel profitieren, wie der Placeboeffekt erlaubt. Man könnte sagen, dass eine Bevölkerung, die darüber informiert ist, dass Antidepressiva nicht wirklich wirksam sind, uns der Vorteile beraubt, die wir durch den Placeboeffekt bekommen, wenn wir diese Medikamente verabreichen. Ist es jedoch nicht andererseits unmoralisch, die Patienten zu belügen, und ihnen vorzuspiegeln, eine Behandlung sei wirksam, wenn sie es in Wahrheit nicht ist? Darüber hinaus: Wenn wir den Placeboeffekt benutzen wollen, wodurch ist es dann gerechtfertigt, dass das die Gesellschaft insgesamt mehr kostet als fast jede andere (wirklich wirksame) pharmakologische Behandlung für irgendeine andere Krankheit? Es ist schon etwas verrückt, für unsere Gesellschaft zu akzeptieren, dass jemand ein Vermögen mit dem offiziellen Verkauf von Placebos macht. [5]

Die Belege für die Wirksamkeit von Psychotherapien (über Placeboeffekte hinaus) sind jedoch nicht besser. [5]

Was man darüber weiß, erfahren wir in Teil Vier.

Autor: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 11. Juli 2009

Teil I und II, sowie weitere Artikel zum Thema:

Literatur:

[1] Turner EH, Matthews AM, Linardatos E, Tell RA, Rosenthal R: Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. N Engl J Med 2008, 358(3):252-60.

[2] Kirsch I, Deacon BJ, Huedo-Medina TB, Scoboria A, Moore TJ, Johnson BT: Initial severity and antidepressant benefits: a metaanalysis of data submitted to the Food and Drug Administration.PLoS Med 2008, 5(2):e45.

[3] Wisniewski S, et. al. „Can phase III trial results of antidepressant medications be generalized to clinical practice? A STAR*D report“, Am J Psychiatry 2009; 166: 599-607. http://www.medpagetoday.com/Geriatrics/Depression/14209

[4] Horwitz, Allen V. (2002), Creating Mental Illness, University of Chicago Press.

[5] John PA Ioannidis (2008). Effectiveness of antidepressants: an evidence myth constructed from a thousand randomized trials?, Philosophy, Ethics, and Humanities in Medicine 2008, 3:14.

5 Kommentare zu “Psychopharmaka: Wirksam? Unwirksam? Schädlich? Placebo?”

  1. Domiseda 13. Juli 2009 um 19:45

    Danke für diesen Artikel.Darf ich anfügen: es gibt allerdings ein Medikament aus der Gruppe der „Psychopharmaka“, das bei MCS-Kranken durchaus ursachen- und krankheitsbezogen von Umweltmedizinern verordnet wird: Samyr. Dieses Medikament hebt den Gluthationspiegel, regt damit die Entgiftung an und beseitigt auf der Basis dieses Denkansatzes Depressionen.Leider enthält Samyr Methacrylat; die Spritzen Mannitol.
    Alternative: SAMe in verschiedenen Dosierungen; Füllstoff: Reisstärke.Hersteller: Klösterl-Apotheke.Individuell dosierte Sonderanfertigungen möglich.

  2. Juliane 13. Juli 2009 um 23:44

    @Domiseda

    S-Adenosylmethionin (SAM-e)

    SAM ist nicht für jeden geeignet. Abzuraten ist es, bei bestehender HPU Erkrankung mit herabgesetztem Histaminwerten. Außerdem kann es auch zu Nebenwirkungen (Magen-Darm-Störungen, Schlafstörungen, Juckreiz). kommen.

    http://de.wikipedia.org/wiki/S-Adenosylmethionin

    Hier im BLOG gibt es auch einige Tipps zum Thema Depressionen:

    http://www.csn-deutschland.de/blog/2008/11/11/depressionen-nicht-immer-ist-die-psyche-schuld/

  3. Juliane 13. Juli 2009 um 23:48

    Zum Thema Psychosen noch eine Anmerkung:

    Zu erst muss mal mal fragen, was ist denn eine Psychose.

    Da darf man gar nicht drüber nachdenken, was so alles unter diese Diagnose einsortiert wird.

    Und dann muss man mal fragen, wie könnte man denn eine Psychose erzeugen?
    Sie auch hier:

    http://www.csn-deutschland.de/blog/2009/06/27/vorsicht-nebenwirkung-medikamente-koennen-bittere-pillen-werden/

    Ja und dann gibt es noch erstaunliche Ergebnisse in Sachen Psychose:

    „Im Rahmen des API-Projekts 1993-1995 wurde auch untersucht, welche Rolle Neuroleptika – es handelte sich damals um klassische, typische Neuroleptika – in der bedürfnisangepassten Behandlung spielen. Wie Projektleiter Prof. Ville Lehtinen laut Alanen betont, ging es in dem Projekt aber primär eben nicht um die Nebeneinwirkungen, sondern um die Position von Medikamenten in der Behandlung, bei der intensiv psychotherapeutisch gearbeitet wird. Die neuen Neuroleptika hätten keine bessere Wirkung auf psychotische Symptome, sondern zeichneten sich vor allem durch die Milderung der Nebeneinwirkungen aus.

    Verglichen wurden eine Experimentalgruppe, die keine (43 Prozent) oder minimale Dosen Neuroleptika erhielt, sowie eine Kontrollgruppe üblicher Neuroleptikadosierung. Insgesamt wurden 106 Patienten über zwei Jahre untersucht. Fazit: „Die Resultate sind ziemlich gut in beiden Gruppen“, so Alanen. …..

    „Wir müssen immer die individuellen Patienten und deren Lebensmilieu berücksichtigen“, so Alanen. Sein Fazit der von ihm mit kreierten Behandlung ist auch nach 30 Jahren positiv: Sie habe sich sowohl therapeutisch als auch ökonomisch (insbesondere durch Reduzierung von Krankenhaustagen) als effektiv erwiesen, verringere Chronifizierung und mache die Behandlung akuter Psychosen mit niedriger Medikamentendosis oder ganz ohne Psychopharmaka möglich. “

    http://www.psychiatrie.de/therapien/article/psychotherapie_als_kern_der_schizophrenietherapie.html

    Wieviel Psychotiker blieben übrig, wenn man die so etikettierten Menschen in eine saubere Umgebung bringen würde, in ein Umfeld mit anderen Menschen, die sich gegenseitig helfen. Wenn man per Ausschlussdiagnostik herausfinden würde, bei wem welche Stoffwechselprobleme vorliegen und die Menschen mit der richtigen Nahrung versorgen würde eventuell wo nötig mit Nahrungsergänzung. Wenn man für tägliche Bewegung an sauberer Luft sorgen würde. Und wenn man den Menschen eine sinnvolle Arbeit geben würde?

    Ich schätze, da mussten viele Psychiater, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter etc. umgeschult werden.

    Und die Träger der Kliniken und Aufbewahrungsanstalten müssten die Räumlichkeiten anderweitig vermieten…

  4. Eric 14. Juli 2009 um 20:42

    Karlheinz, wieder ein klasse Beitrag, der zum Ausdruck bringt, dass die echten Gewinner der häufigen Therapie mit Psychopharmaka, die Arzneimittelhersteller selber sind. Die Patienten müssen oft schwerwiegende Nebenwirkungen erdulden, die man ihnen eigentlich hätte ersparen können.

    Hinzu kommt, dass durch die weit verbreitete
    Psychiatrisierung der Bevölkerung (mittlerweile sogar bei Kindern Normalität) wirtschaftliche Interessen bedient werden. Die Masse an Psychiatern, Psychiatrien und Psychotherapeuten in deutschen Landen, möchten schließlich im Broterwerb stehen und das tun sie alle Mann nicht schlecht.

    Gruß Eric

  5. Henriette 15. Juli 2009 um 12:35

    Oft werden Medikamentenunverträglichkeiten durch die Ärzte nicht ernst genug genommen und es wird leichtfertig der Rezeptblodk gezückt und schon wird einem Psychopharmaka verordnet. Gerade bei MCS-Kranken ist dies mit Skepsis zu betrachten, da ganz klar erwiesen ist, dass es sich bei Multipler Chemikaliensensitivität um eine körperliche Umweltkrankheit handelt. Ärzte die leichtfertig Psychopharmaka verschreiben, handeln meiner Meinung nach grob fahrlässig und nehmen lebensbedrohliche Nebenwirkungen bei ihren Patienten in Kauf. Abgesehen davon handelt es sich im eine Fehldiagnose, MCS ist körperlichen Ursprungs und nicht durch psychische Störungen verursacht.

    Herzliche Grüsse
    Henriette

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