Jahresarchiv für 2008

Umweltmedizin: Chemical Sensitivity (MCS) durch Farbstoffe in Bonbons

kind-mit-maske.jpg Nahrungsmittel ohne Farbstoffe sind in unserer heutigen Gesellschaft nahezu undenkbar. Bonbons sieht man ihren Farbstoffgehalt an, doch sie werden ganz selbstverständlich auch Wurst, genauso wie Medikamenten, oder Butter zugesetzt. Künstliche Farbstoffe gehören zu den zehn häufigsten Nahrungsmittelallergenen (1). Künstliche wie auch natürliche Farbstoffe können Asthma, Allergien, Hyperaktivität, sogar Anaphylaxis, und schwere Langzeitfolgen verursachen. Der Zusammenhang zwischen Farbstoffen und Allergien gilt als lange bekannt, ist jedoch allgemein unterdiagnostiziert (2,3). Provokationstests sind Pricktests diagnostisch überlegen (3,4,7). Bei Allergien auf Farbstoffe ist Meidung die einzig wirksame Therapie.

Japanische Wissenschaftler der Universität von Yokohama dokumentierten den Fall eines fünfjährigen Mädchens, bei dem eine schwere Chemikalien- sensitivität (MCS) und eine Medikamenten- unverträglichkeit attestiert wurde, welche durch Süßigkeiten, die mit Azofarbstoffen gefärbt waren, ausgelöst wurde (2). Das Kind musste aufgrund der MCS im weiteren Verlauf die Schule wechseln.

Farbstoffe in Nahrungsmitteln
„Das Auge isst mit“, nehmen Hersteller von Nahrungsmittel zum Anlass, um Nahrungsmittel durch Farbgebung ansehnlicher und oft auch frischer aussehen zu lassen. Die meisten Farbstoffe dienen ausschließlich der Optik. Bonbons ohne Farbe beispielsweise werden kaum verzehrt, sie gelten als langweilig und nicht ansprechend. Andere Farbstoffe werden zugesetzt, um Farbschwankungen von Nahrungsmitteln auszugleichen, die durch unterschiedliche Erntezeit bedingt sind. Ungefähr 40 Lebensmittelfarbstoffe, gewonnen aus tausenden von chemischen und natürlichen Verbindungen, sind zugelassen, sie schließen die Farbpalette fast lückenlos. Zu ihnen gehören sogar Metalle wie Aluminium, Silber und Gold, die zum Einsatz kommen, wenn nur die Oberfläche eingefärbt werden soll. Am stärksten verbreitet sind rote, gelbe, orange und schwarze Farbtöne. Blau findet sich wegen seines „Chemiecharakters“, außer bei Süßigkeiten, eher selten.

Sind Farbstoffe in Nahrungsmitteln unbedenklich?
In Nahrungs- und Genussmitteln werden natürliche, künstliche und naturidentische Farbstoffe eingesetzt. Die wenigsten Farbstoffe sind jedoch pflanzlichen Ursprungs, meistens stammen sie aus dem Chemielabor und sind synthetische Nachbildungen von in der Natur vorkommenden Substanzen oder gänzlich chemische Kreationen. Chemische Farbstoffe haben keinen guten Ruf, da sie als Allergieauslöser bekannt sind und sogar Krebs auslösen können. Den schlechtesten Ruf besitzen Azofarbstoffe, die in Nahrungsmitteln, Kosmetika und Medikamenten eingesetzt werden. Sie wurden ursprünglich aus Teer hergestellt, später dann auf Erdöl- oder Erdgasbasis und gelten als die gesundheitsschädlichste Farbstoffgruppe. Ihr Vorteil ist, dass sie hitze- und lichtunempfindlich sind, meist säurestabil und zudem sehr viel preisgünstiger als natürliche bzw. naturidentische Farbstoffe. Der gelbe Azofarbstoff Tatrazin gilt als besonders bedenklich (6, 8, 9, 17,18) wie das nachfolgende Fallbeispiel veranschaulicht. Gefährdet sind vor allem Menschen, bei denen eine Aspirinunverträglichkeit vorliegt (3,17,18).

Farbstoffe können, wie bestimmte Nahrungsmittel, versteckte Ursache für viele Beschwerden sein. Sie sind als Auslöser für Asthma, Hautreaktionen, Schwellungen, Kopfschmerzen, Hyperaktivität, ADHD, Bettnässen, Ohrenentzündung und in schweren Fällen sogar Anaphylaxis bekannt (4,7,9,10,12,17,18). Nur ein Provokationstest bringt letztendlich objektive Bestätigung (3,5,6,7,9,10). Pricktests zeigen oft keine verlässlichen Resultate.

Fallbeispiel: Azofarben – Auslöser von Chemikaliensensitivität (MCS) und schwerer Medikamentenunverträglichkeit
Welche tragischen nachhaltigen Konsequenzen bereits geringe Mengen von Farbstoffen haben, wurde  durch einen Fallbericht über ein kleines japanisches Mädchen deutlich, das durch Genuss von bunten Bonbons eine Multiple Chemical Sensitivity und Medikamentenunverträglichkeiten entwickelte. In der allergologischen Abteilung der Yokohama Universität wurde der Fall genauestens untersucht und dokumentiert (3).

Das fünfjährige Mädchen litt unter schweren wiederkehrenden Reaktionen, begleitet von Urticaria (Nesselsucht), Quincke Ödem, Atemnot, Kopfschmerzen, Verlust des Bewusstseins und Bauchschmerzen, die nicht zu bekämpfen waren. Die Beschwerden verschlimmerten sich durch verschiedene Behandlungen mit Antihistaminika und intravenös verabreichten Corticosteroiden. Der Zustand des Mädchens verschlechterte sich so weit, dass es in die Notaufnahme des Krankenhauses eingewiesen werden musste. Dort besserten sich die Symptome, bis auf Schwellungen und leichtes Fieber. Die Ärzte der Klinik ordneten daraufhin Kontrolle und Beobachtung der Ernährung zuhause an.

Das Führen eines Ernährungstagebuches deckte letztendlich auf, dass die Symptome jeweils nach dem Essen von farbigen Süßigkeiten wie Bonbons und Jellybeans (knallig bunte Zuckerdragees) auftraten. Die Ärzte der University of Yokohama brachten die Reaktionen des Mädchens daraufhin mit Azofarben in den Süßigkeiten in Zusammenhang. Die Mutter erinnerte sich, dass der erste schwere Vorfall erstmalig unmittelbar nach dem Essen von roten Bonbons (sie enthielten Tatrazin und Brillantblau) aufgetreten war.
Es wurden deshalb offene Provokationstests (mit Einwilligung der Eltern) mit Nahrungsmittelzusatzstoffen und entzündungs-hemmenden Medikamenten (NSAIDs) nach Elimination der Süßigkeiten durchgeführt. Die Tests brachten den Nachweis, dass sie auf Azofarbstoffe, Aspirin, Benzoesäure, Acetaminophen und Anästhetika reagiert. Ein Pricktest mit diesen Substanzen brachte kein Ergebnis.

Nachdem Azofarben in der Ernährung des Kindes vermieden wurden, traten die Schwellungen und das leichte Fieber nur noch sehr selten auf. Das Mädchen litt jedoch häufig unter Ausschlag, Schwindel, Kopfschmerzen, Erschöpfung, Engegefühl auf der Brust und Übelkeit, obwohl vermutete Auslöser weggelassen wurden. Die Ärzte stellten fest, dass sie mit diesen Symptomen nun auf viele chemische Gerüche wie Zigarettenrauch, Desinfektionsmittel, Ethanol, Weichspüler und Waschmittel, Lösemittel, Reinigungsmittel, Parfüm und Haarpflegemittel reagierte. Sie bekam die Diagnose schwere Multiple Chemical Sensitivity (MCS), ausgelöst durch Azofarbstoffe. Zur Stabilisierung wurden ihr Vitamine und Glutathion verabreicht. Die Aktivitäten des Mädchens wurden durch die MCS im Alltag in öffentlichen Bereichen sehr stark eingeschränkt. Weil sie Symptome in einigen Räumlichkeiten der Klinik bekam, stellten die Ärzte dort vor ihren Besuchen einen Luftfilter im Raum auf. Auch in der Schule bekam das Mädchen Beschwerden durch Schulmaterialien und Reinigungsmittel. Als die Schule den Eltern verweigerte, einen Luftfilter in der Klasse aufstellen zu dürfen, musste das Mädchen die Schule wechseln. Am Ende zogen die Eltern mit ihrem Kind aufs Land, wo es eine alte Schule besuchen konnte, in der sie symptomfrei am Unterricht teilnehmen konnte.

Autor: Silvia K. Müller, CSN, Januar, 2008

Literatur:

  1. Speer F., Food allergy: the 10 common offenders. Am Fam Physician. 1976 Feb;13(2):106-12
  2. Wilson BG, Bahna SL., Adverse reactions to food additives, Allergy and Immunology Section, Louisiana State University Health Sciences Center, Ann Allergy Asthma Immunol. 2005 Dec;95(6):499-507
  3. Naoko Inomata, Hiroyuki Osuna, Hiroyuki Fujita, Toru Ogawa and Zenro Ikezawa, Multiple chemical sensitivities following intolerance to azo dye in sweets in a 5-year-old girl. Allergology International 2006;55(2):203-205
  4. Wilson BG, Bahna SL., Adverse reactions to food additives, Allergy and Immunology Section, Louisiana State University Health Sciences Center, Ann Allergy Asthma Immunol. 2005 Dec;95(6):499-507
  5. Huijbers GB, Colen AA, Jansen JJ, Kardinaal AF, Vlieg-Boerstra BJ, Martens BP, Masking foods for food challenge: practical aspects of masking foods for a double-blind, placebo-controlled food challenge.Department of Human Nutrition, TNO Nutrition and Food Research Institute, Zeist, The Netherlands. J Am Diet Assoc. 1994 Jun;94(6):645-9
  6. Orchard DC, Varigos GA. Fixed drug eruption to tartrazine, Dermatology Department, Royal Children’s Hospital, Melbourne, Victoria, Australia. Australias J Dermatol. 1997 Nov;38(4):212
  7. Boris M, Mandel FS., Foods and additives are common causes of the attention deficit hyperactive disorder in children. Ann Allergy. 1994 May;72(5):462-8
  8. Thuvander A., Hypersensitivity to Azo coloring agents. Tartrazine in food may cause rash and asthma, Lakartidningen. 1995 Jan 25;92(4):296-8.
  9. Mikkelsen H, Larsen JC, Tarding F., Hypersensitivity reactions to food colours with special reference to the natural colour annatto extract (butter colour), Arch Toxicol Suppl. 1978;(1):141-3.
  10. Zenaidi M, Pauliat S, Chaliier P, Fratta A, Girardet JP., Allergy to food colouring. A prospective study in ten children, Tunis Med. 2005 Jul;83(7):414-8
  11. Nish WA, Whisman BA, Goetz DW, Ramirez DA., Anaphylaxis to annatto dye: a case report.Department of Medicine, Wilford Hall USAF Medical Center, Lackland AFB, Texas, Ann Allergy. 1991 Feb;66(2):129-31
  12. DiCello MC, Myc A, Baker JR Jr, Baldwin JL, Anaphylaxis after ingestion of carmine colored foods: two case reports and a review of the literature, Department of Internal Medicine, University of Michigan Medical Center, Allergy Asthma Proc. 1999 Nov-Dec;20(6):377-8
  13. Lucas CD, Hallagan JB, Taylor SL. The role of natural color additives in food allergy. International Association of Color Manufacturers, USA. Adv Food Nutr Res. 2001;43:195-216.
  14. Zenaidi M, Pauliat S, Chaliier P, Fratta A, Girardet JP., Allergy to food colouring. A prospective study in ten children, Tunis Med. 2005 Jul;83(7):414-8.
  15. Kagi MK, Wuthrich B, Johansson SG., Campari-Orange anaphylaxis due to carmine allergy. Lancet. 1994 Jul 2; 344(8914):60-1.
  16. Denner WH., Colourings and preservatives in food, Hum Nutr Appl Nutr. 1984 Dec;38(6):435-49.
  17. Dipalma JR., Tartrazine sensitivity, Am Fam Physician. 1990 Nov; 42(5):1347-50
  18. John Emsley, Was it something you ate? Oxford University Press, 2005

Umweltmedizin: PET Scan zeigt, dass die Geruchsverarbeitung bei Chemical Sensitivity (MCS) gestört ist

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Seit 1945 sind Wissenschaftler auf der Suche nach Ursachen und Mechanismen von Chemikaliensensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity), einer Erkrankung, bei der Menschen auf geringste Spuren von Alltagschemikalien wie Parfum, Weichspüler, Benzin, frischer Farbe, etc. mit leichten bis schweren, meist neurologischen Symptomen reagieren. Besonders in den letzten zehn Jahren wurden weltweit wissenschaftliche Studien publiziert, die keinen Zweifel mehr daran lassen, dass Chemikaliensensitivität existiert, häufig auftritt und in erster Linie körperliche Ursachen hat. Nur über den zugrundeliegenden Mechanismus rätselt man noch. Ein Wissenschaftlerteam des renommierten Karolinska Institutes, Abt. Arbeitsmedizin, stellte Auffälligkeiten im Gehirn von MCS Patienten nach Einatmen von Gerüchen fest, die bei der Kontrollgruppe nicht vorhanden waren.

Fortschritte in der Diagnostik
Neue Entwicklungen in der Diagnostik haben bei vielen bisher schwer verständlichen Krankheiten Licht ins Dunkel gebracht. Dies dient dem Arzt und dem Patienten, denn es führt oft auch zu besserer Behandelbarkeit. Insbesondere im Bereich der Radiologie hat man mächtige Fortschritte erzielt, was bspw. bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, ALS oder MS erstmals mehr Verständnis brachte. Auch bei chemikalienbedingten Schädigungen versuchen Wissenschaftler, Nachweis der Schädigungen und Störungen im Gehirn durch bildgebende Verfahren wie SPECT und PET zu erbringen, um letztendlich Wissen über zugrundeliegende Mechanismen zu erlangen. Die schon seit längerer Zeit eingesetzten SPECT Scans zeigen dem Mediziner, in wieweit die Durchblutung des Gehirns gestört ist. Beim neueren PET Scans hingegen wird ermittelt, ob der Glukosestoffwechsel beeinträchtigt ist, was noch weiter reichende, nämlich bleibende Auswirkungen hat.

Körperliche Beschwerden nach Chemikalienexposition
Schwedische Mediziner stellten bei einer Doppelblindstudie Auffälligkeiten mittels PET Scan bei MCS Patienten fest, die verschiedene Gerüche einatmen mussten. Als Ausgangspunkt für ihre Studie definierten die Wissenschaftler des Karolinska Instituts Chemikaliensensitivität (MCS) als Charakterisierung somatischer Beschwerden nach Exposition gegenüber Gerüchen, durch einen noch unbekannten Mechanismus. Für die Studie wurden bei 12 weiblichen MCS Patienten und 12 Kontrollpersonen PET Scans (Positronen Emissions Tomographie) nach vorheriger Provokation gegenüber verschiedenen Gerüchen durchgeführt. Im Rahmen der Studie wurde ergänzend die Atemfrequenz gemessen und ein EKG durchgeführt.

Gehirn von MCS Kranken verarbeitet anders
Die Wissenschaftler stellten fest, dass Gerüche im Gehirn von MCS Patienten anders verarbeitet werden als bei normalen Personen. Das Gehirn der Chemikaliensensiblen war in den Regionen, in denen die Gerüche verarbeitet werden, nach Exposition weniger stark aktiviert als bei Kontrollpersonen, abgesehen von den berichteten und physiologisch indizierten Leiden. Gleichzeitig zeigte sich bei der Patientengruppe jedoch eine durch Geruch ausgelöste Aktivierung des vorderen gürtelförmigen Cortex und des Cuneus-Precuneus. Diese abnormalen Muster wurden nur bei Aktivierung durch Gerüche beobachtet. Die Wissenschaftler vermuten daher als Erklärung für ihre Beobachtung, dass hier als Reaktion auf Gerüche eine Umkehrreaktion der Geruchsverarbeitung über den gürtelförmigen Cortex stattfindet.

Ein weiterer Baustein zum besseren Verständnis von MCS
Diese Karolinska Studie ist ein weiterer Baustein in einer langen Reihe internationaler Studien, die zeigen, dass Chemikaliensensible im Gegensatz zu Normalpersonen auf bestimmte Gerüche körperliche Reaktionen entwickeln. In diesem Fall wurde belegt, dass das Gehirn von MCS Patienten Gerüche anders verarbeitet als Normalpersonen und bestimmte Areale durch Einatmen von Gerüchen aktiviert, bzw. deaktiviert werden. Dies lässt auch vordergründig auftretende neurologische Reaktionen bei erkrankten Personen verständlich werden.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Januar 2008

Literatur: Hillert L, Musabasic V, Berglund H, Ciumas C, Savic I. Odor processing in multiple chemical sensitivity. Department of Public Health Sciences, Division of Occupational Medicine, Karolinska Institutet, Stockholm, Sweden, Human brain mapping, 2007, Mar;28(3):172-82

Umweltmedizin: Patienten mit Chemical Sensitivity (MCS) reagieren auf Chemikalien weit unterhalb von Richtwerten

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Während Chemikaliensensitivität (MCS) vor Jahrzehnten eine Krankheit war, die kaum jemand kannte, gibt es mittlerweile immer mehr Menschen, die darunter leiden. Man geht von ca. 15% der Bevölkerung aus, die auf Alltagschemikalien reagieren, die auf die Allgemeinbevölkerung keinen nennenswerten Einfluss haben. Japanische Wissenschaftler halten unsere nahezu luftdichte Bauweise für einen der Hauptgründe für den Anstieg von MCS. Die Vermeidung von Auslösern gilt bisher als die wirkungsvollste Therapie.

Erkenntnis Basis für eine Studie
Ein japanisches Wissenschaftlerteam der Universität Tokio erkannte Multiple Chemical Sensitivity (MCS) als ernstzunehmendes Problem an, dass als Resultat unserer modernen nahezu luftdichten Gebäudekonstruktionen zunehmend eingetreten ist. Hieraus ergab sich für das Forscherteam die Aufgabestellung für eine Studie. Man setzte sich zum Ziel, verantwortliche Chemikalien und ihre Wirkschwelle bei Patienten mit Hypersensibilitätsreaktionen zu identifizieren. Hierzu maßen die Japaner Expositionen gegenüber Carbonyl- und Lösemittelverbindungen bei 15 MCS Patienten und gleichzeitig bei einer Kontrollgruppe. Diese beiden Schadstoffgruppen sollten bei der Patientengruppe, im Gegensatz zur Kontrollgruppe, möglicherweise Reaktionen hervorrufen.

Identifizierung von Auslösern
Um herauszufinden, ob MCS Patienten tatsächlich auf besagte Auslöser reagieren, wurde ein neues Messverfahren eingesetzt, eine Aktiv-Passivsammlermethode. Durch diese Methoden hoffte das Wissenschaftlerteam zu belegen, ob Patienten auf die als verantwortlich bezeichneten Chemikalien reagieren oder nicht.

Studie zeigt klares Resultat
Das Team der Universität Tokiostellte fest, dass Chemikalien bei MCS Patienten Hypersensibilitätsreaktionen auslösen und diese von Patient zu Patient variieren. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass die Konzentrationsschwelle der Chemikalien, die Hypersensibilitätsreaktionen bei einigen MCS Patienten auslösten, weit unterhalb der Richtlinien für Innenraumluft der WHO und zuständigen Japanischen Behörde lag. Dies bedeutet, dass MCS Patienten tatsächlich, wie immer wieder von dieser Patientengruppe berichtet, auf minimale Konzentrationen bestimmter Chemikalien reagieren und Richtwerte kein Schutz für sie darstellen.

MCS Patienten vermeiden Chemikalien, um Reaktionen zu verhindern
Der durchschnittliche Expositionswert während der siebentägigen Untersuchungsphase, war bei MCS Patienten niedriger als bei der Kontrollgruppe ohne MCS. Einige wenige Patienten bildeten eine Ausnahme, da sie auf ihrem Arbeitsplatz noch Chemikalien ausgesetzt waren. Die Wissenschaftler der Universität Tokio deuteten dieses Ergebnis im Rahmen der Studie so, dass MCS Patienten versuchen, von Expositionen gegenüber Chemikalienverbindungen fernzubleiben, die bei ihnen Symptome auslösen. MCS Patienten betreiben also von sich aus genau das, was Umweltmediziner ihren Patienten als Therapie Nummer 1 vorschlagen: Expositionsvermeidung.

Autor: Silvia K. Müller, CSN, Jan. 2008

Literatur: Shinohara N, Mizukoshi A, Yanagisawa Y., Identification of responsible volatile chemicals that induce hypersensitive reactions to multiple chemical sensitivity patients, Institute of Environmental Studies, The University of Tokyo, 1: J Expo Anal Environ Epidemiol. 2004 Jan; 14(1):84-91.

Rücksicht auf Umweltkranke sollte an Schulen selbstverständlich sein

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Gestern bekam ich eine Nachricht über einen Dialog aus dem Forum einer Frauenzeitung. Das Thema drehte sich um die rigide Ausübung der Schulpflicht in Deutschland und deren Anwendung selbst bei kranken Kindern. Diskussionsgegenstand war in diesem Zusammenhang, wie Kinder mit Umweltkrankheiten, auch mit Chemikaliensensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity) daran teilnehmen könnten, wenn es entsprechende Rücksicht gäbe. Alternativ wurde diskutiert, ob man die Schulpflicht ganz abschaffen sollte, damit erkrankte Kinder per Fernunterricht unterrichtet werden können.

Ein bbu Mitglied versuchte Außenstehenden auf sachliche Weise klarzumachen, welche Probleme ein chemikaliensensibles Kind in der Schule hat. Sie berichtete über ein ihr bekanntes Ehepaar mit einer chemikaliensensiblen Tochter. Doch dann kam es knüppeldick. Nach allen Regeln der Kunst wurde sie regelrecht in die Ecke gemobbt und das Thema zerstückelt. Sie wurde sogar in die Richtung einer gefährlichen Sekte gerückt. Tja, gute alte Taktik wenn man Probleme mit einem Thema in einem Forum hat, was nicht zum eigenen Image passt oder einen Interessenkonflikt darstellt – man unterstellt, bringt spezielle Schlagworte ein und schon ist der Laden dicht. Genau das war hier auch das offensichtliche Ziel. Als das erfahrene bbu Mitglied sich nicht aus der Ruhe bringen ließ, wurde durch eine Vielschreiberin des Forums eine andere Strategie aufgefahren. Sie wurde verletzend:

Zitat:

„Wenn es denn wirklich so krass sein sollte .. wie J,,.. hier schildert … dann stellt sich mir die Frage: Brauchen solche extrem MCS Kranke denn überhaupt eine Schulbildung … wozu ???

Nicht so wirklich ??? Oder ???

Ich meine, ein Beruf z. B. schließt sich unter solchen Umständen doch aus … Wozu das ganze … zum Selbstzweck???“

Dieser Ball wurde dann von einer anderen Vielschreiberin des Forums aufgefangen und gekontert:

Zitat:

Nun, sie gründen Selbsthilfegruppen, wenden sich an Sat1 und ähnliche Sender und müssen die Verträge lesen und verstehen können, klagen gegen Versicherungen und Rentenkasse, obwohl schon alle Anwälte aussteigen. Das geht kaum ohne Schulbildung.“

Zu guter Letzt wurde der ganze Thread und alle anderen Threads des bbu Mitglieds gelöscht und sie wurde aus dem Forum gebannt. Richtig gehört, die Bekannte der Eltern des kranken Mädchens wurde verbannt, nicht die diskriminierenden „Ladie“. Sie dürfen immer noch munter weiterschreiben im betreffenden Forum.

Insgesamt eine traurige, schockierende Angelegenheit, die von der Frauenzeitung sehr unprofessionell gelöst wurde. Jedenfalls waren Chemikaliensensible, die den Dialog in diesem Forum verfolgt hatten, erschüttert und fühlten sich geradezu als „wertlos“ dargestellt.

In mir bohrte daraufhin die Frage, ob es tatsächlich überzogen ist, um Integration oder um eine Lösung für einen kranken jungen Menschen zu bitten. Persönlich bin ich der Meinung, dass eine Gesellschaft immer nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied und man darauf achten sollte.

Doch wie denken andere?

Ich startete eine Google Suche und gab die Begriffe „schools, scent free, 2007“ ein. Es sind nämlich vor allem Duftstoffe (Parfüms, Deos, Weichspüler, etc.) mit denen chemikaliensensible Kinder Probleme haben. Der Grund besteht darin, dass diese aus vielen Hundert verschiedenen zum Teil hochgiftigen Chemikalien bestehen. Ich gab mir 15 Minuten Zeit um herauszufinden, ob es ganz aktuell überhaupt duftstofffreie Schulen gibt oder ob Chemikaliensensible anmaßend sind und sich in etwas völlig Utopisches verrennen, mit ihrem Wunsch nach Integration und duftfreien Schulen.

Interessant, was ich in Sekundenschnelle auf dem Tisch hatte. Da tauchten Schulen aus allen Teilen der USA und Kanada auf dem Monitor auf, die über eine Regelung in ihrer Schulordnung verfügen, dass die jeweilige Schule duftfrei ist. Manche sind zusätzlich „nussfrei“, weil es auch Kinder gibt, die so allergisch auf Nüsse reagieren, dass sie eine Schockreaktion bei geringstem Kontakt erleiden. Nicht einmal Spuren von Nüssen in anderen Nahrungsmitteln dürfen in diese Schulen mitgebracht werden. Das finde ich korrekt, denn es geht um Menschenleben. Genauso strikt ist man mit der Durchsetzung von Duftverboten, weil es immer mehr Kinder und Lehrer gibt, die unter Allergien und schwerer Chemikaliensensitivität (MCS) leiden. Man möchte sie nicht isolieren. Als weiteren ausschlaggebenden Grund für das herrschende Duftverbot an so mancher Schule, wird das Recht auf saubere, chemikalienfreie Luft angeführt, was allen zugute kommt.

Für diejenigen unter Euch, die etwas Englisch können, schicke ich die Fundstücke meiner Schnellsuche gleich mit. Wer mehr Zeit hat, findet weitaus mehr Schulen, die ein Duftverbot aus Rücksichtname auf Allergiker und Chemikaliensensible haben.

Diskriminierung von Umweltkranken wie sie gestern passiert ist, sollte es generell nicht geben und jeder von uns kann mit den entsprechenden Informationen zur Aufklärung beitragen. In Kanada wäre der Fall wahrscheinlich sogar vor der Menschenrechtskommission gelandet.

Und übrigens, weil es zum Thema passt, vor etwa einer Woche erhielt ich eine Mail von einer amerikanischen Mutter mit der ich in Kontakt stehe. Deren Tochter ist ebenfalls chemikaliensensibel. Molly stand kurz davor, die Schule verlassen zu müssen, weil es ihr täglich schlechter ging. Der Schulleiter, die Lehrer, Eltern und Mitschüler hatten Verständnis und Molly bekam Unterstützung. Sogar der Jahresabschlussball war duftfrei und sie konnte teilnehmen. Die Mutter von Molly berichtete, dass sie zu 95% klarkommt und im Gegensatz zu vorher, ihre Noten hervorragend seinen. Sie hat fünf Einser, zwei Zweier und eine Fünf mit heimgebracht. Der Ausrutscher ist ein Fach, was sie partout nicht mag. Was soll’s! Molly ist unter Gleichaltrigen, kommt jetzt gesundheitlich gut klar und die anderen Mitschüler sind stolz auf sie, genau wie ihre Mutter. Nur deren Mut, mit dem Leiter der Schule zu sprechen, und dessen Offenheit und Menschlichkeit ist es zu verdanken, dass ein junger Mensch trotz Handicap seinen Weg macht.

Eine Integration ist also überhaupt nicht schwer und in anderen Ländern wird sie praktiziert. Warum bei uns nicht? Warum werden hierzulande Chemikaliensensible öffentlich angegriffen und diskriminiert, wo eine Umstellung doch allen zugute käme.

Autor: Silvia K. Müller, CSN

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Einige Beispiele für duftstofffreie Schulen und Universitäten:


School – Community RelationsJefferson City Public Schools

Visitors to the Jefferson City Public Schools will often see signs regarding „Fragrance Free“ zones. We also make every attempt to remind patrons of the district about fragrance free through our news releases to the media.

Fragranced products can cause people with some chronic illnesses to suffer additional and extra symptoms and medical expenses. These include asthma, allergies, sinus problems, rhinitis and migraine headaches. Some authorities and victims also believe that neurological conditions such as ADHD, autism, and other behavioral and learning disorders are exacerbated by fragrances. The Jefferson City School District has students, parents and staff with health conditions that are, at times, severely affected by fragrances. In an effort to help these people enjoy their experience with the Jefferson City Public School District, we respectfully request that all patrons that attend any JCPS event, be as fragrance free as possible by not wearing perfume, aftershave, scented lotions, fragranced hair products, and/or similar products. If you have questions about Fragrance Free, please call us.

has always strived to provide both the best curriculum for their students, as well as the best environment for higher learning. As part of the campus initiatives, the college adopted an important policy several years ago to help ensure everyone is comfortable on a variety of levels, including air quality.

A Fragrance Free Campus – North Seattle Community College


Did you know the school advocates for a pollutant/fragrance free environment? That’s right, the school asks that all individuals be sensitive to air quality, which helps support a more healthful learning/teaching environment. This includes perfumes, fragrances and any other air pollutants which could cause people with allergies to be less comfortable. So…were you made aware of this policy when you first arrived on campus? Did your instructor or other faculty make you aware of this when you were orientated to the college? And more importantly…do you do your part to help keep this clean air initiative in place? Keeping the air clean at North Seattle Community College benefits everyone don’t you think?

SCENT FREE SCHOOL Oliver School

Please remember Oliver School is a “ Scent Free“ School

This limitation includes the use of any product with a strong odor including all perfumes and scented preparations. Due to severe allergy concerns, we request the understanding and co-operation of all students and parents in our efforts to provide a safe and healthy environment for all students and staff members.

Meadowbrook Elementary School (a scent-free school)

„Making a Difference Together“

University of Windsor – Scent-free Guidelines

Please consider how fragrance use affects others who may be highly sensitive. The University Windsor’s „Scent-free Guidelines“ may be viewed at …

St. Peter’s Junior High – Weekly Newsletter

1. Allergies . There are some students with serious, life-threatening nut allergies in our building. Please ensure that your son or daughter does not bring any nuts or food containing nut product to school or on the bus. There are also staff members an d students who have scent allergies. We ask that you help keep our school scent free by not wearing perfumes and colognes while in the building. Thank-you for your cooperation in this important matter.

November School Newsletter 2007-2008 – St. Augustine School

January 2008 St. Augustine School Important Safety Reminders:

1. This school is a nut free and scent free school at all times. Thank you for your help in ensuring that all children are safe at school. Thank you for your assistance.

SHERWOOD ELEMENTARY SCHOOL HANDBOOK 2007 – 2008

Food Allergy – Sherwood School & playground areas are totally „peanut/nut free“ Many students at our school are anaphylactic. Please be diligent and check labels. Please do not send any products that contain peanuts/nuts trace amounts of these products. We appreciate and thank you for your cooperation.

Anaphylactic/Life Threatening ConditionsAll students identified with life threatening allergies/conditions must have an emergency treatment plan in place. This plan is coordinated through Public Health and your family physician. MedicationIf a student requires medication to be administered at school a form must be completed by the family physician before this can occur.

Scent Free – Sherwood is designated as scent free. All staff, students and visitors are asked to refrain from wearing scented products.

Diagnose bekannt – medikamentöse Behandlung nicht möglich

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Krankheitssymptome werden im medizinischen Alltag in der Regel mit entsprechenden Medikamenten behandelt. Nahezu alle marktüblichen Medikamente enthalten chemische Inhaltsstoffe. Patienten mit Chemikalien Sensitivität (MCS) und ihre Ärzte werden hierdurch vor ein Problem gestellt, denn diese Patienten leiden aufgrund von Reaktionen auf Spuren bestimmter Chemikalien häufig unter Medikamentenunverträglichkeit. Der behandelnde Arzt steht dem oft hilflos gegenüber, denn selten sind vor einer erstmaligen Einnahme die Unverträglichkeiten bereits bekannt oder das mit gewissen Substanzen verbundene Risiko wird weit unterschätzt.

Unvorhergesehene Nebenwirkungen
Im Praxisalltag fallen Patienten mit Chemikalien Sensitivität häufig durch schwere unerwartete Reaktionen bei Medikamenteneinnahme oder Verabreichung von Anästhetika auf. Um die Problemstellung Medikamentenunverträglichkeit bei Chemikaliensensiblen besser einordnen zu können, führte die Tokio University of Science in ihrer pharmakologischen Forschungsabteilung eine Studie mit dem Titel „Die Probleme von Patienten mit Multipler Chemikalien Sensibilität bei der Einnahme von Medikamenten“ durch.

Diagnose bekannt – medikamentöse Behandlung nicht möglich

205 Personen, die durch einen Arzt Multiple Chemical Sensitivity (MCS T 78.4) diagnostiziert bekommen hatten, nahmen teil. Die Wissenschaftler erfassten, inwieweit MCS Patienten Schwierigkeiten mit der Einnahme von Medikamenten haben. Die Ergebnisse der Erhebung zeigten, dass 60% der MCS Patienten Schwierigkeiten mit der Einnahme von Medikamenten haben. Die größten Schwierigkeiten hatten Frauen und Personen in der Altersgruppe zwischen 40-59 Jahren, sowie Patienten, die ihre MCS als Folge einer Pestizidexposition oder durch Medikamente entwickelt hatten.

Risiken und Nebenwirkungen zu erwarten

Die Ergebnisse der japanischen Studie zeigten deutlich, dass Lidocain, ein gängiges Betäubungsmittel, bei Patienten mit Chemikalien Sensitivität nahezu nicht anwendbar ist. Weiterhin waren Koffein (oft in Schmerzmitteln enthalten), Aspirin, Chlorphenylamin Maletat, Minocyclin Hydrochlorid, Levofloxacin, etc. für MCS Patienten ungeeignet. Auffallend für die japanischen Wissenschaftler war, dass viele der Patienten, die bestimmte Medikamente nicht tolerieren können, über Allergien in ihrem Werdegang berichteten. Die Pharmakologen schlossen daraus, dass auch Allergien bei den Beschwerden beteiligt sind, die Patienten bei der Einnahme von Medikamenten entwickeln.

Fazit

Aufgrund der Tatsache, dass medikamentöse medizinische Behandlung laut der vorliegenden Studie der University of Tokio für Chemikaliensensible mit erheblichen Risiken verbunden sein kann, ist für einen behandelnden Arzt ohne umfassende Erfahrung mit MCS Patienten, eine Behandlung u. U. riskant. Eine Anfrage bei einer Umweltklinik oder bei einem erfahrenen Umweltmediziner ist ein guter Weg, um die Gefahr von Komplikationen zu reduzieren oder die Prognose für den chemikaliensensiblen Patienten durch geeignete Medikamente oder Betäubungsmittel im Vorfeld einer Operation zu verbessern.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Januar 2008

Literatur:

Suzuki J; Nikko H; Kaiho F; Yamaguchi K; Wada H; Suzuki M., The problems of multiple-chemical sensitivity patients in using medicinal drugs, Faculty of Pharmaceutical Sciences, Tokyo University of Science, Yamazaki, Noda, Japan, Yakugaku Zasshi 2004 Aug;124(8):561-70

Schutzengel Helene hält Rückblick

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Über ein Jahr gibt es unsere Aktion MCS Schutzengel. Wir beschützen Chemikalien-sensible, die in Not sind und haben immer ein offenes Ohr, so wie es seit eh und je die Aufgabe von Schutzengeln ist.  Unsere Engelsgarde besteht aus neun Schutzengeln aus Deutschland und Österreich.  

Nachträglich möchte ich allen Chemikaliensensiblen und unseren Schützlingen ein glückliches und gesünderes Neues Jahr wünschen. Auf dass wir weiterhin für Andere da sind und hoffentlich bei der Beseitigung der verschiedensten Problemen auch 2008 behilflich sein können. Oder, dass wir einfach nur mitempfindende Zuhörer sind und Euch somit die Einsamkeit ein wenig erträglicher machen können.  

Das vergangene Jahr war wieder ein ereignisreiches, wie auch schlimmes Jahr für uns alle. Wir denken oft an diejenigen, die nicht mehr mit uns zusammen sein können. In unseren Gedanken und Herzen werden sie immer bleiben! Wir möchten das neue Jahr gemeinsam mit Euch angehen und versuchen, nach vorne zu schauen. Wenn es oftmals auch schwer fällt, aber so ist nun mal das Leben. Probleme hat leider heutzutage fast jeder, wenngleich die von Chemikaliensensiblen, da sie fast alle Lebensbereiche betreffen, besonders schwerwiegend sind. Aber Kopf hoch, wir packen das schon irgendwie zusammen. Es muss ja schließlich weitergehen!  

Heute möchte ich ein Thema anschneiden, das meine chemikaliensensiblen Schützlinge immer wieder voller Traurigkeit bei mir ansprechen: Unnötige Barrieren innerhalb von Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis. Ja, da treffen wir alle sehr oft auf Unverständnis und werden auch dort belächelt, zum Teil sogar richtig diskriminiert. Für Menschen die keine Allergien haben und nicht auf Chemikalien reagieren ist es schwer vorstellbar, dass Duftstoffe vielfältige Gesundheitsstörungen auslösen können, zumal Duftstoffe heutzutage allgegenwärtig sind. Die Werbung setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Vielversprechend sind die Werbespots der Pharma- und Wellness -Industrie. Wir bekommen suggeriert, wie gesundheitsfördernd Aromatherapie und wie wohltuend sich Düfte auf unser aller Wohlbefinden auswirken. Sogar Schulen möchte man beduften, damit den Schülern das Lernen leichter fällt, man möchte sie in bestimmte Stimmungen bringen, um dadurch ihr Lernverhalten positiv zu beeinflussen. Und bei Erkrankten spielen sich innerhalb der Familie täglich vielfach Dramen ab, die meiner Schutzengelmeinung nach total überflüssig sind.  

Gesunde Familienangehörige wie z. B. die Schwiegereltern, Geschwister oder die eigenen Kinder, ja und unsere Freunde, verwenden oftmals Raumduftsprays, Textilsprays um lästige Gerüche loszuwerden – sie werden mit chemischen Mitteln aus der Sprühdose übertüncht, mit möglichen unliebsamen, gesundheitlichen Folgeerscheinungen. Aber wenn man gesund ist, denkt man nicht daran, dass Dinge des täglichen Gebrauchs nachhaltige und sehr negative Auswirkungen nach sich ziehen können. Ganz ehrlich gesagt, bei manchen Produkten machte ich mir in früheren besseren Zeiten, auch nicht jedes Mal gleich Gedanken, ob mir das jetzt schaden könnte. Man hat gewisse Produkte einfach sorglos benutzt. Schwierig wird es auch, wenn „unsere Lieben“ parfümhaltige Waschmittel und sogar Weichspüler benutzen und uns einfach nicht verstehen möchten.   

Viele Chemikaliensensible haben versucht bei ihren Freunden/innen, Bekannten und Verwandten anzusprechen, dass man doch bitte verschiedene duftende Produkte ab und zu, um weitere Treffen zu ermöglichen, weglassen möchte. Kaum haben wir diese Bitte angesprochen, könnten wir glauben, dass unser Gegenüber uns gleich ins Gesicht hüpft. Die Art und Weise, wie viele Menschen auf die Bitte von Chemikaliensensiblen reagieren, ist erschreckend. Ich selbst habe solche äußerst schmerzhaften Erfahrungen machen müssen. Sie tun heute noch weh! Daher kann ich es bei meinen Gesprächen mit Euch, bestens nachempfinden.   

Die Gesunden, die überall hin können, sind vielfach nicht bereit, sich für uns in ihrer Freiheit auch nur ein wenig einzuschränken. Das WARUM kann ich selber nicht verstehen. Wäre ich gesund und eine Freundin oder ein Familienmitglied könnte davon profitieren, wenn ich parfümierte Kosmetika etc. durch parfümfreie ersetzen würde, ich würde es sofort tun. Ehrlich, ich würde sogar von mir aus fragen: „Was kann ich sonst noch tun?“ Aber machen Menschen sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, für sie ist alles so selbstverständlich geworden, dass sie das Maß der Dinge nicht mehr begreifen, ja sogar vergessen haben, ein wenig Rücksicht zu nehmen. Meistens ist das bei denjenigen so, bei denen ansonsten alles prima läuft. Verstehen kann ich es, dass jemand nicht alle Kosmetika komplett umstellen möchte, wenn man sich nur ab und zu mal sieht. Aber vor einer Verabredung mit einem chemikaliensensiblen Freund oder Familienmitglied, mit einem duftneutralen Shampoo zu duschen und auch sonst nichts zu benutzen, was den Kranken beeinträchtigt, dürfte für die Gesunden das geringste Problem sein. So konnte ich selbst erleben und auch von Euch erfahren, dass die Barrieren zwischen Euch und den Personen, die Euch lieb sind, enorm groß sind.   

Unser Leben bräuchte nicht ganz so isoliert zu verlaufen, wie bisher. Mit besserem gegenseitigem Verständnis, mit etwas Entgegenkommen und ein wenig Rücksichtnahme, könnten wir MCS- Kranken weitaus bessere Lebensqualität erleben. Aber dazu bedarf es des Willens unserer Mitmenschen, für Andere auch ein paar Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Doch in der heutigen Zeit ist diese Bereitschaft leider eine Seltenheit geworden. Hoffen wir, dass dieses Neue Jahr Unterstützung von allen Seiten bringt und durch Aufklärung, auch ein Umdenken zum Wohle der erkrankten Menschen stattfindet.   

Euer Schutzengel Helene

Pestizide verursachen Abneigung gegen Alkohol

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Spanische Wissenschaftler der Universität Almeria haben im Tierversuch bewiesen, was Chemikaliensensible weltweit berichten: Erhöhte Empfindlichkeit und Abneigung gegenüber Alkohol. Eine einmalige Exposition gegenüber dem Organophosphatpestizid Chlorpyrifos reicht aus, dass Ratten Alkohol für lange Zeit vermeiden. Wenn sie dennoch Alkohol zu sich nehmen, führt dies zu einem verstärkten Betäubungseffekt. Eine Beobachtung, die bei chemikaliensensiblen Menschen ebenfalls zutrifft.

Schadstoffe lösen Alkoholintoleranz aus

Menschen, die unter Chemikaliensensitivität leiden, berichten immer wieder, dass sie Alkohol nicht mehr tolerieren und auch eine Abneigung dagegen haben. Zwei, drei Schlückchen Wein oder Bier reichen aus und sie fühlen sich sturzbetrunken oder bekommen schwerste Symptome. Der Ursache dafür ging ein fünfköpfiges Wissenschaftlerteam aus Spanien auf den Grund. Schadstoffe, vor allem Pestizide scheinen schuld zu sein. In der medizinischen Fachzeitschrift Toxicological Sciences berichteten sie entsprechend, dass eine wiederholte oder ständige Exposition mit einer großen Vielzahl von chemisch nicht miteinander verwandten Schadstoffen zur Entwicklung einer Multiplen Chemikalien Sensitivität (MCS) und erhöhter Empfindlichkeit gegenüber Suchtmitteln führen kann. (1)

Tierversuch belegt Aussagen von Chemikaliensensiblen

Neurobiologische Interaktionen zwischen Drogen und Umweltgiften genau zu analysieren, ist ein Fachgebiet, das für Wissenschaftler weltweit von zunehmend großem Wert ist. Das Forschungsgebiet bildet eine wichtige Brücke zwischen Umweltmedizin, Toxikologie und Drogen- bzw. Arzneimittelforschung, die vielschichtige weiterführende Erkenntnisse in vielen Bereichen erbringen kann. Um die von Chemikaliensensiblen behauptete Abneigung und Intoleranz gegenüber Alkohol zu belegen, bauten die spanischen Wissenschaftler eine kontrollierte Tierversuchsstudie auf. Insbesondere die klinischen Hinweise darauf, dass beim Menschen eine Exposition gegenüber Organophosphaten mit einer erhöhten Ethanol-Empfindlichkeit und einem freiwillig verringerten Konsum von alkoholhaltigen Getränken einhergehen könnte, interessierten die Mediziner.

Chlorpyrifos, in USA verboten, in Europa erlaubt

Demgemäß untersuchte die vorliegende Studie insbesondere die neurobiologischen Reaktionen und Verhaltensweisen in Bezug auf Ethanol bei Wistar-Ratten, die zuvor dem Organophosphat-Pestizid Chlorpyrifos (CPF) ausgesetzt waren. Dieses Pestizid ist in Deutschland und den anderen europäischen Ländern noch immer in sehr vielen Schädlingsbekämpfungsmitteln für den häuslichen Gebrauch und die Landwirtschaft enthalten. Konventionelle Nahrungsmittel weisen regelmäßig Rückstände auf. In den USA ist das Pestizid wegen seiner Neurotoxizität und anderen schweren Nebenwirkungen seit vielen Jahren in nahezu allen Anwendungsbereichen verboten. Ein EPA Memorandum hatte zusätzlich bestätigt, dass Chlorpyrifos Chemikalien Sensitivität (MCS – Multiple Chemical Sensitivity) auszulösen vermag.

Einmal reicht aus

Die Tierversuche der spanischen Wissenschaftler waren erfolgreich. Sie bestätigten, was man anhand der Aussagen von Chemikaliensensiblen vermutet hatte. In Übereinstimmung mit den klinischen Daten zeigten mit einer Einmalinjektion von Chlorpyrifos vorbehandelte Tiere ein lang anhaltendes Vermeidungsverhalten gegenüber Ethanol, das weder aus einem veränderten Geschmacksempfinden noch einer Verstärkung der aversiven Charakteristika von Ethanol herrühren konnte. Darüber hinaus war zu beobachten, dass eine Vorbehandlung mit Chlorpyrifos zu einer verstärkten ethanol-induzierten Betäubung führte.

Wenn man bedenkt, dass viele unserer Nahrungsmittel Rückstände von Chlorpyrifos aufweisen, ist die Erkenntnis der Wissenschafter als sehr bedenklich einzustufen und erfordert auch in der EU ein rasches Verbot des Pestizides. Denn Unverträglichkeit gegenüber Alkohol ist bei Chemikaliensensiblen ein Faktor, der kaum Relevanz im Alltag besitzt, bei den ebenfalls von dieser Personengruppe vielfach beklagten Medikamentenunverträglichkeiten können die Auswirkungen jedoch weitaus folgenschwerer sein.

Autor: Silvia K. Müller , CSN – Chemical Sensitivity Network

Literatur: Carvajal F, Lopez-Grancha M, Navarro M, Sanchez-Amate M, Cubero I., Long-Lasting Reductions of Ethanol Drinking, Enhanced Ethanol-induced Sedation, and Decreased c-fos Expression in the Edinger-Westphal Nucleus in Wistar Rats Exposed to the Organophosphate Chlorpyrifos, Toxicol Sci. 2006 Dec 26

Begriffserklärung: Aversiv: Vermeidung, Ablehnung (Bsp.: Aversive Reize werden gemieden bzw. lösen eine Vermeidungsreaktion aus)

Spanische Wissenschaftler finden Ursachen für Chemikaliensensitivität (MCS)

Pestizide können die Gesundheit schwer schädigen und Chemical Sensitivity auslösen

Spuren von Parfüm, Reinigungsmitteln und Abgasen, der Geruch einer neuen Tageszeitung oder frischer Lackfarbe verursachen bei manchen Menschen körperliche Beschwerden, die von Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit bis zum Bewusstlosigkeit reichen können. Die als Chemikaliensensitivität (MCS) bezeichnete Symptomatik betrifft ca. 15% der Allgemeinbevölkerung. Bestimmte Berufs-gruppen haben, aufgrund der Arbeitsstoffe mit denen sie in Kontakt stehen, einen noch weitaus höheren Anteil zu verzeichnen. Bei einigen der Erkrankten sind die Auswirkungen so schwer, dass sie nur noch unter speziellen Bedingungen leben können, um beschwerdefrei zu sein. Ohne adäquate medizinische Behandlung und entsprechenden Vermeidungsstrategien weiten sich die Symptomatik und die Anzahl der Substanzen, auf die reagiert wird, immer weiter aus. Die Konsequenzen sind dementsprechend folgenreich. Manche sind außer Stande, ihren Arbeitsplatz zu behalten, andere müssen ihr Haus aufgeben oder sogar ohne Kontakt zu anderen Menschen leben. Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern forschen seit Jahren intensiv nach Ursachen und werden zwischenzeitlich immer häufiger fündig.

Konkrete Ursachenforschung im Bereich Umweltkrankheiten
In Spanien beschrieb ein Wissenschaftlerteam der Universität Barcelona Chemikaliensensitivität (MCS) in der medizinischen Fachzeitschrift Medicina Clinica treffend als Toleranzverlust gegenüber zahlreichen Umweltchemikalien. Das Team von Fernández-Solá untersucht seit Jahren Ursachen und Folgen von Umweltkrankheiten, insbesondere Chemikaliensensitivität (MCS) und Chronic Fatigue Syndrome (CFS). Das Ziel der aktuellen Verlaufsstudie bestand darin, 52 chemikaliensensible Patienten der Universitätsklinik Barcelona, Abt. Toxikologie / Chronic Fatigue, genau zu beschreiben und vor allem die Ursache ihrer Erkrankung herauszufinden. Die Wissenschaftler gaben als Ergebnis bekannt, dass MCS häufig durch Exposition gegenüber chemischen Substanzen ausgelöst wird, ganz speziell durch Pestizide. Eine Feststellung, die durch weitere internationale Studien und Mitteilungen von Ministerien der letzten Jahre bestätigt wird.

Zielgerichtete Diagnostik bringt handfeste Ergebnisse
Das Wissenschaftlerteam aus Barcelona, hatte 2005 die Studie „Chronic Fatigue Syndrome and Multiple Chemical Hypersensitivity after Insecticide Exposure“ veröffentlicht. Das Ergebnis der Studie erbrachte, dass die damaligen Studienteilnehmer durch Pestizide chemikaliensensibel geworden waren. (1)
Im Juni 2007 wurden die Ergebnisse einer Verlaufsstudie veröffentlicht, die auf diese erste Studie aufbaute. (2) Man hatte speziell solche Studienteilnehmer ausgewählt, die MCS Symptome zeigten und fortlaufend in der Klinikeinheit für Toxikologie und Chronic Fatigue (Chronische Erschöpfung) in Behandlung waren.

Die Diagnose wurde gemäß internationalem Standard ermittelt, alle Patienten erfüllten die validierten MCS Diagnosekriterien des American Consensus und vervollständigten u. a. den international von Wissenschaftlern anerkannten Quick Environmental Exposure and Sensitivity Inventory (QEESI) Fragebogen, der dazu dient, MCS- spezifische Symptome aufzudecken.

Chemikalien Krankheitsauslöser von MCS enttarnt
Insgesamt wurden 52 chemikaliensensible Patienten in die aktuelle Studie einbezogen. Das Durchschnittsalter lag bei den teilnehmenden Männern bei 47.2 Jahren und bei 46 Jahren bei den Frauen. Der Ursprung der Erkrankung stand bei 59.6% in Zusammenhang mit Exposition gegenüber zahlreichen chemischen Stoffen am Arbeitsplatz, einschließlich Arbeitsunfällen bei 14 Patienten (Verneblung von Pestiziden am Arbeitsplatz). Bei 38.5% der Studienteilnehmer konnte das Syndrom nicht mit einer toxischen Exposition in Zusammenhang gebracht werden und wurde als eine Folge der bei den Patienten vorliegenden chronischen Erschöpfung (CFS) in Betracht gezogen. Die Studienteilnehmer wurden über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten beobachtet, um ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten. Die Wissenschaftler merkten an, dass während dieser Zeit alle Patienten stabil blieben und niemand starb.

Wichtige Fakten zu Chemikaliensensitivität festgestellt
Das Fernández-Solá Team schloss aus seiner aktuellen Verlaufsstudie, dass MCS im Normalfall hauptsächlich Frauen mittleren Alters betrifft. Weiterhin fand man heraus, dass MCS häufig durch Exposition gegenüber chemischen Substanzen ausgelöst wird, insbesondere durch Pestizide. Zusätzlich bestätigte das Team Arbeiten anderer Wissenschaftler, die ebenfalls besagen, dass ein Zusammenhang mit dem Chronic Fatigue Syndrom bei Chemikaliensensiblen häufig ist. Die Prognose bei Chemikaliensensitivität sei, laut den Beobachtungen der Wissenschaftler aus Barcelona, zwar gut, aber die Patienten seien in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt.

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, Januar 2008

Literatur:

  1. Fernandez-Sola J, Liuis Padierna M, Nogue Xarau S, Munne Mas P., Chronic Fatigue Syndrome and Multiple Chemical Hypersensitivity after Insecticide Exposure, Medicina Clinica, 124(12):451-3, April, 2005
  2. Nogué S, Fernández-Solá J, Rovira E, Montori E, Fernández-Huerta JM, Munné P., Multiple Chemical Sensitivity: study of 52 cases, Med Clin (Barc). 2007 Jun 16; 129(3):96-8

Mutige Ärzte fehlen unserem Land

Der nachfolgend wiedergegebene Vortrag wurde von Dr. Peter Binz, Neurologe und Umweltmediziner aus Trier, am 21.Oktober 2007 auf Einladung an der Evangelischen Akademie Iserlohn bei Schwerte gehalten. Die Tagung stand unter dem Motto „Verkaufte Gesundheit – Krankes System?“ Im Anschluss des Vortrages wurde er von einer Arztkollegin spontan für einen Zivilcouragepreis vorgeschlagen. Was sie nicht wusste, war, dass Dr. Binz für seinen Mut und seinen Widerstand gegen all jene, denen ein Menschenleben nichts wert ist, bereits für den Zivilcouragepreis der Solbach-Freise Stiftung nominiert war. Dieser Preis wurde ihm kurz darauf verliehen.

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Alternativen zu dem heutigen Gesundheitssystem aus der Sicht der Praxis und der Patienten

Tagung: Verkaufte Gesundheit – krankes System?

Evangelische Akademie Iserlohn

Schwerte, 21.10.2007, 10.45 Uhr
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Neue Wege:

Um neue Wege zu finden ist es sinnvoll, durch Beispiele aus der eigenen Praxis zu beschreiben,

  • wie Arbeitsschäden entstehen
  • wie man mit den Geschädigten umgeht
  • wie man sich verteidigen kann
  • wer einen dabei zu hindern versucht
  • wer einem hilft

Zu denen, die am meisten zu sagen haben: Die Krankenkassen

Fast alle sind in den Pflichtkrankenkassen versichert, die z. B. in ihrer Werbung versichern: „wir tun mehr“.

Es ist aber selten, dass Krankenkassen helfen bei der Aufklärung der Arbeitsschäden und der Giftschäden und bei der Durchsetzung der ohnehin geringen Ansprüche der Geschädigten, meist wird sogar versucht, die Berufsarbeitsverfahren zu blockieren, obwohl nach den gesetzlichen Regeln die Krankenkasse verpflichtet ist, bei der Aufklärung mitzuhelfen. Sie darf auch nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder die Schäden bezahlen, die durch Arbeitsgifte entstanden sind. Um die Betroffenen und ihre Familien zu entmutigen und zur Aufgabe der BG-Verfahren zu bewegen, gibt es ein paar immer wiederkehrende Methoden:

– Sobald die Diagnose der toxischen Schäden in der Krankmeldung auftaucht T65.8, wird der Patient zur Krankenkasse bestellt und dort redet man ihm zu, endlich zu einem „richtigen Arzt“ zu gehen, bei mir seien doch alle vergiftet.

Es gibt dann auch Versprechungen: Meine Krankmeldungen werde man nicht anerkennen und es gebe „Schwierigkeiten“. Wenn sie sich aber von einem anderen Arzt, z. B. von einem Orthopäden krankschreiben ließen, dann könnten sie sich der Zahlungen sicher sein. Viele Patienten gehen darauf ein. Es gibt ja viele, die von Natur aus aber auch durch ihre Hirnschäden in ihrer Urteilsfähigkeit gestört sind, oder die sich durch ihre Schwäche nicht mehr verteidigen können.

Eine Reihe der Patienten werden also recht geräuschlos auf diese Weise am Berufskrankheitenverfahren vorbeigeführt und kommen „so“ in die Rente. Andere wehren sich und dann kommt die prompte Bestrafung durch die Krankenkasse: man wird zum Medizinischen Dienst bestellt. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen in Trier hat seit Jahrzehnten so gut wie nie die Diagnosen der toxischen Schäden, vor allem im Beruf, bestätigt. Er müsste dann ja auch bestätigen, dass z. B. die toxischen Belastungen der Schuhfabrik Romika seit dem Kriegsende weder chemisch noch medizinisch angemessen untersucht und beurteilt wurden, vom Sozialen ganz zu schweigen. Also steht stereotyp in den MDK-Gutachten, es gäbe „keine Anhaltspunkte für eine Vergiftung“, wobei besonders der wichtigste „Anhaltspunkt“ bei der Untersuchung weg gelassen wird, nämlich die toxische Vorgeschichte.

– Der MDK und die Kassen gehen auch nicht darauf ein, dass sie untrügliche Beweise für die Schäden haben, die ganz unabhängig sind von Arzt und Patient, nämlich die Statistik über die Krankheiten und die Lebenserwartung, etwa der Schuharbeiter, der Winzer, der Schreiner, der Schweißer etc. Bewusst werden also diese Zahlen jahrzehntelang geheim gehalten, man kann fragen, so oft man will, auch bei den BGs oder Aufsichtsbehörden. Jeder Geschädigte bleibt so ein „Einzelfall“.

– Ein weiteres Machtmittel der Krankenkassen ist die Entsendung der Patienten in die sogenannten „Heilverfahren“. Für toxische Schäden gibt es keine naturwissenschaftlich begründeten Heilverfahren außer der Expositionsvermeidung. Das war ja schon unseren Großvätern bekannt, die vernünftigerweise die Sanatorien ans Meer oder ins Hochgebirge gelegt haben, also an frische Luft aber leider schon damals mit Desinfektionsmitteln.

In den Heilverfahren wird dann versucht, den Patienten davon zu überzeugen, dass er psychosomatisch erkrankt sei oder eine Anpassungsstörung habe.

Psychosomatisch ist die Nachfolgebezeichnung für mehrere Benennungen, die inzwischen selten sind wegen ihrer offensichtlich beleidigenden Unsinnigkeit, früher nannte man diese Leute „verrückt, hysterisch“ oder „Simulanten“, besonders letztere Eigenschaft wird ja auch heute noch streng erforscht: kann der Patient dem Arzt schnell die Treppe  hinauf folgen obwohl er über Muskelschäden klagt, hat er Ölflecken an den Händen, geht er abends Bier trinken in Gesellschaft, verhält er sich in der Therapiegruppe intelligent oder dominant oder weinerlich, – dann steht jeweils der Verdacht nahe, dass er betrügt.
Gerne gesehen ist dagegen, wenn er die psychosomatischen Erklärungen für die Erkrankung annimmt, die man ihm vorsagt. Psychosomatik beruht auf der merkwürdigen Vorstellung, dass es Funktionen der Intelligenz oder Affektivität gebe, die außerhalb des Gehirns sich abspielen in der sogenannten Psyche und die dann aber auf den Körper zurückwirken. Psychosomatisch ist eine der Konstruktionen, mit der man alles und logischerweise daher gar nichts erklären kann. Aber Psychosomatisches hat der Patient wenigstens selbst zu verantworten.

Auch im Umgang mit der Chemie des Alltags sind die Kurkliniken oft recht unbedarft: Die Patienten werden z.B. zum Training in Chlorbäder geschickt, die sind nun mal lange in Gebrauch, auch wenn sie seit jeher mit dem Gift desinfiziert werden, das immer noch die meisten Schäden macht. Dazu kommen noch die Putzmittel, die Duftstoffe, der Zigarettenrauch, die staubigen Teppiche etc. Es gibt wenige lobenswerte Kliniken, in denen überempfindliche Patienten mit möglicht wenigen Auslösern und biologisch gesund leben können.

Eine wesentliche Rolle bei der „Erklärung“ der Schäden spielt auch der Alkoholkonsum der Geschädigten: Einige werden in verschiedenen Berufen Alkohol abhängig, z. B. die Schweißer, die Keramikarbeiter etc. In der Firma V&B gab es in den Hallen mit gefährlichen und Durst verursachenden Stäuben überall Bierautomaten, die später von den BG’s verboten werden, aber die Ursachen für den Bierdurst wurden nicht geändert. Unsere Vorfahren redeten von „Trinkerberufen“. Ein Gift zieht oft das andere nach sich, viele Gifte sind zumindest anfangs aktivierend und euphorisierend und können sich gegenseitig ersetzen.

Aber auch wenn ein Alkoholabusus erwiesen ist, dann darf man nicht vergessen, die Ursachen zu erwähnen, das sind häufig toxische Belastungen. Andererseits: viele Vergiftete sind überempfindlich gegen Ethanol und bei etwa sehr geringen Mengen haben sie massive Beschwerden wie etwa bei einem schweren Rausch.

Viele der toxisch geschädigten Patienten trinken daher keinen Alkohol. Sie vertragen ihn nicht weil sie überempfindlich geworden sind durch ihre toxischen Belastungen.

Anders ist es beim Nikotin. Nikotin ist ein anregendes Antidepressivum, es kann Konzentration, Stimmung und Kurzzeitgedächtnis verbessern.

Manche können Zigarettenrauch nicht ertragen und rauchen nicht. Viele berichten aber, dass sie jeweils viel mehr rauchen wenn sie in höherer toxischer Belastung arbeiten oder ihre Konzentrationsleistungen mit den Jahren nachlassen. Die Zahl der täglichen Zigaretten gibt Auskunft darüber, wann die Arbeit hoch toxisch belastet war oder besonders anstrengend war. Am meisten rauchen die Chinesen und die Bulgaren.

Nikotin und Alkohol werden als selbst zu verantwortendes Fehlverhalten eingeschätzt. „Entwöhnen“ kann man jedoch nur mit menschenverträglichen Arbeits- und Lebensumständen der Unterschicht.

In Abschlussberichten der Reha-Verfahren gibt es dann regelmäßig Diagnosen, die möglichst weit von der Immunotoxikologie entfernt sind, also die Anpassungsstörung, die chronische Depression ohne Ursache, die rheumatischen Gelenkschäden und wenn einmal der Verdacht auf Intoxikation bestätigt wird, ist das schon das Höchste. Die vollständige Aufklärung der Berufsschäden gibt es so gut wie nie.

Es gibt zwei lobenswerte Ausnahmen: die Klinik in Bredstedt und das Krankenhaus in Neukirchen bemühen sich, Schäden bei Überempfindlichkeiten durch toxische Belastungen aufzuklären und in beide Häuser schicken die Versicherungen daher nur widerstrebend.

Die „normalen“ Kurkliniken sind nun einmal von ihren Geldgebern zur Effektivität angewiesen und das heißt: arbeitsfähig oder gesund entlassen oder zumindest Selbstverschulden nachzuweisen.

Die Berufsgenossenschaften

Sie tragen einen Vertrauen erweckenden Namen, wer möchte nicht gerne „Genosse“ sein, und ihre Hauptverwaltung liegt in St. Augustin, aber da fällt einem schon das Karnevalslied ein.

Die Berufsgenossenschaften haben seit Generationen fast immer gewonnen, sie konnten etwa 95 % der Verfahren für sich entscheiden. Die meisten Ärzte, die zur Meldung der Berufskrankheiten verpflichtet sind, erstellen diese Meldungen nicht, meist aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit, aber auch aus Angst. Es ist daher klar, dass kaum einer der geschädigten Arbeiter wenigstens eine Entschädigung bekommt, die ohnehin meist sehr gering ist.

Das wichtigste Mittel für den Erfolg bei den BG’s sind ihre Gutachterschulen. Über Generationen wurden die leitenden Posten in der Arbeitsmedizin mit den Schülern der gleichen Schule besetzt. Kein Wunder, dass sie in ihren Gutachten immer zu den gleichen Schlüssen kommen, mit den stets gleichen Auslassungen zur Tatsache und Standard-Formulierungen „beweisen“, dass keine Berufskrankheiten vorliegen. Die wichtigsten Lehrstühle stehen in Erlangen, München, Bochum und Heidelberg.

Weiter zum Erfolg verhalfen die  „Lehrbücher“ wie der Valentin – Mehrtens, die ständig in den Urteilen zitiert werden, obwohl die Fachliteratur schon längst die oft makabren Behauptungen in diesem System widerlegt hat, zum Beispiel, dass Lösungsmittelschäden spätestens nach 2 Jahren ausgeheilt sein müssen, und dass sie auch erst eintreten, wenn man mindestens 10 Jahre hohen Konzentrationen ausgesetzt war, die die gesetzlich sicheren Grenzwerte überschritten haben.

In Wirklichkeit stehen die Lösungsmittel schon seit jeher auf der IDLH-Liste (Immediately Dangerous to Life and Health), d. h. in kürzester Zeit, (30 Minuten) können sie zu schweren bleibenden Schäden oder zum Tod führen. Darüber hinaus ist ein großer Teil der immunotoxischen Schadensabläufe Dosis- unabhängig, d. h., wenn eine Überempfindlichkeit eingetreten ist, dann kann ein einziges Molekül die Immunkaskade auslösen, die immer zu Kollateralschäden führt.

Trotz dieser fundamentalen gefährlichen Fehler werden in den Gerichtsurteilen die Gutachten aus dieser Schule als wissenschaftlich verlässlich und „verbindlich“ erklärt.

Darüber hinaus gibt es noch ein paar Praxen niedergelassener Ärzte, die von den BG’s aber auch von einigen Gerichten herangezogen werden – wenn alles für das Recht der geschädigten Arbeiter spricht und eindeutige Beweise vorliegen: auch diese werden dann noch versenkt mit oft ungeheuerlichen Behauptungen dieser Gutachter, die wissen, dass ihnen nichts passieren kann, wenn sie alle medizinischen und rechtlichen Regeln übertreten.

Viele Patienten, Rechtsanwälte und Ärzte haben natürlich versucht, sich gegen diese Falschgutachter zu wehren, selten mit Erfolg. Die Gutachterliste der BGs ist immer noch die gleiche wie vor 25 Jahren.

Eine wirksame behördliche oder juristische Aufsicht, die das Gröbste bei Berufsgenossenschaften und ihre Gutachtern verhindert gibt es bisher nicht. Es besteht ein festes Netzwerk zwischen Krankenkassen und Berufsgenossenschaften und Gutachtern, und vielen Gerichten, das nicht zu erschüttern ist und offensichtlich starke politische und finanzielle Unterstützung hat.

Die Strafjustiz

Bei den meisten toxischen Schäden im Beruf, liegt zumindest grobe Fahrlässigkeit vor, mit Körperverletzung oder Tötung, dann sind auch alle Beteiligten zur Meldung an die Staatsanwaltschaft verpflichtet.

Am Anfang der Aufklärung der sehr vielen Geschädigten z. B. bei der Schuhfabrik Romika wurde zwar zunächst ein Zivilverfahren gegen mich eröffnet, wegen „Verunglimpfung“ dieser eingebürgerten Schuhfabrik mit 2500 Arbeitsplätzen, aber dann wurde doch ein Strafverfahren eingeleitet gegen einige Funktionäre aus den unteren Rängen, sie mussten ein Busgeld von wenigen tausend DM bezahlen und danach wurde in wenigen Tagen das Verfahren eingestellt.

In den folgenden Jahrzehnten habe ich, wie es nun einmal vorgeschrieben ist, noch viele Meldungen auch an die Staatsanwaltschaft weitergegeben, etwa die Todesfälle aus der Romika, die Toten aus der Fabrik für Plastikbehälter in der Eifel, die Totenlisten aus den längst aufgelösten Auer-Werken, die hier in Trier Gasmasken etc. herstellten und auch viele einzelne Schäden und Todesfälle aus kleineren Firmen. Seit etwa 15 Jahren gab es nicht einmal eine Eingangsbestätigung, nur von der Staatsanwaltschaft in Saarbrücken kam einmal oder zweimal eine kurze Mitteilung, dass die Meldung eingegangen sei, das Ermittlungsverfahren aber gleich wieder eingestellt werde, wenn ich keine „weiteren Beweise“ vorlegen könne. Die Staatsanwaltschaft hat also selbst nie weiter nachgeforscht.

Die Kassenärztliche Vereinigung

Die KV ist gesetzlich verpflichtet zur Sicherstellung einer angemessenen medizinischen Betreuung. Die KV in Trier hat in den letzten 15 Jahren unter ihren Leitern Sauermann und Müller sich darum bemüht, zur Vermeidung weiterer Arbeitsschäden meine Praxis zu schließen. Einzelheiten zu den wenig erfreulichen und sehr teueren Verfahren will ich hier nicht ausbreiten. Es ist möglich, dass man jetzt bei der KV in Koblenz und in Mainz nüchterner und sachkundiger urteilt, wir wollen es hoffen.

Auch die Aktionen meist der KV, ab und zu auch des früheren Kammer-Präsidenten Prof. Krönig, mit den offensichtlichen Verbindungen zu den Berufsgenossenschaften, Krankenhaus, Kassen und Arbeitgebern haben dazu beigetragen, dass kaum noch ein Arzt Arbeitsschäden meldet obwohl bei näherem Hinsehen dieses Übersehen der Arbeitsschäden nur zu weiteren Schäden und zu endlosen Spätschäden führen wird, nicht zuletzt deswegen, weil auch das genetische Material der Familie geschädigt wird, d. h. ein Teil der Schäden wird weiter vererbt und Genschäden sind nicht reparabel, sie hören also erst auf, wenn es keine Nachkommen mehr gibt.

Die Kollegen unter den Ärzten

Es gibt durchaus Mediziner, die auf der Seite der geschädigten Arbeiter und ihrer Ärzte stehen, aber es sind nicht sehr viele. Sie sind meist Mitglieder von IGUMED, DGUHT, ÖÄB. Man kennt sich von den Tagungen. Wenn kleine Gruppen von Ärzten zusammenarbeiten, etwa der Neurologe, der HNO-, der Augenarzt und der Röntgenarzt bei der Dokumentation von Hirnleistungen, dann ist mindestens unter vorgehaltener Hand die Bezeichnung „Mafia“ fällig.

Außer dem Verantwortungsgefühl gibt es wenig, was einen „anziehen“ könnte bei der Aufklärung von Arbeits- oder Unfallschäden. Die Gebührenordnung ist z. B. so eingerichtet, dass man garantiert nicht zuviel verdient mit der nicht versicherungshörigen Arbeitsmedizin: Das ist nicht weiter schlimm, aber die persönlichen Herabsetzungen bis zur Kriminalisierung treffen einen schon.

Zu den Leuten und Gruppen, die helfen: Die Familie

Wenn ein Maler sein Verfahren gegen die BG gewinn, so steckt dahinter meist eine resolute Ehefrau die sich nicht von der Autorität der Funktionäre oder den akademischen und juristischen Titeln verblüffen lässt. (Ich denke übrigens, ich habe so eine Frau).

Oft sind die Patienten aber auch alleine, entweder weil sie schon geschädigt waren in der Zeit in der man sonst eine Partnerschaft sucht, viele bleiben Junggesellen. Viele sind geschieden, weil durch die ständigen Belastungen für die Familie und ihre schlechten Zukunftsaussichten, aber auch durch ihre zunehmende Aggressivität oder Passivität die Ehen zerstört werden. Der Leistungsabfall und die charakterlichen und affektiven Veränderungen sind eine häufige Ursache für Einzelgängertum und Scheidungen.

Viele verzichten auf Kinder, weil sie ihren Kindern das Leben, das sie erdulden mussten, nicht wünschen. Häufig gibt es keine Kinder weil in Giftberufen die Frauen nicht schwanger werden oder Aborte haben oder behinderte Kinder zur Welt bringen, das alles um so häufiger, je länger sie im Gift gearbeitet haben, z.B. Krankenschwestern, Schuharbeiterinnen, aber auch Lehrerinnen in belasteten Schulen.

Wichtig sind natürlich die Kinder, wenn es welche gibt, um die Verfahren durchzuhalten mit der Gemütsstärkung der durch die Kleinen und den Computer- Justiz- und Chemiekenntnissen der Großen.

Ich freue mich also, wenn mehrere Mitglieder der Familie und auch Freunde mit zur Untersuchung kommen, während die Gutachter der Versicherungen es regelmäßig versuchen, solche „unbeteiligten Angehörige“ oder Freunde bei der Untersuchung herauszuhalten, man will keine Zeugen.

Außer der Familie gibt es natürlich noch die Kameradschaften und die Genossenschaften im wahren Sinn des Wortes vor allem als Selbsthilfegruppen, sie tauschen ja ihre Kenntnisse über die Arbeitsstoffe, die Rechtsanwälte, die Gutachter und die Spätfolgen aus.

(Vor einigen Tagen hat Herr P. berichtet: seine Schwägerin, die früher 10 Jahre bei der Romika gearbeitet hatte, habe er nach Jahren endlich überreden können, zu mir zur Untersuchung zu kommen: Er habe ja 1981 in seinen 20er Jahren mit 45 anderen im gleichen Alter zusammen bei der PVC-Fabrik Pegulan in Konz zu arbeiten begonnen, von denen lebten jetzt noch 3.)

Die Psychologen

Schon immer hat ein Psychologe in der Praxis mitgearbeitet, seit 15 Jahren ist es Herr Klein. Die psychologische Leistungsuntersuchung ist die wichtigste objektivierbare und reproduzierbare Untersuchung um Veränderungen der Hirnleistung festzustellen, sie wird weltweit mit den gleichen Tests durchgeführt.

Die beliebten Behauptungen, der Patient simuliere oder es sei alles nicht so schlimm, können mit der Psychometrie widerlegt werden. Am frühesten betroffen bei Hirnschäden sind meist Konzentration und Geschwindigkeit sowie Kurzzeitgedächtnis und der Nachzeichnung von geometrischen Formen.

Eine Reihe von Patienten brauchen auch psychologische Unterstützung in ihrer Niedergeschlagenheit und Unsicherheit. Zu länger dauernden Psychotherapien überweisen wir an niedergelassene Psychologen, bei denen ändert sich auch das Krankheitsverständnis: Wenn sie früher in ihrer Ausbildung die Schäden und Veränderungen mehr auf psychische und soziale Mechanismen zurückführten, erkennen sie immer mehr als Ursache die organischen Hirnschäden. Es ist oft für alle Beteiligten belastend, vor allem wenn man bei jüngeren Menschen schwere Hirnschäden feststellt und den unaufhaltbaren weiteren Abfall über die Jaher, aber gerade diese Menschen brauchen am meisten Unterstützung.

Die Rechtsanwälte

Die meisten sind korrekt, hilfsbereit und hören auch zu, was man so als Arzt vorbringt, (von Richtern kann man das nicht so oft behaupten, die haben alte Zöpfe in den Verfahren oft noch nicht abgeschnitten). Viele Rechtsanwälte geben sich sehr viel Mühe bei relativ geringem Verdienst in den Sozialgerichtsverfahren. Alle wissen, wie gering die Chancen sind und wie erdrückend oft die Belastungen für die Patienten, ihre Familien und nebenbei für ihre Ärzte.

Viele Berufskrankheitenverfahren gehen über Jahre und Jahrzehnte, die Romika-Verfahren sind bis heute z. T. noch nicht abgeschlossen. Ab und zu gewinnt einer seine 20 % MdE-Rente, mehr ist nicht drin. Ein anderer mit den gleichen Schäden von der gleichen Arbeitsstelle, der sich aber aufmüpfiger im Verfahren gewehrt hat, kann noch Jahre warten.

Die Gewinnrate der BG’s von ca. 95 % ist schon erwähnt. Die Wahrscheinlichkeit zu „gewinnen“ wechselt auch mit der Zeit und der Politik: In den 90er Jahren waren Berufsgenossenschaften und Sozialgerichte von den Beweisen für die bisher „unbekannten“ Schäden so verblüfft, dass z.B. alle von den etwa 20 Geschädigten aus der Tierkörper¬beseitigungsanstalt Rivenich anerkannt und entschädigt wurden, dort hatte man unter seltsamen physikalischen, chemischen und neurologischen Vorstellungen geglaubt, man könne gefahrlos das Fett aus dem erhitzten und gemahlenen Fleisch der Tierkadaver mit dem Lösungsmittel Perchlorethylen herauslösen und nachher wieder das PER zurückgewinnen.

Aber alle Dichtungen und Kugellager der Anlage wurden regelmäßig von PER aufgelöst. Die Arbeiter stiegen bei der Reparatur unbesorgt in die großen Behälter. Einer stand aber draußen und wenn der drinnen anfing zu singen oder Sternchen zu sehen, wurde er herausgeholt und der nächste ging hinein. Man hielt das für einen ungefährlichen kleinen Rausch.

Zu mir in die Praxis kamen die Beschäftigten auf dringenden Rat der Tierärztin, die für die Tierkörperbeseitigungsanstalt zuständig war, die hatte sich kundig gemacht im Gegensatz zu der Schulmedizin und den „Kassen“.

Es war also die alte Geschichte, zunächst ungenügende Information, Euphorisierung und Aktivierung durch die Lösungsmittel, später zunehmende vielfältige Schäden, zunächst der Gehirnleistung, dann des Verhaltens, zum Schluss meist Demenz und Krebs, fast alle sind inzwischen tot.

Nachdem man aber nach den „Ereignissen“ in Rivenich ausrechnen konnte, was in der gesamten rückständigen Lösungsmittelindustrie z. B. in Reinigungen angerichtet hatte wurden die oben genannten Gutachter- und Verfahrensmechanismen entwickelt. Es wurden nur noch sehr wenige Lösungsmittelgeschädigte entschädigt.

Dabei spielt es inzwischen keine Rolle mehr, ob jemand für Laien erkennbar sehr schwer körperlich und geistig geschädigt ist: 23 Jahre hat Herr M. als Maler gearbeitet hat. Viele einzelne Bericht und sogar ein eindeutiges Gutachten für ihn bei Frau Prof. Elsner und dem Psychologen Dr. Ruß in Frankfurt wurde von der BG „abgelehnt“ und sie schickt die altbekannte Gutachterliste mit ihren Spitzen-Leuten: Prof. Triebig, Prof. Norpoth und Prof. Bolt.

Es gibt aber auch Hoffnungen: Herr Sch. kam erstmals 1984 hierher, er beschrieb seine Karriere als Maler seit der Jugend: er hatte eine arme allein erziehende Mutter, daher trotz guter Leistungen Malerlehre, das Geld fehlte für Weiterbildung.

Mit 16 J. Anstrich von Sprossenfenstern in einem restaurierten Schloss mit dem kräftigsten Weiß, der Name Bleiweiß sagte ihm zunächst nichts.

Tage später die mit Sicherheit zu erwartenden Symptome: Bleikoliken, aber Diagnose im Krankenhaus: „geplatzter Blinddarm“ und Eröffnung der Bauchhöhle, worauf er beinahe gestorben wäre. Er hat sich erholt, mit viel Arbeit Karriere gemacht, er hat eine Firma mit mehreren Angestellten und konnte sich ein paar Mehrfamilienhäuser bauen.

Dann kam langsam die Zeit, in der er „alles vergessen hat“, wenn er z. B. eine Besorgung von Arbeitsmaterialien von Limburg nach Frankfurt fahren wollte, hatte er auf halber Strecke vergessen, was er eigentlich in Frankfurt wollte. Der Niedergang der Firma und der Verlust seines gesamten Vermögens waren die Folge.

Er hat aber immer noch andere in ähnlichen Situationen unterstützt und zu mir „geschleppt“, z. B. einen ähnlich erkrankten Türken, der die Trümmerfelder der früheren Hoechst abgeräumt hatte.

Die Meldung einer Berufskrankheit des Herrn Sch. habe ich 1994 erstellt, die Verfahren in allen Instanzen hat Herr Sch.  verloren, obwohl oder gerade weil ich ihn ständig unterstützt habe.

Aber 2006 kam die Entscheidung des Bundessozialgerichtes: das Verfahren sei wieder aufzunehmen. Sogar mein Name in dem Urteil wird einmal kurz erwähnt. Herr Sch., bei dem inzwischen die sehr starke Hirnleistungsstörung mit PET und Kernspintomogramm nachgewiesen ist, wurde schließlich unter der Diagnose „Alzheimer“ eingeordnet. Mit „Alzheimer“ werden ja gerne Arbeitsschäden verschleiert.

Herr Sch. hat sich auf meinen Rat hin dann bemüht, das aufzuklären, was Prof. Alzheimer übersehen hatte: Er hat die mit 56 Jahren gestorbene Frau Deter zu Lebzeiten nicht gefragt oder hat zumindest nicht dokumentiert, wo sie gelebt hat und wo sie und ihr Mann gearbeitet haben.

Herr Sch. hat inzwischen dank seiner für kurze Zeit noch funktionierenden Leutseligkeit und Aktivität Stadtpläne und Adressen der Firmen und Familien in der Umgebung der Wohnung der Frau Deter beschafft, sie hat in der Nähe einer Firma zur Asbest- und Teerverarbeitung gewohnt und vielleicht auch dort gearbeitet. Auch die erste Erdölindustrie in Frankfurt produzierte in der Nähe. Der große Schornstein steht noch als Kulturdenkmal.

Ende