Vorsicht Nebenwirkung – Medikamente können bittere Pillen werden

Medikamente können bittere Pillen werden

Medikamenteneinnahme birgt für Gesunde und Kranke Gefahren

Der Gesundheitsreport 2009 der DAK brachte es an den Tag. Medikamente wie Fluoxetin oder Piracetam werden auch von gesunden Menschen eingenommen, um im Job dem Alltag stand zu halten. Aber die Einnahme von Medikamenten birgt für Gesunde und Kranke immer ein Risiko. Dass Medikamente Nebenwirkungen haben, hat sich schon herumgesprochen. Die Fachleute wissen auch, warum Medikamente krank machen können. Und sie wissen: Medikamente können sogar vollkommen gesunde Menschen krank machen.

Psychiatrische Symptome können Nebenwirkungen sein

Gesetzt der Fall, Sie fühlen sich erschöpft und suchen deshalb ihren Hausarzt auf und der meint es gut mit Ihnen und drückt Ihnen ein Rezept für ein Medikament in die Hand, dass Ihre Stimmung aufhellen soll. Da könnte es passieren, dass Sie – obwohl vorher ansonsten gesund – plötzlich unter Wahnvorstellungen leiden. Dass Sie ein Fall für den Psychiater werden. Das passiert möglicherweise gar nicht so selten, wie man als Laie denkt. Das Problem ist nämlich, dass nicht alle Menschen gleich auf Medikamente ansprechen.

Bei Medikamenten gibt es keinen Otto-Normalverbraucher

Unser Körper arbeitet mit so genannten Enzymen, die Stoffe, die wir aufnehmen, so verändern, dass wir sie auch wieder ausscheiden können. Diese Enzyme in unserer Leber nennen die Mediziner Entgiftungsenzyme und jetzt kommt der Haken: Welche Entgiftungsenzyme man hat, das hängt von unseren Erbanlagen ab. Unsere Gene sind also entscheidend dafür, ob wir ein bestimmtes Medikament vertragen oder nicht. Die Erbanlagen der Menschen sind bekanntlich auf der Welt unterschiedlich verteilt. Sicher hat man schon mal gehört, dass Asiaten aufgrund ihrer Erbanlagen Probleme haben mit Milchprodukten. Sie können den Milchzucker, Laktose genannt, nicht verdauen.

Auch bei den Entgiftungsenzymen, die wir brauchen, um Medikamente zu verstoffwechseln, gibt es Unterschiede in den Bevölkerungsgruppen. Bei unserer einheimischen Bevölkerung fällt auf, dass bestimmte Entgiftungsenzyme vermindert, manchmal auch gar nicht vorhanden sind. Es gibt also keinen Otto-Normalverbraucher bei Medikamenten. Eine Tatsache, die die Fachleute schon lange wissen, aber die in der tagtäglichen Verschreibungspraxis nicht berücksichtigt wird.

Dieser Umgang mit Medikamenten kann schwere Nebenwirkungen zur Folge haben. Der Patient, der wegen Erschöpfung ahnungslos eine Psychopille schluckt, kann im ungünstigsten Fall in der Psychiatrie landen. Und es ist nicht gesagt, dass der Psychiater gleich erkennt, was dem Patienten fehlt. Unter Umständen gibt er verschiedene andere Medikamente, die den Zustand noch verschlimmern.

Der Mediziner Prof. Dr. Joachim Bauer kennt das Problem

„Einer sehr großen Zahl von Patienten werden täglich stark wirksame Psychopharmaka und andere Medikamente verschrieben, ohne dass der Verträglichkeitstyp bestimmt wurde.“

Es besteht daher eine klar begründete Notwendigkeit, die individuelle Medikamentenunverträglichkeit eines Patienten zu bestimmen, bevor man eine Medikamententherapie mit einem Mittel einleitet, das der Entgiftung und Ausscheidung durch eines der relevanten Enzyme unterliegt(….) Da sich die Dosis-Empfehlungen bei Medikamenten, auf die sich die Ärzte beziehen, aber an der Bevölkerungsmehrheit orientieren, werden 40 Prozent der Bevölkerung bei Medikamenten, deren Ausscheidung von den entsprechenden Engiftungs-Enzymen abhängt, systematisch überdosiert; zehn Prozent der Bevölkerung werden bei diesen Medikamenten durch „normale“ Dosen geradezu vergiftet. (J.Bauer, Das Gedächtnis des Körpers)

Mediziner seit Jahren informiert

Die bundesrepublikanische Medizinlandschaft ist nicht uninformiert darüber, dass nicht alle Menschen gleich sind.

Prof. Dr. Bauer schrieb vor 6 Jahren Im Ärzteblatt:

Über 30 Prozent der Bevölkerung weisen gegenüber bestimmten, häufig verordneten Medikamenten eine signifikant reduzierte Entgiftungsfunktion auf. Die Ursache hierfür ist ein Polymorphismus des P450-Enzymsystems (1-3). Angesichts einer inzwischen zur Verfügung stehenden Diagnostik, welche angepasste Dosierungen ermöglichen und das Risiko von Nebenwirkungen massiv reduzieren würde, ergibt sich Handlungsbedarf.

Eine im Journal der American Medical Association publizierte Studie (4) geht in den USA von jährlich 106 000 Todesfällen infolge unerwünschter Medikamentenwirkungen aus, die Fälle schwerer Nebenwirkungen schätzt man auf 2,2 Millionen. In Deutschland wird die Zahl medikamentenbedingter Todesfälle auf 16 000, die ernster Nebenwirkungen auf jährlich über 120 000 Fälle geschätzt (5). Therapien mit Betablockern, Statinen oder Antidepressiva sind bei 20 bis 50 Prozent der Patienten entweder unwirksam oder müssen aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen werden.

Es besteht Einigkeit darüber, dass die Hauptursachen einerseits in der Nichtbeachtung pharmakologischer Interaktionen, andererseits in der fehlenden Berücksichtigung der individuellen Medikamentenverträglichkeit bestehen.

Ähnlich wie die Blutgruppe sollte die individuelle Medikamentenverträglichkeit auf einem dafür bestimmten „Verträglichkeitspass“ eingetragen werden.

(Bauer, Joachim, Arzneimittelunverträglichkeit: Wie man Betroffene herausfischt, POLITIK: Medizinreport)

Und auch Springer informierte die Mediziner online:

„Für eine Reihe anderer arzneimitteltherapeutischer Maßnahmen, etwa vor einer Azathioprin-Therapie (Bestimmung der Thiopurin-Methyltransferase-Aktivität), vor einer 5-Fluorouracilbehandlung (Dihydropyrimidindehydrogenase-Diagnostik) oder vor Therapie mit bestimmten trizyklischen Antidepressiva bzw. Neuroleptika (CYP2D6-Diagnostik) muss man aber heute schon fragen, ob ihre Durchführung ohne eine vorangehende pharmakogenetische Diagnostik noch zu vertreten ist.“

Stand der Pharmakogenetik in der klinischen Arzneimitteltherapie

State of the art of pharmacogenetic diagnostics in drug therapy

In einem ZEIT-Artikel forderte Pharmakologe Jürgen Borlak vom Fraunhofer-Institut schon vor Jahren einen Gentest:

„Die einfache Analyse kostet pauschal ungefähr 400 Euro, doch das wird leider nicht von den Krankenkassen übernommen“, moniert Borlak. Das sei sehr kurzsichtig, denn ein falsches Medikament oder eine Überdosierung könne schnell mehrere Tausend Euro an Folgekosten verursachen. Schätzungen zufolge sterben in Deutschland jährlich etwa 60.000 Menschen im Zusammenhang mit unerwünschten Arzneimittelreaktionen… (Pharmakologe Jürgen Borlak vom Fraunhofer-Institut.)

Die Pharmaindustrie hat im Jahr 2004 20,3 bzw. 14,1 Milliarden Dollar für Antidepressiva und Antipsychotika umgesetzt. Bei Anti-Epileptika lag der Umsatz bei 11,3 Milliarden. Leicht auszurechnen, wie viel „Nebenwirkungspsychosen“ so produziert wurden.

Dringlichkeit von Gentests kein Thema bei den Experten

Warum die gesetzlichen Krankenkassen immer noch nicht aufgewacht sind und auch nicht die Experten in den Ministerien, darüber kann man lange spekulieren.

Selbst das IQWiG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, in Köln bereits 2004 gegründet, hat offenbar noch nicht bemerkt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Was kann man als Patient tun?

Angesichts der Gefahr einer Fehlbehandlung mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit, mithin Arbeitsfähigkeit, sollte man sich den Artikel aus dem Ärzteblatt ausdrucken und damit bei seinem Hausarzt einen Gentest einfordern, bevor man Medikamente schluckt bzw. sich spritzen lässt.

Die Techniker Krankenkasse bietet auf ihrer Internetseite den Ausdruck eines Notfallausweises an: NOTFALLAUSWEIS

Das Ergebnis eines Gentests kann der Hausarzt in den Notfallausweis eintragen.

Menschen mit einer MCS-Erkankung sei ein solcher Gentest dringend angeraten, denn:

Die Umweltmedizin hat Genvarianten bei Chemikalien-Sensitivität festgestellt

Psychopharmaka sind Notfallmedikamente

Die Einnahme von Psychopharmaka sollte ohnehin kritisch betrachtet werden.

Ein Problem der Behandlung mit Psychopharmaka sieht zum Beispiel Prof. .Dr. Joachim Bauer in deren Unspezifität: Psychomedikamente haben im Gegensatz zur Psychotherapie keinen Einfluss auf die individuellen Problemlöse-Fähigkeiten…

Aus diesen Gesichtspunkten ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Einsatz von Psychopharmaka auf Notfälle … beschränkt bleiben sollte.“ (Bauer, J. Das Gedächtnis des Körpers, Seite 143)

Autor: Juliane für CSN – Chemical Sensitivity Network, 27. Juni 2009

Literatur:

Prof.Dr. Joachim Bauer, „Das Gedächtnis des Körpers: Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern“

Bauer, Joachim, Arzneimittelunverträglichkeit: Wie man Betroffene herausfischt

POLITIK: Medizinreport, Dtsch Arztebl 2003; 100(24): A-1654 / B-1372 / C-1288

J. Kirchheiner , A. Seeringer, J. Brockmöller, Stand der Pharmakogenetik in der klinischen Arzneimitteltherapie, State of the art of pharmacogenetic diagnostics in drug therapy, Zeitschrift Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, Stand der Pharmakogenetik in der klinischen Arzneimitteltherapie, Springer online, 4. Oktober 2006.

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4 Kommentare zu “Vorsicht Nebenwirkung – Medikamente können bittere Pillen werden”

  1. Energiefox 27. Juni 2009 um 13:20

    Meine Muter die an Alzheimer verstarb, bekam
    einen ganzen Cocktail an Medikamenten. Ich denke
    kein Mensch kann da abschätzen wie die Wirkung war. Super diese Info Juliane, hier mal ein Link zu einem Buch das auch supergute Aufklärungsarbeit geleistet hat.
    http://www.bittere-pillen.de/bipi/das_buch.html
    Gruß Energiefox

  2. Silvia 30. Juni 2009 um 23:12

    Eine MCS Aktivistin aus Irland schickt folgenden Auszug zur Erinnerung:

    CYP 2D6: Dieses Enzym der Phase I der Detoxifikation ist an mehreren biochemischen Stoffwechselschritten beteiligt. Die Prävalenz fur Variationen des Enzyms liegt bei rund 40%. Ca 25% aller Arzneimittel sind Substrate des Enzyms, darüber hinaus auch viele Umweltgifte. Auch in den Serotonin-Melatonin-Zyklus ist es involviert. Besonders hervorzuheben ist allerdings dass es fast alle Psychopharmaka inklusive der Anti-Depressiva und der Neuroleptika verstoffwechselt. Wenn also nach der Meinung der Autoren [ ] bis zu 75% der Umweltpatienten einen psychosomatischen Hintergrund haben, werden viele mit solchen Medikamenten behandelt. Besteht dann ein Polymorphismus des Cytochrom P450 2D6 mit eingeschränkter oder gar fehlender Enzymaktivität, folgt mit Sicherheit eine Unverträglich- bzw Ueberdosierungskeitsreaktion. Da man den Grund dafür wegen der fehlenden Genuntersuchung aber nicht erkannt hat, wird dem Patienten fälschlicherweise fehlende Einsicht in die psychogene Krankheitsursache unterstellt, da er, die Medikation wegen Unverträglichkeit verweigernd, „sich sogar gegen die Einnahme von Pschopharmaka zur Wehr setzt“. Diese „Renitenz“ stellt ihn nur noch weiter in die psychosomatische Ecke. In diesem Falle muss dem Therapeuten ein Kunstfehler vorgeworfen werden, den er bei Beachtung des [Paragraphen] 4 (Fortbildungpflicht des Arztes) der ärztlichen Berufsordnung leicht hätte vermeiden köpfen.
    KIRCHHEINER et a; stellen die Vertretbarkeit einer Therapie mit Trizyklika oder Neuroleptika ohne vorausgegangenen Genanalyse des CYP 2D6 in Frage.

    aus: Hans-Peter Donate und Richard Straube, Leserbrief auf HERR, C, OTTERBACH, D., HORNBERG, C, EIKMANN, T, WISSMUELLER, G.A.: Klinische Umweltmedizin, Deutsches Ärzteblatt 105(30):532-531. Veroeffenlicht in Umwelt, Medizin, Gesellschaft, Verlagsbeilage 4/2008, Seite VII

  3. Spider 7. Juli 2009 um 13:49

    Bittere Pillen führen in den meisten Fällen zu weiteren Krankheitsfällen, die wiederum zusätzliche Medikation nach sich zieht. Also was für die Patienten ein Dilemma darstellt, ist für die Arzneimittelhersteller kein schlechtes Geschäft.

  4. Henning 13. Oktober 2010 um 17:50

    Man muss bedenken, dass Ärzte immer die letzten sind die Medikamente schlucken. Das sollte schon alles sagen.

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